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Viertes Buch.

Arthur harrte im Vorzimmer des Ministers. Der Chef wollte mit seinem jungen Sekretair ausfahren. Ein dringender Besuch schien den Ausbleibenden zurückzuhalten. Arthur ging voraus, lehnte sich auf das Geländer der Treppe, ging unten in der Hausflur auf und ab, trat endlich auf die Straße, wo die Pferde, ungeduldig wie er, schon seit einer langen Zeit stampften; Herr von Magnus ließ lange auf sich warten. Endlich eilte ein junger Mann aus dem Hause, den man wegen seines gelben Teints allgemein den Aegyptier nannte. Es währte nicht lange, so kam der Minister und stieg mit dem Harrenden ein. Wie sie um die nächste Ecke bogen, zog der Aegyptier noch einmal seinen Hut, drollig, gleichmüthig, die Hände in den Hosentaschen.

Ein freundlicher Park nahm das leichte Fuhrwerk auf, eine süße, milde Luft wehte den Fahrenden entgegen, der Minister wischte sich den Schweiß von der Stirn und antwortete noch immer nicht, ob ihn gleich Arthur gefragt hatte, ob denn seine Relationen mit dem Aegyptier in der That so eng wären, als man nach diesem Gespräche vermuthen möchte.

Das Rasseln des Wagens auf dem Steinpflaster mochte in der Stadt die Frage übertönt haben. Draußen wiederholte sie Arthur und erhielt die Antwort: »Mein Lieber, ich kann Ihnen wohl im Vertrauen gestehen, daß die heutige Art, regieren zu müssen, alle meine bisherigen Begriffe über Staatskunst verwirrt. Mein Trieb war auf einen allmähligen Fortschritt in nützlichen Reformen gerichtet, und ich überzeuge mich selbst, wie nothwendig es ist, daß die Staatsmaschine mit allen Kräften, die ihr zu Gebote stehen, gehemmt wird, daß ein absoluter Stillstand der natürlichen Bewegung und des selbst sich entwickelnden Organismus eintreten muß, damit man wenigstens den Augenblick behauptet und sein überliefertes Besitzthum rettet.«

Arthur hatte längst seine jugendliche Schwärmerei aufgegeben und sie mit einem Indifferentismus vertauscht, der, wenn er dazu kam seine Meinung zu sagen, am liebsten die Meinung des Gouvernements sagte. Arthur hoffte Beförderung. Er sagte auch deßhalb: »Wer an der äußersten Gränze steht und die meiste Macht hat, parlamentirt gern oder bescheidet sich, nur einen Theil von ihr zu gebrauchen. Wellington wird niemals einem so reinen Torysmus folgen, als wozu ihm diejenigen seiner Parthei rathen, die hinter ihm stehen und keine Verantwortlichkeit tragen.«

»Nein, mein Lieber,« entgegnete Herr von Magnus; »es ist nicht Scheu, die mir meine Stellung unbehaglich macht, sondern eine wirkliche Ueberzeugung. Mit welchen Begriffen bin ich in die politische Carrière eingetreten? Mit Begriffen der Freiheit und des Kampfes gegen fremdländische Usurpation. Meine Studien fallen in eine Zeit, wo die Staatswissenschaft zum ersten Male in eine Berührung mit den Institutionen Englands kam, in eine Zeit, wo man sich mit Edmund Burke von der französischen Revolution zwar abwandte, aber dafür auch die englische Staatsraison, die Vorzüge einer auf gesellschaftlichen Vertrag gegründeten Verfassung in seine politischen Vorstellungen einsog. Ich bin mit dem Enthusiasmus groß geworden, den die Werke Adam Smiths erregten und habe mit Entschlossenheit an dem Kampfe Theil genommen, welchen das System des großen Schotten mit dem Egoismus, mit der feudalistischen Verdächtigung, mit dem Fanatismus der theoretischen Physiokraten und den Querelen der kleinen praktischen Gutsbesitzer führen mußte; erlauben Sie mir, zu sagen, daß alle diese Elemente meiner politischen Bildung demokratischer Natur waren. Das Reizende der Englischen Verfassung ist jetzt ihr aristokratisches Prinzip geworden, damals war es die populäre Grundlage derselben, welche die strebenden Köpfe begeisterte. Die Thatsachen, welche außerdem von der damaligen Geschichte gesetzt wurden, waren nicht so gestaltet, daß man auf diesen künftigen Zwiespalt hätte aufmerksam gemacht werden können. Das neuernde Prinzip war das der Regierung; Gouverniren hieß damals aufräumen, Mißbräuche tilgen, Einheit schaffen, erziehen, beleben, erzeugen; man hatte einen Fingerzeig für Alles was man that, eine ebenso geheime wie offenkundige große Idee, die Befreiung vom fremden Joche; die Idee realisirte sich, ein Brausen und Wehen entstand, daß es eine Lust war, an den öffentlichen Vorfällen Theil zu nehmen. Ich folgte dem Heere, ich warf mich oft mitten in die Gefahr; denn für mich begann nichts Neues, sondern meinen Hoffnungen wurde die Krone eines glorreichen Endes aufgesetzt. Von diesem Gedanken begann mein doppeltes Mißverhältniß zur Zeit. Die revolutionäre Tendenz unserer Zelt datirte von diesen Begebenheiten einen Anfang; ich sah in ihnen nur ein Ende. So zerfiel ich ebenso sehr mit diesen mir verhaßten Bestrebungen, wie ich aufrichtig zugeben muß, die entgegengesetzte Tendenz der neuern Politik noch bis zum gegenwärtigen Augenblick nicht verstanden zu haben.«

Arthur kam in Verlegenheit. Es war bekannt, daß Herr von Magnus der Ausdruck der höchsten Gutmüthigkeit war, daß er mit seinem guten Herzen auch gern seine Stellung durchgehen ließ und daß man längst von ihm sagte, er befände sich nicht mehr auf seinem Platze. Die Unbehaglichkeit seiner Lage verleitete den braven Mann, mit wem er nur konnte, darüber zu sprechen. Es war eine ewige Verwunderung, aus welcher ihm herauszuhelfen er die Menschen anging. Arthur war ein Freund seines Hauses, ein beliebter Gesellschafter seiner Frau, gegen ihn legte er sich also am wenigsten Zwang an. Arthur erhielt ihn lebhaft durch seine Widersprüche. Er besann sich auch diesmal nicht, ihm offen zu sagen: »Der Charakter unserer Zeit hat sich merkwürdig umgestaltet. Das entfesselte Volk fing an, sich nicht mehr als den dritten oder vierten Stand zu betrachten, sondern es feierte überall seinen 17. Juny und machte sich zur Allgemeinheit, zum Plenum. Wo blieben die Interessen der Uebrigen? Alles das zu erfüllen, was die Menge verlangt, wäre in unserer Zeit nicht einmal etwas Großes, sondern nur etwas Abentheuerliches.«

»Aber um Gotteswillen,« fiel Herr von Magnus mit Heftigkeit ein; »sagen Sie mir nur, durch wen man heutiges Tages etwas erzielen kann? Wer besitzt die Reichthümer; wer besitzt die Intelligenz; wer besitzt zuletzt die physische Gewalt, mit welcher sich die Staaten schützen sollen? Der Schwerpunkt aller politischen Existenz fällt in unsern Tagen auf die große Masse, weil Reichthum, Intelligenz, ja selbst die adlige Prärogative der Ehre etwas Populäres und Allgemeines geworden sind. Wie kann man hoffen, unter diesen Umständen ein gleichmäßiges Aequilibrium von gleich berechtigten und gleich verpflichteten Gesellschaftsstufen herzustellen, wo Alles das, was der geringen Zahl des Adels ehemals dennoch das größere Gewicht gab, auf den Bürger und Bauer übergegangen ist? Sagen Sie mir um Alles in der Welt, wie wollen Sie Staaten von dem Papiere in's Leben rufen? Habt Ihr Reaktionäre nicht dieselben Träume, wie die Demagogen?«

»Erlauben mir Ew. Excellenz,« entgegnete Arthur, »aufrichtig meine Meinung zu sagen. Hätte die Demagogie die Kraft, wie die Reaktion, sie würde vielleicht eben so wenig eine Thorheit seyn, wie es diese ist. So lange aber die Reaktion noch über Mittel und Kräfte gebieten kann, wird sie dieselben zu zwei Absichten verwenden. Sie muß negativ und positiv verfahren. Sie muß jenen Neuerungstrieb zerstören, der in die Völkerschicksale leider durch die Regierungen selbst gekommen ist, sie muß zu gleicher Zeit nach irgend einem Schema dasjenige, was sie als Contre-Revolution zertrümmert, wieder aufbauen und überhaupt auf Positivitäten dringen.«

»Recht gut,« bemerkte der Minister; »aber welch ein Schema ist zu diesem Zweck gezeichnet worden! Das ist nichts als eine sklavische Abstraktion von den veralteten Zuständen.«

»Nein, eine freie Abstraktion; ein Schema, das eben so sehr der Geschichte wie dem Gedanken angehört.«

»Ihre Gedanken denken nichts, als die Vergangenheit.«

»Wir vertheidigen das Recht der Geschichte«

»Die Geschichte hat ein Recht gegen Diejenigen, welche täglich Geschichte machen.«

»Der Fortschritt wird nicht geläugnet, allein woher die Materialien der Zukunft nehmen?«

»Nicht aus den alten Institutionen, sondern aus dem Urtheil über sie.«

»Das Urtheil schafft keine Welt, es sei denn Gottes Urtheil. Es muß Unterlagen, Bedingungen, es muß faktische Erleichterungen geben.«

»Sie wählen die rechten nicht! Die Gegenwart bietet dieselben Erleichterungen. Die Menschheit gewöhnt sich schneller an etwas Neues, als an die Nachahmung des Alten.«

