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Erstes Buch.

Eine Staubwolke ließ auf der Höhe der Landstraße die Ankunft eines Reisewagens signalisiren. Dies war für die kleine, offne Stadt keine Neuigkeit mehr, seitdem Madame Lardy die ländliche Abgeschiedenheit derselben zur Anlage einer weiblichen Erziehungsanstalt benutzt hatte. Madame Lardy war eine Deutsche von Geburt; aber sie behauptete, eine französische Schweizerin zu seyn. Als Gouvernante hatte sie ihre Laufbahn in verschiedenen adligen Häusern begonnen, wo ihre mittelmäßige Kenntniß der französischen Sprache schon für hinreichend genommen wurde, die weibliche Jugend mit den nothwendigsten Reisepässen für das öffentliche Leben zu versehen. Dann hatte Madame Lardy eine Periode in ihrem Leben, welche etwa fünf Jahre dauerte und niemals recht aufgeklärt worden ist. Wenn sie im Winter beim Schimmer der Sinumbralampe ihren Zöglingen die Schicksale ihres früheren Lebens erzählte, richtete sie an dieser Stelle immer eine Verwirrung von der Art an, wie sie an den Strickstrümpfen ihrer Pensionärinnen so oft von ihr getadelt wurde. Sie ließ hier nämlich gleichsam einige Maschen fallen, und verprudelte, wie sie zu sagen pflegte, ihre eigene Lebensgeschichte. Endlich hatte sie wieder den rechten Faden gefunden, sprach von großen Geldsummen, Protektionen und zeigte dann rings herum die Vollmacht der Behörde, welche ihr gestattete, in der kleinen Landstadt eine Erziehungsanstalt für Töchter gebildeter Stände zu errichten. Madame Lardy erzählte dies immer im schlechtesten Französisch; denn es wär' ihr dabei, sagte sie, weniger um ihre Biographie als um die Conversation zu thun.

An dem Tage, wo sich die große Staubwolke auf der Landstraße sehen ließ, feierte Madame Lardy gerade, wie sie behauptete, ihren ein- und vierzigsten Geburtstag. Auf allen Tischen des Zimmers prangten Geschenke, welche ihr die Dankbarkeit der Zöglinge verehrt hatte. Wo man nur hinsahe, da hatten ihr die kleinen zarten Hände etwas genäht, gestickt oder gehäkelt. An Tassen, Silbergeschirr, kupferne Theekessel, an Alles knüpften sich die Erinnerungen von herrlichen lieben Geschöpfen, die jetzt nach allen Enden der Windrose hin verheirathet waren. Man denke nur nicht, daß Madame Lardy eigennützig war! Freilich nahm sie Alles, was sie bekommen konnte, aber nur aus pädagogischer Rücksicht. »Ich habe« sagte sie; »nur die Entwickelung der moralischen Eigenschaften meiner Zöglinge im Auge. Solche Geschenke der Liebe soll man nicht zurückweisen, weil sie ein edles und tugendhaftes Gemüth verrathen. Das kleinste Kind würde ohne Philosophie behandelt werden, wenn man das Brod verschmähte, welches es in unsern Mund steckt. Wir sollen anbeißen und uns nicht sträuben. Ein solches Kind wird nie begreifen, wie es möglich ist, daß man zu ihm sagt: ›behalte nur!‹ Man sieht, Madame Lardy hatte Maximen, die nahe an die Ideen Rousseaus streiften.

Jetzt rasselte der große Wagen schon in der Stadt. Die jungen Mädchen sprangen von ihren Arbeiten im Nebenzimmer auf und drängten sich an die Fenster. Madame Lardy blieb auf dem Sopha. »Es ist vielleicht Deine Mutter, Auguste; oder Deine Tante, Jenny; oder Dein Großonkel, Minna!« Im Stillen aber dachte sie: »vielleicht bekomme ich eine neue Schülerin!« Henriette, ein etwas altkluges Mädchen von fünfzehn Jahren bemerkte: »Sehen Sie nur, Madame Lardy, wie neugierig Alle sind!« Aber Madame Lardy, weit entfernt in diesen Pedantismus einzustimmen, versetzte: »Ich liebe diese natürliche Empfindung der Neugier, die andere Erziehungen zu unterdrücken pflegen. Ich bin gewohnt, in den Seelen der Jugend die Rückhalte zu zerstören, jene Reste gehemmter Eigenwilligkeiten, die nur die Veranlassungen zu versteckten Charakteren sind.« Während Madame Lardy dies sprach, rechnete sie im Stillen nach, wohin sie das Bett des neuen Ankömmlings stellen solle, ob er ein silbernes oder goldenes Besteck mitbringen würde, wieviel sie gewinnen könnte, falls der neue Zögling die Englische Stunde mitnähme, diese Englische Stunde, für welche sich bis jetzt erst zwei ihrer Schülerinnen entschlossen hatten, und die ihr so viel Honorar kostete! Dabei saß Madame Lardy auf dem Sopha, ein Bild der Resignation, frei von allem Eigennutz, lächelnd über die Neugier der kleinen Demoiselles, die ihr Alles verriethen. Jetzt lenkt der Wagen ein, hieß es; er sucht die Hausnummer: ein Herr sitzt drin, und zwei Damen, zwei Schwestern vielleicht oder zwei Cousinen; jetzt hält er still. Ne faites pas de sottises! rief Madame Lardy, vom Sopha aufspringend, und ihre Philosophie vergessend. Prenez-vos places! Travaillez, travaillez! Silence, silence! Mon Dieu, mon Dieu! On frappe, n'est-ce-pas? Herein!

Die Besuchenden waren eine Dame, so blühend und jung, daß man in ihrer kleinen Begleiterin schwerlich eine Tochter geahnt hätte. Der junge Herr, welcher Beide führte, konnte weder ihr Sohn, noch wie es schien ihr Bruder seyn. Sie kamen aus der Stadt, sie hatten entschiedene, abgeglättete Manieren, und sahen auf das, was sich ihnen hier darbot, mit vornehm lächelnder Theilnahme herab. Die Kleinsten unter den jungen Mädchen blieben stehen und blickten munter und ohne Scheu in das Auge des jungen Mannes; die Aelteren aber flohen in das Nebenzimmer und wurden roth über eine Verlegenheit, für welche sie selbst noch keinen Namen hatten. Dem jungen Manne schienen diese Scenen neu und merkwürdig. Er machte Miene, nach der ersten Begrüßung sich in das Nebenzimmer zu verfügen, aber ein ernster Blick der Dame, die er geführt hatte, zwang ihn an ihrer Seite zu bleiben und an dem ceremoniösen Gespräche Theil zu nehmen, welches sich schon zwischen Madame Lardy und der Gemahlin des Ministers von Magnus entsponnen hatte.

»O ich ahn' es,« rief Madame Lardy aus, indem sie das kaum dreizehnjährige Kind einer schöneren Mutter umarmte, »Excellenz wollen diese engelreine Unschuld meiner Obhut anvertrauen?«

»Sie verzeihen,« sagte Frau von Magnus; »daß ich für meine Antonie ein Herz in Anspruch nehme, welches, wenn ich mich entschließen soll, die Erziehung meiner Tochter in fremde Hand zu geben, so empfinden müßte, wie ich selbst.«

»Ich hoffe, gnädige Frau;« erwiederte Madame Lardy, indem sie mit feinem Lächeln die Augen niederschlug; »daß Sie nicht der Zufall in mein Haus führt. Fromme Töchter, treue Gattinnen hab' ich erzogen. Was Sie hier um mich sehen, ist meine Welt. Ich bin eine alte, aber schattenreiche Ulme, an welche sich die zarten Schlingpflanzen meines Hauses aufranken. Zuletzt kenn' ich die Convenienz nicht, ich kenne nur die Tugend.«

»Erziehen Sie nach einem Systeme?« fragte der junge Mann.

»Nein, mein Herr,« sagte Madame Lardy, »ich habe eine Methode, aber kein System.«

»Sie lesen Pestalozzi, wohl auch Rousseau?« fuhr der junge Mann fort, indem sich Frau von Magnus mit schönem, aber boshaftem Lächeln auf die Lippen biß.

»Ich las Alles,« erwiederte Madame Lardy keck; »was von ausgezeichneten Denkern über die wichtigste Angelegenheit der Menschen geschrieben ist. Aber glauben Sie mir, ich bin bald von jenen abstrakten Vorschriften zurückgekommen, für welche es oft eben so sehr an den Lehrern wie an den Zöglingen selbst fehlt. Die ächte Pädagogik ist eine Naturgabe, die wie ein geheimer Aether dem Charakter des Lehrers entströmen muß. Für die Erziehung muß man geboren seyn. Glauben Sie mir, daß viel gute Menschen durch die Principien, die besten aber durch den bloßen Umgang erzogen sind.«

Im Nebenzimmer lachte man. Augenscheinlich waren diese Phrasen dem Ohre der Pensionärinnen schon so bekannt, daß sie von ihnen immer den Eindruck einer Comödie hatten. Frau von Magnus hatte darauf im Geheimen mit Madame Lardy die Bedingungen der Aufnahme zu stipuliren. Man hörte sehr deutlich, daß von der Englischen Stunde die Rede war. Antonie und der junge Mann ergriffen diese Gelegenheit, sich in das Nebenzimmer zu begeben, wo die Einen in Kreide zeichneten, die Andern auf Stramin arbeiteten, aber nach malerischen Mustern.

»Sie haben Zeichenstunde?« fragte der junge Mann. Keine wollte eigentlich antworten; doch sagten zehn Stimmen auf Einmal ein ganz einfaches, kindisches Ja! Dann wurden sie Alle roth und fuhren still in ihrer Arbeit fort.

»Wo ist aber der Lehrer, der Ihnen den Unterricht gibt?«

Jetzt schwiegen Alle; da sie sich aber schämten, daß sie es thaten, so sagte die Eine: »Herr Meyer ist von der Treppe gefallen.« Kaum hatte sie dies gesagt, als die Uebrigen mit lautem Lachen einfielen, einmal deßhalb, weil Auguste den Muth gehabt hatte, sieben Worte vor einem Fremden zu sprechen, sodann aber, weil – wahrscheinlich Herr Meyer eine komische Figur war. Jetzt folgten die satyrischen Bemerkungen Schlag auf Schlag: »Herr Meyer hat sich den Arm verstaucht.« »Herr Meyer springt immer wie ein Wiedehopf.« »Herr Meyer ist über seinen Zopf gestolpert.« Weiter brachten sie es aber nicht. Sie lachten nur noch. Ihr gutes Herz machte, daß sich ihre Satyre schon erschöpft hatte.

