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7.

Der gute Poltes, einst Leopold v. Berger, doch wurde selbst dieser Name in der Trauerrede nicht genannt, ward nun mit allen militärischen Ehren zur Ruhe bestattet. Wie wohl that es mir, als sie ihn hinabsenkten und ich weinend dabeistand, daß ich aufblickend sah, wie auch der Lieutenant v. Schwenkenberg tiefbetrübt aussah und mit der umgekehrten Hand eine Thräne wegwischte, die ihm gerade aus den Augen in den langen Schnurrbart laufen wollte. Von meinem Vater, dem ich den traurigen Vorfall schrieb, erhielt ich einen langen Brief, der mir am Eingang meldete, daß zu Hause Alles wohl sei und der mich in Hinweisung auf den verstorbenen Freund schließlich ermahnte, mein Leben recht vorsichtig und mäßig zu genießen, mich namentlich aber vor der Flasche in Acht zu nehmen, und auch vor andern Dingen, die mein Vater aber ziemlich undeutlich bezeichnete. Zu gleicher Zeit schickte er mir einiges Geld für mich, sowie eine zweite kleine Summe, um Poltes' Grab, seinem schriftlich ausgedruckten Wunsche gemäß, gehörig damit schmücken zu können. Meine Mutter hatte ein Postscriptum angehängt, worin sie mich um die Übersendung verschiedener Ellen Band zu ihren Hauben ersuchte. Man erwarte in dem Grenzstädtchen, so schrieb sie, einen hohen Zollbeamten zur Visitation, und bei den Feierlichkeiten, die begreiflicherweise dabei stattfinden müßten, wolle sie auf's Allerwürdigste erscheinen. Es machte mir eine besondere Freude, Poltes' Grabausschmückung besorgen zu können, und wie er es bei seinen Lebzeiten befohlen, ließ ich ihm zwei hölzerne Kanonenröhren machen, die ein Kreuz bildeten, zwischen dem einen Schildzapfen stand sein Name, Geburtsjahr und Todestag, zwischen dem andern ein Ausspruch des Apostel Paulus, den er selbst ausgesucht und der durch das letzte Wort, wie Poltes zu sagen pflegte, auf die Artilleriewissenschaft hinzudeuten schien, nämlich: »Alles Wissen ist Stückwerk.«

So hatte ich nun einen Freund weniger und einige Feinde mehr; unter letztern muß ich unsern Hauptmann und Batteriechef Bitter nennen, der gelinde getobt hatte, als er vom Urlaub zurückkehrend erfahren, daß ich nicht nur Bombardier geworden sei, sondern in Folge dessen noch zwei Tage zu früh aus dem Arrest entlassen. Er hatte sogar über diesen Gegenstand eine ziemlich heftige Scene mit seinem ersten Lieutenant, deren Ende war, daß Herr v. Schwenkenberg an seinen Helm langte, und etwas weniger ruhig als sonst sprach: »Wenn – der – Herr – Hauptmann – vielleicht – glauben, – daß – ich – unrecht – gehandelt, – so – bitte – ich – den – Herr – Hauptmann – ganz – gehorsamst, – den – Vorfall – an – das Brigade – Kommando – melden – zu – wollen; – ich – für – meine – Person – habe – nichts – dagegen, – es – soll – mich – vielmehr – außerordentlich – freuen.« Damit drehte er sich um und ging seiner Wege.

Mich hatte nun der Kapitän seit jener Zeit, was man so nennt, furchtbar auf dem Striche. Ich konnte machen, was ich wollte, er entdeckte immer etwas Mangelhaftes an meinem Anzuge, oder irgend einen Fehler, wenn ich selbst exercirte oder exerciren ließ. Daher kam es denn auch, daß ich ziemlich häufig Arrest und Strafwachen bekam, zwei Sachen, die der Kapitän in's Nationale schreiben lassen darf und die beim Avancement durchaus nicht förderlich sind.

Die übrigen Feinde, die ich mir erworben hatte, waren natürlicherweise Herr Schnapper und meine beiden andern Kameraden, da ich so früh zum Bombardier befördert worden war. Bald nach diesem Vorfall ließ der Herr Hauptmann sie ebenfalls das Examen machen, wobei Herr Schnapper übrigens so schlecht bestand, daß er nicht nur nicht avancirte, sondern daß ihm leise angedeutet wurde, er möge ruhig seine zwei Jahre fortdienen und dann seinen Abschied nehmen, was auch später geschah, und sich so die Prophezeihung des Lieutenants v. Schwenkenberg bestätigte, denn als Herr Schnapper abgegangen war, bummelte er in der Stadt herum, ohne irgend ein Geschäft zu ergreifen oder überhaupt etwas zu thun, und da er von seiner Mutter noch einiges Geld erhielt, verlumpte er zwar langsam, aber vollkommen.

