Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VI. Buch
Karl Gutzkow

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Vierzehntes Bändchen.

1 8.

Eine sonnenbeschienene, mit Flechten, Moos und Epheu besetzte Bergwand lag den Dahinwandelnden zur Linken, rechts senkten sich die Abdachungen des Gartens und Parks in die herrliche Ebene nieder.

Ein Bild des Lebens! Die Stämme der Platanenallee waren weiß, hellgrünlich schimmernd! Das gelbe Laub weithin leuchtend –! Durch die todten Zacken und gekappten Verästelungen der kunstvoll gezogenen Platanen schien die Sonne mittagshell! Der Abschied der Natur war so froh, so glückverheißend –! Alles rief: Auf Wiedersehen im Frühling!

Aber aus den fernen Büschen sah man schon den Priester des nächsten Orts im Ornat dahereilen – mit den Sterbesakramenten. Der Graf blieb stehen. Die nachfolgenden Diener sprangen hinzu.

Nur stumm deutete der Graf auf die eilende Procession. Auch Benno's Blick starrte und irrte. Er suchte den vierspännigen Wagen.

Die Wanderung im raschelnden Laube dauerte eine halbe Stunde. Sie glich dem Wandeln bei einem Leichenconduct.

Benno konnte nichts zum Troste und zur Hoffnung reden. Seltsam blieb es, nicht ein Wort, nicht eine Miene des Grafen verrieth, daß Terschka seinem Freund die Scene von Schloß 2 Neuhof, die Verhandlungen zwischen den drei Priestern und dem Präsidenten verrathen hatte. Benno kämpfte mit sich, ob er es nun nicht selbst thun, ob er sich nicht, im Uebermaß seines Schmerzes, Angiolinens Bruder nennen sollte. Die Last wurde zu schwer –!

Am Ende der Felswand, die zuletzt sanft sich abdachte, lag das Casino. Es war ein düsteres Gebäude. Obgleich mit den schönsten Aussichten theils auf die Donau, theils zur Linken und rückwärts, bis zu den steierischen Alpen versehen, war es für ein junges lebensfrohes Gemüth doch ein beängstigender Aufenthaltsort. Aus der Ferne gesehen, mochte das Haus einen poetischen Anblick gewähren. Es glich einem alten Maison-de-Logis aus der Rococozeit. Rings wurde es von einer Allee von Riesentannen, mit Zweigen, die sich voll und schwer bis dicht an den Boden hinschleppten, umgeben. In der Nähe sahen die Bäume wie die Umgebung eines Mausoleums aus. Die untern Räume waren nur ein einziger großer Speisesaal mit Nebencabineten. Ein Hinterhäuschen gehörte dem dienenden Personal und mochte die Küche enthalten. Auch dies war ganz in Tannen versteckt. Im hohen Sommer mochte man hier Kühle und Schatten haben; jetzt war es dem Anblick nur in den kleinen runden Entresolfenstern der obern Etage wohnlich. Unten schroff abwärts zog sich die Landstraße. Auf einer Treppe von verwittertem, moosbewachsenem Erlenholz konnte man von außen zum Casino hinaufsteigen.

Die volkreiche Gegend mußte dem entsetzlichen Unglück schon auf frischer That eine Menge Zuschauer gebracht haben. Unten belagerte das Portal zur Treppe, das man schon geschlossen hatte, eine Menschenmasse. Viele andere waren schon vorher eingedrungen und standen im Hause. Andere noch liefen durch den Park herbei.

Der Priester war bereits am Lager der Todten oder – der 3 Sterbenden? Weihrauchduft strömte den Eintretenden entgegen. Dem Grafen, der an Fassung gewonnen hatte, wich man aus. Daß sie zu einer Todten kamen, lag vorausverkündigt auf aller Mienen. Einige zum Dienst des Hauses gehörende Frauen wehklagten und schrieen laut, noch lauter beim Erscheinen des Grafen.

Dieser, der hier ein öffentliches Gericht für sich selbst zu bestehen hatte, blickte scheinbar ruhiger. Er betrat zwei aus dem Hof ins Haus führende Stufen, durchschnitt eine kleine Rotunde und ging in einen die ganze Länge des Casinos einnehmenden Saal, dessen theilweis herabgelassene Jalousieen dem Raum eine Düsterheit gaben, die mit dem schmerzlichen Anblick eigenthümlich stimmte.

