Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VI. Buch
Karl Gutzkow

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102 12.

       

Einmal, eh' sie scheiden,
Färben sich die Blätter roth,
Einmal noch in Freuden
Singt der Schwan vor seinem Tod –

Und an edeln Bäumen,
Wenn der Winter vor dem Thor,
Bricht in irrem Träumen
Wol ein Frühlingsreis hervor –

Stirbt der Lampe Schimmer
In des Dochts verkohltem Lauf,
Zuckt mit hellem Flimmer
Einmal noch die Flamme auf –

Einmal wird gelingen,
Eh' mein Stundensand verrollt,
Mir von guten Dingen
Eines noch, was ich gewollt –

Eins wird sich erfüllen,
Eine Freude wird, wie Wein,
Schäumen – überquillen –!
Mag es dann geschieden sein.

So fühlte Bonaventura in diesem Winter, wo noch die Novembertage fast sommerliche Sonnenstrahlen entsandten und die Mandelbäume zum zweiten male zu blühten, die Hecken neue Sprossen zu treiben begannen.

Die Vorlagen waren fertig, die er, überdrüssig der wieder aufs 103 neue begonnenen Anfeindungen – jetzt auch infolge einer seiner letzten Predigten – sich in der That erboten hatte dem Cardinal-Legaten in Wien zu überbringen. Benno hatte, überraschend genug, schon aus Rom geschrieben und welchen Inhalt barg sein der Sicherheit wegen durch reisende Geistliche überbrachter Brief –! Wie erschütternd, wie befruchtend für ein ganzes Leben! »Komm' auch Du herüber«. hieß es nach der Erzählung alles dessen, was Benno in so wenigen Tagen erlebt hatte; »ich weiß einen Bischofssitz in Italien, der nur allein Dir gebührt und der sicher Dir angetragen wird, sobald Du in Wien angekommen bist und an einem gewissen Altar zu ›Maria-Schnee‹ dreimal celebrirt hast!« Benno hatte den Bischofssitz nicht genannt – berührte er doch so nahe die Zukunft Paula's!

Vom Onkel Levinus war ihm in der That die feierliche Aufforderung gekommen, seine Ermunterung zu Paula's Ehe zu wiederholen, aber nur erst dann, wenn er den Grafen Hugo persönlich gesehen, gesprochen und seine Würdigkeit geprüft hätte.

Im ersten Schmerz nach dem Empfang dieses westerhofer Briefes sagte Bonaventura: Das ist das erste strafende und herbe Wort, das ich aus Paula's Munde vernommen habe! Es ist eine mir auferlegte Buße! Eine Strafe! Sie will, daß ich den Kelch, den ich ihr so kalt gereicht. selbst leeren helfe –!

Jedes Glöcklein in der Mette, jeder Orgelton sprach ihm jetzt: Sustine et tolle! Halte aus und trage! So wollte er denn reisen und länger fortbleiben – wollte er nach Italien, nach Rom – Er nahm Urlaub auf ein Jahr. Der Text seiner Abschiedspredigt war:

O du Kreuz, du Holz der Sühne,
Wahres Heil der Welt, o grüne,
Grüne, blühe, sprosse fort! –!

104 (O crux, lignum triumphale,
Mundi vera salus, vale,
Fronde, flore, germine –!
)

Worte des Hugo von Aurelia, die ihm Gelegenheit gaben, von der »Schönheit der Leiden« zu sprechen.

Bonaventura stand unter doppelter Anfeindung. Ebensowol von der Regierungs- wie von der kirchlichen Seite. Zwar hatte er die Genugthuung erhalten, daß gegen Cajetan Rother eine Untersuchung eingeleitet wurde, welche der junge Enckefuß sogar mit Erbitterung führte. Bonaventura hatte in Betreff der jetzigen Madame Piter Kattendyk richtig geahnt, daß der ungetreue Hirt Trendchen's religiösen Hang und Trauer ebenso gemisbraucht hatte wie ihre geringen Geisteskräfte. Er hatte sie zur Heiligen – methodisch erziehen wollen!

Der Kampf der Curie, um eine solche Offenbarung bestialischer Verwilderung nur innerhalb der geistlichen Gerichtsbarkeit zu bestrafen, ging aufs äußerste. Die Kirche ist gegen die Verbrechen ihrer Kleriker strenger, als irgendein weltliches Gesetz; nur will sie allein strafen und dem Staat den Einblick versagen. Bonaventura mußte Zeugenaussagen vor Gericht geben – Auch das mehrte sein Unbehagen. Er sehnte sich für immer fort! Er hatte übrigens auch die Ahnung, nicht wiederzukommen.

Je vollständiger sich seine Rüstung zur Reise abschloß, je mehr sie den Charakter annahm, den nur allein Renate nicht bemerkte, daß er nicht unmöglich in ein ganz nur der Gelehrsamkeit gewidmetes Benedictinerkloster an der Donau oder in der Schweiz trat, desto banger wurde ihm die Erinnerung an Lucinde. Wird sie, sie dich so ziehen lassen? sagte er.

Er erfuhr von Thiebold, daß sie zwar aus dem Kattendyk'schen Hause zur Frau Oberprocurator Nück gezogen war, aber nur auf acht Tage, und daß sie plötzlich dort verschwand.

105 Thiebold erröthete, als er gestand, daß Nück in seiner Verzweiflung auch zu ihm gekommen war und ihn gebeten hatte, beim Domcapitular anzufragen, ob dieser über sie keine Auskunft wisse. Bonaventura nahm acht Tage vor seiner Reise keine Beichte mehr ab. Er erschrak theils über die Voraussetzung seiner nähern Bekanntschaft mit Lucindens Verhältnissen, theils in Vorahnung, daß mit diesem Verschwinden vielleicht seine Reise in Zusammenhang gebracht werden mußte. Die Abschiedsscene vor seiner Reise nach Witoborn, die Erinnerung an die damals gegen ihn ausgestoßenen Drohungen stand schreckhaft genug vor seiner Phantasie.

Noch vor acht Tagen begegnete ich Fräulein Schwarz in der Kathedrale! sagte er. Sonst seh' ich sie ja schon lange nicht mehr, da sie meinen Beichtstuhl nicht – besucht.

»Besuchen darf!« – hallte es in Thiebold wider. Dies wußte die halbe Stadt.

Nachdem Thiebold mit tausend Segenswünschen, mit guten Rathschlägen, mit Grüßen an Benno, mit Verwünschungen der großen Demosthenes-Rolle seines Vaters bei den Landständen gegangen war, fiel erst recht der Schrecken der Mittheilung über Lucindens spurloses Verschwinden auf Bonaventura's Brust. Es war am Abend vor der Abreise, um sieben Uhr. Draußen war schon lange alles finster. Sein Gepäck war geordnet. Dann und wann blickte er auf die matterhellten öden Gänge des Capitelhauses. Es war ihm, als müßte es plötzlich pochen und als würde ihm wieder eine äußerste Erregung kommen.

Konnte er sich verbergen, daß er Tag und Nacht an Lucinden dachte! Die Furcht vor ihren Drohungen zwang ihn dazu. Jeder irgendwie bedeutendere Vorfall in seinem Leben weckte die Erinnerung an die ihn betreffenden Verhältnisse, die sie in ihrer ewigen Obhut zu haben erklärt! Diese Drohung, daß sie jeden 106 Segen, den er zu verbreiten hoffte, in Fluch verwandeln könnte, vergaß er nicht. Ihrer immer und immer wieder gedenkend, nahm er sie nicht so leicht, wie ihm der Onkel gerathen hatte.

An diesem Abend vor seiner Abreise kam ihm wieder die trübe Vorstellung mit ganzer Macht. In sich steigernder Angst hatte er seine Thür verriegelt. Er hatte sich allen Abschieden entzogen. Die Briefschaften an den Cardinal Ceccone, in denen die Curie um die Nachgiebigkeit Roms flehte, lagen in einem geheimen Fach eines seiner Koffer. Er rechnete an seiner Baarschaft, siegelte einige Briefe nach Witoborn und Kocher am Fall, plauderte mit seiner alten Renate, die er vielleicht nie wiedersah – und wollte zeitig zur Ruhe. Das Dampfschiff brach schon in erster Frühe auf.

Er hatte die Postkarte vor sich ausgebreitet. Sein Auge schweifte bald auf die nächsten, bald auf die entferntesten Gegenden. Auf Kocher am Fall, wobei ihn ein Bangen ergriff: Den theuern Onkel siehst du nicht wieder –! Auf Westerhof und Witoborn, wo so viele Herzen gerade jetzt mit gleichen Empfindungen an ihn denken mochten! Paula –! Ein verklungener Glockenhall –! Jene »letzte Freude« seines Liedes vielleicht – »aufschäumend« kurz vor dem Tode! Die eigene Mutter – die ihre Theorie vom Nichtwissen, das bei mislichen Dingen dem Menschen besser wäre, als Wissen, auch auf die Verhältnisse mit Benno übertrug und dem Sohn vor kurzem noch geschrieben hatte: »Wittekind ist so gewissenhaft; rege ihn nicht auf mit Benno's Mittheilungen aus Wien! Allein schon die Nachricht über den Tod Angiolinens raubte ihm die Ruhe mehrerer Nächte –«! Auf die Donau sah er dann, auf Wien und seine Umgebungen, wo er den Grafen Hugo prüfen sollte –! Prüfen, glaubte er, ohne daß es Graf Hugo wußte –! Ach, es war wieder jene Welt der Beichtgeheimnisse, in denen er lebte, jene Welt, wo der Sohn 107 hinterrücks vom Vater, die Tochter von der Mutter, der Schüler vom Lehrer, das Gesinde von der Herrschaft spricht! Schon hatte er jene katholischen Priesteraugen, die so irrend umgehen! Wird es dir in Rom, auf das du blickst, gehen wie dem Augustinermönch Luther? Wirst du Castellungo berühren dürfen und deine Mutter – wirklich als in Bigamie lebend erkennen? Wirst du dich nur bei Nacht zu Frâ Federigo stehlen dürfen, wie Nikodemus zum Herrn? Wirst du so fortleben in deinem Beruf? Halb in Haß, halb in nur dunkler und unerklärter Liebe für ihn? Wo ist Versöhnung! Und siehst du Benno und die beiden flüchtigen Alcantariner? Siehst du das Schreckbild unsers Glaubens – Klingsohr? Siehst du den »Abtödter«, der – vielleicht am Brand in Westerhof betheiligt ist? Sinnend fiel sein Blick auf die Karte dahin und dorthin. Vorzugsweise auf die Alpen. Da lag der St.-Bernhard! Da lag St.-Remy, wo sein Vater begraben sein sollte! Da Aosta –! Dann dachte er wieder, gerade diese Gegend müsse er meiden, eben des Vaters selbst wegen, der unter allen Umständen nun doch einmal todt sein wollte! Zuletzt ging es auf der Karte bergab gen Süden mit hundert kleinen Gebirgswässern, die wie Fäden eines Nervengeflechts dahinschossen, durchschnitten vom Längenmaß der Karte. Castellungo, Cuneo und Robillante lagen tiefer abwärts, am Fuß der Meeralpen, jenseit Turins und standen, wie dieses, schon nicht mehr auf der Karte verzeichnet. Er konnte sie nur im Geiste suchen.

