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10.

Vor drei Uhr trat ich meine Wanderung zum Hause und Garten des Herrn Hauptmanns an; an dem weißen Gitterthor hing eine Glocke, die ich in Bewegung setzte, worauf ein Dienstmädchen über den weißen Sandweg daher kam, um mir zu öffnen. Es erfaßte mich damals ein eigenes Gefühl, als ich zum erstenmal durch jene Pforte trat. War es die Stille, der unbeschreibliche Frieden, der auf diesem reizenden Blumengarten lag, oder war es ein Vorgefühl, daß es mir hier sehr gut gehen würde, soviel ist gewiß, mein Herz schlug ängstlich und bewegt, ich hielt den Athem an und wandelte leise auf den Fußspitzen, als fürchtete ich, die zierlichen Blumen zu erschrecken.

Das Dienstmädchen wies mich nach rechts, wo ich den Herrn Hauptmann bei einem Beete von Rosenwildlingen stehen sah, die er selbst an Stämme band und das wilde Laub ausputzte, um die kräftigsten Zweige zum Oculiren herzurichten. Er hatte einen leichten weißen Sommerrock an und rief mir schon von Weitem freundlich entgegen: »Hier sollen Sie morgen Ihr Probe- und Meisterstück machen. Ich erwarte heute Abend noch eine Menge kostbarer Rosenzweige und davon können Sie morgen früh hier Augen nach Herzenslust einsetzen.« Er hatte an jeden Stab ein hölzernes Täfelchen gebunden und darauf die Namen der Rosen bemerkt, mit welchen er die Wildlinge veredelt haben wollte. Im Vorübergehen zeigte er mir auch, wo die vorräthigen Etiquetten lagen, sowie weicher, feiner Bast zum Ueberbinden. Dann gingen wir mit einander durch den ganzen Garten. Man konnte nicht leicht einen Platz sehen, der sich besser dazu geeignet hätte, als dieses große Vorwerk, wo jede Zufälligkeit so mit vollem Geschmack und reizend benützt war.

Es war eine große Bastion, die durch den äußeren Wassergraben vom Glacis getrennt war; doch waren hier weder Banquette noch Traversen zu sehen. Die drei Fuß hohe Umfassungsmauer lief mit einer festen Brüstung rings umher. Hier sah man kaum, daß man sich in einer Festung befand: das einzige Militärische war ein langer metallener Vierundzwanzigpfünder an der Spitze der Bastion über Bank gerichtet, ein prächtiges altes Stück und so glänzend geputzt, daß die Strahlen der Sonne leuchtende, spielende Flammen darauf hervorzauberten. Um aber wieder den Eindruck dieses ernsten Kriegswerkzeuges zu mildern, standen Räder und Lafette in einem Blumenbeete, aus dem die verschiedensten Tropäolum hervorwuchsen, welche die Speichen und Felgen umrankten und das ernste Geschütz wie mit Blumenketten fesselten.

An der Nordwestseite der Bastion befand sich eine Allee von alten Kastanien, welche die kalten Winde und Schlagregen abhielten; gegen Morgen zu stand das kleine freundliche Wohnhaus, fest aus Quadern gebaut, mit einem breiten Balkon, auf dem man über das Glacis hinweg gewiß eine entzückende Aussicht auf die weite Ebene hatte, welche die Festung umgab. Hier befanden sich auch die Glashäuser zum Aufbewahren der Pflanzen während der Winterszeit. Sie waren aus Eisen und Glas gebaut und sahen zierlich wie alles Uebrige aus. Auf einer Treppe neben dem Hause stieg man zum Fuß der Bastionmauer hinab, wo dicht an dem Wassergraben ein Haus für Orchideen gebaut war, denen die Feuchtigkeit des Wassers außerordentlich zu behagen schien, und ich sah nicht leicht schönere Exemplare dieser Pflanze als hier. Jedes der Blumenbeete oben im Garten bestand aus einer einzigen Gattung von Blumen und war mit einer andersfarbigen und passenden Einfassung versehen; aber alle Pflanzen waren kräftig und gesund, hatten die rechte passende Höhe und nirgends entdeckte man eine Spur von Unkraut.

