Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.
Ein guter Gondolier


Wenn man Venedig mit Bequemlichkeit und Zeitersparniß sehen will, so leistet dazu ein guter und gewandter Gondolier die vortrefflichsten Dienste. Er ist unser Kutscher und Cicerone zu gleicher Zeit. Während er uns nach irgend einem berühmten Bauwerke hinrudert, erzählt er uns von dessen Merkwürdigkeiten und gibt uns die genauesten Anleitungen, was wir in jener Kirche und in jenem Palaste zu sehen haben und was wir füglich überschlagen können. Betrachten wir irgend etwas, was abseits von dem Kanale liegt, wo er seine Gondel angelegt, so wird er nicht von uns verlangen, daß wir den Weg wieder zu ihm zurücklegen sollen; er wird uns ersuchen, gerade aus zu gehen, bis zu dem kleinen rothen Eckpalast dort hinten, den sollen wir uns genau betrachten, er hat diesem oder jenem erlauchten Geschlecht gehört, in seinen Mauern ist diese oder jene schreckliche Geschichte passirt. An seinem Thürklopfer bemerken wir eine Faust: das ist die Hand des Rächers, die damals in stiller Mitternacht durch drei dröhnende Schläge das frevelnde Paar aus dem Schlummer riß.

Also um jenen rothen Palast wenden wir uns links, haben dicht vor uns eine hochgewölbte Brücke, die wir überschreiten und die sich an ein altes, mächtiges Gebäude lehnt, in welchem sich die größte Antiquitätenhandlung des heutigen Venedigs befindet. Nicht die des berühmten N. – Der ist gestorben, und sein gespensterhaftes Haus, in welchem Waffen und Rüstungen aus vielen Jahrhunderten und mit dem Staube von wenigstens einem Jahrhundert beladen, in dem beinahe hohlen Raum seines dreistöckigen Palastes an den Wänden hängen, der nur verkaufte, wenn ihm der Käufer behagte, der aber für den Fremden unendlich lehrreich war, denn er erzählte gern Geschichten und wußte die schauervollsten von jedem Stücke seines Magazins. Wie oft sprach er, wenn er diesen oder jenen Dolch zeigte, von den Opfern, die durch ihn gefallen seien, und berichtete davon mit einer grausigen Umständlichkeit. Doch weiter!

Nachdem wir dieses heutige großartige Antiquitäten-Magazin beschaut, finden wir unsern Gondolier vor der breiten Steintreppe des Hauses. Er wird, wenn wir ohne Verdeck fahren, stets bereit sein, einen fragenden Blick zu beantworten. – Dort schießt uns eine Gondel entgegen; in ihren Atlaßkissen ruht eine Dame, durch das Fenster ihres Verdeckes entdecken wir ein glänzendes Augenpaar, vielleicht einen Mund, der freundlich lächelt. Wir schauen fragend auf unsern Gondolier; er zuckt mit den Achseln, oder er stemmt seine Ruder nach einem kräftigen Schlage ins Wasser, fest an die Seite des Schiffchens, welches nun plötzlich herumfliegt und dann nach jener Richtung hinschießt, welche die andere Gondel genommen. Aber alle jene kleinen Fahrzeuge sehen sich ähnlich wie ein Ei dem andern; alle sind gleich schwarz, alle ohne jedes Abzeichen. Und doch findet der gewandte Gondolier aus hunderten, die neben und vor ihm fahren, die, welche er einmal ins Auge gefaßt hat, wieder heraus; er erkennt sie an einem eigenthümlichen Schaufeln oder sonst an der Art, wie sie dahin schwimmt, vielleicht an ihrem neueren oder älteren Ueberzug, an irgend einer Quaste, die fuchsig geworden ist, natürlich auch häufig am Gondolier selbst, an besten Kleidung und Livree. Will sich die vorausgeruderte Gondel einholen lassen, so ist die Arbeit unseres Gondoliers nicht so schwer, will sie aber entwischen, so muß er gehörig aufpassen, muß Hand und Auge mit dem größten Geschick, mit voller Kraft in Thätigkeit setzen.

Der Commissionär, der das Haus am Canal grande für die fremde Herrschaft gemiethet, hatte nicht zu viel gesagt, als er die Geschicklichkeit der beiden Gondoliere mit den größten Lobeserhebungen gepriesen. Denn jeder der Beiden war in seiner Art vortrefflich, und Herr Potowski, welcher etwas einsilbig war und überhaupt nicht viel sprach, war mit Paolo über alle Maßen zufrieden. Wenn der Herr zu bestimmten Tagesstunden in die Gondel stieg, namentlich wenn er ein Zeichenheft unter dem Arme trug, so wußte jener schon, wohin er zu fahren hatte. Schien die Excellenza einmal ausnahmsweise gut gelaunt, summte ein Lied vor sich hin und blickte, nachdem er eingestiegen, grüßend zu den Fenstern empor, so führte Paolo die Gondel, wenn kein besonderer Befehl erfolgte, nach einem der prachtvollen und berühmten Gebäude Venedigs und wählte gewöhnlich einen Standort, von wo sich das Bauwerk besonders malerisch ausnahm, oder wo ein Sonnenblick die scharfen, wunderbaren und so eigensinnige Schlagschatten warf, wie man sie nur hier in dieser seltsamen Stadt sieht. Warf sich aber Herr Potowski verdrießlich in die Kissen seiner Gondel, blickte mürrisch vor sich nieder, warf die kaum angebrannte Havannacigarre heftig von sich ins Wasser und setzte sich alsdann mit übergeschlagenen Armen zurecht, so bog Paolo aus dem Canal grande alsbald in einen der Nebencanäle, verlor sich langsam rudernd in ein Labyrinth von schmalen Wasserstraßen, thurmhohen, finstern Häusern, umkreiste einen der im Verfall seiner Häuser so öde und unheimlich aussehenden Plätze in der Nähe des Ghetto und ließ bei der Sacca della Misericordia die Häusermassen hinter sich, um dann langsam am Fondamente nouve hinrudernd seinem Herrn den Blick zu gönnen auf die weiten stillen Flächen der sonnbeglänzten Lagunen, bis dieser aus dumpfem Hinbrüten erwachend ein Zeichen zur Rückkehr gab, – Morgen – übermorgen! –

Gegenüber der kleinen prachtvollen Marmorkirche der Chiera bei Miracoli, deren Wände von weißem Marmor mit den herrlichsten Skulpturen bedeckt sind, hatte Paolo eines Tages angelegt, und Herr Potowski betrachtete bewundernd die zierlich verschlungenen Gewinde von Blumen und Vögeln, womit Fenster- und Thüreinfassungen bedeckt sind, als er auf einmal rasch emporfuhr, hastig dem Gondolier etwas zeigte und eine Frage aussprach.