So in das geheimniß- und verhängnißvolle Leere blickend, erschrak er vor einem plötzlichen Pochen. Er glaubte sich geirrt zu haben. Das Pochen war leise und wiederholte sich nicht. Das große Gebäude war in seinem Haupteingang verschlossen. Eines Ueberfalls verdächtiger Personen konnte er nicht gewärtig sein.

Das Pochen erfolgte nach einer Weile zum zweiten mal und Bonaventura glaubte nun schon nicht anders, als Lucinde stünde 108 draußen. Der erste Strom, der sich von seinem erregten Gemüth über alle seine Nerven ergoß, war Todschrecken. Seine Hand langte nach dem Klingelzug und klingelte. Es währte lange, bis seine trauernde Renate kam und die verweinten Augen barg.

Sehen Sie doch, wer draußen ist! sagte er bebend. Ist es – die Ihnen – bekannte – Person, so bin ich nicht zu sprechen! Mit diesen Worten ging er in das Nebenzimmer und horchte an der Thür, wer sich meldete.

Renate hatte geöffnet. Die Stimme mußte nur leise sprechen. Bonaventura konnte nichts vernehmen. Renate kam zurück und berichtete: Es ist eine kleine gebrechliche Person – Eine Jüdin, wie sie sagte – Den Namen hab' ich nicht behalten.

Eine Jüdin konnte zu Bonaventura nur kommen, um über die Taufe zu sprechen. Der Fall war ihm neu. Lucinde war es jedenfalls nicht. Diesem Besuch konnte er sich nicht entziehen.

Ich esse nur wenig zu Nacht, sagte er milder zu Renaten, und gehe dann zeitig zur Ruhe.

Renate seufzte und ließ ihren »Sohn« allein.

Er betrat sein Zimmer. Die bescheidene Jüdin war auf dem Corridor geblieben. Treten Sie doch näher! sagte er und leuchtete mit der Studirlampe an die von ihm wieder geöffnete Thür.

Eine kleine Person, in einen schön glänzenden schwarzen Atlasmantel gehüllt, der beim Verbeugen ausschlug und die rechte Schulter etwas höher zeigte, als die linke, in einem warm gefütterten großen Hut, aus dem zwei lange schwarze Locken und beinahe nur eine Nase heraussahen, trat einen Schritt näher und bat für die späte Störung um Entschuldigung.

Womit kann ich dienen? fragte Bonaventura und stellte die kleine grünlackirte Studirlampe auf den Tisch, dem befangenen Besuch einen Sessel darbietend.

Ich würde nicht gewagt haben – begann die kleine Gestalt 109 – Herr Priester – Hochwürden – in so später Stunde – aber da ich Verwandte – die von Ihrer Güte, lieber Herr – ich meine Herrn Seligmann zu Kocher am Fall – den Sie kennen –

Herr Löb Seligmann! unterbrach Bonaventura die nur hustend, athemlos und räuspernd hervorgebrachten Worte mit der ihm eigenen Herzlichkeit. Ist der Treffliche ein Verwandter von Ihnen?

Nicht zu nah und nicht zu fern! Gerade wie bei Verwandtschaften am besten! lautete die schon dreistere Antwort Veilchen's, die ihren Namen Igelsheimer wiederholte und sich setzte, indem sie, als Bonaventura ihren Namen im Fragton nachsprach, sogleich fortplauderte: Für unsere Namen können wir Juden nicht. Die hat uns die Polizei gegeben! Wenn auf die Aemter zu viel Moses und Isaaks und Abrahams kamen und die Schreiber nicht wußten, welches der Abraham Moses und welches der Moses Abraham war, so nahmen die Herren Actuare voll Zorn ganze Gemeinden her und sagten: Dem wollen wir bald ein Ende machen. Und da die Juden ohnehin die Vorstellung von geplagten und gejagten Thieren wecken, so kamen die schönen Namen Bär, Hirsch, Löwe, Wolf, Adler, auch Ochs, Kuh, Rindskopf, Rindsmaul – heraus. Nur Esel nannten sie keinen, weil Dummheit auf keinen von unsern Leuten passen wollte! Andere Namen sind nach den Orten gewählt, wo die Leute her sind. Fuld, Worms, Oppenheim – Ich weiß nicht, wo auf Ihrer Landkarte da mein Stammsitz Igelsheim liegen mag!

Durch diese überraschend dreiste, aber anspruchslos vorgetragene Rede war Bonaventura gewonnen. Er stützte den Arm auf seine Landkarte und rückte die Lampe näher, um, wie er sagte, vielleicht einen Familienzug zu entdecken von der braven Frau Lippschütz, die in Kocher am Fall zu seinen speciellen Gönnerinnen gehört hätte.

Ich bin aus der Art geschlagen! sagte Veilchen. Die 110 Seligmanns sind sich untereinander nicht ähnlich. Der, bei dem ich wohne, Nathan ist er geheißen, in der Rumpelgasse, gleicht seinem Bruder, wie ein Holzapfel einem Paradiesapfel.

Bonaventura hörte kaum den Namen der »Rumpelgasse«, als er sich auf Lucindens letzte Beichte, auf Klingsohr's Beziehung zu dem Trödler Seligmann und die dabei erwähnte Hülfe einer Jüdin besinnen mußte. Schon betroffen fragte er nochmals, womit er dienen könnte.

Veilchen machte eine Pause und sprach, ihre zurückkehrende Verlegenheit durch das Lüften ihres Mantels verbergend: Herr Priester! Ich möchte mir die Frage erlauben: Was halten Sie – von – der menschlichen Consequenz?

Bonaventura glaubte nun doch, daß von einem Religionsübertritt die Rede sein sollte und antwortete: Sie kann eine große Untugend werden, wenn sie mehr ist, als Treue gegen uns und andere!

Mit Erlaubniß – Treue gegen andere kann nicht Consequenz sein! entgegnete Veilchen. Was die andern Liebe und Treue nennen, die man ihnen gewähren soll, führt den Menschen immer im Kreise rundum. Die Liebe ist ja das eigensinnigste Ding von der Welt und Gegenliebe kann nicht consequent sein!

Bonaventura fand in diesen Worten keinen Uebergang zum Bedürfniß der Taufe. Ich sagte schon, sprach er, daß ich die gerade Linie in unsern Handlungen nicht liebe, wenn sie zum todten Gesetz wird. Aber keine wahre Liebe wird Untreue gegen uns selbst verlangen!

Herr Priester, die Liebe will den Löwen zum Hasen, den König zum Bettler, den Philosophen zum Narren machen –! Können Sie bleiben, was Sie sind, so hört die Liebe auf – Frauenliebe gewiß! Eine Frau verlangt, daß der Mann um ihretwillen seinen Glauben abschwört. Sie verlangt's nicht immer 111 und nicht im ganzen Jahr und nicht bei feierlicher Gelegenheit; aber wenn sie gerade schlecht geschlafen hat, sagt sie: Das hilft gegen Kopfweh! und dann muß es sein.

Wohl jedem, der von einer solchen Liebe verschont wird! entgegnete Bonaventura lächelnd.

Aber alle Liebe ist so! meinte Veilchen. Die Liebe will im andern untergehen, um in sich selbst desto schöner wieder aufzuerstehen! So lieben wir einen Mann, so die Natur, so Gott. Was ist Religion, Herr Priester? Gefühl von Kraft oder von Schwäche? Bei den meisten doch wol nur von Schwäche. Gott soll uns lieben, weil wir ihn lieben! Er soll uns das ewige Leben dafür auswechseln! So sind wir auch meist uns selbst getreu, d. h. »consequent«, weil uns Inconsequenz ein heroisches Opfer kosten würde.

Wo sollen diese Sophismen hinaus? dachte sich Bonaventura.

Sie werden ungeduldig! sprach Veilchen, blickte nieder, schwieg eine Weile und begann ihren Hut etwas aufzubinden. Die Verlegenheit machte ihr heiß. Bonaventura nahm ihr ganz den Hut ab und legte ihn auf den Tisch. Danke! sagte sie, indem sie sich die langen Locken strich. Ich bin eitel –! Sie könnten glauben, mein Gesicht wäre blos Nase –! Sie ist freilich mein stärkstes Organ geworden. Alle Menschen haben in ihrem Alter einen Theil des Körpers, der die Oberhand gewinnt. Beim einen ist's der Magen, beim andern die Galle, beim dritten die Leber – bei mir die Nase! Ein feines Organ! Der Sitz der Phantasie! Die Phantasie hab' ich in meiner dunkeln Rumpelgasse nöthig! Ich gehe des Jahrs nicht zehnmal an die Luft. Ich will nicht! . . . Was sag' ich – »will nicht«! Mein Wille stellt sich an den Kleiderschrank und wird verdrießlich, wenn er kein Kleid findet, das ihm zum Ausgehen paßt –! Consequent! Wille! Ich kenne z. B. ein schönes junges Mädchen –

112 Veilchen hielt inne. Ihr Auge blitzte forschend auf.

Bonaventura athmete hörbar.