Schon sprach der Geistliche seine Segnungen. Der Arzt, den man an der Sonde in der Hand erkannte, öffnete eine Decke.

Auf einem langen runden Tisch lag, auf Matratzen und Betten, eine ausgestreckte, halb entkleidete jugendliche Gestalt. Gestreckt und schlaff lagen die Arme und Füße. Der edelgeformte Kopf war wachsfarben. An den Schläfen quoll noch Blut aus der tödtlichen Wunde. Das lange schwarze Haar war aufgelöst, ein Theil lag abgeschnitten daneben; der Sturz hatte die Hirnschale zerschmettert und eine Blutergießung verursacht. Schon trug das in den regelmäßigsten Formen gezeichnete Antlitz jenen Ausdruck der Ergebung, den der Tod uns verleiht, jene ernste Strenge, die so hoheitsvoll mit dem Abgeschiedenen versöhnt, selbst mit dem Verbrecher. Brust, Hand, die Symmetrie aller Formen war wie von Künstlerhand. Die Stirn nur klein, sanft aber und eben. Die beiden schwarzen Augenbrauen über den schwarzen Wimpern zeichneten sich wie zwei ernste Fragezeichen ab. Sie waren nicht rund, eher wellenförmig, wie bei allen leidenschaftlichen Naturen. Benno wagte noch nicht, 4 dauernd hinzusehen. Er fürchtete, sich selbst wiederzufinden – und die Züge des Kronsyndikus.

Während sich der Graf über die Leiche stürzte und lange nur schluchzend so ausgestreckt lag, dann wieder auffuhr und rief: Ich kann diese Glieder nicht kalt fühlen –! betrachtete Benno allmählich sein Ebenbild mit dem tiefsten Grauen. Er glaubte, jeder müßte ihm zuflüstern: Das sind ja Ihre Züge –! Besonders der Wuchs und die mehr runden als ovalen Formen des Kopfes waren dieselben, wie bei ihm. Die linke Hand der Todten ergriff er und bebte vor ihrer Kälte zurück. An den wellenförmigen Augenbrauen erkannte er den Vater, den er hatte im Winter bestatten helfen.

Der Priester hatte geendet und sprach einige Worte, die nicht dem Formular angehörten, Worte ohne Strenge. Der Arzt vereitelte jede Hoffnung. Das Halten eines Federflaums oberhalb der Lippen zeigte nicht die leiseste Bewegung.

Mit leidender Stimme bat der Graf, ihn allein zu lassen. Auch Benno bat er, er möchte eine Weile gehen. Nur eine Weile, wiederholte er. Er müsse mit ihm noch – jetzt zunächst aber mit der Todten reden.

Es war ein schauerliches Verlangen. Alle baten den Tiefgebeugten um Schonung seiner selbst. Da der Graf die Bitte wiederholte, so ging man.

Benno schwankte, ob er nicht dennoch bleiben sollte. Der Strom der Uebrigen drängte ihn mit fort. Die Diener sorgten, daß alle Neugierigen und auch die wirklich Theilnehmenden nach und nach sich entfernten. Niemand ließ man mehr ins Haus. Auch dahin brachte man es, daß sich allmählich die Menschen über die kleine Treppe oder in die Parkwege entfernten.

Benno stand unter den dunklen Tannen und suchte in dem vor ihm ausgebreiteten Panorama den vierspännigen Wagen. 5 Er gedachte der Mondnacht auf Altenkirchen, wo die Mutter ihre Scheinehe geschlossen – Auch unter solchen Tannen entspann sich der Anfang dieser schmerzlichen Geheimnisse –! Zwar regte sich mächtig sein Drang, sich zu offenbaren; auf die Länge aber fühlte er, daß er schweigen mußte. Er hätte in die weiteste Ferne entfliehen mögen –! Bei jedem Geräusch zuckte er auf. Er glaubte den Wagen hören zu müssen, in welchem die Schicksalsmächte jetzt die Mutter heranzögen. Er sah Dämonen mit Fackeln ihre Rosse führen – und diese Rosse Feuer blasen aus ihren Nüstern. Der Boden unter ihm wankte.

Der Arzt und der Geistliche schlossen sich ihm an. Er hätte auch vor diesen fliehen mögen, wie vor allen. Er mußte mit ihnen eine Weile unter den düstern Tannen auf und nieder gehen. Das ägyptische Todtengericht fehlte nicht. Man ließ der Unglücklichen manche gute Eigenschaft. Dennoch nannte man sie eine Verirrung des Grafen und wollte für die Zukunft, wenn Angiolina am Leben geblieben wäre, keinen Bestand seiner ehelichen Treue verbürgt haben. Das hieß soviel, als: Sie ist zum Glück gestorben!