Paolo nickte mit dem Kopfe und sagte: »Si signore, ich habe ihn wohl bemerkt, und heute nicht zum erstenmale; er zeichnet bald hier, bald dort«

»Derselbe kleine Mann, der dort vor uns um die Kirche verschwand?«

»Derselbe sehr kleine! Si signore, es ist ein Deutscher.«

»So laß mich aussteigen, ich muß ihm nach.«

»Er war ja auf der andern Seite des Canals. Ehe Sie diesseits aussteigend die zwei Brücken passirt haben, ist er lange verschwunden. Ich will sehen, ob ich ihn wieder in Sicht bekomme.« Damit stieß die Gondel rasch vom Ufer und flog unter einem gewaltigen Druck des Ruders über das Wasser hin. Jetzt bog Paolo scharf um eine Ecke rechts, dann schoß das schlanke Fahrzeug unter einer schmalen Brücke dahin, worauf Paolo triumphirend rief: »Ecco, Signore!«

Richtig, dort war der kleine Mann wieder. Statt aber daß Potowski dem auffordernden Blick seines Gondoliers folgend, sogleich ans Ufer gesprungen wäre, schien er unschlüssig zu sein, erhob sich langsam von seinem Sitze, und als er nun auf die Steinstufen springen wollte, war der Andere schon wieder um die nächste Ecke verschwunden.

»Das ist nicht meine Schuld,« sagte lachend der Gondolier. »Aber laßt Euch nur nieder, Excellenza, wir holen ihn wieder ein. Es würde auch in diesen engen Gassen zuviel Aufsehen machen, wenn Ihr da hinter drein rennen wolltet.«

Damit schoß die Gondel abermals dahin, bald rechts, bald links um die Ecken, hier bei andern Gondeln so haarscharf vorüber, daß kaum ein Blatt Papier Platz zwischen Beiden gehabt hätte, umkreiste dort in einem weiten Bogen ein größeres Fahrzeug, flog unter Brücken und Uebergängen dahin und hatte bald den kleinen Mann wieder vor sich, der eine Mappe unter dem Arme trug. Doch schien kein Glück bei dieser Jagd zu sein, wo man ihn hätte erreichen können, waren die Canalmauern zu hoch, oder es lagen dort eine Menge Gondeln, die eine Landung nur langsam vor sich gehen ließen.

Paolo hielt sein Ruder dicht an Bord der Gondel, ließ sie anhalten und sagte zu seinem Herrn: »wenn es Ihnen gleichgültig ist, ob wir den da hier oder anderswo abfassen, wenn er nur aufgefunden wird, so wollen wir ihn in kurzer Zeit haben. Lassen wir ihn seiner Wege ziehen und legen uns vor seine Wohnung hin. Wenn es Ihnen nämlich so gefällig ist, Herr.«

»So weißt du, wo er wohnt?«

»Ich kann es mir denken.« Damit wandte er auf einen zustimmenden Blick die Gondel wieder und ruderte einen Theil des Weges dahin zurück, woher er gekommen, bog dann rechts ab und war in kurzer Zeit in einem jener kleinen und stillen Canäle, die wie ein Symbol der Melancholie erscheinen, die umstanden von unendlich hohen Häusern ihr trübgefärbtes Wasser beständig in tiefem Schatten zeigen, wo die Mauern der fünfstöckigen Häuser schwärzlichgrau, einförmig und düster sind und wo man sich ordentlich freut am Anblick flatternder buntfarbiger Wäsche oder an irgend einem grünen Geranienbusch, der aber wegen Mangel an Sonnenlicht nur verkümmerte Blumen zu treiben im Stande ist.

»Sehen Sie dort, Herr,« sagte Paolo, »die schwarze Thür mit dem schweren eisernen Klopfer? Dort wohnt er.«

»Und wird er schon da sein?«

»O nein,« erwiderte der Gondolier kopfschüttelnd. »Wenn er nach Hause geht, macht er es wie alle diese Künstler und hält eine Zeit lang am Dogenpalast. Excellenza thun das ja auch, und es ist wahrlich der Mühe werth. Excellenza sind viel gereist, werden mir aber zugeben müssen, daß es in der ganzen Welt kein so prachtvolles Bauwesen mehr gibt als der Palazzo Ducale.«

»So eigenthümlich und malerisch gewiß nicht, und es ist wahr, es zieht uns immer wieder dahin.«

»Den wir aber suchen, Herr, kann sich diesmal nicht gar zu lange dort aufgehalten haben, denn da kommt er schon.«

»Wo? – Ah, er ist's!« –

Und es war in der That der kleine Maler Wulf, der eine Mappe unter dem Arm, mit etwas fuchsig gewordenem Calabreser auf dem Kopfe, aufrechten Hauptes mit einem Ausdruck von Selbstgefühl und Stolz einherschritt, als wenn er gerechte Anwartschaft auf ein nicht unbedeutendes Stück dieser ehemaligen Republik in sich fühle. Jetzt aber hemmte er mit einemmale in die Höhe blickend seinen Schritt, lehnte sich an einen der Steine, die am Ufer des Kanales standen, und fing rasch an etwas in seine Mappe zu zeichnen.

