Karl Gutzkow
Der Königsleutnant
Karl Gutzkow

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Zwölfter Auftritt.

Gretel rückt noch an den Staffeleien, dann tritt sie forschend zurück und verbirgt sich hinter ihnen. Hierauf Graf Thorane, Althof, Mack durch die Mitte.

Gretel (allein). Gewiß – marschieren sie – bald –! Und niemals werd' ich ihn – wiedersehen –! Und ich fing schon an, so schön französisch zu sprechen! Bon jour! Da ist er!

Mack und Althof (führen den Grafen). Mon général!

Thorane (bleich, den Arm in der Binde, sehr aufgeregt). Laissez, laissez! (Er geht langsam weiter.) Ik will sein alleine! (Bedeutet Mack und Althof zurückzubleiben. Er wendet sich zur Seitentür. Dort bleibt er eine Weile, sich besinnend, stehen.) Venez, Althof! (Ab zur Seite, Althof folgte.).

Mack (der unterm Arm ein seidenes Packet trägt, bleibt zurück, legt es auf den Tisch und wirft sich erschöpft auf einen Stuhl). Ah!

Gretel (bei Seite). Was ist denn geschehen? (Kommt leise vor.)

Mack. Das war 'ne Affäre! Von der Bibergasse gleich wie's Donnerwetter an den Stadtwall –! Degen oder Pistolen –? wurde gefragt und der Marquis hatte Courage. Wenn Sie's geschworen haben, Graf, sagte er, Punktum. Hinunter in den Stadtgraben – Schildwachen sperrangelweit die Augen aufgerissen. Ihr eigener General, der sich duelliert! Eins, zwei, drei! Puff! Puff! Abgemacht. Zwei richtige Kugeln und die eine Kanaille streift ihm den Arm! (Er wickelt das Packet auf und nimmt zwei Pistolen heraus.) Nun muß er sich selbst bestrafen. In aller Ruhe hat er's dem Herzog von Broglie zu wissen gegeben und begibt sich in freiwilligen Zimmerarrest. Was wird daraus werden?

Gretel (ist vorgeschlichen und erschrickt vor den Pistolen in dem Augenblick, wo sie sich zu Mack herumbeugen will).

Mack. Du bist's, Gretel? Fürchte dich nicht, Gretel! Unsere Stunde ist noch nicht gekommen.

Gretel. Unsere Stunde, Mack? Die Pistolen –?

Mack. Wenn es heißen wird: Trennung –

Gretel. Um Gottes willen! Er wird sich doch nicht etwa totschießen, Mack? Mack! In Frankreich gibt's der Mädel genug –

Mack. Keine, die Gemüt hat und deutsches Sauerkraut kocht! Aber beruhige dich! Diese Pistolen sind noch nicht für uns bestimmt.

Gretel. Wegen der Küche nur sollt' ich mit?

Mack. Ich suchte den Grafen von dieser Seite zu fassen. Ich schilderte ihm, wenn er von seiner Misegiene abließe, gewisse gastronomische Vorteile und spielte auf deutsche Köchinnen an. – Denn du mußt wissen, Gretel, es sind Dinge vorgefallen, die meinen Grafen bestimmen, sich vom Schauplatz der Begebenheiten zurückzuziehen –

Gretel. Mack!

Mack. Ich werde dir schreiben!

Gretel. Du wirst's vergessen; du gehst ins sündliche Frankreich.

Mack. Gretel, wenn nach uns Einquartierung kommt, vergiß die nicht, die vorher da war.

Gretel. Nein, Mack! Das schwör ich dir! Und vielleicht gibt dir – der grausame Mann – 900 Franken – du wirst Intendant und ich entsage. Das hab' ich so in einem Buche gelesen – und ich bin (schluchzt) ein deutsches Mädchen! (Ab nach außen.)

