Karl Gutzkow
Nero
Karl Gutzkow

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VI.

Große Halle mit mehren Seitenthüren und einer Hauptthüre im Hintergrunde. In der Mitte eine Tribüne.

Ein Hauptmann mit Soldaten tritt auf.

Hauptmann. Marsch! Schultert das Gewehr!
Macht Eurem Hauptmann Ehr!
Die Augen links; rechts um geschwenkt,
Und weder rück- noch vorgedrängt;
Den Fuß am Leibe nicht gehängt,
Und jeden Muskel angestrengt!
So brav! – Ja, unser Regiment,
Das nur den Stock und Schweigen kennt,
Das ist das einz'ge, das noch hält
Die Ordnung aufrecht in der Welt;
Wo Jeder thun mag, was er will,
Da steht das ganze Wesen still.
Ist wieder 'nmal eine Rebellion
Im Werk gewesen; der Cujon
Von Piso soll der Hauptwardein
Und erste Schuft dabei gewesen seyn,
Jezt ist der ganze Mordverschwör
Im kriminalischen Verhör.
Wer nichts gesteht, dem kömmt es bitter an,
Und wer gesteht, ist auch verlorner Mann,
Doch ist zum Schwatzen jetzt kein Zeit.
Nun, merket auf, ihr tapfern Kriegesleut'!
In diesen Saal hierauf der Kaiser tritt,
Heut macht er seinen Hippogryphenritt,
Was weiß ich? Mich kümmert nichts,
Wenn nur von Euch ein jeder Taugenichts
Parat ist, observiret das Signal,
Falls nöthig wird ein Ueberfall.
Wer gibt Euch Brod? wer gibt Euch Lohn?
Wer hat von Eurem Witz die Ehr' davon?
Jezt plaudert nicht! Kreuz Million!
Rechts schwenkt das ganze Bataillon!

(Die Soldaten vertheilen sich in den Nebenzimmern.)

Die Dichter treten ein.

Chor der Dichter.
                Wir sind die Aechten,
                Besonders Rechten,
        Die Vielgeprüften,
Vom Kaiser selbst mit Ruhm verbrieften!

                Wir sind die wahren
                Poetenschaaren,
        Die Angenommnen,
Schon zur Unsterblichkeit Herangeklommnen!

                Uns widersprechen,
                Heißt, sich verbrechen
        An jenen Händen,
Ohn' die wir nicht auf diesem Gipfel ständen.

                In unsern Tempel
                Tritt, wer den Stempel
        Bereits empfangen: –
Der junge Spatz mag in den Sprenkeln hangen.

Ein Buchhändler. So recht meine Herren, wir Verleger hören nichts lieber, als wenn sich die Dichter mit dem Ruhme begnügen.

Erster Poet. Das ist eine Genügsamkeit, welche Ihnen freilich wohlfeil zu stehen kommt.

Zweiter Poet. Ja, wollte man Ihnen einmal eine goldne Säule setzen, sie würde sehr klein gerathen, wenn man sie aus dem Honorar schmölze, welches die Poesie von Ihnen bezogen hat.

Buchhändler. Ungefähr einem Pfeifenstiele würde sie gleichen; Sie haben recht, meine Herren. Doch gestehen Sie selbst, werden Sie deßhalb schlechtere Verse machen, weil Sie weniger anständig dafür bezahlt werden? O meine Herren, Homer wäre darum kein genialerer Dichter geworden, wenn er auch für den Bogen einen Louisd'or mehr bekommen hätte.

Dritter Poet. Was das für Redensarten sind! Was hat man vom Tempel des Ruhms, wenn wenigstens nicht sein Fußboden mit Kronenthalern gepflastert ist?

Ein Humorist (bedeutungsvoll). In welchem Style glauben Sie wohl, daß der Tempel des Ruhms gebaut ist? im dorischen oder jonischen?

Buchhändler. So recht! Ei, das war ja eine humoristische Bemerkung, und ich muß Ihnen gestehen, Spaß amüsirt das Publikum. Figürliche Gegenstände in der Analogie wirklicher zu behandeln – nicht übel. Was kann man, um ein Beispiel zu haben, z. B. von der Schönheit sagen, wenn sie in die Augen fällt?

Humorist. Daß sie sehr ungeschickt ist.