»Das große Gesetz unserer Zeit ist die Freiheit. Die Thatsachen, auf welche wir dringen, sind eben so sehr Traditionen, wie Ergebnisse der Vernunft. Das ist der große Unterschied des Alten und Neuen, daß jenes gegeben war, dies genommen ist, jenes belastete, dies befreit: es sind dieselben Formen, aber sie werden in einem andern Lichte betrachtet. Das Erste ist die Tyrannei, das Zweite die Empörung, das Dritte aber die Versöhnung durch die Liebe und die Ueberzeugung.«

Der Minister schwieg, grüßte mehremal Vorübergehende, seufzte und fuhr fort: »Urtheilen Sie, wie Sie müssen; müßt Alle so! Ich kann es nicht und die Zeit mit ihren täglichen Erlebnissen wird meine Schwäche entschuldigen. Ich zittre, wenn ich den unaufhaltsamen Strom von Verneinungen überblicke, der über die Welt kommen kann. Die Vernunft zieht sich Gränzen, aber die Leidenschaft reißt sie alle ein. Die Vernunft weiß, daß sie Einiges bezweifeln darf, daß sie Manches wissen kann, das Meiste aber glauben muß; die Leidenschaft aber weiß nichts, die Leidenschaft glaubt Nichts, die Leidenschaft bezweifelt Alles. Nennen Sie mir den Moment, wo Sie glauben, daß auf dem Heerde der Verneinung, Paris, endlich ein Ende der Unruhe eintreten wird: Ich sehe kein Ende ab, am wenigsten, wenn man das thut, was die Menschen fordern, noch weniger, wenn man sie mit Bajonetten umpflanzt. Es ist schrecklich!«

Eine Pause trat ein, während welcher der Wagen langsam die Landstraße, auf welche man kam, wenn man den Park verließ, hinunterfuhr. Jeder drückte sich mißgestimmt in eine Wagenecke. Der Minister war ein langer hagerer Mann, der immer Noth hatte, seine Beine unterzubringen. Er schlug sie gewöhnlich übereinander, auch die Arme, und senkte dabei den Kopf tief in diese kreuzweisen Verschränkungen herab. Doch jetzt erhob er ihn mit Lebhaftigkeit. Ein Wagen begegnete ihnen, dessen Schlag sich öffnete und ein bleiches Kindesantlitz herauslächeln ließ. Die langen Glieder sprangen auf, der Kutscher wurde angerufen zu halten, es war die Tochter des Herrn von Magnus, die so eben mit ihrer zukünftigen Gouvernante, Seraphine, aus der Pension kam und anhaltender Kränklichkeit wegen in das Haus ihrer Eltern zurückkehrte. Auch der staubige Reisewagen hielt an, der Schlag wurde geöffnet und mit herzlichem Willkommen drückte der geistig so tief gebeugte Mann Antonien, sein einziges Kind, an sein Herz. Das kleine Wesen war krank und hatte von Natur wenig Gefühl. Sie stieg in den Wagen, wo ihr Arthur Platz machte, der sich von der plötzlichen Erscheinung Seraphinen's abwandte und um Zerstreuung zu suchen in das Feld hinaussahe, wo sich leider auch nicht ein einziger Baum fand, an welchen er seine Verlegenheit hätte anheften können. Auch Seraphine stieg in den frischen Wagen. Arthur sprang hinaus und gab vor, noch einen weitern Spaziergang machen zu wollen. Herr von Magnus war viel zu sehr mit seiner Tochter beschäftigt, als daß er ernstlich versucht hätte, den erschrockenen Flüchtling zurückzuhalten.

Seraphine überließ Antonien den Zärtlichkeiten ihres Vaters, der Aufnahme bei der Mutter und zog sich auf die Zimmer zurück, welche ihr für die Zukunft angewiesen waren. Es dunkelte schon. Sie konnte sich wenig in ihrer neuen Lage orientiren. Sie hatte auch hinlänglich damit zu thun, der wunderbaren Veränderung nachzuhängen, welche auf's Neue ihr Schicksal betroffen hatte. In diesem Hause war sie als Hülfeflehende erschienen: Der damals so zerstreute Mann hatte sie nicht wiedererkannt. Sie war auf's Neue in Kreise versetzt, wo sie Arthur und Edmund begegnen mußte, als eine Hingeschiedene, die Niemanden mehr in dem, was er über ihrem Grabe that, verhindern durfte. Sie wachte am nächsten Morgen mit dem Gefühle auf, welches Niemanden unbekannt seyn kann, der eine plötzliche und glückliche Veränderung, die ihm Tags zuvor widerfuhr, am Morgen an den Wänden sucht und vorsichtig auf sein Gedächtniß tritt, damit er allmählig sich überzeuge, ob es denn wirklich Wahrheit sey, worüber er sich zu freuen nicht mit einem Male wagt.

Jetzt erst bemerkte Seraphine ihre anmuthige Wohnung. Sie ging nach einem Garten hinaus, den man mehr Anlage und Park nennen mußte, weil er nur spärliche Blumenbeete, meist schattige Baumparthien zeigte. Dicht unter ihren Fenstern, obgleich einen Stock tiefer, begannen riesenhafte Glasfenster, welche die schräge Bedachung von verschwenderisch angelegten Treibhäusern bildeten. Brennende, tropische Farben leuchteten durch die hellgrünen Fenster hindurch, die hier und da geöffnet waren, und die zierlich geordneten Terrassen, die von den seltensten Pflanzen besetzt waren, sehen ließen. Zur linken Hand war ein ungeheures Netz gezogen, unter welchem Pfauen und Fasanen ihren schlanken Wuchs und ihre Farbenpracht entfalteten. Zur Rechten gruben sich auf einer kleinen Insel Kaninchen ihre unterirdischen Gänge, während sich auf dem Teiche, der sie umgab, einige stolze Schwäne brüsteten. Man sahe, hier waltete eine eigene Liebhaberei, eine Hypochondrie, die sich von der Welt abschloß und auf ihre eigenen Schöpfungen beschränkte. Auch blieb der Beherrscher dieser Anlagen, die trotz ihres ausgesuchten Charakters etwas Düsteres hatten, da zumal der Park dicht daran stieß, nicht fern. Herr von Magnus wandelte in einem langen blausammtnen Morgensurtout durch seine Fasanennetze und tropischen Pflanzenterrassen. Eine gelbe Schnur durchschnitt den gestreckten Körper gerade in der Mitte in zwei Hälften, von welchen jede schon hinreichend gewesen wäre, die Länge eines soliden untersetzten Mannes zu bilden. Ein großes Aktenstück klemmte er unter den linken Arm, sein ostindisches Taschentuch unter den rechten. Das erstere war, weil er das letztere sehr viel brauchte, nahe daran, ihm hinten zu entgleiten. In der That entfiel es ihm, ohne daß er's merkte. Er wandelte gravitätisch seinen Gang fort, während das vielleicht wichtige Papier am Boden lag und von einigen türkischen Enten, die in die Inselkolonie gehörten, verdolmetscht wurde. Zuweilen hatte Herr von Magnus Bedürfniß sich auszusprechen. Dann rief er gewöhnlich aus vollen Leibeskräften: »Heinrich!« worauf ein Livreejäger erschien, der hier sowohl die botanischen wie zoologischen Funktionen zu gleicher Zeit zu versehen schien. Zuweilen hatte Herr von Magnus etwas recht derb zu erinnern, zuweilen rief er auch nur: »Heinrich,« und wenn dieser kam, so winkte er ihm daß es schon gut wäre und er nur wieder gehen möge. Endlich führte der Zufall den braven Mann wieder auf die Stelle, wo seine Depeche von den türkischen Enten, die damit hin- und herzerrten, wahrscheinlich entziffert wurde. Wie ein Blitz schoß die lange, sonst so phlegmatische Gestalt über den vielleicht unersetzlichen Verlust her, die Enten wackelten in die Flucht, aber ihr Verfolger setzte ihnen so lange zu, bis sie keuchend in den Teich stürzten. Nicht genug, daß die indiscreten Leserinnen diplomatischer Geheimnisse vor der Rache des Ministers hatten entfliehen müssen: nein, er drohte ihnen jetzt auch noch vom Ufer aus, sie in eine strenge Untersuchung ziehen zu wollen: er überhäufte sie mit Vorwürfen und Drohungen, unter welchen das Schlachtmesser der Küche oft genannt wurde, rief endlich sein Faktotum Heinrich und trug auf diesen seinen Unmuth und seine Zanklust über, bis er lärmend und polternd den Garten verließ. Das Lärmen der Enten und das Geschrei der Pfauen gab dieser Scene einen komischen Effekt.

Seraphine mußte herzlich lachen, aber sie hatte es bald bemerkt, daß Herr von Magnus ein herzensguter nur etwas langweiliger und hypochondrischer Mann war. Ihre Natur verlangte es jetzt, daß sie sich ihm mit Vorliebe widmete. Wo sie irgend ein Leiden spürte, wo sie überhaupt eine Eigenthümlichkeit wahrnahm und begriff, da mußte sie versuchen, ob sie nicht darauf wirken und mit Verläugnung ihres eigenen Wesens ihr nützen könne. Sie malte sich den Charakter des Ministers aus, schwärmte von hochgestellten Männern, die innerlich doch recht unglücklich seyn könnten, und betrachtete sich bald, durch eine ihrem Wesen unvertilgbar zum Grunde liegende Eitelkeit, als den Genius, der diesem Hause gefehlt hatte. Das Leiden Antoniens aber bekümmerte sie sehr. Denn die Aerzte gaben nicht mehr viel für sie, wie man zu sagen pflegt; das Kind siechte augenscheinlich seinem Ende entgegen. Doch war Antonie dabei sehr lebenslustig, gierig, und überhaupt excentrisch in ihren Wünschen. Man mußte ihrer Unliebenswürdigkeit Alles nachsehen und Seraphine klagte oft darüber, daß alle ihre schönen Lehren und Lebensmaximen leider nur dem Tode gepredigt würden.

