Karl Gutzkow
Der Zauberer von Rom. VI. Buch
Karl Gutzkow

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124 6.

Benno konnte sich, um den Weg in seine Wohnung zu finden, keiner zuverlässigeren Hülfe bedienen, als des Herrn von Pötzl, der gleichfalls Hut und Regenschirm genommen hatte und ihm gefolgt war.

Ueber den Namen dieses Mannes hätte sich Benno beruhigen sollen. Schon daheim, beim öftern Begegnen des Kattendyk'schen Hausfreundes, des alten Pflegers der Bologneserhunde, des als Gesellschaftsheloten benutzten Spaßmachers Ignaz Pötzl, hatte er diesen nicht weiter nach seiner wiener Verwandtschaft fragen mögen, seitdem dieser ihm einmal die Antwort gegeben, der Pötzl's gäb' es wie Sand am Meer und »mit einem alten Junggesellen, der einen Nothpfennig hinterließe, wäre alle Welt verwandt, auch ohne Pötzl zu heißen –«.

Fühlen Sie sich jetzt besser? hörte Benno hinter sich her rufen. Die frische Luft wird Ihnen halt gutthun! Ja, es ist ein überlebtes Gebäude! Wär's eine Kasern', längst wär' sie umgebaut.

Benno mäßigte seinen Schritt.

Wo aber, lieber Herr, wo wohnen Sie denn –? . . . Vielleicht an der Mölkerbastei? Das wäre gerad' mein Weg!

Benno wohnte an der Freyung.

Auch das war »gerad'« Herrn von Pötzl's Weg.

125 Der Regen hatte inzwischen nachgelassen. Als sich beide vor dem Gewühl der Wagen durch ein schnelles Laufmanöver über die Fahrstraße hinweg sichern wollten, rief Herr von Pötzl einen an ihnen rasch vorüberschießenden Herrn an: Gehorsamer Diener, Herr von Zickeles –!

Der Angerufene war ein noch junger, schon mit starkem Embonpoint versehener Mann, der soeben aus einem, seines»G'frornen« wegen, berühmten Laden trat und rasch noch hinüber in die Hamletsvorstellung wollte. Eine Mittheilung über ein misrathenes neues Stück in der Vorstadt mischte sich im seinen Gegengruß und zugleich die Frage, ob doch Herr Müller noch nicht seine große Scene gehabt hätte, und ebenso erfolgte zugleich ein forschender Blick auf Benno –

Benno, Herrn von Pötzl's Verlangen bemerkend, seinen Namen zu erfahren, ein Verlangen, das er hinter einer künstlichen Verlegenheit verbarg, ihn nicht »vorstellen« zu können, fragte, ob Herr von Zickeles dem Großhandlungshause gleiches Namens angehörte. Er hätte eine Karte von »Harry Zickeles« vorgefunden.

Mein Gott! brach Herr von Zickeles aus, bekannte sich als Abgeber der Karte und rief: Doch nicht etwa Herr Baron von Asselyn –?

Mit der Bejahung überraschte Benno ebenso Herrn Harry Zickeles, wie Herrn von Pötzl. Das ist halt einzig! rief Letzterer und hätte alle Vorübergehende über diese Spiele des Zufalls zu Zeugen anrufen mögen. Gerade »Herr Baron von Asselyn« war die Persönlichkeit, die »beide« »gesucht« hatten! Herr von Pötzl demaskirte sich als Bruder des alten Komikers Ignaz Pötzl, der ihm ausdrücklich»geschrieben hätt'« von der Reise des Herrn »von« Schnuphase und vom Herrn von Asselyn. Aber nein! Und Sie geben mir nicht einmal die Ehre! Die Freud' und die Ueberraschung!

126 Benno hatte keine Anweisung auf die Bekanntschaft dieses so außerordentlich gefälligen Mannes erhalten. Aber er ließ es an dem Schein einer engern Verbindung mit dem Bruder nun nicht fehlen. Machte er doch eine offenbare Freude damit und bahnte vielleicht eine Erleichterung seiner Forschungen an.

Die Erinnerung an den alten Thaddädlspieler zeigte das ganze »G'müth« des Herrn von Pötzl. Jede Nuance der Charakteristik seines Bruders unterbrach er mit einem glückseligen: »Ja! ja!« Und als Herr von Zickeles den Witz machte: Sagens doch nicht, Herr Baron, daß er wohlauf ist! Herr von Pötzl hört viel lieber das Gegentheil! Er will ihn halt beerben! erfolgte von Herrn von Pötzl nur ein einziges: »O Sie –!« Alle Schäkereien der Welt lagen in dem Ton.

Herr von Zickeles gab, wenn auch mit einigem Zögern, den »Hamlet« und den Applaus des jungen Schauspielers auf, der ebenfalls an ihn »empfohlen« war. Laërtes, den Herr Müller »spüllte«, hatte seine Hauptscene erst im letzten Act. Herr von Zickeles ruhte nicht, bis Herr von Asselyn versprach, sofort, »aber auch auf der Stell'« in den Salon seiner Aeltern zu kommen. Jeden Abend wären sie da nach dem Theater noch beisammen und der Herr von Asselyn wäre vollends von seiner gerade aus Paris anwesenden Schwester Bettina Fuld und von deren Begleiterin, dem Fräulein Angelika »von« Müller, aufs allerdringendste erwartet.

Angelika Müller hier! Ein Mollaccord, der sich sanft und wohlthuend über Benno's erschrecktes Gemüth verbreitete. Hier war nun von keiner Willensfreiheit mehr die Rede. Harry Zickeles hatte ihn schon unterm Arm. Auch Herr von Pötzl folgte in Verklärung. Harry Zickeles ließ nicht eher ab, bis sie alle drei vor dem Portal seines älterlichen Hauses standen. Es lag jenseit des Grabens, dicht in der Nähe eines großen Platzes, des »Hohen Marktes«.

127 Herr von Pötzl war etwas schweigsamer geworden, aber gleichsam so, als wenn ihm der Ueberstrom der Gefühle die Worte raubte.