Benno war zu gebrochen, um dem festen Willen, der eben erst aus des Grafen Entschließungen gesprochen hatte, ein besseres Zeugniß zu geben. Auch war es ihm, als hätte er einen letzten Schmuck vom Grabe seiner armen Schwester damit genommen. Er ließ ihr darum ganz den Schein der Gefahr für den Grafen.

Die Begleiter kehrten zu neuen Ankömmlingen zurück. Es waren zwei Aerzte, begleitet von zweien der italienischen Offiziere, die sie aus der Stadt herbeigeholt, indem sie dort ihre Reitpferde zurückgelassen und einen Wagen genommen hatten. Auch die übrigen Offiziere, welche Angiolinen ins Casino gebracht, bei des Grafen Ankunft sich aber in die Parkwege 6 zurückgezogen hatten, gesellten sich soeben zu dieser Gruppe. Olympia fehlte.

Daß sich der vierspännige Wagen wieder würde sehen lassen, wurde für Benno immer gewisser. Der Wagen hatte offenbar die Reiter verfehlt, hatte vielleicht noch eine weitere Ausfahrt gemacht und war mit dem Ereigniß noch nicht zusammengetroffen. Benno's Fassung mußte sich auf das Alleräußerste rüsten. Er dachte sich: Wenn die Mutter jetzt käme! Dann immer noch schweigen? Nein! . . . Seine Nerven zuckten, seine Lippen fieberten, seine Augen verdunkelten sich bei diesem Gedanken. Er riß seinen Oberrock auf. Er fürchtete zu ersticken.

Mehrere der Offiziere näherten sich ihm und erzählten den Vorfall in einer sie in solchem Grade entlastenden Weise, daß der Graf seine Gereiztheit gegen sie zurücknehmen mußte. Auch waren sie inzwischen schon bei ihm an der Leiche gewesen.

Benno hörte nur. Der Traum eines Fieberkranken währte fort –! Eben kam der vierspännige Wagen langsam die Landstraße daher. Die Menschen, die bei Benno bald stehen blieben, bald vorübergingen, nannten den Namen der Herzogin von Amarillas.

Die Offiziere gingen theils der Herzogin entgegen, theils ins Casino wieder zum Grafen. Benno blieb hinter einer der großen Nadellaubpyramiden. Er stand, als müßte er sich vor dem ganzen Leben verbergen.

Eine hohe stattliche Dame, in Gewändern von südlichen, für unsern Geschmack nicht üblichen Farbenzusammenstellungen, mit grünem Atlaskleide, einem rothen Sammethut mit Maraboutfedern, stieg die Erlenholztreppe herauf, vermied das Casino, kam zu der Tannenallee und ging an Benno vorüber. Neben ihr hüpfte in trippelnder Unruhe Principe Rucca, noch immer mit 7 dem schwarzen Streifen an der Stirn. Noch zwei Herren und ein Diener folgten.

Der kleine Principe sah sich ängstlich um. Er wollte offenbar nur ungern bleiben. Hier war der Tod so nahe! Da erkannte er Benno hinter den Tannen, begrüßte ihn mit der ganzen der Situation entsprechenden Ueberraschung, nannte ihn den »Salvatore della sua vita« und stellte ihn der Herzogin von Amarillas vor – den Sohn – der Mutter.

Die »Stimme des Blutes« ist eine Täuschung. Wo der Geist die Empfindungen nicht regelt, können diese nichts durch sich selbst erkennen. Die Empfindungen der Liebe, der Freundschaft durchströmen uns mit wonnigen Schauern; aber erst die Seele ist es, der Wille, der Gedanke, der den Empfindungen Ausdruck und Klarheit geben muß.

