Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.
Auf der Ausstellung


Es ist etwas Eigenthümliches um so eine große Kunstausstellung, da in einem Raume beisammen zu finden, was größere und kleinere Meister innerhalb hundert Jahren auf verschiedenen Punkten der deutschen Erde gemalt und von dem sie nicht gedacht, daß es sich, mit all' den andern vereinigt, eines Tags im Glaspalast zu München zusammenfinden würde. Dabei kann man sich wohl vorstellen, daß es vielleicht den wenigsten der Künstler angenehm gewesen wäre, wenn man ihnen bei Schaffung ihrer Werke gesagt hätte, daß diese nach so und so viel Jahren von der stillen Wand, wo sie so lange Zeit behaglich geruht und geschlummert, nun auf einmal wieder in die Oeffentlichkeit treten sollten, eine neue Jugendzeit durchmachen, sich damals anstaunen zu lassen, als sie noch in frischen Farben auf der Staffelei ihres Erzeugers standen, und der Herr A. die Madame B., Madame B, den Herrn C. und der Herr C. den Herrn Baron mit seiner Familie dem sich tief verneigenden Maler vorstellten, welche alle gekommen waren, um das reizende Bild, von dem man so viel Wunderbares gehört, anzustaunen und zu sagen, was sie in der letzten Kunstkritik darüber gelesen.

Ja, daß es so einem jungen Bilde Vergnügen macht, von allen Seiten betrachtet und bewundert zu werden, das kann man sich schon denken, aber ebenso natürlich und begreiflich ist es auch, daß sich ein altes Gemälde, welches viele Jahre in gemüthlicher Ruhe die Zierde irgend eines stillen Gemaches gewesen ist, dort meistens nur bekannte Gesichter gesehen, nun auf einmal ausgestellt wird den Blicken Tausender ganz wildfremder Menschen, nun sehr unbehaglich fühlt, verdrießlich, dunkel und finster dreinschaut.

Für den Besucher haben diese Kunstabfütterungen en gros auch etwas Beengendes, Unbehagliches, Uebersättigendes. Wenn man eintritt, so ist es, als käme man in einen großen Salon, wo man unter einer Anzahl fremder Leute ein paar bekannte Gesichter findet, zu denen wir uns auch mächtig hingezogen fühlen, das andere Gewühl scheu von der Seite betrachten und so viel kostbare Zeit verlieren. Erst nach und nach sind wir im Stande, die genaue Bekanntschaft all' dieser renommirten Herrschaften zu machen, und da wir doch für jeden etwas Geistreiches wenigstens denken müssen, so fühlen wir uns in kurzer Zeit körperlich und geistig ermüdet. Am Ende blicken wir seufzend auf die enorme Enfilade von Zimmern, die wir noch durchwandern müssen, und fühlen dabei mit tiefer Betrübniß, daß wir künstlerisch schon so gesättigt sind, daß nur eine ganz pikante Speise im Stande ist, uns ein klein wenig aufzuregen.

Und so ist es dem gewöhnlichen Strom von Besuchern großer Gemäldegallerien tagtäglich zu Muth, Leuten, die aus Pflichtgefühl ihr Abonnement ausnützen, die alles gesehen haben wollen, um darüber sprechen zu können, oder der Schaar jener Unglücklichen, die über das, was sie erschaut oder nicht erschaut, ein kunstrichterliches Urtheil schriftlich abzugeben genöthigt sind.

Da wir nun aber einmal da sind, unser Eintrittsgeld bezahlt und unsern Stock in Verwahrung gegeben haben, so schlagen wir seufzend den Katalog auf und fangen gleich rechts an der Thür an: Nr. 440. Die Erstürmung Erfurts durch die Türken oder so etwas. – Wenn es nur ein Mittel gäbe, um unsere Gedanken von all' den wunderbaren und schönen Bildern abzubringen! Unsere armen Augen ausruhen zu lassen von dem wilden Durcheinander all' der Farben, all' der verschiedenartig gemalten Physiognomieen, all' der Wasserfälle und Waldeinsamkeiten, all' der Kühe und Esel, all' der goldenen Rahmen! Und doch gibt es ein Mittel, dies zu bewerkstelligen, und dazu in gewisser Beziehung noch ein nutzbringendes. Dort vor dem großen Gemälde steht ein Sopha, das immer besetzt ist von Zuschauern. Setzen wir uns dahin, nehmen eine aufmerksame Haltung an, schlagen ein Bein über das andere, die Arme ebenfalls und starren mit etwas gesenktem Kopfe und vorgeschobener Unterlippe inbrünstig auf das Gemälde. Man wird uns, den Kunst-Enthusiasten, belächeln, aber unser Zweck ist erreicht: man hat unsere Ohren vergessen, wir sind eine Art Leimruthe, an der alle möglichen Gespräche unbemerkt hängen bleiben.

Da treten Zwei dicht auf uns zu, er stützt sich auf das Sopha, auf dem wir sitzen, sie lehnt sich an ihn, und Beide schauen nicht nach unserem Bilde, sondern nach einer daneben hängenden beliebigen Waldnymphe, welche vorsichtig die Zweige der Büsche auseinander zieht und die Spitze ihres Fußes in ein klares Wasser taucht.