Mack. Sie muß mit, und sollt' ich was mit ihr anstellen! Gefühl, Gleichgültigkeit gegen meinen Kalender, der gar nicht mehr auf Jüngling steht – alles das so mir nichts dir nichts im Stiche lassen –? Nein – (es klingelt drinnen) er ist – wir sind – Nous sommes(es klingelt wieder) sonnez vous und das ganze Hauptquartier (es klingelt in einem fort). Es wird ihm wohl angst, daß er die Duellgesetze übertreten hat! ich erklär' ihm jetzt, daß ich ihm auf sein melancholisches Schloß nur unter der Bedingung folge, daß die Gretel mitgeht. Wer weiß, ob ich durch ihn nicht auch noch ins Unglück komme. Jetzt zieh' ich andere Saiten auf. (Es klingelt. Geht hinein).

Dreizehnter Auftritt.

Frau Rat (kommt wieder vorsichtig herein.) Er will fort, sagt die Gretel? Und läßt uns hier in der Gefangenschaft zurück? Einem Nachfolger vielleicht, der möglicherweise noch grausamer ist, als er? Nein, nun muß ich ihn sprechen, muß ihm seine Lieblosigkeit vorhalten, und wenn er mich auch hundertmal mit seinen Blicken durchbohren sollte – (Tritt bei Seite und kommt allmählich hinter die Staffeleien.)

Vierzehnter Auftritt.

Thorane, trägt den Arm in der Binde. In der freien Hand hält er einen Brief. Althof. Mack. Frau Rat.

Thorane (übergibt feierlich und ernst den Brief an Althof). Voici . . . An den Maréchal de France, duc de Broglie! Mein Gesuch um Pardon et – démission –

Althof (zögernd). Mon général –

Thorane. Irrévocablement! . . . Es sein beschlossen, als ik abe gefehlt selber gegen den Gesetz welches ik war obligiert zu halten aufrekt – Gehen Sie! – Sans phrase!(Althof ab.) St. Jean!

Mack. Exzellenz!

Thorane. Der Marquis d'Anglade war sehr ein rechter schöner – junger Mann –

Mack. O, mit Ew. Gnaden gar nicht zu vergleichen –

Thorane. Sehr ein tapferer Kavalier – und so arme, daß er hier muß spielen der Komödie! Bist du gewesen niemals in dieser théâtre français de Francfort –?

Mack. Exzellenz, wo Frauenzimmers –! Jamais!

Thorane. Diese arme Heloise! Er hat nickt wollen sagen, wo gegenwärtig sie ist – mais qu'importe – auch sie ist eine – friponne.

Mack. Spitzbübin!

Thorane. Geh' und sage, der kleine Sohn von dieser Haus, Monsieur Wolfgang, sollen kommen und mir besuken und mir machen Freude und Zerstreuung durch seine Genie –

Mack. Exzellenz – als Dolmetscher? Da könnt' ich denn doch noch selbst –

Thorane. Eifersüchtig, St. Jean? Wie der Frankforter Malers unter sich? Ah, da sein schon Kartons von die Bilders. Auk der Malers sollen kommen –

(Mack will ab.)

Fünfzehnter Auftritt.

Wolfgang reißt die Tür auf. Thorane. Mack. Frau Rat.

Wolfgang. Ha! Le voilà!

Frau Rat (bei Seite). Wolfgang kommt mir vielleicht zuvor.

Wolfgang. Sie sind verwundet, Herr Graf?

Thorane. Ein wenik von die Bataille!

Wolfgang. Bataille! Ein Duell hatten Sie im Stadtgraben! Ich weiß alles.

Thorane. Sie schon wissen? (Auf- und abgehend, sehr erregt.) Ja, ja, mon ami, c'est une histoire –

Wolfgang. An der ich beteiligt bin. Ich kenne jenes Porträt. Es ist die Schauspielerin Belinde.

Thorane. Wer? Wovon Sie reden?

Frau Rat (bei Seite.) Mein Himmel! Das verlorene Kind!

Wolfgang. Ich war auf der Bibergasse. Man ließ mich nicht ein. Alcidor, der mir Unterricht gibt in der Kunst der Rethorik und Dramatik, ist verwundet, Belinde außer sich. Sie müssen wissen, Herr Graf, diese Dame ist die Schwester Alcidors und dieselbe, auf welche ich – jene Verse gemacht habe.

Thorane. Wie? Diese Dame – ist –? Enfin (er öffnet das Bild) diese?

Frau Rat (bei Seite). Was treibt der Junge für Geschichten?