Als Herr von Zickeles am Hause seiner Aeltern geschellt hatte, zog er die Uhr und sagte: Freilich – Glauben Sie wol, Herr von Pötzl, daß der Laërtes jetzt aus Paris zurückkommen ist? Ich bitt' schön, führen Sie den Herrn Baron zu meinen Aeltern hinauf! Ich hab' – Der junge Mann ist merkwürdigerweise mir und – der Kaiserin-Mutter empfohlen worden –! Sehr ein hübsches Talent das! Ich – Oder nein! Kommen Sie, Herr von Asselyn, ich führe Sie erst selbst auf und dann spring' ich halt noch ein bissel in den letzten Act!

Nun keuchte der junge dicke Mann die Treppe voran. Das Haus war viel heller erleuchtet, als das Palais des armen Schuldners der Zickeles, des Grafen Hugo von Salem-Camphausen. Der junge Theaterenthusiast blieb auf der Mitte der Treppe stehen, zog wieder die Uhr und schien eine große Angst zu haben, die Hauptscene seines Günstlings, dem er, wie Herr von Pötzl elegisch-ironisch sagte, seine gewohnte Protection durch einen stürmischen Applaus zugesagt hatte, zu versäumen. Endlich waren alle drei im ersten Stock angelangt. Hier klingelte Herr von Zickeles und erst, als er sicher war, daß der öffnende Bediente den Gast direct aus seiner Hand empfing und die Anmeldung fest hatte: »Herr Baron von Asselyn!«, bat er für eine halbe Stunde um Entschuldigung und eilte davon, um im Burgtheater sein gegebenes Mäcenatenwort zu lösen.

Sehr ein vortrefflicher Mensch und – Kunstkenner! sagte Herr von Pötzl mit einem immer entschiedener ausbrechenden Anfluge maliciöser – Gemüthlichkeit, und setzte, beim Ausziehen der Oberröcke Benno ins Ohr flüsternd, hinzu: Sie werden ja, wie ganz Wien weiß, hier in dem Hause erwartet wie der Onkel 128 aus Amerika oder das Manna in der Wüste! Geb' der Himmel, daß Ihre Mission an den Herrn Grafen vom glänzendsten Erfolge gekrönt wird –!

Auf Benno's bebender Lippe schwebte die Frage: Wie aber kommst denn du und meine arme, nun, wie es scheint, geopferte Schwester Angiolina zu einem und demselben Namen –? Er mußte jetzt in die Salons der reichen Bankierfamilie treten.

Herr von Pötzl »führte ihn auf« unter einer Flut gemüthvollster Reden, in denen er alles haarklein erzählte, was sich zum Erstaunen und »wie in einem Roman« seit dem Eingang zum Burgtheater bis zum gegenwärtigen Augenblick in Herrn Baron von Asselyn's Leben und dem seinigen zugetragen hätte. Die Räume waren erhellt, aber noch leer. Nur der »Herr Vater«, Herr Marcus Zickeles, und die »Frau Mutter« und noch einige ältere Herren und Damen waren anwesend. Sie bildeten Whistpartieen, die im vollen Gange waren, sodaß trotz der freundlichsten Bewillkommnung die noch nicht zu Ende gespielten Partieen ausführlichere Beweise herzlicher Begrüßung unterbrachen. Vater und Mutter verwiesen ihn mit aller Freundlichkeit auf den jüngsten Sohn des Hauses, der ihm von Seiten der Mutter mit besonders hoher Genugthuung und den Worten vorgestellt wurde: Mein Sohn Percival.

Percival Zickeles war ein noch unreifer, etwas schüchterner Jüngling, dem, wie es schien, der erste Buchhalter beispringen mußte, um in üblicher Weise die Honneurs zu machen. Benno war es sehr zufrieden, daß ihm jetzt Herr von Pötzl, der seines »Aufgeführten« Bedeutung leise tuschelnd da und dorthin mittheilte, einige Ruhe ließ. Denn was lag nicht alles centnerschwer auf seiner Brust! Selbst die harmlose Erwähnung Angelika's, der »ewigen Verlobten« Püttmeyer's, weckte Erinnerungen, die ihn wie in den Lüften schweben ließen.

129 Angelika Müller trat auch wirklich ein. Sie, in gesellschaftlichem Putz und Staat –! Sie, die alte verblühte ultrakatholische Erzieherin –, sie, sonst in einem halben Nonnenkloster wirkend – und nun hier in einem israelitischen Hause –! Kaum erblickte sie Benno, so stieß sie einen Schreck- und Jubelruf aus, der die alte »Frau von Zickeles« im Spiele zu stören schien. Sie wandte sich um und – stumm nur reichte jetzt Angelika Benno die Hand.

Angelika's Lächeln war das alte. Die weit sich öffnenden Lippen zeigten die ganze Reihe ihrer riesigen, doch weißen, schön erhaltenen Zähne. Eine lange Rosaschleife erstreckte sich niederwärts von den mühsam zusammengelesenen blonden Haaren in den Nacken. Sie trug ihre Arme, so mager sie waren, entblößt. So befiehlt das Sklavenleben des Gouvernantenthums, den innern und äußern Menschen den Umständen gemäß zu metamorphosiren! Auch den innern Menschen! Es war Angelika Müller und sie war es nicht. Ein Jahr in Paris und auf Reisen und dienen, dienen müssen fremden Launen – da sprach sie von Armgart wie schon von einer Jugenderinnerung! Allerdings hatte es auch in Armgart's Leben die allerüberraschendsten Veränderungen gegeben. Armgart befand sich jetzt in dem ihr sonst so gründlich verhaßten England. Näheres wußte auch Angelika nicht von ihr. Nur noch durch Püttmeyer war die »treue Seele« im Zusammenhang mit ihrem alten Leben. So mußte denn wol Benno erzählen. Er that es in Liebe und Güte und mit Schonung Püttmeyer's. An diesem hielt Angelika unverbrüchlich fest. Sie hatte für sein System in Paris gewirkt; sie hoffte auch in Wien einige rechtgläubige Spätlinge der Naturphilosophie für die Philosophie der Kegelschnitte gewinnen zu können.