Der Herr in der Gondel, welcher ihn aufmerksam betrachtete, blickte ebenfalls in die Höhe und mußte lächeln, denn dort hoch oben an dem Dache einer der Paläste, der über die niedrigen Hinterhäuser hervorragte, sah man zwei Katzen auf so komische Art mit einer Dachrinne beschäftigt, daß man es wohl der Mühe werth finden konnte, ein leichtes Croqui von ihnen zu machen. Dies war denn auch in wenigen Minuten beendigt, worauf der kleine Maler sein Buch zuschlug, leicht an seinem Hut rückte, dann seinen Weg wieder aufnahm, worauf er nach wenigen Sekunden hinter der dunklen Hausthür mit dem großen eisernen Klopfer verschwunden war.

Jetzt verließ auch der Andere seine Gondel, gab Paolo Befehl dort zu halten, und ließ den Thürklopfer auf die eiserne Platte darunter niederfallen. Augenblicklich wurde von einer etwas zerzaust und schmierig aussehenden Frau geöffnet, welche auf die Frage, ob der Herr Maler Wulf zu Hause sei, mit einem sehr geläufigen »Si Signore« antwortete, nach der Treppe hinwies und dann in den dunklen, geheimnißvollen Räumen der anstoßenden Küche verschwand. Von dorther schallte aber gleich darauf noch einmal ihre Stimme, welche den fragenden orientirte, daß Herr Wulf zwei Treppen hoch wohne.

Dem Andern war es etwas seltsam zu Muth, als er die feuchten Stufen hinan schritt, als er ringsumher an den zerkratzten Wänden, dem wackeligen Geländer, der schmutzigen Treppe, den Staub- und Kehrichthaufen überall ebenso viele Zeichen der Dürftigkeit sah und aus dieser Umgebung entnehmen zu können glaubte, daß sein Freund, der kleine Thiermaler, welcher hier lebte, sich in nicht besonders glücklichen Verhältnissen befände. Das that dem Tannhäuser um so weher, als er sich selbst, durch sein bisheriges Leben verwöhnt, wohl sagen mußte, er würde sich sehr unglücklich fühlen, wenn ihm jetzt auf einmal der Comfort mangle, der das Leben nicht nur verschönert, sondern oft allein genießbar macht. Dabei fühlte er sich tief bewegt, indem er so lebhaft wie lange nicht der vergangenen Zeiten dachte.

Jetzt stand er im zweiten Stockwerk vor einer Thür, die nur angelehnt war und hinter welcher ein deutsches Lied gesungen wurde. Er war nicht fehl gegangen. – Auf sein Anklopfen erfolgte ein lautes Herein! und als Tannhäuser darauf hastig ins Zimmer trat, stand er dicht vor seinem Freund und ehemaligen Stubengenossen, der in höchster Ueberraschung und mit einem Ausdrucke, als sehe er etwas Gespensterhaftes, ein paar Schritte zurückwich. Auch flog ein ernster, fast feindseliger Ausdruck über seine Züge, wozu er den Arm erhob, als wollte er dem Andern, der rasch auf ihn zutretend ihm beide Hände auf die Schultern legte, von sich abwehren.

»So sehen wir uns endlich wieder!« sagte der Tannhäuser.

Worauf Wulf nach einer längeren Pause zur Antwort gab: »Wir sehen uns allerdings wieder, und darin finde ich gerade nicht viel Sonderbares und Merkwürdiges.«

»Aber daß wir uns wieder sehen, muß dich doch auch freuen, daß wir uns so wieder finden.«

»Finden wir uns vielleicht anders wieder, als wir erwartet?« fragte Wulf mit seinem bekannten scharfen Lächeln. »Was mich anbetrifft, so bin ich mir ziemlich gleich geblieben. Schau her, dieses Röckchen wirst du noch kennen; auch hier mein altes Uhrband, und den Calabreser haben wir, glaube ich, damals zusammen gekauft. – Was das sich gleich Bleiben anbelangt, so spreche ich hier nur vom Aeußern, denn auf's Innere läß'st du dich doch begreiflicher Weise nicht ein.«

Der Tannhäuser versuchte zu lächeln, aber es war ein schmerzliches Lächeln, welches er hervorbrachte. »Ich sehe doch,« sprach er, »daß sich auch dein Inneres nicht geändert hat; immer zu bitteren Worten und Spott bereit, nur um dein gutes, treues Herz nicht regieren zu lassen. Gib mir die Hand, Wulf. – Ich – ich habe mich in meinem Innern sehr verändert.«

»Nicht bloß in deinem Innern,« erwiderte der kleine Maler, nachdem er seinen Freund mit einem langen Blicke betrachtet. »Auch dein Aeußeres; wenn gleich schon damals dein Gesicht aussah wie das eines jungen Prinzen, der sich vergebliche Mühe gibt, ordinär bürgerlich auszuschauen, so ist doch jetzt auch dein Aeußeres vollkommen fürstlich geworden – russisch fürstlich. Denn ich spüre etwas vom Geruch der Juchten.«

Der Tannhäuser hatte sich auf einen der kleinen gebrechlichen Stühle gesetzt, der dicht neben dem Bette stand, und während er sich auf dieses mit dem Oberkörper legte, sagte er: »Glücklicherweise ist es mir noch erinnerlich, wie man es bei dir machen muß, um nach einiger Zeit endlich Ruhe zu bekommen. Man läßt dich austoben, und dann wirst du wieder ein angenehmer brauchbarer Kerl. Also lege los.«

»Wenn ich das und alles sagen wollte, was ich mit Recht gegen dich auf dem Herzen habe, so würde es dir doch vielleicht zu lange dauern. Auch will ich dich schonen,« setzte er hinzu, nachdem er einen scharfen, prüfenden Blick auf das Gesicht des andern geworfen.

»Worin willst du mich schonen?« fragte dieser, indem er sich aus seiner liegenden Stellung rasch erhob. Er dachte an Franceska, und es zog schmerzlich durch seine Seele; auch trat der Name des Mädchens leise und scheu auf seine Lippen.