Wolfgang. Alcidor mit dem Sie sich geschlagen haben, ist der Bruder Belindens, ich wiederhole es, dieser Dame, die ich anbete –

Thorane. Heloise?

Wolfgang. Heißt jetzt Belinde!

Thorane. Heloise de Vautreuil seien hier?

Wolfgang. Wenn das Belindens wahrer Name ist, allerdings! Am französischen Theater!

Thorane. Heloise – auch – Actrice! (Mit großem Schmerz). Heloise maken der Faxen auf die Theater! – O mon Dieu! (Er sinkt in einen Sessel.)

Frau Rat (bei Seite). In was für Sachen sich das Kind mischt!

Wolfgang. Ich war bei Belinde – ich konnte nicht zu ihr dringen, aber ich hörte, daß sie sich in Tränen badet –

Thorane. Um den Verräter!

Wolfgang. Ihren Bruder!

Thorane. Ha. ha, Bruder! Doch ja, mein junger Freund, ich kenne eine Geschichte, wo jemand ist die Schwester von einem Mann und die Tochter von einem Mann – und noch mehr, auch der Frau von einem Mann! Doch nein, nein – mein junger Freund, ich sehe es, man auch hat Sie betrogen! Man hat genutzt Ihre Begeisterung, Ihre Applaudissements und hat gesagt, daß Heloise nur sei die Schwester von Alcidor –! Aber Sie sollen hören diese Geschichte von Verrat –! Setzen Sie sich, mein Freund! Auch ich Ihnen will geben Unterricht in der Konst, zu maken die Schauspiele!

Frau Rat (bei Seite). Was werd' ich zu hören bekommen! Könnt' ich nur fort!

Wolfgang (bei Seite). Sie hätten mich betrogen –? (Er schwankt an einen Sessel, auf den er sich niederläßt.)

Thorane. Kommen Sie! Nous deux unis par les mêmes douleurs!

Frau Rat (bei Seite). Von jetzt an muß er unter die strengste Aufsicht!

Thorane. Edmond war ein junger Graf und hatte einen Vater, der noch war in Leben – der Vater –

Wolfgang Père noble würde der verräterische Alcidor sagen –

Thorane. Empfing eines Tages ein kleines Mädchen.

Wolfgang. Wieso empfing?

Frau Rat (bei Seite). Es wird die höchste Zeit, daß Hilfe kommt –

Thorane. Ich meine, der Vater von diesem kleinen Mädchen war nicht er, sondern der Graf von Vautreuil, sein Freund. Dieser starb, und sein Diener – ik ihn will nennen St. Jean –

Wolfgang. Mack aus Straßburg!

Thorane. St. Jean hat gedrückt dem Grafen von Vautreuil zu die Augen, als er ist gestorben, und der Graf, der war sehr arm und hatte nichts, um zu machen Testament, nichts als diese liebe Kind, Heloise von Vautreuil – und den Diener St. Jean und den Freund, den Vater von der junge Graf Edmond. Geh', sagte Graf Vautreuil zu St. Jean, bringe diese meine kleine Kind an den alten Grafen Edmond – sage ihm, er soll erziehen diese kleine Kind, wie er hat erzogen seine Sohn. St. Jean brakte diese kleine Kind und der alte Graf Edmond weinte und sagte zu seinem Sohn: Mon cher fils, mein lieber Sohn, hier ist eine arme Waise, die kleine Heloise von Vautreuil, Tokter von meiner tote Freund – sie wird sein meine Tokter und sie wird also sein – deine Schwester!

Frau Rat (beiseite). Die Geschichte scheint unschuldiger, als ich erwartete.

Wolfgang. Fahren Sie fort, Herr Graf! Im Interesse an Ihrem Stoff fang' ich an – mich zu beruhigen –

Thorane. Das ist der schone privilège der Diktkonst! Aber der Vater von Edmond starb und Heloise war für den jungen Grafen Edmond nicht mehr die Schwester. sondern war geworden – der Tokter –

Wolfgang. Er übernahm die Pflichten des Vaters und erzog seine Schwester. Die Schwester wurde die Tochter – Stoff zu einem Schauspiel: Die Geschwister.

