Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der abgerissene Knopf.

Es saßen drei alte Soldaten bei einem Glase Wein, ein Husar, ein Infanterist und ein Artillerist. Doch ist dieser Satz nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn der Husar war ein General der Kavallerie, der zuletzt bei den Husaren gedient, der Infanterist hatte als Oberst ein Regiment braver Musketiere kommandirt, und nur der Artillerist war im Wachsthum etwas zurückgeblieben, wie seine Kameraden zu sagen pflegten, und man hätte ihn so gut wie jenen Andern den ewigen Lieutenant nennen können, denn nachdem er treu und redlich gedient, nicht bis an sein kühles Grab, wohl aber beinahe vierzig Jahre, da packte er auf und ließ sich pensioniren. Er hatte etwas weniges Vermögen und lebte nun viel behaglicher als damals, wo er auf der Straße spazieren gehend in einer Stunde fünfzigmal an seine Dienstmütze hinauflangen mußte.

Das Glas Wein aber, bei dem die Drei saßen, war eine dickbauchige Bowle Maitrank, duftende Kräuter, wohl verzuckert. Und den Maitrank schlürften sie auf der Terrasse des Marienbildchens in Deutz, vis-à-vis zu Köln am Rhein, von wo man so behaglich niedersieht auf den majestätisch dahinfließenden Strom, auf die alte heilige Stadt selber und auf den ehrwürdigen Dom, bei dem jetzt nach und nach die große Wunde zuheilt, die man so lange, lange zwischen Thurm und Chor sah.

»Ja,« sagte der Oberst, indem er seinen Lieblingsmarsch auf dem Tische trommelte und aus seiner Meerschaumpfeife ein paar tüchtige Züge that, »so viel auch hier herumgebaut und rumort worden ist, das alte, gute Gesicht unsrer lieben Stadt ist nicht zu entstellen. Sie können hier die Physiognomie nicht verwischen, und so oft ich über die lange Rheinbrücke nach Haus spaziere, ist es mir gerade wie dazumal – es sind schon viele Jahre – als ich mit dem blauen Kittel desselben Weges zog und zum erstenmal mit weit aufgerissenem Maule den riesenhaften Dom vor mir liegen sah.«

»Erlauben Sie, Herr Oberst,« bemerkte der ehemalige Lieutenant, »da kommen Ihrem Gedächtniß auch noch andere Dinge zu Hülfe: das Gehör und vor allen Dingen der Geruch.«

»So ist's!« rief der General; »der Kamerad von der Artillerie hat Recht, hol' mich der Teufel! Gehör und Geruch, das ist die Hauptsache. Das weckt auf eine fabelhafte Art die Erinnerung alter Tage in uns auf, namentlich der Geruch.«

»Gewiß, lieber Herr Oberst, das ist nicht zu leugnen,« meinte der Artillerist. »Betritt man die Rheinbrücke, so ist Gehör und Geruch immer auf die gleiche Art beschäftigt. Das ewig gleichförmige Knarren der Bretter, das Aechzen der Planken, das Klirren der Ketten bei jedem Fußtritt, und dann vor allen Dingen der Theergeruch. So was vergißt sich nie und führt uns lebhaft den ersten Augenblick, wo sich das uns bemerklich machte, wieder vor die Phantasie.«

»Ja, ja, der Geruch, das will ich zugeben,« meinte nachdenklich der Oberst, »darin könnt ihr Beide Recht haben. Geht es mir doch auch so. Wenn ich zum Beispiel irgendwo frisches Heu rieche, so denke ich doch urplötzlich immer wieder an einen gewissen Tag in meiner Jugend, wo ich mit einer Menge anderer Buben und Mädchen von einem großen Heuhaufen herabkugelte. Und habe doch während der Zeit schon mancherlei anderes Heu zu riechen bekommen.«

Der Lieutenant hatte sein Glas an den Mund gesetzt und langsam schlürfend einen Zug gethan. »Ja, der Geruch,« sprach er fast wehmüthig, »der kann Einen so lebhaft in eine gewisse Situation zurückversetzen, daß Einem ordentlich das Herz schwer wird.«

»Und bei welchem Geruch ergeht es Euch so?« fragte ironisch lächelnd der General.

»O – mit,« erwiderte ausweichend der Andere, »ich sprach nur mehr so im Allgemeinen. Ich kenne eigentlich keinen so prononcirten Odeur, von dem ich das sagen konnte. Ein Duft, bei dem mir allenfalls eine angenehme Erinnerung kommt, ist der von Reseda.«

»Aber der Kamerad von der Artillerie hat Recht,« fuhr der Husar fort. »Was denkt ihr zum Beispiel wohl, was mir einfällt, wenn ich da über den Thurmmarkt gehe bei dem königlichen Hof und dem Hof von Holland vorbei, und rieche dort, was in Dietzmann's Küche für wunderbare Sachen gekocht werden? Wenn es so deliciös in die Straße hinaus duftet, daß man ordentlich Hunger bekommen sollte, na, was glaubt ihr wohl?«

»Da denkst du einfach an ein gutes Diner, was du wohl irgendwo gemacht hast,« sprach der Oberst, »oder an sonst eine verschwenderische Ueppigkeit.«

