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Zweites Buch.

Frau von Oppen, eine liebe, gute Frau, hatte selbst die Gefälligkeit, ihrem Sohne die Cravatte zuzuschnallen. Edmund wollte auf den Ball gehen, welchen heute die Freimaurer den Schwestern gaben, und wo auch männliche Verwandte und Uneingeweihte aller Art diesmal zugelassen wurden. Die Mutter betrachtete ihren Sohn mit dem ganzen Schmelze ihrer Zärtlichkeit und schien in Edmunds Mienen etwas lesen zu wollen, was ihr vielleicht Trost und Genugthuung geben sollte. Ihr ganzes Benehmen verrieth, daß sie sich gewisse Saiten im Gemüthe ihres Sohnes zu berühren scheute, und mit ihren Besorglichkeiten ihm mehr zu- als abreden wollte.

»Nimm Dich nur in Acht, Edmund,« sagte sie, und tanze nicht mit Deiner gewohnten Leidenschaftlichkeit! Sieh, wie Du keuchst, wenn Du Dich ein wenig beeilen willst! Ich fürchte noch immer für Deine Brust!«

»Ach, liebe Mutter« – verwies sie Edmund gutmüthig.

»Ja, hören willst Du nicht,« fuhr die Treffliche fort; »der Medicinalrath muß durchaus Dich einmal mit dem Telescop« –

»Stethescop Mutterchen!« verbesserte Edmund lachend.

»Ja, Du lachst! Edmund! Die Eltern haben dann die Sorge und ich überlebte die Stunde nicht, wo ich Dich« –

»Leih mir Deine Uhrkette!« fiel Edmund ein, um nur das Gespräch aus dem Lazarethtone herauszubringen; »sie steht vortrefflich auf dem Sammtgilet.«

Die treue herzliche Frau von Oppen hastete fort und brachte das Erbetene, wofür Edmund dankte und sie dann bat, ihn doch zu lassen, es wäre noch nicht Zeit, auf den Ball zu gehen und es mache ihm eine unerträgliche Angst, wenn sie ihn immer so bedenklich ansähe. Die gute Frau schlug die Augen nieder, wünschte ihm Heiterkeit und Erholung und verließ ihn mit besorgten Mienen.

Als Edmund allein war, richtete er alle seine Gedanken auf den Freimaurerball und Julie von Magnus, die er anbetete. Er setzte sich an den offenen Flügel und stürmte die leidenschaftlichsten Phantasien herunter, sprang dann wieder auf und ergriff einen kleinen Zettel, auf dem er einige Verse verzeichnet hatte, die er Julien zuflüstern wollte und welche auf die heutige Situation angepaßt waren. Er las:

      Suchst Du wirklich, Dich behende
Unter exoter'schen Zeichen
In die innern Tempelwände
Salomonis einzuschleichen?

      Fühlst Du solchen Wissensmangel,
Daß Du Dich als frommen Laien
In den mystischen Triangel
Eilest, walzend einzuweihen?

      Laß das Schurzfell, Kelle, Tiegel!
Komm und nimm von mir die Weihniß,
Unter eines Kusses Siegel
Philadelphisches Geheimniß!

Indem Edmund noch darüber nachsann, was er antworten sollte, wenn Julie sagen würde, daß sie, um sein Gedicht zu verstehen, das Conversationslexicon nicht zur Hand hätte, trat einer seiner Freunde ein und berichtete ihm zu schmerzlichster Ueberraschung, daß Julie bei den Freimaurern nicht erscheinen würde. Er kleidete das recht hübsch unter dem Wortspiel ein, der Sansfaçon fehle unter den Francmaçons.

Edmund hatte Julien seit mehren Tagen nicht gesehen und erschrak, als er erfuhr, daß sie auch eben so lange schon krank wäre. Leicht alterirt und excentrisch, wie er war, sank er auf das Sopha nieder und kam erst zur Ruhe, als ihn sein Freund mit der bösen Botschaft verlassen hatte. An den Ball dachte er nicht mehr. Ihm lag nur noch daran, zu wissen, was über seine Freundin gekommen wäre, und ob sie ihm eine so lange Vernachlässigung verzeihen könne. Ohne jedoch den Plan gefaßt zu haben, sie in einer so späten Stunde noch zu besuchen, verließ er das Haus und stürmte unruhig und von seiner Theilnahme gefoltert in den Straßen einher.

Er war schon einigemal an dem Hotel des Ministers von Magnus vorübergegangen und wunderte sich, daß ein Reisewagen vor dem Portale stand, eine kleine Landkutsche aus der Provinz, die hartnäckig ihren Stand behauptete. Eine magische Gewalt ergriff ihn, und ohne festen Vorsatz das offne Haus betretend, war er in die innern Gemächer gedrungen, welche Julie bewohnte. Ihr Cabinet stand offen und da er Stimmen hörte, so scheute er sich nicht, näher zu treten. Das Zimmer war matt erleuchtet. Zwei junge Damen standen an dem Ruhebett, auf welchem Julie ausgestreckt lag. Sie bemerkte Edmund, der hereinzutreten zögerte, winkte ihm und konnte nicht begreifen, wie ihn das Wagniß seines Besuches so betroffen machen konnte. Edmund stand wie betäubt, als er die Begleiterin der jungen Tochter Juliens erkannt hatte. Er hatte nicht nöthig, daß ihm seine kranke Freundin erst den Namen Seraphinen's nannte. Er legte die Hand über die Augen und vermied der jungen Erzieherin nicht weniger überraschte Blicke. Auch sie hatte im Gespräche gestockt, da sie Edmund eintreten sahe. Sie beredete schnell den Abschied, den sie eben nehmen wollte und zog Antonien mit sich fort, um draußen ihr glühendes Antlitz zu verbergen.

Edmund war auf einen Sessel niedergesunken und gab nicht eher Antwort auf Juliens fragenden Blick, (denn mit Worten grüßte sie ihn nicht,) bis nicht unten der Reisewagen sich in Bewegung gesetzt, und sein Echo auf den Steinen der Straße verloren hatte. Ein Seufzer, der nur der Name Seraphinen's war, durchschnitt seine Brust und lag so laut auf den stummen Lippen, daß ihn Julie unausgesprochen verstehen mußte.

»Wie kömmt sie zu Ihnen?« fragt' er.

Julie wollte den Namen hören und sagte: »Meine Tochter?«

»Nein, Seraphine – ich kenne sie – ich hab' ihr ein frisches und starkes Jahr meiner Jugend geopfert und meine Opfer waren es, die sie verdarben.«

Julie fuhr entrüstet auf und rief: »Ist das erhört! das junge Frauenzimmer befaßt sich mit der Erziehung, nachdem sie von allen meinen leichtsinnigen Freunden die ehemalige Vertraute war. Was hatten Sie denn mit ihr, Edmund?«

»Unglück!« erwiederte er trocken. »Doch fürchten Sie für Antonien nichts. Ein so herb geprüftes Wesen, wie Seraphine, ist zur Erzieherin geboren. Das sind die besten Lehrer, die aus den Trauerweiden, die sie über sich selbst pflanzten, ihre Ruthen schneiden. Mit ihrem Hunger sättigen sie, mit ihrer Blöße bekleiden sie.«

»Was wissen Sie von Seraphinen?«

»Ich,« sagte Edmund, »weniger von ihr, als sie von mir. Ich denke mit Schrecken an jene Zeit zurück, wo ich in einem Gefühlsleben dämmerte, das in mir keine feste Form und Gestaltung aufkommen ließ. Ich habe nur noch ein einziges Nachweh dieser Vergangenheit: das ist Schaam und Reue. Auf meinen damals bald stürmenden, bald seichten und windstillen Wasserfluthen trieb Seraphine wie ein hilfloser Nachen hin und her. Wo ich mich bäumte, sie zu haschen, schleuderte ich sie fort: war ich still und sanft, so wollt' ich sie bewegt und sich bewegend sehen. Ich war unglücklich damals; dies die einzige Entschuldigung, wenn ich auch Seraphinen unglücklich machte. Die Strafe muß hier die Entschuldigung seyn.«

Julie schien von diesen unverständlichen Andeutungen aufgeregt. Nach einer kleinen Pause fragte sie Edmund, ob er aufrichtig seyn könne?