Thorane. Zu eine Trauerspiel! Edmond hat erzogen Heloise mit der ganzen Liebe von einem Vater und von einem Bruder! Heloise war ein Engel. So schön! So gute! Und eine kleine Kind so fleißik! O sie hat gelernt alle die Spraken. Hat gespielt der Harfe, dem Clavecin, Zither von die Troubadours in Provence. Auch sie hat gehabt eine Stimme, wie die Naktigall und einen Erz, eine Seele, so rein, so fromme, wie der Unschuldigkeit selbst!

Wolfgang (bitter) Noch kann sie es zeigen – aber nur auf der Bühne!

Thorane. Da ist sie gekommen – in die siebzehnte Jahr – und weil Edmond sie hat geliebt als seine Tokter – er, le pauvre homme – oubliait ses quarante ans – hat vergessen seine vierzig Jahr und hat geliebt seine Schwester und seine Tokter auk als seine – future, seiner zukünftigen Gemahlin, und sie war erzogen so in der Einsamkeit von einem Schloß, daß sie auch hat gesagt: Edmond, du bist gewesen meine Bruder, bist gewesen meine Vater, auch du sollst sein meine Mann!

Frau Rat (bei Seite). Wie er mich rührt!

Wolfgang (bei Seite). Er weint? Ich – bin versöhnt –

Thorane. Darauf es geschieht, daß Edmond – er makt eine Reise nach Paris, läßt zurück seine Schloß in der Sorgfalt von Heloise, von seinem Diener St. Jean. Mais – hélas – un jour ist kommen einer junge Kavalier! Kam, um nur zu sehen meine Schloß, den melankolischen Baumslag, meiner Terrasse auf die große Meer mittellandischer, meine Tableaux, die gemalte und die, die hat gemakt die große Natur mit ihrem majestätischen pinceau von selbst –! Und er sahe Heloise! Und sie – meine Schwester, meine Tokter, meine Braut – me quittait, hat mir verlassen – ist gegangen mit dem Verführer in der weite Welt und ik – und Edmond sein zurückgekommen von Paris und haben verloren die sechzehn Jahr von seinem Leben, Kind, Schwester, Gattin, haben verloren Glauben an menschlike Herz et le calme et la paix de son âme pour toujours . . . Was Sie sagen von dieser Stoff, mein junger Freund?

Wolfgang. Graf – ich vermisse . . . einen Schluß –

Thorane. Es ist ein Schluß! St. Jean fiel Edmond zu Füßen, er war unschuldig an dieser niederträktig Flucht! Edmond nahm Pferd' de relais und reiste durch der Welt, um zu finden der undankbare Heloise. Aber er fand den Verführer nicht und nicht sie. Er ging mit St. Jean in die Krieg, er hat gekämpft in Schlachten, um zu vergessen seine Schmerzen, und nach sechs Jahren voll Kummer und fatigues er findet hier den Marquis Boissy d'Anglade et de Vasmenil –

Wolfgang. Den Schauspieler Alcidor – Edmond frägt ihn, wo Heloise wäre?

Thorane. Nein! Nein!

Wolfgang. Er will wissen, wie ihn das Schicksal so weit gebracht, sich durch die Bühne ernähren zu müssen –

Thorane. Nein! Nein!

Wolfgang. Er frägt ihn, ob Heloise ihn wirklich, wahrhaftig liebte, wirklich ihm gefolgt sei aus Zärtlichkeit und Liebe –

Thorane. O nein! Nein!

Wolfgang. Er frägt ihn, ob Heloise von Edmond Verzeihung erbitten kann –

Thorane Jamais! Er fordert ihn zum Duell –

Wolfgang. Sie schießen sich, und der Marquis verwundet noch den, der Genugtuung von ihm verlangen will? Ist das ein Schluß?

Thorane (steht auf). Die Ende von meiner histoire.

Wolfgang. Und das soll ein Dichter brauchen für die Bühne? Das soll rühren? Befriedigen?

Thorane. Mir? Ja!