Das Unheimlichste aber im Leben ist die Ruhe und Gleichgültigkeit, welche, gleichsam als könnte nichts geschehen, einen Ort umgiebt, wo freilich bald recht viel geschehen wird. Man sieht der Zukunft sicher entgegen, und dennoch stemmt sich die Gegenwart mit Hand und Fuß, sich auf diese Zukunft nicht einzurichten. Ein einziges Kämmerchen giebt es oft, wo das Kommende sich schrecklich genug vorbereitet, und schon die nächste Wand glaubt nicht an ihren Nachbar, sondern ladet die Menschen ein, so unbesorgt zu bleiben, wie sie selbst, die kein Herz hat. Julie wenigstens ahnte Alles, was kommen würde, hatte aber keine Lust, sich darauf einzurichten. Sie dachte mit aufrichtigem Schmerz daran, daß die Zukunft etwas Unheimliches verbarg, sie meinte aber, daß das Leben aus so vielen Verwickelungen zusammengesetzt wäre, daß man nach den Momenten, die keine Knoten wären, geizen müsse. »Ueberhaupt« sagte sie zu Seraphinen, als diese zu ihr herunter kam und ihrer Toilette beiwohnte: »überhaupt muß ich Sie mit meiner kleinen Duodezphilosophie bekanntmachen, aus der ich zuweilen, wie aus der Bonbonnière eine Devise zur beschaulichen Unterhaltung nehme. Ich war längst verheirathet, meine Liebe, als ich erst mein Selbstbewußtseyn bekam. Ich war schon Mutter, als mir erst ein reifes Urtheil möglich wurde. Ich war Gattin, als ich erst anfing, Mädchen zu werden; und wurde mädchenhaft, als ich schon eine Tochter hatte. Ich denke nun so: Die Natur hat Recht, aber sie kann uns keine Pflichten auflegen. Alles was das Recht der Natur ist, das setzt sie tyrannisch durch, und fragt uns nicht viel danach, ob wir es zugestehen wollen oder nicht. Die Natur zwingt physisch, zahllose Menschen auch moralisch; mich aber nie. Was ich der Natur geben muß, das geb' ich ihr, nämlich Alles, was ich nicht die Kraft habe, bei mir zu behalten. Aber was verlangt die Natur nicht Alles? Sie hat unsre Ehen, unsre Verwandtschaften, unsre Freundschaften, sie hat unser ganzes Daseyn in Beschlag genommen und es auf einen Fuß eingerichtet, der unbemerkt auch der moralische geworden ist. Ich werde diese Moral der Umstände und der Gewohnheit niemals anerkennen, sondern mich gegen sie sträuben, so lang' es geht. Denn es steht der Natur etwas Anderes gegenüber, was ich die Freiheit nennen würde, wenn ich ein Mann wäre, und das ich als denkende Frau nur etwa den Geist, als liebende das Herz, auf alle Fälle aber den Menschen, den neuen geistigen Adam nennen kann. All mein Handeln ist Protestation gegen die Natur, all mein Denken Appellation an eine Autorität, für welche mir das rechte Wort fehlt. Ich weiß wohl, daß die Leidenschaft hier eine Rolle spielt, und daß sie nicht die reine Form dessen ist, woran ich eigentlich denke, aber sie hilft mir oft, sie bringt mich der Wahrheit, meiner Wahrheit näher, sie erleichtert den Flug, und läßt mich wenigstens ahnen, was ich nicht wissen kann.«

Seraphine entgegnete: »Sie nennen die Natur eine Tyrannei! Mich hat sie immer befreit. Mich schnürten die Combinationen der freien Wahl und des Gedankens ein, und was mir wieder Luft gab, war die Natur. Gesetzt, der Geist gebiert die wahre Freiheit; warum versetzt er uns in Widersprüche, die nur die Natur lösen kann? Ein Leben, das sich nach eignen Gesetzen regeln will, wird so in Verwirrung gerathen, daß es keinen Ausweg mehr findet. Lassen Sie uns das Schrecklichste nehmen: es giebt keine größere Protestation gegen die Natur, als den Selbstmord, und bis zu diesem Extreme treibt uns niemals ein natürliches, sondern immer nur ein Verhältniß, das aus übertriebenen geistigen Combinationen entstanden ist.«

»Es ist möglich,« sagte Julie von Magnus, »daß Sie recht haben, weil Sie das Verhältniß umkehren. Sie brauchen die Natur als Heilmittel: Sie haben die Kraft nicht, sich von der hergebrachten Ordnung der Dinge zu befreien. Sie nahmen vielleicht zu öfterm geniale Aufflüge und bestimmen sich selbst Ihr Schicksal, sinken aber immer wieder, weil Sie sich hülflos vorkommen, auf die Ebene herab auf die Natur, die Alles gleich macht und somit auch heilt.«

Seraphine erröthete über eine so treffende Charakteristik ihres Lebens und Sinnens. Julie aber fuhr fort: »Sagen Sie mir nur, was aus den Menschen werden sollte, wenn sie immer nur das Natürliche wollten? Nicht einmal das würde sie fördern, wenn sie den Geist blos zur Hülfe riefen, um die Natur zu ergänzen. Beide Elemente zusammenlöthen, heißt Silber durch Kupfer verdächtigen, wenn man auch eine gewöhnlich koursirende Landsmünze daraus machen kann. Waren Sie schon in einer freien Reichsstadt? z. B. in Hamburg. Sie werden hier finden, daß zwischen den verschiedenen Physiognomien der wohlhabenden Familien eine auffallende Aehnlichkeit herrscht. Die Heirathen zwischen Nachbarn und Verwandten, der Mangel auswärtiger provinzieller Einmischung, geben dem Blute keine freie Circulation mehr. Der Spielraum der freien Selbstbestimmung des Geistes ist beschränkt. Die Menschen sehen sich alle ähnlich, und ihr Colorit erblaßt. So ist es in allen Verhältnissen, wo man das Phlegma der Natur walten läßt und nicht auch jenen Lebensmotiven Zugang öffnet, für welche ich keinen Namen habe, die uns aber von der Sclaverei der Gewohnheit befreien.«

Seraphine entgegnete: »Ich verachte den hohem Impuls nicht; wie könnt' ich ihn auch, da die Liebe die höchste Blüthe desselben zu seyn scheint. Aber eben bei der Liebe finden Sie es ja! Man wird von ihr ergriffen wie von einer Thorheit, wie von einem kecken Einfall, der, weil er Caprice ist, von den Liebenden gern als göttliche Fügung ausgegeben wird. Aber wie drängt man nicht auch, den Bereich des Zufalls zu verlassen, und seine Thorheit in die Verhältnisse, wie eine Nothwendigkeit einzufügen! Man trieb sich in einem phantastischen Gebiete um und drängt sich wieder in den Schooß der Natur hinein, um sich mit der Wirklichkeit auszugleichen und seinem Einfalle die rechte Weihe zu geben! So glaub' ich, sollte immer das Verhältniß der natürlichen und geistigen Fähigkeiten und Zustände seyn.«

Julie empfing in diesem Momente einen Brief. Sie betrachtete wohlgefällig die Aufschrift und zeigte Seraphinen die zierliche Handschrift. Seraphine kannte sie. Der Brief mußte von Edmund seyn. Als sie die Augen niederschlug, und Julie dies auf ihr angezogenes Beispiel bezog, sagte die eigenthümliche Frau: »Schämen Sie sich nur Ihrer Kenntniß der Liebe nicht! Aber ich hörte wohl, Sie kennen nur die Liebe, welche bürgerliche Tendenzen hat. Es ist wahr, die Liebe entsteht meistens durch mein romantisches Lebensprinzip und wird dann durch die Natur mit der Tradition und dem Herkommen ausgeglichen. Aber es ist nur das eitle Menschenkind mit seinen egoistischen kleinen Schlichen, was hinter dieser Erscheinung steckt. Man will sich seinen genialen Einfall sichern, man will ihn nicht davon fliegen lassen, man muß ihn also einrenken in die Gelenke des gewöhnlichen Wandels. Glauben Sie mir, man kann lieben und doch in der Region des Ursprungs verbleiben. Es giebt Verhältnisse, wo an Besitz nicht gedacht wird, wo man sich freut, unbefangen genug zu seyn, um sich immer erhaschen zu können. Meine Region ist ein hoher grüner Bergwald, wo man Alles frischer und himmelnäher hat, als in der Ebene. Mein Mann mit seinen Fasanen unterm Netz, mit seinen Ententeichen und mit seinen Treibhäusern, wo die Natur vor Ofenwärme schwitzt, um etwas hervorzubringen! Wie gesagt, ich rathe Ihnen « –

Hier verloren sich Juliens Worte und flüsterten in den Brief hinein, den sie eben öffnete. Sie lachte und war wieder ernst. Seraphine fand, daß sie sich in diese Mittheilung vertiefte, fühlte auch, wie krampfhaft es ihr das Herz drückte, daß sich hier eine Frau an den Redensarten sonnte, die von einem Manne kamen, den sie einst geliebt hatte, und verließ das Zimmer, ohne die Leserin zu stören. Sie wußte nicht, woran sie sich halten sollte, als sie sich über die Teppiche der prachtvoll dekorirten Zimmer leise davonschlich.