Die Herzogin von Amarillas, auf Benno aus einem bleichen Antlitz voll kalter Würde einen scharfen prüfenden Blick entsendend, wußte, daß dieser junge Mann zweimal der Gräfin Olympia, ihrer Pflegebefohlenen, begegnet war und daß heute in der Frühe, nach Abgabe der der Gräfin von den Dienern des Principe mitgetheilten Visitenkarte, sofort die Adresse Benno's von allen Lohnbedienten des Hotels hatte aufgesucht werden müssen. Schon die Diener kannten das Interesse, das die junge Gräfin an dem »Lebensretter« des Fürsten nahm. Nach einer Stunde wußte Olympia Maldachini Benno's Wohnung und seine Ausfahrt nach dem Schlosse Salem. Die Herzogin sah in ihrem Zögling eine Leidenschaft entstehen von jener Consequenz, die ihr wildes Naturkind sonst nur im Haß und Eigensinn besaß. Olympia beantragte die anstrengende, weit über ihre Kräfte gehende Partie, ins Gebirg zu reiten und das Schloß Salem zu sehen. Ein Widerspruch war da nicht möglich. Die Herzogin versprach 8 nachzukommen in Begleitung des Principe. Olympia ritt mit den Freunden ihres Verlobten, erlebte – veranlaßte vielleicht das Unglück und war jetzt zur Stadt zurück.

Der Name »von Asselyn« auf der abgegebenen Karte hätte sich der Sängerin Fulvia Maldachini vom Dechanten her befestigt haben sollen. Ihr klang aber in der Erinnerung ein deutscher Name wie der andere. Sie war Olympia mismuthig nachgefahren, verlor ihre Spur, ließ dem Gebirge zu weiter fahren, kehrte zurück und hörte von dem vorgefallenen Unglück. Dem Principe war es peinlich, ein Haus des Todes zu besuchen. Er kam nur herauf, um die italienischen Offiziere zu begrüßen. Nachdem diese ihr Beileid bezeigt hatten, wollten auch sie mit ihm und der Herzogin zur Stadt zurück. Die Offiziere hatten, bis auf zwei, ihre Pferde. Für die Aerzte, für den Principe, für die Herzogin und die Unberittenen gab es jetzt statt eines zwei Wagen.

Principe Rucca war für Benno die Zuvorkommenheit selbst. Er konnte die Gefahr vor dem Elefanten nicht lebensgefährlich genug darstellen. Er erzählte auch jetzt noch jedem, daß ihn ein Elefant gestern hätte zum Frühstück speisen wollen. Benno antwortete und ließ das Erzählte gelten und wich ruhig aus. Der Principe mußte von seiner Verlobten Befehle erhalten haben, die auf eine sofortige Fesselung des ihr so Werthgewordenen gingen. Inständigst bat er, ihm gestatten zu wollen, daß er ihn heute Abend abhole und in eine Gesellschaft zum Cardinal Ceccone führe, der auch seinerseits bereits das lebhafteste Interesse an den Tag gelegt hätte, ihn kennen zu lernen.

Die Herzogin hörte mit einigem Interesse das in geläufigem Italienisch geführte Gespräch, wandte sich dann ab und unterstützte diese Einladung nicht. Ihr Lächeln gab ihr einen Schimmer der ehemaligen Schönheit. Sie war von ebenmäßiger, 9 schon zum Embonpoint übergegangener Gestalt. Ihr Auge dunkelbraun und voll Feuer. Die Augenbrauen überscharf gezeichnet. Das Haar nicht echt. Auch die Zähne schwerlich ohne Beihülfe der Kunst so wohl noch aneinander gereiht. Ihre Haut dunkel, etwas gelblich. Die Wangen, die Nase, das Kinn noch von plastischer Schärfe. Würde man ihr den geschmacklosen Hut genommen, den falschen Scheitel entfernt, das graue Haar aus der Stirn nach oben zusammengewunden, gefärbt, vielleicht mit Goldstaub überstreut haben, so wär' es eine jener Gestalten gewesen, in deren Betrachtung wir uns in Museen verlieren – eine Imperatorenmutter mit blutigen Erinnerungen! Terschka, der Jesuitenzögling in Rom, sah einen solchen Kopf als Herme in den quirinalischen Gärten des Heiligen Vaters.

Ist sie ganz todt, die Arme? näselte der junge Fürst. Ist es eine Verwandte vom Grafen? Sind Sie gern bei Todten? Ich nicht! Verweilen Sie noch lange hier? Kommen Sie mit uns zurück? Diniren wir vielleicht zusammen? Waren Sie bereits schon im »Schwan«? Gefällt Ihnen diese Gegend?

Benno stand nur hörend und sehend. Antworten zu geben war seine Zunge gelähmt.