Auch was die beiden andern Freiwilligen betraf, hatte sich der Lieutenant nicht getäuscht. Der Apothekersohn machte ein schönes Examen, avancirte bald nach mir zum Bombardier, und da er ein Schreib- und Rechengenie war, so wurde er zum Feldwebel kommandirt und erhielt auch, als dieser freilich nach mehreren Jahren zur Civilpartie überging, dessen Posten. Der Sohn der Regierungsraths-Wittwe hatte sich sehr gekränkt gefühlt, daß ich, ein ganz gewöhnliches Soldatenkind, vor ihm befördert worden war, und die früheren Bekanntschaften seiner Mutter hatten es nicht nur zu Wege gebracht, daß er zu einer andern Batterie versetzt wurde, sondern auch, daß er auf die Kriegsschule kam, und nun einmal auf dem gehörigen Wege, wurde er auch endlich, freilich nach längerer Zeit, Lieutenant. Später sahen wir uns wieder und da sprach er über seine Zukunft auch nicht viel anders, als damals der Lieutenant v. Schwenkenberg.

Der Erzählung meines einfachen Lebens bin ich diesem Punkte vorausgeeilt, weil ich aus dem ferneren Zusammenleben mit den andern Freiwilligen nicht viel Interessantes zu berichten weih.

Mein Streit mit Herrn Schnapper hatte mich bei allen Uebrigen in ziemlichen Respekt gesetzt, und da ich mich bemühte, meinen Dienst auf's Pünktlichste zu versehen, so genoß ich die Liebe und Achtung meiner Kameraden und Vorgesetzten mit Ausnahme des Kapitäns. Leider konnte er mir bedeutend schaden und unterließ das auch nicht. So viel mir die wenig freie Zeit, die ich hatte, erlaubte, lernte ich Sprachen, Geographie, Geschichte und was nöthig war, um ein Examen in die vorbereitende Artillerieschule machen zu können. Auch wurde ich mit mehreren andern Aspiranten vom Abtheilungs-Kommando zu diesem Examen eingegeben, doch waren die darauf bezüglichen Papiere noch nicht lange bei der Brigade eingelaufen, so erhielt ich vom Wachtmeister Sternberg einen freundschaftlichen Brief – »Donnerwetter, lieber Major, da sind deine Papiere zum Examen allerdings mit den übrigen eingelaufen, aber mich soll dieser und jener holen, wenn dein corriculum vitae nicht eines der schlechtesten ist, das mir jemals unter die Hände gelaufen. Bist du denn wirklich ein so leichtsinniges Subjekt geworden, oder kämmen sie an dir herunter. Das wechselt ja ab mit Arrest und Strafwachen. Ich sage dir, wenn ich nicht bei Schippenb – beim Kommando will ich sagen – die Hand über dein gottloses Haupt hielte, so hätte man dich wegen des verfluchten Nationale's zurückgewiesen. Das sage ich dir aber, sei mir gehörig gesattelt; zieh die Bauchgurten deines Wissens fest zusammen, denn wenn du beim Examen herabplumpst, so freut mich mein Leben. Dein Alter ist nicht nur wohl, sondern hat auch ein unverschämtes Glück; soeben lese ich, daß er schon zum Steuerkontroleur ernannt ist. Gratulire augenblicklich deiner Mutter, und da Steuerkontroleurin schlecht klingt, so kannst du auf die Adresse schreiben: Frau Steuerkontroleuse Wortmann. Auch ich will nächstens abziehen, aber zur Post; weißt du, ich kann das Sitzen nicht ertragen.«

Daß ich in der That vom Brigade-Kommando beschützt wurde, das sah ich mit großen Freuden, unser Kapitän aber zu seinem großen Verdruß daran, daß ich trotz der schlechten Zeugnisse wirklich zum Examen kommandirt wurde; leider kam ich aber doch nicht dazu. Wenige Tage vor unserem Abmarsche lief ein Schreiben des Generalkommando's ein, mit der für uns trostlosen Nachricht, daß die vorbereitende Brigade-Artillerieschule laut höherem Befehl aufgehoben sei, es blieb also nur noch die große Artillerieschule in der Residenz übrig, zu deren Eintritt ein Examen erforderlich war, wie es die Fähndriche bestehen mußten, und dazu reichten meine Kenntnisse nicht aus.