Der junge Mann war im besten Zuge, diese Unterhaltungen fortzusetzen; aber Frau von Magnus nahm seinen Arm und ließ sich durch die verschiedenen Zimmer führen, welche zu Madame Lardys Lokalitäten gehörten. Sie stiegen zwei Treppen höher, wo die Betten der Rosenknospen standen und auch Antoniens Zelle seyn sollte. Als sie auf dieser Wanderung eine Thür nach der andern aufklinkten, stießen sie auf ein kleines Erkerzimmer, das Madame Lardy ebenfalls öffnete, ohne zu wissen, wer darin war. Sie hatte kaum den Kopf hinein gesteckt, als sie sich zurückbog und mit den Worten: »Ach, Sie sind hier, Fräulein Seraphine!« die Thür wieder schloß. Frau von Magnus bemerkte, daß sich die Gesichtsfarbe ihres Begleiters bei diesem Namen plötzlich veränderte. Sie wurde aufmerksam, als sie überhaupt den heftigen Eindruck und das Stillschweigen gewahrte, in welches der junge Mann verfiel. »Wer ist Fräulein Seraphine?« fragte sie Madame Lardy. »Eine meiner Lehrerinnen,« antwortete diese; »ein tiefes Wesen vom lieblichsten Gemüthe, ganz geschaffen, auf die Jugend einzuwirken. Sie werden sie heut Abend sehen, wenn Sie uns die Freude gönnen und unserm kleinen Balle beiwohnen. Sie bleiben doch bis zum nächsten Morgen in meinem Hause?«

Frau von Magnus besann sich und sagte: »Das wohl nicht; wir werden die Nacht hindurch fahren; aber den Ball müssen wir sehen.« Ihr Begleiter wollte Einwendungen machen. Sie fixirte ihn aber scharf. Sein ganzes Benehmen schien vom tiefsten Nachdenken und sogar von Furcht beherrscht.

Gegen Abend zündete man unten einen kleinen Kronenleuchter an, welcher an der Decke des großen Arbeitszimmers der Pension hing. Der Tanzmeister erschien, die Violine unterm Arm. Es war eine kurze, wohlbeleibte Figur, Krauskopf mit grellen Augen. Alle seine Bewegungen schienen von einem inwendigen Orchester geleitet. Apoll und Merkur zu gleicher Zeit, schwebte er in den Saal hinein. Dem Balle gingen erst einige theoretische Uebungen voraus, Wiederholungen schwieriger Pas, um die kleinen Füße erst in die richtige Bewegung zu bringen. »Denn« sagte Madame Lardy; »es ist in der Erziehung nichts schwerer, als jenen Uebergang zu vermitteln von den Vorschriften der Schule zur Freiheit seiner eigenen originellen Bewegung. Ich wüßte nicht, was die entsetzliche Schüchternheit und Angst, welche man vor dem ersten Tanze auf dem ersten Balle, den man in seinem Leben besucht, empfindet, besser vertriebe, als dieser Ernst, mit dem wir beginnen, und diese Heiterkeit, mit der wir schließen werden.«

Ueber wie Vieles hätte sich Frau von Magnus jetzt nicht gern moquirt; aber ihr Begleiter saß zerstreut vor einem Spiegel und betrachtete darin die Thür, welche sich öffnen sollte, um ihm über Seraphinen Aufklärung zu geben. Seine Leichtfertigkeit hatte ihn verlassen. Die kleinen naiven Mädchen mit ihren graziösen Bewegungen zu einer alten gekratzten Geige, regten seine Empfindungen nicht mehr auf. Frau von Magnus, die Seraphinen fast vergessen hatte, war erschrocken über eine Indolenz, die sich hier vor einen Spiegel setzen konnte und keinen ihrer Blicke mehr zu verstehen schien.

In demselben Augenblicke, als dasjenige, was hier Ball genannt wurde, beginnen sollte, öffnete sich die Thür und eine weißgekleidete Dame trat herein, mit schönen, aber blassen Zügen. Sie glich einer Göttin, die in der Fabel erscheint und mildernd und versöhnend die aufgeregten Leidenschaften beschwichtigt. Ein sanfter Ernst lag auf der hohen glänzenden Stirn. Den Mund verzog ein innerer Schmerz in eine etwas krampfhafte Lage, welche aber nur der Vorbote irgend eines Entschlusses zu seyn schien und hiedurch gemildert wurde. Das dunkelbraune Haar war einfach gescheitelt und verlor sich auf das Anspruchloseste in zwei Ringellocken hinter dem Ohre. Alles schwieg, als diese Gestalt eintrat. Madame Lardy flüsterte ihrem Gaste zu, daß dies Demoiselle Seraphine wäre.

Frau von Magnus erwiederte nur halb den ihr von der jungen Lehrerin dargebrachten Gruß. Sie hatte ihren Begleiter im Auge, der bei Seraphinen's Eintritt aufgesprungen war und sich mit dem Rücken an das Fenster lehnte. Sie sahe, was zwischen Beiden vorging. Seine Blässe, seine Unruhe, sein Verstummen und auf Seraphinen's Antlitz die leise Röthe, ihre wogende Brust, ihr verlegenes Lächeln, der ganze Schmelz einer durch Freude und Schmerz hervorgebrachten Verklärung – sie mußten sich kennen.

Seraphine hatte eher Gelegenheit, von ihrer Ueberraschung befreit zu werden; denn die Zöglinge drängten sich an sie, umschlangen ihren Leib, bogen ihren Kopf herunter und liebkosten sie. Sie wies lächelnd diese Gunstbezeugungen zurück, erwehrte sich ihrer aber erst, als der Tanzmeister seine Geige strich und die Paare zusammentreten sollten. Da brachten die jungen Mädchen einen Myrtenkranz herbei, mit dem man sie schmücken wollte. Sie hatten ihn heute Madame Lardy geschenkt, die, obschon sie als Frau bezeichnet wurde, doch niemals verheirathet war und den Kranz mit einem Erröthen empfangen hatte, das keine der jungen Damen verstand. Seraphine gab den Kranz Antonien und sank dann, wie von einem innern Schmerz überwältigt, auf einen Sessel zurück, wo sie vor den tanzenden Paaren sicher war.

Einer so feinen Beobachterin, wie Frau von Magnus war, entging von diesen Gemüthszuständen Nichts. Eifersucht oder Neugier ergriff sie. Sie schreckte ihren in Träume versunkenen Begleiter auf, umarmte ihr Kind, umarmte Madame Lardy, und schied mit einer Phrase, die ungefähr so viel sagen sollte, als: »Madame, ich lasse Ihnen hier mein Theuerstes. Von Ihnen fordr' ich es wieder zurück. Es ist ein Engel, machen Sie ein menschliches Wesen daraus! Sie lerne Französisch! Sie lerne Englisch! Sie lese den ganzen Schiller, Göthe mit Auswahl, aber Nichts von Jean Paul, weil mir das sentimentale Genre fatal ist. Seyen Sie nicht zu verschwenderisch in der Kost, sehen Sie auf gute Haltung und geben Sie nicht zu, daß sie beim Tanze ohne Erregung bleibt. Denn will man beim Tanze die Gesundheit erhalten, so müssen die Lungen freien Lauf haben. Man muß tiefen Athem holen dürfen und Sie müssen das Heben der Brust eher begünstigen als hemmen. Und Du, Antonie, mein Kind, mein einziges Kind, lebe wohl!«

Antonie blieb kalt, wie ihre Mutter. Aber Madame Lardy weinte, und geleitete den Besuch bis an den Wagen. Eine männliche Gestalt sprang vom Hause zurück in die dunkle Nacht, als sie unten waren. Der junge Mann flüsterte: »Ich glaube gar, das war Philipp.« Die Uebrigen sahen nichts und schieden. Noch hörte man den Wagen rasseln, als Madame Lardy schon ihr Bureau aufgeschlossen und sich an ihre Bücher gesetzt hatte, um viel, sehr viel zu rechnen mit benannten und unbenannten Zahlen.

*

Arthur, wie kalt ist diese Nacht und Sie haben keinen Druck für meine Hand.

Julie, ich bin in diesem Augenblick nur der Umriß eines Mannes.

Eifersucht quält mich nicht, Arthur. Sie vergeben mir meine Vergangenheit; drum darf ich auch keine Rechenschaft von der Ihrigen fordern.

Wie es regnet draußen! Das Wetter klatscht an die klappernden Wagenfenster.

So heimlich dieser enge Raum, Arthur! Mögen Sie Seraphinen geliebt haben oder noch lieben: gehören Sie doch wenigstens jetzt mir! Sie sind still, so wehmüthig. Wenn Sie keine Umarmungen für mich haben, so schlagen Sie Ihre Biographie auf! Wer ist diese Seraphine? Sie müssen sich beide kennen. Sie antworten nicht?

Kein Stern am Himmel. Die Laterne des Wagens zeigt nur die abdorrenden Kleider der Bäume, und noch ist die Traube nicht einmal vom Stock gelesen.

Ach, diese nächtliche Philosophie, Arthur, ist kein Ersatz für Ihre Zärtlichkeit! Es wäre doch entsetzlich, wenn ich einschlafen müßte. Erzählen Sie von Seraphinen? Wer ist sie?

Sie verdienen diese Biographie nicht.

Warum?

Sie sind kalt, Julie, Sie haben kein Herz. Sie haben nur Eitelkeit. Sie lieben, weil Sie nur Andere, nicht sich besiegen können. Sie würden lachen, wenn Sie zu dem Triumphe, den Sie über meine Gegenwart feiern, noch den über eine Vergangenheit fügen könnten, welche Sie niemals verstehen werden.

Arthur, ich will ganz still seyn. Ist es eine Idylle aus den Schuljahren, so werd' ich wahrscheinlich über Ihre Thränen lachen müssen, aber ich will Sie's nicht hören lassen. Erzählen Sie nur; schon Ihre Worte sind Musik für mich.

Nun denn, meine arme, gute Seraphine: ich will von Dir erzählen, nicht daß ich eine egoistische Seele um die Nacht betrüge, sondern ich will laut an Dich denken. Ich will alte vernarbte Wunden wieder aufstechen und das Gras faserweise ausrupfen, was über mein grausames Gedächtniß gewachsen ist.

Also?

Ich verließ die Schule, und fiel mit einer wahren Hast über Alles her, was meinen Geist und mein Herz bereichern konnte. Ich war noch rein und fromm in meinen Gefühlen, ich war ehrgeizig, aber nicht anders, als in der Absicht, mich dem Allgemeinen zu opfern, mein Ehrgeiz zerfloß in das blaue Licht meiner Ideale. Aber der Zwiespalt zwischen Herz und Welt nagte schon früh an meinem Leben. Ich wollte für jenes Eroberungen machen, und konnt' es doch nur, wenn ich diese aufgab. Ich wollte mich in das Verständniß der Begebenheiten, lernend und theilnehmend, werfen, und konnt' es wieder nur, wenn ich meinem Herzen keine Fesseln anlegte. Das Opfer dieses Zwiespaltes sah' ich heute nach langer Trennung wieder.

Im achtzehnten Jahre bezog ich die Universität. Meine Studien waren unglücklicherweise von der Art, daß ich hätte voraussehen sollen, wie ich sie allmählig aufgeben, wie ich aus einer Region in die andere hinüberschweifen würde. Ich muß diese ewige Metamorphose meines Ichs, diese unaufhörliche Erweiterung meiner Ideenkreise festhalten, um mich in den folgenden Begebenheiten von einer Seite wenigstens rechtfertigen zu können. Da traf ich in einem Cirkel, den ich zu besuchen pflegte, in einem Vereine von jungen Leuten, die sich im Gesange übten, ein Mädchen, dessen frische, blühende Erscheinung mich bezauberte. Augustens rosige Wange, ihr dunkles Haar, ein tiefblaues Auge, quellende und mit dem Netz einer durchsichtigen Haut umsponnene Formen riefen meine Neigung wach. Das war keine krankhafte Stimmung, sondern ein gesundes Verhältniß, dessen glücklicher Fortschritt mich wahrscheinlich in eine ganz veränderte Lebensrichtung geworfen hätte. Auguste sang schlecht; das machte sie mir nur um so lieber, weil natürlicher. Auguste hatte keine besonders originellen Ideen, einen Reiz, den die erste Liebe, die nur Liebe will, nie vermißt. Ich näherte mich ihr, so weit es ging. Sie war spröde, gleichgültig, sie trug, wie ich später hörte, um dieselbe Zeit eine flüchtige Neigung in sich, der sie schon treu war, und die sie sich doch kaum gestanden hatte. Meine Bewerbungen gingen an ihrem Herzen spurlos vorüber, und wurden selbst von einer Eitelkeit, die sie demnach kaum zu haben schien, nicht bemerkt. Ich hörte einstweilen wieder auf, nach ihrem Beifall zu geizen.

