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An Sir Ralph * * * *

(einen berühmten Staatsmann).

Wenn ich Ihren Namen an die Spitze dieses Werkes stelle, von dem ich selbst noch nicht recht weiß, ob es ein abgeschlossenes Buch oder ein Journal werden wird, so veranlaßt mich dazu außer ....... besonders die gleiche Richtung, in der sich unsre Wünsche zu begegnen pflegen. Sie gehen gern von der Politik auf die Poesie über; ich verlasse gern meine poetischen Beschäftigungen und politisire. Sie sind ermüdet von dem unaufhörlichen Zählen der Pulsschläge, welche das Leben des Staates verrathen, und deren schnellere oder langsamere Bewegung auf politische Erkältungen, Entzündungen und Quartanfieber schließen läßt; Sie ermatten, jenen Chimborassos von Aktenstößen gegenüber, welche über eine wichtige Frage des Tages verglichen seyn wollen, und sehnen sich, Sie haben es mir oft gestanden, nach den glückseligen Gestaden der Poesie, wo es Ihnen bei dem übergroßen Verlangen manchmal sogar gleichgültig ist, ob Sie den steifen und bebänderten Allegorien der mythologischen Periode in der Literatur begegnen oder den Verwilderungen unsrer modernen Waldpoesie, einer Tragödie mit drei Einheiten oder einer Tragödie, die deren so viel zählt, daß sie keine mehr hat.

Mir geht es umgekehrt. Mit der Poesie steh' ich des Morgens auf. Gleich an meine ersten Verrichtungen knüpfen sich die Verworrenheiten poetischer Bilder. Meine Nachtmütze ist der Helm des Achilles. Mein blumiger Schlafrock ist bald der Frühling mit dem Füllhorne seiner Florapracht, bald ist mir sein langes Rauschen und Wallen eine so deutliche Vorstellung des Meeres, daß ich immer in Sorge leben muß, über eine Erkältung meiner Phantasie einen reellen Schnupfen meiner Nase zu bekommen. Ich treibe mich dann, die Feder ergreifend, in den entferntesten Gegenden der Erde um, klage, weine mit Menschen, die ich nie gekannt habe, lache laut über Späße und Situationen, wobei ich vielleicht nur der Einzige bin, der sie für witzig hält. Ich härme mich ab, wie es mit meinen Helden werden wird, ich biete alles Mögliche auf, ihnen die Hand eines Wesens zu verschaffen, das sie lieben, ich spende Reichthümer, lasse ostindische Onkel sterben, kurz ich pfusche dem lieben Gott unaufhörlich in seine Schöpfung hinein, schiebe ihm Menschen und Schicksale unter, die er nie contrasigniren wird, und sinke zuletzt, von meinen Träumereien erschöpft, auf ein Sopha zurück, das mich erst allmählich wieder lehrt, hart von weich, Comfort von einer Ofenbank zu unterscheiden.

Halten Sie es für ein Glück, Dichter zu seyn? Ich wenigstens nur dann, wenn ich von irgend einem verrufenen Kritiker, aus dessen Munde der böswilligste Tadel zum beschämendsten Lobe wird, in allen Gelenken zerschlagen werde. Diese Art von Feindseligkeit (denn für das Lob literarischer Freunde, das immer nur langweilig ist, dank' ich) ermuntert mich, weil ich weiß, daß ich jetzt Enthusiasmus erregen werde. Sonst hindert mich der dichterische Lorbeer. Es ist unmöglich, so bekränzt wie Dante zu seyn und sich einen wassergeprüften fashionablen Hut aufzusetzen. Glauben Sie mir, daß in mir das ewige Idealisiren einen rechten Heißhunger nach der Wirklichkeit erweckt. Ich möchte kein Staatsmann seyn, aber immer auf die Politik zurückkommen. Meinen precären Erfindungen gegenüber haben für mich die Thatsachen einen unendlichen Reiz. Ich gestehe Ihnen, daß ich die meisten Dinge richtiger zu beurtheilen glaube, als die, welche dafür besoldet werden. Ich bilde mir sogar ein, die Kriegskunst zu verstehen, und habe, wenn ich des Abends nicht einschlafen konnte, im Bette manche Schlacht zwischen Nationen aufgeführt, von welchen aber immer diejenige unterlag, die ich commandirte. Denn über dem Kanonendonner schlummerte ich allmählich ein und mußte das Schlachtfeld räumen.