Oben traf sie an einem Tische, die Feder in der Hand, ihren Zögling auf sie wartend. Papier und Lineal lagen auf dem Tische. Seraphine sollte eine historische Lektion da fortsetzen, wo sie in der Pension stehen geblieben war. Sie sprach gerade von der babylonisch-assyrischen Geschichte, und quälte sich, ihrer Zuhörerin den Namen Nabopolassar richtig in die Feder zu diktiren. Seraphine wußte selbst nicht viel von dem Gegenstande. Sie flüchtete sich immer wieder in Pölitz's Weltgeschichte, wo sie den Finger bei der Babylonischen Geschichte eingeklemmt hielt, und sich rasch eine Thatsache aufschlug, während sie immer vorgab, sich nach der Orthographie der Namen umsehen zu wollen. Nach der Weltgeschichte exponirte sie die Geographie. Sie war von der Pension her im Norden Amerikas festgefroren und quälte sich, das kleine Boot ihrer Kenntnisse aus dem Eise der Baffinsbey herauszubringen, ein zweiter Kapitän Roß. Sie stieg dann ans Land und verfolgte die Hasen-, die Fuchs-Indianer, bis sie bei den wahrscheinlichen Quellen des Missisippi ankam. Hieran reihte sich eine halbe Stunde Naturgeschichte, ein Weitläuftiges über die Flötzgebirge, über Glimmer, Feldspath, Granit, über Säugethiere und Wallfische, kurz den ganzen Apparat, mit welchem die Bildung unserer weiblichen Jugend erzielt wird, kramte Seraphine in der Angst aus, daß dies Alles dazu gehöre, um dereinst mitsprechen zu können. Erst als Antonie vor Schwäche allmählig entschlummert war, bemerkte sie, welche Menge Fehler sie gemacht hatte, wie sie meist immer dasjenige behauptet hatte, was in den Handbüchern bestritten wurde. Sie war sehr unglücklich und weinte, da sie sich eingestehen mußte, daß sie die lange Reihe der Xerxes und Artaxerxes verwirrt hatte und sie eigentlich Nichts in der Welt verstünde, als einen guten und leserlichen Brief zu schreiben. Wie sie so ihren pädagogischen Mängeln nachdachte, öffnete sich die Thür und Herr von Magnus in fertiger Toilette trat herein. Er hatte einen Stern am Rock und schien sehr gnädig gestimmt. Er küßte Antoniens Stirn und wandte sich mit vieler Höflichkeit an Seraphinen. Es fiel ihm nicht ein, daß er sie schon einmal gesehen. »Waren früher im Institut?« fragte er. »Kennen meine Tochter schon längre Zeit? Hat kein Talent, ist zerstreut, gebe aber Nichts drauf. Hauptsache ist Verstand. Können Sie Verstand lehren?«

Der Minister lachte, aber Seraphine sagte auffallend genug: »O ja!«

»Wirklich? Wie machen Sie das?«

»Verstand ist eine negative Fähigkeit,« erklärte Seraphine. »Man übe seinem Zögling nur recht viele Thatsachen ein, und lasse darauf eine Andeutung folgen, als wenn nicht viel darauf ankäme. Der Verständige sieht zwar ein, daß das Wissen unnütz ist; aber um dies mit Verstand behaupten zu können, muß er das Wissen besitzen.«

Herr von Magnus war eigentlich nur auf dem Sprunge. Als er aber diese fast wie eine Bezüglichkeit klingende Entgegnung hörte, that er gleichsam, als wollte er Hut und Stock ablegen und setzte sich nieder. »Sie werden doch nicht glauben,« sagte er, »daß die Wissenschaften einer Frau Relief geben? Wenn ein Mädchen weiß, was Spartanische Suppe war, und sie ist doch nicht im Stande, ihrem Manne eine zu kochen! Die Erziehung der Frauen ist ganz etwas anders, als die der Männer.«

Der Ton war erhitzt. Seraphine fürchtete sich, antwortete aber: »Sie muß doch eine Unterlage, eine Veranlassung haben. Man kann doch nicht erziehen ohne Unterricht, wie es keine Farben zu Malen giebt, die nicht erst kurz und klein gerieben sind.«

»Dies ist auch wieder eine der Merkwürdigkeiten unserer Zeit,« behauptete der Minister; »daß sie das Wissen organisirt, daß sie den Menschen vorschreiben will, wie weit man in seinen Kenntnissen gehen soll. Sogar die Mädchenerziehung wird vom Staate angeordnet. Als wenn der Staat Lust hätte, die Frauen zu emanzipiren! Ist es nicht, als wenn beide Extreme unserer Tage, das revolutionäre und das reaktionäre, auf ein Ziel lossteuerten? Sie verstehen mich nicht. Ich kann Ihnen aber deutlicher werden.«

Seraphine sagte, daß sie nicht begreifen könne, warum Bildungselemente nicht absolute wären, warum der Frau die wissenswürdige Sache anders eingerichtet und beigebracht werden solle, als dem Manne.

»Ich bitte Sie, erlauben Sie,« fiel Herr von Magnus heftig ein, und drohte, da er nicht gleich den Anfang seiner Rede finden konnte, recht abschreckend mit der linken Hand. »Worum handelt es sich? Um Mann, um Weib, um zwei Naturprodukte, die wohl verschieden seyn müssen, weil sie sonst nicht bestimmt wären sich einander zu ergänzen. Es fragt sich nun: wo ist die Einheit? Wo ist der Coincidenzpunkt? Wo läuft die abweichende Bestimmung zusammen?«

»In der Bildung,« bemerkte Seraphine.

»Um Gottes Jesus willen, die Bildung ist ja bloß das Mittel zu einem Zwecke. Der Zweck muß sich doch ausdrücken lassen.«

»Der Zweck ist die Einheit, die Ergänzung.«

»Nein, der Zweck ist – freilich die Ergänzung; aber das Mittel ist kein Stoff, das Mittel ist die Gesinnung. Psychologie – darauf kommt's an. Räsonnement, Empfindung – damit haben die Wissenswürdigkeiten nichts zu thun. Die Erziehung der Frauen muß nicht davon ausgehen, es den Männern gleichzuthun, sondern davon, ihnen etwas zu geben, was sie nicht besitzen. Der Eine muß in dem Fache des Andern Laie seyn und nichts dafür besitzen als nur die Empfänglichkeit. Eine Frau, die Alles das versteht, was ich verstehe, ist ein Hut, den ich suche und in der Hand habe. Die weibliche Erziehung soll Beziehungen auf die männliche haben, aber sie soll nicht dieselbe seyn; denn was ist die Folge? Daß das Weib, unfähig, so zu fassen und zu behalten, wie der Mann, doch immer als eine zurückgebliebene Nachzüglerin dasteht, als der Ausdruck der Schwäche, während sie so gut wie der Mann die Bestimmung hat, in ihrem Kreise eine Vollkommenheit auszudrücken. Es ist die offenbarste Ungerechtigkeit, die Frau in das Gebiet des Mannes hineinhorchen zu lassen und sie in ihrem eigenen Kreise zu vernachlässigen.«

»Der Kreis der Frau,« bemerkte Seraphine, »ist etwas Angebornes. Er braucht nicht viel angebaut zu werden.«

»O bedeutend, bedeutend!« rief Herr von Magnus; »allerdings, sehr bedeutend! Denn auf die Wirthschaft und das Nähen kömmt wenig an. Die Keime sind es, die Anfänge, die in der weiblichen Natur liegen. Diese, ich sage, diese müssen beobachtet und großgezogen werden. Mit einem Worte, die weibliche Erziehung muß gänzlich verändert werden. Zuerst, was ist weiblich? Was ist es in der Natur, in der Geschichte, in der menschlichen Seele? Sodann; was ist halb? Was muß ergänzt werden? Der Mann besitzt Muth, das Weib Ausdauer. Man muß viel sprechen mit den weiblichen Zöglingen, sie müssen Raisonnement bekommen, Dialektik, für und wider; denn, wie gesagt, der Mann will, aber die Frau muß die Gründe kennen, sie muß ihm auf den richtigen Weg helfen. Sagen Sie mir, warum hat es keine Frau höher als bis zum Verstand gebracht? Die Männer reichen bis zum Genie hinauf. Eine Frau kann, wenn sie das Höchste erreicht, nur höchst vernünftig seyn. Darin liegt's, daß sie den Mann begleiten, ihn ergänzen, Augen haben, wo er blind, Ohren, wo er taub ist. Finden Sie nicht auch, daß demnach die ganze pädagogische Behandlungsweise der Frauen eine andere seyn muß, als die der Männer? Die Frauen sollen ausdauern, aber das, was sie lernen, entkräftet grade ihre Beharrlichkeit. Sie werden das männliche Wissen immer am ersten vergessen. Alle die Stoffe, die man jetzt ihrem Gedächtnisse anbietet, wiederkäuen sie nicht. Es ist, als wollte man nur Ruhe haben und legte Blei auf die Flügel, die so gern draußen flatterten.«

Seraphine war verstummt über diese Äußerungen, die der Minister mit den heftigsten Gestikulationen begleitete. Er fuhr fort: »Was geschieht selbst da; wo ich nicht am Steuerruder, sondern auf der Galeere sitze? Was wird da gekabinetsordert? Wie bildet man sich ein, den weiblichen Unterricht auf eine Normaluniform zurückführen zu müssen? Es giebt jetzt weibliche Oberlehrer und Unterlehrer, es wird nächstens weibliche Professoren und Privatdozenten geben. Eine Frau ist eine Frau. Was Eine kann, können sie Alle. Diese Rangordnung, diese Prüfungen, es ist etwas Schändliches und kurzum, ich halt's nicht mehr aus.«

Mit diesen Worten stürzte Herr von Magnus zur Thür hinaus und ließ Seraphine in Angst und Schrecken zurück, die den innerlichen Grund der heftigen Erzürnung des Ministers in nichts anderem, als in sich finden konnte. Antonie war über den Lärm aufgewacht und suchte sie über die Heftigkeit des Vaters zu trösten.