Es war Charfreitag. Ich hatte ein erstes Baßsolo übernommen, das in einer Kirche gesungen werden sollte. Die ganze Gesellschaft, von der ich eben sprach, führte eine geistliche Musik auf. Am grünen Donnerstage hatten wir die erste und letzte Probe. Ich weiß es nicht, war es schon hier, oder erst am folgenden Tage, wo ich Seraphinen kennen lernte. Die Gesellschaft wandelte auf dem Kirchhofe, der das Gotteshaus umschloß. Die jungen Mädchen, alle in festlichen Kleidern, lasen die Inschriften auf den Leichensteinen, und setzten sich dann auf sie, ohne indeß besondere Todesgedanken zu nähren. Nur ein Wesen schien von dem stillen Frieden, der über diesen, theils verfallenen, theils frischen Gräbern wehte, mächtig ergriffen zu seyn. Mich zog dies an, aber ich weiß nicht, ich glaubte dennoch darin eine Art Koketterie zu erblicken; denn schon damals regte sich vielleicht in mir jener Gefühlsterrorismus, mit dem ich mich selbst und meine Umgebungen allmählig zu tyrannisiren begann. Mein ganzes Leben wurde damals Polemik gegen den Schmerz, von dem ich glaubte, daß er sich immer mit dem Egoismus verbände und eine in offenbare Wollust der Gefühle ausarten könnte. Ich hatte die Erfahrung gemacht, daß sich diejenigen Menschen, welche leiden, besser vorzukommen pflegen, als die Fröhlichen, und haßte darum die Schwelgerei im Schmerze mit dem ganzen Rigorismus, den junge Männer besitzen, wenn sie zum ersten Male nach ihren eigenen Prinzipien zu leben anfangen.

Seraphine war blaß, ihre Stirn frei, ihr Antlitz oval. Dem Teint mangelte Reinheit, selbst das Schönste was sie besaß, das Profil einer griechischen Nase hatte die launische Natur gestört, indem sie nach einem Falle, eine etwas unregelmäßige Neigung bekam. Keines der übrigen Mädchen war bei Allem, was sie thaten, mit soviel Seele zugegen. Aber es schien mir, als spränge Seraphine immer in die Extreme über. Bei ihr wurde die tiefsinnigste Trauer vom ausgelassensten Scherze abgelöst, so daß ich jedenfalls anfing, diese Originalität zu beobachten.

Wir sprachen vom Tode, aber steinerne Schmetterlinge auf den Gräbern trösteten unsern Schmerz, weil wir an Unsterblichkeit glaubten. Ach, hier knickte der Sturm des Lebens ein junges Frühlingsreis, ein Kind, das kaum hinaufreichte, seinen Vater zu küssen: dort lag eine Mutter mit ihrem Säuglinge. Unter einer Trauerweide barg sich das schmerzliche Drama einer einzigen Woche, das ich selbst erlebt hatte und sich in diesem Verse aussprach:

Weil es sich sanfter schläft, vom Arme der Liebe gekettet,
Ging dem sterbenden Kind sterbend die Mutter voran.

Dies Epitaph ergriff um so mehr, da es von mir war, und Seraphinen's Thränen, die ich sonst verdammt hätte, störten mich diesmal nicht. Sie blickte mich mit ihrem großen blauen Auge an, als schien sie in meiner Seele lesen zu wollen, vielleicht ob ich eine Reminiscenz oder etwas aus mir selbst Gebornes in jenem Verse gegeben hätte. Denn nichts bindet die Seelen so fest, als wenn ein Weib vom Manne ahnt, daß er Thränen zu vergießen fähig ist.

»Dies sind die einzigen Verse, die von mir auf die Nachwelt kommen werden,« sagte ich und sie entgegnete, »ob ich auch sonst Dichter wäre?« Diese im Grunde witzige Frage ärgerte mich; denn ich sah darin schon wieder Egoismus und glaubte, ein ganzer Federbusch von Koketterie winke und nicke mir aus ihrem Benehmen zu. Deshalb brach ich schnell ab und lief in die Kirche, um mein Solo: »Weinet nicht, es hat überwunden der Löwe,« aus dem Tod Jesu zu singen.

Ich hatte Seraphinen vergessen. Meine Studien absorbirten mich, auch meine Freundschaften, welche sogar in untersagte Verbindungen ausarteten. Am nächsten Himmelfahrtstage jedoch war es, wo ich sie wieder sprach. Die Gesellschaft hatte in zwei großen Wagen eine Partie auf's Land gemacht, einige Meilen weit: ich konnte mich nicht zurückziehen.

Auf Seraphinen besann ich mich nur dunkel. Sowohl ihre äußeren Formen, wie ihre Manieren hatten sich meinem Gedächtnisse nur obenhin eingeprägt. Auch war sie heute nur Scherz, potenzirte, fast aufgeschraubte Lustigkeit, die den Humor der Uebrigen weit hinter sich ließ. Auguste war es wieder, die mich eifrigst beschäftigte. Alle meine Gedanken und im Spiele meine listigen Pläne gingen darauf aus, mich ihr wie eine Blüthenflocke dem Haare einzunesteln, so daß ich ihr, wenn sie sich des Nachts ihr Haar absteckte, gleichsam als der ganze Rest eines durchlachten und durchscherzten Tages in den Schooß fiel. Aber Auguste war kalt, fast mißtrauisch gegen mich. Denn mein ganzer Antheil an dem Feste war doch nie recht im Mittelpunkte desselben, ich durchkreuzte es nur und daraus nahm sie vielleicht ab, daß ich excentrisch war.

So saß ich auch abgesondert von den Uebrigen, still und betrübt in mich versunken, unter einem Fliederbaum, der das von uns besuchte Bauernhäuschen beschattete. Vom Kaffee waren Milch und Zuckerreste übriggeblieben, an denen auf dem Tische sich die Fliegen sättigten. Ich war erschöpft. Das Reifwerfen, Ballschlagen und Schwarzermannspielen, dacht' ich, ist eine Thorheit für einen Helden wie du, der sich einbildet, das Jahrhundert erwarte ihn! Was würden die Stoiker, meine altdeutschen Freunde, sagen, wenn sie mich hier mit Weibern Versteckens spielen sähen? In diesem Augenblicke stand Seraphine vor mir. Sie hatte den Muth, einen Mann anzureden, der sie vernachlässigte. Ich sehe sie noch, wie sie sich an den Fliederbaum lehnte, die Hände zurückgeschlagen, ganz nachlässig, siegreich sogar auf mich herabblickend, fein lächelnd, plötzlich doch eine Erscheinung geworden, die mir auffiel. Wir sprachen allerdings nur von Halsweh, (sie klagte darüber) von isländischem Moos, wollenen Strümpfen; aber ihre soliden Bemerkungen zogen mich an, mehr noch, als einige Stellen aus Tiedges Urania, die sie neulich auf dem Kirchhofe citirt hatte. Ihr ungezwungenes Benehmen umstrickte mich, und ich hatte sie im Arme, als wir alle aufbrachen und die Wagen uns nachkommen ließen, um durch einen Wald ein nahegelegenes Dörfchen aufzusuchen. In einer Herberge angelangt, setzten wir uns zu Tisch, da es dunkelte. Ich blieb an Seraphinen's Seite. Sie war inzwischen weich und klagend geworden, ihre Stimme zitterte, sie vergoß Thränen. Ich verstand sie nicht. Mir wurd' es ungewiß im Kopfe; denn die Situation war so widersprechend. Vor uns auf dem Tische eine Stück Landkäse, und neben mir ein poetisches Wesen, das mit seinem Schmerze rang. Seraphine blieb mir die Antworten auf meine dringenden Fragen schuldig. Doch hört' ich wohl, daß eine Stiefmutter und unwürdige Behandlung Quell der Leiden war.

Als wir nach Hause fuhren, hatte Seraphine ihren Sitz durch Zufall vor mir. Das Wetter war schön, die Gesellschaft heiter, sie aber sprach nicht. In der Stadt mußte irgendwo Feuer ausgebrochen seyn; denn ein lichterloher Schein glänzte am dunkeln Himmel. Nun fuhr Alles wild durcheinander, man berechnete, wo das Feuer seyn könnte. Daran, daß auch hier Seraphine ruhig blieb, sah ich ihren Schmerz, ihre üble Lage, der ich mit ritterlichem Edelmuthe abhelfen wollte. Als wir nach Hause kamen und ich mich im Bette wälzte, zogen höchst chevalereske Gedanken durch meinen brennenden Kopf. Am frühen Morgen saß ich schön am Schreibtisch und entwarf an Seraphine ein glühendes Gemälde des Interesses, welches ihr Schicksal mir eingeflößt hatte. Ich beschwor sie, aufrichtig gegen mich in Schilderung ihrer Leiden zu seyn. Von Liebe sprach ich nicht, desto mehr aber von einem unerhörten Kreuzzuge für ihr Leben, für ihr kleines Haupt, das so fromm und duldsam wäre und unmöglich Jemanden kränken könne!

Noch seh' ich mich, wie ich an die Thür des Musikdirektors klopfte, der unsere Stimmen und unsere Spazierfahrten leitete. Besorgt gab ich dem Manne das Billet für Seraphine. Mit verdächtigem Blicke wurde ich gemessen, und ich Achtzehnjähriger hielt den Blick nicht aus, sondern erröthete. Doch gewann ich zuletzt etwas über den strengen Mann und ging mit bester Hoffnung.

Am nächsten Tage frag' ich nach einer Antwort. Keine da. Es vergehen drei, vier Tage, ich höre nichts. Man lacht dich aus, schloß ich, über deinen Ritterdienst, du hast dir eine Blöße gegeben, God dam! Doch ermuthigte ich mich, in den nächsten Verein zu gehen, wo ich Seraphinen sahe. Sie hatte sich festlich gekleidet. Ihr Auge war verklärt, sie sang mit unbeschreiblichem Ausdruck das Solo in Rossinis Schweizer-Pastorale aus Wilhelm Tell. In Calls Quartett: Liebe wohnt in niedern Hütten, hörte man sie vor allen, so daß sie ganz allein den Sopran zu halten schien. Ich glaube, sie sang schon im Vertrauen auf meinen Schutz oder auf meine Liebe, wie sich denn auch schon bei mir beides verwechselt hatte.

Nach der Stunde trat ich in ihre Nähe. Sie sprach einige verwirrte Worte, und drückte mir einen Zettel in die Hand, den ich beim Schimmer der ersten Laterne draußen aufriß. Sie vertröstete mich auf morgen, wo sie in einem öffentlichen Garten, dem gewöhnlichen Rendezvous der Liebe, ungestört mit mir sprechen wollte. Wie dies nun Alles kam, weiß ich kaum noch. Wir umarmten uns in jenem Garten, beschützt von Hollunderhecken. Wir schwuren uns Treue, wir wechselten Ringe, wir hatten keine Geheimnisse mehr. Als wir schieden, sagte sie: »Arthur, morgen um sechs Uhr treffen wir uns auf dem *** Platze; dann führ' ich Dich zu meinem Vater!«

Diese letzten Worte waren ein Donnerschlag für mich. Wie? dacht' ich, sie will mich wie eine gemachte Beute in ihr väterliches Haus schleppen? Diese Schwärmerei, welche mein Herz erquickt, soll mit einem bürgerlichen Acte und mit einer väterlichen Prüfung meiner Zeugnisse endigen? Herr Jesus, wohin hast du dich verirrt! Vormund wolltest du seyn, und bist Geliebter geworden!