Frau von Zickeles wurde jetzt aufgeregter. Die Gesellschaftsdame ihrer Tochter schien ihr zu sehr im Vordergrunde zu stehen. 130 Sie spielte zwar noch Whist, unterließ aber nicht, der jetzt sich mehrenden Gesellschaft ihre Aufmerksamkeit zu bezeigen. Nach jeder Karte, die sie ausgespielt hatte, rief sie: Joseph –! Das galt dem Bedienten. Oder: Pepi –! Das galt dem Hausmädchen. Fräulein Müller –! Angelika war Gesellschafterin ihrer noch im Theater befindlichen Tochter, der Frau Bettina Fuld. Wenn sie Percival –! ihren Jüngsten, rief, so geschah dies im Tone einer ganz besondern Zärtlichkeit. Sie hatte dem »hoffnungsvollen« Knaben nach einem Lieblingsdrama der Zeit diesen Namen statt seines ursprünglichen »Pinkus« gestattet. Angelika Müller bekam Augenwinke, die sagen sollten, außer dem Herrn Baron wären auch noch andere Herrschaften in den Zimmern.

So näherte sich denn dem »Herrn Baron« wieder Herr von Pötzl, zog die Dose, offerirte und genoß die Zinsen von dem auf den Fremden bereits verwandten Kapital von Zuvorkommenheit. Er flüsterte über den Grafen Hugo.

Den Kampf, ob er morgen den Besuch im »Palatinus« oder die Reise nach Schloß Salem aufgeben sollte, hatte Benno schon zu Gunsten seiner geschäftlichen Pflicht entschieden. Auf seine Aeußerung, er würde morgen früh dem Grafen Hugo auf Schloß Salem seine Aufwartung machen, unterließ Herr von Pötzl nicht, die schöne Gegend, den Charakter des Grafen zu schildern, kleine satirische Seitenhiebe einzuwerfen und diesen wieder eine Fülle von Gemüth folgen zu lassen. Die Veränderung wird außerordentlich werden! sagte er. Und wahrhaftig. Die Zickeles sind sehr dabei interessirt! Wo nur der Leo bleibt! Leo ist das Geschäft nächst dem Vater. Ganz Metalliques, Abends blos Wohlthätigkeitsschwärmer! Ich vermuthe, er sitzt in diesem Augenblick Comité. Das Talent, ein gutes Herz zu zeigen, Herr Baron, ist in Wien außerordentlich cultivirt, aber – eine kostspielige Passion! Leo von Zickeles wird deshalb wahrscheinlich 131 auch nie heirathen. Er sieht sich seine Medaillen, Ehrenpatente, seine gedruckten Thränen der Witwen und Waisen – unter uns gesagt, den künftigen Orden! – an und behält sein von tausend Zähren des Dankes emaillirtes Herz für sich allein.

Joseph –! rief hier die Mutter. Hat Herr von Asselyn G'frornes?

Joseph präsentirte.

Herr von Pötzl fuhr fort: Den zweiten Bruder, Herrn Harry, haben Sie schon kennen gelernt. Auch er ist Vormittags aufrichtig »Metalliques«. Die übrige Zeit gehört dem Enthusiasmus für Ruhm und schöne Künste. Sie sehen, daß er sich viertheilen lassen kann, wenn er einem Schauspieler an einer gewissen Stelle einen Applaus versprochen hat. Es ist halt vorgekommen, daß er einen Maschinisten »auf der Wieden« bestochen hat, an einem Abend eine Störung hervorzurufen, nur damit ein anderes Stück herausgebracht werden mußte, als dasjenige, wo er ein gegebenes Applausversprechen wegen eines anderweitigen Theater- oder Concert-Engagements nicht erfüllen konnte. Harry Zickeles führt jede in der Theaterzeitung neuangekündigte Unsterblichkeit, wenn sie nach Wien kommt, in die hiesigen Hallen des Ruhmes ein. Dabei ist sein größtes Leidwesen, daß sich sein Herz zuweilen in zwei Hälften theilen muß, wenn die bewunderten Namen zwei Gegner sind, die sich nicht ausstehen mögen.

Pepi –! rief die Mutter. Hat der Herr Baron G'frornes?

Pepi präsentirte.

Herr von Pötzl flüsterte: Der dritte Sohn, Percival, ist, wie Sie an dem träumerischen Jüngling vielleicht schon gemerkt haben werden, ein dichterisches Genie. Erst vor zwei Jahren gab er sich selbst den Vornamen Percival. Er hat Romanzen geschrieben à la Heine, blos zur Abwechslung einmal läßt er den Palmenbaum, statt von einer Fichte, von einer »Akazie« geliebt sein. Wissens, von wegen der »Grazie«! Auch hat er einen »Ahasver« unter der Feder, worin die geniale Idee vorkommen soll, daß sich Ahasver nach Wien begibt und im »Stock am Eisen« einen Nagel vom Kreuz des Erlösers einschlägt, gerad' den letzten, der noch hinein geht, wodurch ihm die selige Ruh' zu Theil wird – wenigstens in Oesterreich, wo mir der Erfolg schon jetzt ein – begrabener zu sein scheint.

Percival! – rief die Mutter. Hat Herr Baron G'frornes?

Percival fuhr wie aus »Morgenrothsträumen« auf, strich sich seine schönen langen schwarzen Haare zurück und machte eine Miene, als hätte ihm nur eine Geisterstimme gerufen. Allmählich erst besann er sich auf den irdischen Begriff des Wortes »G'frornes« und »offerirte« mit einer Miene weltschmerzlichen Duldens. Herr von Pötzl nahm ihm die Schüssel ab mit der freundlichsten Anrede: Sie, mein liebster bester Herr Percival! Ich glaub' fast, Sie sind schon wieder einen halben Zoll gewachsen! Percival schien die Anerkennung seiner Jugend gern zu hören und lächelte.

Frau Bettina von Fuld – die kennen Sie? fragte dann Herr von Pötzl, als sie wieder an einem andern Fenster allein standen.

Benno mußte diese Voraussetzung verneinen.

