Karl Gutzkow
Nero
Karl Gutzkow

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IV.

Akademie.

Die Säulengänge sind mit jungen Leuten bevölkert, welche theils lustwandeln, theils sich zu einzelnen Gruppen vereinigt haben, um die Vorträge der Lehrer anzuhören. Zwei Thürsteher unterhalten sich im Vorgrunde.

Erster Thürsteher. Die Philosophie hat sich diesmal einer herrlichen Jahreszeit zu erfreuen. Was das für ein Himmel und für eine milde Luft ist! Aber sage mir nur, was du dort in der Hand trägst?

Zweiter. Das ist ein Segeltuch, welches mir Empedokles anvertraut hat. Sollte es regnen, was ich nicht glaube, so muß ich es zwischen die beiden Säulen da heften, damit die Einwürfe des Regens und des Windes seinen Behauptungen über das höchste Gut nicht schaden. Denn, sagte er, die Ideen können Alles ertragen, nur nichts Feuchtes: ehe man die Hand umdreht, haben sie den Schnupfen weg und verkälten sich. Doch, da ich gerade Zeit habe, wie gefällt dir denn diese neue Lebensart?

Erster. Ei nun, du wirst dich erinnern, daß ich mich früher damit abgab, Schuhe zu verfertigen. Als die stoische Philosophie neulich von den Epikuräern in die Flucht geschlagen wurde, lief sich jene so sehr die Hacken ab, daß sie sich am liebsten an einen Mann wandte, der sich gleichsam darauf verstand, sie ihr wieder anzusetzen. Nebenbei putze ich dem Stoicismus die Stiefeln, klopfe seine Kleider aus und besorg' ihm allerhand kleine Aufträge, welche gewissenhaft ausgeführt seyn wollen.

Zweiter. Du kannst von Glück sagen, denn du bist besser daran, als ich. Was läßt sich beim Cynismus, bei einer Philosophie der Hunde, verdienen? Meine Frau hülfe mir z. B. gern in meinem Verdienste; aber leider verschmäht es dieses System, sich seine Hemden waschen zu lassen. Ich war Bader, ich kann vortrefflich rasieren, Nägel beschneiden, bei Bädern zur Hand seyn, ich besitze chirurgische Kenntnisse; aber was soll ich davon in Anwendung bringen? Glücklicherweise geht die cynische Philosophie baarfuß, also komm' ich doch wenigstens einige Male im Jahre dazu, ihr die Hühneraugen auszunehmen. Es sind schlechte Zeiten.

Erster. Sieh, sieh! da kommt der Aufwärter der Epikuräer. Ein lüderlicher Mensch, immer betrunken! Wie ihm die Augen vor Uebermuth aus dem Kopfe quellen!

Dritter Thürsteher. Guten Morgen! Seyd ihr Beide noch immer in der Welt? Ihr werdet täglich schmaler! Ich schwöre Euch, in Kurzem hat Euch mein System, das System, dem ich diene, das epikuräische System, in den Sack gesteckt! Wo will das auch mit Euch hinaus? Ihr putzt Stiefeln? aber nach welchem System? Von welchen Voraussetzungen geht ihr aus, wenn ihr einen Rock bürstet? Ihr könnt nach Prinzipien nicht ein Glas Wasser holen. Ein paar entlehnte Sätze, einige Kategorien, die sich von selbst verstehen, einige aneinander angereihte willkührliche Behauptungen, eine Bürste, die Federn läßt, Glanzwichse, welche die Stiefeln verdirbt, träge Handgriffe, nichts Studirtes, da habt Ihr's, das ist Euer System. Aber sagt mir nur, wie hoch es an der Zeit ist.

Erster. Um die neunte Stunde.

Zweiter. Dein System wirft wohl viel ab?

Dritter. Freilich wirft es ab: alte Kleider, Blumenkränze, die man noch immer an eine Braut verkaufen kann, Salben, die von Badhaltern eifrig gesucht werden, Leckerbissen, die meine Nahrung sind, und schöne Weiber, die man aus Epikurs Gärten des Morgens nach Hause führen muß. Was sagt Ihr dazu?

Erster. Nun, du bist nicht verheirathet; aber Jemand, der Frau und Kinder hat und schon über die Jahre hinaus ist, der befindet sich bei dem Stoicismus recht wohl; das kannst du glauben, recht wohl.

Dritter. Jezt fällt mir ein, daß ich Euch eine Neuigkeit mittheilen wollte, wenn Ihr nur inzwischen nicht vergeßt, daß ich eigentlich eine Pastete holen soll, und mich daran hernach erinnern wollt. Die Herren wollen drüben den Kegelschnitt daran studiren. Nun ja, da soll sich ja jezt eine ganz neue, verfluchte Sekte aufgethan haben, die den Menschen für – für – kurz, das Ding ist zum Henker holen. Diese Sekte nämlich, diese Neuerung, diese Ketzerei behauptet, der Mensch müsse sich Alles selbst machen; denn man werde nicht eher glücklich, ehe man die Befriedigung aller seiner Bedürfnisse nicht selbst übernimmt. Diese Menschen sagen, man müsse nicht bloß nach dem höchsten Gute streben, sondern auch darauf sehen, daß es Einem so wohlfeil als möglich zu stehen kommt. Sie sagen, die Menschen fingen erst dann an, ihre eigenen Herren zu werden, wenn sie ihre eigenen Diener würden. Jedermann müsse dessen Dienstbote seyn, dessen Herr er ist; so wie sie denn zulezt die Behauptung aufstellen: Jeder Kunde sey sein eigener Schuster! und diese dann umdrehen und schließen: von nun an müsse auch jeder Schuster sein eigener Kunde werden!

Erster. Aber, mein Gott, dann würde es ja gar keinen Absatz mehr geben.