Dabei fiel mir die Scene in den Hollunderhecken ein. Ich sahe, wie klug Seraphine auf eine Entscheidung gedrängt hatte, und erinnerte mich, daß sie bei meinen Versicherungen, ihr beistehen zu wollen, einmal nach dem andern fragte: »Wie wollen Sie das aber anfangen, ohne mich zu compromittiren?«

Mein Glück oder Unglück, ich weiß nicht wie ich sagen soll, waren in dieser Lage meine Studien. Den ganzen Vormittag las ich, schrieb, excerpirte und lebte im Alterthum. Erst gegen Abend thaute mein Herz auf und dann war mir, ich gesteh' es mit Schaam, jede Hingebung recht, die ich gerade finden konnte. So vergaß ich denn auch bald die gestrige Wehklage, und traf auf der von Seraphinen bezeichneten Stelle ein. Eine Viertelstunde hatte ich wohl gewartet, als sie kam und mich herzlich grüßte. Ich fragte: Was thust du hier? Sie erröthete und sagte dann: Ich lerne hier, wie man Kleider zuschneidet. Wie sie das sagt, fällt ihr etwas aus dem Korbe auf die Erde. Ich hebe es auf: es ist eine Brille. Wie kommst du zu der Brille? Ei, ich habe schlechte Augen, sagt sie kurz, nimmt meinen Arm und drückt ihn an ihr Herz. Ich sahe sie, ich hätte vergehen mögen. Sie war nicht schön, sie war nachlässig gekleidet, um mehre Jahre älter als ich, sie trug eine Brille; und doch war sie meine Braut, allmächtiger Gott!

Wie sie mir nun so in einem seiden tafftnen geschmacklosen Hut, mit einem großen zwischen Gelb und Grau die Farbe suchenden Umschlagtuche am Arme hing, da wollt' ich mich gar nicht bequemen, ihrem Vater zu begegnen. Ich müßte mich erst sammeln, sagt' ich und bat um einen Umweg. Wir nahmen ihn, das Ufer des Flusses entlang, an welchem die in Rede stehende Universitätsstadt liegt, und mußten über verfaulende Späne auf Holzhöfen, die sich hier der Ausladungen wegen befanden, hinwegschreiten. Da begegneten mir nun mancherlei Freunde, welche geangelt hatten und an schweren Netzen trugen, in welchen gefangene silberne Fischchen mit rothen Flossen zappelten. Ich dachte an mein Schicksal, blickte kaum auf und stand endlich in der That vor meinem künftigen Schwiegervater.

Es war ein dünnes, schmächtiges Männchen, in grauem Oberrock, das ein schwarzes Sammetkäppchen auf dem Kopfe, die brennende Pfeife aber einstweilen aus Ehrerbietung in der Hand trug, und mich mit dem liebenswürdigsten Ausdruck von Gutmüthigkeit begrüßte.

Sie sind, Sie wollen –

Ja, ich bin – ich will – Ach, nicht die Verlegenheit raubte mir die Sprache, sondern eine Erscheinung, die ich hier nicht anzutreffen glaubte. Ich wußte, daß Seraphine eine Schwester hatte. Sie saß auch vor einem kleinen Nähtisch am Fenster und strickte. Es war aber Auguste.

Alle meine Bewegungen sind gelähmt. Mechanisch antwortete ich dem alten Manne, erzähl' ihm von meinen Verhältnissen, examinire Seraphinen's Bruder, einen liebenswürdigen und gescheuten Knaben. Eine Idylle umwehte mich und meine Gefühle lösten sich in Wehmuth auf. Ein Hänfling im Bauer, ein kleiner Bücherschrank, ein mißgestimmtes Spinett, worauf Seraphine klimperte, draußen dicht vorm Fenster und die Stube verdunkelnd eine Kirche, wo man grade die Kanzel im Auge hatte, und unten ein Kirchhof, der auch zugleich der Garten des Pfarrers war. Alle Viertelstunden ertönte an der Kirche ein holländisches Glockenspiel mit Choralanklängen, und immer waren es dieselben Töne, eine melancholische Monotonie, und ich selbst, unruhig gedrängt von der Lust, meine Flügel in großartigen Regionen zu versuchen, und nun hier angeschmiedet, an ein Wesen, das ich lieben sollte und an ein anderes, das mit feinem Lächeln am Fenster sitzt, von den schönsten Reizen überquillt, das ich anbete und von dem ich aufrichtige Glückwünsche zu meiner Verbindung hinnehmen muß. Der Gedanke: Wie zugänglich ist hier Alles, wie leicht konnte Auguste in diesen Umgebungen und Verhältnissen errungen werden! – hielt mich zu Boden. Nur der Ruf: Seraphine ist Braut! dieser Ruf, den ich schon in allen Kämmerchen ihrer Freundinnen widerhallen hörte, schreckte mich aus meinem Brüten auf. Sie ist Braut!

Und bei allen diesen Leiden lag Seraphine in meinen Armen. Der Vater segnete uns, die holländischen Glocken spielten: Nun danket Alle Gott! Und endlich hieß es: Wo nur Mutter bleibt! Seraphinen's Lippen zuckten und mit elektrischer Gewalt schlug es in mein Herz, daß ich wußte, warum ich hier war. Ich fühlte mich stark, ihre Lage mit ihr zu theilen. Der Vater war zum zweiten Male verheirathet und der letzte Rest seiner ersten Ehe war jener kleine Grabeshügel, nicht zwanzig Schritte von unsern Augen entfernt, und Seraphine. Auguste und Eduard waren aus der zweiten Ehe und hatten Seraphinen zurückdrängen müssen, nicht weil ihr Herz, sondern die Mutter es wollte. Seraphinen's Erziehung war vernachlässigt; immer zurückgesetzt, immer des Hasses gegen ihre Stiefmutter beschuldigt, von der Rohheit mißhandelt und der Schwäche ihres Vaters niemals in Schutz genommen, irrte sie, eine verlassene Waise, durch fremde Häuser. In einer entfernten Stadt schützten sie eine Zeitlang Verwandte, aber sei es, daß es an Liebe oder Geduld gebrach, Seraphine kam wieder zurück, blieb einige Tage im väterlichen Hause und mußte sich sogleich wieder vor der Brutalität flüchten. Weder ihre herrlichen Geschwister, die treuesten und zartesten Seelen, noch die Pflicht des Vaters vermochten sie vor dem Haß und der Intrigue einer zornigen Frau zu schützen. Denn es ist wahr, Seraphine hatte etwas, das reizen konnte. Die Entschiedenheit ihres Willens, welche sie durch frühes selbstständiges Handeln gewonnen hatte, ließ sich von einer Frau mit wenig Begriffen nur als Tücke auslegen. Seraphine hatte dabei in der Sprache etwas Feines, Spitzes, Stechendes. Die Höhe ihrer durch eigne Anstrengung erworbenen Bildung trieb sie über ihre Familie und über ihre eignen Verhältnisse hinaus, und durch ein gewisses spöttisches Lächeln, welches gegen die Rohheit ihre einzige Waffe war, verdarb sie alle Aussöhnungen, wenn man auch im Begriff war, sie anzuknüpfen. Nach den erschütterndsten Scenen, welche das traurige Verhältniß schon allen Nachbarn mitgetheilt hatten, verließ Seraphine wie auf der Flucht das Haus und mußte Schutz suchen bei fremden Leuten in dienstbarer Abhängigkeit. Von all diesen Dingen mußte mein Herz mit tiefstem Mitleide erfüllt werden. Ich liebte Seraphinen nicht; aber wenn ich an ihre Lage dachte, so fühlt' ich mich stark, sie wenigstens zu schützen.

Während ich diese Berechnung in mir durchging, tritt die Mutter ein. Sie ist etwas beleibt, aber für eine zwanzigjährige Ehe von ausnehmender Schönheit. Diese runden vollen Linien, dies gesunde Inkarnat, dies Weiß der Zähne und Schwarz der Augenbraunen waren das Urbild zu Augustens anmuthsvollen Zügen. Die Frau sieht mich nicht: sie will es nämlich nicht. Sie weiß recht gut wer ich bin, das ganze Haus weiß es schon, alle Nachbarn. Sie will es nicht wissen. Mit höhnischem Lächeln geht sie an mir vorüber.

Liebe Mutter – hier ist –

Sie schlägt ein lautes Gelächter auf und sagt: Ich weiß schon. Ihre Dienerin, mein Herr! Hier hab' ich ja doch nichts zu sagen. Damit schlug sie die Thür zu und ging hinaus.

Unvergeßlich ist mir das Lächeln ihres Mannes, das aus Schmerz, Schaam und Verachtung zusammengesetzt und zu gleicher Zeit darauf eingerichtet war, daß es soviel sagen sollte, als: sie ist verrückt! Doch kehrte sie nach einiger Zeit wieder zurück, wahrscheinlich um mich zu beobachten. Sie verhielt sich auch ganz ruhig, wir merkten aber darauf nicht, und eilten hinunter in den Kirchhof.

Ich athmete auf, als ich in freier Luft war, und umarmte Seraphinen, an welche mich diese peinliche Situation wieder gekettet hatte. Sie war auch ungemein liebenswürdig jetzt. Ihr erstes Beginnen war sogleich, eine Art von Freundschaft zwischen mir und ihrer Schwester zu stiften. Wir mußten uns umarmen, ja ich durfte sie sogar küssen. Darauf füllte sich der stille Platz, den die Strahlen des eben aufgehenden Mondes, wie sie lang und geheimnißvoll in die Kirchenfenster hineinschienen, nur noch melancholischer machten, mit jungen Mädchen aus der Nachbarschaft, die sich alle eingefunden hatten, um meine Person in rechten Augenschein zu nehmen. An Witz und Gewandtheit wurden sie wohl alle von Seraphinen übertroffen, deren Munterkeit so weit ging, daß ich hier am Grabe ihrer Mutter fast unheimlich davon berührt wurde. Dennoch schieden wir heiter und treu. Der Vater, der mir den Hut herunterbrachte, um mir die Mühe zu ersparen, seiner Frau eine gute Nacht zu wünschen, entließ mich mit herzlichst gemeintem Handschlag.