Edmund war aufgestanden und schritt im Zimmer mit gebeugtem Haupte umher. Dann wandte er sich zu Julien, die ihr Gesicht der Lehne des Sophas zukehrte und sagte aufrichtig genug: »Julie, was mich an Sie fesselt, ist Indifferentismus. Ich habe zu leben und zu lieben auf die eine Art versucht, und Sie füllen als Episode den Uebergang aus, bis ich es auf die andere Art versuche. Ich liebe Sie darum heißer, als ich je liebte und lieben werde; denn Sie besitzen nicht bloß die Trümmer des alten Fahrzeuges, sondern Sie sind auch der Strand, an welchem ich mein neues baue. Sie zeigen mir in dem Spiegel Ihrer wunderbaren Liebenswürdigkeit nicht bloß das Bild dessen, was ich bin, sondern auch dessen, was ich seyn möchte. Sie beherrschen mich mit jedem Wimperschlage Ihres Auges, aber ich bete zu Gott, daß er mich bald von Ihnen erlösen möge.«

Julie sagte darauf ganz leise: »Ich weiß das wohl, daß Ihr Alle, die Ihr nur Worte sagt, die einer Verheiratheten zu hören nicht geziemen, nur arme Gestrandete seyd, Nackte, Hilfsbedürftige, so eben an irgend einem Verhältniß Gescheiterte. Ich nehm' Euch auf, warte, pflege Euch, ich lass' Eure Effekten sammeln, kleide Euch und bin getröstet, Euch zu sehen, wie Ihr bald wieder ein neues, hohes und stolzes Meer befahrt. Bei Ihnen, Edmund, samml' ich nur gar alle Schläuche voll Wind und Phantasie, und fange Ihre zahllosen Grillen ein und binde Ihre Schwingen, daß Sie nicht zu früh sich wieder in alle Welt vergeuden und Feldzüge beginnen, ehe Sie Ihre Truppen alle an sich gezogen haben. Erzählen Sie mir von Seraphinen!«

Edmund setzte sich ihr zu Häupten und begann, ohne durch einen ihrer Blicke gestört zu werden:

»Ich hatte so eben in Heidelberg meine Studien beendet, als ich in die Residenz und zu meinen Eltern zurückkehrte. Meine damalige Stimmung war so wehmüthig, wie ich sie in dieser Stärke nie wieder empfunden habe. Mein Leben in Heidelberg war verronnen wie etwas, das nie dagewesen war. Mechanisch hatt' ich gedacht, gearbeitet, selbst empfunden. Das rohe und gemüthlose Treiben der Verbindung, zu welcher ich gehörte, hatte mich angesteckt: Alles war an mir formell und äußerlich geworden: jedes Gefühl erstickte die Cameraderie, keine Regung des Herzens durfte aufkommen, da Einer den Andern überbot, um das Endziel alles Studentenlebens zu erreichen, die göttliche Gleichgültigkeit. Guten Morgen, Herr Bruder! Die Pfeife im Mund, ein schlendernder Gang mit einem großen Pudel, Gleichgültigkeit in Wort und Gebährde; so ging das die schönsten, unwiederbringlichen Jahre hin! Ohne Bewußtseyn macht' ich das Examen, und that, wie die Andern auch. Der Gang wurde nachdenklich affektirt, ein Folioaktenstück lag unterm Arme und so ging ich, wie tief in Geschäften steckend, auf das Stadtgericht. Doch wurden mir diese Aeußerlichkeiten bald so widerwärtig, daß ich sie mit Männlichkeit von mir warf. Aber was half mir das? Ich hatte in meinem Innern keine Speicher angelegt, ich hatte keine Vorräthe für den Winter des Lebens gesammelt, Alles da drinnen im Herzen war leer und dumpf geworden: ich fürchtete mich, als wenn Mäuse durch die dunkeln Herzenskammern liefen. Da kam ich, von der Zukunft nicht gelockt, von der Gegenwart verlassen, auf meine Vergangenheit zurück, auf die ersten Jünglingsjahre, die ich so schwärmerisch verlebt hatte. Ich nahm Musik, Tanz, Malerei, ich nahm die Dichtkunst wieder auf, und trieb diese Dinge um so leidenschaftlicher, je mehr ich mich vor meinem Universitätsleben schämte und die heraufziehende Periode bürgerlicher Gesetztheit fürchtete.

Nur ein receptiver Charakter bin ich. Ich habe keinen Trieb und keine Anlage, etwas zu erfinden. Ich lese lieber als ich schreibe; und wenn ich schreibe, so such' ich nur mich selbst mir näher zu bringen, nicht Andern mich mitzutheilen. All meine Anschauungen sind weiblich. Ich sehe im Dunkeln besser, als bei hellem Lichte und nehme dabei die negativsten, unbestimmtesten Gefühle als etwas, das eine Lebensgrundlage seyn kann, als etwas womit man bauen und schaffen kann. Ich bin mit keiner einzigen kritischen Fähigkeit ausgestattet. Das Rührende, im Theater z. B., rührt mich und wenn es noch so künstlerischer und psychologischer Motive entbehrt. Dem Unmittelbaren erliegt mein Herz. Die schlechtesten Opern ergreifen mich, wenn die Musik nur einigermaßen weich und schmelzend ist. Für Bellini giebt es keinen bessern Zuhörer, als mich. So in Allem.

Die Metamorphose, die mit mir vorging, war eine Rückkehr zu den ersten bewußten Anschauungen des reiferen Knaben. Ich kam mir besser vor, da ich doch nur schwächer wurde. Ich würde in eine allzublöde Weltansicht mich verflacht haben, wenn ich nicht Gelegenheit bekommen hätte, es schmerzlich durchzukosten, wohin der Illusionentaumel führt.

Bei meinen Eltern wohnend fiel mir eine junge Dame auf, die von ihnen mehr für die Gesellschaft, als für die Wirthschaft aufgenommen war. Sie kam mit gutem Humor in unser Haus und fand sich bald in den Ton und Charakter eines eximirten Wirthschaftswesens, der ihr nicht geläufig schien, zurecht. Ich fand an ihren schwächlich zarten Formen, noch mehr aber an ihrer feinen discantirten Stimme und der Bestimmtheit ihrer Antworten viel Gefallen, unterließ aber eine weitere Beobachtung, da ich wußte, Seraphine würde sich mit unserm Livreejäger verheirathen. Dies Bündniß wurde von den Eltern gern gesehen, weil Philipp, der Bräutigam, seiner Geliebten zu Gefallen die Religion zu andern versprochen und dies wirklich durchgeführt hatte. Niemand hatte eine Ahnung davon, daß Seraphine dem Tage der Hochzeit mit Furcht entgegensah, da sie sich überhaupt in einem Verhältnisse, das freilich für sie nicht zu passen schien, gedrückt fühlte. Ich nahm Philipps Einladung, Zeuge der Verbindung zu seyn, mit jener Gleichgültigkeit an, die so auffallend ist, wenn sie über einen unterminirten und gefährlichen Boden, ohne davon zu wissen, hinwegschreitet und sich gedankenlos an das begiebt, was selber ohne Gedanken zu seyn scheint. Ich ging in die Kirche, ohne zu ahnen, daß sich hier eine Katastrophe ereignen würde, welche einen ganzen Menschen fesseln und in eine schmerzliche Reihefolge unglückseliger Situationen werfen sollte.

Die Zahl der Zeugen war durch die beiderseitigen Verwandten so stark, daß ich glaubte, wenn ich entfernt blieb, es unbemerkt bleiben zu können. Ich trat zur Kirche hinaus in einen engen grünen Raum, der von einer niedrigen Mauer umgeben früher als Kirchhof benutzt schien. Das Gras auf den Gräbern war verdorrt, die kleinen Hügel selbst schon waren abgetreten und dies gewiß von Leuten, welche die hier aufgespannten Seile benutzten, um Wäsche zu trocknen. Ich setzte mich auf einen dieser Hügel nieder, gedankenlos, während oben vom Thurm ein Glockenspiel ertönte und drinnen selbst die Orgel ein feierliches Präludium begann. Da öffnet sich die Thür der Kirche und Seraphine, im weißen brautlichen Gewande mit dem Myrtenkranze im Haare, wankt leichenblaß, wie auf der Flucht und hülferufend auf mich zu. Ich eil' ihr entgegen; nachfolgende Freundinnen fangen die Ohnmächtige auf; sie hatte meine Hand ergriffen und preßte sie mir so krampfhaft zusammen, daß ich nichts thun konnte, um ihr behülflich zu seyn. Die Scene füllte sich, der Bräutigam war erstarrt, der Geistliche kam herbei und traf den richtigen und schönen Ausweg, daß er sagte: »Ihr Gefühl hat sie übermannt!« Niemand glaubte, daß dies die Ursache der Flucht war, man schwieg bestürzt über den wahrscheinlichen Grund, stimmte aber in den zarten Vorwand des Geistlichen ein, der eine Vertagung der heiligen Handlung beantragte und durch Zureden dem bekümmerten Bräutigam die Verlegenheit ersparte, als sei er im Momente des Jawortes von seiner Verlobten verschmäht worden. Ich selbst nahm mich, als der Pfarrer gegangen war, der verwickelten Scene an und löste sie auf, indem ich Seraphinen zu ihren Eltern führen ließ, die dicht in der Nähe wohnten, alle Uebrigen aber und Philipp selbst beschied, die Leiden des jungen Mädchens durch allmählige Entfernung und Zerstreuung zu mildern.