Buchhändler. Allerliebst! Sie sind mein Mann, Sie verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen. Wenn ich mich hergebe, Verse zu verlegen, so bau' ich immer in die Luft.

Humorist (wie oben). Nach welchen Grundsätzen verfahren Sie, wenn Sie in die Luft bauen? Was kann man überhaupt von der Architektur der Luftschlösser sagen?

Buchhändler. Sagen Sie etwas! (Er zieht eine Tafel und schreibt heimlich in der Tasche nach, was der Humorist spricht.)

Humorist (räuspert sich und beginnt). Außer der sichtbaren Welt gibt es gewiß noch eine weite unsichtbare, welche die unsrige oft durchkreuzt. Spricht man doch zuweilen vom Reich der Freiheit, vom Reich der Wahrheit, von zwei Reichen, welche in unsern irdischen Reichen gänzlich unbekannt sind. Es gibt sogar eine unsichtbare Geographie; denn wie oft ist nicht von sogenannten böhmischen Dörfern die Rede, welche überall liegen, nur nicht in Böhmen. Sie selber haben von Luftschlössern gesprochen, welche irrthümlicherweise oft nach Spanien verlegt werden, gleichsam als wäre Spanien der Mond, in welchem mancher Edelmann seine Güter hat. Wie stellen Sie sich nun ein recht luftiges Luftschloß vor? Hat es Seitenflügel? Gewiß, die Flügel der Hoffnung. Hat es hohe Giebel? Gewiß, schon mancher stürzte herunter. Hat es einen Hof? Gewiß, wie der Mond, der von Wolken umgeben ist. Merkwürdig ist, daß diese glänzende Pracht der Luftschlösser sich immer da findet, wo es sonst am ärmlichsten zugeht: in den Hütten; oder wo man geneigt ist, statt zu bauen, lieber einzureißen: bei der Jugend.

Buchhändler (fortschreibend). Es ist zu interessant.

Humorist. Aus wie wundersamen Dingen nimmt jezt diese Baukunst, welche man, wie die Biber, nicht einmal zu lernen braucht, für welche man kein Patent und keinen Gewerbeschein löst, und in welcher der Ungeschickteste immer der größte Meister ist, ihr Material her? Aus dem unsichtbaren Faden einer halben Hoffnung; aus dem Blick eines angebeteten Mädchens; aus der Phrase eines Gönners, der versprochen hat, es mit uns gut zu meinen; aus einem Loose in der Lotterie; aus dem Husten eines alten Erblassers; kurz aus tausend Seidenhärchen des Schicksals, an welche wir das bleierne Gewicht unserer Hoffnungen, unseres Alpdrückens und unserer nächtlichen Träume hängen. In den Luftschlössern herrscht auch immer Musik und Tanz, die schönsten Mädchen wechseln mit den vollsten Geldsäcken, auf einen Wink gehorchen tausend Diener, und doch wird Jeder noch einen besondern Schnörkel haben, den er an dieser Gattung von Gebäuden nach seinem eigenen Geschmack sehen will. Die freiste Mannichfaltigkeit waltet hier, wie auch bei den böhmischen Dörfern, die Jedem anders vorkommen. Bei dem Einen sieht ein böhmisches Dorf so aus, wie das, wovon gerade die Rede gewesen ist, beim Andern wie ein Satz aus der Naturgeschichte, beim Dritten wie der pythagoräische Lehrsatz, beim Vierten wie die Theorie der Gleichungen vom vierten Grade, beim Fünften wie ein Jahreszahl aus der Geschichte, beim Sechsten wie etwas, was man schon wieder vergessen hat, oder bei musikalischen Referenten wie Etwas, wovon man nichts versteht. Der Landschaftmaler – böhmische Dörfer wird er nicht zeichnen können, es sey denn, daß die Malerei für ihn selbst ein böhmisches Dorf ist. Der Geograph – vergebens sucht er sie auf den Landkarten, es sey denn, daß sie da lägen, wo er gerade nicht zu Haus ist.