In allem Ernste, mein hochgeachteter Freund, ich habe die Neigung zur Politik mit den meisten ältern Dichtern gemein, wie sehr ich auch sonst hinter ihnen zurückstehe. Dante und Milton ergriffen sogar Partei, die Andern lieferten nicht ungern Strophen und Scenen, welchen sich eine Bezüglichkeit auf die große Welt abgewinnen ließ. Ueberhaupt war aber auch die Stellung der Literatur in vergangenen Zeiten eine andre, als jetzt. Die Literatur stand über den historischen Thatsachen, sie wurde um Rath gefragt, sie hatte noch Gewalt genug, um etwas entscheiden zu können. Die Literatur verlor dieß Uebergewicht erst, als sie sich der historischen Autorität selbst unterordnete und ihr zu schmeicheln anfing. Die französische Literatur hat diesen Verrath an der Selbstgesetzgebung des Geistes zu verantworten. Sie machte sich anheischig, die Thaten der Könige beurtheilen zu wollen, und endete damit, daß sie sie nur erklärte, aufschrieb und pries. Friedrich II. und Katharina geizten nach dem Beifalle Voltaires; aber indem sie die Literatur zu erheben schienen, setzten sie sie nur herab. Denn Literatur blieb nicht mehr die geschlossene Kette einer bestimmten, streng vorgezeichneten Freiheit, sie hielt ihre einzelnen Glieder nicht mehr zusammen, sondern wurde, statt sich in den Objekten zu consolidiren, individualisirt, wurde Eigenthum eines Einzelnen, der Witz und Kenntnisse genug besaß, um sie zu beherrschen, mit einem Worte, die Literatur war nicht mehr Masse, sondern Person. Durch eine solche von den Franzosen verschuldete Umkehr ihrer Bestimmung hat auch die Literatur seither ihre Kraft verloren und kann nur noch als individuelle Meinung wirken, als eine Meinung, die sehr wenig ausrichtet, wenn sie nicht durch Namen, Rang und großen Ruf unterstützt wird.

Bei uns Engländern findet noch so ziemlich zwischen Leben und Literatur ein Gleichgewicht Statt. Dieß kömmt aber weniger von dieser, als von jenem her. Denn unsre Geschichte hat sich früher, als die anderer Nationen, bestimmte Formen erobert, innerhalb deren sich das Urtheil der Publizisten bewegen konnte. Eine frühe Spaltung unserer politischen Begriffe theilte sich der ganzen Nation mit, es kam darauf an, man erwartete es, daß hier Etwas angegriffen, dort Etwas vertheidigt wurde. Die Formen unsrer politischen Existenz mußten erklärt werden und, da sie zunächst nur Kreise ohne Inhalt sind, ausgefüllt. Die Feder war an die Stelle des Schwertes getreten, d. h. sie war eine Hülfleistung und wurde wenigstens dort als eine unumstößliche Thatsache anerkannt, wo sie unter den Ihrigen, unter der Partei war. Allein diese günstige Entwickelung der Literatur, welche, wenn nicht unsern gründlichen Werken, doch unsern Pamphlets und Journalen eine große Wirksamkeit gelassen hat, findet sich auf dem Continente weit weniger. Mit Napoleon hörte in Frankreich die Furcht vor der Literatur auf. Paul Louis Courier fiel nur als eine Ausnahme. Jetzt, werden Sie gestehen, ist in Frankreich der gedruckte Buchstabe, schon ehe er trocknete, zu Makulatur geworden. Ich kann nicht blos an England denken, sondern muß die Gefälligkeit des Continents, meine Schriften zu übersetzen, dadurch ehren, daß ich sie auch für ihn einrichte.