»Fehlgeschossen,« entgegnete der General. »Dabei erinnere ich mich vielleicht der ärmlichsten und betrübtesten Zeit meines Lebens, eines Tages, wo ich, noch ein junger Mensch, zum erstenmal nach dem heiligen Köln kam, aber gar nicht davon erbaut war. Damals kam ich auf den Thurmmarkt in's Quartier zu liegen. Und in was für ein Quartier! Ich habe nachher viel erlebt in den Feldzügen, aber – nun seht, es gab zu jener Zeit auch schon Gasthäuser da in der engen Straße, die man den Thurmmarkt nennt, und aus denen duftete es auch nicht unlieblich hervor; aber wenn ich heute bei Dietzmann vorbeigehe und rieche die Düfte des feinen Bratens und dergleichen, so denke ich weder an ein pures Diner, wie du, Oberst, vorhin behauptet, noch an sonst eine verschwenderische Ueppigkeit, sondern an jenen Tag, und da steht dann mit einemmale das finstere, unheimliche Quartier so lebhaft vor mir, als sei das gestern gewesen, und es sind doch schon fast fünfzig Jahre vorüber.«

»So erzähl' uns denn einmal von dem Quartier!« meinte lächelnd der Oberst. »Ich bin überzeugt, es ist nicht halb so arg gewesen, ihr Herren von der Kavallerie wollt immer was Apartes haben.«

»Das paßt nicht,« erwiederte der General, indem er die rechte Hand gegen seinen Freund schüttelte. »Auch ich trug damals den Kuhfuß und marschirte in Gamaschen – auch ich bin in Arkadien geboren.«

»Siehe! siehe!« sagte kopfnickend der Oberst. »Habe ich doch nie begreifen können, woher Ihr die solide Grundlage habt, die Euch vor Vielen von denen vom Steigbügel auszeichnet. – Ja, wenn man bei der Infanterie gedient hat!« – Er nickte majestätisch mit dem Kopfe und nahm dann mit großer Befriedigung einen tüchtigen Schluck aus seinem Glase.

»Aber der Herr General sollte uns das doch erzählen.«

»Meinetwegen,« gab dieser zur Antwort; »es ist aber nicht viel daran, erzählt nur von einem schlechten Quartier, und beweist, wie oft unbedeutende Dinge wirksam in unser Leben eingreifen. Denn bei der Einquartierungsgeschichte spielt ein abgerissener Knopf mit, der die Hauptschuld war, daß ich von der Infanterie zur Kavallerie kam und daß es mir in Folge davon später möglich wurde, den flüchtigen Franzosen tüchtig den Pelz zu waschen, und dafür das eiserne Kreuz erster Klasse zu erhalten. – Respekt sage ich euch!«

»Ja, davor allerdings Respekt,« versetzte der Oberst, indem er seine Mütze ein wenig lüpfte, während sich der Lieutenant von der Artillerie mit dem feierlichsten Gesicht von der Welt bolzgerade für einen Augenblick erhob.

»Danke, danke!« sagte der Husar geschmeichelt. »Jetzt sollt ihr auch meine Geschichte vom schlechten Quartier und vom abgerissenen Knopfe hören.«

»Also!« –

»Das war dazumal,« erzählte nun der General, »Anno so und so viel, als ich in das Militär trat, auf Befehl meines Papa seliger unter die Infanterie. Daß ich mit Leib und Seele gegen die Gamaschen und den Kuhfuß war, das könnt ihr mir glauben; aber das half Alles nichts, ich wurde einrangirt und mußte mit tiefem Schmerz dem Sattel und dem Säbel Adieu sagen, nach dem ich mich so außerordentlich gesehnt. Alle meine Bitten halfen nichts; Papa pflegte zu sagen: die Infanterie ist das Fundament des ganzen Militärstandes, es ist die solideste Waffe, und viele der größten Feldherrn aller Zeiten haben die Muskete getragen.«

»General,« unterbrach ihn hier lachend der Oberst, »Euer Vater war ein sehr braver Mann; aber das Sprichwort vom Apfel und Stamme hat sich bei Euch nicht bewährt.«

»Es war damals Friedenszeit,« fuhr der General mit einem leichten Achselzucken fort, »und wir mußten marschiren und exerciren, daß uns die Seele wehe that. Und das wollte damals noch mehr sagen wie jetzt. Dazu hatten wir einen Lieutenant, von dem die Leute behaupteten, er esse nichts wie spanischen Pfeffer und trinke Schuhwichse dazu; so war denn auch sein Benehmen gegen uns gallig und giftig und gleich so sah er im Gesichte aus: brennend roth auf den Backen und mit kohlschwarzen Haaren. Wir nannten ihn auch nur den Lieutenant Pfefferkorn; wie sein eigentlicher Name war, habe ich vergessen.

»Nun kam es, daß wir eine andere Garnison erhielten, und, dort angekommen, da es an Kasernen fehlte, bei den Bürgern einquartiert wurden. Es war uns wind und weh dabei zu Muth, denn damals war das Einquartiertwerden kein Spaß. Heutzutage gibt man dem Soldaten ein anständiges Zimmer und verpflegt ihn ordentlich, aber zu jener Zeit – na! ihr werdet schon hören.

»Ich kam also mit zwei Andern zu einem Seifensieder in eine Kammer im Zwischenstock, deren Decke so niedrig war, daß man die Bajonette abnehmen mußte, um die Gewehre in einen Winkel stellen zu können. An Möbelwerk war ein Tisch vorhanden und zwei Stühle, und das Bett bestand aus einer einzigen großen Matratze, die am Boden lag, was aber den großen Vortheil hatte, daß wir nicht hoch hinabfielen, wenn Einer des Nachts auf den Boden rollte, was häufig genug geschah.

»An dem Tage, wo wir einrückten, hatten wir einen starken Marsch gemacht und waren sehr ermüdet, weßhalb wir uns auch frühzeitig niederlegten und trotz der großen Hitze, – es war gerade Sommer – bald einschliefen.