Dem schönen Mädchen hab' ich oft gesagt. Deine Liebe, Kind, ist ein Irrthum; ist blos eine Lüge gegen dich selbst. Dich verzehren Eifersucht, Stolz! Deine Liebe gegen den gewissen Mann ist sogar blos Rache! Willst ihn nur quälen, immer an dich erinnern – sagst drum: Ohne ihn sterb' ich. Das Mädchen gibt's zu. Gibt zu, daß ich ihr sage: Du bedarfst dieser Einbildung, um Kraft zu haben, nicht gegen andere schwach zu sein! Möchtest sündigen – wenn die Natur sündigt! – aber aus Berechnung klammerst du dich an deinen Wahn – nennst den Treue! . . . Schüttelt sie den Kopf! Wahr ist's, das Mädchen ist geflohen vor einem schlechten Mann und wohnt versteckt in meinem Schlafstübchen und ist krank – aus »Liebe«!

Bonaventura hatte sich bei diesen Worten, die mit einem prüfenden, fast listigen Forschen der von unten her zu ihm aufblickenden Augen vorgetragen wurden, schon erhoben. Zwei Empfindungen kämpften in seiner Brust. Ein Gefühl der Entrüstung über die dreiste Absicht dieses Besuchs und die Verzweiflung um Lucindens nicht endendes Wühlen. Daß er eine Botin Lucindens vor sich hatte, sah er jetzt.

Veilchen erschrak vor seinem Aufstehen und sagte einlenkend: Bitte, mein Herr! Was ein römischer Priester gelobt hat, ich weiß es und hab' es einst selbst erfahren – Sie haben gewiß, setzte sie mit sich ermuthigendem, schärfern Ton hinzu, von jenem Leo Perl gehört – den Ihr Herr Oheim einst verführte – zu – einem gewissen Betruge –!

Dies Wort kam muthvoll. Bonaventura starrte die kühne Sprecherin an, die über einen so mächtigen Blick dann doch den ihrigen wieder niederschlug.

Bitte, Herr Priester –! flüsterte sie. Vergebung –! Aber 113 wahr ist's doch! Herr Leo Perl hatte mir die Ehe gelobt. Ich weiß nicht, ob ich zum Lachen bin, wenn ich mit dieser Gestalt sage, daß ich nach Witoborn reiste – mit unserer Base, Henriette Lippschütz, und mit ihrem Mann – und daß wir ein Fenster mietheten dem geistlichen Seminar gegenüber. Ich war nicht schön, aber ich hatte noch Wangen um diese große Nase. Ich hatte einen Mund noch mit Lippen. Kein Bild war ich, aber weiße – freilich unechte Perlen standen mir gut im schwarzen Haar. Der arme Narr, der ein Heiliger werden wollte, weil er Jesum von Nazareth glaubte beleidigt zu haben bei der falschen Hochzeit –

Bonaventura konnte keine Worte für sein Erstaunen finden.

Vom Kronsyndikus von Wittekind mein' ich die Hochzeit mit der Italienerin! sagte Veilchen. Sie, die einzige Vertraute Löb Seligmann's, sprach fest und bestimmt. Und während Bonaventura vor Entsetzen sprachlos starrte, kehrte sie auf die Erscheinung, die sie am Fenster abgegeben haben mochte, zurück und sagte: Jedes Auge ist schön, wenn drin Thränen stehen! So erregte auch mein bittender Gruß, mein verzweifelnder Blick in das geistliche Seminar hinüber, wo ich den gelehrten Mann hinter Eisenstäben erblickte, seine Verzweiflung. Er wollte umkehren! Ich erfuhr es. Aber es war zu spät – Um der Thränen willen, die ich Ihrem Oheim verdanke, Herr Priester, verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen in so später Nacht aufs Zimmer komme und Sie bitte: Hören Sie dem Fräulein Lucinde, ehe Sie reisen, und wenn in diesem Augenblick, noch einmal – einmal – die Beichte –!

Bonaventura war über die Bekanntschaft einer dritten Person mit diesen tiefsten Geheimnissen seiner Familie außer sich. Er stand nur, unbekümmert um Lucindens jetzt vorauszusetzende unmittelbare Nähe, unbekümmert um die durch einen solchen Nachtbesuch ihm drohende Beschädigung seines Rufes, und starrte die Sprecherin mit vor Schreck geöffneten Augen an.

114 Fürchten Sie aber nichts, Herr Priester! sagte Veilchen. Das schönste Wissen einer Frau ist das, welches sie in ihr Herz einschließt. Und was ich Ihnen sage, weiß ich auch nur von einem, der, wie unsere ganze Familie, vor dem Dechanten in St.-Zeno viel zu viel Verehrung und Liebe hat, um je davon einen Misbrauch zu machen. Der Mann wird Sie sehen; Sie mögen ihn fragen, woher er diese Dinge in Kenntniß genommen hat und er wird Ihnen ausweichen und Sie blos fragen – nach Bröder's lateinischer Grammatik –

Löb – Seligmann?! sagte Bonaventura mit tonloser Stimme.

Von ihm weiß ich, fuhr Veilchen fort, daß mich Leo Perl nicht aus Untreue verließ, sondern gezwungen durch Umstände, die ihren Grund auch in seinem ungläubigen Aberglauben, seiner geistreichen Narrheit gehabt haben mögen. Ich weiß aus hundert Briefen, daß er den menschlichen Willen bestritt und nichts gelten ließ, als den Zufall. Er liebte Ihren Oheim so, daß ich darauf eifersüchtig wurde. Er nannte überhaupt die Leichtsinnigen erst die wahren Menschen!

Bonaventura hatte nun die äußerste Furcht um Benno's Geheimniß, um Lucindens neue Mitwissenschaft so gefahrvoller Verwickelungen. Diese Furcht äußerte er zunächst.

Werd' ich, sagte die Jüdin, da ich schon die Liebe des Mädchens zu Ihnen eine Rache genannt habe, noch neue Kohlen drauf schütten –! Dann bat sie angelegentlich, daß der Herr Domcapitular den »unfreiwilligen Lauscher« auf Schloß Neuhof schonen möchte. Sie erzählte dessen Abenteuer. Sie fügte hinzu, daß er zwar die »Charaden« gehört hätte, aber nicht ihre Auflösung. Sie verlor sich in die Erinnerung an Leo Perl und schloß: Er fand den Hochmuth der Sängerin Maldachini gewiß nur lächerlich, weil er zu sagen pflegte: Was ist denn eure Tugend? Die Bequemlichkeit der Umstände! Und seinem Freund, dem damaligen 115 Kaplan von Asselyn, konnte er zudem nichts abschlagen. Seine Angst und die Scham kam erst, als er die Priesterkleider schon anhatte und die betrogene Frau vor ihm stand. Da weiß ich, daß er gern hinausgestürzt wäre in den hellen Mondscheinpark und hätte, schon um zu büßen – denn büßen, das ist unser Jüdisches! – die Kleider nicht wieder abziehen mögen. Auch daß er zur Sühne des Betrugs einen andern schönen Park, den in Kocher am Fall, aufgab, denselben Park, wo ich von ihm Spinoza und Liebe ohne Leidenschaft kennen lernte, auch das ist diese Kasteiung, welche die Christen blos uns Juden verdanken. Das Christenthum ist die größte Schmeichelei für uns Juden!

Ein Lächeln begleitete diesen Scherz. Doch es erstarb schnell, als Veilchen Bonaventura's Erregung sah. Sie fuhr fort: Vor seinem Tode gab Perl einem Mönch Namens Hubertus, er soll jetzt in Rom sein, eine lateinische Schrift, die dieser einem hohen Geistlichen in Witoborn übergeben sollte, aber erst dann, wenn er ohne ein Aergerniß begraben worden wäre. Seltsam, daß ich diese Schrift gesehen habe! Ich sah sie in der Hand des Fräulein Lucinde. Es war in diesem Jänner. Kurz vor Ihrer Abreise nach Witoborn! Das Fräulein brachte die Schrift von einer gefährlichen Unternehmung mit, von der Sie ja wissen – als sie den Pater Sebastus aus dem Profeßhause befreien wollte –!

Bonaventura stand voll bebender Combinationen: Leo Perl – Seine Reue über seinen Uebertritt – Der Zwang des Kronsyndikus – Seine Pfarre in Borkenhagen – Seine eigne Taufe durch Perl – die Schrift aus Mevissen's Sarge – Lucindens Drohung –!

Veilchen fuhr fort: Es war ein Brief, den ich nicht lesen konnte – in Latein –! Aber vielleicht war es derselbe an den Bischof von Witoborn, von dem Löb Seligmann gehört hat, daß er leicht in die Hände Ihres seligen Herrn Vaters hätte kommen können, da dieser gleich nach dem Tode des Bischofs 116 Konrad, der kurz nach dem Tode des Leo Perl erfolgte, die geistlichen Archive ordnete –

Bonaventura hörte nur noch – Aber er hörte, wie der Verbrecher in Vorahnung eines über ihn gefällten Todesurtheils den Anfang seiner Sentenz lesen hört. Er wollte nicht verrathen, was in ihm vorging. Er wollte seinem Antlitz den Ausdruck der Ruhe und Fassung geben. Umsonst! Ein eisiger Frost durchschüttelte seine Glieder. Seine Zähne fingen an zu zittern. Er ahnte einen tiefen, tiefen – ewigen Verdruß seines ganzen Lebens. Er that einige Schritte vorwärts und sank auf einen Sessel.

Mein Gott im Himmel –! rief die Jüdin, erschreckend ebensowol über den Anblick Bonaventura's, wie über ihr Unvermögen, einem ohnmächtig werdenden Manne helfen zu sollen. Was ist Ihnen –?