O sie muß sogleich erscheinen! Mit ihrem Gatten, der etwas ins diplomatische Fach spielt – ein Changeant, das ihm in Homburg und Baden-Baden viel Geld kosten soll! Dann ist noch die jüngere Schwester, Jenny, da. Die ist noch »im Kärntnerthor«, wo eine Oper von Bellini gegeben wird. Sie hat eine famose Stimm'. Wenigstens glauben's die Aeltern und der Professor Biancchi – Ja – kennen Sie den Namen, daß Sie so erstaunen? Derselbe, den Sie heut im Theater sahen! Der wird freilich nicht Ursach' haben, diese Ueberzeugung von Jenny's Stimm' zu bestreiten – denn er »laßt« sich die Stund' mit einem Dukaten zahlen. Ohne Zweifel werden Sie heut noch 133 Gelegenheit haben, sich von dem Raffinement eines solchen Italieners mit einem förmlichen Pergamentgesicht zu überzeugen. Kommt er mit, so laßt er sie singen. Ich sage: Er laßt sie! Denn das ist merkwürdig. Diese Musikprofessoren haben über ihre Schülerinnen eine Autorität, wie ein Abrichter über seine Affen! Wann der Alte in den Salon tritt, kriegt die Junge regelmäßig einen innern Ruck, wie eine Braut vor ihrem kommenden Bräutigam. Vor keinem Menschen hat sie Courag', allein zu singen – Steht aber der alte Italiener dabei und schlagt mit seiner unerschütterlichen Pierrotmaske die Noten um, – geht's: »Perfido! Crudele –!« Man glaubt halt einen Dolch in ihrer Hand zu sehen.

Mamsell Müller –! rief jetzt wieder Frau von Zickeles. Hat der Herr Baron G'frornes?

Angelika hüpfte zum Whisttisch. Sie war so in Träume versunken, daß sie nur den Ruf, nicht den Auftrag gehört hatte.

»Biancchi« – Biancchi –! Auch über diesen Namen mußte Benno tiefbeklommen aufathmen.

Inzwischen carambolirte Angelika mit Herrn von Pötzl, der soeben, sich selbst unterbrechend, mit der süßesten Miene und wie zum Kniebeugen anbetend auf Damen zulief, die ins Zimmer traten und vielleicht die eben von ihm so schnöde Verlästerten selbst waren. Immer größer und größer wurde der Zustrom.

Frau von Zickeles zankte mit Fräulein Müller über das, »was sie nicht gewohnt wär' zweimal zu sagen« und verwies sie auf die Angekommenen. Angelika's Rosabänder flogen einer Dame entgegen, die eben mit leuchtenden Augen lachend eintrat. Frau Bettina Fuld kam vom Theater »an der Wien« und berichtete über die dort gehörten »unerhörten Plattitüden«, lachte aber doch noch dermaßen darüber, daß sie dem Ersticken nahe gerieth. Benno erfreute sich des angenehmen Eindrucks, den er von dem 134 anmuthigen jungen Weibchen zum ersten mal empfing. Dagegen war ihm zwar Herr Bernhard Fuld äußerlich bekannt, doch mußte er sich erst allmählich in ihm zurecht finden; er war so mit Bart überwachsen, daß man aus den Haaren eine Physiognomie gar nicht heraussuchen konnte. Er trug sein Band der »ehrlichen Legion«. Benno fühlte Mitleid mit dem Grafen Hugo, zu dessen Leben er hier die Reversseite sah.

Jetzt kam denn auch Harry zurück. Er hatte dem Laërtes, als dieser die Rede für Opheliens und seines Vaters Tod gehalten, noch »stürmisch« applaudiren können, war dann nebenan in die Loge zur »Resi Kuchelmeister« gegangen und brachte diese mit, wie auch den Herrn Professor Biancchi. Außerdem erschien noch eine andere ältere, auch der ausübenden Musik angehörende Persönlichkeit, der Professor Dalschefski, ein Pole. Eben gab es einen Zank, dessen Ursache Benno, den seltsamen Italiener und Bruder der alten Carbonari Marco und Napoleone fixirend, nicht sogleich ergründen konnte.

Alles das ging bunt durcheinander und noch bunter, als nun auch Leo Zickeles aus einem seiner Wohlthätigkeitscomités nach Hause kam. Die Whistpartieen waren zu Ende, die Spieler standen auf und eine Nebenthür wurde geöffnet, wo auf einem Tische, auf den die Hungernden »wie die Wölfe« zufuhren, compactere Speisen standen. Resi Kuchelmeister brauchte jenen Ausdruck. Sie freute sich Benno wiederhergestellt zu sehen und begrüßte ihn schon wie einen alten Bekannten – ihn doch zugleich auch scharf fixirend.

Der alte Herr von Zickeles trat vertraulich zu Benno. Nach einigen Ermahnungen, sich einen Teller zu füllen, nahm er ihn bei Seite und erörterte den Stand der Angelegenheit des Grafen. Seine Erlaucht, sagte er, sind auf dem Schlosse Salem. Die Frau Gräfin Mutter Erlaucht werden stündlich von Schloß 135 Westerhof erwartet. Hat die Comtesse Paula von Dorste-Camphausen – eingewilligt?

Benno konnte keine Auskunft geben.

Hm! fuhr der alte Herr mit den Augen zwinkernd fort. Ich glaubte doch, Sie, Herr Baron, brächten vom Herrn Oberprocurator Nück schon die Stipulationen der Agnaten –

Der Graf soll sie zuvor unterschreiben –

Die Schuldenlast ist sehr groß und meine Lage nicht danach, länger Geduld zu haben. Ich würde Salem und Castellungo subhastiren lassen müssen –

Auch Castellungo? Das gehört der Mutter –

Schon längst hat sie es für den Herrn Sohn verpfändet! Ohne den Zwischenfall mit Terschka würden wir schon näher am Ziele sein. Die Urkunde – allen Respect, Herr von Asselyn – ich kenne Ihre Ansichten nicht – aber – eine sehr verdächtige Geschichte –! Herr von Zickeles wollte sagen: Terschka ist es, der im Auftrag Roms das Schloß angesteckt und dann eine falsche Urkunde producirt hat –! Wenigstens las Benno diese Ansicht in den scharfen Mienen des Handelsherrn, der keineswegs zu scherzen geneigt schien, als er wiederholentlich auf Terschka zurückkam.