Aus diesen Thatsachen ist nun ersichtlich, wie undankbar es ist, wenn man sich mit der Kritik der öffentlichen Angelegenheiten als Autor beschäftigt; aber eben so auch, wie erklärlich, immer wieder von Neuem Etwas zu versuchen, was nur Wasserschöpfen ist in das Faß der Danaiden. Die Literatur will sich ein Recht erobern, das ihr bestritten wird. Sie beschwört alle Mittel, die ihr zu Gebote stehen, um die Tyrannei kalter, spröder und vornehmer Thatsachen zu stürzen. Die Philosophen kommen mit ihren ersten und letzten Gründen der Dinge, strecken ihre knöchernen Hände aus und weissagen. Die Dichter runden ihre lachenden Gleichnisse ab, spitzen ihre feinen Spöttereien und umziehen den Gegner mit so viel Blumenguirlanden, bis sie ihn eines sanften, scherzenden Todes ersticken sehen. Es ist eine gährende und gefährliche Bewegung, die immer gerüstet an den Thoren der offiziellen Hôtels steht und sie entweder mit stürmenden Ballisten berennt oder sich erst bei der Frau des Concierge, dann bei ihm selbst einschmeichelt, sich in die Freundschaft des Kammerdieners hineinwitzelt, zuletzt in der Antichambre der Autorität steht und aus einem muntern Scherze sich in den Schlangenstachel verwandelt, der aus dem Blumenstrauße der Cleopatra züngelt. Es soll in Deutschland Schriftsteller geben, welche über die Aepfel der Hesperiden schreiben und darunter eigentlich nur die Reichsäpfel der Könige verstehen.

Es scheint mir aber, daß sich diese Polemik einige Fehler zu Schulden kommen läßt, die alle ihre Wirkungen aufheben. Man läßt sich in Kämpfe ein, deren Terrain man nicht untersucht hat. Man spricht in einer Sprache, die Dem, der sich belehren lassen soll, unverständlich ist. Endlich mischt man zu viel Arcadien in unser runzeligtes Europa, man macht aus der alten Schönen eine Theaterprinzessin, die sich schminkt und eine Jugend affectirt, die sie längst verloren hat. Unsre Zeit hat Thorheiten, von denen der Cabinette bis zu denen des Boudoirs, von der Krone herab bis zur Cravatte; aber ist es nicht lächerlich, statt Jemanden zu sagen, du würgst dir deinen Kehlkopf so unvernünftig zusammen, daß du hinten ein wenig lüften mußt, ihm rundweg zu erklären: Geh' mit blosem Halse! Unsre Zeit hat etwas ungemein Anziehendes, selbst wenn man ihre Abgeschmacktheiten vergleicht. Es gibt nichts so Unvernünftiges, was bei uns die Gedankenlosigkeit in der Politik, Moral und der Mode ausgeheckt hat, das nicht zu gleicher Zeit einen gewissen Anstrich, eine gewisse Raison hat, wenn man auch über sie nur lachen muß. Der Nonsens unsrer conversationellen Beziehungen ist kein Defizit an Vernunft, sondern Uebervernunft, die uns bei schlechter Laune albern, bei guter zuweilen recht ergötzlich erscheint. Von Sprache z. B. ist nirgends mehr die Rede, alle Verhältnisse, die gelehrten wie die gesellschaftlichen, haben ihren Jargon. Die Religion hat ihren Jargon, die Moral, die Politik, die Industrie, die Liebe. Man kann sich mit Redensarten weit kürzer und bequemer ausdrücken, als wenn man vernünftig spricht. Man gähnt, man sagt eine Stelle aus Hamlet, man ruft: Sehr, sehr! und man hat beinahe eine Rede gehalten. Denn Jeder, der eingeweiht ist, versteht diese Abkürzungen und Citate. Ein Vernünftiger hält zwei Menschen, die sich auf diese Weise durch Knurren, Schnalzen, Gähnen und einige unartikulirte Interjektionen ihre Ansichten und Gefühle wechselseitig zu verstehen geben, für verrückt, während sich doch diese Leute vortrefflich mit einander unterhalten. Ich kenne zwei junge Gentlemen, welche durchaus nicht wie Sprößlinge einer reichen Primogenitur leben können, die sich im Gegentheile noch unter dem Loose jüngerer Söhne befinden und tüchtig rudern müssen, um zu schwimmen. Sie haben unendlich viel Erfahrungen durchzumachen, sie kennen auch einer des Andern Begegnisse und schwierige Lagen, und dennoch wird man niemals finden, daß sie ein Wort mit einander reden. Sie sitzen zusammen, gähnen, seufzen, beobachten ein pythagoräisches Stillschweigen und wissen doch Alles, was ihnen passirt. Waren Sie bei der Lady Fitz***? frägt der Eine, wenn sie sich sehen. Der Andre stößt einen Ton aus, der zwar das Anhören eines Seufzers hat, aber doch so hoch hinauf gezogen ist, daß er weit mehr Vergnügen als Schmerz auszudrücken scheint. Jetzt schweigen sie eine Viertelstunde, während welcher sie nur mit ihrem Mienenspiele sich verständlich sind. Sie lachen, sie beißen die Lippen über einander, sie spitzen die Zunge und drücken ihre Backen in die Höhe, kurz sie betrachten sich wechselsweise wie Telegraphen und erreichen durch allerhand pantomimische Merkwürdigkeiten ein Resultat, das auf einen ungefähren Roman hinauskommt, und einen Bogen von 16 Seiten brauchen würde, wenn man ihn mit all' den witzigen Nüancen wieder geben wollte, mit welchen sie sich ihn erzählt haben.