Bonaventura's Gedanken konnten nicht anders lauten, als: Lucinde sagte, mit dem Inhalt jenes Briefes könnte sie dich ewig in ihren Händen halten! Deinen Segen könnte sie in Fluch verwandeln! Selbst wenn du die dreifache Krone trügest, könnte sie alle deine Handlungen ungeschehen machen! Was gibt ihr diese Kraft? Was gibt dir – diese – Unkraft? Bist du – kein Christ –? Bist du nicht getauft –? . . . Bist du nicht – richtig getauft –? Und nun schlossen seine fiebernden Gedanken weiter: Du bist von Leo Perl in den Tagen getauft, wo sein Gemüth von Reue über seinen Schritt, von Wuth über den Kronsyndikus ergriffen war, der ihn zwang, Priester zu bleiben! Diese Stimmung behielt er vielleicht lebenslang! Seine ganze Stellung war die der Zerfallenheit mit sich selbst, die der Reue über sein übereiltes Christwerden, der Rache für den Zwang, der ihm zuletzt auferlegt wurde, der jahrelangen Verstellung. In dieser Schrift bekannte er sich ohne Zweifel schuldig, alle seine kirchlichen Functionen ohne Absicht und Direction des 117 Willens vollzogen, dich und andere »ohne Intention« getauft zu haben –! Der Bischof starb schnell hinter Leo Perl. Dein Vater nahm die Urkunde an sich und unterdrückte sie. Leo Perl war todt, das Verbrechen war geschehen und nicht mehr anders rückgängig zu machen, als durch eine neue Taufe. Dein Vater, das Aufsehen einer solchen Handlung fürchtend, später auch – der Ehescheidungsverweigerung wegen – zerfallen mit der Kirche, behielt diese Urkunde, zerstörte sie jedoch nicht, sondern legte sie für künftige Enthüllungen zurück, band sie ohne Zweifel dem alten Mevissen auf die Seele –! Dieser nahm sie mit sich in sein Grab, wo sie lange Zeit unzerstört bleiben konnte, bis sie gefunden werden sollte, dann vielleicht gefunden und gesucht werden an einem sichern Orte – wenn es Frâ Federigo, vielleicht einst am Tag der Versammlung unter den Eichen von Castellungo, begehrte –! Picard fand dann dies Papier in dem erbrochenen Sarge und gab es Lucinden zur Uebergabe an mich. Lucinde las es. Sie, welche vollkommen die ganze folgenschwere Wucht unserer Lehre von der Intention bei priesterlichen Handlungen kennt, die Lehre von der wirklichen Absicht, auch den äußern Ritus so zu meinen, wie man ihn vollzieht, sie, welche schon höhnisch sagen konnte, Ulrich von Hülleshoven und Monika, die gleichfalls in jener Zeit von Leo Perl getraut worden wären, könnten in Rom bei der Behörde der Gnadenertheilung, der Sacra Dataria, ihre Ehe getrennt erhalten – sie weiß es, daß du, nach unsrer römischen, die Seele ganz in die Priestermacht gebenden Lehre, ein Ungetaufter bist, ein Nichttheilnehmer, noch weniger ein Förderer am Gottesreich –! Sie konnte dir drohen, daß alle deine Handlungen als Priester zurückgehen müßten, wenn sie, sie es wollte –! Nach Roms Gesetzen bist du, ob auch getauft, jetzt ein Heide –!

118 Bonaventura schlug die Hände vor die Augen. Zwei Convertiten, Leo Perl und Lucinde, hielten das katholische Christenthum an seinen Consequenzen fest! Was Jedem Thorheit erschienen wäre: für die Welt, in welcher Bonaventura eingesponnen lebte, lag hier ein unermeßliches, seine ganze Lebensbahn störendes Aergerniß vor.

Er besann sich und that, als wollte er nur einen plötzlichen Anfall von Unwohlsein verbergen. Es wird vorübergehen! sprach er und hielt die Jüdin zurück, die, thatunkräftig wie sie war, zwar nach Wasser sich umblickte, nicht aber darnach gehen konnte, obgleich Glas und Flasche hinter eben demselben Epheu standen, den damals Lucinde zerpflückt hatte.

Bonaventura erkannte wohl, daß die Jüdin nicht Lucindens ganzes Vertrauen besaß. Ihre Flucht vor Nück, ihre Liebe hatte sie ihm eingestanden. Ja die Jüdin mochte vielleicht gar aus eignem Antrieb übernommen haben, den tugendstolzen Priester in seiner Abweisung menschlicher Schwäche wankend zu machen. Das aber sah er für bestimmt: Die Botin wußte nichts vom Inhalt der Leo Perl'schen Schrift, nichts von der Bedeutung der Intention zu der katholischen Kirche. Dem Gefolterten schien das Schicksal alle Prüfungen der Seele verhängt zu haben.

Von dem Stuhle aus, von dem sich Bonaventura erhoben, hatte er mühsam das Kanapee erreicht. Dort sank die lange schlanke Gestalt allmählich und langsam nieder. Das blasse Haupt aufstützend, rang er nach Fassung. Seine Gedanken rollten ihm um wie die wirbelnden Kreise des Philosophen von Eschede, sie traten ihm wie ein buntes Flimmern vor die Augen – er wußte keine Vorstellung mehr festzuhalten. Vorwürfe, Anklagen, mit denen sich das bedrängte menschliche Herz in solchen Lagen zu helfen pflegt, kamen ihm nicht natürlich, nicht freiwillig. Es blieb alles nur ein Chaos der schmerzlichsten Vorstellungen über die 119 Thatsache und ihre Folgen. Also auch das ist möglich! höhnte eine Stimme seines Innern. Möglich unter Menschen, die sich auf diese Art glauben unter die Herrschaft des Geistes gestellt zu haben! Das geschieht dir, dir mit deinem redlichen Willen, mit deinem dir selbst gesprochenen Befehle, nicht zu murren gegen dein halb schon bereutes Priesterjoch –! Das geschieht dir zu dem Augenblick, wo du dein größtes Opfer bringen wolltest, dein Grab zu graben, das Grab deiner Liebe –! Nun noch dies! Und Lucinde die Hüterin dieses Spukes, mit dem sie dich ein Leben lang – wie mit Hexengruß im falben Mondlicht äffen wird –! Solltest du nicht deine Würde niederlegen? Solltest du dich nicht dem Generalvicar anvertrauen und bekennen: Ich bin kein Christ –?! Sollten deine kirchlichen Handlungen, die deine ungetaufte Hand verrichtete, nachträglich von einem Spruche Roms erst die Kraft des Sakramentes erhalten? Nein! Nimmermehr! Ich trotze dem Geschick! Ich lüge! Ich muß lügen, wie sie alle  –!

Die Jüdin sah diese Seelenkämpfe, zitterte, fragte, bat und – hoffte. Sie konnte seinem Gedankengang über den Inhalt des von Lucinden gefundenen Briefes nicht folgen. Sie würde selbst aus dem Judenthum heraus, aus der Religion des Gesetzes, kaum begriffen haben, wie ein Gemüth, lebte es auch noch so sehr im steten Gewissenszwang, so doch über Sonnenstrahlen fallen, so über Spinnenfäden straucheln konnte. Sie würde mit Christus gesagt haben: Ihr verschluckt Kameele und seigt Mücken –!»Das Christenthum ist die größte Schmeichelei für uns Juden.«

Schieben Sie Ihre Reise einen halben Tag auf! sagte Veilchen. Hören Sie die Beichte des armen Mädchens –! Sie will nichts, als Ihnen ein Bild ihres gegenwärtigen Innern geben, vieler Geheimnisse, die sie drücken, auch der Ursachen, warum sie so plötzlich das Haus des Oberprocurators verlassen hat. Ich 120 versichere Sie, es muß eine große Begebenheit gewesen sein, die sie zu mir getrieben – Zu mir, in die dunkle schmuzige Rumpelgasse, zu meinem unausstehlichen Nathan, den ich nun schon dreißig Jahre nehmen muß, wie er ist! Ich möchte schwören, daß in Holland, wo sie den ganzen Tag putzen und scheuern, keine Stube so sauber und rein ist, wie meine Schlafstube im dritten Stock unseres Hauses, das wir glücklicherweise allein bewohnen, und doch thut mir das Kind leid – im reinsten Glase Wasser sieht sie bei mir nur das Trödelgeschäft mit alten Kleidern. Aber sie hat keinen Ort gewußt, wo sie sich verbergen sollte! Nein, ich dürfte nicht an Ihrer Stelle sein, Herr Priester. Schon aus Neugier, was es sein mag, das sie so schnell von der Marcebillenstraße weggejagt hat! Acht Tage ist sie bei mir –! Der Nathan sieht die Polizei jede Stunde kommen. Ich hab' ihm versprochen, die Strafe aus meiner Gage zu zahlen – 33 Thaler jährlich, Herr von Asselyn! Ich bin an der ganzen deutschen Börse der wohlfeilste Buchhalter! So hockt sie verzweifelnd auf meinem Kanapee, schreibt Briefe, zerreißt sie wieder, hat nichts bei sich, als ein Bündel, womit sie aus dem Nück'schen Hause entflohen ist. Hat der Mann Ihre Ehre verletzt? rief ich sie an. Sie antwortete nichts darauf, sah aber aus, als käme sie vom Richtplatz, und erst seit drei Tagen hör' ich sie weinen – weinen wie im Brustkrampf! Sie sagt: Mein Unglück ist, ich falle über mich selbst! Ich bin nur für die Schlechten da! Ich habe etwas in meiner Art, das selbst die, welche mich lieben wollen, an einem einzigen Tag zu meinen Feinden macht –! Könnt' ich ihm nur einmal noch alles sagen und beichten! sprach sie dann . . . Ich gestehe, Herr Priester! Von dem Wort »Beichten« hab' ich keinen Begriff. Je mehr ich bei mir behalte, sagt' ich ihr, desto fester und besser werden meine Gedanken. Ja die mauern sich dann erst recht aus wie ein Schwalbennest, das aus lauter kleinem Schmuz, der 121 trocknet, zuletzt ganz sauber werden kann. Müßt' ich alles, was ich denke und eben erlebte, so frisch und weich wieder von mir geben, so würde ich wie ein leckes Faß! Ich bin katholisch! sagte sie mir darauf. Mein Gott, da stritt ich denn nicht mehr, und da ich die Neigung ihres Herzens schon durch die Bekanntschaft mit dem Pater Sebastus wußte und als für sie die Gefahr, nicht mehr an Ihr Ohr zu gelangen, durch Ihre Abreise zu groß wurde, da sagt' ich: Wissen Sie – Ich will für Sie gehen, Fräulein, wie Eliezer ging auf die Werbung für Jakob –! Sie umarmte mich, begleitete mich bis hieher – Unten steht sie in der dunkeln Gasse – da sehen Sie! – und wartet. Geben Sie der Armen den Trost, daß sie Ihnen noch einmal, nur als einem Priester versteht sich, ihr Herz ausschütten kann!

Bonaventura's Gedanken sammelten sich. Er suchte für sie einen Halt in dem Bilde zu finden, was wol Lucinden so plötzlich aus Nück's Hause entfernt haben mochte. Auch an den Brand und an die Urkunde dachte er. Er stand sinnend und zögernd.

Die Jüdin blickte aus ihren klugen Augen mit jener List hervor, die selbst das gutmüthigste Kind beim Spielen hat, verräth es, ohne etwas Böses gewollt zu haben, an einem Siege seiner Klugheit Freude.