»Ich kann von dem Bilde nicht wegkommen,« sagt er, »und wenn ich ein reicher Mann wäre, würde ich es kaufen.«

»Ach geh doch!« gibt sie kaum vernehmlich zur Antwort.

»Wahrhaftig, sei doch nicht so kindisch. – Ich sage dir, das ist eine Aehnlichkeit, die ganz wunderbar ist; man könnte glauben, du habest dem Maler zum Modell gesessen.«

»Ah! das bitte ich mir aus!«

»Es ist aber doch so; dein Gesicht, die Haltung deines Kopfes – wunderbar ähnlich. Und alles – alles!«

Sie treten hinweg, und es ist uns nicht zu verdenken, daß wir den Kopf Herumwenden, um dem wirklich hübschen Mädchen nachzusehen, das in allem der Nymphe da oben so ähnlich sieht.

»Weißt du,« spricht eine tiefe Baßstimme neben uns, »das Urtheil eines Kunstverständigen thut nie weh; aber wenn ein solcher Vandal, wie jener Kerl, vor meiner Landschaft steht und zwei Schritte von mir von spinatgrünen Bergen spricht, wozu die Sonne in ihrem Eiergelb vollkommen passe, da könnte man rasend werden und sollte es verschwören, je wieder für die deutsche Nation zu arbeiten. Diese weichen, duftigen Abendtöne spinatfarbig zu nennen. Es ist zum Aufhängen.«

Das Letztere würde der Sprecher mit Leichtigkeit haben erreichen können, denn die strickartige Binde um den nackten Hals hätte man nur in irgend einen Haken einzuhängen gebraucht. Im Uebrigen sieht der Träger derselben in seinem Anzug etwas abgeschabt aus, hat ein finsteres, eingefallenes Gesicht, trägt sehr langes Haar und hält einen kuhbraunen Calabreser zusammengedrückt unter dem linken Arm. Er und der Andere, mit dem er spricht, thun übrigens nur so, als betrachten sie das Bild, vor dem wir sitzen, oder die bewußte Nymphe; in Wirklichkeit schauen sie immer dahin, wo die Landschaft mit den spinatfarbenen Bergen hängt, und wenn von all' den vielen Menschen, die dort vorüber gehen, nur ein Einziger einen Augenblick vor der eiergelben Sonne stehen bleibt, so zieht der mit dem langen Haar die Brauen hoch empor. Aber es beißt selten Einer an auf das saftige Grün, und endlich ist auch der unglückliche Urheber jenes bekannten Bildes verschwunden.

In einer Kunstausstellung sind am unerträglichsten die großen Gesellschaften beiderlei Geschlechter, die sich zusammengethan haben, um gemeinsam zu genießen, und die sich das Wort gaben, ihren Mitleidenden keine Nasen- oder Bajonnetspitze, keinen Sonnenstrahl und keinen Wasserfall zu schenken. Sie rauschen wie eine Heerde um die nächste Ecke heran, verstellen gleich eine ganze Wand und stören durch ihre lebhaften Bewegungen, durch ihre ewigen Ausrufe das bischen Ruhe, welches eben eingetreten, nachdem uns der unzufriedene Maler verlassen.

»Siehst du? – Nein dies. – Aber da. – Hier das ist schön. – Wo? – Hier. – Hat Ähnlichkeit mit 620. – Ah, von Krautmaier! – Siehst du Krautmaier? – Von dem Krautmaier? Das ist also der Krautmaier? – Der junge Krautmaier? – Nein, der alte Krautmaier. Krautmaier du und der Teufel, das ist nicht zu ertragen. – Der die Großmutter malte, als sie schon gestorben war.«

Brrrr! Es nützt nichts, wenn man auf wirklich auffallende Art in die Hände klopft, sie fliegen nicht in die Höhe, sie drehen höchstens ihre langen Hälse herum, schauen dich naserümpfend an, und ein Kecker unter ihnen, der sich ein Ansehen geben will, sagt vielleicht in wegwerfendem Tone: »Es ist in der That ungeheuer genannt, daß diese Ausstellung so alle Tage für jedermann zugänglich ist. Man sollte doch wenigstens ein- oder zweimal in der Woche unter sich sein können!« –

Endlich flattern sie davon, sie rauschen um die nächste Ecke, und wir sehen deutlich, wo sie eingefallen sind, denn dort haben sie ein paar ernste Beschauer verscheucht, die sich gesenkten Hauptes entfernen.

»Sie werden mir zugeben, Herr Professor,« sagte eine feine, etwas heisere, aber erregte Stimme, »daß Schlachtenbilder zu malen an und für sich ein Unsinn ist. Was soll die Kunst? Erheitern und erfreuen. Und ist ein Bild, wo der Pulverdampf die Luft verdunkelt, wo Leichen und Sterbende dutzendweise in den schauerlichsten Verrenkungen umherliegen, im Stande, uns zu erfreuen, zu erheitern? – Gewiß nicht. Sehen Sie dort den Ueberfall bei Hochkirch. Da stehen sie nun schaarenweise davor und thun, als ob sie entzückt wären.«

»Es ist auch ein schönes Bild, Herr Professor.«

»Allerdings, Herr Professor. Aber wenn man nun einmal nicht anders kann als Schlachten malen, so soll man sie wenigstens im hellen Sonnenschein darstellen. Mich indignirt dieses Bild, so oft ich es sehe.«