Doch schüttelte Wulf die Hand gegen ihn und sagte mit kaum vernehmlicher Stimme: »Nenne sie nicht; über sie will ich nicht sprechen; in dir selbst will ich dich schonen, denn,« setzte er darauf mit einem sarkastischen Lächeln hinzu, »ich sehe an deinem noch immer ziemlich glatten Gesichte doch schon die unverkennbaren Spuren manchen Leides, manches harten Augenblicks.«

»Ja, ja,« sprach der Tannhäuser vor sich niederblickend.

»Du zuckst so seltsam mit den Lippen, wie du früher nicht thatest. Um deine Augen ist ein Zug, mein Richard, der mir gar nicht gefallen will. – Apropos, du hältst doch noch immer Haus bei der Frau Venus?«

Der Andere zuckte mit den Achseln. »Wie schon gesagt,« warf er leicht hin, man muß dich austoben lassen. Aber mach' es kurz und gnädig.«

»Der edle Tannhäuser, ein Ritter gut,
Wollt' Lieb und Lust gewinnen,
Da zog er in den Venusberg,
Blieb sieben Jahre drinnen,«

recitirte der kleine Maler und fuhr alsdann fort: »Es sind aber noch lange keine sieben Jahre; also wird es noch eine Weile dauern, bis du dir von der schönen Frau Urlaub geben läßst, um darauf nach Rom zu pilgern. – Es wäre aber doch seltsam,« meinte er nach einem momentanen nachdenklichen Stillschweigen, »wenn du auf diese Art den ganzen Tannhäuser aufführtest, wenn du wirklich nach der heiligen Stadt kämest als ein Pilger, bleich und wüst.«

»Und warum sollte ich nicht dorthin kommen? Es liegt ja in meiner Macht! Wenn ich morgen sage: ich will reisen, so reise ich.«

»Aber nicht nach Rom.«

»Warum nicht?«

»Frau Venus wird nicht wollen; ihr graut vor der ewigen Stadt, und weil sie weiß, daß –«

»Daß – ?« fragte der Tannhäuser in großer Spannung. »Daß Franceska dort ist?«

Der Thiermaler fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, dann sprach er: »Da du mich doch an alte Zeiten erinnerst, so muß ich dir sagen, daß der kleine Joco gestorben ist, weißt du, mein guter kleiner Aff', den wir alle so lieb hatten. Wir alle. Es war eigenthümlich und ganz närrisch von dem Thier, als sie – zum letztenmal im Atelier war und mit Joco spielte, ließ sie ein kleines Halstuch zurück, welches das Thier von da nicht mehr herausgeben wollte und welches es bei sich behalten hat bis an sein seliges Ende. Nun behaupte Einer noch, daß so ein Affe nicht Menschenverstand habe!«

»Und?« fragte Tannhäuser.

Doch unterbrach ihn der Andere rasch, indem er sagte: »Nach unserem Atelier willst du fragen. Das habe ich damals bestens an Becker und Krauß vermiethet. Die treiben dort jetzt Landschafterei.«

»Und – ?«

»Deine Bücher und Skizzen meinst du? Ja, die habe ich alle in eine Kiste zusammen gepackt und für dich dort deponirt. Du kannst sie in Empfang nehmen, wenn du wieder einmal dorthin kommst.«

»Ich danke dir. – Aber –«

»Lass' mich, ich weiß, was du meinst, die kupferne Lampe, die unter der Veranda brannte. Ja, die habe ich als mein Eigenthum behalten und sie Becker und Krauß auf ihre landschaftlichen Seelen gebunden. Sie ist mein Eigenthum und ich glaube sie noch einmal unversehrt wieder zu finden.«

»Das glaubst du?«

»Gewiß, und noch mehr,« gab der kleine Maler mit seltsam bewegter Stimme zur Antwort. »Ich hoffe immer, sie soll uns später noch einmal leuchten.«

»Das hoffst du?«

»Das hoffe ich. Und es ist mir gerade, als wenn ich voraus wüßte, daß es so kommen wird, daß die Augen, die lieben, lieben Augen, welche damals so froh und heiter in die leuchtende Flamme blickten, auch später noch einmal hineinschauen werden.«

»Und du?«

»O ich werde dabei sein.«

»Und ich?«

»Du,« antwortete Wulf, indem er seinen Freund mit einem starren Blicke ansah, »du wirst auch nicht fehlen.« Damit wandte er sich plötzlich um, trat ans Fenster und sagte darauf nach einer längeren Pause mit gänzlich verändertem Tone: »Aber nun sage, wie es dir hier bei uns gefällt.«

Der Tannhäuser, welcher seinen Freund kannte, wollte für jetzt keinen Versuch machen, das so plötzlich abgebrochene Gespräch wieder anzuknüpfen. Er sagte deßhalb: »In Venedig ist es überall schön; ich wünschte dir nur ein bischen mehr Aussicht.«

»Die habe ich draußen auf der Piazetta. Aber hier ist ein gutes Licht zum Malen.«

»Und du bist fleißig? Laß mich deine Skizzenbücher sehen.«

Bereitwillig rückte Wulf einen Stuhl an den Tisch und legte sein Skizzenbuch, sowie eine große Mappe darauf.

Der Tannhäuser sah alles ruhig und prüfend durch, er nickte häufig mit dem Kopfe und man bemerkte an seiner Miene, sowie an Blicken, die er zuweilen auf den Freund warf, daß er nicht nur befriedigt, sondern erstaunt war. Er durchblätterte aufmerksam das Skizzenbuch, dann die Mappe, worin sauber ausgeführte Aquarelle lagen.

»Du hast dich ja ganz geändert,« sagte er nach einer Pause. »Du bist ein immenser Kerl geworden.«

»Das kann man von dir leider nicht sagen,« gab Wulf mit einem fast betrübten Blick zur Antwort.

»Auch sehe ich keinen einzigen Affenschwanz,« fuhr Tannhäuser fort, der die Bemerkung Wulf's überhört zu haben schien.