Bonaventura hatte sich erhoben. Er hielt sich vom Fenster fern, überlegte und sah im Geist die Scene, die ihm mit Lucinden drohte. Eine Wiederbegegnung konnte jetzt nicht anders enden, als mit dem Austausch vertraulicher Mittheilungen über alles, was ihn drückte. Ein gemeinschaftliches Geheimniß zu bewahren bindet die Seelen wider Willen. Er hätte Lucinden nicht anblicken können ohne zu sagen: Den Brief des Geistlichen Leo Perl – gib ihn mir zurück oder zerreißen wir ihn und laß ihn zwischen uns ein ewiges Geheimniß sein! Wenn sich ein Mann einem Weib so verpflichtet fühlt, geht ihm seine 122 Selbständigkeit verloren und Dank ist schon an sich eine Pflicht, die eine edle Seele nicht karg abträgt.

Bonaventura ging eine Weile auf und nieder, mit sich kämpfend. Endlich hatte er entschieden. Er wollte, er konnte nicht nachgeben. Er sah in die Zukunft – ahnend, daß sie ihn immer und immer in Lucindens Bahnen führen würde. Jetzt aber, kurz vor dem letzten Opferdienst seiner Seele für Paula, wollte er sich rein erhalten. Er schüttelte sein Haupt und sprach: Ein andermal! Und für sich: Komme was komme –!

Die Jüdin stand in der Nähe der Thür, schon ihren Hut in der Hand. Es schlug neun. Ich kann meine Reise nicht aufschieben! fuhr Bonaventura fort. Erklären Sie – Lucinden, ich käme – ja zurück – und dann – dann vielleicht –!

Veilchen schüttelte ungläubig den Kopf.

Das bestreitet sie –! sagte sie. Sie behauptet, Sie kämen nie wieder zurück!

Bonaventura ließ, wie ein Ueberwundener, nur die Arme sinken und schüttelte ablehnend sein leidendes Haupt. Woraus schließt sie das? fragte er, vor Ueberanstrengung seiner Seele völlig kraftlos –

Veilchen erwiderte: Man würde Sie in Wien fesseln, sagte sie – Schon wäre ein Verwandter von Ihnen gefesselt worden. Man würde Sie nicht sehen können, ohne die zu beneiden, denen Sie immer angehörten! Ich bin es nicht, die so schmeichelt, ich wiederhole nur ihre Worte. Sie nennt einen Bischofssitz, der bereits für Sie bestimmt sei, Herr Priester! Robillante in Italien oder einen ähnlichen Namen – Im Thal von – Castellungo – Das ist der Name! Ich habe ihn behalten!

Bonaventura faltete nur die zitternden Hände.

Die beiden Mönche, fuhr Veilchen fort, die dieses Frühjahr von Witoborn entflohen sind, haben aus Rom geschrieben, daß 123 in ihrem Kloster ein Mönch lebt, der ein Bisthum ausgeschlagen, das ein mächtiger Cardinal gelobt hätte dem heiligsten Priester in der Christenheit zu geben. Und in Wien sind – Sie, Sie, Herr Domcapitular, als solcher dafür genannt worden! Das wurde hieher geschrieben. Lucinde weiß alles. Sie werden in Wien mit diesem Anerbieten empfangen werden!

Bonaventura hörte nur. Eine Besinnung, eine Fassung lag nicht mehr in seiner Kraft.

So hörten Sie das selbst noch nicht –? fragte die Jüdin, immer hoffend, den Zweck ihres Besuchs zuletzt doch noch erreichen zu können.

Bonaventura hauchte: Sie – berichten – mir – Wunderdinge –! Er ließ sich die Namen noch einmal nennen. Es waren und blieben die Namen Robillante und Castellungo! Die Orte, wo Paula leben sollte – wo Frâ Federigo lebte –! Er sah Benno, Olympia, Ceccone betheiligt –! Das war jenes von Benno erwähnte Bisthum –! Gaben es ihm wol gar – die Jesuiten? dachte er einen kurzen Moment . . .

Verlassen Sie sich! fügte Veilchen hinzu. Sie kommen nicht zurück! Sie werden Bischof in Italien!

Ohne noch länger zu widerreden, faltete Bonaventura aufs neue die Hände, überwunden von den Fügungen seines Geschicks . . . Er sah, wie mit durchgeistigtem Auge, Paula aus jenem Schlosse, auf dem sie einst in ihrer Vision die Fahne mit den Dorste'schen Farben erblickt hatte –! Seinen Vater sah er unter den Eichen von Castellungo –! Ein Glanz umfloß ihn wie die himmlische Morgenröthe. Dennoch schüttelte er den Kopf auf die wiederholten Bitten der Jüdin.

Herr Priester –! Das ist grausam! wallte diese auf.

Solchen Worten zürnte er nicht mehr. Gute Nacht, Liebe! sprach er. Dank für Ihre Verschwiegenheit – wegen dessen, was 124 Herr Seligmann gehört hat, eine Verschwiegenheit, auf die ich bei unserm gemeinsamen Gott fest und heilig baue! Sagen Sie aber Lucinden: Wer allwissend ist, ist auch allmächtig! Was kommt sie zu mir –!

Herr Priester –! bat Veilchen noch einmal inständigst.

Komm' ich in der That nicht wieder, so wünsch' ich ihr alles Glück und jeden Frieden des Gemüths. Ich danke Ihnen, daß Sie ihr Bote wurden. Sie sind treu, was Sie auch gegen die Treue sagen. Doch gehen Sie, ohne noch länger mich wankend machen zu wollen; es gelingt nicht! Drohungen, die Lucindens Charakter entsprechen, schrecken mich nicht; ich kann alles ertragen, sagen Sie ihr's! Noch eins! Ist sie hülflos, so schreibe sie offen und getrost an meinen Oheim in der Dechanei! Das ist nicht wahr, daß alle vor ihr fliehen. Dieser edle Mann verehrt sie wahrhaft; er wird alles für sie thun. Sagen Sie ihr das! Mein Oheim ist ganz der Freund, den sie sucht. Sagen Sie ihr auch – daß ich glücklich bin über ihre Trennung von Nück und daß ich selbst in diesem Verhältnisse nie ein Arg gefunden habe. Nicht aber mehr! Ich kann nicht anders; die Kraft fehlt mir, all die Bürden zu tragen, die mir ihre Beichte noch auferlegen würde. In Zukunft! Ich reise morgen in erster Frühe! Es bleibt dabei!

Damit half Bonaventura Veilchen schon den Mantel auf die Schultern legen. Sie schüttelte den Kopf wie über die Thorheit der ganzen Welt. Still befestigte sie ihren Mantel. Bonaventura leuchtete ihr hinaus und begleitete sie über den Corridor bis an die nächste Treppe. Diese war erleuchtet. Veilchen wandte sich noch einmal, sah den Priester mit ihren geöffneten Augen wie einen bemitleidenswerthen Wahnbefangenen an und schlich die Treppenstufen hinunter. Bonaventura wartete, bis er hörte, daß sie das Hausthor gefunden hatte.

125 An dich sind wol schon hundert wie mit unsichtbaren Ketten gebunden, die dir beichteten, sagte er sich, zurückkehrend in sein Zimmer, mit dem ganzen ausbrechenden Schmerz seiner Seele; wie aber auch du gebunden, du umstrickt bist von deinen eigenen Lebensräthseln, das ist ein Verhängniß wie einst im Haus – der Labdakiden! . . . Und des so wohlthuenden Eindrucks der Jüdin gedenkend, rief er laut: Gott der Christen – Gott der Juden – Allah – Zeus! Auch der Olymp herrscht noch – Nicht alle Götter der Alten sind in Nichts zerflossen; die Nemesis – die Tyche – die Keren haben ihr Amt behalten!

Der Gedanke, daß ein Bisthum neben dem Schlosse, wo Paula wohnen sollte, für ihn eine Unmöglichkeit wäre, stritt mit der Ungewißheit über den Eindruck, den ihm Graf Hugo machen würde und nach dem er doch der Wahrheit gemäß entscheiden sollte. Er suchte dann sein Lager, nur um die müden Muskeln zu strecken. Schlaf, wußte er, würde ihn fliehen. Träumte er, so würde der Ungetaufte – vom Jordan träumen! Wie nahe stand ihm die Jüdin –! Wie gedemüthigt fühlte sich sein christlicher Stolz!

In der That erhob er sich vor Sonnenaufgang ohne Stärkung. Es war ein nebeliger Morgen. Er kleidete sich an. Renate credenzte ihm den gewohnten Labetrunk unter Thränen. Der gute und ernste Mann war ihr wie ein Sohn geworden, und seit Monaten sah er krank und zerfallen aus und auf wie lange konnte seine Reise dauern –!

Auch in Bonaventura's Auge standen Thränen. Er ahnte, daß er die alte Frau nicht wiedersehen würde. Rings blickte er auf seine Bücher, seine Bilder. Es war ein Abschied, wenn nicht von ihnen, doch von allem Andern, auf ewige Zeit!

Die Huldigungen, die seiner ersten Abreise gebracht wurden, fehlten noch weniger dieser zweiten. Für die von ihm etwa 126 abgefallenen Seelen waren andere eingetreten und die Feierlichkeit der Begrüßung im Kapitelhofe mußte sogar noch größer sein, als früher durch Schnuphase's Rede; sie war geordneter. Die Curie hatte das höchste Interesse an dem Erfolg dieser Reise. Viele der alten Herren traten selbst an seinen Wagen. Dies war ein ganz eleganter, den Bonaventura nicht bestellt hatte. Er gehörte Thiebold, der gestern nur zum Schein Abschied genommen hatte. Der gestrige Abschiedsbesuch maskirte die Absicht, den Hochverehrten nicht blos bis an das Dampfboot zu begleiten, sondern noch eine Strecke weiter.

Die Blumen wurden einem Altar der Kathedrale übersandt, an welchem Bonaventura oft celebrirt hatte.