»Weßhalb, Herr College?«

»Weil der Maler mir eine der besten Ideen weggenommen, Herr College. Kennen Sie meine Bauernburschen, die mit einer Fackel etwas erheitert von einer Kirmeß heimkehren? – Müssen Sie nicht gestehen, daß sich dieser sogenannte Ueberfall bei Hochkirch in den Hauptmomenten ganz an meine Arbeit lehnt?«

»Ich könnte doch eigentlich nicht sagen, Herr College.«

»In der That? Nicht, Herr College? Ist auf meinem Bilde nicht dasselbe hügelige Terrain, Dunkelheit, Fackellicht, die querfeldein wild anstürmenden Bauernburschen und der Gensdarm, der ihnen auf meinem Bilde so unverhofft in den Weg tritt?«

»Ja, ja, von diesem Gesichtspunkte aus, Herr Professor!«

»O es gibt gar keinen andern Gesichtspunkt, Herr Professor. – Aber so geht es Unsereinem. Nicht nur, daß die kaum herangewachsenen jungen Leute ein paar Ellen Leinwand mit Farben bekleckst ein Bild zu nennen belieben, so gehen sie auch her, nehmen uns die besten Motive, und so Einer macht aus den bekannten nächtlich herumstreifenden Bauernburschen des Professor Hagelwetter einen Ueberfall bei Hochkirch. Ist es nicht rein zum Davonlaufen?«

»Ein vortrefflicher Esel!« sagen wir halblaut und versenken unsere Blicke in das Portrait des gemüthlichen Langohrs, dessen Rücken Gemüsekörbe trägt und an dessen dickem Kopfe die Ohren so lebendig und sprechend sind. Sagt uns nicht das eine etwas gesenkte, daß es ein heißer Sommertag ist, und erzählt nicht das andere stramm emporgerichtete von dem Ueberfall bei – nein, nein, wir wollten sagen von dem Ueberfall einer stechenden Fliege. – Es ist in der That ein vortrefflicher alter Esel. Und es gibt noch viele dergleichen in der Welt.

»Erlauben Sie, mein Herr!« möchten wir mit einer gelinden Entrüstung ausrufen und rücken dabei etwas heftig auf die Seite, denn ein eben Angekommener läßt sich so stark in die Kissen des Sophas hineinfallen, daß es uns förmlich aus unsern Betrachtungen und unserem Sitze emporschnellt.

»Ich bitte Sie sehr um Verzeihung,« sagt der Fremde, »in der That recht sehr um Verzeihung.« Und dabei erhebt er sich artig wieder, macht uns eine Verbeugung und setzt sich dann abermals hin, jetzt auf so sanfte und ruhige Art, daß wir den Ueberfall von vorhin verzeihen. Wir haben unsern Katalog in die Höhe genommen, wir erwidern die uns gemachte Verbeugung und schauen dabei über das Buch hinweg unsern Nachbar von der Seite an.

Es ist ein junger und sehr hübscher Mann, einfach, aber äußerst elegant gekleidet. Er trägt einen hellen Sommeranzug und blättert mit seinen silbergrauen Glacéhandschuhen etwas hastig in dem Katalog hin und her, athmet zuweilen tief auf, zuckt unruhig mit den Schultern und gibt auch sonst wohl Zeichen einer ziemlichen Aufgeregtheit. So hat er seinen feinen Panamahut neben sich hingeworfen, führt sich ein paarmal hastig durch das hellblonde Haar und sucht dann auf's neue und auffallend emsig in dem Katalog. Er mag am Ende der Zwanzigen sein, so schätzen wir ihn, und muß am Anfange dieses schönen Abschnittes im menschlichen Alter auffallend schön gewesen sein. Man sieht davon noch die deutlichen und angenehmen Spuren; den frischen, rosigen Teint, die schönen Augen, das volle krause Haar, den feinen Mund. Doch sind das, wie schon gesagt, nur noch Spuren, die vielleicht durch das Leben oder durch Schicksale, oder wer weiß durch was für ein scharfes Auge, wie wir es besitzen, aus jenem wohlthuenden Zusammenhange, aus ihrer vollkommenen Symmetrie gerissen erscheinen. Die so angenehmen und schönen Verhältnisse des Kopfes sind gestört durch einen müden Flug um die Augen, durch einzelne tiefe und scharfe Linien um Nase und Mund, durch ein unruhiges Zucken der Lippen, durch ein düsteres Feuer in den sonst so schönen Blicken. Auf der rechten Wange zeigt sich eine rothe Narbe, welche vom Ohr bis fast zum Mundwinkel geht.

Der Fremde blätterte immer noch hastig in seinem Katalog und wandte sich endlich an uns mit der Bemerkung, die er durch ein scheinbar gleichgültiges Lächeln begleitete: »Es ist eigenthümlich, wie schwer es ist, hier einen einzelnen Namen herauszufinden.«

»Es bedarf allerdings einer Kenntniß des Buchs,« geben wir ihm zur Antwort.