Benno antwortete: Terschka ist ja Protestant!

Protestant –? lächelte Herr von Zickeles und flüsterte: Die Jesuiten lassen ihn auch sein Protestant –!

Mit einem so auffallenden Streiflicht über Terschka's Flucht und Aufenthalt in London stand Benno eine Weile sich allein überlassen. Die Töchter umschmeichelten eben den Vater, fielen ihm um den Hals, liebkosten ihn – natürlich, um dabei den fremden Baron, dessen begeisterte Prophetin lange schon Angelika Müller gewesen, näher in Augenschein zu nehmen.

Herr von Zickeles ließ sich Kinn und Wange streicheln, sagte 136 der hinzugekommenen Resi Kuchelmeister viel Artiges, war ganz nur Patriarch und fuhr dann doch, als die Frauen forthüpften, streng wieder fort: Sie werden es auf Salem sehr öde und einsam finden – Sobald Sie von dort zurück sind, seien Sie doch den nächsten Mittag bei uns zu Tisch! Und überhaupt, Herr von Asselyn, an jedem Tag finden Sie bei uns Ihr Couvert! Wenn die Gräfin zuletzt mit der wirklichen Entscheidung eintreffen sollte – – Herr von Zickeles konnte nicht weiter reden. Auch Leo Zickeles nicht, der hinzugetreten war und sich in geschäftliche Dinge mischen wollte – Mein Gott, was ist –! mußten Vater und Sohn zu gleicher Zeit fragen.

Jenny weinte laut. Weil Professor Biancchi mit Resi Kuchelmeister »eine Verschwörung« gegen sie eingeleitet hätte! Eben jetzt erst hatte sie erfahren, daß Biancchi heute Dalschefski's Platz im Burgtheater benutzt und die Resi begleitet hatte. Sie hatte bisher den Grund, warum Biancchi heute nicht in Bellini's »Piraten« war, vergebens erforscht. Soviel etwa verstand Benno von der Ursache des Streits.

Der Vater ging besorgt in das vordere Zimmer. Frau von Zickeles folgte in großer Aufregung. Leo, der älteste Sohn des Hauses, der Wohlthätigkeitsschwärmer, ein ruhiger, kaltprüfender Mann, schenkte Benno Wein ein und sagte, ohne sich um den musikalischen Lärm zu kümmern: Ja, Sie werden den Grafen sehr in Verstimmung finden! Aber man kann ihm doch nur Glück wünschen, daß namentlich auch – das Verhältniß aufhört mit dieser – Angiolina!

So war das vernichtende Wort gefallen.

Angiolina? sagte der hinzutretende Harry lächelnd und löste Leo ab, der von seinem Schwager, dem Diplomaten, in Anspruch genommen wurde. Haben Sie auch schon von dem Fräulein Pötzl gehört? fragte er und sah sich schmunzelnd nach Herrn von Pötzl um.

137 Wie hängt Herr von Pötzl mit – fragte Benno in abgebrochener Rede, mit dieser – Dame – zusammen?

Bei Leibe! flüsterte Harry und drückte seine kleinen Augen vollends zu. Nur nicht zu laut davon! Sie ist Herrn von Pötzl's Pflegetochter. Er kennt sie aber seit Jahren nicht mehr, will auch nichts mehr von ihr wissen. Auch zu uns kam sie sonst. Herr von Terschka führte sie auf. Später ging's nicht mehr – das Verhältniß mit dem Grafen, der sie als Kind hatte erziehen lassen, wurde zu auffallend – Sie werden schon wissen – Die Einzige, die sie noch zuweilen sieht, ist da die Resi. Das ist überhaupt ein lieber Narr! Resi's Vater war unser erster Buchhalter und hinterließ ihr ein hübsches Vermögen. Seitdem wohnt sie mit einer Tante und will seit zehn Jahren schon zum Theater. Sie weiß aber nicht, daß das nun mit ihren fünfundzwanzig Jahren zu spät ist. Meine Schwestern sind mit ihr auferzogen worden. Sagen Sie ihr um Himmels willen nicht, daß Sie der Employé sind, der die Heirath des Grafen Hugo mit Gräfin Dorste, der Geisterseherin, arrangiren soll! Sie kratzt Ihnen sonst die Augen aus, so intim war sie noch vor kurzem mit Angiolina, die sonst wirklich eine Pracht von einem Mädchen ist. Aber hören Sie, wie die Resi jetzt den Biancchi zurecht stutzt –! Sie müssen wissen, die Theres' wohnt in Einem Hause mit den beiden Musikmeistern, die zusammenwohnen, obwol sie ganz verschiedene Systeme haben. Theresens Lehrer ist der Dalschefski, ein Pole, und der ist für deutsche Musik; unsere Jenny da, die hat den Biancchi zum Lehrer und der ist natürlich ein fanatischer Italiener. Der Pole und der Italiener wohnen aber, wie gesagt, in Einem Quartier, auf der Currentgasse. Und von Haus aus sind's die besten Freunde, im Vertrauen gesagt, wegen der Politik. Aber in der Musik hassen sie sich. Nun können Sie sich die Eifersucht der beiden Mädchen denken! Unsere Jenny weint 138 eben, weil der Biancchi heute mit der Resi ins Burgtheater »gangen« ist, während sie im Kärtnerthor allein saß!

Welche geringfügige Leiden! dachte Benno.

Mehr konnte Harry nicht mittheilen; alles wurde still, weil die beiden Freundinnen allein das Wort führten.

Jenny, nicht so anmuthig, wie ihre Schwester Bettina, mit schärferer orientalischer Zeichnung, voller, drückte ihr Taschentuch vor die Augen und behauptete, die ganze Vorstellung des »Piraten« wäre ihr heute verdorben durch das vergebliche Warten auf Biancchi! Und dieser Mann wäre inzwischen von Theresen in Beschlag genommen worden!