Das war also der erste Tag dieser neuen Lebensepoche. Ihm folgten weitre, an Erfahrungen reiche, betrübte, freudige, ich hielt diesen Zustand eine Woche aus. Ich mußte das neue Terrain erst übersehen lernen, wissen, wer alles an meinem Schicksale Theil nahm, noch fing ich nicht an, über das Ereigniß zu reflectiren. Seraphinen's Vater war Schulmeister und es machte mir große Freude, als er meine ihm dargebotene Unterstützung annahm. Ich schlug mich nun mit sieben- und achtjährigen Buben herum, und zwar im eigentlichen Sinne des Worts. Die Bibel wurde exponirt, im Kopf gerechnet, lautirt, und alles kam zuletzt doch nur darauf hinaus, daß es hieß: Herr Arthur, eine Geschichte erzählen! Nun kann man sich keinen schlechtern Lehrer denken, als den ich abgebe. Ich schlug in die Uebermüthigen mit Fäusten hinein, welches durchaus keine angeborne Heftigkeit, sondern Verstellung war, die mich, während ich den Bakel der Vergeltung schwang, immer zuerst zum Lachen zwang, während die Buben mit nicht minderer Verstellung schrien, als wenn sie am Spieße stäken. Denn ich that ihnen nicht wehe, weil ich die empfindsamen Stellen nicht kannte. Kurz man spielte gräulich mit mir, so daß ich immer froh war, wenn es zwölf schlug und die Widerspenstigen mit abgeplärrtem Liede entlassen wurden: »Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang gleichermaaßen!«

Weil das tragische Pathos meines Verhältnisses zu Seraphinen noch nicht völlig ausgebrochen ist, so benutz' ich die sich vorbereitende, allmählige Gährung, um mehre Kreise zu skizziren, welchen ich mich damals mit meinem Mädchen anzuschließen pflegte. Da war zuerst eine Freundin der beiden Schwestern, welche Eveline hieß. Sie war die älteste Tochter einer Witwe und hatte einen jungen Stutzer zum Anbeter, der aber ein gutes Herz besaß, und sich in diesen für ihn neuen, unschuldigen Kreisen von einer in seinem Gemüthe eingerissenen Verwilderung heilen zu wollen schien. Die Witwe bewohnte ein Häuschen das ihr eigen gehörte. Eveline war eine Figur von kaum vier Fuß; doch spielte und sang sie vortrefflich zum Klavier. Ein gewisses Comfort war in der Wirthschaft sichtbar, man hatte angesehene Verwandte, man hatte sogar eine jüngste Tochter, welche Tänzerin am Theater werden sollte, kurz man war so wohlhabend, daß regelmäßig des Abends gedeckt und warm gegessen wurde. Hier saß ich oft auf dem Sopha, zuhörend den von Evelinen meisterhaft vorgetragenen Tönen des Beethovenschen Sehnsuchtswalzers. Seraphine summte das Lied still neben mir nach, Auguste saß drüben. Was in mir vorging hatte Seraphine zu ahnen begonnen. Mein Stillschweigen und meine an Augusten gerichteten Seufzer verstand sie, und übermannt von ihrem Schmerze stürzte sie wohl oft an das Klavier, vertrieb Evelinen und sang eine der wenigen Arien, welche sie konnte: Leise rauscht es in den Bäumen; das bekannte Ständchen an Louise, eine Composition, welche hinreißt, wenn sie mit heimlicher, zitternder Begleitung des Instrumentes, im Gesange schwebend gehalten, anschwellend und mit dem Worte: Dann gute Nacht! leise verklingend vorgetragen wird. Aber Seraphine rührte mich nie. Unbedingt, ich konnte sie nicht singen hören. Ich konnte diesen Schmelz nicht ertragen, den Seraphine in das Lied legte, und der doch hinein gehörte, dies Bewußtseyn, daß sie ergreifend sänge, diese, wie ich Grausamer dachte, absichtliche Koketterie mit einer Empfindung, für welche es in meiner Brust einmal an allen Gründen fehlte. Und ich verbarg dies auch gar nicht. Wir gingen dann immer still nach Hause, und schieden mit Seufzern, und die Leute, wo wir waren, beklagten mit Recht Seraphinen's unglückliche Wahl. Nur Auguste war immer frisch, gesund, lachte und blühte wie eine thauige Rose.

Keine fünfzig Schritte von Seraphinen's Wohnung versammelte sich ein anderer Kreis in einem ganz kleinen Zimmer, das kaum zum Umwenden so eng war. Es lag im dritten Stocke eines Hospitals, welches die arme Witwe eines Leichenbitters bewohnte. Diese gute, brave Frau hatte vier blühende Tochter, eine war sogar schön zu nennen. Alle hatten sie ihre Beschäftigungen unter fremden Menschen, nur des Sonntags versammelten sie sich bei ihrer Mutter, wo es denn so viel zu lachen und sich zu freuen gab, daß die lieben Geschöpfe für eine ganze Woche daran genug hatten und des Lebens Last und Plage schon leichter ertragen konnten. Esprit besaßen sie Alle, eine natürliche Schalkheit, die sie weit über ihren Stand und ihre Bildung emporzuheben schien. Gegen diese Naivetät stach Seraphine sowohl in ihrer grimassirten Lustigkeit wie in der blassen Mondscheinsstimmung ihrer Sentimentalität nur zu grell ab.

Von den vier Schwestern hieß die jüngste Lina und war die Verlobte eines Mannes, der für meine damalige Zeit von höchster Wichtigkeit wurde. Fritz Federer hatte ursprünglich das Handwerk seines Vaters gelernt; er war Schuhmacher. Als aber sein Vater vom Dreybein in einen städtischen Posten avancirte, regte sich auch im Sohne der höhere Trieb. Im wörtlichsten Sinne fing er an, sein Pech zu beklagen. Höherer Bestimmung war der Treffliche inne geworden, ein Geist der Heiligung trieb ihn, wie Jacob Böhmen. Zum Priester war es schon freilich zu spät, von der Mission unter Heiden hielt ihn seine Liebe zu Lina zurück, er entschloß sich zum Schulmeister, rang mit seinem Vater, beinahe handgreiflich, und rettete sich in eine Elementarschule, wo er als Lehrer engagirt wurde. Fritz Federer ist eine der freundlichsten Erinnerungen, die in meinem Gedächtnisse leben. Ein kräftiger Körper, gesund, nur etwas blaß das Antlitz von schmaler Kost und emsigen Nachtwachen, eine so poetische Gestalt, daß sie Dichter zu einem Entwickelungsromane benutzen könnten. Er liebte die Wissenschaften, weil er sie wie eine Religion verehrte. Es war sein Cultus, immer mehr zu lernen, immer vollkommner, immer lückenloser in seinem Wissen und examinationsfähiger zu werden. Er studirte wie ein Eroberer. Und dazu kam ein so treues, edles Herz, daß ich ihn mit schwärmerischer Freundschaft umfing. An Jahren und Verstand, an Kenntniß der Welt und Lebensklugheit war er mir bei Weitem überlegen, und dies bestimmte mich um so mehr, ihn zum Vertrauten meines unglücklichen Verhältnisses zu Seraphinen zu machen, wo er sich auch in den Kämpfen, welche nun bald beginnen werden, redlichst erprobt hat. Wo ist er jetzt? Wo sind meine Jugendfreunde, denen eine poetische Ader im Herzen schlug? Ach, ich ahne, sie sind alle Pietisten geworden!

Eine Meile vom Schauplatz dieser Verhältnisse entfernt, auf dem Lande, lag endlich die dritte Region, in welcher ich zu öfterm mich bewegte. Wenn die beiden Schwestern und ich dorthin auswanderten, so erwartete ich sie gewöhnlich an der Landstraße. Da war ein Judenkirchhof, wo ich hielt und durch das eiserne Gitter des Portals die hebräischen Inschriften zu lesen mich befleißigte, welche die halb stehenden, halb liegenden Leichensteine enthielten. Während ich über die frischen, weißgetünchten Wände des Grabhauses, über diese höchst moderne Fabrikation und den jüdischen Nationalismus philosophirte, über etwas, was mir damals so hohl, und jetzt so ehrenwerth erscheint, klopften mir die beiden Mädchen auf die Schultern: Auguste, immer gleich in ihrer Stimmung, in lebhaften, farbigen Kleidern: Seraphine erst lächelnd, forschend, wie ich wohl gestimmt wäre, im Uebrigen aber ganz so kahl, fahl, monoton und aschgrau gekleidet, wie damals, als ich sie auf dem ***platze erwartete. Nun ermunterte mich aber gewöhnlich Augustens Gegenwart, so daß wir tapfer vorwärts schritten, viel Wichtiges und Scherzhaftes durchsprachen, und uns bald ermüdeten. An einem kleinen Graben, der die Wiesen bewässerte und an seinen Uferrändern mit zahllosen Vergißmeinnicht besetzt war, pflegten wir uns dann eine Weile im frischen Grase auszuruhen. Seraphine breitete ihr verhängnißvolles graues Umschlagetuch auf den Boden hin und schüttete Obst darauf aus, das sie am Thore gewöhnlich mit viel zänkischem Hin- und Herreden erhandelt hatte. Da saßen wir drei Seelen denn ganz allein unter dem freien Himmel, der sich in unermeßlicher Weite blau über uns wölbte. Wir schienen so eng verschwistert, so harmonisch zusammenklingend und doch lagen die erschütterndsten Geheimnisse zwischen uns. Seraphine ahnte schon Alles. Sie schwieg eine Weile, legte dann eine Birne, die sie eben versuchen wollte, auf das Tuch nieder, ergriff meine und Augustens Hand und fügte sie in einander. Ganz erschrocken war ich und sagte zu Augusten: »Ja, haben wir uns denn erzürnt?« Auguste sprang aber auf und sagte sehr gleichgültig: »Jetzt müssen wir wohl gehen. Es wird zu spät.«

Nach einer darauf sehr einsylbigen Wanderung kamen wir endlich in dem Dorfe an, wo das junge Liebespaar sich einer daselbst ansässigen Familie vorstellen sollte. Die Besitzung lag am äußersten Ende des Dorfes und bestand aus zwei Häusern, von denen jedes das Entgegengesetzteste, was sich denken läßt, umschloß. In dem einen etwas tiefer in den Garten hineingebauten wohnte ein steinalter Geistlicher, dessen um zwanzig Jahre jüngere Gattin sich im Vorderhause bei ihrer Tochter und Enkelin aufhielt, deren Gatte und Vater ein ehrlicher Mann war, welcher die Landwirthschaft trieb.

Der alte Herr war in einem Landstädtchen Geistlicher gewesen, hatte darauf wegen zunehmender Altersschwäche seinen Dienst verlassen und wohnte nun bei seinem Schwiegersohne in einem artigen Zimmer, dessen Fenster von Weinlaub, türkischer Bohnenblüthe und orangegelber Kresse beschattet waren. Als ich eintrat, lüftete er sein schwarzes Käpplein und ich war wie auf Kohlen, denn man hatte mir gesagt, daß er schon kindisch wäre. Ich wüßte durchaus nicht. Es war ein eigensinniger Alter, der eine Welt verdammte, die sich ihm über Nacht geändert hatte. Sein erstes Wort war sogleich: »Sind wohl auch Mystiker?«

»Mystiker?« Ich bejahte das Prinzip und verneinte die Bezeichnung.

Da gab er mich schon auf, blickte gen Himmel und begann mit einer aus tiefster Seele quillenden Ueberzeugung von der rationellen Theologie des vorigen Jahrhunderts zu sprechen. Teller, Spalding, Jerusalem, Zollikofer, Steinbart, waren die Apostel seines Glaubens und mit verklärten Zügen ergriff er meine Hand, und drückte sie an sein Herz.