Wolfgang. Nimmermehr aber die Dichtkunst! Nein, Graf, wissen Sie, was da fehlt? Es fehlt das Herz, fehlt die Liebe, die Versöhnung! Die sichtbare Hand des Schicksals fehlt, die sich läuternd und versöhnend über die Leidenschaften der Menschen legt. Und da wir nun selbst Dichter sind, ei, so brauchen wir auf dies Schicksal nicht erst zu warten, ob es so gefällig sein will, zu uns zu kommen – jetzt, wo ich den Zusammenhang kenne, jetzt, wo ich Edmond und Alcidor zu Liebe selbst entsage, jetzt eil' ich in die Bibergasse, um den einzigen ästhetischen und moralischen Schluß und die Hand der Götter selbst zu holen (will ab durch die Mitte).

Frau Rat (tritt ihm in den Weg).

Wolfgang. Meine Mutter!

Thorane (erstaunt). Madame?

Frau Rat. Vergebung, ich habe alles gehört. Ich war glücklich zu hören, daß Sie ein Herz besitzen. – Aber du, Wolfgang –

Wolfgang. Mutter – ich – verzeih' – andre Woche hören erst die Ferien auf . . .

Frau Rat (von ihrem Gefühl überwältigt). Nein, mein Sohn! Gehe! Folge dem Trieb deiner Seele! Ergreife die Hand der Götter, wenn sie zu dir aus den Wolken niederlangt! Geh'! Führe die Liebenden hierher! Von mir hast du nie, nie eine Fessel deines Genius zu fürchten.

Wolfgang. Du liebevolles, treues, gutes Herz! Ja wenn ich werde, was ich sein möchte, so hört es, ihr unsichtbaren Zeugen einer erträumten Zukunft, dann dank' ich es nicht den Griechen, nicht den Römern, nicht dem Studium der Bücher, ich dank' es dem Herzen einer Mutter! (Eilt nach außen ab.)

Thorane. Madame, quel génie! Er mir hat ganz gebrakt aus der Contenance!

Frau Rat. Ich wagte nicht hervorzutreten. Ich hörte die rührende Erzählung, ohne sie unterbrechen zu wollen. Aber jetzt, jetzt, wo ich erfahren, daß auch Sie die Leiden der Liebe kennen – bitt' ich, bleiben Sie in dem schönen Strom Ihrer Empfindungen, verschließen Sie die Regungen nicht, die in Ihrer Brust zittern, und verbreiten Sie Glück und Freude, wo Sie es können.

Thorane. Madame, Sie maken mir eine große Freude, Sie zu sehen, Sie sein eine so schöne, aimable Dame –

Frau Rat. Geben Sie der Gattin eines braven Mannes Gelegenheit, Ihnen aus innigstem Herzen zu danken.

Thorane (enttäuscht). Ihre Mann! C'est ce que j'avais oublié –

Frau Rat. Ist er frei?

Thorane. Madame, er mir hat beleidikt sehr – aber eine so schöne Munde, die für ihn spreken, eine so schöne Auge –

Frau Rat. Kann ich ihm die Botschaft seiner Freiheit bringen?

Thorane. Ik ihn will pardonnier – à cause – für der gute Aufnahme in dieser Hause einer Dame, die ist so – aimable(Er küßt ihr die Hand.)

Mack (öffnet die Tür). Exzellenz, die Malers!

(Frau Rat zieht voll Freude die Hand zurück und eilt ab.)

Sechzehnter Auftritt.

Mack. Thorane. Später Seekatz. Hirth. Trautmann. Junker. Schütz.

Mack (meldet erstaunt nochmals). Die Malers, Exzellenz. Aber was war denn das? Exzellenz? Die Misegiene?

Thorane. Wenn der Frauen sein liebenswürdig. man nikt kann sein die Misogyne.

Mack. Na, dann wollt' ich denn doch auch gehorsamst gebeten haben von wegen des bewußten jungen, charmanten und respektablen, in der Küche sehr erfahrenen und sonst auch –

Thorane. Die Malers!

Mack. Nein, Exzellenz, wenn ich denn doch auch gehorsamst –

Thorane. Silence! Voici les peintres!

(Die Maler treten mit Mappen ein. Thorane sammelt sich erst. Die Maler verbeugen sich.)

Mack (bei Seite). Die Liebe scheint ihn für seine Jahre ganz angegriffen zu haben!