Thiebold ließ sich nicht nehmen, bis zum Hüneneck mitzufahren. Zwei Stunden lang »zerstreute« er die stille, der Sammlung bedürftige Seele des unglücklichen Priesters. Erst am Hüneneck verzogen sich die Nebel. Die Gegend, selbst im Winteranfang lieblich wie immer, entschleierte sich. Thiebold konnte nicht allen Empfindungen Ausdruck geben, die ihm Lindenwerth, der Blick aus Drusenheim und den Geierfels hinüber machte, wenigstens nicht in Bonaventura's Gegenwart. Am Gasthaus zum Roland landete der Dampfer. Thiebold stieg aus und erneuerte den Abschied.

Als Bonaventura allein war und tiefbewegt auf dem Verdeck, das erst jetzt von seiner Reinigung und der Nebelnässe zu trocknen anfing, auf und nieder ging, bemerkte er, gerade beim Hinblick auf die Maximinuskapelle und den St.-Wolfgangsberg, hinter welchem sein altes stilles Glück gelegen hatte, einen jungen Mann, der ihn, mit dem Rücken an den Radkasten der Maschine gelehnt, mit großen durchbohrenden Augen ansah. Die Gestalt war nicht zu groß, zierlich und behend. Die Kleidung elegant. 127 Ein Mantel von dunkelbraunem Tuch mit offenen Aermeln, am Kragen besetzt mit schwarzem Sammet, das Futter von einem langflockigen Zeuge, Schnurtroddeln geschmackvoll zum Zusammenhalten des Mantels. Darunter ein schwarzer enganliegender Oberrock. Die Cravatte schwarz; ebenso die Handschuhe. Ein feiner, ganz neuer Hut auf dem Kopf. Die Haare kurzgeschnitten –

Ueber den starren Ausdruck des bräunlichen zierlichen Antlitzes flog ein Erröthen und ein verlegenes Lächeln, als Bonaventura's Blick länger auf dem jungen Mann verweilte. Doch zerstreute ihn bald die theure, geliebte Gegend.

Es ging vorüber an der Maximinuskapelle, am »Weißen Roß«. Bonaventura bemerkte den jungen Passagier nicht mehr. Auch später bei gemeinsamer Tafel fehlte die Gestalt, die ihm den unheimlichen Eindruck einer Aehnlichkeit mit Lucinden gemacht hatte. Hafenruhe konnte erst spät gegen Abend um zehn Uhr geboten werden. Der junge Passagier war verschwunden.

Die Fahrt ging zuletzt im Dunkeln und bedurfte der Vorsicht. Aber so kalt es wurde, die Passagiere verbrachten die längste Zeit lieber auf dem Verdeck. Bonaventura ging auf und nieder. Ein Berg mit einem hochthronenden Schlosse führte ihm die Scene vor, die Benno mit dem Staatskanzler in Wien erlebt und geschildert hatte. Es war schon nahe vor Ankunft in jener großen alten, »goldenen« Stadt, wo die Rast für die Nacht stattfinden sollte, als Bonaventura wieder den jungen Mann erblickte, eingeschlagen in seinen weiten Mantel und nicht weit vom Steuerruder sitzend. Er rückte und rührte sich nicht. Ging Bonaventura an ihm vorüber, so war es ein einziger unter dem breitrandigen schwarzen Hut und aus der Umhüllung des emporgezogenen Sammetkragens hervorzuckender Blitz der Augen – ein Funkeln, wie ein Käfer in der Nacht aufglüht, wie ein 128 lauerndes Raubthier sich durch nichts als seine Augen verräth. Kein Laut, keine Bewegung als etwa ein Zurückziehen des lackirten zierlichen Stiefels, um dem Vorübergehenden Platz zu machen. Die Situation, die Zeitdauer, alles bot dem Priester Muße, sich an die entsetzliche und ihn doch fast beruhigende Vorstellung zu gewöhnen: Wenn das Lucinde wäre –! Beim Landen, beim Wohnen im »Rheinischen Hof« war die Spur des jungen Mannes verschwunden.

Nach zwei Tagen und einem Aufenthalt in Frankfurt am Main hatte Bonaventura die Stadt erreicht, wo er im Seminar gewesen. Es war dasselbe Seminar, von dem Serlo erzählte. Bonaventura besuchte alle ihm denkwürdigen Plätze der Erinnerung. Die Altarstelle, wo ihm die Priesterweihe gegeben wurde, das Zimmer, wo Paula in der orthopädischen Anstalt lag, den Bischof, bei dem Lucinde convertirte, den Mitgeweihten Niggl, einen noch immer zwischen dem Narren und Excentrischen unpraktisch, brausend und schnaubend hin- und herfahrenden, gutmüthigen Phantasten. Bonaventura sah und begrüßte alles wie zum letzten mal.

Auch das berühmte Hospital des alten Bischofs Julius sah er. In dem botanisch gepflegten Garten erinnerte noch nichts an den November. Zwar saßen die Genesenden nicht mehr im wärmenden Sonnenstrahl; die Irren aber rannten hin und her, gesticulirten und sprachen zufrieden und unzufrieden mit sich selbst.

Da zeigte sich plötzlich der Anblick des jungen Mannes vom Dampfboot –! Kaum schoß er an ihm und an Niggl, der ihn begleitete, vorüber, so sagte dieser: Wer war das? Mir ist das Gesicht so bekannt!

Nach wenigen Augenblicken, wo der junge Mann verschwunden war, begann, von unbewußter Ideenassociation geleitet, Niggl von Lucinden, als von einer Hocherleuchteten, einer durch Nück 129 und Hunnius und viele andere in alle Vorkommnisse des innern Kirchenlebens Eingeweihten. Er scherzte über die ihm wohlbekannte Neigung derselben zu seinem Besuch – Beda Hunnius hatte ihm darüber Mittheilungen gemacht. Er wußte sogar schon, daß sie sich von Nück entfernt hatte, und sprach die Vermuthung aus, daß sie nach Belgien gegangen wäre, um Jesuitesse zu werden – »Redemptoristin« – nach dem verhüllenden Ausdruck. Das Gespräch kam bald von dem verfänglichen Gegenstande ab.

Bonaventura sah den jungen Mann nicht wieder, aber sein Herz bebte von den trübsten Ahnungen. Einige Tage später bewunderte Bonaventura den regensburger Dom und bestieg die Höhe, wo König Ludwig die Walhalla erbaut hat. Ein Aufenthalt dort oben war ihm wie Athemzüge im Aetherreich. Unten liegt die Erde mit ihren Mühen, hier oben wohnen die Himmlischen! Ausgerungen haben Kampf und Leidenschaft. Hier sind die Pforten der Welt des Plato, die Eichen im Haine Odin's! Zwar noch Walkyren, die unerbittlichen Parzen der Odinswelt, stehen an der Schwelle des Tempels in marmornen Gebilden, aber sie scheinen Versöhnerinnen, nicht mehr Rächerinnen zu sein.

Bonaventura stieg die Riesentreppe nieder – tieferfüllt vom empfangenen Eindruck. Da blickt er auf neue Ankömmlinge. Eine Gesellschaft, die eben mit einem Boot aus Regensburg angekommen sein mochte, steigt ihm von unten her entgegen. In ihrer Mitte wieder – sein Reiseschatten, der junge Mann im braunen Mantel. Dicht streift er, tief niederblickend, an ihm vorüber. Zwei Schiffe kreuzen sich so auf hoher See.

Bonaventura konnte nicht stehen bleiben, nicht der spukhaften Erscheinung nachsehen; schon war sie wie sein Gewissen geworden. Beim jedesmaligen Begegnen fuhr gleichsam ein schriller Ton durch 130 die Luft, der ihn mit den Worten begrüßte: Du Ungetaufter –! Ebenso aber sagte das Lächeln des jungen Mannes auch: Bleibe doch ruhig, ich bin dein Schutzgeist –!

Die regensburger Geistlichen, von denen Bonaventura begleitet war, führten den Erblassenden, Schwankenden noch in einem Wagen nach einem Oertchen, Straubing gegenüber. Da, wo Agnes Bernauer ihren Tod in den Wellen gefunden, bestieg er das Dampfboot. Er glaubte annehmen zu dürfen, daß er nicht allein fuhr und daß der junge Mann – jedenfalls Lucinde – schon auf dem Dampfer war.

Er sah ihn jedoch nicht. Nicht die ganze Reise entlang, die zwei Tage dauerte. Er glaubte sich in der Person nun doch getäuscht zu haben.

So kam er nach Wien. Er sah zum ersten mal eine so rauschende, volkreiche Stadt. Er wohnte bei dem Chorherrn, der ihn anfangs ebenso zuwartend und prüfend wie Benno empfing, theilte die Aufgaben, die seiner im Gewühl dieser großen Stadt harrten, gewissenhaft ein und überlegte: Wie näherst du dich dem Grafen –!

Darüber vergingen einige Tage. Die Gräfin Erdmuthe war zum Grafen Hugo auf Schloß Salem, um den grollenden Sohn hereinzuschmeicheln. Bonaventura hatte beim Cardinal Ceccone seine Briefe persönlich abgegeben und war in der That von dem liebenswürdigsten und zuvorkommendsten Benehmen eines Priesters, der die Grazie als Milderung der List über sein Wesen ausgegossen hatte, mit dem Anerbieten des Bischofssitzes von Robillante begrüßt worden. Olympia, die Herzogin von Amarillas, Benno wurden als seine Protectoren genannt. Alle seine Pulse flogen, als er, nach der von ihm um Bedenkzeit ausgesprochenen Bitte, die Stufen des kleinen Palastes niederstieg. Er wußte nicht, wie er auf die Straße kam.

131 Kaum blickte er auf, so rollte ein Fiaker vom Hause fort, der nur auf ihn gewartet zu haben schien. Aus dem Schlag blickte ein Kopf – Er gehörte dem jungen Mann im braunen Mantel. Pfeilgeschwind schoß der Wagen vorüber.

Bonaventura verlor die Besinnung und verirrte sich in den Straßen. Wer ihn sah, wer ihn anredete, wen er besuchte – jeder wußte, daß er im Piemontesischen Bischof werden sollte. Jeder fragte nach seiner italienischen Predigt in »Maria-Schnee«, die zugleich mit drei Messen als Probe bedungen war.

Man fand diese Erhebung natürlich. Man sagte, der Domcapitular wäre ein Gesinnungsgenosse des Kirchenfürsten und in seiner Heimat »unmöglich« geworden. Dort schied er also aus. Auch seine Gesundheit rathe ihm den Aufenthalt im Süden.