»Sowie ich Joco dahin geben mußte, habe ich alle Lust verloren, Affenschwänze zu malen. Aber du siehst wenigstens, daß ich mein Pfund nicht vergraben. Gut,« fuhr er in sehr ernstem Tone fort: »Wir wollen deine Vergangenheit in gewisser Beziehung nicht untersuchen. Aber der Funke Freundschaft, den ich für dich noch im Herzen habe, läßt mich meine Hände zusammenschlagen und ausrufen: Mensch, was hast du mit deinem großen Talente angefangen? Ist das alles bei der Frau Venus zu Grunde gegangen?«

Tannhäuser schüttelte lächelnd mit dem Kopfe, dann sagte er: »Sei unbesorgt, während ich dir und auch den meisten Andern erschien versunken in Nichtsthun und Wohlleben, habe ich gearbeitet und gelernt, und du würdest nicht rninder erstaunt sein, wie ich beim Betrachten deines Skizzenbuches und deiner Aquarelle, wenn du meine Bilder sähest.«

»Aber ich sehe sie nicht,« versetzte der kleine Maler in bestimmtem Tone, »ich habe sie nicht gesehen und niemand hat sie gesehen. – Du weißt, Richard,« fuhr er im alten vertraulichen Tone fort, »wie gut ich es stets mit dir gemeint habe, daß ich dein großes Talent erkannt, wie niemand; du weißt ferner, daß ich Verstand und Einsicht genug habe, um mich richtig zu klassificiren. Woher kommt es denn aber, daß der Name Wulf, wenn auch einen kleinen doch guten Klang hat, daß aber niemand den Namen Tannhäuser kennt?«

»Das ist vielleicht richtig,« gab dieser hastig zur Antwort; »es ist mir das selbst schon schmerzlich und unangenehm aufgefallen. Doch kannst du nur von Deutschland sprechen; dort bin ich leider freilich wenig bekannt; meine Bilder sind meistens nach Amerika, nach England, nach Rußland.«

»Du sprichst zu mir die Wahrheit, gewiß Richard?« fragte dringend der kleine Maler. Und dann setzte er im Tone des Zweifels hinzu: »Du hast also wirklich Bilder gemalt?«

»Nicht nur gemalt, sondern auch zu enormen Preisen verkauft. Ich will dich überzeugen, so gut ich kann. Da lies.« Er zog seine Schreibtafel heraus, nahm aus derselben einen Brief, den er damals von dem Kunsthändler in B. erhalten, den er oft durchlas, den er wie ein Heiligthum mit sich herumtrug.

Wulf schaute lang und nachdenklich in den Brief, dann schüttelte er den Kopf und sprach: »Und das Bild des sogenannten Anfängers war von dir? Zu welchem Zweck aber spieltest du diese Komödie?«

»Einfach deßhalb, weil ich Bilder malte, mit denen ich nicht ganz unzufrieden war, die von Andern für vortrefflich gehalten wurden, die man mir gut bezahlte, die aber, wie schon gesagt, nach Amerika, England, Rußland gingen, um nicht nur spurlos zu verschwinden, sondern auch meinen Namen, wenigstens in Deutschland, ganz ungekannt zu lassen.«

»Ah so!«

»Ich hatte einen Verdacht,« fuhr der Tannhäuser finster fort, »der mich Tage lang wie wahnsinnig umher trieb. Konnte sie mit ihrem Gelde nicht meine Bilder aufkaufen, mir vergnügte Augenblicke dadurch machen wollen, daß meine vielleicht stümperhaften Arbeiten enorm bezahlt wurden? – Es war ein Gedanke, der mich beinahe der Verzweiflung nahe brachte.«

»Ach, ich verstehe! Und deßhalb maltest du ein Bild und schriebst einen beliebigen Namen darunter?«

»Keinen Namen, nur ein P.«

»Richtig. Darauf bezieht sich auch die Stelle in diesem Briefe, wo der Kunsthändler sagt, du sollest künftig deinen Namen ausschreiben. Hattest du denn früher dein »Tannhäuser« nicht deutlich hingemalt?«

»Versteht sich.«

Der kleine Maler zuckte mit den Achseln. »Bei alledem ist es doch sonderbar,« sagte er, »daß dein Name nicht bekannter geworden. Ich will sogar annehmen, nicht ein einziges deiner Bilder sei in Deutschland geblieben, was an sich schon beinahe unmöglich ist, so bleibt es doch immer unbegreiflich, daß von England oder von Rußland wenigstens dein Name nicht häufig genannt wurde. – Sage mir doch,« fragte er nach einer Pause plötzlich, »hast du nie etwas von den Arbeiten eines russischen Malers Potowski gesehen?«

»Potowski – ?« versetzte Tannhäuser und es flog ein Schatten über seine Züge. »O ja, dieser Name wurde schon einmal vor mir genannt und gerade damals, als ich jenes Bild ohne meinen Namen weggab. Der Bekannte, welcher es mir vermittelte, sagte mir nämlich, meine Arbeiten hätten eine große Aehnlichkeit mit denen des russischen Malers Potowski. Aber gesehen habe ich nie etwas von diesem. Sind dir Bilder von ihm bekannt?«

»Nur ein einziges, eine leichte Skizze, und zwar sah ich solches bei dem Kunsthändler B. in München, vor nicht langer Zeit. Nun fiel mir beim Betrachten derselben unwillkürlich deine Art zu malen ein. Es war deine Färbung, dein Pinselstrich, wie mir das von damals her noch in Erinnerung war. – Nimm mir nicht übel, daß ich eine harte Bemerkung mache, aber wenn du fleißig gewesen wärest, müßtest du malen wie dieser Potowski, dessen Arbeiten, wie man mir in München sagte, horrend bezahlt werden.«

»Ich versichere dich, ich bin fleißig gewesen,« erwiderte der Andere, »sehr fleißig.« Er lehnte sich mit einem trüben Lächeln neben die Fensteröffnung und blickte an der dunkeln Mauer des Hofes empor. »Wahrhaftig, ich habe seit der Zeit viel gemalt, und daß dies nicht ohne Geschick geschehen ist, beweist dir vielleicht der Ausspruch jenes Kunstkenners, daß das Bild des Anfängers, das heißt mein Bild, wie von Potowski gemalt sei.«