Zweiter. Ich habe immer gehofft, der Cynismus werde noch seinen Haß gegen die Seife einmal ablegen; aber diese neue Sekte wäre ja im Stande, sich selbst auf die Waschbank zu stellen.

Dritter. Wie ich Euch sage, es ist hier von einer gefährlichen Sekte die Rede, die Euch aus dem Brode, mich aber aus dem Kuchen bringen kann. Allein ich versichre Euch, von heut' Abend geh' ich nicht anders als mit einem Stocke aus. Wenn die Disputationen nichts ausrichten, so such' ich es zu veranstalten, daß es zum Handgemeng kommt. Aber jezt habe ich in der Desperation vergessen, was ich gleich holen sollte?

Erster. Ich glaube Kegel, um eine Pastete auszuschieben.

Dritter. Du bist ein Strohkopf! Eine Pastete soll ich holen, damit die jungen Herren die Theorie der Kegelschnitte daran verdauen. Jezt lebt wohl. (Ab.)

Zweiter. Die neue Sekte geht mir im Kopf herum; aber ich glaube, der Schuft hat uns etwas weißgemacht. Sieh' nur, Empedokles, der mich da ruft, scheint noch der besten Dinge zu seyn. (Ab.)

Erster. Der Stoicismus hält sich, denn er hat gar zu vornehme Verwandte. Aber ich glaube, Zeno winkte mir. Ein Glas Wasser? Sogleich bedient werden! (Ab.)

Erster Lehrer mit seinen Schülern.

Lehrer. Meine Herren, ich läugne nicht, daß ich von einem sehr materiellen Grundsatze ausgehe; aber in der Folge werden Sie sehen, wie erhabene Resultate sich aus ihm ergeben. Woher kommt es, daß gegenwärtig so viel falsche und ungereimte Gedanken sich in die Herrschaft der Welt theilen? Das kommt von unsern schlechten Zähnen. Mit dem ersten hohlen Zahn wurde der erste hohle Gedanke geboren. Denn unsere vernachlässigten, unregelmäßig gereinigten, mit Weinstein besezten hohlen Kauwerkzeuge verhinderten die Generation, die Speisen bis zu jener dünnen, flüssigen Masse zu zermalmen, welche, mit hinreichendem Speichel zersezt, dem Magen allein willkommen ist. Vielmehr bleibt dem Magen in unserm Jahrhundert ein zu großer Antheil an dem Verdauungsgeschäft überlassen. Der Körper, der angewiesen ist, seine Frische aus dem Magen zu holen, siecht, und der Geist, der sich in einem kranken Gehäuse nicht wohl befindet, schrumpft zusammen. Das ist eine ganz natürliche Stufenleiter von den Zähnen bis zu den Gedanken.

Ein Schüler. Sie meinen also, daß eine Zahnbürste die beste Einleitung und Propädeutik für das Studium der Philosophie ist?

Lehrer. Allerdings. Hatte die alte Philosophie nur Haare auf den Zähnen, so ist es unsere Aufgabe, Borsten daraus zu machen. Befolgen Sie meinen Rath, und Ihre Gedanken werden an Neuheit, Ihre Combinationen an Ueberraschung gewinnen. Dies ist also mein Fundamentalsatz, den ich nun weiter ausführe. (Geht vorüber.)

Zweiter Lehrer mit seinen Schülern.

Lehrer. Ehe ich heute meinen Vortrag beginne, meine Herren, habe ich nur die eine Bitte an Sie, sich nicht umzusehen nach dem elenden Menschen, der hinter uns hergeht und die Welt aus Nichts construirt. Halten Sie den Kreis, der meinen Rücken beschützt, dicht geschlossen; denn jenes Menschen Bosheit kennen Sie nicht. Ja, ich habe zuweilen ein Loch im Stiefel; ja ich begleite meine Lehrsätze immer mit einer dummen Bewegung der linken Schulter, gegen die ich vergebens Bäder gebrauche; allein seitdem er diese kleinen Gebrechen in Erfahrung gebracht hat, glaubt er mich widerlegen zu können. Das ganze scharfsinnige Gebäude meines Systems, die Logik in meinen Schlußfolgen, die Bündigkeit meiner Assertionen wiegt für seine Schüler nichts, seitdem er ihnen gesagt hat, daß ich zuweilen ein Loch im Stiefel habe. So sind die Menschen. Wenn sie von Jemand wissen, daß er eine Perrücke trägt, so ist es ihnen ausgemacht, daß ein Buch, welches er geschrieben hat, lächerlich seyn muß, so wie sie das, was sie Ihnen nicht zu sagen wagen, so lange Sie einen guten Rock anhaben, dann gewiß nicht verschweigen werden, wenn Ihnen eine Naht daran aufgegangen ist. O, ich danke Ihnen, meine Herren, Sie nehmen mich ja recht in Ihre Mitte. Nun können wir anfangen. Wo standen wir?

Erster Schüler. Beim Ding an sich.

Lehrer. Da haben wir's: der elende Mensch sitzt wie eine Klette an mir, ich kann den Mund nicht aufthun, ohne ihn hineinzubekommen; er ist wie Pech, das nicht losläßt. Nun ja, das Ding an sich; was behauptete er darüber?

Zweiter Schüler. Daß sich die Philosophie nicht mit Dingen, sondern mit Begriffen beschäftigt.

Lehrer. Es ist zum Todtlachen. O, da muß ich Ihnen doch gleich wieder etwas mittheilen, was er jüngst gegen mich gespieen haben soll. Aber ich muß Sie bitten, doch enger zusammenzutreten; denn ich weiß, daß er in diesem Augenblick von mir spricht, und mich freilich in die Flucht schlägt, wenn er dabei auf die Hacken meiner Strümpfe zeigen kann. Kommen Sie, ich kann seinen Geruch nicht ertragen. (Geht vorüber.)

Dritter Lehrer mit seinen Schülern.