»Aber die Freude war von kurzer Dauer. Mir träumte sogleich, ich sei beim Baden in einen Brennesselbusch gerathen und je mehr ich mich aus demselben losarbeiten wollte, um so tiefer kam ich hinein. – Das zwickte und brennte und stach und peinigte mich, daß ich endlich mit einem tiefen Seufzer erwachte. – Doch verließ mich mein Traum immer noch nicht; obgleich ich wohl fühlte, daß ich auf der Matratze lag, so war es mir doch immer, als hätte man die Brennesselbüsche unter und über mich gelegt. Meinen Kameraden ging es um kein Haar besser, denn als ich meinem Nachbar zurief: ›Nun, wie geht's dir?‹ antwortete dieser: ›O weh! o weh! wo sind wir hingerathen!‹

»Darauf hielten wir eine Besprechung und beschlossen, aufzustehen, um unser Lager zu untersuchen. Mit Mühe zündeten wir das Licht an, denn es gab damals nur das Husarenfeuerzeug, und schauten nach. Da sah unser Lager aus, wie ein dreitägiges Schlachtfeld, wißt ihr, wie ein Schlachtfeld, auf dem die braunen Husaren Sieger geblieben sind, denn die genirten sich hier durchaus nicht und schwärmten herum, daß es eine wahre Freude war. Ganze Schwadronen jagten aufgelöst dahin mit Flankeurs und Nachhut, und wenn man zum Beispiel das Kopfkissen aufhob, so stob es ordentlich nach allen Seiten davon.«

»Hurrah! auf Husarenart!« lachte der Oberst.

»Nein, nein!« entgegnete der General; »es sah eher aus wie Sandhasen. – Nun also weiter!

»Auf der Matratze mochte Keiner mehr liegen bleiben; ich versichere euch, das war ein wahrer Laurentius-Rost, und wir hatten doch zu Märtyrern gar keine Geduld. Wir zogen uns also wieder nothdürftig an und beschlossen, ein wenig zum Fenster hinauszusehen, was wir denn auch thaten. Das Zimmer hatte nun auf zwei Seiten Fenster; eines stand offen und ging auf die enge, dunstige und übelriechende Straße; an dem anderen war der Laden mit ein paar Nägeln zugemacht, was aber für uns kein Hinderniß war; wir wollten doch wenigstens wissen, was wir da für eine Aussicht hätten, und eins der Bajonnette half uns hiezu, indem wir den Nagel zurückbogen und dann den Laden öffneten.

»Hier sah es bei Weitem freundlicher aus, und wir blickten in einen Garten, der dicht belaubte Baumgruppen hatte, aus welchem eine angenehme, kühle, wohlriechende Luft in unser heißes Zimmer hereindrang. Das Haus, zu dem dieser Garten offenbar gehörte, stand übrigens so dicht an dem unsrigen, daß ein großes Fenster des ersten Stockes nicht drei Fuß von unserer Spelunke entfernt war. Seine Laden waren offen, und durch einen Vorhang, der drinnen herabhing, bemerkte man deutlich hellen Lichterglanz; auch hörte man Stimmen von Leuten, welche sich vergnügt und lachend unterhielten.

»›Jetzt wißt ihr was,‹ sagte ich zu meinen beiden Kameraden, ›lösche Einer das Licht aus und dann setzt euch ruhig auf die beiden Stühle an das Fenster; da drüben geht's lustig her, wir wollen doch einmal sehen, ob es nicht möglich ist, irgend eine Unterhaltung anzuknüpfen, die uns von Nutzen sein kann.‹

»Nun müßt ihr wissen, daß ich in meiner Jugend eine für die damalige Zeit sehr anständige Erziehung genossen, namentlich hatte ich Musik gelernt und sang auch, daß es eine Freude war. Unternehmend war ich auch, immer zu allen möglichen Streichen aufgelegt, und so beschloß ich denn in diesem Augenblicke, ein recht sehnsüchtiges Lied loszulassen, indem ich hoffte, die Stille der Nacht würde es vielleicht an irgend ein Ohr gelangen lassen, wo es gut aufgehoben sei.

»Ich ging also mit einem Liede los, das gerade damals viel Furore machte; ich weiß nicht, war es: Guter Mond, du gehst so stille, oder: Komm, mein Liebchen, komm an's Fenster; das habe ich vergessen. – Genug, ich sang wie eine Nachtigall und erlebte auch bald von meinem Gesang eine Wirkung.

»Drüben am Fenster wurde der Vorhang zurückgezogen und ich konnte in das Innere des Zimmers blicken. Das war eine sehr behagliche Stube, in deren Mitte ein Tisch stand mit allerlei appetitlichen Sachen zum Abendbrod und mit Flaschen und Gläsern bedeckt. Eine Gesellschaft von fünf bis sechs Personen saß herum, ein alter, dicker, sehr gutmüthig aussehender Herr, der mit dem Kopfe hin und her wackelte und mit seinem Messer auf dem Tisch den Takt zu meinem Liede schlug. Rechts von ihm saß ein junges, sehr hübsches Mädchen, das sich kichernd an seine Schulter lehnte und mit ihren hellen Augen zu uns herüber blinzelte, vielleicht um zu entdecken, wer und wo ich eigentlich sei, – denn ich kann euch versichern, mein Gesang war nicht ohne. – Am Tische saß sonst noch eine schon ältere Frau, ein paar Herren und – was mir sehr unlieb war – der Lieutenant Pfefferkorn.