Der Pole Dalschefski, ein magerer, schmächtiger Alter mit grauen Haaren, immer halb lächelnden, halb melancholischen Ausdrucks, sprach in gebrochenem Deutsch: Mein Freund Biancchi – er hat sehen wollen – die Loge vom großen Kanzler – wo sind gewesen heute die italienischen Herrschaften aus Rom – hab ich ihm gegeben meine Platz –!

Unbesonnen genug von Ihnen! entgegnete ihrerseits die Resi. Der fremde Herr Baron, der durch Zufall Zeuge unserer Leiden gewesen ist, wird es bestätigen können, daß uns der Maestro durch seine gehässigen Bemerkungen die ganze Vorstellung verdorben hat!

Wenn Therese Kuchelmeister laut sprach, schien dies für alle ein Zeichen zu sein, zu schweigen. Angelika Müller raunte Benno, der an dem Italiener immer mehr Interesse nahm, ins Ohr: Das ist unsre Armgart – ins Wienerische übersetzt! Sie ist natürlich – aber bis zur Grobheit einer Küchenmagd. Hören Sie nur –! Die gute Angelika schien vorauszusetzen, daß es zwischen Benno und Armgart immer noch wäre, wie sonst . . .

Unter allgemeinem Lachen sagte Resi, indem sie von ihrem Teller ein Ragout aß: Ueberhaupt diese Italiener! Die listige 139 Artigkeit erst, als er in die Loge kam statt des Dalschefski, bis sich dann seine wahre Natur enthüllte –! So ist's auch in unserm Hause! Wann der »Obers« zum Kaffee den beiden Herren zu schlecht ist – und es ist ein Leiden mit der Milch in Wien, nicht wahr, Frau von Zickeles? – so schicken sie zu mir herunter und meine Tante laßt sich regelmäßig bestechen, wann sie gerad' oben ein Sonat' von Beethoven spielen hört. Dann, denkt sie, hat unser guter Dalschefski die Oberhand – das arme gute Lamm das!

Alles lachte. Mit unerschütterlicher Ruhe, einer Mumie gleich, verharrte Biancchi unter dem Gelächter und that, als ob er überhaupt kein Deutsch verstünde.

Dalschefski sagte zu Benno, der im Antlitz des Professors Aehnlichkeiten mit Napoleone, Marco Biancchi und – Olympien suchte: O, sie ist schlimm!

Jenny Zickeles stand ihrem Lehrer als einem »willenlosen Opfer fremder Intriguen« bei, brachte ihm von den Speisen und schlug den Flügel auf.

Der Schwiegersohn des Hauses, Ritter Fuld, schien vor dem Moment des Singens seiner Schwägerin ein Grauen zu empfinden, retirirte sich und zog Benno auf ein Kanapee ins Nebenzimmer. Seine Gemahlin kam ab und zu. Sie lachte fast zu viel – »ihrer schönen Zähne wegen«, flüsterte Herr von Pötzl schon bei ihrem Eintreten.

Jenny, ihre Schwester, sang indessen eine majestätische Arie von Caraffa. Biancchi schlug die Noten um.

Benno betrachtete in den Pausen, die ihm Ritter Fuld gewährte, den Italiener. Es mußte jedenfalls der Onkel Olympiens sein. Nur etwas Außerordentliches hatte diesen Feind der deutschen Sprache und Kunst ins Burgtheater ziehen können. Wie hatte er von dem Kinde seiner Schwester Lucrezia gesprochen! War 140 nicht bei ihrem Anblick über seine todten Mienen ein plötzliches wildes Erzittern gekommen?

Die Arie endete selbstverständlich mit großem Applaus. Auch Resi und Dalschefski klatschten – natürlich um alles wieder gut zu machen. Herr von Pötzl war ganz Fanatismus und zog auch Benno in die Wirbel und Strudel seiner Bewunderung, ob er gleich hinterher ihm leise ins Ohr raunte: Pitoyable!

Jenny stand am Piano und hielt die Hand ihres geliebten alten Maestro mit einer Zärtlichkeit, als wollte sie sagen: Du mein Licht, meine Sonne, Ursache meines höhern Seins, Erkenner und Bildner meiner unvergleichlichen Stimme –! Signore parla italiano –? fragte sie, um dem geliebten Professor das Gespräch zu erleichtern. Denn Benno mußte sich jetzt dem Sonderling nähern, dessen Empfindungen er vielleicht nur allein hier verstand.

Biancchi blieb aber so kalt, wie Eis.

Benno fragte ihn jetzt in seiner Sprache. ob er die italienischen Herrschaften, die ihn heute ins Burgtheater gezogen hätten, schon aus Rom kenne?

Jetzt blitzte über das gelbe Antlitz ein heller Lichtschein. Nein, mein Herr! erwiderte er trocken. Diese Leute einmal gesehen zu haben, ist schon zu viel.

Lieben Sie so wenig Ihre Landsleute? entgegnete Benno.

Diesen Principe Rucca? Haben Sie das schwarze Pflaster gesehen? Der junge Affe hat sich wahrscheinlich den Kopf an einer Fensterscheibe zerstoßen und geht nun mit einem Pflaster ins Theater, um Oesterreich glauben zu machen, die Italiener hätten Muth – Diese – Italiener! Es sind die Bastarde unsers Volks!

Benno erzählte die Ursache der Verwundung, nannte die junge Gräfin Maldachini und sah das Auge des Italieners unter 141 seinen schwarzen Brauen immer mehr hin- und herzucken. Ja mit Bestien muß die spielen –! sagte er und fixirte Benno mistrauisch, als müßte er Anstand nehmen, sich ganz auszusprechen.

Dalschefski horchte gleichfalls hin. Beide Männer schienen in ihrem innersten Wesen noch etwas anderes zu sein, als was sie hier vorstellten. Benno erkannte immer mehr, daß er wirklich Luigi Biancchi, den dritten der römischen Flüchtlinge, vor sich hatte, in deren Familie Hedemann sich hineinheirathen wollte.

Jenny war überglücklich, die neue Bekanntschaft des Hauses sofort mit Biancchi so eng verbunden zu sehen.