Von meiner Korporalschaft sah ich Mehrere im Garten beschäftigt. Als ich Alles betrachtet, gab mir der Herr Hauptmann einen kleinen Schlüssel, mit dem ich das Gitterthor öffnen könne, um, wie er sagte, auch früh Morgens und zu sonstiger Tageszeit nach den Pflanzen sehen zu können, wenn ich es gerade für nothwendig halte, dann verließ er mich und ging in's Haus zurück. Wenn ich vorher Alles oberflächlich angeschaut, so nahm ich mir jetzt, da ich allein war, die Zeit, um Alles, Blumenbeete, Obstbäume, Zierpflanzen, Glashäuser genau und einzeln zu betrachten. Ich sprach auch mit den Leuten meiner Korporalschaft und ließ mir von ihnen Manches sagen über die Güte der Erde, über die Lieblingsblumen des Herrn Hauptmanns, was ich selbst ja nicht wissen konnte, und verbrachte so noch mehrere Stunden in dem schönen Garten.

Abends holte mich mein Kollege Feuerwerker aus meinem Thurmgemache und wir gingen in den östlichen Festungsgraben, wo sich eine Kegelbahn befand, sowie ein Vergnügungsgarten für die Kompagnie. Hier sah ich zum erstenmal etwas von einer Marketenderin, die Frau eines alten Unteroffiziers nämlich hielt hier eine kleine Bierwirthschaft; so war denn Alles in der Citadelle vereinigt, was nur ein militärisches Herz wünschen konnte. Doch war es trotz Kegelbahn und Biergarten Niemanden verwehrt, in die Stadt zu gehen, aber von dieser Erlaubniß machten nur Wenige und höchst mäßigen Gebrauch. Die ganze Kompagnie war wahrhaftig wie eine große Familie, und die Lust an der gemeinschaftlichen Arbeit sowie die liebevolle Behandlung, welche sowohl Kapitän als Offiziere jedem Einzelnen nach seinem Verdienste zu Theil werden ließen, schlang sich wie ein festes Band um die ganze glückliche Kompagnie.

Da ich am nächsten Morgen schon um acht Uhr den zweiten Zug bei den Haubitzen exerciren sollte, mir aber der Kapitän nicht nur von den Rosenablegern gesprochen, die kommen sollten, sondern mir auch später noch sagen ließ, dieselben seien wirklich angekommen und lägen im Gewächshause in feuchtes Moos verpackt, so begab ich mich schon um fünf Uhr in den Garten, um mit dem Oculiren fertig zu sein, ehe der Dienst begann. Es war ein klarer schöner Morgen, die Blumen, erquickt durch die Kühle der Nacht und satt getrunken von krystallhellem Thau, erhoben stolz und zierlich ihre Köpfchen und dufteten, daß es eine Pracht war. Draußen auf der weiten Ebene flimmerte es und strahlte beim Glanz der Morgensonne, welche flammend über die Höhen der fernen Berge emporstieg. Von dort her war ich vor ein paar Tagen gekommen und dorthin wandte ich meinen Blick und meine Gedanken flogen, mein vergangenes Leben wieder durchgehend, nach meiner ehemaligen Garnisonsstadt, dann weiter weg zu meinem Freunde Sternberg, dem Brigadeschreiber, der wohl hauptsächlich Schuld daran war, daß ich mich hier befand, und dann gingen sie noch weiter und weiter den Weg, welchen ich damals, noch ein halbes Kind, durchwandelt, weiterhin zu den Schluchten des Gebirges an der Grenze, wo das kleine Städtchen war, mit meinem Vater, dem Zollkontroleur Wortmann, meiner Mutter, die jetzt gewiß noch viel längere und buntere Bänder an ihrer Haube trug, sowie mit dem kleinen weisen Vogel, der jetzt gewiß irgendwo Gärtnerbursche war oder hinter dem Pfluge dreinschritt; wenn mich Vater Wortmann hier sehen könnte, so würde er zufrieden sein, dessen war ich gewiß; meine Mutter aber vielleicht verstimmt den Kopf schütteln und in ihrem Stolze gekränkt sprechen: Um Gärtner zu werden, hätte er nicht vier Jahre zu dienen gebraucht. Und wenn man nur vier Jahre gedient hat, und schon Feuerwerker ist, so braucht man wahrhaftig keine Rosen zu oculiren. Aber trotz dieser Gedanken war mir dies ein sehr liebes Geschäft, und ich schnitt mit einem wahren Behagen meine Kreuze in die saftige Rinde.