»Nach der zweiten Strophe meines Liedes stand der alte Herr vom Tische auf, kam an das Fenster, öffnete es und rief heraus: ›Bravo! bravo! unbekannter Sänger! – Vortrefflich gemacht! dacapo! dacapo!‹ – Dabei bemühte er sich, mich zu erkennen, was ja aber unmöglich war; doch entdeckte er die Uniform und sprach in die Stube hinein gewendet, wahrscheinlich zu dem Lieutenant: ›Es scheint mir ein Soldat zu sein,‹ worauf Pfefferkorn augenblicklich am Fenster erschien und mit seinem harten Tone herüberrief: ›Wer hat da gesungen?‹

»›So schön gesungen,‹ sagte der alte Herr.

»Ich legte mich nun ebenfalls zum Fenster hinaus und nannte meinen Namen. – ›Aha!‹ sprach der Lieutenant, ›habe mir doch gleich gedacht, daß der es sei.‹ – Nun schien ihn der alte Herr zu fragen, wer ich denn eigentlich wäre, worauf mein Vorgesetzter nur eine sehr befriedigende Antwort geben konnte, indem der Name meiner Familie immer einen guten Klang hatte. – ›Unsern Dank müssen Sie schon annehmen!‹ rief lustig der alte Herr. Und alsdann winkte er einem Bedienten, der ein paar Flaschen Wein brachte, dazu etwas kalte Küche in ein Tuch band und es nebst Brod an einem Stocke herüber bot.

»Ob wir zulangten, könnt ihr euch denken, denn der Seifensieder hatte uns, was das Nachtessen anbelangt, außerordentlich kurz gehalten. – Gleich darauf erschien der Herr wieder am Fenster und diesmal mit ihm das junge hübsche Mädchen, das ihm schüchtern über die Schulter sah. – ›He! Herr Soldat,‹ rief er herüber, ›bekommen wir noch ein Lied zu hören? Wir sind große Freunde davon.‹

»›So gut es ohne Begleitung geht,‹ sagte ich.

»›Also verstehen Sie auch eine Begleitung?‹ erwiderte er.

»Worauf ich ihm entgegnete: ›Ein wenig das Klavier.‹

»›Das ist ja sehr charmant,‹ antwortete nun der alte Herr, und hierauf wandte er sich an den Lieutenant Pfefferkorn, dem er einige Worte sagte. Dieser zuckte anfänglich die Achseln, dann aber nickte er mit dem Kopfe, und nun lief der alte Herr wieder an's Fenster, beugte sich weit zu uns herüber und rief mir zu: ›Herr von X., ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen und lade Sie ein, bei uns ein Glas Wein annehmen zu wollen. Ihr Herr Lieutenant hat's gnädigst bewilligt. – Warten Sie, es kommt sogleich ein Bedienter, der Sie herüberführen wird. – Auf Wiedersehen also!‹

»Ihr könnt denken, daß ich hocherfreut meinen beiden Kameraden gern das uns geschenkte Nachtessen überließ. Dann zog ich meine Uniform zurecht, strich mein Haar so gut als möglich nach hinten, nachdem ich – nicht zu vergessen – ein paar saubere Schuhe und gute Gamaschen angezogen, und als nun der Bediente kam, ging ich mit ihm hinüber.

»Es war das ein großes und schönes Haus, jenem kleinen freundlichen Manne, einem reichen Kaufherrn, gehörend. Wir gingen eine weite Treppe hinauf, durch mehrere Zimmer und kamen endlich in das, wo sich die Gesellschaft befand. Der Hausherr lief mir beweglich entgegen, drückte mir freundlich die Hand, nannte meinen Namen und setzte hinzu: Sohn des sehr verdienten Hauptmanns von X. Alsdann sagte er: ›Das ist meine Frau, dies meine Tochter Rosine, und das die Herren Pfiff und Pfaff.‹ – Ich habe die Namen vergessen.«

»Aber den der Rosine habt Ihr behalten, alter Sünder?« sprach lachend der Oberst.

»Ach ja,« fuhr der alte Husar seufzend fort, »die Rosine habe ich nicht vergessen. – Aber nun hört weiter. Ich mußte also zuerst gehörig am Abendbrode Theil nehmen und dann wurde das Klavier geöffnet und ich spielte und sang nach Herzenslust.«

»Vielleicht auch Duetts?« fragte der Oberst.

»Auch das; auf Ehre!« erwiederte der General. »Ein schönes Duett mit Rosine, und unsere Stimmen paßten vortrefflich zu einander. Das fanden denn auch alle Zuhörer, mit Ausnahme unseres Lieutenants Pfefferkorn, der wohl gut essen und trinken, aber weder singen noch spielen konnte. – Ach!« setzte der General nach einer kleinen Pause hinzu, »es war dies ein sehr vergnügter Abend. – Und er ging leider so schnell vorüber! – –

»Nachdem ich aber in dem Hause einmal eingeführt war, bot ich meine ganze Liebenswürdigkeit auf, mich da angenehm zu machen. Ich war joli cœur durch und durch; ich erzählte von unserem Marschtage, von der früheren Garnison, auch etwas von zu Hause und kam dann zurück auf mein gegenüberliegendes Quartier, dessen schrecklichste Eigenschaften ich nur leicht vorübergehend erwähnte, umsomehr aber hervorhob, wie es so klein sei, so schwül und dumpfig und wie ich mich dort ganz unglücklich fühle.«

»Darauf sprach die schöne Rosine mit ihrem Vater,« meinte laut lachend der Oberst, »und der alte Herr bot Euch ein Quartier in seinem Hause an. – O General, wir kennen das.«