Diese Abschweifung entschuldig' ich durch das, was ich sogleich sagen werde. Ich finde nämlich, daß Diejenigen, welche über die öffentlichen Angelegenheiten schreiben, den Charakter unsrer Zeit nicht gründlich studirt haben, und daß, wenn sie auch die Zeit kennen, ihnen doch wieder die Zeitgenossen gänzlich unbekannt geblieben sind. Es läßt sich vielen Verhältnissen unsres Jahrhunderts eine bessere Form geben; allein der Stoff, aus dem man schaffen will, wird ein andrer seyn, als der ist, welchen man vorfindet. Man kann, streng genommen, nichts Neues gründen, man kann immer nur das Alte verbessern, einen Acker, der brach lag, umpflügen, ihn düngen, man kann Früchte erzielen, Grund und Boden aber müssen gegeben seyn. Was sind nicht für Theorien aufgestellt worden, um unserm Jahrhundert zu Hülfe zu kommen! Sie schöpften alle nur den Schaum von den Zeitgenossen ab und berechneten ihre Schriften für ein Abstraktum, das nirgends existirt. Mich wenigstens treibt es augenblicklich aus den Allgemeinheiten heraus, wenn ich mich in sie verflogen habe, und es klopft an meine Thür. Herein! Der Friseur. Eine Gestalt, die uns mitten im Sommer das Bild des Winters gibt, weil der Puder wie festgefrorner Reif auf dem Kleide sitzt; eine krumme, servile, höfliche Schwatzhaftigkeit, welche die Menschen nach ihren Toupé's beurtheilt, und deren täglicher Refrain ist: »Ja, ehemals! Der Perruquier ist für unsre Zeit hin: Alles scheert sich glatt; die Frauenzimmer stehen des Morgens auf, links, rechts, hin und her, so, der Zopf ist fertig, herumgewunden, aufgesteckt, zwei Löckchen an den Ohren mit Pomade oder, wenn sie fehlt, mit etwas ganz Anderm gedreht. Das ist die heutige Kunst, die sich selbst bedient!« Dieser Mann ist unausstehlich, er gehört dem vorigen Jahrhundert an, er macht aber schon mehr als dreißig des neuen mit. Darf ich ihn übergehen? Und so den ganzen Tag. Das Rufen und Lärmen auf der Gasse, die neuen Erfindungen, die Plakate, die Stiefelwichspatente; kann man dieß Alles vergessen, wenn man über sein Jahrhundert nachdenken will? Dort steht ein junger idealistischer Revolutionär vom Continent, ein Eingebürgerter von St. Pelagie. Sein Haar wallt lockig über die Schultern, es ist schwarz und hat vor Frühreife schon, gegen das Licht gehalten, ein graues Lüstre; er runzelt die Stirn, er liest in den Werken St. Justs, er ist adelig und läßt die Bezeichnung davon aus, er ist reich und hungert, um die Empfindungen der Proletairs zu studiren. Und hier führ' ich Euch in ein Haus, das mit Tulpen rings umpflanzt ist, ein sauber lakirtes Haus in Holland, in welchem man nichts, als Milch und Kupfer im Hofe sieht, in die Nähe Derer, die es bewohnen, zweier Eheleute, die ohne Kinder alt geworden sind. Sie stehen spät auf, frühstücken eine Stunde, lesen sich wechselseitig die Zeitung vor, von dem leitenden Artikel an bis zum Hunde, der verloren ist und auf den Namen einer Sängerin hört, mit welchem ihn sein Herr taufte; sie lesen Alles, frühstücken dann zum zweiten Male, lassen sich dann von vier Ziegenböcken durch ihren Tulpengarten fahren, essen eine lange Zeit hindurch zu Mittag und beginnen das Komischste, was ich mir von zwei alten kinderlosen Eheleuten denken kann. Er im Schlafrock, mit der Nachtmütze, sie noch immer in der Morgencontusche, einem Jäckchen, das nur kaum bis über die Taille geht und dann weiter unten einem flanellenen Unterrocke Raum gibt. So setzen sich die beiden Leute, die eine Million besitzen, einander gegenüber, beide rauchen Cigarren, eine Flasche Portwein steht zwischen ihnen, rings ist Alles fest verwahrt, sie spielen eine Kartenpartie, sprechen dabei kein Wort, sondern gehen, vom Spiel, Dampf und dem Portwein allmählich übermannt, stumm und steif um acht Uhr zu Bette. Ist dieß nicht auch eine Scene des Jahrhunderts? Darf sie der Reformator übersehen?