Als ihr beide der Hitze wegen in ein Nebenzimmer folgen sollten und Benno auf eine Bestätigung des Ursprungs der Gräfin Maldachini gefaßt sein konnte, unterbrach Resi, welche gefolgt war, die zur nähern Verständigung einleitende Frage Benno's: Haben Sie nicht Verwandte, die in Frankfurt am Main und London leben? mit den deutschen Worten: Der hat gar keine Verwandte! Der ist in Italien auf irgendeinem Holzapfelbaum ganz für sich allein gewachsen!

Benno hätte wünschen mögen, die neckische Plaudertasche hielte sich jetzt entfernt. Er konnte voraussetzen, daß sich Biancchi in tiefster Herzensbewegung befand, so ruhig auch sein Aeußeres erschien. Da er auf die erneute Frage nach dem »Bildhauer« Biancchi, wie Benno den Gipsfigurenhändler, und nach dem »Maler«, wie er den Restaurator nannte, nur ein Kopfschütteln als Antwort bekam, ließ er Resi's Spott gelten.

Glauben Sie ihm nur ja nicht! sagte diese. Die Leute, die Sie da nennen, sind sämmtlich seine Verwandte! Oder sie mögen nicht weit von seinem Stamm gefallen sein! Aber Dalschefski muß ihnen regelmäßig schreiben, daß der Onkel im »Spital« läge und sich von milden Gaben anderer Menschen selbst sein Leben kümmerlich fristen müßte!

142 Ha ragione! sagte Biancchi ruhig und nahm eine Prise, die ihm sein persönlicher Freund und Stubengenosse, wenn auch musikalischer Gegner und Rival Dalschefski präsentirte.

Besuchen Sie ihn nur in der Currentgasse, Herr Baron! sagte Resi. Ein Haus mit drei Höfen, berühmt durch den heiligen Stanislaus nebenan. Jetzt gehört's der Handlung Pelikan & Tuckmandl. Da werden Sie jeden Mittag um zwölf Uhr, Hof Nr. 3, Thür Nr. 17 rechts, diesen von mildthätigen Gaben lebenden italienischen Bettler über einer Pastete von Rebhühnern und dergleichen und dem besten Weine Deutschlands finden, eines Landes, das er so gründlich verachtet! Unsere Musik schlecht zu machen hat ihm in diesem charakterlosen Wien ein Vermögen von fünfzigtausend Gulden eingebracht. Nachts fürchtet er freilich zur Strafe die deutschen Diebe – und darin hat er Recht, es wird in Wien fürchterlich gestohlen – Frau von Zickeles! In der Josephsstadt ist schon wieder eingebrochen! – Dann ruft er in seiner Angst dem Dalschefski und wenn dieser edle Pole, der die deutsche Musik trotz der drei Theilungen Polens ehrt, es vorzieht, um zwölf Uhr Nachts zu schlafen, so weckt ihn dieser grausame Tyrann, macht Licht und schmeichelt ihn aus dem Bett heraus mit dem Zugeständniß, daß Mozart manchmal ein Italiener gewesen sein könnte! Uebrigens kennen wir seine Verwandte alle. Eine Frau Giuseppina Biancchi zieht in Castellungo die besten Seidenwürmer. Graf Salem-Camphausen hat sich's eine Untersuchung kosten lassen, als er der Angiolina Stunden gab und ihn einmal Terschka um seine Verwandte zur Rede stellte. Auch da war er völlig unwissend!

Mit größter Ruhe entgegnete der Maestro auf diese Benno tief ergreifenden Einzelheiten: Es ist ja bekannt, daß dieser Herr Graf von Salem seine Finanzen durch allerlei dumme Possen ruinirt hat.

Da man lachte, so brach Resi in ein parodirendes: Perfido –! 143 Crrrrrudele –! im Ton der italienischen Oper aus, sprang zum Klavier, variirte noch eine Zeit lang in diesem affectirten Ton heftige Verwünschungen gegen Biancchi, ging aber allmählich, wie zu Rührung ergriffen über die Erwähnung Angiolinens und die jetzt wol in Erfahrung gebrachte Mission des fremden jungen Rechtsgelehrten, in andere Melodieen über und sang zuletzt Schubert's »Wanderer« mit erschütterndem Ausdruck.

Benno hatte indessen nicht den Muth, weiter zu forschen. Ueberall sah er, daß er Anknüpfungen seiner Interessen, voll äußerster Verlockung, sich zu enthüllen, fand und immer, immer war dazu sein Begleiter der Schmerz. Er hörte die Thurmuhren draußen feierlich in den schönen Gesang hereinschlagen. Es war wie ein Ruf aus dem Jenseits. Als Resi zu Ende war, hätte er gehen mögen. Wie disharmonisch war der ausbrechende Beifall! Herr von Pötzl raste und kein vertrauliches: Pitoyable! folgte. Resi aber würdigte gerade ihn keines Blicks. Es war, als wollte sie sagen: Wir haben eine Loge zusammen – müssen gemeinschaftlich unsere kritischen Empfindungen im Burgtheater los werden – aber ein Urtheil über ein Lied von Schubert gestatt' ich dir nicht –!