Lehrer. Nichts, wie gesagt, Nichts, meine Herren, also Nichts ist Alles. Jeder, meine Herren, ist also Keiner. Denn gesezt also, zum Exempel, es klopfte, gesezt also, es klopfte Jemand, Jemand also an meine Thür, an meine Thür also: wie? nun wie? was würd' ich sagen? also sagen? Wie gesagt, ich würde fragen: wer da? Also wer da? Nun aber, wie gesagt, würde draußen geantwortet, also geantwortet: Ich! Ja, Ich! Was bin Ich? dumm! Ich ist Jeder! also Jeder: Jeder also, also Jeder ist so viel wie Keiner. Nun aber, also, nun ist doch ohne Zweifel, also ohne Zweifel ist doch Jemand da. Sie sehen also, meine Herren, wie gesagt, das Seyn ist so gut als Nichts. Denn ich, ich, der ich frage, bin denkend freilich, aber die Person draußen, also draußen ist Nichts; denn wie gesagt, sie sagt: Ich! Ich kann aber also Jeder seyn. Nun sehen Sie, wer also pocht, ja pocht auf seine blose Existenz, seine natürliche Existenz also, ist nichts; denn wie gesagt, das abstrakte Seyn ist Nichts.

Erster Schüler. Auch das Meinen ist nichts, also wie gesagt, das Meinen –

Lehrer. Ja, wer denkt, meine Herren, der ist also: aber Meinen, also Meinen kommt, wird hergeleitet, hergeleitet, derivirt also von Mein; aber das Partikuläre, wie gesagt, das Personelle entscheidet nicht, also Mein, Mein also ist Nichts.

Zweiter Schüler. Das Organ des Denkens nun, wie gesagt, ist der Geist, das heißt also, nichts, was ich besitze, so daß es also, also etwas Partikuläres sey, sondern der Geist, also der Geist kommt, wird hergeleitet, hergeleitet, derivirt also von Seyn, Geist ist das Ge-Ist. Also –

Lehrer. Also das wahre Seyn; so daß also zulezt das Seyn doch wieder Etwas ist. Ist? Etwas? Wieder? Doch? O, meine Herren, die Sprache also, ist also das größte Hinderniß der Philosophie; denn man stößt an, wie gesagt, bei jedem Worte an. Die Wissenschaft braucht aber jedes Wort also, also jedes Wort in einem andern Sinne, also als dem gewöhnlichen also, drum, meine Herren, drum ist die wahre Philosophie also eine stumme, obschon, wie gesagt, dies Schweigen, dies Schweigen also leicht in Mysticismus übergeht; die wahre philosophische Sprache also ist die Sprache, wie gesagt, die Sprache Gottes. (Geht vorüber.)

Vierter Lehrer mit seinen Schülern.

Lehrer. Mögen Andere zu wissen glauben; wir, meine Freunde, wollen unsern Stolz darin finden, daß wir zu glauben wissen. Das Glauben wird in einigen Fällen eine Wissenschaft, in den meisten aber eine Kunst seyn. Die Quelle der Wissenschaft ist die Vernunft, die der Kunst aber das Bedürfniß. Das Bedürfniß wird entweder befriedigt und gibt uns Trost, oder es bleibt unbefriedigt und erhebt unsere Ahnung; mit einem Worte, Sie sehen, daß sich auch der Glaube in ein System bringen läßt.

Erster Schüler. Und was sollen wir glauben?

Lehrer. Zuerst die heilige Tradition, und sodann das, was ich darüber sage. An den wundervollen Erzählungen, mit welchen die Götter unsere Dogmatik bereichern wollten, an Jupiter, Leda, Danae deuteln Sie nicht! Die Götter wußten es, daß die Menschen einmal das Bedürfniß empfinden würden, an solche Capriolen zu glauben, wie sie dessentwegen von ihnen gemacht worden sind. Es gibt eine Philosophie (da geht sie mit ihrem Anhange vor mir), welche das Wissen früher sezt, als das Gewußte, und somit die Gottheit nur anerkennt, insofern sie von den Menschen gewußt wird. Wir sagen vom Glauben dasselbe. Die Erfindung der Religion war von Seiten der Götter eine getroffene Berechnung der Zukunft. Es kann sich ereignen, daß ihr Umfang oft zu gering ist; denn ein glaubensdurstiges Gemüth findet nie genug, woran es glauben könnte. Es wendet sich in Ermangelung hinreichender Glaubensobjekte an die Mythologien fremder Völker, und ich bin gewiß, daß man selbst den indischen, persischen und chaldäischen Göttern sich mit einer gewissen Andacht hingeben kann. Kurz, beten Sie Alles an, was Ihnen unter die Hände kommt. Es verlohnt sich.

Zweiter Schüler. O, recht, Theurer, wir sollen dem Vogel gleichen, der sich an die Decke seines Käfigs anklammert und den Kopf herunterhängen läßt, so daß wir den Himmel für die Erde ansehen.

Lehrer. Und wenn wir dabei auch einmal, statt an einen Stern, an einen Balken stoßen, der die Straße versperrt, so wollen wir denken, daß der Chirurgus ja auch des Himmels Erbe ist. (Geht vorüber.)

Fünfter Lehrer mit seinen Schülern.

Lehrer. Nehmen Sie an, meine Herren, diese Rose! Was bewegt uns, sie schön zu nennen?

Erster Schüler. Weil sie wie der junge Tag blüht, weil sie sich schämt, ihre Reize zu enthüllen, weil sie duftet, süßer als zerschnittene Mandelkerne.