Ich sagte schon, daß es Schriften gibt, wo dieß Alles übersehen wird. Die Verfasser derselben thaten die unzähligen Charaktere und Individualitäten unter den Zeitgenossen zusammen in einen großen Trog, wie man die Kartoffeln zusammenstampft und preßt, bis ihre Quintessenz, aus der man Mehl, Zucker, Aquavit bereits gemacht hat und vielleicht sogar auch Fleisch machen wird, ihre Medulla, wie die Alten auch vom Kern der Menschen sagten, herausgedrückt ist. Für diesen Durchschnittscharakter der Zeit stellen sie dann ihre guten Lehren auf, die sie mit Stellen aus antiker und mittelalterlicher Weisheit zu erhärten suchen. Dieß Verfahren hat uns eben so viel geistreiche Köpfe wie Charlatane kennen gelehrt. Ich billig' es nicht. Ich mag meine lieben guten Nachbarn, die so wenig Lärm machen und wenn nicht durch das Parlament, doch durch die Kirche mit der Zeit zusammenhängen, ich mag meinen Comte -- prolétaire und meine beiden Holländer nicht um ihr Stimmrecht in den Angelegenheiten des Jahrhunderts bringen. Sie gehören mit dazu, wenn sie sich auch nur durch ihre Ruhe, durch ihre Thorheit oder durch ihre Steuern, welche sie zahlen, auszeichnen.

Es ist ein Fehler, daß die reformirenden Schriftsteller fast immer nur die Intelligenz, selten die Materie im Auge haben. Es ist sogar ein Nachtheil für Diejenigen, welche durch eine Einseitigkeit dieser Art am meisten geehrt werden. Ist denn unsre Bildung, die nämlich, welche für das Jahrhundert in Anspruch genommen werden kann, nicht eher ein Verdienst, als eine Voraussetzung, die sich so leicht von selbst versteht, und mit der man nach Belieben statistisch-moralische Berechnungen anstellen kann? Die Reformatoren wollen immer nur die Ideen gegen einander ausgleichen, statt daß sie die Ideen mit der Materie, mit meinen beiden Holländern ausgleichen sollten. Ob ich dem Systeme der Bewegung, meine Kritiker dem des Widerstandes angehören, das sollte zuletzt weit weniger entscheiden. Ein System ist immer ein weiter Vorsprung. Die Vorzüge des Jahrhunderts mit einander in Kampf zu bringen, ist wahrlich nur eine ganz einseitige Polemik! Mit einem Worte, es handelt sich weit weniger um Revolution, als um Aufklärung.