Die Herzogin durchschritt die kleine dunkle Baumanlage – als wenn sie Benno's Gedanken errathen hätte, der sich sagte: Sieh sie dir nur an, diese nordischen Tannen, die du zu hassen soviel Grund hast –! Sie belächelte nach einem kurzen conventionellen Bedauern des »hier stattgehabten Unglücks« die Aeußerungen des Principe über die schöne Natur. Um das schönste Panorama von Berg, Strom, Wald, Ebene, und in der Mitte die von sonnigen Nebeln umzogene Stadt mit dem riesigen St.-Stephan, gleichgültig anzusehen, stieß sie mit der Fußspitze die Zweige aus dem Wege und verrieth nicht minder, wie der Principe, die größte Ungeduld, sich wieder entfernen zu können.

10 Als sie hörte, daß die Offiziere noch im Hause wären, sagte sie, man sollte doch den Grafen seinem Schmerz überlassen. Ist sie eine Verwandte von ihm? fragte sie dazwischen. Mit einer festen Betonung ihrer tiefliegenden und bei längerem Sprechen ungleichen, ja rauhen Stimme schloß sie: Was kann man da thun –!

Nicht düsterer erhoben sich ringsum die herrlichen Bäume, als Benno stand und sah und nur hörte.

Die Offiziere waren inzwischen wieder aus dem Hause getreten und erklärten, nun noch auf die Aerzte warten zu müssen, die sie wieder mit zurückzunehmen hatten. Vom Grafen sagten sie, daß er in den obern Stock, in die Wohnzimmer der Unglücklichen gegangen wäre. Angiolinens Stellung zum Grafen wurde mit drei Worten angedeutet.

Die Herzogin horchte auf. La Povera! sagte sie und wollte fort.

Für den Principe aber begann mit dem Worte: »Eine Geliebte des Grafen!« der Vorfall interessanter zu werden. Er bekam nun Lust, die Unglückliche zu sehen.

Während er noch unschlüssig den Offizieren folgte, fragte die Herzogin den zurückbleibenden Benno, dessen starr auf sie gerichtete Augen ihr auffallen mußten:

Aus welchem Theil Deutschlands sind Sie?

Benno, nun entschlossen, sich ihr zu entdecken, nannte denjenigen Theil, der sie aufmerksam machen mußte. Aus der Gegend von Kassel –! sagte er.

Darauf hin betrachtete sie ihn schärfer. Ihr Auge blitzte. Vorher war sie nur so apathisch gewesen, weil sie an völlig anderes dachte – eben vielleicht an das, was Benno mit einem einzigen Worte traf. Benno hatte weniger von den Zügen des Kronsyndikus, als seine Schwester. Er glich mehr der Mutter.

11 Ganz sich sicher fühlend, fragte sie: Kennen Sie in jener Gegend ein Schloß – »Neiovo« –?

Sie meinte Neuhof –! Benno's Lippen bebten. Jede Möglichkeit, sich in ihrer Person geirrt zu haben, war nun verschwunden.

Neuhof? sagte er leise. Wittekind-Neuhof –? Das sind von Kassel mehr als funfzehn Meilen. Aber – in der Nähe Kassels, fuhr er fort, liegt – ein Schloß – mit einem Park voll solcher Tannen, wie Sie hier sehen – Meinen Sie vielleicht – Altenkirchen?

Die Herzogin hatte einen Fächer in der Rechten. Schon auf den Namen Wittekind-Neuhof schlug sie mit diesem Fächer unausgesetzt in die Linke. Altenkirchen –! sprach sie, fast die Sylben des schweren Wortes zählend, und nun traten ersichtlich hundert Fragen auf ihre Lippen. Die braunen Augen blitzten.

Eben kamen ihnen die Aerzte entgegen, zuckten die Achseln und riethen zum Gehen. Sie sagten, der Graf hätte sich vor allen Zeugen seines Schmerzes verborgen und wäre oben auf Angiolina's Zimmern. Im Hofe war alles still. Am Hause vorübergehend sah man auch, daß eben eine Dienerin mit verweinten Augen den großen Saal schließen wollte, wo die Leiche zurückblieb.

Die Herzogin stand auf das Wort »Altenkirchen« noch immer wie gebannt. Sie sah die düstere Hinterfaçade des Hauses mit den kleinen Entresolfenstern an und hauchte, wie von Erinnerungen durchschauert: Wie ein Grabgewölbe das –!

Eben hörte man das Drehen des großen Schlüssels – Es klang wie ein: Es ist vollbracht!