»Ich möchte mir die Bemerkung erlauben,« versetzt er, immer noch im Verzeichnisse blätternd, »daß es ohne die allergenaueste Bekanntschaft mit diesem Katalog eine reine Unmöglichkeit ist. Ich will ihm das durchaus nicht zum Vorwurf machen, denn für die Zwecke des größten Theils der gewöhnlichen Besucher ist alles geordnet zusammengestellt.«

Da ich nun, wie der geneigte Leser schon Eingangs dieses Kapitels zur Genüge erfahren haben wird, eifriger Besucher der allgemeinen deutschen Kunstausstellung war und das ganze Arrangement der Bilder vollkommen auswendig wußte, so verstand es sich von selbst und gebot es mir auch die Höflichkeit, dem Unbekannten meine Dienste anzubieten. Nebenbei flößte er mir auch ein reges Interesse ein, und es war mir angenehm, vielleicht mit ihm auf ein lebhaftes Gespräch eingehen zu können. »Wenn Sie mir,« sagte ich deßhalb, »das, was Sie suchen, näher bezeichnen wollen, so wäre ich vielleicht im Stande, Ihnen Auskunft zu geben.«

Er sah mich mit einem forschenden Blicke an; ich glaube zum erstenmal, seit er sich neben mich gesetzt, dann verbeugte er sich ein wenig und gab mit einem sonderbaren Lächeln zur Antwort: »Ich bin Ihnen für Ihr freundliches Anerbieten sehr dankbar. Aber Sie verstehen mich vielleicht, wenn ich Ihnen sage, daß man sich oft scheut, durch eine einzige Frage, die uns ein Anderer leicht beantwortet, eine traurige Gewißheit zu erlangen, der wir durch langsames Nachforschen wenigstens noch für eine Zeit lang entgehen. – Doch,« setzte er rasch hinzu, als er sah, wie ich mich mit einer leichten Bewegung zurückzog, »ich bin Ihnen herzlich dankbar für Ihr Anerbieten und werde mir erlauben sogleich davon Gebrauch zu machen, wenn Sie nämlich so gut sein wollen, Ihr Versprechen nicht zurückzuziehen.«

Das sagte er in einem verbindlichen, obwohl etwas traurigen Tone, wobei mir sein ganzes Wesen als ein ängstliches, aufgeregtes erschien. Seine Lippen zuckten häufig, er athmete tief und schwer und dabei glitten seine Finger mit einer krampfhaften Hast durch die Blätter des Buches. Endlich ließ er seine Hände mit dem Katalog auf die Knie niedersinken und sagte mit einer ungezwungenen Heiterkeit: »Jetzt, mein Herr, werde ich mich an ihre Gefälligkeit wenden und bin Ihnen im Voraus dafür dankbar.«

»So erlauben Sie mir vorher eine Frage,« erwiderte ich, »die Ihnen vielleicht indiskret erscheint, aber es durchaus nicht sein soll. Sind Sie vielleicht selbst Künstler und suchten bis jetzt vergeblich eines Ihrer Bilder, das Sie hieher gesandt? – Verzeihen Sie mir,« setzte ich lächelnd hinzu, »so kam mir Ihr Benehmen vor. Ich weiß es aus eigener Erfahrung – auch' io sono pittore.«

Ich hatte das auf die freundlichste Art von der Welt zu ihm gesprochen, lustig lachend, um ihn heiter zu stimmen; denn der tief schmerzliche Zug, der auf seinem Gesichte lag, that mir ordentlich weh. Sein Gesicht heiterte sich auch in der That ein wenig auf, als ich so mit ihm redete, doch schüttelte er nach einem kurzen Stillschweigen leicht mit dem Kopfe und sagte mit einem etwas scheuen Blicke: »Leider bin ich nicht so glücklich, Künstler zu sein. Nur ein lebhafter Bewunderer und Verehrer alles Schönen, wo ich es finde. Dem Zufall aber bin ich sehr dankbar,« setzte er verbindlich hinzu, »daß er mich in die Nähe eines Künstlers geführt, welcher vielleicht die Güte hat, mich auf einige Hauptschätze in diesem Ueberfluß von Reichthum aufmerksam zu machen. Bitte,« fügte er hinzu, indem er seinen Katalog darbot, »mir freundlich an betreffenden Stellen ein paar Bleistiftstriche machen zu wollen.«

Ich that das mit großem Vergnügen, und als ich ihm nach einiger Zeit sein Buch zurückgab, dankte er mit herzlichen Worten und durchsah darauf flüchtig die angezeigten Blätter.

»Italienische Landschaften und Genrebilder aus Italien sind nicht so bedeutend vertreten, wie ich gedacht,« sagte er nach einer Pause, ohne die Augen von dem Hefte in seiner Hand zu erheben. »Bei der Masse von Künstlern, die alljährlich nach dem Süden geht, hätte man denken sollen, von dort eine größere Auswahl zu finden.«

»Nun, es fehlt doch gerade nicht daran,« erwiderte ich ihm. »Da sind Landschaften in Dunkelblau und Violett genug vorhanden. Und was das Genre anbelangt, so ist an römischen Landleuten, an Minenten, sowie an Fischern und Fischerinnen durchaus kein Mangel.«

»Ich glaubte das Bild eines Freundes hier zu finden,« sprach der Unbekannte nach einer längeren Pause.

Aha, wir nähern uns! dachte ich, ohne auf seine Bemerkung etwas zu erwidern.