Bei solchen Beweisen für ein ihn magisch umkreisendes Geschick vermochte er auch nicht in den Palatinus zu gehen, wo jedenfalls seine mächtigen Gönner wohnten. Er zitterte, sich dort in seinem Antheil an Benno's Mutter zu verrathen. Aber es suchte ihn schon Fürst Rucca auf. Olympia überhäufte ihn mit Geschenken und Zuvorkommenheiten, wie sie eben auch nur die Priester anzunehmen gewohnt sind. Er rüstete sich, noch unentschlossen und gedrängt vom Chorherrn, der wieder in die Lage kam zu rufen: Schlagen Sie doch dem Geschick keine seiner glänzendsten Launen ab! – italienisch zu predigen. An sich war es ihm ein Leichtes, da er die Sprache ebenso gewandt sprach wie Benno.

Noch immer sah er die Herzogin nicht. Der Boden unter ihm wurde heiß wie Feuer. Glühende Lava rann neben ihm und um ihn. Was soll aus allem werden! stöhnte er vor Schmerz über seine Lage. Nun auch noch die fremden Leiden zu den eigenen! Schon wußten auch die Zickeles, zu denen ihn seine Creditbriefe 132 geführt hatten, von seiner Ernennung und wünschten der Gräfin Erdmuthe Glück, ihn als einen Deutschen so in der Nähe zu haben. Er aber mußte sich sagen: Das würde ja jede Möglichkeit der Ehe ihres Sohnes zerstören, erführe Graf Hugo die Absicht meiner Reise und – sicher kennt er längst Paula's Empfindungen für mich – und die meinen für Paula –!

In der That, die Gräfin empfing ihn mit der Kälte, die er erwartet hatte. Haßte sie schon das römische Priesterthum an sich, war sie wie ihr Sohn tiefverletzt von dem Bedingniß, daß erst eines Beichtvaters Ja! oder Nein! über Paula's Willen entscheiden sollte, so war die Nachricht, dieser selbe Beichtvater würde in die Nähe Castellungos, wo sich so gern der Graf ganz niedergelassen hätte, versetzt und folgte demnach förmlich seinem Beichtkinde, für sie ein wahrer Hohn, den die »Kirche« dem Stolze dieser Familie sprach. Sie sah hier durchaus nur eine Veranstaltung der Jesuiten; sie sah das fortgesetzte Wirken des Ordens, dem sich Terschka entzogen hatte, sah die Feindseligkeit des Erzbischofs von Cuneo, des Cardinals Fefelotti, der bereits gewaltsam in die Rechte der Waldenser eingegriffen hatte. Sie behandelte den Priester, den sie als Redner schätzen gelernt hatte, so schroff, daß Bonaventura ihr Palais mit dem Entschluß verließ, dieser Lockung des Ehrgeizes, der Lockung seiner Liebe zur Geliebten und zum Vater mit äußerster Kraft zu widerstehen.

Als er nach Hause ging, regnete es in Strömen. Schon war es spät. Er konnte nicht sogleich auf der Freyung die Pforte seines Wohnhauses finden. Eine Weile dauerte es, bis er sich zurecht fand.

Als er geklingelt hatte, schlug unter den vielen Regenschirmen, die um ihn her auf dem Trottoir sich fast den Platz benahmen, einer, ein dunkelblauseidener, auf. Indem er in das Haus trat, erkannte er die langsam an ihm vorübergehende Gestalt im braunen Mantel 133 und mit den schwarzen Handschuhen. Das Blau des Schirmes, das Gaslicht einer gerade neben der Hauptpforte befestigten Laterne, der mit Schnee untermischte Regen gaben dem Antlitz des jungen Mannes den Ausdruck des Todes.

Kein Wort, nicht einmal ein zweiter Blick, nur ein Lächeln, wie: Siehst du nun? – und das Bild war vorüber.

Bonaventura suchte, wie vor einem Gespenst, sein einsames Zimmer. Er floh, als wenn Lucinde hinter ihm her huschte und seiner höhnte: Heide –! Jude –! und dann doch sagte: Aber sei ohne Furcht! Ich sag' es nur dir –! . . . Sie ist es! rief er. Sie ist es! Was kann sie noch wollen? . . .

Am folgenden Tage endlich sah er die Herzogin von Amarillas. Daß diese Begegnung stattfand, geschah auf Olympia's Drängen. Principe Rucca suchte ihn fast gewaltsam in den Palatinus zu führen.

Als es endlich geschehen – Ceccone war zugegen – war es äußerlich ein heiterer Abend. Aber unter den Scherzen, unter den Beweisen von Bewunderung vor Bonaventura's geläufigem Italienisch zitterte das tiefste Leid. Die Herzogin sprach wenig, sah den schönen, schlanken Priester nur immer nachdenklich an und forschte, ob er wol wisse, wer sie wäre. Sie erglühte wie Olympia, wenn Benno erwähnt wurde. Sonst fand er Benno's Mutter, wie sie dieser geschildert. Unter dem Schein äußerster, ja abstoßender Kälte eine leidenschaftliche und dann bei so mancher anderweitig angeregten Frage wieder plötzlich kalt verständige Seele. Er und sie, beide, benahmen sich so, als wüßten sie nichts vom Tiefverborgenen.

Olympia überhäufte ihn mit Schmeicheleien und Liebkosungen – um Benno's willen, den sie für seine Flucht einen »Maledetto« nannte, den sie nun bald in Rom strafen würde. Principe Rucca nannte den Baron von Asselyn schon den allerbesten 134 Freund, den er auf der Welt besäße. In einigen Wochen hofften sie alle in Rom zu sein. Es schienen Menschen, hergekommen aus jener alten Welt der Imperatoren, wo die Frauen in ihren Ohrgehängen den Werth eines Fürstenthums trugen. Sie fanden in der Ordnung, daß Bonaventura als Bischof von Robillante sein Bisthum vom Capitel verwalten ließe und den Carneval in Rom zubrächte. Bei all diesen wilden und leichtsinnigen Exclamationen war Benno's Mutter wirklich nur die Duenna Olympia's – jene Arme, die sich von Kirche zu Kirche fortbetete, weil sie keine Kutsche bezahlen konnte. Sie stand zuweilen tief befangen und mit Zittern lauschend, die noch zum Leben verurtheilte – Niobe, wie sie Bonaventura's von ihrem Wesen seltsam gefesseltem Auge erschien.

Die Schwierigkeit der von Paula gestellten Aufgabe lähmte Bonaventura's sämmtliche Entschließungen. Wie sollte er sich dem Grafen nähern? Wie ihn einigermaßen nur ergründen, ja die Ausbrüche seines Unmuths, vielleicht Beleidigungen vermeiden, da der Graf unterrichtet war von dem Zweck einer Annäherung an ihn? Das Benehmen der Mutter hatte ihn genug eingeschüchtert.

Aber auch nur Erkundigungen über den Ruf des Grafen einzuziehen, widerstrebte ihm. Jedermann kannte dessen Verhältniß zu Angiolinen. Durch Benno wußte er, daß der Graf ehrenwerth war und von Paula mit Ehrerbietung sprach. Er hätte mit bestem Gewissen nach Westerhof schreiben dürfen: Er ist vollkommen würdig! Aber ihn zu sehen, eine Weile mit ihm zu leben, blieb doch unerläßlich.

Als der Graf hörte, Bonaventura sollte Bischof von Robillante werden, kam er natürlich von Schloß Salem, von dessen Versteigerung man schon sprach, noch weniger herein.

Die nahe Aussicht der Versteigerung erfuhr Bonaventura von 135 Angelika Müller. Diese, endlich einmal wieder in katholischen Berührungen sich ausschwelgend, sagte: Gräfin Erdmuthe fährt hin und her, schickt Boten über Boten an die Zickeles. Die Katastrophe ist reif! An die Stelle des Adels tritt in dieser Zeit die Börse!

Hinein in diesen Zustand der Unentschlossenheit, die durch Lucindens ebenso rasch verlorene wie gefundene Spur gemehrt wurde, drängten sich die Vorbereitungen zur wirklichen Vollziehung seiner Bischofswahl, noch ehe er nur ganz entschieden zugesagt hatte. Das Capitel von Robillante hatte seiner eigenen Wahl sich begeben und der römischen Curie die Besetzung mit einer ihr genehmen Persönlichkeit überlassen. Bonaventura stand der Gräfin und dem Grafen gegenüber in einem Licht, welches das ungünstigste von der Welt sein mußte. Was sollte Paula denken –! Was ganz Westerhof –!

Da mußte es, zur Mehrung des falschen Scheins, geschehen, daß der unwiderstehliche Zug des Herzens, der Bonaventura nach den Eichen von Castellungo zog, eine Entscheidung erhielt, die ihn bestimmte, in der That die Mitra und den Krummstab anzunehmen, es mochte kommen, was da wolle –

Er war bei Gräfin Erdmuthe, hoffte wieder vergebens, bei ihr den Grafen Hugo zu begrüßen. Die Gräfin empfing ihn mit äußerster Kälte, heute sogar mit einer Aufregung des Zorns. Ihre Augen glühten, ihre Hände zitterten. Ha, brach sie nach den ersten Begrüßungen aus, da seh' ich die neuen Kämpfe, die mir in Italien beschieden sind! »Haltet Recht und Gerechtigkeit und errettet den Beraubten von des Frevlers Hand!« spricht der Prophet. Ich muß nach Castellungo! Fefelotti zertritt die Früchte meiner Anstrengungen. Hab' ich in meinem Leben darum mit so viel Kronen und Cabineten unterhandelt –!

136 Bonaventura erfuhr eine Kunde, die auch ihm Schrecken erregen mußte. Die nach Witoborn zu Hedemann's Hochzeit reisende Mutter Porzia Biancchi's, die bei ihren Seidenwürmern in Castellungo zurückgebliebene Giuseppina Biancchi, Gattin des frankfurter Napoleone, Schwägerin des Professors Biancchi, der – ein echter Italiener – plötzlich vor seiner Verwandtin »verreist« war, hatte diese Nachricht eben mitgebracht. Der Eremit von Castellungo, Frâ Federigo, war spurlos verschwunden –! Im Munde des Volkes ging nur Eine Stimme: Der neue Erzbischof von Cuneo hatte ihn in die Kerker der Inquisition werfen lassen!