Wachtmeister Sternberg schrieb mir ebenfalls darüber, auch mein Vater, und beide gaben mir den Rath, ruhig fortzudienen, mich in den Artilleriewissenschaften zu vervollkommnen, um später einmal Oberfeuerwerker werden zu können. Das that ich denn auch und verzichtete auf die Epauletten, ohne daß es mir gerade besondern Kummer machte. Hatte ich doch schon genug von dem Offiziersleben kennen gelernt, um einzusehen, daß dasselbe für den, der kein Vermögen besaß, gar zu starke Schattenseiten habe.

Ich widmete mich also auf's Fleißigste dem Dienst und den Artilleriewissenschaften, und als ich zwei Jahre gedient, machte ich ein so glänzendes Unteroffiziers-Examen, daß ich vom Abtheilungs-Kommando augenblicklich avancirt wurde. Nebenbei hatte ich auch meine Liebe zur Gärtnerei nicht vergessen und bildete die Anfangsgründe, die mir der weise Vogel beigebracht auf's Umfassendste aus. Ich fand einen geschickten Gärtner bei der Stadt, der sich meiner bereitwillig annahm, und war glücklich, alle meine Freistunden unter Blumen und Bäumen zubringen zu können. Das bißchen Latein, das ich in der Schule gelernt, machte es mir leicht, die hunderterlei Namen der Pflanzen zu behalten, und als ich ein Jahr bei meinem Freunde, dem Gärtner, gearbeitet, meinte dieser lachend: »Wenn es mir einmal bei der Artillerie durchaus nicht mehr gefiele, so könne ich, was meine Kenntnisse anbelange, getrost den ausgedehntesten herrschaftlichen Garten übernehmen.«

Da es mir durch die immerwährende Beschäftigung im Garten fast zum Bedürfniß geworden war, im Freien unter Pflanzen und Bäumen zu sein, so suchte ich sogar im Dienste dieses Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, daß ich gerne die Wache auf den kleinen Forts übernahm, die außerhalb der Stadt lagen, wo das mit Bäumen bepflanzte Glacis einem kleinen Parke ähnlich war. Da war ich glücklich und half den wildwachsenden Bäumen mit Scheere und Messer auf's Zweckmäßigste nach, mußte mich aber sehr in Acht nehmen, daß diese Ausübung meiner Kunst nicht auf unangenehme Art zu Ohren der Festungsdirektion käme. Einmal war ich schon in schweren Anklagestand versetzt worden, als ich nämlich aus einer schönen Ulme mehrere dürre Aeste weggesägt hatte, und da unser Kapitän nicht übel geneigt war, dieses dreifach zu bestrafen, erstens nämlich als Unordnung im Dienste, worin er nicht ganz Unrecht hatte, zu gleicher Zeit aber auch als Waldfrevel, und drittens gar als Holzdiebstahl, so hätte es mir schlecht ergehen können, wenn die Behörde nicht glücklicherweise nur den ersten Fall angenommen hätte, und mich dafür mit ein paar Tagen Arrest beglückte. Aber trotzdem konnte ich die Gärtnerei, wenn auch auf königlichem Grund und Boden, nicht lassen.

So war es denn wieder Frühling geworden, ich diente drei Jahre, war wie gesagt Unteroffizier, und hätte mich schon lange zum Feuerwerker-Examen gemeldet, wenn nicht der Kapitän eine derartige Anfrage meinerseits mit einem wahren Hohngelächter beantwortet hätte und mich darauf gefragt: »Wissen Sie auch, was ein Feuerwerker ist? Sie scheinen keine Idee davon zu haben?«

»Zu befehlen, Herr Hauptmann,« entgegnete ich einigermaßen gereizt, »ich erlaube mir vielleicht doch zu wissen, was ein Feuerwerker ist.«

»Nun darauf wär' ich begierig,« meinte er und sah mich finster an, wobei er die beiden Zeigefinger zwischen Schärpe und Uniform steckte.

»Ein Feuerwerker, Herr Hauptmann, ist meiner Ansicht nach eine Charge in der Batterie, welche sich mit der Feuerwerkskunde sehr vertraut gemacht hat, der ferner –«

»Und Ihre Ansicht ist durchaus falsch, mein Lieber,« fiel er mir nun lächelnd in die Rede. »Wer zum Feuerwerker avanciren will, soll das Muster eines Unteroffiziers sein, soll meiner Ansicht nach viermal so lange dienen als Sie, soll den Dienst auswendig kennen wie ein Buch und ausüben wie eine Maschine, soll das Progesta seiner ganzen Kompagnie sein, exerciren können wie ein Engel und soll vor allen Dingen – merken Sie sich das wohl – nie bestraft worden sein. Das ist meine Ansicht von den Eigenschaften eines Feuerwerkers.« Das hatte er mit erhabenem Tone gesprochen und setzte nun in gewöhnlichem Tone hinzu: »Daß der Feuerwerker nebenbei eine Rakete von einer Stückkugel soll unterscheiden können, versteht sich von selber.«