Fast hatte ich dieses Geschäft beendigt, ja ich war eben daran, das letzte Bastband anzulegen, als ich den leisen Gesang einer weiblichen Stimme vernahm. Es war ein einfaches Lied, das gesungen wurde, auch war die Stimme nicht stark und weithin schallend, hatte aber dafür etwas so Weiches, ja Melancholisches, daß es mir, der ich ohnedies durch die Stille des schönen Morgens eigenthümlich gestimmt war, tief in's Herz drang. Diese Stimme ertönte ohne Begleitung eines Instrumentes, es mußte ein junges Mädchen sein, die vielleicht soeben ihre Fenster geöffnet und die, erregt von all' der Pracht und Herrlichkeit draußen, jubelnd wie die Lerche, ihr Morgenlied sang.

Wer konnte das sein? Die Stimme kam aus dem Hause unseres Kapitäns, und wenn ich scharf hinhorchte, so glaubte ich sogar zu vernehmen, daß sie aus einem Eckzimmer drang, dessen Fenster auf die Ebene gingen und das während des Tages beständig mit einer gelb und weiß gestreiften Marquise vor den Sonnenstrahlen geschützt war.

Hatte ich doch bis jetzt nicht einmal gefragt, ob der Herr Hauptmann v. Walter verheirathet sei. Das war mir ganz gleichgültig gewesen. Wir beim Militär kümmern uns ja nie um die Familien unserer Vorgesetzten, das sind ja für uns unbekannte Zugaben, mit denen wir nie in eine Berührung kommen und die uns durchaus nichts angehen. Hier aber, wo alle Verhältnisse so eigenthümlich waren, war das schon ganz anders, und da es wohl kommen konnte, daß ich beim häufigen Aufenthalt im Garten der Familie meines Chefs begegnen mußte, so war es mir schon interessant, etwas über dieselbe zu erfahren, und nachdem mein Rosengeschäft hier oben geendigt, der Gesang hatte ebenfalls aufgehört, machte ich dem Feldwebel einen Besuch und erkundigte mich so bescheiden als möglich nach den Familienverhältnissen des Herrn Hauptmanns.

So redselig der alte Herr sonst wohl sein konnte, so sagte er mir jetzt doch so ziemlich einsilbig, der Herr Hauptmann v. Walter sei verheirathet gewesen, seine Frau aber schon vor langen Jahren gestorben und er habe nur eine einzige Tochter.

Es war also wahrscheinlich die Sängerin, dachte ich mir. Wußte ich nun doch, wenn ich zufällig einer Dame im Garten begegnete, wer dieselbe sei, und zufrieden mit dem Bescheid des Feldwebels ging ich auf mein Zimmer.

Bald nachher trat der zweite Zug zum Exerciren zusammen und ich führte ihn auf die Bastion, um die Mannschaft, wie mir befohlen war, an zwei Feldhaubitzen exerciren zu lassen. Doch hatte ich erst einigemale Granaten in verschiedenen Elevationen werfen lassen, natürlicherweise mit Sägemehl-Kartouchen und der unschädlichen leeren Hohlkugel, so erschien der Premierlieutenant mit den beiden Secondelieutenants.