Als Bonaventura diese Mittheilung hörte – als er den Strom von Anklagen und Verwünschungen, in denen sich die Greisin erging, auch nicht mit einem einzigen Wort unterbrach, sondern, wie die Wand so weiß geworden, nur den Bericht vernahm und sich ihn bestätigen ließ von der alten Italienerin, die hereingerufen wurde – als er selbst dem kleinsten Zuge der Mittheilung eine fieberhafte Aufmerksamkeit schenkte, hätte eine mit geringerm Selbstvertrauen begabte und nicht ganz nur in sich selbst lebende Persönlichkeit wie die Gräfin, wohl erkennen müssen, welche Umwälzungen im Innern Bonaventura's vor sich gingen. Sie ihrerseits sah in dem Zucken seiner Nerven, in seinen Fragen und Antworten, die ihm, kaum begonnen, auf den Lippen erstarben, nur die Beschämung eines römischen Priesters.

Jetzt bricht es aus, was die »Rotte Korah«, die Väter der Gesellschaft Jesu, über unser Haus verhängt haben! rief sie voll Leidenschaft. Dieser redlichste Freund der Armen, dieser wahre Priester Gottes, ein Rathgeber, Tröster, Lehrer der Unglücklichen und Unwissenden, ein heimatloser Pilger, den ich seit Jahren schützte, ein Deutscher nach allem, was ich von ihm entdecken konnte, so oft ich seine einsame Hütte besuchte und eine 137 Vergangenheit zu ergründen strebte, die er vielleicht nothgedrungen verhüllt – schmachtet jetzt in den unterirdischen Kerkern des Capitels von San-Ignazio! Ist vielleicht schon den Ketzerrichtern, den Dominicanern der Trinità zu San-Onofrio übergeben –! Und kein Beistand von der Regierung! fuhr sie fort. Diese Regierung ganz in den Händen der Jesuiten! Kein Beistand bei den benachbarten Geistlichen!

Nicht bei mir?! rief Bonaventura mit mächtig hallender Stimme. Seine Augen leuchteten. Er stand aufrecht, erhoben, wie mit einem Blitzstrahl in seinen krampfhaft ausgestreckten Händen.

Die Gräfin betrachtete die seltsame Bewegung, hörte das Wort des Beistands mit Theilnahme – Da ihr aber nächst dem Glauben ihr Sohn Alles war, so sah sie jetzt nur die wirkliche Bestätigung des Gerüchts über Bonaventura's Bischofssitz – in der Nähe der lutherischen Salem-Camphausens – in der Nähe Paula's, ihrer – vielleicht noch zu gewinnenden Schwiegertochter. Die Entfremdung blieb die alte. Eine Annäherung an den Grafen war aufs neue gestört, und eine bloße Formalität, die Bonaventura zur Beruhigung Paula's und der Verwandten geglaubt hatte schnell beenden zu können, wurde immer unmöglicher.

Er ging dahin – wie von Rossen gezogen. Noch hatte er sich sowol von der Gräfin, wie von der alten Italienerin über seinen vermeintlichen Vater eine nähere Charakteristik geben lassen. Jeder Zug bestätigte seine Ahnung. Sein Vater lag nicht in dem Schnee der Alpen begraben, nicht in St.-Remy –! Er lebte – war jetzt seiner Freiheit beraubt –! Beraubt durch Fefelotti, dem er berechtigt sein konnte mit Nachdruck gegenüberzutreten –!

Es gab jetzt für ihn keine Wahl mehr. Er mußte Bischof 138 von Robillante werden. Wodurch sollte er sich noch bestimmen lassen, Rücksichten zu nehmen! Paula gegenüber das zu bleiben, was er bisher war, ein Entsagender – diese Kraft sich für ein ganzes Leben zuzutrauen – nichts schwächte ihm jetzt mehr den Muth dazu! Er wollte den Grafen Hugo glücklich sehen!

Daheim erwartete ihn Leo Zickeles, der älteste der Söhne des großen Handlungshauses, und beklagte, daß der Gang der Geschäfte mit dem Grafen eine so üble Wendung zu nehmen drohte. Alle Hoffnungen schienen zerstört, die Aussichten auf die Heirath gescheitert zu sein. Die Gräfin, hörte er, hätte neue Verbindungen mit allerlei Geldleuten angeknüpft. Sogar an Herrn von Pötzl wäre eine Annäherung erfolgt! Zweideutige Agenten riefe sie in ihr Palais! Der »ungerechte Mammon« brächte die liebende Mutter um alle Haltung!

In dem seufzenden Schweigen des jungen vornehmen Geistlichen sah Leo Zickeles nur – die Verstocktheit der Kirche gegen eine gemischte Ehe, äußerte sich aber darüber mit derjenigen Zurückhaltung, die seiner Stellung gebührte.

Am Abend durfte Bonaventura nicht beim Cardinal Ceccone fehlen. Er ließ sich als »Bischof von Robillante« begrüßen – komme was da wolle –! Mußte er sich dann sagen: Treulos handelst du doch an den Verwandten Paula's – doch an dem Grafen Hugo –! so fühlte er recht, wie er mit seinem ganzen Dasein zerfallen war.

Den folgenden Morgen hatte er Briefe an den Onkel, an Benno geschrieben. Dann war er willens, in die Kirche »Maria-Schnee« zu gehen, wo ihm geistliche Functionen, Messe, Beichtstuhl, Predigt bereits gestattet waren und ausdrücklich von ihm vorausgesetzt wurden, unter anderm auch namentlich, die Beichte zu hören. Nach einer solchen Beichthandlung, die er einige mal vollzogen haben mußte, wollte er nach Schloß Salem fahren 139 und den Grafen dort begrüßen. Er hatte sich vorgenommen, nicht eher zu weichen, bis er ihn gesprochen. Dann war die Formalität, Paula's seltsame Bedingung erfüllt.

Um halb zehn Uhr erhielt er einen Brief vom Grafen selbst. Er war aus der Stadt datirt und vom frühesten Morgen. Man hatte den Brief zurückbehalten, bis Bonaventura sein Zimmer öffnete. »Hochwürdigster Herr Domcapitular!« lautete der Brief. »Noch immer ist es mir nicht möglich gewesen, in der Stadt Ihren Besuch zu empfangen und zu erwidern, da ich durch vielfache Geschäfte an meinen Landaufenthalt gebunden bin. Gestern Abend bin ich von Schloß Salem hereingekommen auf Grund eines Briefes, den ich von Herrn von Terschka aus London erhielt. Er überrascht mich durch die vorher nie von ihm gehörte Behauptung, daß die Urkunde, die unsere Linie um Hoffnungen betrog, welche Jahrhunderte alt sind, eine gefälschte sei. Er verwies mich ausdrücklich auf eine gewisse Lucinde Schwarz, mit der ich mich über diese Angelegenheit verständigen sollte. Sie wäre jetzt, wie er gehört, in Wien und stünde zum Herrn Oberprocurator Dr. Nück in Beziehungen der größten Intimität. Die Ehre und der Bestand meines Hauses stehen auf dem Spiele. Ich erkundigte mich noch gestern Abend nach dieser Dame und fand sie in der That hier anwesend. Ich besuchte und sprach sie. Ich will jedes Aufsehen meiden, aber ich muß die Dame durch meine Mittheilungen für sichtlich in Verlegenheit gesetzt erklären. Wenn ich nicht sofort polizeilich gegen sie einschreite, so ist es, weil mich eine außerordentliche Aehnlichkeit derselben mit einem Wesen rührt, das mir unendlich theuer war! Auf mein wiederholtes Androhen, daß ich nichts unterlassen würde, um eine Frevelthat aufzudecken, an der, wie ich weiß, meine Verwandte unbetheiligt sind, erklärte sie mir, sie würde mir eine Antwort zukommen lassen durch 140 Ew. Hochwürden – nach einer in der Beichte mit Ihnen zu nehmenden Rücksprache. Somit ersuche ich Sie denn in aller Ergebenheit, haben Sie die Güte, von dieser Dame in der Kirche der Italiener, wo Ihnen Kanzel und Beichtstuhl eingeräumt sind, die Beichte entgegenzunehmen – und zwar heute in der Frühe, zehn Uhr. Ist diese Rücksprache, die sie mit Ihnen nehmen will, vorüber, so bitt' ich mir die Stunde bestimmen zu wollen, wo ich die Ehre haben kann, Ihnen meine Aufwartung zu machen. Um meine gute Mutter nicht aufzuregen, bitt' ich jedoch dringend unter der Adresse: ›Professor Dalschefski, beim St.-Stanislaushause auf der Currentgasse.‹ Mit aller Hochachtung Hugo, Graf von Salem-Camphausen.«

Bonaventura's Athem stockte. Er sah auf die Uhr. Es war schon dreiviertel auf zehn. Nach einigen Minuten Besinnung begab er sich, geführt vom Chorherrn, in die Kirche »Maria zum Schnee«.

Bald standen sie auf einem kleinen Platz, wo ihn der freundliche Führer weiter wies. Die Sakristei liegt ein wenig abseits von der uralt ehrwürdigen Kirche. Als er sich hier zitternd in geistliche Kleidung warf, starrten ihm durchs Fenster von einem Kreuzgang her alte Grabmäler und Statuen wie der Tod entgegen. Er betrat das Innere des gothischen, hellen, nur zu sehr modernisirten Gottestempels.

Es war ihm, als träte er nun ein – in die Welt des Südens! Doch auch wie heißer Sirocco wehte es ihn zugleich an. An einem der hohen Pfeiler ragte die Kanzel, wo er am nächsten Sonntag predigen sollte. Er verbeugte sich dem Hochaltar und schritt an dem Standbild Metastasio's vorüber.

Der Meßner führte ihn in einen Beichtstuhl, dicht an einem kleinen Nebenaltar mit brennender Lampe. Ein Bild des Gekreuzigten, zu dessen Füßen zwei Frauengestalten, alte 141 Holzschnittwerke, beteten, zur Rechten – zur Linken das hohe Eingangsportal.

In dem engen braunen Häuschen sank er zusammen, wie das Vorbild all seines Duldens – als ihm auf seinem Todesgang Simon von Cyrene zu Hülfe kam. Es schlug zehn Uhr. Wenig Secunden – und eine Gestalt – in weiblicher Kleidung – kniete neben ihm, um über ihr seit ihrer letzten Beichte wieder vergangenes inhaltreiches Leben Bekenntnisse zu machen. Es war Lucinde.

 

Ende des sechsten Buchs.


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