»Der Herr Hauptmann werden entschuldigen,« erwiederte ich, »aber nach dem habe ich wohl keine Hoffnung, jemals in der Batterie des Herrn Hauptmann zum Feuerwerker zu avanciren; denn wenn ich mich auch befleißigen würde, einer der pünktlichsten und propersten Unteroffiziere der Batterie zu werden, so wird es mir doch nie gelingen, ein Nationale beizubringen, in dem keine Strafen verzeichnet stehen.«

»Ja, mein Lieber,« sagte er, beharrlich mit dem Kopfe nickend, »den Riegel haben Sie sich selbst vorgeschoben. Wenn ich nicht irre, saßen Sie in den drei Jahren schon sechsmal auf dem Holze, und die Zahl Ihrer Strafwachen ist Legion.«

»Zu befehlen, Herr Hauptmann, Legion.«

»Hm! hm!« machte er verdrießlich. »Und das scheint Sie eigentlich gar nicht zu alteriren. Aber ich weiß schon, worauf Sie bauen, auf den Schutz irgend eines Schreibers beim Brigade-Kommando, der Ihnen beim Unteroffizier-Examen so treffliche Dienste geleistet und den Sie sich, Gott weiß durch welche Hinterthüre erschlichen. Aber, Herr, das versichere ich Sie, dergleichen wird nicht mehr gut gethan, so wahr ich Bitter heiße und sehr bitter sein kann.«

Es gibt leider Augenblicke im Menschenleben, wo man der Strafe näher ist als sonst. Mir war die Geduld zerrissen und ich erlaubte mir, im Tone der höchsten Achtung und tiefsten Unterwürfigkeit dem Hauptmann zu bemerken, daß ich ihm recht sehr für die Auskunft über mich selbst danke, zugleich aber um die Erlaubniß bäte, mich beim Abtheilungs-Kommando zur Versetzung nach einer andern Batterie zu melden.

Ich gebe zu, daß der gegenwärtige Augenblick zu diesem Gesuche vielleicht nicht passend war und es als Trotz erscheinen konnte; wenigstens nahm es der Hauptmann so auf. Er rieb sich die Hände, hustete ein paarmal leise und kniff die Augen zu, wie er zu machen pflegte, wenn er anfing sehr übler Laune zu werden. »Sehr schön,« sagte er nach einer Pause, »charmant, ich bitte aber recht sehr, Herr Unteroffizier, sich den vorhabenden Schritt noch gefälligst überlegen zu wollen. Und damit es Ihnen hierzu nicht an Zeit und Muße fehlt, so melden Sie sich gefälligst beim Feldwebel zur Strafwache auf Fort Nr. 4, wo Sie über Ihren Entschluß nachdenken können. – Verstanden?«

»Zu befehlen, Herr Hauptmann.«

»So gehen Sie.«

»Zu befehlen, Herr Hauptmann.«

So hatte ich denn abermals eine Strafwache, die mir heute gerade nicht angenehm war, denn wir hatten Feiertag und ich also vollkommen Zeit, den ganzen Tag bei meinem Freunde, dem Gärtner, zuzubringen. Da es übrigens noch früh am Morgen war, ging ich zu ihm hinaus und fand ihn beim Pfropfen verschiedener Gesträuche beschäftigt. Ich erzählte ihm mein Schicksal und er meinte, das Beste wäre, ich solle meinen Abschied nehmen, und mich ganz meiner Lieblingsbeschäftigung, der Gärtnerei, widmen. Einen solchen Entschluß ohne Einwilligung meiner Eltern zu fassen, daran war nicht zu denken, auch war ich sicher, daß weder mein Vater noch meine Mutter es je erlauben würden, daß ich schon nach drei Jahren wieder den Militärdienst verlasse. Feuerwerker sollte ich nun einmal werden, so wollte es der Vater Wortmann, und die vorgeschriebene Anzahl Jahre dienen, um Ansprüche auf eine Civilversorgung zu haben. In der That, da war nichts zu machen und mein Freund mußte mir beipflichten, als ich ihm das auseinandersetzte.