Blick hin! Komm! Zum letzten mal ist es möglich, daß du das eine deiner Kinder siehst! rief es in Benno's Innern. Die Seelenmesse für sie, von der du eben sprachst, wirst du 12 doch versäumen! Jetzt, jetzt, wo du eben hörtest, Graf Salem wäre ein Ketzer, laß dein Staunen, laß dein Fragen! In diesen stillen Saal ruft uns beide Angiolinens letzte Stunde –!

Kennen Sie die Familie der »Grafen« von Wittekind – fragte die Herzogin.

Freiherren! verbesserte Benno. Eben diesem Geschlecht gehört Neuhof! sagte er.

Die Herzogin stand eine Weile sinnend; dann fragte sie: Sie bleiben noch hier?

Ich habe die Ehre, Ihnen heute meine Aufwartung zu machen!

Bei Cardinal Ceccone? Nein! dort bin ich nie! Aber speisen Sie morgen bei uns – im Palatinus!

Benno hatte dieser Aufforderung gegenüber keine sofortige Sammlung. Es schien, als wollte die Herzogin mit ihm über die Schauplätze ihrer Vergangenheit reden.

Fürst Rucca, der nun doch vorgezogen hatte, seinem Auge den Anblick einer wenn auch noch so schönen »Todten« zu versagen, war bereits an der kleinen Holztreppe, als plötzlich wieder der Graf erschien. Leise war er von oben gekommen, hatte schon seinen Mantel abgelegt, verbeugte sich der Dame, den Herren, reichte Benno die Hand und sprach: Sie sehen, ich bin nun hier zu Hause. Ich will so lange hier bleiben, bis die letzte schwere Pflicht erfüllt ist –!

Der Graf schien gekommen, um für heute von Benno Abschied zu nehmen.

Die Herzogin sprach ihre Theilnahme aus.

Madame, wandte sich der Graf zu ihr und sagte in französischer Sprache: Ich bin sehr unglücklich! Ich habe ein liebendes Herz verloren –! Und zu Benno sich wendend, fuhr er 13 mit unsicherer Stimme deutsch fort: Unsere Angelegenheit ist unterbrochen – Ich bin heute keines Gedankens mehr fähig – Ich fürchte auch jede Stunde die Ankunft meiner Mutter – Es wäre ein großer Act der Freundschaft für mich, wenn Sie die Güte hätten und nach Wien eilten, meine Mutter zu begrüßen und zu sorgen, daß sie auf dies Schicksal schonend vorbereitet wird – Sie liebte Angiolinen –!

Die Herzogin hörte so aufmerksam zu, als verstünde sie jedes Wort.

Benno erbot sich zu allem und bat nur den Grafen, er möchte seinen Kutscher benachrichtigen lassen, daß derselbe allein zur Stadt zurückfahren solle. Zur Herzogin gewandt, sprach er, in den beiden Wagen fände sich vielleicht noch ein Platz für ihn.

Ohne Zweifel! sagte die Herzogin, wandte sich aber jetzt zum Grafen, der sich zurückziehen wollte, und sprach plötzlich wie im heroischen Entschluß: Ich will erst noch die Unglückliche sehen!

Madame – lehnte der Graf ab. Es ist ein schmerzlicher Anblick –!

Perché! erwiderte sie. Kennen Sie etwas Schöneres, als den Tod? Gestatten Sie mir dies Opfer! Principe! rief sie. Meine Herren! Bedienen Sie sich Ihrer Pferde und des zweiten Wagens! Ich folge mit dem Herrn von – –

Asselyn! ergänzte der Fürst. Die Herzogin hatte Benno's Namen schon wieder vergessen.

Graf Hugo machte eine ablehnende Bewegung.

Benno jedoch, von Freude erregt bei allen Schauern, bedeutete den harrenden Diener der Herzogin, zum Wagen vorauszugehen, er selbst würde später seine Gebieterin hinunterbegleiten.

Der Graf ließ nun wieder den Saal aufschließen, bat mit stummer Geberde um Entschuldigung, daß er nicht zugegen sein 14 würde, und kehrte über die Stiege in Angiolinens Wohnzimmer zurück mit der ihm von Benno gegebenen Versicherung, daß er sofort auf die Herrengasse eilen würde, um für den Empfang der Gräfin Mutter und die vorsichtige Einleitung der Schreckensnachricht zu sorgen.

Die Herzogin betrat den dunkeln Saal. Benno folgte, schon an die erschütternde Situation gewöhnt.


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