Der kleine Maler zuckte die Achseln, dann fuhr er sich mit seiner rechten Hand in sein dichtes Haar, als wolle er sich selbst ein wenig zausen, und bemerkte alsdann mit großer Lebhaftigkeit: »Ich bin überzeugt, daß du mir die Wahrheit sagst, denn was könnte es dich nützen, mich hinter's Licht zu führen! Aber etwas Räthselhaftes ist daran, das ist nicht zu läugnen. Wer besorgte denn gewöhnlich den Verkauf deiner Bilder?«

»Nun, dieser oder jener Unterhändler,« erwiderte Tannhäuser gleichgültig; »Leute, die ich meistens gar nicht kannte; sie hatten Aufträge von hier und da, und – siehst du, Wulf, daß sich nie oder höchst selten ein Liebhaber meiner Bilder bei mir persönlich einfand, das gab mir oft zu denken und brachte mich auch auf die Idee, jenen Versuch zu machen.«

»Und was dachtest du eigentlich?«

»Ich dachte mir, meine Arbeiten seien schlecht und würden von ihr aufgekauft, um mich zu ermuthigen.«

Der Andere lachte mit geringschätzender Miene; er wiegte seinen Kopf hin und her und sagte: »Falsch gedacht, grundfalsch. Verzeihe mir, wenn ich offen rede, aber in dem Verhältniß muß ihr alles daran gelegen sein, dich fest in der Hand zu behalten. Und das wäre ja für sie viel leichter, wenn du ein unbedeutender Künstler wärest, ein Stümper, Einer, der alle Ursache hat, die Hand dankbar zu küssen, die ihm sein Futter gibt – das weiß ich ganz genau, und deßhalb wird es einer Frau in den Verhältnissen nie einfallen, um dein Haupt einen künstlerischen Nimbus zu ziehen. Im Gegentheil; ich würde ihr eher zutrauen, daß sie alles aufböte, dich deines Glanzes als Künstler zu entkleiden, um desto sicherer den einfachen – schönen Menschen zu behalten.«

»Du wirst mich doch besuchen?« unterbrach Tannhäuser das Gespräch, nachdem er einige Augenblicke tief nachsinnend zum Fenster hinausgeblickt und dazu an seinen Nägeln gekaut hatte. »Canal grande, Palazzo Pesaro. – Ich werde für dich immer zu Hause sein.«

»Nein, nein,« erwiderte lachend der kleine Maler, »du wohnst mir zu vornehm, und ich wüßte mich gar nicht zu benehmen, wenn dein Kammerdiener oder sonst irgend jemand mir sagte: Bitte einen Augenblick zu warten, ich will sehen, ob Seine Excellenz zu Hause ist. Ich glaube, ich lachte ihm ins Gesicht und eilte davon.«

»Eigentlich hast du recht,« sprach der Andere mit düsterer Miene. »Wo hast du dein Atelier? Wo malst du?«

»Mein Atelier?« fragte Wulf verwundert. »Nun,« fuhr er gleich darauf heiter fort, »ich habe eigentlich das prachtvollste Atelier, dessen sich nur ein Mensch rühmen kann. Ist doch das ganze Venedig meine Werkstatt. Ich sage dir, da habe ich ein wunderbares Licht und Modelle von allen Sorten. Apropos und Scherz bei Seite, weißt du im letzteren Genre hier nichts ausgezeichnetes? Ich bin beauftragt, das Portal der Chiesa dei Miracoli zu malen mit einer Figur – siehst du, so groß – er wies das Maß mit den beiden Zeigefingern – und das kann ich nicht ohne Vorbild machen. Weißt du mir niemand Famoses dazu?«

»Nein,« sagte Tannhäuser kurz. Doch setzte er nach einem augenblicklichen Stillschweigen hinzu: »Ich will dir die Figur malen, wenn es dir recht ist. Aber wo? Hier ist der Reflex von der dunklen Mauer dort gar zu störend. Wäre im Hause nicht noch ein anderes Zimmer zu bekommen?«

»Ich glaube ja, nebenan ist gestern eines frei geworden, wo ein Franzose tüchtige Architekturbilder gemalt. Wenn dem das Licht gut genug war, wird es am Ende auch für uns sein.«

»Gut denn, überzeuge dich davon, ob das Gemach brauchbar ist, und ich werde zahlen, was verlangt wird.«

»Es wird hier wohlfeiler sein als am Canal grande, im Palazzo Pozarro.«

»Pesaro!« verbesserte der Tannhäuser. Dann fuhr er mit der Hand über die Augen und sagte: »Ich versichere dich, Wulf, die Idee mit dir wieder zusammen zu malen, kann mich ganz glücklich machen. Wenn ich da an vergangene Zeiten denke, wo auch –«

»Der kleine Joco da war,« unterbrach ihn hastig der Andere. »Ja, das war eine famose, lustige Zeit, und auch ich werde mich freuen, dich wieder malen zu sehen. Bin ich doch begierig, ob du wirklich etwas profitirt hast.«

Der Tannhäuser hatte über etwas nachgedacht, etwas überlegt und sprach nun: »Thu mir den Gefallen und laß mir eine Leinwand zurecht machen, so vier Fuß lang und zwei ein halb Fuß hoch. Farben und sonstige Geschichten schicke ich durch eine vertraute Person.«

»Aha,« meinte Wulf mit einem pfiffigen Lächeln, »wir werden also nicht wissen, daß wir auswärts malen.«

»Ich habe meinen guten Grund dazu und werde ihn dir später mittheilen.«

Es geschah denn auch so, wie die beiden Freunde abgeredet. Der Tirolese gab das größere Zimmer, welches ein gutes Licht hatte, bereitwillig her, doch machte er dabei einen Preis, der unverhältnißmäßig höher war als der, welchen Wulf zahlte. Eigentlich sollte man sagen: verhältnißmäßig höher, denn er stand im Verhältniß zu dem neuen Miether, und wer dieser neue Miether war, das hatte der pfiffige Tiroler alsbald aus der Gegenwart des Gondoliers Paolo gesehen, den er kannte und von dem er wußte, daß er bei einer reichen russischen Herrschaft diente.