Ich half ihm noch eine Stunde bei seinem Geschäft, dann mußte ich ihn verlassen, da es Zeit war, nach meiner Wachmannschaft zu sehen. Er wickelte mir lachend ein paar der Reiser, womit er beschäftigt war, in Moos und steckte sie mir in die Taschen. »Vielleicht,« sagte er, »finden Sie irgendwo einen Strauch, an dem Sie mit Pfropfen ein paar Versuche machen können. An Zeit wird es Ihnen nicht fehlen.«

Dann verließ ich ihn, um meine Wache zu beziehen, eine der kleinen Festungen, welche um die Stadt liegen. Daß ich gerade hierhin geschickt worden, dafür war ich dem Kapitän noch dankbar, denn er hätte mich ebenso gut nach dem einsamen, alten Pulverthurme senden können, oder gar die Kasernenwache übergeben, was mir noch weit unangenehmer gewesen wäre. Auf meinem einsamen Fort war ich doch mitten in der schönen Natur, hatte wenig von Ueberraschungen zu fürchten, namentlich heute an einem Feiertage, und dann führte die Wache hier überhaupt ein recht behagliches, patriarchalisches Leben. Die nothwendigen Bestandtheile eines frugalen Abendessens, Kartoffeln, Butter und etwas Wurst wurden mitgenommen, auch die Kaffeemaschine, Tabak, Pfeifen, sogar ein paar Cigarren, und vor allen Dingen ein paar unterhaltende Bücher.

Mit diesem führten wir denn hier draußen in der That ein beschauliches Leben; man war wie im Kloster. Der öde, gepflasterte Hof hallte so recht unheimlich von unsern Schritten wieder, das Wachtlokal mit einer engen vergitterten Schießscharte war wie eine Mönchszelle, und rings um uns her bildeten Gräben und Glacis einen allerliebsten Klostergarten. In diesem hielt ich mich auch am liebsten auf, und auch heute, als ich mein Wachtbuch eingeschrieben hatte, sowie die Meldezettel nach der Stadt geschickt, als das Wachtlokal in Ordnung gebracht war und die Posten aufgezogen und gehörig instruirt, suchte ich mir eine recht angenehme Stellung an der Böschung des kleinen Walles, wo das Bankett eine förmliche Rasenbank bildete. Mein Bursche, der mit mir auf der Wache war, richtete mir die Kaffeemaschine her, ich zündete den Spiritus an, und nachdem der Trank bereitet war, legte ich mich behaglich in's Grüne und las ein paar Stunden.

Die Kanoniere, die nicht auf Posten waren, hatten sich rings auf dem Glacis vertheilt, um nach der Stadt hinauszuspähen, ob sich nichts Verdächtiges nahe, bei welchem Geschäft sie übrigens ebenso wie ihr Kommandant auf Gras und Blumen ruhten, und so genossen wir Alle zusammen die Freuden der Wache an einem schönen Frühlings- und Feiertage.

Endlich war mein Kaffee getrunken, ich auch des Lesens müde, weßhalb ich mich erhob, um meine Posten zu revidiren. Ich fand bei ihnen nichts besonders Ungehöriges: doch war es vielleicht nicht ganz streng dem Reglement gemäß, daß der Eine pfiff, der Andere sang, ehe sie mich kommen hörten. Nur der auf der Plattform des Thurms erhielt einen kleinen Verweis, denn statt umherzugehen, wie es Vorschrift war, hatte er sich in eine der Schießscharten gesetzt, und blickte nach der Stadt, sowie auf den Fluß, der nicht weit von unserem Fort vorbeiströmte und wo Dampfer auf- und abzogen, eine lange, schwarze Rauchwolke hinter sich drein ziehend. Von der Stadt her war ein Gesumme der Menschen, das Rollen der Equipagen, aber Alles verschwamm zu einem unverständlichen Brausen, zwischen dem nur deutlich die Glocken der vielen Kirchen hervordrangen, in denen zum Nachmittagsgottesdienste geläutet wurde.

Als ich wieder hinabstieg und auf das Glacis ging, gedachte ich der Zweige, die mir mein Freund, der Gärtner, in die Tasche gesteckt. Ich nahm sie hervor und suchte mir ein passendes Gesträuch, um meine Kunst daran zu versuchen. Es war dies die gewöhnliche Akazie, auf welche ich mich bemühte, einen Zweig der Robinia hispada zu pfropfen. Wenn ich auch als Wachthabender Unrecht hatte, dergleichen zu thun, so war es doch anderntheils ein verdienstliches Werk, die Gesträucher hier zu veredeln, und wie schön mußte es sich nicht im nächsten Frühjahre ausnehmen, wenn hier neben der gelben Blüte der gewöhnlichen Akazie auf einmal die prachtvolle röthliche der Robinia hispada hervorwuchs. Messer, Bast und Wachs hatte ich nicht vergessen, in die Patrontasche zu stecken, und durch die am Rande des Glacis umherliegenden Kanoniere vor jedem Ueberfall gedeckt, machte ich mich mit großer Ruhe und vielem Behagen an mein Geschäft. Schon hatte ich ein paar Sträucher auf's Kunstvollste gepfropft, als ich aufblickend einen meiner Kanoniere vor mir sah, der mit seinen Armen und Händen allerlei seltsame Zeichen und Pantomimen machte, die wahrscheinlich mir gelten sollten.