»Ihr kennt es aber diesmal sehr schlecht,« sprach ruhig der Erzähler; »weder die schöne Rosine noch der Papa sagte etwas, aber dessen Gemahlin, die mich, wie ich glaube, liebgewonnen hatte, meinte, es würde sich wohl noch ein Plätzchen für mich in ihrem Hause finden.«

»Und das fand sich auch, unehrlicher Husar?« fragte der Oberst; »wahrscheinlich am Herzen der Tochter?«

»Davon schweigt die Geschichte. – Ich habe nur versprochen, bis zum abgerissenen Knopf zu erzählen. Was darüber hinaus liegt, geht euch nichts an. – Um so beliebter ich mich nun in dem Hause zu machen wußte, um so mehr bemerkte ich, daß ich dem Lieutenant Pfefferkorn hier ein großer Stein des Anstoßes war. Er hatte sich in das hübsche Mädchen sterblich verliebt und machte ihr seine Cour, so oft das nur anging.

»Eines Tages nun war ich bei Rosine im Zimmer, ich weiß nicht, wie es kam, genug wir hörten plötzlich seine Schritte, und da mir gerade in dem Augenblick Alles daran gelegen war, nicht von ihm überrascht zu werden, so verbarg ich mich hinter einem großen Vorhange. Er trat in das Zimmer, schien sehr aufgeregt, seufzte Einiges, während er bald an das Fenster ging, bald sich vor Rosine hinstellte, die sich auf einen Stuhl niedergelassen hatte. Endlich nach einigen gleichgültigen Worten brach er los, sprach von seiner unbezwinglichen Liebe gegen sie, von der Verzweiflung, die in ihm toben werde, wenn es ihm nicht gelinge, ihr Herz zu erweichen, und was dergleichen Unsinn mehr war. Das Mädchen lachte dazu, stellte sich anfänglich, als verstände sie ihn gar nicht, wollte Alles für einen Scherz nehmen, brachte ihn aber hiedurch nur noch immer mehr in Eifer, bis er zuletzt ausrief: ›Ich sehe, Sie treiben Ihren Spott mit mir, grausame Rosine; wohlan denn! wenn Sie mich nicht erhören wollen, so habe ich auf dieser Welt nichts mehr zu thun, als mir hier vor Ihren so schönen Augen den Tod zu geben.‹ – Bei diesen Worten zog er den Degen aus der Scheide und riß mit solcher Heftigkeit die Uniform auf, daß einer seiner Knöpfe davonflog, auf den Boden fiel und, da derselbe rund war, bis hinter meinen Vorhang rollte.«

»Oho!« sagte der Oberst. – »Aber der Lieutenant stieß sich den Degen nicht in die Brust?«

»Nein, das that er gewiß nicht; er wollte nur sehen, welche Wirkung sein Spiel auf das Mädchen hervorbrächte, und hoffte vielleicht, sie würde ihm weinend in die Arme sinken. Da aber dies nicht geschah, sie ihm vielmehr fest und ruhig erklärte, sie verböte sich ein- für allemal dergleichen Geschichten, so steckte er gelassen seinen Degen wieder ein und erhob sich aus seiner knieenden Stellung, in welcher er lange genug verharrt. – Ich war aber gleich überzeugt, daß ihn noch etwas Anderes calmirt, als die Weigerung Rosinens; er mußte nämlich, während er die Uniform aufriß, gesehen haben, daß sich der Vorhang, hinter welchem ich stand, bewegte, denn in dem Augenblick, wo er den Degen zog, machte ich mich fertig, um im Nothfalle hervorstürzen zu können, mochte auch daraus erfolgen, was da wolle. Gleichfalls hatte er auch wohl bemerkt, welche Richtung sein abgerissener Rockknopf genommen, er machte deßhalb dem Mädchen eine steife Verbeugung und wandte sich alsdann nach meinem Versteck, um, wie er sagte, wenigstens seinen Knopf wiederzuerlangen, worauf Rosine wohl etwas zu hastig empor sprang, sich an den Vorhang stellte und ihm entgegnete: sie werde es nie dulden, daß er sich in ihrem Zimmer dergleichen Freiheiten herausnehme.

»Was konnte er thun? – Das Mädchen sah entschlossen genug aus, um im Nothfalle nach Hülfe zu rufen oder ihm sonst eine höchst unangenehme Scene zu bereiten. – Genug, er mußte sich zurückziehen, doch ballte er ingrimmig die Fäuste, biß die Zähne übereinander, und murmelte mit vor Zorn erstickter Stimme: ›Wertheste Demoiselle, ich werde meinen Knopf schon wiederfinden.‹«

»Und er fand ihn?« rief lustig der Oberst.

»Ich war damals noch ein sehr leichtsinniger Bursche,« fuhr der General achselzuckend fort; »ich hob den bewußten Rockknopf lachend auf, steckte ihn in meine Tasche und verbrachte darauf mit dem Mädchen noch eine angenehme kleine Stunde, die so – –«

»Genug, genug!« meinte der Oberst; »bleibt beim Rockknopf.«

»Ja,« sprach seufzend der Erzähler, »damit hatte ich Unglück. Wenige Tage nach diesem Vorfalle nämlich mußten wir ausrücken, und wie ich meine Uniform zuknöpfe, sehe ich, daß mir am Pantalon ein Knopf fehlt. Nun konnte mich nichts retten, als ein schleuniges manoeuvre de force, wozu mir der bewußte Knopf in meinem übergroßen Leichtsinn außerordentlich passend erschien. – Ihr wißt doch, was in diesem Falle manoeuvre de force heißen will? – Man macht an dem betreffenden Ort ein Loch in das Tuch, steckt das Oehr des Knopfes hindurch, durch dieses ein Hölzchen und – es ist fertig.«

»Kostet jedoch drei Tage Arrest,« versetzte der Oberst.