Buchhändler. Unübertrefflich! Sie Edelstein! Sie Saphir und Originalmensch! Welch' sprudelnde Laune! Welch' hinreißender Witz! Sie sind ganz der Meinige, und mit Schrecken hör' ich schon, daß sich diese klassischen und belorbeerten Poeten wieder die Schnäbel wetzen, um folgendes Lied zu singen:

Chor der Dichter.
                        Musenketzer,
                        Prosaschwätzer,
Willst du uns den Myrtenhain verstören?
                        Nachtigallen
                        Zu gefallen,
Wirbelt wahre Phantasie in Chören.
                        Nur am Reime,
                        Wie am Leime,
Am Spaliere soll hinauf sich ranken,
                        Was in Schachten
                        Zu beachten
Ist an goldenglänzenden Gedanken.
                        Nur von Schäfern,
                        Bunten Käfern
Sollt ihr singen hergebrachter Weise!
                        Nur im Kleinen
                        Nett erscheinen,
Zu des Alten hundertjähr'gem Preise,
                        Reimt Ihr Schmerzen
                        Stets auf Herzen,
Findet Ihr die Wahrheit nur in Klarheit,
                        Dann empfangt Ihr
                        Erster Hand hier
Zeugniß, daß Ihr Lerche und kein Staar seyd!

Ein junger Mensch (zum Buchhändler). Mein Herr! Ein Wort im Vertrauen. Ich bin hier heute zum ersten Male; aber ich fühle es, auch ich bin in Arkadien geboren.

Buchhändler. Frage ich denn nach Ihrem Taufschein? Was wollen Sie mit Ihrer Zudringlichkeit sagen?

Junger Mensch. Nichts, mein Herr, als die einfachen Worte: Ich bin auch da! Ich komme eben ganz jung aus dem Neste geflogen, kann die Flügel und das Wasser schon halten, und möchte mich gern den klassischen Sängern der Nation anschließen.

Buchhändler. Herr, was wollen Sie denn damit sagen?

Junger Mensch. Mein Gott, nichts, als: ich dichte! Aber Verschwiegenheit! Meine Poesie bewegt sich in ganz neuen Gegenständen, z. B. besinge ich die Sterne, und habe die wichtige Entdeckung gemacht, daß sich Himmel auf Gewimmel, Glück auf Geschick, und Demuth auf Wehmuth reimt. Untersuchen Sie meine Verse, ob ich irgendwo sorglos Berge und Störche zusammengebracht habe, ob ich finden auf hinten folgen lasse, oder mir darin gefalle, Mängel auf Fenchel zu reimen. Ich besinge nie besungene Gegenstände, z. B. meine Geliebte, Frühlingsahnung, alte Klostermauern, Ritter, Treue, Schwesterliebe – –

Buchhändler. Freilich, freilich, mein Lieber! ich sehe ja, daß nur Sie bloß noch gefehlt haben; aber hören Sie doch, hinter der Scene gehen Thüren, und vielleicht kommt der Kaiser.

Chor der Dichter.
Er naht! Er naht!
Schlingt einen Reigen,
Ihm anzuzeigen,
Daß unser Pfad,
Daß unsre Wonne
Nur sey ein Bogen
Von ihm, der Sonne,
Ringsum gezogen!
Beugt Eure Knie!
Der Nacken ziehe
Sich krumm zusammen!
Laßt nichts zu helle
Auflodernd flammen!
Auf alle Fälle
Ruft jetzt Euch heiser,
Apollo hoch! hoch unser Dichter-Kaiser!

Nero (stürzt mit leidenschaftlicher Gebärde durch die Flügelthür).
Bin ich Tyran? Ja, wär' ich's nur, dann schliche
So oft der Schlaf von meinem Auge wiche,
Doch ein Gespenst, ein böser Schatte,
Wie eine aufgeschreckte Ratte
Von meinem Lager, und die Thüre knarrte
In ihrer Angel, daß die längsterharrte,
Sehnsüchtig angeruf'ne Höll' ich wachen
Und mich beschützen säh' in meinen Sachen!
Doch bleibt sie aus; in diesem Hause schreit
Nichts als der Widerhall der Einsamkeit;
Ob endlich nicht die grause Stille schwände,
Wirft sich ein leeres Echo an die leeren Wände.
Dies Schweigen, diese Ruhe tödtet mich.
Komm, fürchterlichste Furie! doch sprich!
Sprich, daß dies heiße überkochend Herz
Nicht ewig hört sich selber sieden,
Sprich, wie des Corybanten lärmend Erz,
Nur im Getümmel find' ich meinen Frieden.
Man nennt mich eine giftgeschwollne Kröte,
Man sagt, ich ließe Blut, wohin ich träte,
Die Erde Ströme wälzten rothe Wellen,
Seitdem es Gott gefiel, mich auf den Thron zu stellen.
Ich sehe nichts; wo sind die finstern Manen,
Die racheschnaubenden Gespenster,
Die mit dem blassen Mond mir säh'n in's Fenster,
Und mir doch ja durchkreuzten meine Bahnen?
Ich weiß nicht Ruhe; lebet, ruf' ich, lebt!
Wenn Euern Rumpf mein tödtend Wort begräbt.
Damit vom Leben mir ein Schatte doch geworden,
Wußt' ich kein ander Mittel, als zu morden.