Zuerst sahen sie, alle Drei, meinem Haubitzenexercitium zu, und dann befahl mir der Premierlieutenant, die Haubitzen stehen zu lassen und sämmtliche Leute an die oben befindlichen Wallgeschütze zu placiren. Ich hatte Mannschaften genug, um einen kurzen und einen langen Vierundzwanzigpfünder zu montiren, einen Paixhans zu besetzen, sowie Mörser von verschiedenen Kalibern. Meine Bombardiere hatten die Geschütze unter ihrer speciellen Aufsicht und ich sollte das Ganze leiten, wobei mich die Offiziere der Kompagnie von einem Geschütz zum andern begleiteten, und ich nun die verschiedensten Schießübungen durchmachen lassen mußte. Anfänglich merkte ich nicht, daß mich der Premierlieutenant, der mich vielleicht für einen ganz guten Gärtner, aber schlechten Kanonier halten mochte, ein förmliches Examen durchmachen ließ, weßhalb ich mit den Geschützen auf alle Distanzen und jede mögliche Batterie manövriren mußte. Jetzt gab er an, ich habe es mit einer Demontirbatterie zu thun, die gerade vor mir liege; dann sagte er, eine Ricochettebatterie rechts von uns fange an, uns in die Flanke zu nehmen, weßhalb ich zwei Geschütze dorthin wenden ließ und zu gleicher Zeit die während des Abfeuerns überflüssigen Kanoniere dicht an die Traversen treten ließ; dann rückte uns eine Breschebatterie dicht auf den Leib, auf welche Weisung ich ruhig die Pulverladung und Elevation änderte, und als nun gar nach seiner Angabe die Büchsenkugeln vorgeschobener Schützen meine Kanoniere belästigten, ließ ich die Schießscharten blenden.

Bei den Mörsern mußte ich alle Kunststücke durchmachen lassen, die noch bei einer wirklichen Beschießung vorkommen können. Bald hatte ich eine Schanze vor mir auf dreitausend Schritte, dann immer näher, jetzt gab er mir einen einzelnstehenden Baum auf der Ebene an, den ich hinter der Brustwehr nicht sehen konnte, und wo ich mir durch aufgesteckte Stäbe helfen mußte. Das Schwierige bei diesem Wurfmanöver war, daß mich der Premierlieutenant verschiedene Distanzen nach der Ebene hinaus, bald ein einzelnes Haus, bald eine Baumgruppe nach dem Augenmaß abschätzen ließ, Entfernungen, die er ganz genau kannte, und die ich, Dank meines im Freien und beim Gartengeschäft geübten Auges ziemlich richtig traf. Mittlerweile war auch der Herr Hauptmann auf die Bastion gekommen und schaute lächelnd unserm Treiben zu, wobei er zuweilen gegen den Premierlieutenant freundlich ein Auge zukniff. Dieser schenkte mir auch schon gar nichts, und ließ mich aus meinen Mörsern bald Spiegelgranaten, bald Steine, bald Brand-, Leucht- und Stinkkugeln werfen; ja, als das Exercitium vollkommen ergründet war, mußte ich die Leute zusammennehmen und ihnen nach seiner Angabe einen Vortrag in Artilleriewissenschaften halten, wozu er mir die schwersten Themas angab. Ich muß gestehen, daß ich ordentlich bestand, und das sah ich auch an dem Gesichte meines Examinators; seine strengen Augen wurden freundlicher, sein finster die zusammengekniffenen Mundwinkel bedeckender Schnurrbart erhob sich zuweilen mit einem freundlichen Lächeln, und als wir endlich fertig waren, wandte er sich an unsern Kompagniechef, und sagte im Ton der Ueberzeugung: »In der That, Herr Hauptmann, ganz famos; ich bin vollkommen zufrieden.«

Nun hatte ich's bei der Kompagnie und allen Offizieren gewonnen. Der Herr Hauptmann v. Walter rieb sich die Hände und sagte lachend: »Da sehen Sie, meine Herren, daß man ein ganz außerordentlicher Gärtner sein kann und dabei ein tüchtiger Unteroffizier. Der Feuerwerker hat heute Morgen vor dem Exerciren schon seine dreißig Rosen oculirt, daß es eine wahre Freude anzusehen ist. Und Rosen oculiren ist nicht leicht, dazu muß man eine feine Hand haben. Gewiß, gewiß, Herr Premierlieutenant,« wandte er sich freundlich an diesen, »es ist ein schönes Geschäft, das Rosenoculiren, sowie die ganze Gärtnerei, obgleich Sie keinen Schuß Pulver darauf halten.«