Da saßen die beiden Freunde denn nun wieder beisammen, der Tannhäuser hatte seinen Rock abgeworfen und malte in Hemdärmeln an seinem Bilde. Dazu hatte er lächelnd den fuchsigen Calabreser seines Freundes aufgesetzt und fühlte sich heiter und froh wie lange nicht mehr. Täglich leerte er die gefüllte Cigarrendose voll der vortrefflichsten Havanna auf den Tisch des kleinen Malers aus und rauchte dafür dessen Rattenschwänze, die dieser in einem obscuren Tabakladen für 8 Centesimi das Stück gekauft. Auch frühstückten sie häufig miteinander eine Flasche gewöhnlichen Weins, einige Schnitten Salami und etwas Käse, und dazu brachte der Tannhäuser einen fast unglaublichen Hunger mit.

Daß Wulf auf die Arbeit seines Freundes außerordentlich gespannt war, brauchen wir wohl nicht zu sagen. Er hatte seine Staffelei so aufgestellt, daß er neben derselben vorbei auf das Bild Tannhäusers blicken konnte, und brachte mehr Zeit damit zu, dorthin zu sehen, als auf seine eigene Leinwand. Tannhäuser hatte eine sehr flüchtige Skizze auf Papier entworfen, deren Composition aber seinem Freunde außerordentlich gefiel. Neben einer Brunnenschaale, über welche von allen Seiten das klare Wasser herabquillt, stehen zwei junge Mädchen, von welchen die Eine ein glänzendes Gefäß auf dem Kopfe trägt, in welchem sich die Andere lachend zu betrachten scheint. Rechts davon befindet sich eine Gruppe Kinder: ein Mädchen von vielleicht sieben Jahren läßt ihren kleinen Bruder aus der hohlen Hand trinken.

Die Composition hatte dem kleinen Maler, wie gesagt, außerordentlich gefallen, und als jetzt der Andere anfing in leichten, aber doch kräftigen Strichen auf die Leinwand zu zeichnen, dann an einzelnen Stellen ebauchirte, gewandt, wie spielend, ohne sich große Mühe zu geben, dabei beständig plaudernd und doch wieder keinen Pinselstrich umsonst machend, und wie das Ganze in kurzer Zeit so wunderbar herrlich, so frisch und wahr auf der Leinwand hervortrat, da betrachtete der kleine Maler öfter seinen Freund, hinter diesem stehend, kopfschüttelnd von oben bis unten und ging dann meistens schweigend und nachdenklich an seine eigene Arbeit.

»Wenn dir was nicht gefällt, so sag's frei heraus,« meinte mehrmals der Tannhäuser. »Du siehst, ich male hier ohne das Modell vor mir zu haben und muß mich mit flüchtigen Studien behelfen.«

Diese flüchtigen Studien, wie er es nannte, brachte er immer von Hause mit, aber da sie meistens die Stellungen, welche der Tannhäuser brauchte, auf's genaueste wiedergaben, so sah Wulf wohl, daß sie sein Freund gerade zu diesem Zwecke gemacht. Er war entzückt über diese Entwürfe und nebenbei gesagt, auch von der Schönheit der Modelle, welche seinem Freunde zur Verfügung standen. Dieser wollte aber nie zugeben, daß es Modelle seien. »Phantasieen,« sagte er, wenn ihn der Andere dringend darum fragte. »Erinnerungen, die ich mir so, wie ich sie brauche, zusammentrage.«

»Ich sollte fast glauben, daß du die Wahrheit sprichst,« meinte Wulf, »denn es möchte wohl schwer sein, so viel Harmonie in einem weiblichen Körper vereinigt zu finden. – Und doch war eine, der ich alles das miteinander zugetraut hätte.«

Der Tannhäuser gab hierauf keine Antwort, aber er machte hastig einige Striche an einem der weiblichen Köpfe, worauf er zurücktrat und seinen Freund vor das Bild treten ließ.

»Ah!« machte dieser, nachdem er hingeschaut. »Du hast das noch gut im Gedächtniß. Aber thu' mir den Gefallen und lösche diese Aehnlichkeit wieder. Sie thut mir weh. Du würdest sie doch beim fertigen Bilde nicht stehen lassen.«

»Darin hast du recht,« entgegnete hastig Tannhäuser. »Du weißt, wie oft ich sie früher gemalt, ja daß ich kein Bild vollendete, auf dem ich nicht ihrer reizenden Züge in irgend etwas gedacht. Aber später war es mir unmöglich, mir solche vor Augen zu bringen; ich habe es ein paarmal versucht, aber bin jedesmal vor meinem eigenen Werk erschrocken.«

»Male fort, male fort!« sagte still und traurig Wulf. »Du hast recht, wecke ihr Auge nicht auf.«

»So glaubst du auch, daß sie für uns todt und begraben ist?« fragte der Andere mit einem ängstlichen Blick.

»Für mich nicht,« erwiderte Wulf, und dabei leuchteten seine Augen so eigenthümlich. »Mir schwebt sie Tag und Nacht vor in herrlicher Klarheit, und ich bin überzeugt, ich sehe sie irgendwo wieder. – O wie ich mich darauf freue!«

Der Tannhäuser machte ein paar leichte Striche an dem. Bilde und jede Spur einer Aehnlichkeit mit ihr war verschwunden. »Weiter, weiter!« sagte er nach einer Pause.