Zuletzt gab man noch Benno für seinen wiener Aufenthalt allerlei gute Rathschläge. Bernhard Fuld warnte vor den »Fiakern« – Herr von Pötzl, leise ihm ins Ohr raunend, vor den »Spitzln« – Frau Bettina Fuld, mit einer leisen Anspielung auf Terschka, über den sie mit ihm einiges gesprochen hatte (staunend und lächelnd – sie lächelte zu Glück und Unglück), vor den »Böhmen« – Harry vor den immer nur sehr schlechten Eckplätzen in den Theatern – ja selbst Percival, den der Schlaf übermannte, thaute noch einmal auf und äußerte sich ganz praktisch über das Institut der »Hausmeister«, das zwar Trinkgelder bedinge, aber den Besitz eines Hausschlüssels überflüssig 144 mache. Resi sagte: Die Hauptsache, Herr Baron, bleibt immer, daß Sie sich nicht bestehlen lassen! Denn: in Wien stiehlt alles! Nicht blos die Raizen und die Rastelbinder – das sind noch die ehrlichsten von allen! Nur draußen in der Vorstadt, da aber auch nur in der alleräußersten, gibt's noch ein bissel Ehrlichkeit! Ganz verlassen könnens »Ihnen« blos auf die Ungarn! So stiehlt in Wien alles. Die Raizen stehlen, weil sie's brauchen. Die Italiener, weil sie die Ehrlichkeit für einen Mangel an Verstand halten. Die Böhmen, weil sie wißbegierig sein wollen – die Raben entschuldigen sich ebenso. Die Polen – lieber Dalschefski, nehmen Sie mir's nicht übel! – die stehlen auch; sie haben das Bedürfniß, die Liebe ihrer Herrschaft in Prügeln bewiesen zu bekommen. Alle diese Motive zum Stehlen lassen sich noch hören. Aber die schlechteste Nation – Professor Biancchi, jetzt sind wir einig! – sind in diesem Punkt allerdings die Deutschen! Die stehlen aus einem ganz gemeinen Grund, der gar kein anderer ist, als dasjenige, was andern gehört, lieber selbst besitzen zu wollen! Ich sage das in voller Ueberzeugung und nicht blos deswegen, weil der arme Biancchi sich über das Schubert'sche Lied schon wieder ganz gelb geärgert hat und morgen am End' hier die Stund' absagen laßt.

In solche und ähnliche lustige Reden hinein wurden schon die Mäntel, die Shawls und die Hüte genommen. Phantastisch aufgeputzt wurde Biancchi von Jenny und Dalschefski von der Resi. Große Shawls hüteten die geliebten alten Maestri vor »Verkühlungen«. Ein charakteristischer Zug aller gebornen Wiener war, daß sie einstimmig das Klima ihrer herrlichen Stadt verwünschten. Frau von Zickeles entwickelte sich erst jetzt in einer längern Rede. Angelika Müller pries dafür ihrer Herrin Landhaus in der »Briehl«. Sie seufzte auf wie eine Märtyrerin und flüsterte Benno, als stünde sie an der Maximinuskapelle, zu: Ich 145 hoffe auf eine stille Stunde –! Harry Zickeles ließ es sich nicht nehmen, Benno nach Hause zu begleiten. Alles schritt hinunter. Man trennte sich.

Herr von Pötzl benutzte Harry's Holen seines vergessenen Halsshawls, um Benno zu sagen: Der Harry ist in Wien »Führer« par excellence. Wo wäre ein neu angekommener Name, den er nicht des Morgens auf den Graben spazieren geführt und des Abends nach Hause begleitet hätte! Leo hat seine Wohlthätigkeitsdiplome, Percival seinen »Ahasver«, der Harry wird Ihnen noch sein »Album« anbieten. Dieses sechs Pfund schwere Buch folgt ihm nach Mailand, Paris und London. Was nur Namen hat in der wissenschaftlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Welt, das alles hat mehr oder weniger hineingeschrieben: »Hommage à mon ami Zickeles!« Er ist der einzige Mensch, dem sich Meyerbeer, Thalberg, Liszt und andere Genien im Nachtkamisol und in Unterbeinkleidern zeigen: »Genirens Ihnen nicht, Meyerbeer, ziehen Sie sich ruhig an, Ihr Freund Harry Zickeles raucht derweilen eine Cigarre!« – O bitt' schön, lieber Herr von Zickeles! unterbrach sich Pötzl – Da sind Sie ja! Ja, Sie Charmantester! Nur keine Verkühlung! Mein Weg ist halt in die Josephstadt! Herr von Asselyn – hab' mich unendlich gefreut! Aber ich hab' noch die Ehre –!

Auf die schärfste Satire folgte der gemüthvollste Händedruck erst an Harry, dann an Benno, und nun wohnte Herr von Pötzl plötzlich in der Josephstadt, während ihn so lange, als er noch nicht über Benno im Reinen war, sein Weg auch über die Mölkerbastei und auf die Freyung geführt hatte.

Harry ergriff Benno's Arm wie den eines alten Bekannten und gab über den schnell davonhuschenden Pötzl die Erklärung: Herr von Pötzl ist sehr ein rangirter Mann – Witwer – ohne Kinder –! Die Angiolina war seine Pflegetochter – Graf Salem 146 ließ sie auf seine Kosten von ihm erziehen – Sonst ist er – ursprünglich, glaub' ich, ein verdorbener Architekt. Er hatte das Geschäft gepachtet, im Prater die Buden aufschlagen zu dürfen. Dann baute er selbst Häuser oder lieh Geld auf andere. Das hat ihn in die Höh' gebracht. Als seine Frau starb, verließ ihn die Angiolina und ihm war's ganz recht, denn er hat einen großen Nagel im Kopf und hieße zu gern der »Edle von Krapfingen«, was eine Besitzung ist, die ihm gehört. Die Leute sagen – aber ganz unter uns! – hier an dem Gebäude (Harry zeigte auf ein düsteres, Benno schon bekanntes Haus – die Polizei) kennt der Mann alle Hinter- und Seitenthüren. Nehmens sich ein bissel vor ihm in Acht! Wir haben allerhand Spitzln! Bezahlte und unbezahlte. Wenn Sie Mittags in der kleinsten Garküche speisen, weiß man hier in dem Hause schon Abends, in was für Münze Sie bezahlt haben!

An dem stillen Priesterhause, Benno's Wohnung, mußten die lehrreichen Aufklärungen ein Ende nehmen. Noch wurde von dem gefälligen Harry ein großer eiserner Klopfer angeschlagen. Die Thür ging auf. Benno nahm Abschied und versprach, wenn er morgen zeitig genug von Schloß Salem zurückkehren sollte, noch den Abend vorzusprechen, sonst aber auch jeden freien Augenblick in dem unterhaltenden, gastfreien, zwanglosen Hause zuzubringen.

Nun schritt er durch matt erhellte Gänge und kam in seine stillen Zimmer, wo er suchen mußte, nach soviel kaum zu Ertragendem, das ihm heute das Geschick verhängte, im Schlummer die Kraft zu gewinnen für ein ferneres –»Freudvoll und Leidvoll«.


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