»Was willst du?« rief ich ihm zu. »Kommt Jemand?«

Statt aller Antwort machte er ein ganz erschrecktes Gesicht und deutete schüchtern mit dem Finger vor sich hin. Zu gleicher Zeit rief der Posten auf der Plattform mehreremal meinen Namen. Ich blickte um mich her und endlich auch hinter mich, und sah zu meinem nicht geringen Schrecken drei Artillerie-Offiziere, die aus dem Hofe des Forts kamen und sich mir näherten. Daß ich in einem derselben augenblicklich unsern Hauptmann Bitter erkannte, verminderte meinen Schrecken durchaus nicht. Eilig nahm ich den Helm vom Boden auf, und als ich mich gegen die Ankommenden wandte, gelang es mir, Messer, Wachs und Bast in die auf meinem Rücken befindliche Patrontasche zu schieben.

Zum schlimmen Spiel die beste Miene machend, näherte ich mich meinen Vorgesetzten so unbefangen als möglich und meldete: »Auf Wache ein Unteroffizier und zwölf Kanoniere. Weder auf Posten noch im Innern der Forts befindet sich etwas Neues.«

»Nach Ihrer Ansicht allerdings nicht,« erwiederte der Hauptmann kopfnickend und ganz zufrieden lächelnd; »für mich aber ist es etwas außerordentlich Neues, eine Wache zu finden, die so ihren Dienst thut, wie die Ihrige. Das ganze Fort ist leer, man könnte sogar die Geschütze wegtragen und Sie würden es nicht merken. Nein, Herr Unteroffizier Wortmann, dergleichen ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Was Teufels, Herr, ist in Sie hineingefahren? Wenn Sie vielleicht am periodischen Wahnsinn leiden, so melden Sie sich in's Lazareth. Dann werden wir auch Ihre ganze Aufführung begreifen.«

Ich stand wie eine Bildsäule und verzog keine Miene, das Beste, was ich in meiner Lage thun konnte.

»Ich bitte Sie, Herr Hauptmann v. Walter, und Sie Herr Premierlieutenant Schwarz, ist Ihnen in Ihrem ganzen Leben dergleichen vorgekommen?«

Mit einem schnellen Blick beschaute ich mir die beiden andern Offiziere, namentlich den Herrn Hauptmann v. Walter, der Kommandant der Festungskompagnie in I. war, von dem wir viel gehört, den seine Leute enthusiastisch liebten, den ich aber noch nie gesehen. Er war ein fast zu starker, sehr behaglich aussehender Mann mit einem runden, außerordentlich freundlichen Gesichte. Dabei hatte er lebhafte, wohlwollende Augen, aus denen es wie Lachen hervorblitzte, ganz im Gegensatz zu dem furchtbaren Auftritte, der sich vor seinen Augen zu entwickeln begann. Soviel ich später sah, hinkte er ein wenig mit dem linken Fuße, und deßhalb führte er auch ein spanisches Rohr mit elfenbeinerner Krücke.

Der Herr Lieutenant Schwarz war ganz das Gegentheil seines Hauptmanns, er war fast übertrieben mager, hatte einen langen dünnen Hals, auf dem ein Kopf saß, der nicht bedeutend stärker, aber viel länger war. Seine Augenbrauen waren erstaunt in die Höhe gezogen, der Schnurrbart hing tief zu beiden Seiten des Kinns herab, und über dem ganzen Gesichte lag ein so furchtbarer Ernst, daß ich ihm ansah, er sei auf's Höchste empört über den Frevel, den ich hier begangen.

»Und was treiben Sie hier auf dem Glacis?« fuhr der Kapitän nach einer kleinen Pause fort. »Mir scheint, Sie haben Ihre alten Mucken wieder. Sollten Sie wohl glauben,« wandte er sich an den andern Hauptmann, »daß dieser Unteroffizier schon einmal bestraft wurde, weil er Aeste aus dem Gehölz des Glacis weggeschnitten? – Ich bitte Sie: Aeste eines königlichen Baumes!«

»Es waren dürre Aeste,« erlaubte ich mir zu sagen.