Dann stützte er sich auf meinen Arm und winkte, daß wir mit ihm hinausgingen in den Garten. Die Anlage war erst einige Jahre alt und noch etwas frei. Es fehlte an Bäumen; aber dafür dufteten alle Beete von den herrlichsten Blumen. In der Mitte kreuzten sich vier mit Buchsbaum besetzte Wege und trafen in einer riesenhaft angelegten Laube zusammen, welche durch ein rankendes Schlinggewächs von unten bis oben in die schön gewölbte Kuppel grün umzogen war. Hier nahm nun der alte Mann sein Mützchen ab, faltete die Hände, und sagte: »In diesem Tempel verehr' ich Gott. Flüsternde Blätter heben mit sanfter Musik die Seele zu ihm! Hier athm' ich, was da heißt, Odem Gottes. Heilige Natur! du bist meine Religion. In jedem Lenze, wo du Schlummernde! wieder aufwachst und das Veilchen am Bache, die Ceder auf dem Libanon dem Evangelium des erwärmenden Sonnenstrahls sich entgegenfreut, wird der Bund besiegelt, welchen der Himmel mit der Erde geschlossen hat.«

Dem alten Manne rannen die Thränen von der Wange; ich ergriff seinen zitternden Arm und führte ihn hinweg. Zwar von der Wahrheit dieses Gefühls tief ergriffen, versteckte sich in meiner Seele doch etwas Feindseliges. Spekulative Netze hatten mich schon damals gefangen, ich glaubte über dem Greise zu stehen, der mit seiner Hingebung an die Natur mir nur erst auf der untersten Stufe des Gottesbewußtseins angelangt schien. Ich hielt dafür, daß er sich Heide nennen dürfte – und jetzt – wie ist Alles so anders in mir! Jetzt könnt' ich den Kleidessaum jenes Propheten der Natur küssen, welcher damals still und zitternd an meinem Arm in das lärmende Vorderhaus schlich.

Die Gattin des Herrlichen war für mich wenigstens, was man so zu nennen pflegt, eine unangenehme Prise. Sie nahm mich forschend auf, und als sie merkte, daß ich etwa reif genug wäre, um ihren Bildungsgrad zu verstehen, entwickelte sie ein Benehmen, welches zwischen der astronomisch-sentimentalen Poesie Tiedges und dem malitiösen Welttone Göthes die Mitte hielt. Sie ironisirte die gekochten Aepfel, welche wir zur Nacht nahmen; sie wollte mir den Beweis geben, daß sie sich diesmal nicht in ihrer Sphäre befände. Auf ihren Mann, der mit ängstlicher Hast und zahnlosem Munde die weiche Speise verzehrte, blickte sie, wie ungefähr Prometheus auf den Felsen geblickt haben mag, an welchen er angeschmiedet war. Trotz der Goetherei dieser Frau, trotz ihrer pretiösen Bedeutsamkeit in Schicksal und Antheil haßte sie den Dichter. Seiner von ihr behaupteten Unsittlichkeit wegen verfolgte sie ihn das ganze ländliche Souper hindurch, und erzählte eine Geschichte aus Halle, wo eine Gattin ihrem Gatten, eine Mutter ihren Kindern untreu geworden wäre, weil sie die Leiden des jungen Werther gelesen. Und dabei erinnerte sie mich an die Gewohnheit, welche einige unserer jungen Kritiker angenommen haben, nämlich Goethe niemals ohne seinen Vornamen zu nennen, gleichsam als wollten sie ihm damit jenen idealen Schmelz, jenen Titanenmuth wiedergeben, welcher durch die Weimarer Ministerstelle etwas erstickt wurde. Nur schloß sie sich dabei mehr an die Allgemeine Deutsche Bibliothek an, und versah den Dichter immer mit seiner bürgerlichen Bezeichnung. Oder sollte man glauben, daß sie Herrn von Goethe persönlich kannte? Ach, es machte mir wenig Freude, daß Seraphine an dieser Frau hing, daß ihr drittes Wort immer die Predigerin war. Ihr vertraute sie alle ihre Geheimnisse an, und fand dann jenen mit weltkluger Miene gegebenen Trost, welchen sie in den Schriften der Henriette Hanke, in Witschels Morgen- und Abendopfern und den Stunden der Andacht auch hätte finden können.

Als wir am späten Abend zum Dorf hinaus gingen, siehe da trat uns aus einer Heckenwand, welche des Dorfes Gränze bildete, Jemand entgegen, der auf uns gewartet hatte. Es war verabredet, daß wir Herrmann an dieser Stelle trafen. Herrmann hatte auf Schule und Universität das Recht, sich mein anderes Ich zu nennen. Seit jenem Augenblicke, wo er auf zwei Krücken in die Klasse schlich, und uns als neuer Mitschüler empfohlen wurde, wo ich ihm aufpaßte und ihm meine Liebe, meine Wartung seiner körperlichen Mühsal anbot, waren wir unzertrennlich verbunden. Freilich gab es zahllose Differenzen zwischen uns, aber hatten wir im Irdischen Zwistigkeiten, so begegneten wir uns wieder, da wir ganz gleiche Sympathien in uns trugen, im Aether unserer Ideale. Herrmann war der älteste Sohn eines Landpfarrers, der die Preußische Agende nicht annehmen wollte, und daher immer auf dem Sprunge stand, mit Frau und zehn Kindern nach Amerika auszuwandern. Die Widersetzlichkeit gegen diesen tollkühnen Entschluß, den eine unnöthige Verzweiflung dictirt hatte, die unverabredete Anwaltschaft seiner bei diesen Excentricitäten schmerzlichst leidenden Mutter, beides hatte ihm eine frühe Reife und Selbstständigkeit gegeben. Später erholte er sich von seiner Hüftenkrankheit, warf die Krücken weg und hinkte ein wenig, was mit seinem Temperament sonderbar kontrastirte. Herrmann wollte Seraphinen sehen. Er sahe sie nun zum Erstenmale in einer Beleuchtung, wo sie sich am besten ausnahm, bei Mondschein. Er führte sie und verlor sich bald, wie es jungen Norddeutschen eigen ist, in ein zartgesponnenes Gespräch über Liebe, Gegenliebe, Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Ich ging lautlos neben Augusten; und nur zuweilen rückten wir alle vier zusammen und sangen auf der stillen Landstraße: Es blinken drei freundliche Sterne! dabei schienen unsere Blicke verklärt und doch bluteten die Herzen. Wer dies Concert jubelnder Stimmen hörte, ahnte wohl nicht, daß sie im Grunde ein trauriges und verzweifelndes Thema variirten. Als mein Freund und ich von den Mädchen schieden, war Jener hingerissen durch Seraphinen. Ich schwieg, und hatte es wahrlich zehnmal auf den Lippen, sie ihm abtreten zu wollen.

Die Opposition der Predigerin gegen Goethe im Sinne Pustkuchens bringt mich darauf, einen Dichter zu nennen, der damals für mich ein eigenes Studium wurde. Das war Bürger. Eines Tages bracht' ich seine mit einem Porträt gezierten Werke den beiden Schwestern. Seraphine, die Bildung genug besaß, um Bürgers Leben zu kennen, erblaßte, als ich den Namen nannte. Ich sprach ohne Rückhalt mit feurigen Worten und leidenschaftlichen Mienen von den Leiden des Mannes, von Molly, als sie sich losreißen wollte, von seiner Liebe zur Schwester seiner Gattin. Hier zeigte ein Bild seine schmerzhaften Züge, diesen gutmüthigen frommen Glanz des Auges, dies schlichte Haar, das glatt gekämmt, ganz gegen die Sitte seiner Zeit vom Scheitel des unglücklichen Mannes hing! Als ich dies Alles ausdeutete und die Geschichte Bürgers erzählte, standen mir die Thränen in den Augen, so daß die Mädchen stumm zur Erde blickten, und Seraphine seufzend ankündigte, wir würden heut zu Evelinen gehen.

Dies war der schmerzlichste Abend. Seraphine verlangte schon keine Zärtlichkeit mehr, sie war stolz genug, nichts haben zu wollen, was ich für sie nicht besaß. Allmählig bekam sie eine wunderbare Festigkeit und ich wußte nicht, was sie mit der glorienhaften Miene wollte, als hätte sie einen Triumph genossen. Nothwendig mußte in ihrer Seele etwas vorgegangen seyn und noch denselben Abend erfuhr ich es. Sie drängte mich zu ihrer Schwester hin, warf ihr die bittendsten Mienen zu und kaum hörte ich das, was sie mir in's Ohr flüsterte. Eveline sang dabei: Treu geliebt und still geschwiegen.

Seraphine hatte auch in der That noch nichts gesprochen; denn die Stimme versagte ihr. Endlich hörte ich ohne daß sie weinte: »Arthur, sie wird dich lieben!« Ich wende mich um. Nun erschrickt sie. Und warum erschrickt sie wohl? Ach, weil sie keine Thränen hat! denk' ich: weil sie eine Lust im Schmerze sucht, weil ihr diese Resignation eine leidende Folie gibt.

Und nun brach der ganze Rigorismus meiner Gefühle aus. Ich stieß sie, die mir ein so großes Opfer bringen wollte, von mir. Groß? Groß? Sie kostet es nichts, dacht' ich; sie schwelgt in dieser schmerzlichen Situation: Sie will mit dem Myrtenkranz sterben, wenn ich ihre Schwester heimführe, wenn alle Menschen sie als Märtyrerin ihrer Liebe anbeten werden und sagen: Schaut, schaut, was sie that! Verdammte Sentimentalität!

Diese Scene bildete den Wendepunkt meines ganzen Verhältnisses zu Seraphinen. Hier durchkreuzten sich endlich alle Fäden, an welche damals die Psyche meines Lebens gefesselt war. Ich hatte mich durch meine Liebe nicht absorbiren lassen. Sie verpflichtete mich nicht. Nach den höchsten Gipfeln wissenschaftlicher und Welteinsicht ringend war ich auch auf einem steten, dornigen und blutigen Hinaufklimmen begriffen. Alle Ideen, welche die Zeit erfüllten, fanden in meiner Brust ihren Widerhall. In Liebe und Haß war ich leidenschaftlich. In der Politik tollkühn, in der Religion Phantast, in der Philosophie Schattenspieler, in der Moral ein Narr, gährte und siedete ich und mordete meine nächste Vergangenheit immer durch die nächstfolgende Zukunft. Seraphine war das Herz, das zwischen die Räder eines wildstürmenden Schöpfungs- und Zerstörungsdranges gerieth. In den Sitten das Philisterhafte hassend, in den Gefühlen jede Weichheit, die ich Egoismus nannte, brachte ich Alles, was mich auf meinen Wegen reizte, in Verbindung mit meinen ideellen Sympathien. Ich sahe in meinen Umgebungen nur falsche und lügnerische Manieren und fand darin Stoff für die Polemik vieler deutschen Autoren gegen die Tendenzen der Zeit. Mein Symbol war: Natur und Ehrlichkeit in der Politik, Natur und Leidenschaft in der Moral. Ein Herz, das liebt, liebt um jeden Preis, war meine Voraussetzung und ein Herz, das entsagen kann, liebt nicht, meine Folgerung. Seraphine muß dich nicht opfern, Seraphine muß ihre Schwester hassen, da ich ihre Schwester liebte, Seraphine muß sich an meinen Besitz anklammern, selbst wenn ich sie an den Haaren schleifte und – nun verwerf' ich sie.