Chor der Dichter ( tremulando).
O allseitiger,
Objektivster,
Unvermeidlicher,
Musenpriester!

Nero. Was gibt es wieder da für Greul?
Ich glaube gar ein Menschenknäul
Liegt auf dem Boden hingekauert;
Auch sie sind still; sie schweigen – wie's mich schauert!

Chor der Dichter.
                Wir sind ja die wohlbekannten
                Parnaßtrabanten,
Der Lyra angestellte Kammermusikanten;
                O wollest in Frühlingsliedern
                Du süß erwiedern
Den Gruß, dir dargebracht von treuen Musenbrüdern!

Nero. Ihr seyd's? O stehet auf, nehmt meinen Gruß!
Bringt Ihr von draußen Euern Liederkuß?
Wie singt die Nachtigall? Was spricht der Hain?
Belauschtet Ihr die Myrt' im Mondenschein?
Wie ist's? Wie waltet die Natur?
Ist sie noch stets der Liebe Spur?
O daß ich Euch jetzt sehe! Ja es flattern
Aus meiner Seele Gattern
Gedanken, frei von Kerkerduft,
Hinaus in sonnenhelle Frühlingsluft.
Wie schlagen diese Pulse, diese Flügel,
Die mich empor zum Himmel tragen!
O tretet her; nehmt an, dies sey ein Hügel,
Ein Hügel, wo wir oft im Grase lagen.
Umringt mich; lüftet Eure Brust,
Laßt Eure Locken wehn dem Wind zur Lust,
Im traulichen Vereine,
Wie einst im düstern
Akazienhaine,
Laßt uns flüstern
Von der Natur, von jedem reinen Triebe,
Von Unschuld, Freundschaft und von Liebe!

Erster Bote (tritt auf).
Die Sklaven weigern sich,
Pisonis Frevel zu bekennen.

Nero. Und deßhalb fragt Ihr mich?
Laßt ihnen die Gelenke trennen
Durch die Tortur, die Sohlen blutig brennen!
Was fragt Ihr mich! (Bote ab.)
(Zu den Dichtern gewendet.)
So ging ich jüngst mit zwei Gesellen,
Um Lerchen auf dem Felde nachzustellen.
Wir standen hoch in einem Weingehege
Und sah'n in's Thal, in das Gekrümm der Wege,
Wie war so schön, was wir nun sahen!
Der grüne Hügel, rings umfahen
Von üppigen Terassen, fern ein Bach,
Der in ein Wäldchen schlüpfte allgemach.
Wie das so geht: ein Jeder suchte Worte,
Um eben auszudrücken, was am Orte
Ihn so gefesselt hielt. Der Eine sprach:
Spür' ich dem Grund des Zaubers nach,
So möchte wohl das bunte Farbenspiel,
Wie Eines schattig sich in's Andre malt,
Und Jedes doch im eignen Lichte stralt,
Hier seyn der Schönheit erstes Anfangsziel.

Der Zweite schüttelte das Haupt
Und sprach: Wenn Ihr erlaubt,
So liegt der Zauber wohl in dieser Linie,
Die Ihr z. B. jetzt hier von der Pinie
Hinunter zieht, am Boden dicht gehalten,
Soweit das Auge nur mag walten.
Da findet Ihr Erhöhung und Vertiefung,
Ausbreitung, Dickung und Verschiefung.
Der mathematische Calcül, Ihr Herrn,
Ist mein Compaß und Schönheitsleitestern.