»Ast ist Ast!« rief entrüstet der Kapitän. »Und es ist nur schade, daß man damals nicht meiner Ansicht war, sonst wären Sie lange unschädlich gemacht worden. Nicht wahr, Herr Hauptmann v. Walter, Ast ist Ast?«

»Nicht so ganz, mein lieber Herr Hauptmann Bitter,« erwiederte der dicke Kapitän freundlich. »Ich will zugeben, daß es von einem wachthabenden Unteroffizier nicht ganz passend ist, Aeste von den Bäumen einer königlichen Pflanzung wegzusägen.«

»Fürchterlich!« sagte Lieutenant Schwarz im Tone der höchsten Entrüstung.

»Anderntheils aber,« fuhr der Hauptmann v. Walter fort, »könnte es sogar ein verdienstliches Werk genannt werden, dürre Aeste von einem Baum zu entfernen. Das erhöht dessen Lebenskraft und verhindert in vielen Fällen, daß nicht auch andere Zweige angegriffen werden und ebenfalls absterben.«

Unser Kapitän hustete ungeduldig. »Wir wollen das Vergangene nicht weiter untersuchen,« sprach er. »Aber was trieben Sie dort im Gehölz, als wir kamen? – Es thut mir leid, aber die Sache muß untersucht werden. Wenn es den Herren gefällig wäre, so sehen wir etwas genauer auf die Arbeit dieses wachthabenden Unteroffiziers.«

»Gehen wir,« versetzte der dicke Kapitän und schritt, auf seinen Stock gestützt, voraus.

Lieutenant Schwarz drückte die Hände auf seinen dünnen Leib und folgte langsamen Schrittes, anzusehen, wie eine finstere Wetterwolke.

»Aha!« rief unser Hauptmann triumphirend, als wir jetzt an Ort und Stelle gekommen waren und zeigte dabei auf die grünen Akazienzweige, die ich Behufs des Pfropfens entfernt und die auf dem Boden umherlagen. »Sind das auch vielleicht dürre Aeste? Na, Herr! diesmal will ich Sie fassen.«

Während der dicke Kapitän ruhig an meine Sträucher trat, zuckte der Lieutenant Schwarz seine Schultern so hoch, daß sie fast die Ohren berührten. Hauptmann Bitter blickte mich kopfnickend an, und ich stand dabei – wehrlos, ein aufgegebener Mann.

»Das ist ja vortrefflich gepfropft!« rief plötzlich der Hauptmann v. Walter; »ich sage Ihnen, vortrefflich. Die Bänder sind zierlich und kunstgerecht angelegt und das Baumwachs mit einer wahren Feinheit aufgetragen.«

Unser Kapitän schaute erstaunt auf seinen Herrn Kameraden, während der Lieutenant abermals die Achseln zuckte.

» Robinia hispada«, rief der Hauptmann v. Walter. Eine herrliche Blüthe! wird sich im nächsten Frühjahre ganz ausgezeichnet machen.«

»Aber ich begreife nicht,« sagte unser Kapitän erstaunt.

»Er verdient freilich einen kleinen Verweis, der Unteroffizier,« meinte heiter der dicke Hauptmann, »daß er die Zeit der Wache zu so was anwendet, in seinen Freistunden aber eine Belohnung dafür.«

»Aber ich begreife nicht,« wiederholte Hauptmann Bitter, »das ist doch ein offenbarer Waldfrevel.«

»Kein Waldfrevel,« unterbrach ihn der Andere, »gewiß, lieber Herr Kamerad, kein Waldfrevel, im Gegentheil, es zeugt von gutem Geschmack, hier in dieser Gruppe Robinia hispada auf Robinia pseudoacacia, die gemeine Akazia zu pfropfen. Sehen Sie, dort haben wir Crataegus, den Weißdorn, dort eine Lonicera, die dunkelroth blüht, daneben den sogenannten Goldregen, das wird eine ganz schöne Wirkung machen, allerdings auf der Wache,« sagte er lächelnd zu mir, wobei er komisch drohend seinen Krückstock erhob, »auf der Wache sollte so was unterbleiben.«

»Und ist doch Waldfrevel; dergleichen auf einem königlichen Glacis,« sagte hartnäckig unser Hauptmann.

»Nein, nein, gewiß kein Waldfrevel,« erwiderte der Andere, »nur gepfropft und sehr schön gepfropft. – Sind Sie ein gelernter Gärtner?« wandte er sich an mich.