Wenn ich diesen Empfindungen nachhing, so bildete sich in mir eine Idee aus, von welcher ich durch dieses Werk, das ich Ihnen, mein Herr, widmen wollte, nur eine Vorstellung geben kann. Ich sann über eine Schrift, die zwar den Zweck, für den sie geschrieben ist, niemals selbst wird erfüllen können, die aber doch Viele, die für ihn arbeiten könnten, darauf aufmerksam machen wollte. Ich kann nicht auf die Leute wirken, die ich liebe, auf das Volk, aber auf die, die mit ihm umgehen. Meine Schrift sollte Alles umfassen, was den Geist unseres Jahrhunderts begreift, aber sie sollte vom Individuum, nicht von den Tendenzen anfangen. Ich hätte gern zuerst ein Kind unsrer Zeit geschildert, wie es geboren und erzogen wird, dann die Begriffe, die es einsaugt, dann die, welche ihm später zur Auswahl angeboten werden. Ein Gemälde des Jahrhunderts vom 5. Mai 1789 bis auf die berüchtigte Quadrupelallianz unsrer Tage würde sich an diese Prämissen angereiht haben. Jetzt folgen Religion und Staat, Kunst und Literatur in ihrer schwebenden, vom Momente tyrannisirten Lage, mit all' den lächerlichen Neuerungseinfällen, welche mit so vielem Ernste von unsern Zeitgenossen behandelt zu werden pflegen. Und dieß Alles ist sogar keine Vorstellung mehr, sondern ich habe in diesem Werke versucht, sie wahr zu machen. Es ist der Rhodische Coloß, von dem ich hier eine Miniaturausgabe veranstalte.

Auch auf große Charaktere macht' ich Jagd; allein die Sechzehnender sind auf unsern ausgeschossenen Revieren selten. Ich habe gefunden, daß man immer ein Rudel zeitgenössischer Pygmäen mitnehmen muß, um das Mittelmäßige als groß erscheinen zu machen. Diese Erfahrung bestimmte mich, meinem Buche eine ungewisse Ausdehnung in die Zukunft zu geben, es als geschlossenen Versuch in drei Bänden zu beginnen und es beinahe als Journal enden zu lassen. Addison und alle Blaustrümpfe sind mir verhaßt, allein die Form, deren sich Addison und Steele bedienten, muß Jeden ansprechen, den der Augenblick zwingt, Etwas zu sagen, und der doch nicht täglich gezwungen seyn will, es sagen zu müssen. Möglich, daß meine Zeitgenossen, nachdem sie ein Buch gewesen sind, sich zuletzt in eine Monatsschrift verwandeln.

Sie aber, mein hochgeehrter Herr, müssen mir verzeihen, daß ich Sie in diesen Strudel von Ungewißheit und interimistischen Plänen hinabziehe. Ich kenne Ihren Abscheu vor aller Politik, ich kenne auch die Grundsätze, welche Sie aufstellen, wenn Sie einmal gezwungen sind, sich mit ihr zu beschäftigen. Sie sind der erste Leser dieses Buches: wie werd' ich mich also anstrengen müssen, daß Sie auch der letzte bleiben! Ich werde dieß nicht anders erreichen können, als daß ich suche, in der Politik so viel wie möglich Dichter zu seyn. Für den Stoff kann ich es nicht versprechen; denn meinen Pfeilen kann ich doch die Spitze nicht abbiegen? Für die Form aber, hoff' ich, wird mich meine Art, die Dinge anzuschauen, da am wenigsten verlassen, wo ich für die Dinge, für die Gegenstände nicht verantwortlich bin. An Unterhaltung wird es nur für Miß *** in meinem Buche fehlen; denn ich bin noch immer nicht im Stande, es dieser Dame recht zu machen. Sie verachtet meine Schriften, weil sie nur das schildern, was man alle Tage selbst sehen kann. Mich beunruhigt dieß, weil es möglich ist, daß sie, eines Tages einmal ihre Frühlinge zählend, sich noch entschließt, Schriftstellerin zu werden, und es mir gehen würde, wie Orpheus unter den Mänaden, wenn sie nämlich die Freiheit bekäme, anonym an einer kritischen Anstalt mitzuarbeiten.

Uebrigens, wie immer,

Ihr ergebenster Diener
E. L. B.

Herfortstreat, im October 1836.


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