Mein erster Entschluß war, die Empfindungen für Augusten erfrieren zu lassen. In der Jugend, wo man von Illusionen lebt, kann man Alles. Es wurde freilich schwer, Augusten zu vergessen, zuweilen wurd' ich noch weich und die Eiskruste, die mein Herz umgab, thaute wieder auf: allmählig aber beschränkte sich meine Neigung zu Augusten auf eine Benutzung von gerade so viel guten Gelegenheiten, als sich darboten, um einmal ihre Hand oder beim Spiele meine Lippen auf ihre Stirn drücken zu dürfen. Innere Regungen unterdrückt' ich dabei: ich beobachtete nur die Feinheit ihrer Haut, weil auf ihr jede Berührung dieser Art immer ein Maal zurückließ, welches fünf Minuten brauchte, um sich zu verwischen. Im Uebrigen ging ich darauf aus, Seraphinen jede Veranlassung zu ihren Tragödien zu nehmen. Ich überwand meine Gefühle um den Stolz der ihrigen zu überwinden. Ich sagte ihr an mir würde sie die Glorie der Entsagung nicht verdienen, weil ich gar nicht wüßte wem zu Gunsten sie denn entsagen wollte. Mit gräßlichem Spotte folterte ich sie, muthwillig zerriß ich die Cypressen, welche sie im Geist schon auf ihren Grabeshügel pflanzte. Böses Herz war dies nicht: ich glaubte nur im Auftrage des Richtigen zu handeln.

Jetzt war mir an Seraphinen Alles fatal. Mit meinem terroristischen Scallpell anatomirte ich ihre Seele, in der sich nichts mehr verbergen durfte. Wenn sie den Mond, wenn sie die Sterne anrief, ich nannte es Verbrechen. Wenn sie mir mit ihrer Witschelschen Glaube-Liebe-Hoffnungspoesie, mit ihren Wilmsenschen, Spiekerschen Jungfrauen beim Eintritt in die Welt kam, mit ihren Nachlässen Rosaliens und Serenas Brautmorgen, so wurd' ich unmuthig. Zahllose Briefe, die sie mir des Abends in die Hände drückte, las ich nicht. Nämlich äußerlich waren wir noch ganz geruhig und erträglich: die Welt ahnete nichts; aber Seufzer, verzweiflungsvolle Blicke, oft ein nur hingeworfenes Wort drückten unser ruinirtes Verhältniß aus. Es entspann sich ein Briefwechsel, wo ich Wahnsinniger ihr Vorlesungen hielt über Unschuld und ächtes Gefühl, über deutsche Literatur und tausend heterogene Dinge, von denen ich vorgab, daß sie durch sie in mir beleidigt würden. Die Unglückliche antwortete darauf, mit Träumen, Gebeten, Gedichten, die mitunter durch eine originelle, fast immer symbolische oder mystische Idee ausgezeichnet waren. Ihr ganzes System verwarf ich und um so mehr, da sie Dichterin seyn wollte und ich mir damals einbildete, daß Frauenzimmer nicht die Bestimmung hätten, zu schreiben.

Federer war in diesen Leiden meine Zuflucht. An seiner treuen Brust stöhnt' ich den Schmerz meines zerrissenen Gemüths aus. Wie oft sagt' ich ihm: »Sieh, Fritz, Seraphine hat Geist. Sie hat sogar Verstand und im Verstande Witz. Fremde ziehet sie Stundenlang auf und erträgt ein Gespräch, wo die feinsten Saiten klingen. Wenn ich mich aber hinreißen lasse und ihr meine Begriffe zu entwickeln beginne, dann bleibt sie immer beim Trivialen, Angelernten, bei der Phrase sitzen. Ich weiß, sie sind freilich alle so, die sich vorzugsweise höher dünkenden weiblichen Naturen. Alle haben sich die gefühlvollen Gemeinplätze über Liebe, Religion und Leben zu eigen gemacht und fallen, wenn du aus des Gedankens tiefstem Borne schöpftest, dir in die Flanken mit ihrem schon Alles gewußt haben. Fritz, sie verstehen dich gleich, wenn du noch gar nicht fertig bist, und wenn du sie reden lässest und frägst nun, was sie denn glaubten, daß du meintest, ja, dann sagen sie gerade die Sätze, die du bekämpfst, die ausgedroschenen Strohkissen, auf welchen sich die egoistischen schönen Seelen ausruhen!«

Mein Freund suchte mich wohl zu trösten; aber ich fuhr fort: »Fritz, vergleiche Lina mit Seraphinen! Jene steht mit der Sonne auf: diese träumt bis neun Uhr im Bette, so daß ich der Mutter den Haß nicht verdenke. Jene duftet von der Frische, die des Morgens auf den Feldern liegt. Seraphine hat etwas Stockiges: auf ihrer ganzen Erscheinung liegt eine solche Decke, wie sie sich auf kahnigem Weine zu bilden pflegt. Alles, was sie spricht, ist überlegt, gut; aber in dem Sinne überlegt, daß sie auf die Wirkung lauscht. Ich versichere dich, Fritz, gerade die, welche immer mit ihrem Gefühle kokettiren, sind kalt. Seraphine? Glaubst Du, daß sie eine Thräne vergoß, als sie meinen Besitz an Augusten abtreten und vor aller Welt sich mit neuem Glorienscheine umzaubern wollte? Nicht in dem Schmerze lebte sie dabei, sondern in der Thatsache, die sie objectiv erfüllt, von Euch und Allen schon bewundert vor sich sahe. Des Schreckens, der Furcht, des Mitleids glaubst du sie fähig? Nein, Fritz, gewohnt in ewiger Gefühlsschwelgerei zu leben, hat das Gefühl für sie schon das Plötzliche, Ueberraschende und Ergreifende verloren. Stumm und kalt bleibt sie bei fremdem Schmerz. Ach, ich bin hin, hin!«

Fritz zuckte die Achseln. An Hülfe dacht' ich nicht. Ich dachte nur an Trennung; denn dies Verhältniß war die Kette, die mich wie einen Verbrecher an den Klotz der Alltäglichkeit gefesselt hielt. Nur mit einem Schlage zurückzutreten, wagt' ich nicht, weil ich es meiner Ehre schuldig zu seyn glaubte, bis auf den letzten Athemzug auszuharren. Ich nahm Seraphinen jetzt hin, wie eine Aufgabe, die ich zu lösen, wie einen Notensatz, den mir der Himmel nun einmal herunterzuspielen aufgetragen hatte. Protestation aber wollt' ich mir wenigstens vorbehalten, Protestation, die darin bestand, daß ich darauf studirte, Seraphinen zu quälen. Ich zeigte ihr alle Karten, mit denen ich spielte, offen. Wie oft erzählt' ich ihr nicht, daß ich dereinst ein Weib gewünscht hatte, das leicht, beweglich, zum Transporte geeignet wäre, eine Frau, die gleichsam mein Taschenmesser seyn müßte, das sich zuklappen und einstecken ließe. Ich erzählte ihr das Goethische Märchen von jenem Reisenden, der ein Kästchen bei sich getragen und in jedem Gasthofe geöffnet hätte; da wäre ein Wesen herausgestiegen, das sich vergrößerte zu Menschenlänge und nach traulichem Umgange wieder in das Kästchen zurückkehrte. Seraphine lächelte dazu; denn sie hoffte, sich nach meinem Systeme umbilden zu können. Zum Beispiel hatt' ich ihre affectirte Lustigkeit getadelt, weil sie sich damit vordrängte und den Leuten doch im Grunde nur Angst machte. Nun glaubte sie grade das Rechte zu treffen, daß sie still und in sich zusammengekauert saß und die Scherze ihrer Freundinnen mit Molltönen accompagnirte, die nicht weniger schreiend von jenen disharmonirten. So wurde mir ihre Erscheinung immer unerquicklicher.

Der Winter nahte heran. Ich spann mich in meine idealistischen Gewebe ein und ertrug das Aeußre zur Noth, da ich innerlich an Leben und Frühling keinen Mangel litt. Im freudigen Kampfe rang ich mit Büchern und Menschen, um zu festen Ueberzeugungen zu gelangen. Den Niederschlag dieser Gährungen ließ ich Seraphinen, einen des Abends ermatteten Körper, der in seinen Nerven überall unsanft berührt wurde, einen Geist, der sich einbildete, der Zukunft vorzuarbeiten und von dem, was der Augenblick brachte, immer abwesend war. Poesie wäre jetzt das gewesen, was mich hätte fesseln können; aber Seraphine entwickelte wenig davon. Manches war jedoch wirklich hübsch von ihr und rührte mich. Sie ging zum Beispiel oft im größten Schneegestöber, ein altes Tuch über den Kopf gezogen, und begleitete mich des Abends nach Hause. Wenn wir dann an dem Häuschen vorübergingen, wo Herrmann in einer Dachstube wohnte, und durch Licht die Fenster matt erleuchtet waren, so polterten wir die Treppe hinauf, sie dann in meinen Mantel gehüllt und die Nachbarn täuschend. Herrmann war immer erschrocken und rückte Schemel an den lauen Ofen. Seraphine aber durchstöberte bei dem matten Schimmer, den die Lampe an die Wände warf, Alles, was zu der tumultuarischen Wirthschaft eines jungen Mannes gehörte. Außerdem vernahm ich oft, wenn ich in meiner Wohnung des Abends einsam studirte, ein leises Pochen an der Thür. Oeffnete ich dann, so huschte etwas die Stiege hinunter und unten fiel die Hausthür in's Schloß. Es war Seraphine die mich nur grüßen wollte. In allem Excentrischen war sie bedeutend. Bei höherer Geistesbildung, glänzenderen Verhältnissen und bei einem so receptiven Manne wie Goethe hätte sie es bis zur Classicität Bettinens bringen können. Ich zweifle aber, ob sie mich damit beglückt hätte; denn ich litt schon genug an der tiefsten Potenz dieser Originalitäten.

Mit den Weihnachten näherte sich endlich die Katastrophe. Selbst in dem, worin wir uns Freude machen wollten, kränkten wir uns.

Noch vergegenwärtig' ich mir lebhaft jene Scene, als Seraphine und ich in dem engen Hospitalstübchen saßen. Draußen knisterte der Frost: drinnen athmete der glühende Ofen. Eine spärliche Flamme aus zinnerner Lampe beleuchtete uns, die wir schweigend auf den Boden blickten.

Lina fragte mich, was ich wohl geschenkt haben möchte, ob ich einen Tragband oder ein Notizbuch vorzöge? Höflich, wie ich glaubte, antwortete ich: »Was erhält denn Fritz?« Sie sagte »ein Notizenbuch.« »Nun ja,« fiel ich ein, »das wäre mir auch lieber. Man kann es doch zeigen, man kann doch vor den Leuten ein wenig groß damit thun, man kann doch seinem Mädchen Complimente und Kundschaft damit zuwenden. Ein Tragband? das sieht Niemand; ich möchte um Alles in der Welt kein Tragband haben!«

Seraphine stieß einen Schrei aus und ich begriff sie nicht. Keine Ahnung hatt' ich davon, daß sie sich etwa hinsetzen konnte des Nachts, die Arme, mit blöden verweinten Augen, daß sie an Weihnachtsfreude hätte denken können. Ich tobte wie ein Thier über diese empfindsamen Convulsionen, für die es keine sichtbaren Gründe gäbe, während Lina die Augen senkte und für zwei der unglücklichsten Geschöpfe still zu beten schien.