»Ich wußte mir aber nicht anders zu helfen und machte also mein manoeuvre de force. Nun hatte mich aber der Lieutenant Pfefferkorn seit jenem Tage unglaublich auf dem Strich, wo er mir was in's Zeug flicken konnte, da unterließ er es nicht. Mochten meine Waffen noch so sauber geputzt sein, er fand doch irgend einen Flecken. Und leider erging es mir an diesem Tage nicht besser. Nachdem er an meinem Anzuge äußerlich diesmal nichts gefunden, plagte ihn der Teufel, und er befahl mir, die Uniform aufzuknöpfen, um nachsehen zu können, ob auch darunter Alles in Ordnung sei. – Na, das Gesicht vergesse ich in meinem Leben nicht! ich meine, der Schlag sollte ihn treffen, als er hinschaute und mein manoeuvre de force mit seinem Rockknopf entdeckte.

»Von dem, was nun folgte, will ich schweigen, und keines der Worte erwähnen, mit welchen er mich bediente. Zuerst kam ich drei Tage in Arrest und darauf wurde ich dem Hauptmann, der meinen Vater genau kannte, als unverbesserlich gemeldet und von diesem auf Anrathen des Lieutenants als gänzlich unbrauchbar nach Hause zurückgeschickt. Begreiflicherweise war dort mein Empfang kein glänzender, und erst als ich aufrichtig die ganze Geschichte erzählt, erhielt ich nicht nur Verzeihung, sondern wurde auch durch Vermittlung eines alten Onkels bei der Kavallerie placirt. Der Abschied von Rosinen war mir sehr schmerzlich, doch tröstete ich mich, so gut es ging, und auch sie hat es ebenso gemacht, wie ich später erfuhr.

»So war denn mein sehnlichster Wunsch erfüllt und das hatte ich doch, wie ich Anfangs sagte, nur dem abgerissenen Knopfe zu verdanken.«

Der General that einen großen Zug aus seinem Glase, und der Oberst sagte:

»Das war eine ganz hübsche Geschichte. Jetzt haben wir Beide, der General und ich, etwas von unsern Erinnerungen aus der Jugendzeit erzählt, die uns Gerüche hervorgerufen.« –

»Du?« fragte verwundert der General.

»Nun ja, als ich vom Heuschober herunterkugelte. Es ist freilich keine Geschichte, denn es passirte da weiter nichts Interessantes. Jetzt aber möchte ich auch wohl wissen, was unserem Kameraden von der Artillerie beim Dufte der Reseda's eigentlich einfällt.«

»O, das ist zu unbedeutend,« versetzte der ehemalige Lieutenant, »gewiß nicht der Mühe werth.«

»Erzählt!« sagte gutmüthig der General. »Ich rieche Reseda auch für mein Leben gern; es hat so was jugendlich Frisches.«

»Ach ja, das hat es,« gab der Artillerist mit einem leichten Seufzer zur Antwort.

»Nun denn, laßt hören,« sprach der Oberst. »Ich kann Euch versichern, mir schmeckt der Maitrank noch einmal so gut, wenn ich was Pikantes dabei erzählen höre. – Also!«

»Es ist wahrhaftig nicht der Mühe werth,« meinte der Lieutenant. »Aber wenn der Herr Oberst wünschen –

»Ich wurde als wirklicher Vicebombardier bei der Fußartillerie zur reitenden versetzt. Ich halte von C., wo wir damals lagen, nach J., wo die reitende Batterie war, zwei Marschtage mit einem Nachtquartier in B. Ich mochte damals siebzehn Jahre alt sein, war ein schmales dürres Bürschlein, und als ich wegging, sagte unser Kapitain d'Armes: nun Gott sei Dank, daß der fortkommt, da brauchen wir doch keine Uniform mehr zu verhunzen, – die meinigen wurden nämlich alle ein paar Zoll eingenäht – und, fügte er hinzu, ich brauche mich bei einer Kammervisitation nicht mehr zu schämen, denn haben nicht die Beinkleider dieses Kerls – damit meinte er mich – wie ein doppeltes Degenfutteral ausgesehen! Natürlicher Weise ließ ich ihn schwätzen und zog an einem schönen Frühlingsmorgen meines Weges. Es war im Frühjahr, die gefährlichste Jahreszeit, denn die Sonne stach, das Gras schoß und die Bäume schlugen aus. Ich kam aber ungefährdet durch alle diese Dinge hindurch und freute mich einer Lerche, die eben in der Luft jubilirte und fast so lustig war wie ich selber, obgleich sie nicht wirklicher Bombardier bei der reitenden Artillerie geworden war. Den ganzen Tag über zog ich so langsam dahin, genoß Mittags eine Schüssel Milch und ein Stück Brod, schlief darauf eine Stunde in irgend einer Scheune und kam Abends nach B.; mein Quartier erhielt ich bei einem reichen Bauern, der mich freundlich empfing. Man setzte sich gerade zum Nachtessen, und die Knechte und Mägde, die nach und nach hereinkamen, betrachteten mich wie eine Art Naturmerkwürdigkeit und mochten denken, ich sei von irgend einer Zwergenbatterie, denn sie fragten mich, ob wir wirkliche Kanonen hätten mit dicken Kugeln wie die anderen und wie hoch unsere Pferde seien. Natürlicherweise warf ich mich in die Brust und brachte ihnen einen vortrefflichen Begriff bei von der Batterie Nr. 16, der ich zugetheilt war. Einer der Knechte schüttelte hartnäckig den Kopf und meinte schließlich, die Kinderwirthschaft möchte er doch mit ansehen. Doch nahm mich die Großmagd in Schutz und bemerkte ihrem Kollegen, bei der Artillerie komme es nicht darauf an, daß man ein großer und dicker Esel sei, sondern da müßte man's tüchtig im Kopf haben, und das scheine bei mir der Fall zu sein. Die Großmagd war eine der stämmigsten Personen, die ich in meinem ganzen Leben gesehen; sie war zu groß und stark, als daß sie mir damals schön vorkommen mochte, ich sah nur mit einer Art von Bewunderung zu ihr empor; sie behandelte mich vollkommen als ein Kind, und als ihr mein Stuhl beim Nachtessen zu weit abstehend erschien, schob sie mich mit demselben ganz sanft näher an die Schüssel.