Lehrer. So würde der Dichter sprechen; allein die Schönheit muß sich definiren lassen. Warum ist diese Rose schön? Sie präsentirt sich uns in der ersten Form des Vorstellungsvermögens, im Raume. Sie ist demnach etwas Endliches, und Ideelles muß ihrer räumlichen Erscheinung zum Grunde liegen. Welche Mittelglieder lassen sich nun auffinden zwischen dem Belvederischen Apoll und dieser Rose? Galt dort die Harmonie plastischer Formen, so trifft diese hier nicht mehr zu; galt dort die verkörperte Idee der Jugend, der Schönheit – aha! das wollt' ich nur. Hier liegt's: es gibt am Belvederischen Apoll eine zwiefache Schönheit zu bewundern; denn einmal ist er schön als Apoll, als Thema, sodann als Belvederischer in der Copie. Wie nun die Rose? Gibt es auch hier einen zwiefachen Typus? Allerdings; wir müssen zuerst auf die Pflanzenbildung zurückgehen, und zweitens den Coincidenzpunkt suchen, wo das Endliche und Unendliche zusammenschlägt. Die Urpflanze, meine Herren, welche in Sizilien –

Zweiter Schüler. Aber seht doch nur, die Rose ist über Euren Definitionen schon ganz welk geworden! (Gehen vorüber.)

Sechster Lehrer mit seinen Schülern.

Lehrer. So ungewiß, meine Herren, einige Lehren der Moral sind, so vereinigen sich doch alle Gründe, mögen es nun theoretische oder praktische seyn, dahin, die Lüge unter jeder Bedingung abscheulich zu nennen. Rede die Wahrheit unter allen Umständen! Das ist das höchste Sittengesetz. O geben Sie doch gleich ein Beispiel an, um zu beweisen, wie untauglich die Vorwände sind, welche die sogenannte Nothlüge beschönigen sollen!

Schüler. Mörder suchen den Herrn eines Sklaven. Der Sklave, um die schreckliche Gefahr von ihm abzuwenden, wirft sich ihnen entgegen, nennt sich den, den sie suchen, stirbt, von den Dolchen der Mörder durchbohrt, und rettet seinen Herrn.

Lehrer. Je nun, da haben Sie ja, was ich sage. Dieser Mensch stirbt, noch mit vollem Munde eine elende Lüge kauend. Seyn Sie versichert, meine Herren, das Sittengesetz steht höher als alle Collisionen, in die es vielleicht gerathen kann. Wäre jener Sklave ein Liebhaber des kategorischen Imperativs gewesen, ja, ohne Zweifel, er lebte noch. Daraus sehen Sie zugleich, daß man auch mit der Wahrheit zulezt immer am besten wegkommt. (Geht vorüber.)

Siebenter Lehrer mit seinen Schülern.

Lehrer. Somit wär' ich denn endlich auf den Punkt gekommen, Ihnen das Ideal eines philosophischen Staates, ein rationelles Gemeinwesen, zu entwerfen. Der Staat, welchen ich in Vorschlag bringe, besteht aus fünf Bürgerklassen, welche auch zugleich das Fundament für die Regierungsgewalten sind. Diese fünf Klassen bestimmen sich nach den fünf Sinnen, so daß wir haben: die riechende, die hörende, die sehende, die schmeckende und die fühlende Klasse. Die angesehenste Klasse ist die schmeckende, die niedrigste die fühlende, welche sich damit begnügt, die Hauptsache, gleichsam den Braten, nur durch den Nervenäther zu spüren, ohne selbst davon etwas zu sehen oder gar zu schmecken. Die schmeckende Gewalt sind der König, die königlichen Prinzen, die hohe Aristokratie des Adels und der Geistlichkeit. Die riechende Gewalt sind die natürlichen Kinder des fürstlichen Hauses, die Justiz und die Polizei. Von der sehenden Klasse an beginnen die Unterthanen; doch hat sie noch den Vorzug, weniger Steuern zu zahlen, als die folgenden. Die hörende zahlt nämlich bereitwilliger, da sie nicht sieht, wie ihr Geld zur Anwendung kommt. Das Hauptfundament des Staates bleiben zulezt die Fühlenden; diejenigen, welche von allen Dingen nur die Ahnung haben, die gewohnt sind, sich in süßen Täuschungen zu wiegen, die den Staat gern für eine Familie halten und den Neuerungen abhold sind, also die Weiber, die Gelehrten, die niedere Geistlichkeit auf dem platten Lande und die Unterhaltungsschriftsteller sowohl des einen als des andern Geschlechts.

Schüler. Und ließe sich denn dieser große Gedanke durchaus nicht in die Wirklichkeit einführen?

Lehrer. Ja leider, das ist das Schicksal, welches ich mit Plato gemein habe. Meine Ideen kommen Jahrhunderte zu früh! Und, meine Herren, daß ich es gestehe, der Zwiespalt des Lebens und der Theorie, der Erfahrung und der reinen Vernunft wird wohl niemals ausgeglichen werden. (Geht vorüber.)

Julius Vindex tritt auf.

Julius Vindex. Hier bin ich wieder bei dem kleinen Menschenschlage,
Der in dem Abend unsrer großen Tage,
Gleich Mücken, die ein geiler Hauch geboren, schwärmt.
Wie jeder Chor hier summt und drängt und lärmt,
Und gern die eigene Melodie
Zum allgemeinen Grundton machte!
Der sucht die Formel der Magie,
Die Gold bringt aus dem Eisenschachte;
Der lehrt, wie sich aus einer Flüssigkeit
Ein Würfel schneiden läßt, gleich lang und breit,
Und wie aus längst verwelkten Trauben
Noch prometheisch Feuer sey zu rauben.
Dies sind die Fragen, die, gleich Schmetterlingen
Beflügelt, schillernd-bunt, den jungen Knaben
Abseiten ziehn, statt daß an ernsten Dingen
Sich soll die hoffnungsreiche Seele laben.
Nicht in der Zeit allein, selbst im Gedächtniß
Verweht schon unsrer Ahnen stolz Vermächtniß.
Hier steckt des Cato Dolch noch in der Scheide,
Es starb kein Brutus; kein August
Durchstach der Freiheitsgöttin Brust
Mit seines Zungenstachels giftiger Doppelschneide.
An jede Säule hat sich hingestellt
Ein kecker Mann, und macht da seine eigne Welt.
Hochbeinig, stelzenfüßig aufgezimmert,
Prangt über ihm ein kleiner Knopf,
Auf dem, wie auf dem Spinnenkopf,
Ein dünnes Büschel Haare schimmert.
Er schickt sich an zum Werk und spinnt,
So wenig sichtbar wie der Wind,
Ein Fädchen aus dem dünnen Leibchen,
Und sammelt alle Sonnenstäubchen,
Damit den Faden zu verlängern.
Schon will der Umkreis sich verengern,
Man steht nicht mehr am alten Ort,
Das Sonnenstäubchen spinnt sich fort:
Die langen Spinnenfüße haschen
Den Faden hie und da zu Maschen,
Bis sich zulezt das Todesnetz
Abzirkelt mathematisch richtig,
Und sich dem grausen Schüler Archimeds
Die arme Mücke findet todespflichtig.