Thorane. Meine Erren –! Die Franzosen haben gemakt eine große Bataille –

Mack (bei Seite). Bei der es scharf hergegangen ist. Er kann gar nicht wieder zu Atem kommen.

Thorane. Und Sie aben gemakt der Plane von meine Bilders . . . Ik mit Vergnügen sehe –

Siebzehnter Auftritt.

Frau Rat öffnet hastig die Tür. Rat Goethe. Die Vorigen.

Frau Rat (winkt nach außen ihrem noch im Korridor zögernden Mann).

Thorane (die eine aufgestellte Zeichnung betrachtend). Von wem ist hier der erste Idee?

Seekatz. Die Landschaft ist von mir, Herr Graf – Das Vieh aber –

Thorane. Bitte –! L'un après l'autre! Sehr gut der Landschaft –! Der untergehende Sonne –

Seekatz. Sonne und Beleuchtung wird Herr Trautmann malen. (Trautmann verbeugt sich.) Vorne das Vieh, das sich schlafen legt, wird von Herrn Hirth geliefert werden – (Hirth verbeugt sich.)

Thorane. Der kleine Schafe seien von einer großen Müdikkeit – Charmant! A cause der untergehenden Sonne – Sehr ist – poetisch!

Seekatz. Das Rebengeländer hat sich Herr Schütz vorgenommen zu malen und Herr Junker hier im Vordergrund das Binsenkraut und die Wasserlilien –

Rat (bei Seite zu Seekatz). Seekatz! Wissen Sie, daß die Preußen sich bereits wieder gesammelt haben?

Frau Rat (bei Seite). Wende dich zu ihm! Sag' ihm deinen, unsern Dank!

Seekatz (bei Seite). Bei Gelnhausen stehen sie schon wieder in der größten Ordnung –

Thorane (stand immer vor dem Bilde). Ich bin ganz verstanden ein. Daß Sie ganz so können malen! Vous partagez – teilen untereinander für jede Bild – hundert Dukaten – Wollen Sie zeigen eine andere Karton. (Hirth legt eine andere Skizze auf.) Was ist diese Bild?

Hirth (schüchtern). Nach meiner Idee! Ein Rudel Hirsche und Rehe, das in der Ferne den Ton der Jagdhörner hört und sich darüber . . .

Thorane. Verlieren in stille Betrachtung. N'est-ce pas? (Er erwartet immer, daß der Rat sich ihm nähern solle.)

Hirth. Wenn Exzellenz so gnädig sein wollen, es so aufzufassen – (Thorane betrachtet das Bild durch eine Lorgnette.)

Thorane. Charmant!

Seekatz (bei Seite zum Rat). Die Pompadour hat in Paris sich ihre alte Herrschaft wiedererobert, und die nächste Folge wird Broglies Absetzung sein, die Übergabe des Kommandos an Soubise –

Thorane (zum Rat). Herr Rat Goethe! Sind Sie auk zufrieden mit dieser – Rudel Hirsche? (Bezüglich.) Es scheint, daß die kleine Rehe haben der Ahnung von einer große Jagd, die bald wird kommen durch die Wald –

Rat (bezüglich). Ha, gewiß! Sie ahnen es, daß ihre Stunde bald geschlagen hat.

Thorane. C'est l'ordre de la vie! L'un arrive, l'autre part! Mais, Monsieur Seekatz, ich möchten, Sie müssen auk auf diese Bild malen die kleine Figur von Ihrer Frau –

Seekatz. Exzellenz – meine Frau mitten in der Stille des Waldes –!

Mack (bei Seite). Er hat's mit einem Mal mit den Frauen!

Trautmann (heimlich zum Rat, indem er hinter der Staffelei herumgekommen ist). Die Franzosen können den Sieg bei Bergen nicht behaupten, sie werden sich über den Main zurückziehen – Seidlitz rückt schon vor –

Thorane. Sehen Sie da, mon cher Seekatz, da ist eine sehr schöne Platz in der Schatten von der Eiche, um da zu maken hin eine Dame –

Seekatz (der halb Trautmanns Worte gehört). Exzellenz! Wenn ich bitten darf – alles, nur diesmal nicht schon wieder meine Frau –

Thorane. Wann ik bezahl, werden Sie maken mit Ihrer Pinceau was ik will –

Seekatz. Exzellenz, das werd' ich bleiben lassen! Sie mögen ein reicher Mann sein, mögen Bilder bezahlen können wie der Schach von Persien, aber, aufrichtig gesagt, Sie müssen dem Künstler keinen Zwang anlegen.