Erst als man Seraphinen bei ihren Eltern auf ein Bett gelegt und von der spannenden Kleidung befreit hatte, trat mir der Vorgang recht lebhaft vor die Phantasie. Ich hörte, wie lieblos die Urtheile waren, welche über Seraphinen gefällt wurden. Man klagte ihre Empfindsamkeit, ihren abenteuerlichen Hang, ihren Leichtsinn an; aber statt daß der Tadel mich ergriffen hätte, entzündete er mich. Ich setzte mir aus der Menge von Wunderlichkeiten, die man über die Arme zu berichten hatte, das Bild einer reizenden Originalität zusammen, ich erhitzte mich noch mehr, als ich nach Hause zurückgekehrt den Eltern die auffallende Geschichte erzählen mußte. Philipp hatte seinen Abschied gefordert und ließ sich im Hause nicht mehr sehen. Er nahm den Vorgang von der richtigen Seite und sagte, als er ging, mit finsterer und bedenklicher Resignation, er wolle noch eine Zeitlang passen. Das Feld war nun rein, ich wollte es recognosciren, und war täglich bei Seraphinen im Hause ihrer Eltern, wo ich empfangen wurde, als etwas Vornehmes oder als die Herrschaft.

Meine sich immer mehr entwickelnde Neigung zu Seraphinen setzte sich aus zwei Faktoren zusammen: einmal daraus, daß ich in der That Außerordentliches an ihr entdeckte, sodann daraus, daß man dies hatte übersehen können. Was sie Großes besaß, erschien mir um so größer, je niedriger dies hatte gestellt werden sollen. Sie sagte mir bald, daß sie sich tief in einen Wahn verstrickt fühle, dessen lichte Momente nur dann einträfen, wenn ich sie besuchte. »Mein Leben,« sprach sie zu mir mit einer schmerzlichen Melancholie; »mein Leben kann den Andern kein größeres Räthsel seyn, als mir selbst. Was ich verschuldete, ist viel; aber was ich leiden mußte, steht dazu in keinem Verhältniß. Ich habe immer das gethan, was mir das Nächste und Natürlichste schien, und wenn es geprüft und untersucht wurde, so war es immer nicht viel mehr, als eitel Verbrechen.«

»Sie haben die Kreise nicht,« sagte ich zu ihr, »in denen Sie leben sollten.« »Glauben Sie das nicht,« entgegnete sie; »ich werde überall anstoßen, wo man nicht übereingekommen ist, mich wie eine Thörin zu behandeln und mir als einer Unverbesserlichen Alles nachzusehen. Das Anstößige liegt nicht in meinen Handlungen oder Worten, es liegt schon in den Bewegungen der Hand, im Ton der Stimme. Unter allen Vergebungen, die der Schwäche entgegenkommen, findet die meine keine; denn alle Welt glaubt, daß ich darin stark seyn will, worin ich mich nur allzuschwach fühle.«

Sollten von einer so mysteriösen und tiefsinnigen Sprache nicht meine innersten Nerven getroffen werden? Nachdenkend diesen mit rührender Sanftmuth gesprochenen Worten warf ich allmählig alle Fesseln des alltäglichen Momentes von mir und badete mich in einem Meere von Idealismus, wo ich mir selbst vorkam wie umspült von göttlicher Verjüngung. Es giebt eine andre Welt, dacht' ich, eine andre, hier mitten auf der irdischen Welt selbst, eine Welt, die unter unserm Leben liegt, wie unter einem Siebe. Nur Feines und Edles kann hindurch. Ich gewöhnte mich von allen meinen Umgebungen zu abstrahiren, ich wußte nicht mehr, was blau oder roth war, ich ging auf der Straße mit somnambulem, schwebendem Fuße; denn nichts von all dem Gewühl mit Wagen, Pferden und Fußgängern, nichts von dem, was man Essen und Trinken nannte, schien mir noch eines daran haftenden Blickes werth.

Eine Erörterung über die vereitelte Heirath wurde niemals angeknüpft. Unser Verhältniß, das sich immer fester zusammenzog, hatte keine Antecedentien gehabt. Wir waren uns beide neu, sie wenigstens mir, dem Schwärmenden. Sie sagte lächelnd zu mir: »Wir Menschen gedeihen wie die Spargeln. Man sticht uns jede neue angeschossene Blüthenkrone ab und wir schießen immer muthig fort, setzen immer auf's Neue wieder an, bis das Gärtnermesser des Schicksals endlich ermüdet ist, und unser geringer noch übrig gebliebener Rest an Triebkraft Raum gewinnt, noch einen wuchernden Blick in die Welt zu werfen und dann zu sterben, nachdem wir diese letzte Freiheit, die Freiheit des Todes durch zurückgelassenen Saamen für die Zukunft großmüthig erkauft haben.«

So liebte Seraphine bildlich über ihre Lage zu reflektiren. Der Umgang mit mir reizt' ihren Scharfsinn und ich dachte damals, daß vielleicht auch ihre Einbildungskraft von mir erfüllt wäre. Sie gewann ein großes Vertrauen zu mir, entdeckte mir die häusliche Lage in der sie sich befand und nahm, ohne es jedoch ausdrücklich zu sagen, meinen Beistand für ihre Zukunft in Anspruch. Aber ihren hoffnungslosen Blicken war ich längst vorangeeilt und mit meinen Eltern einig geworden, daß wir Seraphinen zu zwei alten Damen unserer Verwandtschaft, als eine jugendliche Gesellschafterin bringen wollten. Sie war es zufrieden, und der fragende Blick, den sie bei dieser Mittheilung auf mich richtete, schien mir ausdrücken zu sollen, ob sie die Annahme dieses Verhältnisses durch den Verlust meines Umganges erkaufen müßte? Ich ergriff ihre Hand und sprach einige jener Phrasen, welche die Tradition der Verlegenheit eines so seligen Momentes als herkömmlich an die Hand gegeben hat. Ton und Auge mußten meine Betheurung heben.

Seraphine senkte nachdenklich ihr Haupt und schien sich auf einen Entschluß besinnen zu wollen, dann drückte sie meine Hand welche die ihre längst ergriffen hatte und sagte: »Die Traube ist das Bild der Liebe. Unter allen Pflanzen und Affecten belaubt sie sich am spätesten und blühet. Ihre erste Probe, ihr erstes Leben ist die Erquickung welche sie, gereift zur schwellenden Beere, dem Durstigen giebt. Aber sie bewahrt sich noch zum zweitenmale im krystallenen Glase, als Frucht der Kelterung und gebundener Geist gestillter Wahrung. Hat die Traube erquickt, so stärkt der Wein; die Süße und Anmuth wird abgelöst vom Arom und dem Feuer.«

Sie sprach dies nachdenklich ohne aufzublicken. Ich dachte dem Sinne dieser Worte nach und wäre beinahe gestört worden, als ich sie auf ihr früheres Verhältniß zu Philipp bezog. Sie merkte dies und sagte: »Ich bin gegen die Männer gerechter als andere Frauen, denn ich fühle, daß ihre Bedürfnisse alle dieselben sind, und daß es nur an uns liegt, sie auf die richtige Weise zu befriedigen. Ich schäme mich, so sinnend und nachdenklich über ein Gefühl zu sprechen, das in milden Tropfen aus meinem gereizten Herzen rieseln sollte. Ist dies Liebe, was ich ihnen weihen kann? ich denke zuviel darüber nach, ich weiß nicht mehr sichern Fuß zu fassen, ich kann nichts sagen was so sanft wäre, wie irgend eines der Worte, die Sie zu mir gesprochen.«

Eine Verlegenheit, die mich selbst beängstete, drückte Alles was sie in dieser Situation sprach. Sie wollte mir nicht wehe thun, sie liebte mich auch, sie drückte meine Hand an ihre Augen die so glühend waren, daß die feuchten Thränen darin verlöscht schienen. Sie war eben im Begriff gewesen, das elterliche Haus wieder zu verlassen; ein Wagen stand vor der Thür, sie umarmte mich herzlich, solange wir allein waren, nahm dann schnellen Abschied von ihrer Familie und stieg ein, um zu den beiden alten Tanten zu fahren.