Doch was trägt jenes Drängen dort im Schooß?
Der Schüler reißt sich von dem Lehrer los,
Und läuft dem Wunderding entgegen, das
Unsichtbar sich in eine Wolke steckt.
Tret' ich doch selbst hinzu, zu wissen, was
Ein Vogel für ein Ei dort ausgeheckt!
(Geht auf eine zahlreiche, immer mehr anwachsende Gruppe zu.)

Nero und Seneka treten verkleidet auf.

Nero. Sieh dich nicht um! Von allen Orten
Umschwirrt man uns mit Flüsterworten.
Was wispert der? der winkt mir zu;
Komm, komm, das läßt mir keine Ruh;
Hier scheint mir Jedermann ein Mann,
Vor dem sich nichts verstecken kann.

Seneka. Wenn Ihr so laut sprecht, gibt es nur zwei Fälle. Entweder sagt, daß Ihr ein Taschenspieler seyd, und Ihr werdet, ehe Ihr zu jenem Manne kommt, welcher dort mit Begriffen wie ein Escamoteur spielt, vor Enthusiasmns zerrissen werden. Oder, wozu ich rathe, Ihr gebt Euch für einen jungen Docenten aus, der die Philosophie wieder auf die Erfahrung zurückführen will; dann nämlich könnt Ihr gewiß seyn, daß man Euch stehen läßt.

Nero (kindisch). Sey vernünftig, Seneka, und dränge nicht so vor! Es ist ganz abscheulich, sich von den Leuten so verdächtig betrachten zu lassen, als wolle man ihnen hinten das Schnupftuch aus der Tasche stehlen. Das alles hier wären also Philosophen? Ich hasse die Philosophen.

(Pathetisch)

Die Wahrheit, nur gewohnt, sich dreist zu spreizen,
Dem nicht vertraut, was Allzustarkes dämpft,
Weiß nicht, wie Scham mit unverhüllten Reizen
Und Ueberraschung schön mit Offenbarem kämpft.
Sie drängt sich dir mit frechen Blicken auf,
Gibt immer mehr, als man verlangte, in den Kauf.
Sie gehet mit dem Ungeschick im Bunde;
Denn stets kommt sie zur ungewünschten Stunde:
Und liehst du willig einmal ihr dein Ohr,
Drängt sie sich überall hervor,
Stellt Vollmacht aus in deinem eignen Namen,
Macht sich zum Bild, und dich zum schlechten Rahmen.
Wo ist ein Tempel auch im schönen Griechenland,
Der einer Wahrheitsgöttin je zu Ehren stand?
Ist Wahrheit nackt, so ist sie's nicht,
Um dich zu blenden mit der Schönheit Licht.
Wenn sich der Bach um eine Nymphe schmiegt,
So weiß man, daß ihr Kleid am Ufer liegt.
Doch Wahrheit will sich mit der Blöß' umgattern,
Sie läßt den nackten Mantel wie am Winde flattern.
Den höchst durchsicht'gen Gürtel: Nacktheit, bindet
Sie um die Tunika, die sich doch nirgends findet.
Hier ist, was nackt, nicht schön: und wie kann Nero lieben,
Was aus dem Reich der Schönheit ausgetrieben?

Uebrigens, Seneka, kauften wir die Mandeln nicht, daß sie alle von dir verzehrt würden. Gieb her davon! Wie wir nur an diesen Ort kommen! Ich weiß nicht, was die Mutter dazu sagen würde, wenn sie noch lebte. Ich fange an, mich an den Lärm zu gewöhnen.

Denn was der Schönheit schon verwandter ist,
Das bleibt die Nichtvollendung, dieser Schöpfungszwist,
Wie Jeder hier auf gleiche Unterlagen
Doch einen andern Bau weiß aufzutragen.
Hier war noch nichts; wie bei den ersten Dingen
Sieht man noch wild die Elemente ringen.
Ein Jeder sucht den Zauberruf,
Der einst aus Leerem Welten schuf,
Beim Einen schlummert Nacht: der Blumen Augen
Sieht man noch nicht aus Sonnen Farben saugen.
Das Chaos gähnt bei ihm noch ohne Seele,
Dumpf widerhallend, eine finstre Höhle.
Beim Andern fiel der erste Blitzstrahl schon
In seine Welt mit einem Donnerton,
Man sieht die Nächte schon mit Tagen tauschen
Und hört ob seinen Häupten Sonnen rauschen,
Der Dritte darf mit hellem Frühlingsgrün
Schon Thal und Hügel überziehn,
Die Blume athmet ihren Duft,
Ein Vogel schwingt sich in die Luft.
Beim Vierten schlägt der Puls der Schöpfung schneller,
Der Stern des Himmels macht die Nacht selbst heller.
Da steht zwar Einer erst noch bei den Affen,
Doch dieser hat den Menschen schon geschaffen.
Indessen hier noch Paradiesesstunden,
Sind nebenan die Staaten schon erfunden.
Nun steigt's empor, es muß den Giftpokal
Jezt Sokrates, der fromme Grieche, trinken,
Es wächst der Tugenden und Laster Zahl,
Und Cäsar seh' ich an Pompejus Säule sinken.