Frau Rat (bei Seite). Himmel, nun fängt er auch an!

Thorane (scherzend). Monsieur Seekatz!

Mack (zugleich). Sacré nom –

Rat. In der Tat, Herr Graf, die Kunst sollt' ich denn doch auch meinen –

Frau Rat (bei Seite). Jetzt geht's von vorn an.

Alle Maler. Ja wohl, Herr Graf!

Seekatz (bei Seite). Mut, die Preußen rücken vor.

Rat. Exzellenz, es ist nicht genug anzuerkennen, daß Sie in einer so musenfeindlichen Zeit, wie die gegenwärtige, die Jünger und Meister der Kunst unterstützen – doch stellen Sie auch zugleich Anforderungen an diese braven Künstler, die sie nur mit schwerem Herzen erfüllen können. – Nicht die Vollkommenheit des erfaßten Gegenstandes gibt einem Gemälde Reiz, sondern die Persönlichkeit des Künstlers, die sich in seiner Auffassung zu erkennen gibt. Wenn ein Bild nicht die Spuren eines Menschen trägt, der sich allein und nur sich in den Farben aussprechen wollte, so sinkt es zur Tapete herab, zum leeren Dekorationsbilde.

Frau Rat (bei Seite). Ich bin die unglücklichste Frau von der Welt. (Die Maler gegen sich alle Zeichen der Freude.)

Thorane (versöhnt). Mon cher conseiller! . . . Vous avez raison! Aber Sie sollen sich lassen erzählen von Herrn Ihrem Sohn, warum ich mir habe gemacht für einige Zeit die kleine plaisanterie –

Achtzehnter Auftritt.

Althof. Die Vorigen.

Althof (überreicht dem Grafen eine Depesche).

Thorane (erschreckt, erbricht sie). Pardon, meine Erren. (Er ist sehr bewegt, bei Seite.) Ma démission! (Er kämpft mit seinen Empfindungen.)

Mack (bei Seite). Abschied ohne Wartegeld –

Neunzehnter Auftritt.

Mittler stürzt herein und auf den Rat zu. Die Vorigen.

Mittler. Bester Freund. ist es wahr. Sie sind frei –?

Alle (rufen). Pst!

Thorane. Meine Erren, – – da ik abe gesehen, daß die Künstlers, welche sind gewesen Feinde, sich aben ausgesöhnt durch der Notwendigkeit, zu arbeiten für eine Idee gemeinschaftlik, so ist meine wahre Absicht befriedigt und Sie können malen, meine Erren, ein jeder von Ihnen nun seine eigene Bild.

Alle Maler (geben Zeichen einer ihnen abgenommenen lästigen Bedingung).

Thorane. Die Bilders sein garantiert, Sie können malen, so lang Sie wollen daran. Sie aber, mein Err Rat, ik bin gewesen erzürnt, weil wir aben gehabt zwei Ansichten in Politik, allein die Völkers, welche müssen sein Feinde aus Politik, sollen sich versöhnen durch der Könst und Wissenskaft, und da ik gefunden abe in Ihrem Hause eine so schöne Liebe von Malerei, eine so vaterlandische Begeisterung für der deutsche Nation und so eine talentvolle Genie von Herrn Ihrem Sohn, auch – eine Frau von solcher – Grazie und Tugend – so ik will jetzt nehmen von Ihnen allen für immer – meine Abschied in der Liebe und in Freundschaft. Meine Erren, ik werde verlassen Frankfort.

Alle (durcheinander). Verlassen? – Abschied?

Thorane. Der Herzog von Broglie hat akkordiert meine Abschied und ik werde gehen nach Frankreik auf meine Schloß in der Provence . . . Das Gefühl, das mir begleiten wird – wird sein das der Traurikkeit und des Schmerzes –

Letzter Auftritt.

Wolfgang mit Belinde, die verschleiert ist, und Alcidor traten schon vorher langsam ein und harrten an der Tür. Gretel mit einem frischen Blumenkranz und einem Blumenkörbchen. Die Vorigen.