Es waren zwei ledig gebliebene reiche Geschwister, bei welchen Seraphine jetzt schalten sollte; sie machten ein Haus, sahen viele Gäste, aber trotz dieses Umganges hatten sie sich eine so wunderliche Lebensweise angeeignet, daß ein Besuch den man bei ihnen machte, immer etwas Belästigendes war. Man denke sich die größte Sauberkeit in einem weitläuftigen, pedantisch angeordneten Haushalte, viel Glas und Porzellan, viel Teppiche und Vogelbauer, und zwischen diesen zerbrechlichen und lärmenden Verhältnissen, zwei wunderliche weibliche Wesen, beide von bejahrtem Alter, die Eine ausgezeichnet durch ihre Originalität, die Andere durch ihre Nachahmung. Was die Jüngste that, war immer sanguinischer und närrischer Einfall; die Aelteste setzte ihren Pedantismus darein, Alles so zu machen, wie Lenchen es gemacht hatte; so zu gehen, so zu sprechen, so zu urtheilen. Das Komische war, daß beide Schwestern, trotz ihres unabänderlichen Einheitstriebes, doch immer im lebhaftesten Widerspruch gegeneinander standen; denn Lenchen war so unruhiger Natur, daß Sannchen oft den Athem verlor, ihr nachzukommen. Hatte diese kaum angefangen, das zu thun, was jene gewollt hatte, so wollte Lenchen schon wieder etwas Anderes. Sannchen bestand dann darauf, daß es vor fünf Minuten ja so oder so geheißen hatte, daß sie absolut darnach handeln wolle, worauf vor fünf Minuten die Uhr gewiesen hätte und Lenchen schrie, daß sie ein unglückliches Wesen wäre, weil ihre Schwester ihr Nichts zu Willen thäte, und immer nicht nur nach, sondern auch auf ihrem eigenen Kopfe ginge. Aus Liebe lagen sie fortwährend im Streit. Womit sie sich zu Gefallen leben wollten, dadurch erbitterten sie sich.

Ich wäre gern öfter zu den beiden wunderlichen Tanten gegangen, wenn sie in ihrer Umgebung nicht etwas gehabt hätten, wogegen ich idiosynkrasire. Auf den Teppichen nämlich, womit das ganze Haus belegt war, schlich und schmiegte sich eine ganze Colonie von Katzen: vier fünf große Angorakater von bewunderungswürdiger Schönheit als Vieh genommen, aber widerwärtig durch und durch, nicht bloß durch sich selbst, sondern eben so sehr auch durch die Art, wie sie gehalten wurden. Diese großen Kater lebten nicht etwa von in Milch eingeweichtem Weißbrode, geschweige von Ratten oder Mäusen; sie nahmen nichts und bekamen auch nichts, als die herrlichsten gekochten Fische. Eine Magd war eigends nur für diese Kater bestellt; sie war fast den ganzen Tag damit beschäftigt, aus dem gekochten Fischfleische die Gräten zu zupfen, denn diese verwöhnten Thiere ließen den schönsten Karpfen stehen, wenn sie eine Gräte darin fanden. Diese Magd mußte ferner für ein großes Familienbett sorgen, auf welchem die Lieblinge der Herrschaft übernachteten und ihr Mittagsschläfchen hielten, womit noch gar nicht gesagt war, daß sich diejenigen weiblichen Personen von der Bedienung des Hauses eines tüchtigen Legates im dereinstigen Testamente gewiß machen konnten, welche die Kater mit in ihr Bett nahmen, und des Morgens den beiden Tanten erzählen konnten, wie angenehme nächtliche Träume die Thiere neben ihnen gehabt zu haben schienen.

In diese Welt wurde nun Seraphine versetzt. Zwei confuse alte Jungfern, vier bis fünf Angorakater, eine Menge schreiender Papageyen, und eben so viel Singvögel aus den Buchenhainen, eine servile und verschrobene Dienerschaft, sehr viel Glanz, viel Unterhaltung und gemischte Gesellschaft. Erst als sie da war, sah ich ein, wie wenig sie hieher paßte. Ich dachte, wo findet hier die sanfte Schwärmerin einen Ruheplatz, ihren Gedanken nachzuhängen; wie kann ihr irgend etwas zusagen, von all diesen wahnsinnigen Formalitäten, diesen Bewegungen, deren grausenerregenden Eindruck man abnehmen konnte, wenn man sich einen Augenblick vorgestellt hätte, daß sie von Worten nicht begleitet gewesen wären? Ehe sich Seraphine nicht eingerichtet hatte, besuchte ich sie nicht in ihrem neuen Wirkungskreise; ich mußte mich überwinden einige Tage zu warten, wie schwer es mir auch ankam, bei meiner täglich gesteigerten Neigung.

Ich theile keine Erfindung, sondern einen wirklich erlebten Roman mit. Ich will meine Erzählung nicht so einrichten wie es der Dichter thut, der mit plötzlichen Schlägen die Aufmerksamkeit des Hörers überrascht, und sich auch hütet das Unerwartete allmählig erwarten zu lassen. Warum wurde ich so unglücklich durch meine Liebe zu Seraphinen? Weil wir uns mißverstanden und uns, statt nach der Eingebung unsrer Herzen, nach einem Systeme behandelten. Ich war freier von Schuld, denn ich verstellte mich nicht; ich bot ihr mein ganzes Herz, ohne Rückhalt und Schutz, das zarte weiche Fleisch meiner Liebe ohne die deckende Haut, meine innerste Blüthe, ohne die grünen, schuppigen, spitzigen Blätter von welchen die Rosenknospe umschlossen ist. Ich hatte mich nicht durch mich selbst, sondern durch die erste Begegnung mit Seraphinen befestiget in jenem Glauben an eine Welt, die ohne Scheu ihre zarten Fäden und Gefühle, in das Treiben des Tages spinnt; ich glaubte, man könne sich hinsetzen des Nachts in einer stillen Laube, beschienen vom Monde, umduftet von der Nachtviole, und sich schmiegen Herz an Herz, und lächeln über eine Welt, die uns nicht kennt, die wir nicht kennen, die Nacht ist gegen unsre Sonne! Alle meine Empfindungen waren damals ein Traum, als schifft' ich auf einem kleinen, von Bergen rings umschlossenen See, im Dämmerschein, ich allein mit meiner Liebe kosend, verschränkt, Mährchen und Sagen uns zuflüsternd, das Wasser durch unsre Finger gleiten lassend, verfangen in Schilf und Lilien mit großen Kelchen, und uns nichts davon zu brechen wechselseitig vor der Nixe warnend.

Aus allen diesen Täuschungen trieb mich diejenige heraus, die mich in sie eingeführt hatte. Seraphine hatte Wesen, Ton, die Farbe und den Duft einer Schwärmerin und Alles was sie hinfort that und sagte, trumpfte so absichtlich diese Voraussetzung nieder, daß ich mich gelähmt fühlte in Allem was mich an das Leben fesselte. Diese Zartheit, diese Melancholie, dies Schicksal das bestimmt schien nur auf die Entsagung zu wirken, stürzte sich durch ein Raisonnement das mir niemals klar geworden ist, gerade auf das Gegentheil. Alles Zarte und Empfindsame zu beleidigen, der Widerspruch ihrer selbst zu seyn, machte sich Seraphine zur Aufgabe. Sie lachte, trug den Kopf hoch, realisirte, praktisirte, kurz sie that als läge auf ihren blassen Wangen das Roth eines Mädchens vom Lande, als sei die Welt ein lachender Apfel, und die Menschheit nur dazu bestimmt, ihn mit wässerndem Munde zu schälen. Seraphine that, als stünden rings die Dinge in der Welt mit überhangenden Fruchtzweigen, als sei alles verborgene Geistige dem Auge mit glänzend lockender Deutlichkeit zugewandt. Es war recht gut daß sie sagte, man müsse sich in die Dinge fügen; aber ein ihrem Wesen ganz widersprechender Optimismus ließ sie die Dinge weit vorzüglicher sehen, als unsre Wünsche. Ihr Leben wurde ein Widerspruch und ich habe nie erfahren können, welches der leitende Gedanke dieser Inkonsequenzen gewesen ist.