Dieser inzwischen stürmte die Treppe hinunter und irrte sich bei dieser Aufregung in seinen Zimmern. Die große Treppe spaltete sich unten in zwei Arme, er wählte den unrechten und brach mit der ganzen Wildheit, die plötzlich über ihn gekommen war, in die Zimmer seiner Frau ein. Ein großes Windspiel schoß ihm zufällig nach, ohne daß er es merkte. So gewann es den Anschein, als zöge das wilde Heer heran. Julie, die eben Gesellschaft hatte, erschrak über den Aufzug ihres Mannes, der die Thür hinter sich nachwarf, und doch noch eine Spalte weit genug übrig ließ, daß der Hund sich dazwischen drängen konnte. Jetzt das Erstaunen des langen Mannes, sich geirrt zu haben und so viel zweideutige, im Uebrigen doch sehr werthe Bekannte hierzu finden, dazu das kluge Auge des Hundes, der dem Stürmenden auf der Ferse folgte; dies gab einen Contrast, der von allen gefühlt wurde, von Julien aber zum herzlichsten Gelächter benutzt wurde. Herr von Magnus, betreten über die Störung und seinen eigenen komischen Effekt, wich einen Schritt zurück und trat dem Windspiele unbarmherzig auf die Füße. Das Thier schrie und nun zog sich über das Antlitz des Herrn von Magnus selbst ein feines verwundertes Lächeln, das er mit einem sehr herablassenden und populären Kopfschütteln unterbrach.

Arthur hatte Takt genug, die Lachnerven, welche einmal in Bewegung waren, schnell auf einen andern Gegenstand hinüberzuführen. Man konnte den Minister nicht so gehen lassen, ohne den Eindruck der ärgerlichen Scene, die er gespielt hatte, in ihm zu verwischen. Arthur griff daher schnell etwas auf, wovon er wußte, daß es den Herrn des Hauses fesseln würde.

»Ich erzählte so eben,« begann Arthur, auf einen jungen Mann mit grauen Haaren in Uniform weisend, »daß der Herr Hauptmann so sehr von dem Hegelschen Systeme beherrscht wird, daß er sogar die Neigungen seines Herzens darin aufgenommen hat.«

»Ich?« fragte der Bezeichnete. »Wie kommen Sie darauf?«

Arthur weidete sich an der plötzlichen Aufmerksamkeit des Ministers. Dieser fixirte mit ernster Miene den Officier, setzte sich in die Nähe seiner boshaft lächelnden Frau und schien vorläufig erst abwarten zu wollen, wie sich denn das Thema dieses Gespräches eigentlich feststellen würde.

»Freilich, Herr Hauptmann;« fiel Arthur ein. »Sie können es doch nicht in Abrede stellen, daß Sie die Vorlesungen eines Mannes besuchen, der in Berlin sich der Hegelschen Philosophie affiliirt hat. Eben so wenig, daß Sie – «

»Sie brauchen nicht zu stocken, lieber Freund,« fiel der Hauptmann ein, indem er mit dem Stuhle etwas vorrückte; »ich werde niemals vergessen, daß ich in meinem Verhältnisse zu Eulalien eigentlich den ganzen Verlauf der Hegelschen Philosophie durchgemacht habe. Diese Liebe war die praktische Anwendung der Encyklopädie.«

Julie entgegnete, daß sie zwar wüßte, wer Eulalia war, aber nicht, was die Encyklopädie sey. Herr von Magnus blickte bald sie, bald Arthur, bald den grauen Hauptmann an, und schien den Moment abzuwarten, wo er in das sich entspinnende Gefecht mit all seiner eigenthümlichen Hitze einbrechen wollte.

»Ich brauche wohl nicht zu versichern,« begann der Hauptmann mit feierlich-pedantischem Ernste, »daß Eulalia der Liebe eines Philosophen würdig war. Ja selbst wäre sie es nicht gewesen, so würde sie unbewußt doch eine konkrete Unterlage des prozessirenden Gedankens geworden seyn. Ich benutzte Eulalien, aufrichtig gesagt, als diese Unterlage. Sie vergegenwärtigte mir die Selbsterzeugung der Ideen, ihren Umsturz, ihr Andersseyn, ihre Rückkehr in sich selbst. Alles, was ich von Treue und Untreue an ihr verspürt habe, kömmt auf die Paragraphen der Encyklopädie hinaus. Die erste Begegnung, dies einfache Setzen des Begriffs, war nur noch die leere Abstraktion, die aber bald mit Zeit und Raum, mit Ort und Stunde sich erfüllte, und statt des unbestimmten dämmernden Seyns eine sichere handgreifliche Existenz ponirte. Diesen Verlauf des zwischen uns Beiden sich entwickelnden Gedankenprozesses verfolgt' ich selbst da noch mit Theilnahme, als die Idee und mit ihr Eulalia umschlug und sie mit ihrem jetzigen Manne für mich immer mehr in die Form der Negation überging. Hat denn nicht Alles seinen Herbst und Winter? Ist die Negation nicht die Herrscherin der Welt, die immer besiegte und immer wieder siegende? Sie ist das Prinzip, welches die Erdaxe sich um sich selbst drehen läßt, sie erzeugt jene jetzt auch in der Physiologie entdeckte Flimmerbewegung oberhalb des Gehirnes, d. h. das Leben. Gerade die Negation ist das, was die Dinge erhält, ob es gleich auch sie ist, die die Dinge zerstört. Die Negation ist freilich der Tod, aber der wahre Tod ist auch nicht das Grab, sondern die Unsterblichkeit. Sie wurde mir untreu! Das mußte sie, wenn sie mich liebte; denn sie gab mir Leben, sie schuf mich, den noch nicht Gebornen, sie riß mich aus dem Chaos der unbestimmten Abstraktion heraus, und beseelte mich durch ihr Umschlagen, wie weh es auch anfangs that! Ich habe mich damit getröstet, daß ja alle Dinge im ewigen Flusse sind, weshalb auch, wie Sie wissen, das Wasser ehemals als ihr Prinzip angenommen wurde.«

Julie meinte, daß dieser wunderliche »Tröster an sich selbst« consequenter gehandelt hätte, wenn er sich nun auch seinerseits in diesen ewigen Fluß der Dinge hineingestürzt und ersäuft hätte.

Die Uebrigen lachten darüber, nur Herr von Magnus nicht. Ueber eine Abgeschmacktheit mit kurzen Worten den Stab zu brechen, war er nicht im Stande. Er mußte sie erst zu widerlegen suchen und einen Theil derselben dadurch auf sich selbst ablenken. Er räusperte während der Exegese des philosophischen Hauptmannes so laut, rückte mit dem Stuhl so heftig, daß man von ihm jetzt etwas erwarten konnte. »Mein Herr,« begann er, »ich weiß nicht, welche Stellung Sie zum Zeitgeiste haben, welches Phantom Sie, ja Sie, für die Bestimmung unseres Jahrhunderts ausgeben. Allein gestehen muß ich, daß mir die Verbindung des Säbels mit einer so abweichenden, unlogischen Philosophie außerordentlich auffallend ist. Meine Kantische praktische Vernunft, sehen Sie, die kann ich rechts und links, hinten und vornen schleifen, wie ein zweischneidiges Schwert; ich kann sogar die Klinge der reinen Vernunft in die Scheide der praktischen stoßen, daß es nur so kracht; allein wenn die Sekte, welcher Sie angehören, in der Armee unseres gnädigen Landesvaters auch nur noch einen Schritt weiter, über einige wenige Unteroffiziere oder Gefreite sich verbreiten sollte; ja dann gute Nacht – wie gesagt – dann, Herr Hauptmann, dann könnten wir nur sehen, wie weit wir mit dem Pariser Frieden gekommen sind!«

»Excellenz, keine Ungerechtigkeit!« fiel der Hauptmann ein, »Bildung, Aufklärung,« –

»A la bonne heure, Bildung und Aufklärung,« meinte der Minister, »das lass' ich gelten; allein alle Dinge unter einen mystischen Flimmer versetzen und Pietismus treiben, ohne doch die Hände zu falten, das ist mir nun noch hundertmal ärger, als die tollste Herrenhuterei selbst. Nehmen Sie mir's nicht übel; Sie können mir nicht mehr sagen, Herr Hauptmann, was mein Rock ist, grün oder blau?«

»Dies ist auch schwer,« fiel der erhitzte Gegner ein. »Grün manifestirt sich deutlich genug, aber es ist doch nur eine Abstraktion! concret genommen wird man Ihren Rock eben so gut blau, wie grün oder gelb nennen können. Nichts steht fest. Das Eine integrirt das Andre. Zeit wird zum Raume, Maaß wird Gewicht, Qualität und Quantität sind in gewissen Momenten nicht mehr von einander zu unterscheiden.«

Hier sprang Herr von Magnus auf und rief: »Sie verwechseln Qualität und Quantität? Sie confundiren mir die einfachsten Gegensätze der natürlichen Größenlehre?«

Der Andre ebenso: »Excellenz, Sie überhören, daß ich jenen Punkt meine, wo das Eine in das Andre überschlägt. Die Zahl ist der deutlichste Beweis dessen, was ich meine. Excellenz, Sie werden gewiß zugestehen, daß der Ausdruck: Das Eine und das Andre eine Correlation ist. Allein, ich beschwöre Sie, das Eine ist doch der Ausdruck einer Zahl, es ist eine Quantität und sogleich sagen Sie: Das Andre, und dies steht nicht mehr zu dem Ausdruck: Das Eine in dem quantitativen Verhältnisse von Eins und Zwei, sondern schon in dem qualitativen Verhältnisse der Unterscheidung.«