»Darnach suchte ich, bin aber bis jetzt nicht im Stande gewesen, das Bild irgendwo im Buche zu entdecken. Sie waren vorhin so freundlich, mir eine Auskunft ertheilen zu wollen.«

Hier traf mich ein scharfer Blick seiner ausdrucksvollen Augen, dann stockte er, und ich sah, wie er einen tiefen Athemzug that. – »Mit Vergnügen. Darf ich um den Namen ihres Freundes bitten?«

»Auf den Namen werden Sie sich vielleicht nicht erinnern. Aber da Sie die Ausstellung gewiß schon häufig besuchten, so ist ihnen vielleicht ein Bild ausgefallen, welches – da –«

Man sah und hörte, daß es ihm Mühe machte, fortzufahren. Endlich aber nahm er sich zusammen. »Eines jener Bilder, nach dem ich vorhin fragte,« stieß er jetzt rasch hervor, »ein Genrebild aus Italien. Neben einer Brunnenschaale, über welche von allen Seiten das klare Wasser herabquillt, stehen zwei junge Mädchen.«

Er bezeichnete mir ein bekanntes Bild, und um ihm ein Vergnügen zu machen, unterbrach ich ihn rasch, indem ich sagte: »Eines dieser Mädchen hat ein glänzendes Kupfergefäß auf dem Kopfe, welches der Andern, die lachend ihr Haar zurückstreift, als Spiegel zu dienen scheint.«

»Ja, ja, so ist es, so ist es!«

»Rechts vom Brunnen ist eine allerliebste Gruppe von Kindern, ein etwas älteres Mädchen läßt den kleinen Bambino, der neben ihr steht, aus der hohlen Hand Wasser schlürfen.«

»Es ist Ihnen also bekannt?« fragte er mit einer Hast, die mich erkennen ließ, daß es ein sehr, sehr genauer Freund von ihm sein mußte, welcher das Bild gemalt. Nun war ich aber im Stande, ohne ihm im geringsten zu Gefallen zu reden, dies Bild aus vollem Herzen loben zu können. Es wird allen Besuchern der damaligen allgemeinen Kunstausstellung in München unvergeßlich sein, wie es denn auch beständig mit einem Kreise von Bewunderern umgeben war, die hier im hellen glänzenden italienischen Sonnenschein einen Halt zu machen pflegten, ehe sie sich versenkten in die Wald- und Märchenpracht von Moritz von Schwinds sieben Raben, die sich in der anstoßenden Abtheilung befanden.

»Wenn der Maler dieses Bildes Ihr Freund ist,« sagte ich so verbindlich, als ich durch den Ton der Stimme und meine Mienen auszudrücken vermochte, »so bitte ich, ihm mein Kompliment zu machen, er hat da anerkannt ein wunderbares Werk geschaffen.«

»Anerkannt?« fragte der Fremde mit tonloser Stimme, wobei seine Lippen wiederum zuckten, doch nicht auf so unangenehme Art wie früher. »Also hat das Bild gefallen?«

»Erlauben Sie mir,« erwiderte ich eifrig, »gefallen ist hier nicht der rechte Ausdruck. Dies Bild ist eine der kostbarsten Perlen der ganzen Ausstellung. Und um Ihnen mein Wort von vorhin mit voller Wahrheit zu wiederholen: anerkannter Maßen.«

Bei diesen meinen Worten hatte mein Nachbar seine Hände leicht zusammengelegt, ja ich bemerkte mit Erstaunen einen fast schwärmerischen Blick, den er in die Höhe warf. Freilich nur eine Sekunde lang, dann lächelte er so freudig, wie ich lange nicht habe jemand lächeln sehen, legte seine Rechte auf meinen Arm und sagte dann: »Ich habe nicht Worte, Ihnen für die Freundlichkeit, mit der Sie sich über jenes Bild aussprachen, zu danken. Aber beantworten Sie mir noch eine Frage. Hat der Künstler, der es gemalt, einen bekannten, einen geehrten Namen?«

»Es hat damit eine eigene Bewandtniß,« erwiderte ich, und ich bemerkte wohl, wie der Fremde meinen Worten mit der höchsten Spannung folgte. »Sie wissen ebenso gut wie ich, daß unsere Ausstellung eine rein deutsche sein sollte und auch ist, und aus diesem Grunde wohl hat der sehr bekannte Künstler, um sein Bild überhaupt hieher zu bringen, es mit einem angenommenen Namen bezeichnet.«

»Und steht dort nicht der Name Tannhäuser?« fragte er mit tonloser Stimme.