Wir sprachen von der Liebe. Wir waren allein in einem dämmernden Zimmer bei den alten Tanten, die nicht zu Hause waren. Wir hatten das Licht, das man uns bringen wollte, zurückgewiesen und saßen in sanftes Gespräch vertieft. Alles was sie bisher gesprochen hatte, befruchtete, wie milder Regen, die Saat meiner Gedanken; doch wollten wir endlich von allen unsern Ideenposten ein Facit ziehen, und das Wesen unsrer Liebe selbst zergliedern. Hier zerschlug sie wie durch ein Hagelwetter, was durch sie gediehen war. Sie sagte: »Würd' ich wohl Dich Edmund glücklich machen können, wenn ich, mich hineindrängend in den Mittelpunkt Deines Lebens, auch von diesem aus den Umkreis meiner Liebe zöge? Du würdest bald ermatten, wenn ich mit all meinem Athem all' Deine Seele wie ein Segel aufblähen wollte, Dein Lebensschiff flöge davon, und müßte im Taumel des allzu günstigen Windes, bald an einer Klippe zerschellen. Ihr jungen Männer dieser Zeit glimmt unaufhaltsam, Ihr habt keine Heimath, wohin wollt ihr uns aufnehmen? Genug, wenn Ihr ermüdet vom vergeblichen Suchen Eurer Ideale, in das abendfeuchte Gras sinket und die Liebe dann zu Euch heranspringt, und Euch die Augen zuhaltend fragt, rathe wer's ist?«

Ich widersprach dieser Auslegung dessen was ich von ihr wollte; ich sagte: »Liebe soll keinen Theil des Lebens bilden, sondern sich in Alles einschleichen, was am Manne sein Leben ist. Du willst durch Deine Neigung nur überraschen und Dich zuweilen nur deshalb vergessen machen, um immer wieder lebhaft in's Gedächtniß zurückzufallen. Du nimmst die Liebe nicht als einen Zustand, sondern als eine Thätigkeit.«

Seraphine besann sich eine Weile mit Augen, die nicht zugegen zu seyn schienen, sondern aus der Ferne etwas abstrahirten. Dann wandte sie sich mir lächelnd zu, umarmte mich und erwiederte: »Sei unbesorgt Edmund, wenn du mich brauchst werd' ich da seyn; aber ich weiß schon, die Männer brauchen uns nicht immer. Sie dürfen nicht ahnen, daß wir selbst ein eignes Leben ahnen, und einer ähnlichen Entwickelung unterworfen sind, die sie an sich selbst so emphatisch ihren Bildungsproceß nennen. Wir sollen den Männern Früchte bieten, deren Wachsthum aber in uns selbst verschließen. Du willst mich immer um Dich haben! Wenn ich mich nun wie Epheu an Dich hinaufrankte, an Deine Wünsche und Hoffnungen, an alle einzelne Pulsschläge und Tagesstationen, welch' eine Last würde Dir die leichte Schlingpflanze werden! Euer Wesen ist schwer zu ergründen. Ich setze mich den Stürmen Deines Genius nicht aus, denn wie leicht würdest Du mich verachten, wenn ich Dir nicht helfen kann. Bist Du sanft, so spiegl' ich mich in Deinen Wellen; gewitterst Du, so will ich in der Ferne stehen, und still für Deine Seele beten.«

Diese Worte waren so lieb und zart gesprochen, daß ich mit Unwillen mich nicht über sie zu äußern wagte. Ich begriff die Ideenassociation nicht, welche Seraphinen's Reden zu Grunde lag. Es war nicht die unmittelbare Eingebung ihres Gemüths, sondern die Frucht eines schweren, im Momente sichtbar werdenden Nachdenkens, fast als suchte sie Etwas besser zu machen, was sie früher verdorben hatte. Ich schwieg von den unbehaglichsten Gefühlen übermannt, und entfernte mich zuletzt mit gereizter Resignation, als ich vollends sah mit welcher Zärtlichkeit Seraphine die im Dunkeln herangeschlichenen großen Angorakater streicheln konnte.

Meine Familie wendete gegen das Verhältniß nichts ein. Diese guten Leute hatten, wenn ich etwas ganz Anderes seyn konnte als ich bin, mich ein gutes Theil verzogen. Sie widerstanden keinem meiner heftigen, unverständigen Wünsche, da ihnen ein Arzt gesagt hatte, daß deren Nichtbefriedigung auf meine Neigung zum Blutsturze wirken könne. Sie hatten noch alle alten Begriffe von Mesalliance und linker Hand, aber so oft mir die Nase blutete, schlug ich alle ihre Vorurtheile in die Flucht und setzte durch, was ich wollte. Meine Mutter trug eine große Neigung zu Seraphinen und gewöhnte sich allmählig daran, sie künftig ihre Tochter zu nennen. Die lebhafteste Beförderung dieser Verbindung waren, ohnehin bürgerlichen Ursprungs, die alten Tanten; denn Seraphine hatte sich zu meinem Entsetzen in deren Naturell so hineingedacht, daß man sie für die Dritte des altjüngferlichen Bundes hätte halten mögen. Seraphine hütete sich wohl, durch ihren Verstand die komischen Mißverständnisse zwischen den beiden Schwestern beizulegen, denn sie sah wohl ein, daß Beide sich in diesen tumultuarischen und ewig gereizten Stimmungen wohlbefanden. Die Mißstimmung war der Sauerteig dieser schwesterlichen Liebe geworden, ohne welche sie nicht locker aufging. Seraphine ging auf alle Ideen dieser eigensinnigen Frauen ein, trug sich wörtlich so wie sie; ja ich ertappte sie sogar einmal darauf, daß sie sich eben so schminken wollte, wie es die beiden Alten thaten. Mit den lärmenden Papageien, mit einem in blaue Livree mit Goldtressen gekleideten Affen, schloß sie innige Freundschaft; sie nahm die Kater in specielle Obhut. Kurz Sannchen und Lenchen fingen an sie wie ein Wesen höherer Art zu verehren. Je mehr sie mir Seraphinen anpriesen, desto unglücklicher ward ich; Alles was sie schön fanden, waren in meinen Augen Sommersprossen.

Die Kreise, die sich um die lärmende Wirthschaft der Tanten versammelten, waren die buntesten, die man sich denken kann. Die Schwestern gingen nie in Gesellschaft, aber alle Tage hatten sie selbst welche. Künstler, Gelehrte, Militairs, Staatsmänner, selbst des ersten Ranges, besuchten mit weiblichem Anhange die Salons der Schwestern. In die Wunderlichkeiten fügte man sich bald. Man sah darüber hinweg, daß Lenchen und Sannchen oft mitten in einem ihrer glänzenden Zirkel sich mißverstanden und in heftige Wechselreden geriethen. Lenchen hatte früher das Haus verkauft in welchem sie geboren war und das Beide früher bewohnt hatten, ein werthvolles aber altes Gerüst, zu dem sich ein vortheilhafter Käufer gefunden hatte. Sannchen, immer im Eifer, ihrer Schwester zu Willen zu leben, schilderte den Schmerz, den Lenchen diese Veräußerung gekostet hätte, und wie sie untröstlich darüber wäre, die Stätte ihrer Geburt in fremder Hand zu wissen. Lenchen sah sie groß an, und fragte sie mit Entschiedenheit, was sie damit sagen wolle? Sannchen erschrickt, denn sie weiß nicht was sie verbrochen hat. Die Eine schmählt, daß es der Andern wahrscheinlich in der neuen Wohnung nicht gefalle; die Andere, daß es ihr in der alten in der That weit besser gefallen hätte. Der Zank entstand aus einem Compliment, und endete so, daß Sannchen unaufhörlich ausrief: »Ja, und es war auch besser dort, und Du bist da geboren, Du bist mir mehr werth als die Bequemlichkeit, und ich will doch sehen wer mich verhindern will, sehr viel auf meine Schwester zu geben!« Und wie sie dies sprach, warfen sich Beide die wüthendsten Blicke zu; jedoch nur aus Liebe!

Die ganze Gesellschaft brach in Lachen aus. Nur Seraphine that, als wenn es sich mit der Logik der alten Damen ganz richtig verhielte. Sie that bestürzt und unglücklich, wodurch sie den Schwestern insofern schmeichelte, als sie doch einsah, daß es sich in dem Streit um etwas handelte, was wenigstens soviel Grund hatte, daß es einen Andern besorgt machen konnte. Ich blickte still vor mich hin und beklagte die Richtung, die Seraphine genommen hatte. Sie war nicht mehr naiv, nicht mehr jugendlich und poetisch, sie philosophirte; immerhin! Wenn sie nur nicht geglaubt hätte, daß mein Herz dieser Philosophie bedurfte.