Herr von Magnus hörte aber nicht mehr darauf. »Die Sophistik Ihrer Schule ist mir bekannt,« rief er, »Sie verwechseln die Qualität schon mit der Quantität, Ihre Collegen haben gesagt – o, Sie dürfen es nicht läugnen! wenn unser Staat auch nicht im Raume existirte, er würde niemals aufhören, in der Idee zu existiren. Was bewirken Sie hiermit? Sie untergraben den eigentlichen Patriotismus, der über das Wohl des Landes nicht schlafen kann. Sie vertheidigen alle krassen Sätze der Orthodoxie und in unserer Brust, ja, großer Gott, in unserer Brust, da können Sie uns keine Gefühlssprossen für die Gedankenleitern einsetzen, daß man aus dem Herzen auch glaubt, was man aus dem Kopfe beweisen kann. Nein, wo ich nur hinblicke, wächst mir die Thorheit dieser Zeit über den Kopf. O ich sehe kein Gutes mehr in der Welt, nichts, nichts!«

Mit diesen Worten, die in der Stimme beinahe erstickten, mitleidig und gefühlvoll die Gesellschaft betrachtend, ging Herr von Magnus quer durch die Zimmer seiner Frau in die seinigen. Die Anwesenden waren verstimmt und verließen den kleinen Saal. Julie zog sich zurück, da es schon spät war. »Herr von Magnus,« sagte ein Bedienter, »würde nicht zur Abendtafel kommen.«

Der unglückliche Mann, der an seinen gesunden Ideen so heftig krank war, und besonders an dem Schmerze litt, daß die Gedanken seiner Gegner sich in dem Systeme des Staats, an dessen Spitze er stand, durch mancherlei sehr rücksichtswerthe Einflüsse als offizielles zu befestigen anfingen, löschte jetzt in seinen Zimmern alle überflüssigen Lichter aus. Mit einer Lampe versehen, flüchtete er sein gefoltertes Herz in die gespenstische Todtenstille eines ihm sehr lieben und werthen Antiken-Cabinets, das einige gute Originalen und ganz vorzügliche Copien enthielt. Von Statue zu Statue, von Rumpf zu Rumpf schritt er tief aufseufzend in dem Gemache einher, stand zuweilen still und betrachtete mit gefalteten Händen den Schmerz, der aus den Augen des Laokoon stöhnte, blickte dann wieder zu Niobe auf, prüfte und beleuchtete in verschiedenen Stellungen Antinous und Aphrodite und sprach still vor sich hin: »O ihr großen Alten!« Endlich fiel sein Blick auf die Büsten der deutschen Classiker, auf Wieland, Herder, Winckelmann, er klammerte den Arm um das Brustbild Göthes und las in dem strengen Antlitze dieses Unsterblichen, wie reine Vernunft mit höchster Phantasie sich vermählen kann. »Sie waren doch Alle so groß und trieben ein so einfaches, stilles und gesundes Denken!« seufzte der schwermüthige Mann und begab sich erst zur Ruhe, als ihn unter diesen kalten weißen Gestalten selbst zu frösteln anfing.

*

Von jetzt an hatte Seraphine regelmäßig jeden Morgen Gelegenheit, die Spaziergänge und den Charakter des Herrn von Magnus zu belauschen. Die Furcht vor ihm legte sich allmählig, seitdem sie ihn so natürlich schalten und walten sahe, wie er es unter seinen Blumen und Fasanen gewohnt war. Sie hörte ihn gewöhnlich schon vor seinem Auftritt in die frische vom Morgenthau befeuchtet Scene; er kündigte sich hinter ihr meist immer schon mit einer Fanfare von Predigten und Kritiken an, die an das Gesinde, an Hunde, die ihm in den Weg kamen, vertheilt wurden, zuweilen pfiff er auch und lockte das Federvieh, das auf der kleinen künstlichen Insel mit den Flügeln ihm entgegenklatschte. Sein Lieblingsgegenstand war ein mit Wein besetztes Spalier, über dessen Fortgang jeden Morgen mit Gründlichkeit verhandelt wurde. Heinrich, sein Faktotum, war sogleich da, wenn Herr von Magnus über diese Frage verhandeln wollte! Die Discussion beschränkte sich aber meistens auf Prophezeihungen für den Herbst, auf eine mehr oder weniger reichliche Erndte. Die Beere wurde geprüft, über das Wetter die Meinung gewechselt, und die Verhandlung immer mit dem Satze abgebrochen: Regen, Regen thut Noth. Eines Nachts hatt' es auch geregnet und wie schön die Sonne schien, so war doch der Boden sehr feucht und locker. Herr von Magnus hatte die Gewohnheit, sich bei seinen Morgenspaziergängen aller Rücksicht auf sich selbst zu überheben und namentlich das Gleichgewicht seines Körpers durch seine Bewegungen niemals auf eine schickliche Weise zu contrebalanciren. Er hatte da etwas zu zeigen an einem großen Blumenstrauß, demonstrirte ein Langes und Breites, und kniff die Flügel seines Schlafrockes so lange zwischen die langen Beine, bis diese ihre Haltung verloren, die lange Figur in eine perpendikuläre Schwankung brachten, und es nicht hindern konnten, daß Herr von Magnus in seiner ganzen außerordentlichen Länge auf den feuchten Boden niederfiel. Seraphine, die diese Katastrophe hatte kommen sehen, vermochte einen Aufschrei, der aber mehr Lachen als Schreck war, nicht zu unterdrücken. Herr von Magnus entdeckte sie, indem er aufstand, oben am Fenster und war so überaus gnädig und herablassend, daß er trotz seines Unfalles ihr einen herzlichen guten Morgen wünschte und sich anschickte, ein Gespräch zu beginnen. Seine gellende Stimme erhob sich dabei so laut, als wenn man sie einige Häuser weit hören sollte. Wunderlich aber war es, daß er dies Gespräch nur in ganz abgerissenen Strophen hielt, und nach einigen zu Seraphinen's Fenster hinaufgerufenen Worten immer wieder auf seine botanischen und ökonomischen Verhandlungen zurückkam, so daß er wie ein ächter Staatsmann zwei Gespräche zu gleicher Zeit führte. Seraphine, von Natur leichtsinnig und ausgelassen, widerstand der komischen Erscheinung des Mannes nicht länger, sondern nahm sich vor, irgend wie an seinem verworrenen Wesen Antheil zu nehmen und ihn, wo möglich, hier und da auf eine ergötzliche Weise anlaufen zu lassen. Dies gelang ihr um so mehr, da sie Kenntniß des Garten- und Viehwesens genug hatte, um zuweilen vom Fenster aus bei einer bestrittenen Frage auch ihre Meinung abzugeben. Herr von Magnus nahm dies hoch auf, und mußte sich bald gestehen, daß ihm der Aufenthalt im Garten seither noch einmal so lieb wurde. Sein Antlitz klärte sich auf, sein Gang beschleunigte sich; man hätte schließen mögen, daß Seraphine auf ihn wirkte. Sie konnte seine Zerstreuung und Vergeßlichkeit ungestraft zu den ärgsten Neckereien benutzen: er war vergnügt dabei. Sein Sacktuch pflegte er regelmäßig aus der Tasche zu verlieren und dadurch eine Veranlassung herzugeben, daß ihn Seraphine bald hier-, bald dorthin schickte und ihn so lange neckte, bis er freundlich still stand und ihr mit seinem langen knöchernen Zeigefinger zum Fenster hinaufdrohte. Dann gestand sie ihm, daß es ja halb aus der Tasche heraushinge, oder daß er es gar nicht verloren hätte, sondern ganz fest in der linken Hand halte. Herr von Magnus war dann immer äußerst zufrieden über das kluge Mädchen und lachte ihr so lange Beifall zu, bis er den Husten bekam und aus Gefahr zu ersticken, sich in den Fasanenstall flüchten mußte. Kam er dann wieder heraus, so war er ganz erschöpft und überdies so mit bunten Federn bedeckt, daß er sich den Spottnamen Papageno von Seraphinen gefallen ließ. Außer dem Sacktuche bot auch die Tabaksdose vielen Stoff zu einer angenehmen und für Seraphinen, bei Herrn von Magnus freundlichen Gesinnungen gegen sie durchaus nicht mehr riskanten Unterhaltung dar. Er ließ sie gewöhnlich offen auf einer Bank stehen, wo denn die Hühner besonders niemals ermangelten, den Spaniol nach allen Richtungen hin zu verstreuen. Kurz Herr von Magnus hatte gerade soviel kleinen Aerger, als er brauchte, um immer im Zuge zu seyn. Lärmen mußte er; und selbst die Freundlichkeit hatte bei ihm etwas Tobendes. Seraphine fesselte ihn, ohne daß sie anders wollte, als ihn verspotten.

Ohne Streit war zwischen beiden auch kein Verständniß möglich. Der wunderliche Mann mußte beständig etwas haben, woran er sich stieß, und Seraphine stellte ihm dergleichen Hindernisse genug in den Weg. Alles was er that und behauptete, stellte sie in Frage und erzürnte ihn damit doch so wenig, daß sie im Gegentheil über die Zuvorkommenheit erschrak, mit der er sie in einem Augenblicke behandelte, wo sie es bei ihm schon ganz verspielt zu haben fürchtete. Die Lösung des Räthsels lag darin, daß der Widerspruch, den er sonst erfuhr, nur aus den Sachen kam, welche von den Personen vertheidigt wurden. Diesmal waren es aber nur Beziehungen auf sein Individuum, nur formelle Streitigkeiten, die er zu schlichten und zu beenden nach Gefallen die Freiheit hatte, es waren Gegenstände, auf die es Seraphinen nicht groß ankam. So nahm der Verkehr zwischen ihnen allmählig die Form der Belehrung an, wie schwer sie ihm auch von der Widerspenstigkeit und dem weiblichen Muthwillen gemacht wurde. Und selbst dieser Widerstand mußte schwinden, da sich die Form dafür abnutzte und die Natur über die Kunst den Sieg davontrug. Seraphine konnte das treffliche Herz des Herrn von Magnus nicht in Abrede stellen. Er handelte väterlich an ihr, und verpflichtete sie dadurch, auch wie ein Kind an ihm zu hängen.