»Allerdings,« versetzte ich. Aber ich erschrack, wie ich ihn anblickte. Die Freude, welche bis jetzt aus den Zügen meines Nachbars geleuchtet, hatte in seinem Antlitze auch jene Harmonie theilweise wieder hergestellt, die ich beim ersten Erblicken desselben vermißte. Kaum aber hatte ich das eben Erzählte gesagt, als es wie ein Blitz über sein Gesicht fuhr und alles auf demselben den Ausdruck einer Erwartung annahm, die überzeugt ist, im nächsten Augenblick etwas Furchtbares hören zu müssen. »Allerdings,« sagte ich nochmals, »aber gerade der Name Tannhäuser ist ein angenommener Name, das fragliche Bild ist bekannter Maßen von Potowski. Leider ein Russe, könnte man hinzusetzen, denn wir wären stolz darauf, ihn einen Deutschen zu nennen.«

»Von – Potowski?« wiederholte mein Nachbar, und den Ton, mit dem er das sagte, werde ich nie vergessen. »Ah, von Potowski?« Dann legte er die rechte Hand an seine Augen und ließ sein Haupt tief auf die Brust herabsinken. So verblieb er lange, ja so lange, daß mir ordentlich ängstlich zu Muth wurde und ich schon im Begriffe war, seine Schulter zu berühren, um ihn vielleicht so zu veranlassen, sich emporzurichten. Aber er that es dann von selbst; er hob den Kopf in die Höhe, er blickte mich mit starren Augen an, und ich sah, daß sein Gesicht mit einer furchtbaren Blässe überzogen war. Dabei versuchte er zu lächeln und sagte mir mit matter Stimme: »Es wird Ihnen seltsam vorkommen, aber es ist vorübergehend. Ich bin heute Morgen bei der starken Hitze etwas zu rasch gegangen. – Also man weiß,« setzte er nach einer Pause hinzu, »daß das Bild, von dem wir vorhin sprachen, von dem russischen Maler Potowski ist?«

»Man vermuthet es allgemein und wohl mit genügendem Grunde. Es ist ganz die frische, kecke Manier des Russen, seine korrekte Zeichnung, sein brillantes, unerreichbares Kolorit.«

»Und wo hält er sich auf? Lebt er in Deutschland?«

»Das weiß ich Ihnen wahrhaftig nicht zu sagen. Er soll gewöhnlich in Moskau sein, hat aber Deutschland bereist, das, bezeugen einige seiner Bilder, die für uns ein so vaterländisches Gepräge haben, als seien sie in Düsseldorf oder hier gemalt. Eigenthümlich dabei ist, daß Potowski, so viel wir von ihm kennen, nie etwas aus dem russischen Leben zum Vorwurf seiner Bilder nahm.«

»Das glaube ich wohl,« murmelte mein Nachbar mit dumpfer Stimme. Dann athmete er tief auf, strich mit der Hand sein Haar aus der Stirne zurück und fragte mich: »Sind hier in München Bilder von Potowski?«

»So viel ich weiß nur eines im Privatbesitz, das Sie aber wahrscheinlich sehen können, wenn es Sie sehr interessirt. Ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, Ihnen eine Erlaubniß dazu zu verschaffen.«

»Und das Bild – das gewisse Bild trägt nicht den Namen Potomski?«

»Nein,« gab ich zur Antwort; »es ist mit dem Namen Tannhäuser, den Sie vorhin nannten, unterzeichnet. Es ist das, wenn Sie wollen, eine Schmuggelei. Doch wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Dem Comité wurde das Bild als die Arbeit eines deutschen Malers eingesandt, und da es am Ende einen Maler Namens Tannhäuser geben kann, – Tannhäuser mit hartem T, denn der Wiener Meister Tannhäuser ist ja leider schon längst gestorben, – ist wohl möglich.«

»Und von jenem Tannhäuser, dessen Name auf dem Bilde steht, hat man sonst nie etwas gehört?«

»Nie,« sagte ich mit voller Wahrheit; »ich wenigstens nicht, und ich bekümmere mich doch so ziemlich um alles, was in Deutschland auf dem Gebiete der Kunst geschieht.«

»Ich danke Ihnen recht sehr,« sprach nun der Fremde zu mir mit einem peinlichen, verbindlich sein sollenden Lächeln, worauf er seinen Katalog aufhob, der ihm entfallen war, seinen Panamahut an sich nahm und etwas mühsam aufstand. Er schien wirklich müde zu sein, oder unter einer furchtbaren Gemüthsbewegung gelitten zu haben. Darauf hin deuteten seine bleichen Lippen, das Erlöschen seiner vorhin noch so lebhaften Blicke, der langsame, schwankende, fast unsichere Gang, mit dem er sich nach einer tiefen Verbeugung entfernte.

Dieser Mann dauerte mich von Herzen, ohne daß ich mir den Grund seines Benehmens enträthseln konnte. Gern hätte ich ihm meine Begleitung angeboten, doch hasse ich jede Spur von Zudringlichkeit, und als solche hätte ihm am Ende mein Anerbieten erscheinen können. Auch war es für mich Zeit, den Kristallpalast zu verlassen. Vorher aber ging ich noch einmal zu meinen lieben sieben Raben und verweilte darnach noch vor den Cartons meines unglücklichen, unvergeßlichen Freundes Alfred Redel, dessen meisterhafte Fresken im Rathhaussaale seiner Vaterstadt Aachen nach diesen Cartons gemalt wahrscheinlich mit jedem Jahrzehnt zu immer größerer Geltung kommen werden und den Namen dessen unsterblich machen, der jetzt als ein armer Geisteskranker in den Alleen des Düsseldorfer Schloßgartens umherirrt, in denselben Alleen, die wir vor Jahren mit frischem Jugendmuthe, heiter, lustig, glücklich durchzogen, – in den Alleen, die heute wie damals in gleicher Frische grünen, während er, der Künstler, der eine große, glänzende Zukunft versprach, vom letzten Hauche eines erlöschenden Daseins wie ein verwelktes Blatt dahin getrieben wird. –