Ich aber schwieg erst; denn ich wußte,
Daß Alles in der Welt nur todte Kruste,
Wenn innen nicht ein weicher Kern.
Das Echo der Natur bleibt Jedem fern,
Deß Seelenspiel nicht zart gesaitet ist.
Das Herz nur ist es, das das Schöne mißt;
Und so sprach ich, damit ich stumm nicht bliebe,
Denn nur dies Eine Wort: Wie schön ist doch die Liebe!

Zweiter Bote. Der alte Lateranus stottert
So eben seine Schuld heraus.

Nero. So laßt ihn, wie das Gelb' im Eie dottert,
Bald auf, bald ab, so hin und her,
Nicht ganz, nicht halb, mit Dolch und Speer
Auskosten, was des Todes Graus,
So daß als Ordensband und Glanzgeschmeide
Er ziehe um die Brust sein Eingeweide.

(Bote ab. Nero spricht diese Intermezzi wie im Traume. Die Dichter erblassen und weichen zurück. Er aber fährt unbefangen und mit naivem Accent in seinen Phantasien fort:)

Meine besten Verse schrieb ich in einen Band
Von Pergament, mit goldnem Schnitt und Rand,
Und bin, ein Dichter von der Zehe bis zum Scheitel,
Auch wie ein Dichter auf meine Verse eitel.
Nun hat zwar Amaryllis noch bis jetzt
Sich nur an Legenden und Priestersagen ergözt;
Doch wagt' ich's einmal, jenes Heft
Ihr anzuvertrauen zum Lesegeschäft.
Sie sollte sehn, wie ich sie schon verstand,
Da mir ihr Anblick noch war unbekannt.
Noch blieben zwar nur schüchtern unsre Blicke,
Die Hand, die ich ergriff, zog sie zurücke;
Sie wich mir aus, gewohnt, zu siegen,
Vermied sie, meiner Werbung zu erliegen.
Sie las das Buch. Ich hatt' es wieder,
Durchflog die jetzt erst ausgesprochenen Lieder,
Und fand, gleichsam als Lesezeichen
Im Pergament von ihren vollen Locken
Einen einzigen dünnen Seidenflocken.
Da mußte mich die Hoffnung schnell erreichen:
Hab' ich dich erst an einem Haar,
Gehörst du bald mir ganz und gar.

Dritter Bote. So hat auch Subrius sich nun erklärt,
Und zugestanden, daß im Lager der Legionen
Noch viele seiner Mitverschwornen wohnen.

Nero. Nun denn, so soll der Griff am Schwert,
Womit getrennt wird jetzt sein Rumpf,
Sich oben statt des Kopfes zeigen im Triumpf,
Daß jeder seiner Gunst schon eingepfarrte
Soldat erblicke der Verschwörungen Standarte.

(Die Dichter fliehen immer weiter zurück, ohne daß es Nero merkt.)

Ja, das ewige Lied der Liebe! Diese Wunden,
Der Welt so tief geschlagen, daß
Noch nach Jahrtausenden sie nicht gesunden,
Und Lieb' noch jedes Auge feuchtet naß!
Die Lieb' ist unergründlich wie ein Schatz im Meer;
Wer auch der Liebe größter Meister wär',
Kann oftmals das nicht wissen, was zu wissen
Man eben wieder Schüler wird werden müssen.
O selig, wem der Liebe Sonnenstrahl
Sich mit dem ersten Brand in's Herze stahl!
Wer mit dem ersten klar empfundnen Worte
Sich angekommen fühlte an der Pforte
Von einem Paradies, wo Liebe Leben
Und Leben Most ist von der Liebe Reben!
Der Jungfrau Reiz liegt in dem Ueberraschen,
Wie Alles anders endet, als sie es begann;
Wie eine bunte Wolke, die naiv zu haschen
Sie dacht', ihr unbewußt – in Schaum und Scham zerrann;
Wie sie oft überfällt ein plötzlich Sinnen,
Will sie ein altgewohntes Spiel beginnen,
In das kaum eine einzige traumerschreckte Nacht
Doch plötzlich einen ernsten Sinn gebracht.
Und selig jener Knabe, der am Bande
Der ersten Lieb' ein Mädchen zieht,
Das an des frischen Lebensbechers Rande
Nur allerwärts sein Bild sich spiegeln sieht!
Daß sie nicht weiß, ward ihr die Welt bewußt,
Durch den, der ruht an ihrer Brust,
Ward, dieses ganze üppig volle Leben
Recht zu verstehn, durch ihn ihr erst gegeben?
Daß sie nicht weiß, wie alle diese Gaben,
Die sie doch selber nicht besaß,
Die sie aus seinen Blicken las,
Er nur von ihr erst will empfangen haben!
O gebt mir jene Welt zurück,
Dies bunte Spiel von Schöpfung und von Hoffen,
Das ich so reich an meines Mädchens Blick,
An ihr nur so unendlich angetroffen!