»Gut geträumt?« fragte er sie eines Morgens, als sie mit ihm, wie sie es seit einiger Zeit gewohnt war, seine Frühpromenade theilte.

»Gut wohl, aber sonderbar,« entgegnete Seraphine. »Ich finde, daß sich mir eine auffallende Erfahrung des Traumes immer mehr bestätigt.«

»Was träumen Sie denn?« fragte Herr von Magnus, sich auf einen langen Vortrag seinerseits und eine weit ausgesponnene Polemik rüstend.

»Weniger der Gegenstand, den ich träume,« sagte Seraphine, »fällt mir auf, als die Umstände, unter denen ich träume. Ich finde nämlich, daß es im Traume beinahe eine eigen phantastische Topographie giebt, die sich bei gewissen Gegenständen nach Jahr und Tag unverändert wieder einfindet.«

Herr von Magnus und Seraphine saßen auf einer Bank. Jetzt ergriff er aber ihre Hand, stand auf und sagte: »Kommen Sie; ich verstehe Sie nicht recht.«

»Ich meine so:« erklärte Seraphine. »Ich träume z. B. von einem Freunde, dessen Lokalitäten und Existenzumstände mir vollkommen bekannt sind, und dennoch haben sie im Traume nicht nur immer eine andere Gestalt, sondern diese falsche Gestalt bleibt auch die nämliche, ob ich auch nach Jahr und Tag erst wieder von ihnen träume. Es ist nicht so auffallend, daß der Traum an der Wirklichkeit etwas ändert, als daß der Traum gleichsam ein Gedächtniß zu haben scheint und daß man sich eine unmittelbare Fortsetzung des Traumlebens, wenn auch täglich von der Wirklichkeit unterbrochen, als möglich denken kann.«

»Noch nicht darauf geachtet,« bemerkte Herr von Magnus; »aber nicht unwahrscheinlich!«

»Nein, ganz sicher,« erwiederte Seraphine, »was mir im Traume vorkommt, Alles hat bei mir Ort und Stunde, und zwar jede Empfindung, jedes Verhältniß hat ihre eigene Situation, die in mir bleibt während meines Traumlebens, ob auch die Wirklichkeit mir täglich sagen kann, daß diese Situation nicht die richtige ist. Die Vorstellung z. B., welche ich vor meinem Eintritt in dieses Haus von dessen Lage und äußerem Ansehen hatte, bleibt im Traume fest, wie sehr ich mich auch von der gegentheiligen Wahrheit überzeugt habe. Es sind immer grüne Jalousien vor den Fenstern, immer einige eiserne Pechbecken vor dem Thorwege, aus welchen Flammen brennen, da dies Alles doch so entgegengesetzt meiner Erfahrung ist. Die falsche Vorstellung bleibt und kann durch nichts berichtigt werden.«

Nachdem Herr von Magnus mehrmal zu diesen Worten ernst genickt und sich geräuspert hatte, sagte er: »Daraus, meine Liebe, würde folgen, daß Traum und Wachen unabhängig von einander existiren, und daß der Tod vom Leben scharf geschieden seyn kann, ohne daß der erste aufhört, sein eignes schlummerndes Daseyn in sich zu fühlen. Ich verstehe Sie wohl: Der Keim, der in der Blume liegt, träumt sich in der Knospe so ungestört fort, wie in der entfalteten Rose. Was übrig bleibt ist das Saatkorn für die Ewigkeit. Ja, mein gutes Kind, die Möglichkeit eines für sich selbst existirenden Traumlebens, das von der Wirklichkeit keine Erfahrung, keine Berichtigung seiner Irrthümer annimmt, diese garantirt uns die vorübergehende irdische Existenz als ein für unser Ureignes unwesentliches Erlebniß. Ja, ja, – und doch – o setzen wir uns!«

Herr von Magnus war in einer großen Aufregung des Gemüthes. Seraphine war nicht frivol genug, jetzt noch an ihm etwas komisch zu finden; sie ließ den Druck ihrer Hand geschehen, es war ihr, als würde sie jetzt in die Tiefe eines philosophischen Nachdenkens über die wichtigste Angelegenheit des Lebens, über den Tod blicken und Rath und Belehrung schöpfen können für einen Wissenstrieb, den sie selbst ohne Zweiflerin zu seyn heftig fühlte. So werden schwächere Naturen, überhaupt die Laien immer dadurch ihren Glauben stärken, daß sie auf Männer blicken, die die Wissenschaft ergründet haben und dasjenige gewiß beweisen können, was sie nicht fassen können. Wir wissen wohl, daß Gott ist; aber es giebt tiefe Denker und stolze Philosophen, die werden doch wohl wissen, wie er ist. So denken wir.

Herr von Magnus faltete jetzt seine Hände, die eben die Seraphinen's gedrückt hatten, und sprach mit weicher Stimme: »Ich weiß, daß es eine Zukunft für uns geben muß, aber ich weiß nicht, ob wir sie fühlen werden. Mein gutes Kind, das ist schwere Arbeit, den Vorhang vom Allerheiligsten aufzuheben. Ich hab' es vielfach versucht und bin immer auf einem doppelten Wege gewesen, wo immer das Resultat dasselbe war, die entgegengesetzte Richtung meiner Denkmethode mich aber beunruhigte.«

Für Seraphinen war das freilich schwer; aber dennoch sagte sie: »Ei, wenn Sie's nur fassen!«

»Nein, meine Gute,« fiel Herr von Magnus ein, »nein, das ist erschrecklich zu sagen: Dies ist so, weil Jenes schwarz ist: und dann wieder sagen: dies ist eben so, aber darum, weil Jenes weiß ist. Sie verstehen mich nicht. Ich will es sagen. Zwei Gedanken wohnen in meiner Brust, die mich heben, die mir sagen: Mensch, Du bist unsterblich! Der Eine heißt: Du bist es, weil Du Dich zu lebhaft als existirend fühltest, oder wie ein Denker sagte: Ich fühle allzusehr, daß ich bin, als daß ich je aufhören könnte, zu seyn. Liebes Kind, das ist ein großes Wort! Das ist ein Spruch, der Mark in das Bewußtseyn seiner selbst bringt und es so stärkt, als könnt' es nie vergehen. Ich bin, ich lebe, ich trete hier mit meinem Fuß auf den Boden. Das ist Etwas, das ist eine persönliche Empfindung, die mir eine Garantie für die ganze Ewigkeit seyn kann. Weil ich jetzt lebe, weil ich's fühle, drum werd ich ewig leben.«

Seraphine schwieg. Ihres begeisterten Freundes lange Gestalt hatte sich erhoben und stand ihr mit einem Unternehmungsgeiste gegenüber, der sie zu bedrohen schien. Es war aber nur die Vorstellung seines heroischen Beweises für die Unsterblichkeit, daß er die Hand ballte und sie mit kriegerischem Muthe anblickte. Das dauerte eine Weile: dann ließ er die Schnellkraft seiner Glieder wieder springen, sie schlotterten in einander und zogen ihn auf den Sitz nieder. Der Mann fuhr fort: »Ich weiß es aber, das ist eigentlich nur Trotz oder wenn auch eine göttliche Ahnung, wer baut mir die Brücke zwischen meinem Seyn hier und dort? Die Welt wahrlich nicht, unser Dichten und Trachten auch nicht: überhaupt ist dies meine zweite Gedankenreihe: Aus dem Leben beweist Du nichts für den Tod, als daß er absolut ist! Der Unsterblichkeitsgedanke ist nur die ephemere, ja nur über Nacht dauernde Blüthe einiger unserer flüchtigen Daseynsmomente, die weniger dem Leben, als dem Tode, weniger dem Tage, als der Nacht angehören, wozu Traum, Ahnung und Sympathie zu rechnen sind. Wenn ich mich fühle wie ein Held, meinen Arm recke und recht auf das Leben trotze, so thut das in mir nur der Tod. Aber mein Träumen, mein Schmerz, mein Hinschwinden und Sterben, das ist, ja das ist die Ewigkeit.«

Eine geheimnißvolle Pause trat ein, während welcher Seraphine unbeschreiblich litt. Sie hatte ihren natürlichen einfachen Glauben an eine dereinstige Begrüßung der Gottheit von Angesicht zu Angesicht, sie hatte aber dafür nichts zum Beweise, als das kleine längst schon dagewesene Gleichniß vom Schmetterlinge. Auch fühlte sie wohl, daß dies Bild mehr für die Möglichkeit, als die Nothwendigkeit der überirdischen Zukunft spricht. Dann sammelte sie sich und sagte zu ihrem geachteten Freunde: »Wissen Sie aber nichts, das Hülfe schafft?«

Er blickte sie fragend an und ergriff ihre Hand.