Ein junger, sehr bleicher Mann mit blondem Haar und Bart, elegant gekleidet, schritt an diesem Tage noch längere Zeit durch die hohen Räume des Kristallpalastes. Doch schien er nur für ein einziges Bild Sinn zu haben: Italienerinnen mit zwei kleinen Kindern an einer Brunnenschaale; vor dieses Bild trat er häufig hin, eine Zeit lang im Anschauen versunken, um sich alsdann auf einmal mit raschen Schritten zu entfernen. Doch kam er nicht weiter als bis in die anstoßende Abtheilung, wo er unter der Thüre stehen blieb, nach jenem Bilde hinstarrte und sich dann langsam, wie von demselben mächtig angezogen, wieder näherte. Dann beschaute er es abermals mit dem größten Interesse, beugte sich auch wohl nieder, um den Namen des Künstlers genau zu lesen, und ein paarmal fragte er aufmerksame Beschauer eben dieses Bildes, indem er auf die höflichste Art seinen Hut abnahm, wo dieser Maler Tannhäuser wohl zu erfragen sei.

Zuerst erhielt er von einem Befragten ein Achselzucken zur Antwort und dann sagte ihm ein Anderer: »Es steht da allerdings Tannhäuser, aber es gibt keinen Maler dieses Namens mehr, Dannhäuser ist todt und dieses ist ja mit dem harten T geschrieben. Es ist das eine Mystifikation, eine russische Schmuggelei.«

»Wie so?« fragte der junge Mann mit dem größten Interesse.

»Nun,« gab der Gefragte zur Antwort, »das Bild ist von dem bekannten russischen Maler Potowski, der aus Gott weiß welcher Grille das Bild hier auf dieser allgemeinen deutschen Kunstausstellung haben wollte und ihm deßhalb eine deutsche Firma gab. Sie sehen, unsere Namen sind zu allem zu gebrauchen,« setzte er bitter lachend hinzu.

»Ja – ja – das sehe ich,« erwiderte der Frager, dankte auf's höflichste für die freundliche Auskunft und empfahl sich alsdann mit einer tiefen Verbeugung.

Dieses Spiel hatte er mehrmals wiederholt, es erinnerten sich später Leute zufällig daran, und dann verließ der junge Mann langsamen Schrittes das Ausstellungslokal. Unter der Thüre desselben wandte er sich aber nochmals an den dort befindlichen Beamten und sprach zu ihm auf die verbindlichste und höflichste Art von der Welt: »Könnten Sie mir nicht vielleicht sagen, wo ich den Maler des Bildes Nr. 1004 wohl auffinden könnte?«

Der Beamte schob seine Brille fester an die Augen, sah einen Augenblick in sein Buch und versetzte darauf: »Nr. 1004 – Tannhäuser?«

»Richtig, Herr Maler Tannhäuser. Dürfte ich Sie um seine Adresse bitten?«

»Unmöglich, Tannhäuser existirt gar nicht.«

»Ah! – So? Maler Tannhäuser existirt also nicht?«

»Nein, es ist nur ein pseudonymer Name, das betreffende Bild ist von Potowski gemalt.«

»Von Potowski! – Ich danke Ihnen.«

»Keine Ursache, gern geschehen.«

Der junge Mann mit dem blonden Haar trat nun in das hohe herrliche Vestibül, wo der gewaltige Springbrunnen seine reichen Wassermassen bis an die Glasdecke spritzt und rings umher angenehme Kühle verbreitet. Er starrte lange, lange nachdenklich darauf hin, und wenn man zuweilen sah, wie sich seine Züge plötzlich zu einem Lächeln verzogen, so hätte man glauben können, er finde außerordentliches Wohlgefallen an dem spritzenden, quellenden, murmelnden und rauschenden Wasser. In Wahrheit aber sah er nichts von der Fontaine im Kristallpalast zu München. Vor seinem inneren Auge stand in riesenhaften Dimensionen das Bild Tannhäuser-Potowski's. Das war hier dieselbe Brunnenschaale wie da, und an dieser lehnten dieselben Gestalten, freilich hier etwas gigantisch, in fast erschreckendem Maßstabe. Waren doch die Kinder, die auch daneben standen und von denen der Knabe aus der Hand des Mädchens trank, schon von erschreckender Größe. Was aber das Eigentümlichste war, so still und unbeweglich die Figuren hier auch standen, so vernahm man doch durch das Rauschen und Sprudeln des Springbrunnens hindurch, daß sie mit einander sprachen. Und was sie redeten, erfüllte den Zuhörer mit Entsetzen.

»Der Tannhäuser,« sagte die Eine, »existirt gar nicht.«

»So ist er todt?« fragte die Andere.