Vierter Bote. Jezt ist's gewiß, auch Euer Lehrer,
Der alte Seneka war ein Verschwörer.

Nero. Wer ist denn dieser ewige Ruhestörer?
Schickt meinem afterweisen Geistbethörer
Ein Messer in das Haus, er soll sich setzen
Als Negation in eine Badewanne
Vom Holze einer guten jungen Tanne,
Und sich die Adern selber dann zerfetzen!

(Schon steht Nero ganz allein. Die Dichter sind, ohne daß er es merkt, fern von ihm schüchtern zusammengetreten.)

Was ich befürcht', ist nur der eine Schmerz,
Daß Alles in der Welt nicht grabeswärts,
Nein, zu des Greisen müdem Tritte schreitet;
Daß diese Brust, von Liebe noch erweitet,
Sich einst nicht schmücken soll mit frischen Rosen
Und Pfändern, die wir jezt im Spiel verloosen.
Wenn auch ein frisches Mädchen meine Tochter ist,
Die sich mit Kindesliebe an mich schmiegt:
Wer ist es, den sie küssend in mir küßt?
Der sie erzeugte, oder der ihr Herz besiegt?
Mit meinem grauen Haar zu spielen,
Versagt ihr der, der, geizig auf der Liebe Zoll,
Nur will, daß sie in seinem wühlen,
An ihm die Kunst zu küssen lernen soll.
Wie könnt' ich eine Scene tragen,
Wie ich sie jüngst erlebt! Es war in Tagen,
Wo von dem Winterheerde Alles flieht,
Und hinaus vor's Thor in's Freie zieht,
Wo sich beim neuen Frühlingssonnenbrodem
Die Schöpfung regt im lockern Boden.
Da sah ich an der Krücke einen Greis,
Hinfällig, lächelnd, leis
Sich lehnen an ein todtes Postament.
Rings um ihn her, da tobt und rennt
Ein munt'rer Schwarm von jugendstrahlenden Knaben.
Und wie sie hin und her sich jagen, haben
Sie dicht am Greise
Gezogen ihres Spieles regellose Kreise.
Da greift ein kecker Bursch die Krücke,
Und nimmt, als ritt' er seinem Glücke
Entgegen, sie als Steckenpferd –
Ein fahler Knochen hier ein Schwert!
Ein Wundeneinband hier der Hoffnung Schleife!
Ein Jugendkuß auf Kirchhofreife!
Ein Widerspruch, daß an den todten Steinen
Der Greis die Stirn verdeckt' und mußte weinen!
Wie trüg' ich dies? O ewige Mächte,
Daß ein Entzücken mir den Tod einst brächte,
Daß ich, indeß ich Liebe würbe,
Noch in dem Arm der Liebe stürbe!
Das Haupt umkränzt, im lachenden Genießen,
Bei Küssen, die mein brechend Auge schließen!

Fünfter Bote. Jezt ist zum Spruche Alles reif;
Sie scheiterten an ihren Lügen,
Ihr Thun liegt in den lezten Zügen.

Nero. Zum Tode Piso! todt sein ganzer Schweif!
Mord und Entsetzen über alle,
Die sich verwickelten in seinem Falle!
Spült die Kloaken aus, eröffnet die Kanäle,
Daß es dem Blut an Durchzug nirgends fehle!
Ihr könnt die ganze Welt heut' an die Tiber laden:
Die Sonne drückt, ich will in Blut und Schaum und Lymphe baden!

(Bote ab. Die Dichter, den Sprung des Tigers erwartend, drücken sich an die Wände, vor Entsetzen bleicher als diese.)