»Wie ist es Dir möglich Seraphine,« sagt' ich ihr als wir allein waren, »an allen diesen Thorheiten so hastigen und gewissenhaften Antheil zu nehmen?« »Ich wundere mich selbst darüber,« antwortete sie; »aber die Konfusion dieses Hauses macht einen wohlthätigen Eindruck auf mich. In meinem Herzen zittern viele Zweifel, und in diesem Strudel von Thorheit vergess' ich sie. Zuletzt mußt Du auch nicht ungerecht seyn, und Dir nicht eine Welt einbilden wollen, die dem Möglichen und Wirklichen widerspricht. Die beiden Schwestern sind für mich der lebhafteste Ausdruck des irdischen Treibens, der Zwecklosigkeit und des Zufalls, die uns hienieden verfolgen; sie betrügen sich wechselseitig um jeden Athemzug, und spielen sich die Stunden aus der Hand, so leichtsinnig, daß sie niemals wissen wo die Sonne steht. Oft, wenn es Mittag ist, klingelt Lenchen nach Thee, Sannchen bringt ihn; es schlägt Eins, Lenchen erkennt ihren Irrthum und überhäuft die allzu nachgiebige Schwester mit Vorwürfen die auf Niemand anders passen, als auf sie selbst. Lenchen hatte neulich ein großes Stück Seidenzeug gekauft. Eine Freundin geht unten vorüber; sie ruft ihr nach, demonstrirt ihr aus dem ersten Stock die Vortrefflichkeit des Gekauften, und rollt, um die Auseinandersetzung desto besser zu geben, das Stück von oben auf die Straße hinunter, damit die Frau die Güte und die Farbe probire. Die Leute auf der Straße stehen still, und Sannchen bricht in Vorwürfe aus, nicht daß man hier der Welt ein thörigtes Spektakel gibt, sondern daß man sich die Frau da unten zur Feindin macht, weil man durch das Herabrollen des seidenen Zeuges das Unangenehme ihres Besuches auszudrücken scheine! So stritten sie sich den ganzen Tag um ihre perversen und extremen Meinungen, während das an der Sache allein Unpassende, weder von der Einen noch von der Andern empfunden wurde. Soll ich mich nun dazwischen werfen, und ihnen über das eigentlich Unanständige an der Sache die Augen öffnen? Ich sehe das ruhig mit an, und freue mich der Gewöhnung, auch über das Komische mich allmählig des Lachens enthalten zu können.«

Inzwischen näherte sich der Tag, wo ich mit Seraphinen förmlich versprochen wurde. Eltern und Freunde waren davon überzeugt, daß mir eine häusliche Befestigung fehlte, um meiner praktischen Indolenz ein Ende zu machen. Seraphine war mit ganzer Seele bei dieser Handlung zugegen. Ich selbst aber wußte nicht mehr, wie mir geschah. Dies Verhältniß hatte einen so großen Anlauf genommen, und endete mit einer schleichenden trübseligen Bewegung. Keine der Berechnungen die ich über den Charakter meiner Geliebten machte, traf noch zu. Sie war noch weder mein Werkzeug, noch mein Geschöpf, sondern nur noch meine Lehrerin. Mit weltkluger Enthaltsamkeit fuhr sie über meine Träume hin, lächelte zu meiner Schwärmerei und warnte mich, dem nachzugeben, dem sie sich entzog. Ich wußte, daß sie früher Musik getrieben und gesungen hatte. Ich sehnte mich darnach, einen einzigen melodisch gemessenen Ton aus einem Munde, dem so viel zarte und feine Worte entquollen, zu vernehmen; aber sie schlug keine Taste an, sie sang keine Note. Ich beschwor sie, mir die Gründe ihres Schweigens zu sagen. Ich schilderte ihr die Wonnen der Musik, von der ich behauptete und noch glaube, daß sie die Sprache der Engel ist. Sie nahm dies Alles ungläubig auf, und erwiederte: »Ich werde mich nie wieder mit der Musik befassen; denn das was sie ausdrücken soll, kann man nur dem eigenen Gemüthe entlehnen, und wer verbürgt Dir, daß ich die richtigen Saiten treffe? Ich wundere mich, daß Du von der Geliebten Gesang hören willst, da Alles, was die Töne, die der Componist vorschrieb, schuf, das Echo einer mir und Dir fremden und geborgten Empfindung ist, das Echo einer Freude oder Klage, die wenn ich es fortführe, eher Deine Eifersucht als Deine Theilnahme wecken sollte.«

»Seraphine!« rief ich entrüstet, »hat dies Alles Zusammenhang? Welchen Grübeleien gibst Du Dich hin. Ich verstehe nicht ein einziges Deiner Worte, und weiß nicht welch' räthselhafte Beziehung alle deine Gedanken haben. Die Liebe erhöht die Musik, wie sie Alles verklärt, was ohne sie nur Mechanismus, oder doch nur ein Leben ohne Gemüth und Seele ist. Wie ich die Natur nur verstehe an Deiner Hand, so auch alles Andere, womit die Kunst des Menschen die Natur nachzuahmen, zu ergänzen und zu übertreffen sucht.«

Seraphine besann sich eine Weile, ehe sie antwortete: und als sie sprach, war es wieder kein tröstender Gedanke, der die Fäden ihrer Worte regierte. »Du weißt es nicht Edmund,« sagte sie, »wie Du bist, wie ihr Alle seid oder doch werden könnt. Glaube mir, Musik wird uns eher hindern als verbinden. Du kannst mein Gefühl wahrlich nicht ertragen, wenn ich es so in das leere Nichts einer erträumten, dies oder jenes Gefühl weckenden Situation hinaussinge. Ich lege etwas hinein, was Dir nicht gefällt. Ich bin unerträglich, wenn ich die Himmelsleiter des Gesanges besteige, und an den Sprossen prüfe, ob sie mich wohl tragen werden. Sei nur nachgiebig gegen mich und vertraue meinen Gründen, meiner Selbstkenntniß; ich hab' das Alles erlebt, ich bilde mir's nicht ein.«

Als sie dies sprach, zitterte ihre Stimme. Sie langte nach mir und drückte mich an ihr Herz, um über meinen Schultern ihre Thränen zu verbergen. »Was ist Dir Seraphine?« Ich will sie zurückdrängen, um ihre Augen zu sehen; sie drängt sich aber fester an mich, um sie hinten zu verbergen. Ich ertrag' es eine Weile, und lege sie dann sanft auf einen Sessel nieder, kniee zu ihren Füßen, und bitte mit tiefster Inbrunst: »Was quälst Du mich, Mädchen? Warum keine Klarheit zwischen uns? Du vernichtest mich durch die Widersprüche Deines Lebens; daß Du lachst und weinst, daß Du Alles bist unter einer Gestalt, und wieder nichts unter Hunderten, die Du zu gleicher Zeit annehmen kannst? O gib mir den Faden, der mich aus diesem Labyrinthe führe, auf jene sichere Warte führe, von wo ich Dich in allen Deinen Wegen und Strichen zu gleicher Zeit überschauen, und ich beseligt ausrufen kann: O Gott, dies Alles ist mein!«

Seraphine entzog sich meiner Begeisterung nicht. Sie war selig von dem Momente ergriffen; aber in ihrer Reflexion schien etwas vorzugehen, was den Ausbruch ihrer Empfindungen hinderte. Ihr glänzender Blick ruhte fragend und zweifelnd auf meinem Antlitze. Sie besann sich auf etwas, das abwesend war und drückte krampfhaft meine Hand. Wir waren seither einverstandener; doch hatte dies Glück keine lange Dauer.

»Wenn ich Dir untreu würde,« sagte sie bald darauf zu mir, stockte aber, da sie sich versprochen hatte. »Ich wollte sagen,« fuhr sie fort: »Wenn Du mir untreu würdest, und ich Dich durch Resignation glücklich machen könnte, würdest Du sie zugeben?«

Ich verstand aufrichtig nicht, was sie sagen wollte. »Zugeben, daß Du resignirst?« fragte ich. »Zugeben, wenn es in meinem treulosen Interesse läge, Dich zu verlassen?«

»Wenn Du meine Schwester liebtest,« sagte sie, »und ich träte Deine Hand an sie ab, würdest Du die meine segnen, oder ihr fluchen?«

»Ich glaube,« sagte ich, »ich würde sehr glücklich seyn, Deiner ledig zu werden.«

Als ich dies gesagt hatte, schien sie betroffen, und versank in ein tiefes Nachdenken. »Aber würdest Du es nicht für unnatürlich halten,« fragte sie mich, »wenn ich in Güte das abgebe, was ich so herzlich liebe, und diejenige beschenke, welche doch meine größte Feindin ist. Das Vorwaltende in der Liebe soll doch der Besitz bleiben.«

Ich verneinte dies. »Auf keinen Fall, Seraphine; die Liebe ist Verlust, Entäußerung; die Liebe ist dann am reichsten, wenn sie Alles verschenkt hat.«