Und so war es auch in der That. Der Premierlieutenant war eigentlich ein abgesagter Feind der ganzen Landwirthschaft, und obgleich er mit dem Kapitän auf dem allerfreundschaftlichsten Fuße stand, so machte er ihm doch eine fortgesetzte Opposition, welche zum Glück darin bestand, daß er im Dienst von einer eisernen Strenge war, den Kanonieren keine Viertelstunde Exercirens schenkte und die Uniformen mit einer erschrecklichen Genauigkeit nachsah, ob da nicht die ländlichen Arbeiten der Leute irgend einen Flecken zurückgelassen haben. Doch liebten Alle den Hauptmann sowie ihre landwirthschaftlichen Arbeiten zu sehr, um dem Premierlieutenant die Freude zu lassen, daß er sagen könne, wie er früher oft gethan, die Artillerie und Landwirthschaft passen nun einmal in alle Ewigkeit nicht zusammen.

Oefters, wenn ich früh am Morgen in dem Garten beschäftigt war, hörte ich die Stimme wieder, die mir, als ich sie zum erstenmal vernahm, so tief zu Herzen gegangen. Doch war ich fast schon drei Wochen hier auf der Citadelle, als es mir vergönnt war, die liebliche Sängerin zu sehen. Der Herr Hauptmann hatte dem Festungskommandanten, sowie seinen Offizieren ein Diner gegeben und nach demselben saßen die Herrschaften auf der Terrasse vor dem Hause und tranken Kaffee, wahrend ich an meinen Blumen beschäftigt war. Auf einmal rief mich der Herr Hauptmann, ich lief eilig näher, und da war er so freundlich, mich dem Herrn General v. N. vorzustellen.

»Das ist also das Wunder von einem Feuerwerker!« sagte dieser lachend; »sieht recht sauber aus, aber jung, noch unverschämt jung.«

Am Tische saß auch die Tochter des Hauptmanns. Sie trug ein einfaches Kleid von gelber, ungefärbter Seide und hatte einen breiten Strohhut auf dem Kopfe, der, da sie obendrein das Gesicht herabgebeugt hielt, ihre Züge gänzlich verdeckte. Erst als ihr Vater sie recht sanft bei der Hand nahm und ihr sagte: »Das ist Feuerwerker Wortmann, von dem ich dir schon gesagt,« hob sie den Kopf in die Höhe und sah mich mit großen, so eigenthümlich glänzenden Augen an, daß es mir fast den Athem benahm und ich kaum im Stande war, eine Verbeugung zu machen. Sie mochte damals achtzehn Jahre alt sein, und etwas Lieblicheres wie dieses Gesichtchen hatte ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen. Das war nun für die damalige Zeit nicht hoch geschworen, denn was meine Kenntniß des weiblichen Geschlechts anbelangt, so war dieselbe nicht der Rede werth. Aber auch später, nachdem ich viele Schönheiten gesehen, dachte ich immer noch mit Entzücken an diesen Augenblick und mußte mir gestehen, daß ich weit schönere Mädchen gesehen, aber nichts Lieblicheres, als die Tochter des Herrn Hauptmanns. – Nur die Augen, die Augen, so wunderbar schön, hatten einen so seltsamen Ausdruck, und als ich ihr vorgestellt wurde und meine Verbeugung machte, lächelte sie wohl, aber ihre Blicke flogen wie theilnahmlos bei mir vorüber und schienen etwas zu suchen, hoch oben im Blau des Himmels.

Der Hauptmann befahl mir, eine Tasse Kaffee anzunehmen und das schone Mädchen schenkte sie mir ein. Doch tastete sie dabei unsicher auf dem Tisch umher und der Vater schob ihr Tasse und Kaffeekanne zwischen die kleinen weißen Finger. Ja, als sie mir den Kaffee reichen wollte, hielt sie die Tasse mehr gegen den Premierlieutenant als gegen mich, weßhalb denn mein strenger Vorgesetzter so freundlich war, sie ihr abzunehmen und mir höchst eigenhändig darzureichen. Doch unterließ er nicht, dabei zu sagen: »dem geschickten Artilleristen.«

»Sie sind unverbesserlich!« sagte der Hauptmann v. Walter laut lachend zu ihm, »und obendrein sehr undankbar. Was hat die Artillerie mit dem Kaffee zu thun? Ein Gärtner hat ihn gepflanzt und ebenso den Zucker, den Sie so sehr lieben. Ja, der größte Theil des Diners, das wir heute gemacht, sind Produkte der Landwirthschaft. – Wahrhaftig, nächstens lasse ich Ihnen einmal einen soliden Zündersatz backen oder eine Kartätschensuppe machen.«

Ich trank meine Tasse, schielte aber ein paarmal über sie hinaus nach der Tochter meines Hauptmanns, welche ein Bouquet neben sich liegen hatte, das sie zuweilen an ihr Gesicht drückte.