Nero (sinnend sich über die Stirn fahrend und das Haar wegscheitelnd).
Was ist? Sprach ich vom Tode nicht?
Von meinem? von Blut? von Rosen?
Hört' ich die Parze nicht, die spricht?
Den Gott, deß Heim erklingt von Todesloosen?
Bin ich allein? Es ist, als wenn dort ständen
Verblaßte Schatten an den blassen Wänden.
Ich fühl's, vor meinen Sinnen
Will Nebel, der sie drückte, rinnen.
Ich kam hierher – so – nein so –
Ich sah hier Männer, die viel leeres Stroh
Gedroschen, aberwitzige Reime
Von Blumen, Käfern, Honigseime.
Die Furcht, die hier gewisse Kehlen packte,
Bracht' meine Phantasien aus dem Takte.
Ich fühlte wohl, wie was von Bosheit sich
Herum um meine abgelauschten Worte schlich!
Jezt bin ich wieder im Zusammenhang,
Und sehe, wie ich meinen Sang
Nicht besser kröne, daß auch nichts ihm fehle,
Als wenn ich Menschen, halb von Leib und Seele,
Die Objektives gern vermeiden,
Nun zwing', einmal recht objektiv zu leiden.
Man führ' sie ab, die tugendhaften Schelme,
Und zieh' aus einem schwarzen Todeshelme
Je fünf und fünf zu Charons Nachen
Ein Ueberfahrtsbillet; doch sollen sie wachen
Noch bis zum andern Morgen und verzweifelnd zählen,
Wen wohl des Hahnen Schrei als Fünften möchte wählen. (Schleicht ab.)

(Die inzwischen eingedrungenen Soldaten führen die wehklagenden Dichter hinweg.)

Julius Vindex tritt auf.

Julius Vindex. Ist denn kein Grund, mich zu verhehlen
In dieses Hauses dumpfen Sälen?
Warum sind meine Schritte frei?
Sagt denn mein Auge nicht, was an mir sey?
Ist diese Stirn so glatt gezogen?
Und meiner Augenbrauen Bogen
So sanft, daß der Trabant
Die Hellebard nicht stößt mit stärkrer Hand,
Wenn er mich sieht durch diese Thore schreiten?
Wann sah die Welt so schwarze Zeiten,
Daß man sich schämt, nicht unglücklich zu seyn,
Und sich an die, die fallen, anzureihn!
Nun sind die Eltern todt, der Freund erschlagen,
Ich sah, wie blutig alle unterlagen,
Die mich bedeckt mit ihren Küssen –
Und mich, mich kann die Tyrannei nicht missen?
Mich schickt sie nicht zu ihrem Leichentroß?
So sträube deine Mähne, junges Roß,
Und bäume deine starken Glieder!
Die Seele hebt ein mächtiges Gefieder.
Der Augenblick ist da: ich lechz', auf den zu zielen,
Der Luft und Erde, Meer und Sonne mir entrissen.
So lebt denn wohl, ihr glatten Marmordielen,
Ihr Wände, Nero's blaß und übertüncht Gewissen,
Ihr Echo's, solcher Frevel stumm Vertraute,
Daß Ihr erschreckt bei jedem lauten Laute!
Ich steig' hinauf in Eis- und Alpenzonen,
Wo auf dem Schnee noch warme Herzen wohnen,
Und suche, wo in Deutschlands dunkeln Forsten
Der Legionen goldne Adler horsten.
Schon blinket wie ein Sonnenstrahl
Durch Wald und Finsterniß der Rache Stahl.
Rührt mich nicht an! werd' ich den Brüdern rufen,
Eh' nicht von Eurer Rosse Hufen
Italien zerstampft, von meiner Hand
Zum Tod der Kaiser durchgerannt!
So lang von seines goldnen Hauses Brand
Sich noch am Himmel malt der lezte Feuerschein,
Bin ich von Aussatz, Schimpf und Pest nicht rein!
Und zu der Krieger Ruf, dem lebensfrischen,
Wird sich des Bären Stimme mischen.
Der Ur, der an Erbarmen im Vergleich
Mit dem gekrönten Thier ist überreich,
Wird seine wilden Hörner beugen,
Und sich von selbst als Opfer zeigen,
Das uns der Rückkehr Thor verriegle
Und bis zum Tode unsern Bund besiegle.
Die Fahne weht: ich seh' von Sonnenstrahlen
Sich rosig schon die Alpenzinken malen;
Fort in die Schlacht! Vor Roma werd' ich treten
Nicht anders, als mit racheschmetternden Drommeten!


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