Der Herr Hauptmann hatte etwas so außerordentlich Wohlwollendes und Gutes in seinem Benehmen und seiner Sprache, daß ich mich sehr zu ihm hingezogen fühlte. Auf seine Frage an mich erzählte ich ihm mit kurzen Worten, daß ich auf Avancement diene, daß ich habe Offizier werden wollen, auch wohl das Examen zur vorbereitenden Artillerieschule habe machen können, aber nicht das zur Kriegsschule, wie es in neuerer Zeit verlangt werde. Ferner sagte ich ihm, daß ich die Gärtnerei außerordentlich liebe, und in meinen Freistunden theoretisch und praktisch erlernt habe.

Während ich das sprach, nickte er vergnügt mit dem Kopfe und that verschiedene Fragen an mich, aus denen ich entnahm, daß er Baum- und Blumenzucht aus dem Fundament verstehe und wahrscheinlich selbst betreibe.

Nachdem das kleine Examen beendigt – und er stellte in der That ein solches mit mir an – nahm er den Hauptmann Bitter unter den Arm, führte ihn ein paar Schritte von mir weg und redete freundlich lachend in ihn hinein, wobei aber mein Vorgesetzter anfänglich heftig mit dem Kopfe schüttelte. Herr Lieutenant Schwarz, der jetzt die Hände auf den Rücken gelegt hatte, betrachtete meine Pfropfarbeit ungefähr mit dem Gesichtsausdruck, mit welchem man etwas ganz Außerordentliches und noch gar nie Dagewesenes anschaut.

Nach einer kleinen Weile rief mir mein Hauptmann zu: »Kommen Sie daher, Unteroffizier, und bedanken Sie sich beim Herrn Hauptmann v. Walter auf's Nachdrücklichste. – Ich hätte Ihnen, wegen des Rückfalls in Ihre Lust, königliche Bäume zu beschädigen, diesmal eine garstige Geschichte aufspielen müssen. – Ja müssen. – Denn Ordnung muß sein. Der Herr Hauptmann v. Walter hat für Sie gesprochen, und auf seinen speziellen Wunsch will ich die Sache für diesmal auf sich beruhen lassen.«

Daß ich mich auf's Herzlichste bedankte, wird mir Jeder glauben, und ich war froh, mich bei dem guten alten Herrn bedanken zu können. Er hatte durch sein freundliches Benehmen meine ganze Liebe gewonnen, und das erlaubte ich mir, ihm unverhohlen zu sagen, wobei ich nicht unterlassen konnte, hinzuzusetzen, daß ich mich glücklich schätzen würde, später einmal in seine Nähe zu kommen. Darauf reichte er mir treuherzig die Hand, die ich gerne geküßt hätte, und ich kann nicht verschweigen, daß mir fast die Thränen in die Augen traten, als er sie mir auf's Herzlichste schüttelte und so lieb und freundlich von nur Abschied nahm.

Ohne weitere Abenteuer ging die Wache vorüber, und als ich mich am andern Mittag bei unserem Feldwebel vom Fort Nro. 4 zurückmeldete, erzählte ich ihm, was mir gestern begegnet. Er mochte mich wohl leiden, der Feldwebel, und sagte nachdenkend: »Diese Begegnung kann Ihr Glück sein, es ist ein eigenes Ding um den Herrn Hauptmann v. Walter. Wie es zusammenhängt, weiß Niemand, aber so viel ist bekannt, daß er bis hoch oben in die höchsten Regionen mächtige Verbindungen hat. Und wenn er etwas durchsetzen will, so wird's ihm nicht schwer.«

Dies geschah ungefähr im Mai und schon im Juni kam der Befehl vom Brigade-Kommando, mich so schnell als möglich zum Feuerwerker-Examen zuzulassen. Ich machte dasselbe und kann, ohne unbescheiden zu sein, wohl sagen, daß ich sehr gut bestand. Dem Herrn Hauptmann Bitter waren diese Eingriffe in seine Machtvollkommenheit sehr unangenehm. War ich doch durchaus kein Feuerwerker, wie er ihn sich wünschte; glücklicherweise wurde ich es auch nicht bei ihm, denn vierzehn Tage, nachdem meine Papiere zur Brigade abgegangen waren, kam von dort ein Befehl, worin es hieß:

»Der Unteroffizier Wortmann ist unterm heutigen Datum zum Feuerwerker befördert und in dieser Eigenschaft zur Festungskompagnie nach I. versetzt. Der Feuerwerker Wortmann hat sogleich dorthin abzugehen.«

– – Wer war glücklicher als ich!


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