»Das ist wunderlich,« sagte sie nach einigem Nachdenken, schwieg wieder eine Weile und fuhr fort: »Aber ich glaube Dir nicht. Du bist sanft und nachgiebig in Deinen Ideen, aber verliere nur was Dir gehört, und Du wirst schnell aufbrausen. Ihr würdet es am liebsten haben, wenn zwei Herzen zu gleicher Zeit an euch hingen. Gern besäßet ihr das eine, möchtet aber auch das andere nicht aufgeben. Und dies ist noch nicht einmal Alles; Du würdest Dich, wenn ich zu dem schmerzlichen Opfer entschlossen wäre, mit Verwunderung nach mir umsehen, auf mich zukommen und sagen: Ei wie leicht wird Dir das! Und würdest das oft sagen, bis Du Deine neue Liebe vergessen hast, und an der alten noch so viel Interesse wieder gewinnst, daß Du für ihren schnellen Entschluß sie quältest, und sie aus Rache, daß sie einen Augenblick nur glauben konnte ohne Dich seyn zu können, beinahe tödtetest!«

»Das sind mir neue Lehren,« mußt' ich antworten. »Wo ich liebe, ist mir Liebe ein Bedürfniß; und ich werde Jeden achten, der mir die Befriedigung desselben erleichtert. Hab' ich das Bedürfniß Dir untreu zu seyn, so könntest Du mir kein lästigeres Geschenk machen, als durch Deine ewige und unwandelbare Treue.«

»Nein, Du Guter,« sagte sie und reichte mir die Hand; »Du standest noch nicht im Feuer. Sei nur erst mitten drin, zwischen dem Plus und Minus Deiner gemüthlichen Besitzthümer; Du hältst die Probe der Großmuth nicht aus. Warum liebst Du denn eigentlich? Hast Du Dir darüber Rechenschaft gegeben?«

»Wunderliche Frage!« sagt' ich, ärgerlich über diese kalte Dialektik.

»Nicht so wunderlich, Edmund,« fiel sie ein. »Du liebst nur, weil Du weißt daß Du geliebt wirst. Daß unter den Tausenden, die sich herzen und gatten und behaupten, füreinander geboren zu seyn und es auch sind, Du noch ein Wesen findest, was ihr Träumen und Denken, all' ihre Zukunft und Hoffnung auf Dich bezogen zu haben scheint, das Dich erwartete, Deiner bedurfte, und Jedes an Dir anerkennt, jedes Kleine und Große, jedes Zufällige und Absichtliche, jede Stärke und Schwäche; das ist der Zauber, der Dich fesselt und Dich wie durch eine optische Täuschung glauben läßt, der Trieb käme aus Dir, aus Deiner Sehnsucht, aus Deiner Wahl.«

»Und wenn dieser Dein Irrthum richtig wäre?« fiel ich ein.

»Er ist richtig, und auch seine Folge ist richtig,« behauptete sie. »Der Gedanke der Trennung, ist das Bindende in der Liebe. Zu besitzen, ist Nichts; aber zu verlieren, ist Alles. Du weißt, daß ich Dich liebe, und kannst deshalb nicht von mir lassen. Schon die Vergangenheit kettet. Wir liebten uns, wir saßen hier, wir wandelten dort, wir lachten in einer Weinlaube, weinten unter einer Trauerweide, daß dies Alles war, kann nicht ausgelöscht werden. Wir können nicht so gefühllos und boshaft seyn und sagen, daß dies Alles nicht war, daß wir nichts erlebt hätten, wovor wir, wenn wir es nicht fortsetzten, erröthen müßten. Und dann die große Frage: Ist es möglich? Nämlich: Kann der Himmel einfallen? Konnte das Lüge seyn, was noch vor acht Tagen eine so selige Wahrheit war? Mit einem Worte: Nicht, kannst Du in mir zu Grunde gehen? sondern, kann ich es in Dir? Ich, der so und so Geartete in Dir, Dein Spiegel; ich, der Inhalt in Dir, dem Gefäße? Das ist es Alles: Egoismus!«

Ich war heftig erzürnt über diese leidenschaftliche und gehässige Deduktion. Ich griff nach meinem Hut und lief davon, und gab doch gleich einen Beweis, daß die Liebe Egoismus ist. Denn als sie mir nicht nachkam, mir nicht nachrief, war ich untröstlich; nicht daß es geschah durch mich, sondern daß es geschehen konnte durch sie. Sie hält mich nicht zurück, sie läßt mich toben, ohne daß sie zeigt daß es sie schmerzt. Sie kann das Gefühl der Leerheit, die nun in uns waltet, überwinden; sie hat soviel Inhalt in sich selbst daß ich sagen kann: Es ist Nichts! Ich hielt es nicht aus, sondern lief wieder zurück und quälte sie, mir doch den Schmerz zu erleichtern, der mir das Herz abdrückte und nicht so zu thun, als wenn er ihr Nichts wäre! Sie lächelte, und küßte mich, zuerst formell, allmählig mit Wärme. Wir gingen zur Gesellschaft in den Saal, wo ich vor lauter Betrübniß mich keines klaren Momentes bemeistern konnte.

Wär' ich ein Mann des Willens und schnell wirkender Energie, so hätt' ich nach dem Gefühl meiner Lage, auch zu handeln den Muth gehabt. Daß unsre Mißstimmung unlöslich war, sah ich wohl ein; aber wie sollt' ich es anfangen Seraphinen zu verlassen? Sie ahnte meine Absicht und ward darüber ängstlich. Sie setzte sich in Bewegung, wie ich deutlich sah, die Conflikte zu hintertreiben, aber die Mittel die sie wählte, gossen nur Oel in's Feuer. Sie war gesetzt, bis zum Pedantismus. Sie trug sich mit einer Sorgfalt die immer zu fragen schien: Gefall' ich dir so? Sie griff überall die Sentimentalität an, auf welche sie täglich das Gespräch brachte, und erinnerte mich an jene widerlichen weiblichen Wesen, die sich über ihren Mangel an Empfindsamkeit brüsten, und den Mond und die Sterne, diese treuen Wächter der Liebe, bewitzeln können. O ich sehne mich nicht nach jenem ewigen Naß des vorigen Jahrhunderts; aber einige Tropfen glänzender, verklärter Feuchtigkeit, thäten diesen matten Seelen wahrlich Noth! Seraphine hatte Freundinnen, die sich aus der Aufbewahrung von Freundschafts- und Liebesreliquien ein heiliges Geschäft machten; die in ihren Schreibpulten für jedes werthe Herz ein eignes Fach hielten, wo mit rother Seide umflochten dessen Korrespondenz lag. Sie hatte Freundinnen, die sich Blumen austrockneten, die man ihnen schenkte, und einen Frühlingsstrauß so viel Tage in frisches Wasser setzten, bis er unwiederbringlich verwelkt war. Diese Alle mußten den Stachel ihres Spottes empfinden; wie sie auch eine Menge von neueren Dichtern und religiösen poetischen Erweckern bekrittelte, deren Leyer freilich etwas monoton klingen mag, die aber in empfänglichen Herzen immer eine gewisse heimliche Glut, und eine unter der Asche glimmende Rührung anschüren. Seraphine konnte eine lange Kritik über die Stunden der Andacht hersagen, worin sie dieses Buch als eine Erfindung des eleganten Modechristenthums schilderte und wahrlich sie vergaß dabei, daß diese Betrachtungen einer gewissen Bildungsklasse der Gesellschaft eine fortwährende Anreizung zum Blicke nach Oben sind, und sie zu einer sanften Tugendliebe verklären.

In meiner Verzweiflung griff ich nach einem Mittel, das mich den Ideen Seraphinen's näher bringen sollte. Ich glaubte noch, daß es uns nur an Verständigung fehlte, und schlug ihr deshalb ein Tagebuch und eine tägliche Correspondenz vor. Aber als ich nur das Wort ausgesprochen hatte, sagte sie mit schneidender Kalte: »Wir sind ja in einer Stadt, wir sehen uns ja!«

Dieß verwundete mich so heftig, daß ich an das Fenster lief und Luft schöpfen mußte. Sie kam mir nach und sagte begütigend: »Gewiß lieber Edmund, es ist nicht gut, daß wir uns schreiben. Im Tagebuche liebäugelt die Eitelkeit mit sich selbst, und selbst wenn wir uns Vorwürfe machen und mit Schärfe unsre Fehler rügen, so können wir schon daraus genug Eitelkeit saugen, daß wir da so gerecht gegen uns sind, und so rücksichtslos prüfen, und auf eine so ehrenvolle Weise uns zu bessern suchen! Die Liebe vollends erlischt bei einem nutzlosen Briefwechsel. Man spricht sich in mehr hinein, als man verantworten kann; man gefällt sich in überlieferten Betheurungen und malt sich Welten aus, die nicht existiren und unsre Blicke kalt werden lassen, wenn wir uns in der matten Wirklichkeit begegnen. Nimm Dich in Acht, Edmund, daß unsre Liebe, keine Liebe auf dem Papiere wird.«

»Desto leichter kann man sie zerreißen,« sagt' ich mürrisch.