Wolfgang. Nein! Das Gefühl der Versöhnung und Liebe. Hier bin ich mit dem Schluß des Stücks! (Belinde und Alcidor werfen sich Thorane zu Füßen.)

Thorane (wendet sich erst ab. Dann von seinem Gefühl überwältigt). Heloise! Vous même?

(zusammen):
Frau Rat. Die beiden Geschwister?
Mittler. Die Komödianten?
Rat. Mein Klient?

Wolfgang. Sie lieben sich, Edmond! Sie haben alles ertragen, Elend und Entbehrung, um sich nicht zu trennen. Sie verloren ihr Vermögen – Alcidor wollte durch meinen Vater mit Frankreichs Gerichten prozessieren – Sie haben nichts als die Kunst, sich selbst und – Edmonds Herz! Edmond ist ein edler Mann, aber seine Phantasie vergaß über seinem eigenen Glück das Glück der andern und den Lauf der Welt. Edmond, es ist Heloise, nicht die Schwester, nicht die Geliebte – Heloise, die Tochter! Die Ehre der Welt ist gerettet, Edmond! Rette auch die Ehre des Herzens! Schließe sie in deine Arme!

Thorane (außer sich). Héloïse – et Vous, mon adversaire – Votre – épouse –

Belinde (ihm an den Hals stürzend). Ta soeur!

Thorane (zieht beide an sein Herz). Nous sommes réconciliés! Allons ensemble in der schöne Provence! Ik will verlassen dieser Stadt, weil ik habe geliebt der Ehre mehr als die Befehle von der Könik von Frankreik; ihr mir sollt begleiten – jetzt – euern Vater! Mes enfants, dans ce cabinet! (Drängt beide zur Seite ab.)

Wolfgang (führt Belinden und Alcidor rechts ans Kabinett, in welches beide eintreten).

Thorane. Adieu, Madame! Adieu, mes amis! In wenik Tagen ich werde sein in meine Vaterland. Ihre Bilders werden mich folgen und sollen mir erinnern an diese brave Deutschland.

Mack. Aber die Gretel, Herr General, die ist es ja, die – uns hier in dies Haus – und (er hat noch nicht den ganzen Mut des Geständnisses) uns hier auch die kleinen Blumen und die kleinen Blätter zum Abschiede gebunden hat – (Alle blicken zu ihr hin.)

Gretel. Ja, Herr General, da ich es denn doch war, die die Hausnummer verraten hat –

Mack. Und da auch die Misegiene geheilt scheint, Herr General –

Thorane. Eine Erinnerung von dieser Hirschgraben mit uns nach Frankreik? – Eh bien! Sie soll sein der Gemahlin von der Intendant auf meine Schloß. (Mack und Gretel umarmen sich.) Eine Trennung mir aber ist die schwerste von allen, die von diesem kleinen Kinde, von Monsieur Wolfgang, einem jungen Mann von einer große Schicksal und einer erhabene Zukonft – (Zu den Eltern.) Sie haben hier, meine Freunde, einen Sohn, von welchem ich Ihnen gebe der Prophezeihung, daß er nicht sein wird bloß eine große Mannsperson für Deutschland, sondern für alle Nationen, welche noch lieben der Natur und der menschliche Herz –

Mittler (bei Seite). Das unterschreib' ich nicht!

Thorane. In dieser Stadt sind gekrönt die Könige und der Kaiser mit zerbrechliche Kronen, aber er wird sein, mein junger Freund, der einzig König, der in Frankfort wird sein geschmückt mit einer Krone, die glänzen wird ewig! Adieu, mes amis! Adieu pour toujours! Pour toujours! Adieu! Adieu! Pour toujours! (Ab ins Kabinett.)

Wolfgang. Vater! Der Quell der wahren Poesie ist das Leben! Der Geist hat keine andere Schule als die Welt!

Rat. Darauf hin, mein Sohn, sei dir das Schwärmen und Komödienspielen dieser Tage feierlichst verziehen! (Alle umringen Wolfgang. Gretel setzt ihm den Kranz auf.)

(Der Vorhang fällt.)


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