»Ich weiß!« sagte er triumphirend. »Beginnen wir die Unsterblichkeit früher, als wir uns in ihr täuschen oder sie bewahrheitet finden werden. Leben wir in der Ewigkeit schon da, wo wir nur noch in der Zeitlichkeit leben! O der schnöden Welt! Wie kommen wir darauf sie auszukosten recht mit Angst, daß es bald zu Ende seyn wird! Warum so gierig, nicht einen Tropfen davon zu verschütten, und es so lange hinauszudehnen, unser Nichtwissen, wie es der Leib nur tragen will! Weil wir Tod vom Leben trennen, so trennt uns der Tod vom Leben. Wir stehen uns selbst im Lichte der Unsterblichkeit. Ihre Wärme und ihr Glanz würde uns bescheinen, wenn wir lebten, gleich als lebten wir nicht, und wären der Güter, die wir hoffen, daß sie kommen sollen, längst theilhaftig durch uns selbst. Wir sollen nicht so sehr an die Tugend glauben, auf daß wir selig werden; sondern wir sollen selig leben, damit uns die Tugend etwas Natürliches und Nothwendiges scheint. Die Unsterblichkeit liegt in eines Jeden Hand. Er beginne in dem Momente, wo er ihre Nähe fühlt, sie in sein Herz einzufangen; denn im Herzen wohnt sie, nicht in unserm ganzen Daseyn, das wir Egoisten immer mit ihr in Verbindung bringen. Gerade jetzt, in diesem Augenblicke, herrliches Kind, stirb; jetzt drücke die Augen zu, und nun du sie wieder aufschlägst, denke, du lebtest im neuen Leben, schon im Antlitze Gottes, und wir werden sterben einst, ohne daß wir fühlen, aufzuhören, ohne daß wir eine Fortsetzung verlangen, wir, die wir ja noch kein Ende in uns wissen!«

Der begeisterte edle Redner hatte Seraphinen, die nicht weniger ergriffen war, in dem Momente umarmt. Er verblieb eine Minute in dieser Stellung und ließ sie dann von seiner Brust, die ihm leicht geworden war, wie einem Sterbenden. Er besann sich still auf Alles, was dieses kurze Gespräch von seinem Innern verrathen hatte, und richtete einen fragenden Blick auf die ihm wohlbekannte alltägliche Umgebung seiner Lage. Er stand dann auf und schritt gesenkten Hauptes in das Haus zurück. Sein Sacktuch blieb schon wieder liegen. Aber Seraphine war zu heftig bewegt, als daß sie es bemerkt hätte. Sie folgte ihm still nach.

Herr von Magnus wurde heute von Gefühlen gehoben, für welche man ihn abgestorben hätte glauben sollen. Auch traf alles Günstige an diesem Tage zusammen, um ihn über seine gewöhnliche Sphäre zu erheben und in einer beinahe an Schwärmerei gränzenden Schwebe zu erhalten. Die philosophische Rührung der Morgenstunde verlor sich zwar ihrer Veranlassung nach bald in seiner kalten, zum Zweifeln überwiegend geneigten Brust. Die Theorie des Traumes als eines stetig für sich athmenden Lebens verwarf er sogar nach einigem Nachdenken, weil ihm einfiel, daß er kürzlich geträumt, er hätte eine alte Frau umgebracht, und daß er diese schreckliche That für sein geängstigtes Gemüth im Traume selbst dadurch gemildert hätte, daß er sich wie ein Wachender tröstete: es ist ja nur der Inhalt einer neuen Oper, die du nicht gesehen hast! In diesem allerdings sinnlosen Räsonnement, (sich durch etwas trösten zu wollen, das man nicht kennt,) sah er doch zu deutlich die Einmischung des Verstandes und des wachenden Bewußtseyns, als daß er über die Ansicht Seraphinen's noch länger gegrübelt hätte. Die heutige Morgenverklärung seines Gemüths blieb aber auf ihm zurück und brachte seine Gedanken so lebhaft in Verbindung mit Seraphinen, daß in ihm das vertrocknete Herz sich auszufurchen und zu glätten begann, daß er in Zerstreuung minutenlang vor sich hinblicken und über etwas nachdenken konnte, das ihn auf seine Weise lächeln machte. Dazu kam, daß er eine in unerhört freundlichen Worten ausgedrückte Einladung zum Fürsten erhalten hatte. Er präsidirte einem kleinen Rathe, den sein Souverain zusammenberufen hatte, und setzte über mehre schwebende Fragen seine eigenthümlichen Ansichten mit allgemeiner Zustimmung auseinander. Später nahm er an der Tafel des Fürsten, dicht in seiner Nähe Theil und redete sich mit so viel Geläufigkeit in sein Glück hinein, daß er gegen Abend in sein Hotel zurückkehrte, fast übermüthig, den Mund unwillkürlich vor sich hin bewegend und noch lange nicht gewillt sich zur Ruhe zu begeben. Die Fenster seiner Frau waren, ob es gleich noch früh war, doch alle schon dunkel. Auch die Dienerschaft war nicht sogleich bei der Hand. Es fehlte überall an Pünktlichkeit und Voraussicht. Allein der Herr des Hauses merkte, da er seinen eignen Gedanken nachhing, wenig davon. In seinen Zimmern entkleidete er sich nicht. Er blieb in der Staatsuniform, mit der er vom Hofe kam. Er schritt unruhig und nachdenklich auf und ab und schien einen Entschluß fassen, zu wollen, wieviel Rücksichten er ihn auch kosten mochte. Er dachte an Seraphinen, er umfing sie in seiner Vorstellung mit einer Leidenschaft, die er für Frauen nie empfunden hatte. Je mehr er diese Vorstellung verfolgte, desto mehr verschwand zwar die sinnliche Beimischung, aber der moralische Zug verstärkte sich; er sehnte sich heftiger nach ihr, je weicher sein Gemüth wurde. Seine schnellen, entschlossenen Schritte, die er durch die Zimmer gemessen hatte, hielt er jetzt inne. Er setzte sich auf ein Ruhebett und sann über sein Beginnen nach. Er wollte noch diesen Abend zu Seraphinen gehen, nur um sie zu sprechen oder ihre Stirn zu küssen. Er war auch eben im Begriff, als ihm seine prunkende Uniform in die Augen glänzte. So nahst du dich nicht, sagt' er zu sich; so erschreckst du sie und verscheuchst durch diese irdischen und weltlichen Embleme den Genius, der mich schützen möge! Als nun aber die Pracht abgelegt und mit dem Morgenschlafrocke vertauscht war, erschien sich Herr von Magnus auf's Neue nicht in dem Lichte, in dem er erscheinen mochte. Er nahm zuweilen einen Kronleuchter und betrachtete sich im Spiegel, wie er sich wohl ausnehmen möchte, wenn er so plötzlich vor Seraphinen träte. Dann verwarf er sein Vorhaben gänzlich, dann wieder nur die Art, wie er sich darauf rüstete, endlich schlug es zehn Uhr. Ein Entschluß mußte gefaßt werden. Draußen war Alles still; er öffnete einigemal die Thür, sein Kammerdiener schlief. Er konnte nach vorn nicht sehen, ob Seraphine noch Licht hatte. Endlich faßte er Muth, sagte sich einmal laut vor, womit er seinen Besuch entschuldigen wollte, hielt noch einmal inne, weil es ihm war, als ging ihm die Besinnung aus. Du bist ein Thor! flüsterte er vor sich hin, stellte das Licht auf den Tisch und ging nun schnell zu Bett.

Er konnte aber die Augen nicht schließen. Sein Kopf glühte, das Blut flog ab und auf durch die zitternden Adern. Es schlug eilf Uhr. Er hielt sich nicht mehr, warf den Rock über und stieg leise mit der brennenden Kerze in das dritte Stockwerk hinauf. Nur auf Hintertreppen konnte man zu Seraphinen's Zimmer gelangen. Endlich stand er vor ihrer Thür und setzte das Licht in eine Nische ab, weil er nicht mehr die Kraft hatte es zu tragen. Er horchte an der Thür: Alles war still. Durch eine Ritze fiel ein dünner Lichtstrahl hindurch. Er faßte jetzt einen Entschluß und klopfte mit allzugroßem Nachdruck an. Wie er öffnete und eintrat, schrie Seraphine auf und sank ohnmächtig zurück. In der Lage, wo sich die Arme befand, mußte sie durch die nächtliche Erscheinung der langen Gestalt, die gegen das draußen in der Nische stehen gebliebene Licht ein gespenstisches Lüstre erhielt, auf das Heftigste erschreckt werden. Herr von Magnus sank zurück auf einen Stuhl als er näher getreten und die Scene verstanden hatte. Sein Kind Antonie lag auf einem Ruhebett, Seraphine zu den Füßen der Sterbenden. Die Augen waren gebrochen. Er legte seine Hand an die Wange, sie war todtenkalt. Diese Kälte fuhr ihm wie ein elektrischer Schlag durch die Glieder. Es war nicht das Entsetzen über den Tod seines Kindes, (daß er dies nicht sogleich fühlte, lähmte ihn schon); sondern das Entsetzen, seinen Ungestüm so gestraft zu sehen. Seraphine erholte sich, da sie ihn erkannte. Jetzt brach sie erst in Thränen aus. Sie hätte am Tage, erzählte sie, vergebens zur Mutter geschickt, und ihr die traurige Wendung die das Befinden Antoniens nähme, angezeigt, aber keine Antwort erhalten. Sie wäre hier oben ganz verlassen gewesen und hätte es erst vor einigen Minuten, als es klopfte, gefühlt, daß Antonie gestorben sey. Die Furcht habe sie verhindert, die Thür zu öffnen und hinauszugehen, um Hülfe zu holen. Herr von Magnus sprach nichts, sondern blickte sie nur starr an. Sie ergriff aber seine Hand und zog ihn von dieser Stätte, wo eben der Tod gewesen und sich ein Opfer geholt hatte, krampfhaft hinweg. Der Vater hatte keinen Willen mehr. Er machte nicht einmal Anstalten, die Dienerschaft zu beleben, sondern nahm Seraphinen mit sich hinunter, wo sie neben demselben Zimmer schlief, wo er. Beide kamen sich wie Träumende vor und erst am nächsten Morgen lag beiden die Last einer unwiderruflichen Wahrheit schwer genug auf den Herzen.

Herr von Magnus hatte noch eine andere zu tragen. Ein gnädiges Handschreiben des Fürsten – entließ ihn von seiner Ministerstelle.


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