Aber was geschieht nur dort, wo Alles zusammenläuft?

Seneka. Es scheint, als sollte da ein neuer Gedanke geboren werden. Habt Acht, sind wir da, so heißt es, wegen eingetretener Hindernisse könne der angekündigte Gedanke erst morgen erscheinen. Wir wollen sehen.

(Sie mischen sich unter die Menge.)

Ein Rhetor, in stutzerhaftem Aufzuge, auf dem Rücken mehrerer Sklaven sitzend, wird von Jünglingen, Männern, Greisen umringt, die begierig seine Worte aufhaschen.

Rhetor. Meine Herren, die Luft ist blau, ein sanfter Hauch weht aus Westen, ich wiege mich auf dem elastischen Rücken meiner Sklaven und beginne meinen Vortrag. Wenn es Künste gibt, deren Theorie vollendeter ist, als ihre praktische Ausführung, so will ich heute von einer Kunst reden, die im Leben zu mannichfacher Ausübung bereits gelangt ist, doch bis jetzt noch in kein vollständiges System gebracht wurde. Dies ist die Kunst der Schmeichelei. Die Schmeichelei, meine Herren, ist mehr als ein Kunstgriff, der uns zu einer reichen Erbschaft oder zu einer angesehenen Stelle im Staate verhilft; ich sage, sie ist mehr als eine Armseligkeit. Sie läßt sich in die Reihe der edelsten Geistesthätigkeiten stellen und auf Grundsätze zurückführen, welche vielleicht der zarteste, duftigste Theil, die Blume der Rhetorik sind. Sie haben Eile, meine Herren! Ich sehe unter Ihnen Männer, denen es unter den Füßen brennt, daß sie in den Senat, in den Rath des Kaisers, in ihr Priesterkollegium zurückkommen; drum gebe ich Ihnen meinen Versuch, die Umrisse eines Systems der Schmeichelei zu zeichnen, in möglichster Eile.

Nero. Wär' dieser Mann Poet, so faßt' er fein
Zusammen, wie in allen Sachen
Der schöne Schein den Werth bestimmt; allein
So, fürcht' ich, wird er viele Worte machen.

Rhetor. Von der untersten Stufe der Niederträchtigkeit an erhebt sich in allmähliger Progression die Unterwürfigkeit bis zu der höchsten Stufe, wo sie die feine, geistreiche, glückliche Schmeichelei geworden ist, die ich mir zu schildern vorbehalte. Gewissermaßen schmeicheln mir diese elenden Menschen, auf deren Rücken ich sitze (o sprecht mir da unten nicht!), in ihrer Art auch; denn sie geben sich den Schein eines Divans, und nöthigen mich, auf ihnen Platz zu nehmen, wie auf den Bänken eines Badehauses. Allein hier ist noch Alles plump, roh; hier ist die Sklaverei noch kein Entschluß der Freiheit. Erst dann bekommt die Unterwürfigkeit etwas Schmeichelhaftes, wenn sie von Menschen ausgeht, welche unter den Gesetzen ihres Willens zu leben vorgeben. Hier ist es, wo wir beginnen. Sie verlangen eine Definition der Schmeichelei? Heißt sie, die Unwahrheit sagen? Nein, dann wäre sie Lüge. Nun ist es aber doch eingestanden, daß sie auch nicht die Wahrheit sagt. Was folgt daraus? daß ihre Definition nur eine modale seyn kann.

Seneka. Der weidete auf mir bekannten Triften;
Es ist ein Sklave, der von meinen Schriften
Copien fertigte. Ich hoffe doch,
Er hat vor mir soviel Verehrung noch,
Daß er mit seinem Lob mich nicht beschmiert,
Und mich nicht öffentlich für sich citirt.

Rhetor. Mein Satz ist dieser: Schmeichelei heißt, sich mit bewaffneter Hand von einem Waffenlosen für überwunden erklären. Ein Sieger, der dem Glücke überläßt, was er doch selbst durchsezte, schmeichelt dem Besiegten. Dies sind noch sehr einfache Stufen; sie werden aber zusammengesezter. Je mehr der Schmeichler den Schein der Freiheit annimmt, je furchtloser er ist in seinen spitzfindigen Combinationen, mit denen oft ein Kopf auf der alten Stelle erhalten werden kann, desto bessern Erfolg muß er haben. Es gibt drei Dinge, die der Schmeichler vermeiden muß: Niederträchtigkeit, Albernheit und bösen Willen. Ihre Aufmerksamkeit, meine Herren, entzückt mich. Es gibt aber auch in der That nichts Herrlicheres, als die Lebenswürze, von der wir sprechen. Sie zieht über alle Dinge einen Schein, der, wenn er auch nicht wahrhaft ist, doch dem Auge wunderbar wohlthut. Sie gibt selbst der Kraft, der Ueberschwenglichkeit eine so sanfte Mäßigung, daß ihr Ungestüm das Gleichgewicht der Kräfte, welche der Hebel der Gesellschaft sind, nicht stört. Die Schmeichelei stellt Alles an das rechte Licht, wo es nicht zur Last, sondern gut in die Augen fällt. Sie nimmt dem Laster seine Häßlichkeit, der Tugend ihr vorlautes Wesen. Sie macht aus dem Leben ein Kunstwerk und stellt Alles unter das glücklichste Niveau, unter das Niveau der Schönheit.

Nero. Jezt läßt er ab von seinem Ungeschicke,
Er hat zuweilen lichte Augenblicke:
So fahre fort, du bist auf guter Fährte,
Er drückt das besser aus, was Seneka mich lehrte.