»Mit der Großmagd passirte mir das erste Abenteuer meines Lebens.«

»Oho!« sagte der Oberst, »wir wollen nicht hoffen, daß –«

»Laßt ihn doch erzählen,« versetzte der General; »es kann der Sache nichts schaden, wenn ein bißchen Interessantes hineinkommt; Jugend hat nicht Tugend.«

»Dem muß ich für diesmal widersprechen,« fuhr der Erzähler fort. »Ich war wirklich zu der Zeit vollkommen tugendhaft. – Also wir hatten gegessen und nachher plauderte ich noch eine Weile am Küchenfeuer mit dem Wirth, seiner Frau, und dann wurde zu Bette kommandirt. Die Großmagd brachte mich in ein Zimmer; es waren zwei Betten darin, und sie zeigte mir das meinige; das andere wird für irgend einen Knecht sein, dachte ich, es ist viel Volk im Hause, man muß sich behelfen. So zog ich mich aus und legte mich hin, entschlief auch bald, denn ich hatte einen tüchtigen Marsch gemacht. Ich kann nicht sagen, daß mich gerade schwere Träume beunruhigt oder meine Nachtruhe sonstwie gestört worden wäre, nur einmal kam es mir vor, als habe ich die Augen geöffnet und Licht in dem Zimmer gesehen, auch die Gestalt einer Person, die sich wahrscheinlich im zweiten Bette zur Ruhe begab. Doch warf ich mich wieder auf die andere Seite und schlief weiter.

»Wenn man beim Militär ist und namentlich Pferde geputzt hat, so gewöhnt man sich an's Frühaufwachen; mir ging es an diesem Morgen ebenso. Es mochte vier Uhr sein, als ich mich schon vollkommen munter befand; es war schon heller Tag und, nachdem ich zum Fenster hinaus und nach dem Wetter gesehen, fiel mein Blick auf das andere Bett; ich hatte natürlich gedacht, einer der Knechte sei mein Schlafkamerad, wie erstaunte ich aber, als ich auf einem Stuhle statt männlichen Kleidungsstücken Unterröcke, Jacken, lange Strümpfe und dergleichen erblickte.«

»Aha!« machte der General, »eins, zwei, drei, aus dem Bette; hurah! auf Husarenart.«

»Ich will nicht hoffen,« sagte der Oberst.

»Seien Sie unbesorgt,« sprach der Erzähler weiter; »ich versichere Sie, daß das einzige Gefühl, was mich damals beschlich, nur in der Lust bestand, laut hinaus zu lachen, dazu aber kam eine kindische Neugierde und ich beschloß, mich vollkommen ruhig wie schlafend zu verhalten, um das Aufstehen gehörigermaßen mit ansehen zu können.

»Eine halbe Stunde, nachdem ich erwacht war, bewegte es sich in dem andern Bette ebenfalls. Richtig! es war meine Freundin, die Großmagd. Sie hob ihren Kopf in die Höhe und blickte nach mir herüber; ich that, als wenn ich fest schliefe, und hiedurch beruhigt, machte sie ihre Toilette mit einer erschrecklichen Ungezwungenheit. Uebrigens war dieselbe bald beendigt, denn der ganze Anzug jener Bauernmädchen bestand aus Schuh und Strümpfen, aus einem Unter- und Ueberrocke, sowie einer Jacke von Zeug, die vorne zugehakt wird. Ehe nun meine Zimmernachbarin dies Manöver ausgeführt, fand ich es für gerathen, durch einiges Dehnen und Strecken, sowie einen tiefen Seufzer mein Erwachen anzukündigen. – Ich kann nicht sagen, daß das Mädchen dadurch sehr erschrocken gerade herumgefahren wäre; sie begnügte sich, mich lachend anzusehen, mit dem Kopfe zu nicken, und sagte dann: ›So, Ihr seid aufgewacht?‹ – ›Ja, ich bin aufgewacht,‹ entgegnete ich scheinbar im Tone des größten Erstaunens und riß meine Augen so weit als möglich auf.

»›Nun, und was verwundert Ihr Euch denn so?‹ fragte sie lachend.