»Apropos,« sagte ihr Vater zu mir, »obgleich ich das Blumenabschneiden im Allgemeinen nicht leiden kann, so wär's mir doch recht, wenn Sie mir täglich einen Strauß schnitten. Meine Tochter liebt sehr die Blumen, nicht wahr, Elise?«

Darauf hob sie wieder ihren Kopf in die Höhe und sprach zu mir, ohne mich aber anzusehen, mit einer angenehm klingenden, weichen Stimme: »Ja, wenn der Feuerwerker so freundlich sein will, bin ich sehr dankbar dafür.«

»Dabei sehen Sie aber mehr auf den Duft der Blumen, als auf helle glänzende Farben,« ergänzte der Hauptmann, wobei er sein Kind mit einem eigenthümlichen Blicke ansah.

Nach einer Verbeugung ging ich an meine Geschäfte zurück, konnte aber die seltsamen Augen des schönen Mädchens nicht vergessen, und dazu hörte ich immer die Worte ihres Vaters: Dabei sehen Sie aber mehr auf den Duft der Blumen, als auf helle glänzende Farben. – – – – Auf einmal blieb ich wie erstarrt stehen, ja, plötzlich verstand ich den seltsam starren Blick ihrer Augen, ihr eigentümliches Wesen – – die Worte des Hauptmanns. – – Das arme unglückliche Mädchen war blind.

Und so war es auch in der That. Der Feldwebel, den ich noch am heutigen Tage befragte, gab mir es achselzuckend zu und meinte: »Das ist ein großes Unglück, welches den Herrn Hauptmann betroffen; und es ist jammerschade für dies vortreffliche gute Mädchen.« Auch erfuhr ich jetzt, daß die Frau des Hauptmanns schon vor langen, langen Jahren gestorben sei und ebenso, daß die kleine Elise bis in ihr zwölftes Jahr sehend gewesen, dann aber in Folge einer Erkältung erblindet. »Zuweilen,« sagte der Feldwebel, »kommt einer der geschicktesten Augenärzte der Residenz, wenigstens alle Jahre einmal, und sieht nach der Kranken, Er hat die Hoffnung, sie zu heilen, nicht aufgegeben, will aber, und darin hat er Recht, langsam und äußerst behutsam zu Werke gehen.«

Ich muß gestehen, daß mich das schöne Mädchen sehr beschäftigte, und daß ich außerordentlich auf den Moment begierig war, wo frühe am Morgen ihr weicher, melancholischer Gesang erschallte. Häufig sah ich sie nun auch über Tages im Garten, und an ihrem Benehmen merkte ich zu meiner großen Freude, daß ihr Vater etwas auf mich hielt und gut von mir sprach; denn oft trat sie allein auf die Terrasse hinaus und rief mit ihrer silberhellen Stimme meinen Namen, worauf sie mich dann gewöhnlich bat, sie an irgend einen Punkt des Gartens zu begleiten. Das erste Mal benahm ich mich dabei entsetzlich dumm und ungeschickt. Wenn ich Fräulein Elise führen sollte, so mußte ich ja ihren Arm oder ihre Hand ergreifen, welch letztere sie mir auch entgegenstreckte. Nun war ich aber zu ängstlich und schüchtern, um ihre feinen Finger anzufassen, und stand einige Minuten rathlos da, bis ich endlich näher trat und ehrfurchtsvoll meinen Arm darreichte, worauf sie nun ihre kleine Hand legte, aber so leicht, so leicht, daß es nicht anders war, als sei ein Rosenblatt darauf gefallen.