Rhetor. Die niederträchtige Schmeichelei stört; denn sie sezt den Empfänger in Verlegenheit. Was soll die Schöne sagen, der ein Anbeter die Huldigung brächte, daß er aus ihrem Schuh tränke? was der Kaiser, wenn ein Senatsbeschluß festsezte, daß das römische Volk von einem Reitknecht des Julischen Hauses herstamme? Solche Reden sind plump, gemein, nicht anzuhören. Eben so kann die Schmeichelei so fein gespizt seyn, daß sie in's Alberne fällt und belacht werden muß. Dolabella machte sich lächerlich, als er im Senat darauf antrug, dem göttlichen Tiberius müsse ein Triumphzug dekretirt werden, weil er einmal in Campanien einen kleinen Spaziergang gemacht hatte. Die gefährlichste Klippe bleibt freilich der böse Wille. Es gehört die größte Gewandtheit dazu, diesen durch die Maske der Schmeichelei zu verdecken. Wer seinen Haß hinter Liebe, seinen Neid hinter Theilnahme, seine Furcht hinter Vertrauen versteckt, muß seiner Gesichtszüge und seiner Worte gleich großer Meister seyn. Schmeichelt er, so kann er selten die Maxime befolgen, welche den Harmlosen immer zum Ziele führt; er muß weit verschlungenere Pfade einschlagen. Eine Huldigung sogar, die einzeln stände, würde ihn verrathen, sein ganzes Benehmen muß von der Schmeichelei durchdrungen seyn.

Julius Vindex. Ich horche staunend, und schon glaub' ich fest,
Der Mann gibt eine Waare, die sich kaufen läßt.
Spann doch der alte Brutus auch sich ein
In Blödsinn, seines Brütens falschen Schein.
Ich geb' auf diese Reden sorglich Acht:
Denn leicht gewußt ist, was man will, weit schwerer, wie man's macht.

Rhetor. Die Ausführung meines Unterrichts in der feinen Schmeichelei überlasse ich meinen spätern Vorträgen; hier nur einige allgemeine Sätze, die Sie mit dem Geist derselben vertraut machen sollen. Es heißt geistreich und gewandt huldigen, wenn man Jemanden schmeichelt und sich stellt, als wolle man nur der Wahrheit zu Ehren sprechen, und sich sogar nicht scheuen, wenn man ihn durch seine Rede erzürne. Gesezt, das Staatsoberhaupt wünschte irgend ein Gesetz zu unterdrücken, und es träte Jemand auf, der wie aus freiem Antriebe, wie nach langer, reiflicher Ueberlegung auf die Abschaffung antrüge, so würde er seine Schmeichelei noch gerundeter machen, wenn er hinzufügte, daß er diesen Antrag stelle, selbst mit der Gefahr, den Zorn des Staatsoberhaupts auf sich zu laden.

Senatoren und Tribunen (murmelnd).
Zeigt der hier nicht vor aller Welt,
Was uns bis jezt noch aufrecht hält?
Wie weise, was er spricht, auch sey,
Er ist ein Thor, er spricht zu frei.

Rhetor. Hat ein Regent Eigenheiten, große Eigenheiten, die man Laster nennen könnte, so wird es ihm immer darauf ankommen, sie für Tugenden angesehen zu wissen. Die feine Schmeichelei geht in diesem Falle nie auf geradem Wege. Sie ergreift eine ganz bei Seite liegende Gelegenheit und entwickelt eine allgemeine Ansicht, Grundsätze, die ihr wie von ungefähr kommen, die aber wie Saatkörner auf das nebenan lauschende, argwöhnische Herz des Fürsten fallen und hundertfältige Früchte tragen.

Senatoren und Tribunen.
Er dreht sich um und räuspert sich,
Und spricht noch mehr ganz sicherlich.
Das Bild, das er von uns gemacht,
Ist deutlich; denn die Menge lacht.

Rhetor. Am glücklichsten fährt der, welcher sich der Worte der Opposition bedient und doch nur das sagen will, was der Macht willkommen ist. Ein solcher Schmeichler bricht in laute Klagen aus über die Ungebühr der Zeiten, tadelt aber gerade nur das, was den Gegenstand seiner Huldigung beeinträchtigen will. Er spricht von der alten Sitte, von den Vorfahren, von menschlichen und göttlichen Rechten, hebt aber alle Dinge nur in der Verbindung hervor, daß das Licht, das er vermissen will, doch auf den, dem seine Worte gelten, fallen muß. Hier gibt es viel Nüancen. Gesezt, ein Fürst wählt sich einen Minister, der auffallend jung, aber für die Tyrannei wie geschaffen ist. Der Schmeichler benimmt sich hier so: er adoptirt die Sprache der Neuerung, nimmt den jungen Minister in Schutz, als ein Zugeständniß für die Opposition. Denn will die Opposition nicht, daß eben das Talent, nicht das Alter die Befähigung zu der Stelle geben soll? Er sucht dann die Partei zu verspotten und als besiegt darzustellen, welche doch eigentlich die Siegerin ist und deren Kreatur der junge Minister bleibt. Das ist eine der tauglichsten Maximen; denn durch sein Doppelspiel gewinnt man ebenso die bestehende Gewalt, als die Opposition, von der man nur die Wendungen leiht.