»O nein.«

»Also lebt er?«

»Er lebt auch nicht; man hat ihm seinen Namen genommen und so ward er etwas Wesenloses.«

»Wo willst du ihn finden?«

»Nirgends, da er nicht existirt.«

»Ah ja, da er nicht existirt!«

Er mußte sich hastig abwenden, um das gespensterhafte Bild nicht mehr zu sehen, um nicht weiter zu hören. Und doch vernahm man noch, wie jetzt der murmelnde Springbrunnen das Wort nahm und sagte: »Dummes Zeug! Dummes Zeug! Das ist gar nicht der Tannhäuser, nämlich nicht der Potowski-Tannhäuser, sondern jener alte Tannhäuser –

– ein Ritter gut,
Wollt' Lieb' und Lust gewinnen,
Da zog er in den Venusberg,
Blieb sieben Jahre drinnen.«

»Alle tausend Jahre,« so murmelte das geschwätzige Wasser weiter, »darf er einmal auf eine Zeit lang auf die Oberfläche der Erde und den Versuch machen, ob sein Stecken nicht grünen will. Wir wissen das ganz genau. Ich habe es von meiner Großmutter, welche eine uralte Quelle war und da hinten herum im Thüring'schen sehr solide Verbindungen hatte. – Glaubt mir nur, ein Maler Tannhäuser existirt gar nicht, gewiß nicht, gewiß nicht.«

Der junge Mann ging davon, ohne seinen Stock einzulösen, der heute noch in den Händen jenes hübschen Mädchens sein muß, welche am Eingänge saß und für Regenschirme und dergleichen langweilige Utensilien Marken ausgab. Er hätte auch seinen Hut dagelassen, wenn er ihn nicht zufällig auf dem Kopfe gehabt hätte. Er wandelte schwankend wie im Traume, und als er am Ausgange stand, schien er es gar nicht zu sehen, daß eine elegante Equipage, die rechts im Schatten gestanden, rasch vorfuhr und daß ein Bedienter in Livree den Schlag öffnete.

Er stieg die Treppen hinab, starr vor sich hinblickend, umging den Wagen und den Livreebedienten, der ihm im höchsten Erstaunen, mit offenem Munde nachblickte und dann zum Kutscher sagte, während er mit der Hand seine Stirn berührte: »Hast du das gesehen, Andreas? Nun, da ist es mit der klaren Vernunft zu Ende oder ich will selbst ein Esel sein. Was thu' ich? Lauf' ich ihm nach?«

»Wie dir beliebt,« entgegnete der Mann auf dem Bocke. »Ich fahre nach Hause. Hätte den Teufel davon, noch länger hier in der Mittagshitze auszuhalten.«

»Und ich wahrhaftig auch,« meinte lachend der Andere. »Sagen wir, er hätte uns nach Hause geschickt. – Ueberhaupt habe ich das satt.«

»Ich auch, mich soll der Teufel holen!« Damit rollte der Wagen davon.

Der aber, dem diese Reden galten, eilte doch trotz der glühenden Mittagshitze, die er absichtlich aufzusuchen schien, denn wo sich auch in seinem Wege Schatten zeigte, da benutzte er ihn nicht, oder schien ihn gar nicht zu bemerken. Von Zeit zu Zeit murmelte er vor sich hin: »Es ist schrecklich, daß man mir meinen Namen genommen, daß ich, der ein großer Künstler zu sein glaubte, nun gar nicht einmal existire. Und noch schlimmer würde es sein, wenn ich wirklich jener alte Tannhäuser wäre, dem es erlaubt ist, nur alle tausend Jahre für kurze Zeit auf dieser schönen Erde zu wandeln, und wenn ich wieder tief hinab müßte unter die dumpfige Erde, wo man kaum athmen kann, wo es so beklemmend heiß und schwül ist! Nein, nein, nein, nein! Dorthin will ich nicht, ich will in den Wald hinaus, unter den frischen, grünen Bäumen am kühlen Quell ausruhen. – Ah, wie das Wasser erfrischt! und ich kann das brauchen, denn mich dürstet gewaltig. – Ja ausruhen, bis es Abend wird, Abend so schattig und kühl, dann werde ich hinschleichen an das Haus mit der Veranda und versteckt warten, bis sie die leuchtende Lampe auf den Tisch stellt, bis sie mit ihrer lieben Stimme sagt: felicissima notte! – Ein Zauberspruch, dem alle bösen Geister weichen müssen, der mich glücklich machen wird, o so sehr glücklich!

»Aber bis dahin ist es noch weit,« sagte er trotz der Hitze erschauernd, »sehr weit. – Wie dehnt sich vor mir der Weg aus, voll Sonnenglut und Staub. Aber nein, nein, das ist kein Staub mehr, das ist der Dunst und Qualm aus dem Berg. Wehe, wehe, sie haben mich wieder, sie fesseln mich wieder, sie halten mich fest! Leb' wohl, Waldespracht! Leb' wohl, Franceska! – Aber ich will nicht; sie sollen mich nicht mit Gewalt hinabziehen, o nicht mit Gewalt!« bat er flehend. – »Was nützt mich auch die Gewalt? Mit Gewalt kann ich nicht entkommen; ich muß freundlich mit ihr sein, ich muß sie bitten, daß sie mich in Güte ziehen läßt.

»Frau Venus, meine schöne Frau,
Von süßem Wein und Küssen
Ist meine Seele geworden krank;
Ich schmachte nach Bitternissen. –

– – – – – – – – – –

»Frau Venus, meine schöne Frau,
Leb' wohl, mein holdes Leben;
Ich will nicht länger bleiben bei dir,
Du sollst mir Urlaub geben.«


 << zurück weiter >>