Wenn ich sie nun so an irgend einen Punkt des Gartens geleitete, da war es doch selbstredend, daß ich in der Nähe blieb. Sie konnte ja etwas verlangen, nach Jemand rufen, und es wäre ja schrecklich gewesen, wenn sie Niemand gehört hätte. Ich arbeitete dann in ihrer Nähe bald dies, bald das, und wenn sie vielleicht einen Zweig rauschen hörte und meinen Fuß leicht auf dem Sande knirschen, da frug sie häufig: »Sind Sie es, Wortmann?« und zuweilen knüpfte sie dann ein längeres Gespräch an. Ja, im Verlaufe der Zeit mußte ich ihr meine ganze Lebensgeschichte erzählen und ich that das der Wahrheit gemäß, von meinem Vater und meiner Mutter, von unserem Kasernenleben, von der Miranda, von meinem Freunde Poltes, sowie auch, daß man mich als kleines Kind Major nannte. Das Letztere erschien ihr außerordentlich komisch und sie lächelte freundlich darüber, muß es auch ihrem Vater erzählt haben, denn dieser sagte eines Tages freundlich zu mir: »Nun, lieber Wortmann, wenn auch kein Major aus Ihnen wird, so hoffe ich doch noch was Tüchtiges an Ihnen zu erleben. Sie haben einen guten Kopf, sind auch fleißig und lernen leicht. Aber Sprachen müssen Sie treiben, das ist unumgänglich nothwendig.«

Er hatte das schon häufig gesagt, und mir auch französische und englische Bücher zum Selbstunterricht gegeben. Daß ich aber heimlicherweise sehr früh am Morgen und Abends spät bei einem Sprachlehrer der Stadt in beiden Sprachen Stunden nahm und mit einem eisernen Fleiß darüber her war, hatte ich ihm nicht gesagt. Weßhalb ich es verschwieg, wußte ich eigentlich nicht. Meinen Vorgesetzten damit zu überraschen, das konnte ich mir nicht gut einbilden; ich glaube, der Hauptgrund war, daß ich zuerst sehen wollte, ob ich ein Talent für fremde Sprachen habe. Doch hätten diese heimlichen Lektionen mir fast Unangenehmes zu Wege gebracht. Obgleich der Herr Hauptmann v. Walter gegen mich sowohl im Dienst als auch im Garten sehr gut und freundlich war, so hatte das doch eine gewisse Grenze, über die er nie hinausging, und schien sich auch im Uebrigen um mein Leben und Treiben nicht im Geringsten zu kümmern. Wie mir aber später klar wurde, war das durchaus nicht der Fall; er bekümmerte sich vielmehr so genau um mein Leben außerhalb des Dienstes, daß er bald erfuhr, ich bringe sowohl des Morgens in aller Frühe als auch Abends sehr spät manche Stunde in einem Hause der Stadt zu. Da mein Sprachlehrer ziemlich unbekannt war, das Haus, in dem er wohnte, aber recht ärmlich und seine Umgebungen vielleicht nicht im besten Rufe standen, so fiel dadurch ein Schatten auf mich, den ich obendrein nicht aufklären konnte, da ich keine Ahnung davon hatte.

Wohl bemerkte ich, daß der Herr Hauptmann, obgleich er wohlwollend und gütig wie immer war, doch nicht mehr so freundlich wie früher gegen mich zu sein schien. Davon konnte ich mir keinen Grund erklären, und obgleich ich mich mehr als je bestrebte, meinen Dienst zu seiner Zufriedenheit zu thun, so vermißte ich doch die Herzlichkeit, mit der er sich sonst über jedes noch so Unbedeutende bei mir bedankt. Ja, er hatte mir sogar einmal ziemlich ernst gesagt, als ich an einem Tage zwei schöne Bouquets für seine Tochter gemacht, ich plündere ja seinen ganzen Garten. Auch Fräulein Elise kam nie mehr allein in den Garten und ich hatte sie schon längere Zeit nicht mehr nach einem ihrer Lieblingsplätze führen dürfen. Wohl dachte ich zuweilen daran, den Feldwebel zu befragen, doch kam mir das wieder so anmaßend vor, daß ich mich schämte, es zu thun.


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