Cerialis Anicius (bei Seite).
Er ist es selbst, der Kaiser, der mir dicht
Zur Seite steht, er glaubt, ich kenn' ihn nicht.
Er weicht mir aus, und gibt mir meinen Blick
Mit ängstlicher Gebärde fast zurück.
Es ist im ganzen Saate meine Ehre,
Daß ich des Schmeichelns größter Meister wäre.
Was an dem Rufe ist, prüf' ich zur Stund'.
(Tritt auf den Rhetor zu; laut.)
Verschlucke deine Zunge, frecher Mund,
Da sie umsonst den gift'gen Stachel wezt
An Seelen, die dein Athem schon verlezt!
Willst du der Ränke Uebermaß noch mehren,
Die unsres Staates unbescholtne Ehren
Schon schwärzen überall? Fluch dir! denn diese Künste
Sind wohl der Klugheit übermüthige Gewinnste,
Doch Nieten für die Tugend, die du schmähst.
Noch ist in Rom die Wahrheit nicht verwest;
Sie trägt des Kaisers Kleid, ist seines Volkes Paß,
Ein guter Fürst sieht nie durch buntes Glas.
Pack' deinen Kram zusammen, und zu andern Thoren
Such' dir den Eingang, wo der Menschen Ohren
Schon giftgefüllt, nicht taub sind deinem Dunst,
Du Maskenhändler falscher Redekunst!
(Er schlägt ihn.)

Rhetor. O helft mir, edle Herrn! Der mich hier schlägt
Beweist, wie Doppellüge sich verträgt!
Er preist den Kaiser mit erlogener Ehre,
Und lügt, als ob der weit von hinnen wäre;
Doch hört dort Nero meiner Rede zu,
Das Windspiel, das ihn roch mit seiner Nase,
Kriecht wedelnd, da erlegt der Hase,
Da hin zu ihm, und leckt den Koth von seinem Schuh.
(Er entflieht.)

Senatoren und Tribunen.
Was sprach er da? Da läuft der Wicht.
Der Kaiser hier? Ich seh' ihn nicht.
Erkennt er mich, welch' Strafgericht!
Mein Nebenmann, der ist es nicht.

Cerialis Anicius (auf Nero zutretend).
Erhalte, Jupiter, die Spuren jener Schritte,
Die Nero sezt in seines Volkes Mitte!
Du staunst, erhabner Kaiser, daß die Frage
Nach diesem hohen Wunder kaum sich wage
Von einem Mund zum andern fortzuschleichen?
Ein Jeder späht noch, daß ihn nichts betrüge;
Denn deiner holden Nähe erstes Zeichen
Kam uns vom frechen Lästersitz der Lüge.
Sinkt, Bürger, Senatoren, in den Staub,
Und tragt wetteifernd diesen theuern Raub,
Das schönste Kleinod eurer Schätze,
Durch Roma's überraschte Plätze!
(Sezt Nero's Fuß auf seinen Nacken.)

Senatoren und Tribunen.
Wer vor mir steht, der trete fort,
Ich hasche wohl ein günstig Wort.
Er sprach noch nicht, noch ist nicht Rath,
Wie viel die Uhr geschlagen hat.

Nero. Verflucht sey der, der einen Gruß mir beut!
Mit eurer prahlerischen Ehrlichkeit
Fallt ihr höchst räuberhaft mich an;
Wer sagt mir, wie vor eurer Liebe,
Vor eurer Tugend man sich retten kann!
Und wenn ich euer aller Henker bliebe,
Ein grauser Fensterpocher bei der Nacht,
Ein böser Traum, der, selbst wenn ihr erwacht,
Am Tag noch eure Augen blendet:
So wär' dies alles wie verschwendet,
Und jedes so, daß es euch doch gefiele.
Mein Wüthen, Morden, meine Trauerspiele,
Nichts rüttelt euern Schlaf und reißt euch los
Aus der Alltäglichkeit gemeinem Schooß.
Ihr lächelt stets, und wo ich Tiger wähne,
Zeigt ihr mir eure Lippen, statt der Zähne.
Was schlugt ihr jenen Meister? Seiner Worte Glätte
War für die Grazien recht ein Ruhebette,
Man sah darauf die Amoretten schaukeln,
Gefiederte Gedanken ab und wieder gaukeln.
Der hat des Lebens Räthsel tief erkannt,
Doch ihr seyd stumpfes Volk; das Unterpfand,
Wie Ewigkeit wird aus dem Augenblick,
Das kennt ihr nicht, die heilige Musik.
Euch schuf Natur nur außen hin ein Ohr,
Nur für Disharmonie ein offnes Thor;
Ihr höret mit dem Aug; am Flötenspiel ergözt
Euch einzig, wie die Kunst dabei die Finger sezt.
Drum merk' ich, der auf eurem Rücken sizt,
Mit Schrecken, wie ihr unten schwizt,
Schon Luft hineinzupumpen in die Kehlen,
Um euch bei mir durch Lieder zu empfehlen.
Tragt mich denn fort! doch störe die Camöne,
Beim Himmel! wenigstens die falschen Töne.

(Nero wird auf den Schultern der Menge davon getragen.)

Julius Vindex (allein).
Nach so viel tausend Opfern schlägt der Kaiser
Selbst unsre Sprache, schnürt sie heiser,
Macht aus der Red' ein Würfelspiel,
Wo's gleich, ob hie, ob da ein Wort hinfiel.
Der Sprache stolzes Roß besteigt er,
Macht sich bald schwer, macht bald sich leichter,
Wirft sich im Sattel, stachelt mit den Sporen,
Bläst bald dem Thiere kindisch in die Ohren;
So elend sah man einen Reiter nie sich halten,
Des Römers Rede nie so wirrsam sich gestalten.
Er ist auch hierin ein Komödiant,
Den, wenn er kaum der Rede Anfang fand,
Ein Stichwort so bethört, daß er die stolz'sten Phrasen
Läßt auf des Umgangs Sprachgemeinplatz grasen.
Man wird aus ihm nicht klug; denn wenn er lacht,
Ist der verloren, der's ihm nachgemacht.
Er lacht, wenn er mit vielverfluchter Hand
Verbannung, Tod, zahllose Thränen sät,
Derweilen man ihn immer trüb erfand,
Wenn sich sein Glück mit vollem Segel bläht.
Wer mag sich schicken in den leeren Thoren!
Doch wahrlich! bei den Göttern ist's geschworen,
Bald hab' ich selbst die Sprache aufgespürt,
Die zu verstehn, ihn Alles kosten wird.


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