»Sei nicht ungerecht,« suchte sie mich zu beruhigen. »Du willst es gut, aber ich versichere Dich daß ich es noch besser will. Könnt' ich auch Deinen Briefen, Du würdest nicht lange den meinigen trauen. Denn ich habe nicht die Festigkeit des Styles, die Dir zu Gebote steht. Ich muß viel Fremdes borgen, um mich auszudrücken, und muß ihm meine Empfindungen unterlegen. Ich würde viel Phrase in meine Ergüsse mischen und es nicht verdienen, daß Du mich deshalb hassen lerntest. Laß uns aufrichtig gegen einander seyn, mittheilsam im Gespräch. Von Mund zu Mund, kommen wir eher zurecht, als durch eine Schwärmerei, die wir uns versiegelt und verstohlen in die Hände drücken.«

Sie mochte Recht haben, ich gestand es ihr auch zu; aber ich versprach mir nicht viel von dem weiteren Verlaufe unseres Verhältnisses. Eine abenteuerliche Scene kam mir zu Hülfe, um mich von all' meinem Unglück zu befreien. Ich hatte die Gewohnheit, zuweilen in einem Phaëthon mit Seraphinen in den nahen Wald zu fahren. Sie ließ sich ungern dorthin führen, und gestand mir endlich die Ursache ihrer Beklommenheit. So oft sie allein wäre oder in einer abgelegenen Gegend, sagte sie, würde sie an Philipp erinnert. Es war das Erstemal, daß dieser Name zwischen uns genannt wurde. Ich hatte an dem bisherigen Stillschweigen über dies Verhältniß ein heiliges Wahrzeichen haben wollen, daß ich nämlich Seraphinen so lange lieben wollte, bis ich sie zum Erstenmale den Namen jenes Mannes aussprechen hörte. Jetzt that sie es, und das zusammenrinnende Blut machte mir eine Empfindung, beklommen zugleich und doch angenehm. Es war mir, als hätte sich Seraphine in diesem Augenblicke um Etwas bei mir gebracht; als hätte sie etwa ein ihr anvertrautes Unterpfand so gut wie veruntreut. Sie erschrak über das Lächeln, mit welchem ich Philipps Namen und die Nachricht aufnahm, daß er seiner ungefähren Frau seit einiger Zeit Briefe schicke, und ihr mit einer eigenmächtigen Besitzergreifung ihres untreuen Willens drohe. »Was schreibt er denn sonst?« fragt' ich.

Sie sagte: »Philipp dringt auf mein Versprechen wegen des Religionswechsels. Gewiß, dereinst im Jenseit die Hölle zu gewinnen, wollt' er sich hier wenigstens « –

Ich ergänzte die Stockende: »den Himmel nicht entgehen lassen.«

Am Tage nach dieser Eröffnung, fuhr ich mit Seraphinen in den Wald. Es ist ein herrlicher, schattiger Aufenthalt, den ich am liebsten habe, wenn ich ihn mit meinen Pferden durch ganz schmale, kaum fahrbare Wege durchstreife. Ich fahre selbst und habe nur einen Hund bei mir, der durch das vom letzten Herbst übriggebliebene Laub raschelt, und Schnecken und Käfer anbellt, die er darin aufstöbert. Wie ich so mitten im dichtesten Walde fahre, hör' ich in der Ferne ein gellendes Pfeifen. Mein Hund horcht auf und läuft, als sich das Pfeifen wiederholt, spornstreichs in den Wald. »Das muß Philipp seyn,« sagt' ich ruhig; »der Hund kennt ihn und ist an ihn gewöhnt. Sollte der Bursche etwas Böses im Schilde führen, so bin ich doch begierig, für wen sich das Thier entscheiden wird.«

Seraphine beschwor mich umzukehren. Sie sah aber wohl ein, daß das Umwenden hier unmöglich war. Ich wußte, daß wir bald an die Landstraße kommen mußten und gedachte, in dem daran gelegenen Hause des Försters das Dach zu besteigen, auf welchem eine runde Platte zur Uebersicht in den Wald, angebracht war. Ich wollte mich nach meinem Hunde umsehen. Wir gelangten auch glücklich zur Wohnung des Försters; ich befestigte die Zügel der Pferde, hieß Seraphinen einen Augenblick warten, und kletterte auf die kleine Warte hinauf. Wie ich oben war, sah ich Philipp mit dem Hunde ganz in der Nähe. Der Hund umwedelt und liebkoset ihn, und Philipp, mechanisch des schuldigen Respektes eingedenk, greift nach dem Hute um zu grüßen. Ich will Seraphinen nicht allein lassen, gehe von der Platte und höre wie ich hinuntersteige einen lebhaften Peitschenknall und fröhliches Hundegebell. Ich stürze die Treppe hinunter, bin unten, und sehe, daß Seraphine von Philipp in dem Phaëthon davon geführt ist. An ein Nachkommen war nicht zu denken; ja hätte ich ein Pferd gehabt, ich würd' es nicht gethan haben; denn Seraphine hatte nicht Hilfe gerufen, sie wandte sich nicht einmal um nach mir. Da ich wußte, daß Philipp ehrlich war, machten mir Pferde und Wagen keine Sorge.

Unvergeßlich wird mir die Stimmung bleiben, als ich mich hier so, verlassen und einsam erblickte. Ich wandelte träumend durch das Gebüsch, und warf mich, übermannt von meinem Schmerze, auf die weiche Decke des hier frischen, dort verdorrten Grases hin. So im Nu wurde ein Faden abgeschnitten, der sich zu meiner Qual bis ewig fortzuspinnen gedroht hatte, und der nun, da er zerriß, mich doch die bittersten Thränen kostete. Ich beklagte nicht mein Geschick, sondern nur meine Thorheit, die es herbeigeführt hatte. Ich suchte Trost in einer Fülle von Vorwürfen, in der ich meinen verlassenen und vereinsamten Schmerz zu ersticken suchte. Ich hatte sie geliebt, wie ein Weib, wie ein Narr. Ich hatte ein Wesen von mir gestoßen, das die Erfahrung des Lebens kannte, und von einer Saat reicher und schöner Gedanken befruchtet war. Meine Neigung war unnütz; die ihre war Samen gewesen, der nicht gedeihen konnte, da wir beide die natürliche Ordnung des Mannes und Weibes umgekehrt hatten. Ich sah ein daß, meinen Ansprüchen nachzuleben, für einen so starken Willen Entkräftung gewesen wäre, daß ich mich zu ihr hätte emporheben, statt sie zu mir herunterziehen sollen. Ich hatte sie so gequält und sie so irre gemacht an mir, an sich selbst, und an dem Glauben über die Dinge dieser und jener Welt, daß sie nicht anders konnte, als sich in den rohen und brutalen Willen eines Mannes fügen, der Meerestief unter dem hellen schönen Spiegel ihres Auges und ihres Geistes stand. Ich weiß nicht, wie ich aus dem Wald gekommen bin, und habe heut zum Erstenmale Seraphinen wieder gesehen.

*

Edmund hatte diese Geständnisse gesprochen, indem er die beiden Arme und das Haupt auf die Seitenlehne des Ruhebettes legte, auf welchem ihm Julie zuhörte. Jetzt blickte er, wie aus einem Traum erwachend auf, sah die Lichter alle heruntergebrannt, das Zimmer schaurig düster und hörte auf dem Tische nur eine kleine Uhr ihre ängstlichen Schläge messen. Er näherte sich Julien, sah ihr in's Gesicht, und fand sie in tiefen Schlaf gesunken. Die Brust wollte ihm zerspringen vor klopfender Herzensangst. Er besann sich eine Weile was er thun sollte, ergriff aber bald seinen Hut und schlich leise auf den Zehen aus dem Zimmer, durch die matt erleuchteten Gänge und Treppen bis zur Hausthür, die ihm ein schlaftrunkener Portier öffnete. Auf der Straße war Alles still. Die Laternen wollten eben auslöschen, und nur in der Ferne hörte er den hallenden Gleichtritt der Patrouillen. Um Alles kürzer und bald Ruhe zu haben, stieg er in sein im unterm Stock gelegenes Fenster ein und warf sich, angekleidet wie er war und erschöpft, auf seine nächtliche Lagerstatt.


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