»›Dazu habe ich doch alle Ursache,‹ versetzte ich. ›Ist es denn bei euch Mode, daß man Soldaten, die hier einquartirt werden, mit einer der Mägde zusammen in's Zimmer legt?‹

»›Ach! geht doch,‹ entgegnete sie, ›Soldaten, das ist was Anderes, aber Ihr! –‹

»›Nun, was bin ich denn?‹

»›Ihr seid ein Kind, wer wird sich da viel geniren; und dann hat's Euch wohl auch nichts geschadet, daß wir in einem Zimmer schliefen.‹

»›Mir freilich nicht,‹ erwiederte ich, ›aber es hätte Euch schaden können.‹

»Worauf sie aber ein so lustiges und lautes Lachen aufschlug, daß es mich ordentlich ärgerte; auch rollte sie in diesem Augenblicke ihre Hemdärmel auf und zeigte ein Paar so starke und muskulöse Arme, daß ich ihr das Gelächter verzeihen mußte. – Aber die Arme waren ziemlich weiß und das ganze Mädchen kam mir überhaupt viel hübscher vor wie gestern Abend.

»Da ich nun aber einmal für ein Kind erklärt war, so spielte ich auch meine Rolle in aller Unbefangenheit fort. Ich lobte ihr Aussehen, und das schien ihr zu gefallen; ich fragte sie um ihren Namen, sie hieß Anne, ich plauderte mit ihr von allen möglichen Dingen und veranlaßte sie so, ihre Toilette langsamer zu beendigen. Endlich war dieselbe beinahe fertig bis auf die Schließung ihres Jäckchens, und ehe sie das that, steckte sie einen großen Busch Reseda hinein, den sie vorher sorgfältig aus einem Blumenscherben, der vor dem Fenster stand, gepflückt. Dann sagte ich zu ihr: ›Wenn Ihr mich also für ein Kind haltet, Anne, so könnt Ihr mir auch wohl einen Kuß geben,‹ worauf sie mich überrascht anblickte, und ich glaubte schon, sie würde es mir verweigern; doch sagte sie nach einer kleinen Pause: ›warum nicht?‹ und trat an mein Bett. Ich war damals schon pfiffig genug, kam ihr nicht einen Zoll entgegen, so daß sie sich auf mich herniederbeugen mußte.«

»Aha, nun kommt der Resedaduft!« sagte lachend der General.

»Sie beugte sich also zu mir herab, drückte mir ihre frischen Lippen auf den Mund, und damit der Kuß nicht gar zu kurz werden sollte, schlang ich ihr meine beiden Arme um den Hals und hielt sie einen Augenblick fest, ja sogar noch eine Sekunde länger, als der Kuß gedauert hatte, und diese Sekunde benutzte ich dazu, um ihr recht fest in die Augen zu sehen. – – Das allein konnte sie nicht ertragen, denn sie machte meine Hände mit einiger Gewalt los und sagte: ›Ach laßt doch die Narrenspossen!‹

»Uebrigens dauerte die ganze Geschichte mit dem Kuß nur wenige Sekunden, dann beendigte sie ihre Toilette und verließ lachend das Zimmer. Ich blieb noch eine halbe Stunde auf meinem Lager und überlegte bei mir, es würde gerade nicht so unpassend sein, wenn ich mir hier in dem hübsch gelegenen Dorfe und bei meinen angesehenen Wirthsleuten einen Ruhetag herausschlüge. Ich brauchte nur einige Müdigkeit zu affektiren und die Sache war abgemacht. Das that ich denn auch beim Kaffee, den wir unten gemeinschaftlich tranken und der Bauer sagte bereitwillig: »Wißt Ihr was, wenn Ihr müd seid, so bleibt heute noch da, Ihr braucht deßhalb auch nicht auf's Bürgermeisteramt zu gehen, um eine Verlängerung Eures Quartierbillets nachzusuchen; es macht mir eine Freude, wenn Ihr dableibt.«

»Ich sagte nicht Ja und nicht Nein, sondern ging in den Garten, um mich draußen umzusehen. Da stand die Anne und hing Wäsche auf. ›Es gefällt mir hier,‹ sagte ich zu ihr, ›und der Bauer hat mich eingeladen, noch den heutigen Tag und die nächste Nacht hier zu bleiben; was meint Ihr dazu, Anne?‹

»›Bleibt da,‹ entgegnete sie ruhig, ohne mich anzusehen, ›mir soll es gleich sein, – auch werde ich Euch,‹ setzte sie nach einer kleinen Weile stockend hinzu, ›morgen früh nicht wieder stören, wie heute.‹

»›Wie so!‹ fragte ich überrascht.

»›Weil ich heute Nachmittag auf das benachbarte Dorf zu meiner Schwester gehe, um dort ein paar Tage zu bleiben.‹

»›Ah so!‹ sagte ich unangenehm überrascht. ›Dann ist es doch wohl besser, wenn ich heute abmarschire.‹

»›Das meine ich auch,‹ entgegnete das Mädchen, ›es ist gewiß besser – so lebt denn wohl!‹ damit reichte sie mir ihre Hand und nachdem sie mich einen Augenblick mit einem eigenthümlichen Gesichtsausdrucke betrachtet und vielleicht meine Blicke bemerkt haben mochte, nahm sie ihren Resedabusch vom Busen und gab ihn mir. Ich ging in's Haus zurück, packte meine sieben Sachen, nahm von dem Bauern Abschied und zog gedankenvoll meines Weges.

»Was man nicht Alles erleben kann, sagte ich zu mir selber. War ich nicht heute Nacht um ein paar Jahre älter geworden?

Ja, ja, es kann nicht anders sein, denn die Anne, der ich gestern so sehr jung vorkam, hielt mich heute für kein Kind mehr.«

So erzählten drei alte Soldaten aus ihrer Vergangenheit bei einem Glase Wein, und blickten dann lächelnd und einander freundlich zunickend in den vorbei fließenden Strom hinab: – zu Deutz bei Köln am Rhein.


 << zurück weiter >>