»Ja, zum Teufel, was weiter?« lachte der kleine Maler. »Das möchte ich dich fragen. Apropos, gehen wir zu was Praktischerem über. Wie lange denkst du noch im Venusberg zu bleiben, schöner Tannhäuser?«

»Ich möchte ihn lieber heut als morgen verlassen.«

»Und gehst doch übermorgen noch nicht.«

Der Andere nickte mehrmal mit dem Kopfe. »Du hast vielleicht recht,« sagte er, »es hält mich wie mit Ketten und Banden; es ist die süße Gewohnheit dieses Daseins.«

»Frau Venus ist eine schöne Frau,
Liebreizend und anmuthreiche;
Wie Sonnenschein und Blumenduft
Ist ihre Stimme, die weiche,«

sagte Wulf. »Nicht wahr, es friert dich ordentlich, wenn du denkst, daß du wieder auf eigenen Füßen stehen mußt? Du bist schon viel zu lange in Capua geblieben.«

Der Tannhäuser hatte ruhig fortgemalt, dann trat er einen Schritt zurück, betrachtete, und wie es schien mit Wohlgefallen, sein eigenes Werk und sagte alsdann, wie erhoben durch seine Kunst: »Du irrst dich, Wulf; ich spiele nur so mit meinem gegenwärtigen Leben. Es ist eine gefährliche Spielerei, aber ich werde die Fesseln, mit welchen sie mich zu halten trachtet, leicht abwerfen können, sobald es mir beliebt. Und gerade, daß ich die Kraft in mir fühle, ein anderes Leben anzufangen, wann ich will, morgen, übermorgen, das läßt mich die Gegenwart fort und fort ertragen, in ihr fortträumen.«

»Du irrst dich selbst,« entgegnete der Andere in sehr ernstem Tone. »Du wirst so lange fortträumen bis zu einem erschreckenden Erwachen.«

»Sieh mein Bild an,« sprach Tannhäuser mit Stolz. »Sage ehrlich, ob es dir gefällt. Nun gut, ich sehe an deiner Miene, daß mein Werk über deinen Erwartungen steht, daß selbst du zufrieden bist. Nun sage mir, brauche ich, der solche Bilder malt, ich, noch in voller Blüthe der Jugend, ein Erwachen aus meinen Träumen zu fürchten? – Gewiß nicht.«

Wulf gab eine Zeit lang keine Antwort, er sah dem Freunde zu, wie er malte, und sagte erst nach einem längeren Stillschweigen: »Und doch ist es ein Unglück, daß es mit dir so hat kommen müssen, daß gerade ein Talent, wie du, so – seltsam in der Welt dastehen muß. Glaube mir, Richard, so lieb es mir wäre, wenn dein Name mehr genannt würde, so bin ich doch wieder froh, daß es nicht geschieht. Ich habe immer noch eine gewisse Schwachheit für dich, und es schnitte mir ins Herz, wenn ich zum Beispiel hören müßte: So, das ist der Tannhäuser? – Ah der? – Schade um das große Talent! – Höre mich an. Wie wäre es, wenn du der Frau Venus ein stilles Valet sagtest? Am Ende wäre ihr auch damit gedient.«

»Ich glaube nicht,« meinte Tannhäuser, indem er leicht mit dem Kopf schüttelte.

»Versuch' es einmal, bleibe ein paar Tage bei mir. Wer würde dich hier finden?«

»Pah, und wenn auch!«

»Du trittst ihr offen entgegen; du sprichst zu ihr: Madame, alles hat einen Uebergang. So sagte ja auch schon der Fuchs, als man ihm das Fell über die Ohren zog. – Nun, ich will Sie verlassen, ehe die öffentliche Meinung mir völlig etwas Aehnliches thut, wie Reinecke. Leben Sie wohl.«

Der Tannhäuser lächelte eigentümlich, aber es war ein trauriges Lächeln. – »O Wulf! Wulf!« rief er dann nach einer längeren Pause, »hättest du mich damals in jener Nacht – ich vergesse sie nie, es grollte ein schweres Gewitter am Himmel, – hättest du mich damals zurückhalten können, dann wäre alles anders gekommen. Jetzt ist es ja zu spät – o viel zu spät. In den beiden kleinen Häusern,« fuhr er mit einem träumerischen Blick fort, der in weite Fernen zu schauen schien, »wohnt niemand mehr, der uns was angeht. Der Blumengarten ist verwüstet, es wächst jetzt dort nur Unkraut. Und die Lampe unter der Veranda leuchtet nimmer, nimmer, nimmer. – Ist nicht alles gestorben, verloren, unauffindbar verloren? – Weißt du, Wulf, ich habe Momente, wo ich anders denke, als ich jetzt spreche. Aber es sind nur kleine Augenblicke. Da sehe ich hinaus auf einen einsamen staubigen Weg, der vor mir dahinläuft und der mich dringend einladet, ihm zu folgen. Und dann treibt mich eine unendliche Sehnsucht fort und meine Phantasie fliegt über Berge und Thäler dahin, rastlos, immer zu, erregt und freudig. Denn in solchen Momenten weiß ich, daß ich finden werde, was ich suche. Aber wie gesagt, nur kurz sind solche Augenblicke; nur zu bald stürze ich aus der schwindelnden Höhe herab und bin alsdann in meiner dumpfen Betäubung so froh, daß mich ein weicher Arm zurückhält.«

Wulf war den Worten seines Freundes mit Betrübnis gefolgt; er sah wohl, daß er diesen schwachen Charakter von jeher richtig begriffen, und es war ihm, als müsse er sich Vorwürfe darüber machen, daß er damals nicht gewaltsamer gegen ihn aufgetreten sei.

»Wozu aber diese trüben Gespräche?« rief Tannhäuser mit einer erzwungenen Lustigkeit. »Wir sind ja noch jung, laß uns unsere Jugend genießen. – Und dann hat sie mir doch Fesseln angelegt, die schwer zu zerreißen sind. – Wie sagtest du vorhin? – Frau Venus ist eine schöne Frau!”

»Ja, ja, so habe ich gesagt,« sprach der kleine Maler mit leiser Stimme. »Ich kann die Legende vom Tannhäuser besser auswendig, als du selber. Da ist noch ein Vers, der kommt unfehlbar hinter drein, und den wirst du auch noch kennen und begreifen lernen.« Und darauf recitirte er:

»Wir haben zu viel gescherzt und gelacht,
Ich sehne mich nach Thränen,
Und statt mit Rosen möcht' ich mein Haupt
Mit spitzigen Dornen krönen.«


 << zurück weiter >>