Mit dem Tage des Herrn flackerte der matte Schein unserer Liebe noch einmal etwas heller auf. Ich ging zu einem Schreiner und kaufte einen kleinen Nähtisch, und weil ich Niemanden an dem Feste finden konnte, der mir ihn getragen hätte, so nahm ich das Ding auf den Kopf und watete damit durch den Schnee ohne Zwang zu meiner blassen Liebe hin. Auf der Straße hatte Alles Eile, Niemand beobachtete mich. Zuweilen stellt' ich meine Last nieder, und kaufte Bänder, Spitzen, Lebkuchen, Wachsstöcke, Pfeifenröhre, einen Weihnachtsbaum, etwas Silberzeug und Theodor Körners sämmtliche Werke, kurz ein ganzes Waarenmagazin, womit sich eine deutsche Familie im Kleinen beglücken läßt. So behangen und betrödelt kam ich denn an dem holländischen Glockenspiel an, um meine Siebensachen zu verbergen. Mein Herz pochte vor Freude; denn ich dachte nur an die strahlenden Gesichter, welche mir entgegenlachen würden und es war mir als hätten an diesem Feste auch die Seelen neue Gewänder angelegt. Als Seraphine von den kleinen Wachslichtern an dem Baume geblendet, in meinen Armen lag, feierte ich mit ihr die herzlichste Aussöhnung. Jung und Alt stand rings um uns her und betrachtete die Bescheerung. Frohlockend nahm ich das Tragband, womit sich mir das neuliche Räthsel des Aufschreiens enthüllte und Auguste hatte mir ein Uhrband von Perlen gehäkelt.

Bis über das neue Jahr hinaus dauerte diese wechselseitige Zufriedenheit. Da kamen aber bald die alten Zweifel und Sorgen wieder und in mir um so heftiger, als Seraphine sich einzubilden schien, daß ich nur launisch gewesen und jetzt vollkommen wieder mit ihr zufrieden wäre. Die Correspondenzen, welche sie um jeden Preis wieder anknüpfen wollte, um mir ihr Herz zu zeigen, reizten mich heftig. Ihre sentimentalen Deklamationen waren unerträglich und ich hatte nicht unrecht, daß sie sich besser vorkommen wollte, indem sie schrieb, als indem sie sich so gab, wie sie die Natur geschaffen hatte. Die alten Wunden brachen wieder auf, ich flüchtete zu Fritz, der mir ein heroisches Mittel empfahl, nämlich, mich zurückzuziehen.

Ich ergriff es zuletzt, da Umstände eintraten, die es milderten. In einem vornehmen Hause wurde eine Gesellschafterin gesucht und man wandte sich zu diesem Zwecke an Seraphinen. Die Familie sprach darüber hin und her, die Meinungen waren verschieden, bis ich den Ausschlag gab, daß sie die Aufforderung annehmen sollte. »Denn,« sagt' ich vor Allen grad heraus, »Seraphine ist ohne Erfahrung und voller Eitelkeit. Mag dies ihre Prüfzeit werden! Briefwechsel findet zwischen uns nicht Statt; denn ihr Erbübel ist die Feder und die Phrase.« Ueber diese Erklärung fehlt' es freilich an Erstaunen nicht; aber Seraphine die immer noch dachte, meine Liebe gewonnen zu haben, unterzog sich freudig dieser Anordnung und ich trennte mich spät Abends von ihr, heftig erschüttert über einen Schritt, den ich thun mußte um mein Leben zu retten.

Nun vergingen drei Monate, daß ich nichts mehr von Seraphinen vernahm. Der Eingang beim Vater stand mir immer offen, und ich benutzte ihn um meine Sehnsucht nach Augusten befriedigen zu können. Ich sprach nie über Seraphine mit ihr, mit Niemandem, und Allen war der Bruch entschieden.

Da erhalt' ich eines Tages von Seraphinen ein Billet, worin sie mir ein kategorisches Entweder – Oder vorschlug und dabei ein Verhältniß berührte, das sich ihr für ihre Lebenszeit anböte und das sie auch annehmen würde, wenn ich in meiner Resignation verharrte. Eine solche Sprache kam mir unerwartet und zitternd vor Wuth lief ich zum Vater, bei dem ich kaum zu Worte kommen konnte. Er benutzte meine Verwirrung und setzte mir mit Ruhe dasjenige auseinander, was sich in dem herrschaftlichen Hause entsponnen hatte. Einer von der Bedienung nämlich, ein schlanker schöngewachsener Mann, den man Philipp nannte, hatte eine glühende Neigung auf Seraphinen geworfen, mit der sie, wie es ihre Art war, nicht kurz abbrach, sondern höchst witzig und geistreich spielte. Doch hielt sie diese Maske gegen eine energische Bewerbung nicht lange aus, sondern war bestürmt und in die Enge getrieben, daß sie endlich einen Entschluß fassen mußte. Und doch, sagte der Vater, verwundere er sich, daß sie es hätte thun können.

Es war auch nur verzweifelte Verstellung bei Seraphinen. Sie dachte nicht daran, den Bewerbungen Philipps Gehör zu geben; aber, wie sie denn in praktischen Dingen immer auf das Verkehrteste gerieth, so glaubte sie sehr gescheut durch jene Alternative auf mich zu wirken und mich mit einem Schlage wieder für sich zu gewinnen. Als sie nun aber von mir die volle Zustimmung zu ihrem Entschlusse erhalten hatte, geberdete sie sich wie eine Rasende und gab Absichten zu erkennen, die nöthig machten, daß man sie bewachte. Sie wollte sich den Tod geben, wenn sie mich wenigstens nicht noch einmal spräche. Und dies Gespräch ihr zu bewilligen, wurd' ich nun von allen Seiten bestürmt.

Es war eine mondhelle Frühlingsnacht, die den vor der Stadt gelegenen Park mit magischem Helldunkel schmückte. Seraphine hing mir am Arme und schmiegte sich mit hinreißender Liebenswürdigkeit zu meinem Antlitz auf, das sich mit seinem resignirten Lächeln gar leicht dem Monde verrieth. Wirklich war ihr ganzes Wesen frischer und natürlicher, und sie behauptete, sich in allen Stücken zu ihrem Vortheil verändert zu haben. Ich nahm das Alles sehr einsylbig hin, fühlte mich jedoch unwillkürlich an sie gefesselt, als ich merkte, daß eine dunkle Gestalt im Schatten der Bäume uns nachschlich, und mir Seraphine erklärte, an der Mütze mit der goldenen Tresse erkenne sie Philipp. Ich sah, daß ich hier meinen Mann stehen mußte und der Muth, für mich selbst aufzutreten, ging auf Seraphinen mit einer Wirkung über, daß ich sie wenigstens in dieser Lage vertheidigt und für die meine erklärt hätte. Doch hielt sich der Mann in ziemlicher Entfernung, ob er uns gleich nachschlich, bis ich von Seraphinen Abschied nahm.

Damit schloß aber auch das Verhältniß; denn ich erklärte ohne Weiteres, daß man für die Liebe sich nicht erziehen könne und mein Lebensschiff in die hohe See gelichtet hätte. Sie verfiel in tiefe Betrübniß, schrieb noch einigemal und drückte sich zuletzt nur noch durch Blumen aus, die sie mir des Abends in's Fenster warf. Einige Monate später erfuhr ich, daß sie die Bewerbungen Philipps annähme, ihm aber eine unerläßliche Bedingung gestellt hätte. Sie wollte nicht umsonst ihr Herz brechen machen, die Arme, sie wollte mit ihrer Liebe wenigstens etwas wirken. Philipp war katholisch und sie erklärte, ihm Gehör geben zu wollen, wenn er protestantisch würde. Diese Idee hatte etwas, das ihr Inneres verklärte, ihren Stolz hob, sie hatte etwas von der Märtyrerschaft, nach welcher sie so begierig war. Der Gedanke, dem Himmel sich als Opfer zu bringen und der Wahrheit einen neuen Bekenner durch ihren eigenen Schmerz zuzuführen, beseelte sie und sie fing selbst an, ihren Katechumenen zu unterrichten und ihm die Lehrsätze des Protestantismus auseinander zu setzen. Er durfte sie vor dem öffentlichen Uebertritt kaum mit der Hand berühren. Sie war dabei mitten in einem Geschäfte, wovon sie glaubte, daß sie für so Etwas eigentlich geboren sei.

Doch das Alte vergaß sie nicht, wenigstens den Schwur nicht, den sie mir gegeben hatte, sich niemals zu verehelichen, und den sie um ihr Versprechen an Philipp zu erfüllen, von mir wieder einlösen mußte. Sie lud mich eines Nachmittags ein, sie in der väterlichen Wohnung zu besuchen. Ich kam und sah hier die mir schon ganz fremd gewordenen Umgebungen meiner Leiden wieder. Seraphine kam mir schluchzend entgegen, ganz schwarz gekleidet, im Haar sogar eine Agraffe von schwarzem Crepp. Sie fühlte diesen Moment, wo wir auf ewig Abschied nehmen würden, tief und mich selbst drückte nicht weniger die Erinnerung des Vorangegangenen nieder, das still erlebt, ohne fernere Ansprüche hinter uns lag. Diese Scene wird mir für mein ganzes Leben unvergeßlich bleiben. Zwei Seelen, die sich nach langen Qualen, nach hundert vergeblichen Versuchen, sich auf immer zu verschmelzen, nun ruhig und reuevoll auseinander setzen, und zum letztenmal umarmen, ohne Leidenschaft, ohne lauten Schmerz, daß der Eine nun dort- der Andre dahin wandern müsse! Ich bedurfte der ganzen Umgebung und der komischen Züge, die sich noch in dies Bild mischen sollten, um in meiner Wehmuth nicht zu vergehen. Seraphine wollte mich nämlich wie einen Ehrengast bewirthen, und regalirte mich mit einem Kaffee von dem sie bedeutungsvoll und damit einen Blick auf altes Lamentiren eröffnend und lächelnd sagte, daß er ihr eignes Produkt wäre. Nun diese Prosa der Maschine, die nicht recht brennen und der Sahne, die nicht recht färben wollte, diese Thränen und dies Kaffeetrinken zusammengenommen – die Brust wollte mir zerspringen. Wir lachten und weinten, wir hatten gar keine Gewalt mehr über unsre Mienen, sondern die widersprechende Situation und das innere Vergehen vor Schmerz machten alle Fibern tremuliren, so daß wir gar nichts mehr zu stammeln wußten, als: »Ach Gott, ach Gott!«

Ein Geräusch an der Thür störte uns. Philipp kam: ich schlich mich durch ein Seitenzimmer davon und seitdem hab' ich Seraphinen heut zum ersten Male wiedergesehen.

*

Arthur blickte nach dieser Beichte auf Julien, die ihn aus der Ecke des Wagens, aus der Dämmerung des Morgens, mit unheimlich glänzenden, gespenstischen Augen anstierte. Sie schien wie abwesend und hatte auch wenig von Arthurs Erzählung gehört.

Der junge Mann, zerknirscht von den Erinnerungen an seine frühere Jugend, und an Seraphine wie an einen Engel denkend, den er durch seine Ungeduld und Zerrissenheit um den Himmel betrogen hatte, warf einen verächtlichen Blick auf die kokette Frau, die jetzt gähnte und sich dehnte, als hätte sie im tiefsten Schlaf gelegen. Er rief den Kutscher an, und sprang zum Wagen hinaus, der inzwischen schon bei der Stadt angekommen war. Gelähmt in allen seinen Empfindungen, von Schaam ergriffen, daß er einem so kalten Weibe die idyllischen Geheimnisse seines Lebens Preis gegeben hatte, hüllte er sich in seinen Mantel, und warf sich, zu Hause angelangt, auf sein verspätetes Lager. Unter heißen Reuethränen über Seraphinen, die nur von dem Schwure, Julien auf immer verlassen zu wollen, erstickt wurden, schlief er ein, da eben die Sonne am Rande des östlichen Horizontes aufblitzte.


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