Karl Gutzkow
Der Königsleutnant
Karl Gutzkow

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Aufzug.

Das Zimmer des vorigen Akts. Der Tisch, der bisher zur Linken vom Zuschauer stand, ist aufgeklappt und in die Mitte gestellt oder besser zwei kleine Tische zusammengerückt. Sie sind mit weißen Tüchern bedeckt, auf denen ein vollständiges Kaffeeservice steht, mit rundherum etwa sieben bis acht Tassen.

Erster Auftritt.

Wolfgang steht an Thoranes Tür. Die Maler sitzen in ihrem Malerkostüm um den Tisch. Frau Rat und Frau Seekatz treten eben ein. Seekatz kommt mit seiner Frau am linken, Frau Rat am rechten Arm.

Seekatz (zur Frau Rat). Da haben Sie uns denn in voller Arbeit, Frau Gevatterin! Erholen Sie sich im Kreise Ihrer Freunde! Es wird ja noch alles gut werden.

Frau Rat (winkt allen Platz zu nehmen). Hoffen wir und stärken Sie sich nach der Arbeit! (Sie nimmt das eine Ende des Tisches ein.)

Frau Seekatz (fällt in einen Sessel am andern Ende mit einem lauten Seufzer). Ah!

Schütz. Auf die Antwort des Senats bin ich begierig.

Trautmann. Die Stadt muß ihn in Schutz nehmen, einen Bürger von solcher Geltung in der Gemeinde!

Hirth. Und von solchen Verwandtschaften!

Junker. Einen Rat des Kaisers!

Frau Seekatz (seufzt noch lauter). Ah!

Seekatz. Und diese unglückselige Spannung über den Ausgang der kriegerischen Operationen!

Frau Rat. Daß man die Nachrichten so absperrt, scheint mir ein schlimmes Zeichen für die Franzosen.

Junker. Und die vielen Verwundeten!

Frau Seekatz (seufzt übermäßig laut). Ah! . . . (Springt auf.) Es scheint, als wenn hier kein Mensch mehr ein Ohr hat auch für die nächsten Leiden?

Wolfgang (tritt von der Tür, wo er lauschte, näher). Was ist Ihnen, schöne Frau?

Frau Seekatz (hält seine Hand). Wenn sich nicht die Jugend noch unserer erbarmte – man möchte glauben, hier unter Barbaren zu sein.

Seekatz. Gertrudis! Was ist dir? Du leidest?

Wolfgang. Nicht wahr, schöne Frau, das Modellsitzen hat Sie angegriffen? Eine Dame mit so zarten Nerven! Onkel Seekatz, Sie schätzen die Aufopferung ihres Ideals nicht hoch genug! Oder sollte Sie vielleicht, liebe Tante, wohl gar nur ganz prosaisch die Nüchternheit und der Hunger – Da sehen Sie!

Zweiter Auftritt.

Gretel bringt auf einer Schüssel einen großen zuckerbestreuten sogenannten Rotonden- oder Radongkuchen. Die Vorigen.

Alle. Ah!

Frau Rat (zu Frau Seekatz scherzend). Erholen Sie Sich, liebe Freundin! Kehren Sie ins irdische Leben zurück und servieren Sie diesen bösen Männern, wenn auch von irdischer Speise, da sie himmlische allerdings zuweilen nicht verdienen.

(Frau Seekatz nimmt das Messer, das ihr die Frau Rat darbietet, und zerschneidet den Kuchen mit Geberden der Erschöpfung.)

Wolfgang (bei Seite). Der unglückliche Alcidor da drinnen! Diese süßen Düfte werden bis in sein Versteck dringen und während er ein Lustspiel von mir korrigiert, wird ihm vor Appetit ganz tragisch zu Mute werden.

Trautmann (zu Gretel, die ihm präsentiert). Ei, unser hübsches kleines Genrebildlein! Wie wär's denn, Herr Kollega, wenn wir an unserm gemalten Quintetto auch noch dieses kleine Kantabile . . . (Will sie kneipen).

Gretel. Au!

Seekatz. Keine Dissonanz, Freundchen!

Frau Seekatz. Herr Trautmann, machen Sie das bei Rembrandtscher Beleuchtung ab. Verstehen Sie mich? So was malt man in meiner Gegenwart nur mit Schlagschatten!

Wolfgang. Den Charakter der Schwermut, den der Graf verlangte, brauchen Sie dabei nicht zu erfinden. Unsere Gretel scheint verstimmt zu sein –?

Junker (der eben ein Stück Kuchen essen will). Einen Sergeantmajor freilich in der Schlacht zu haben –

Gretel. Herr Maler! Verbrennen Sie Sich den Mund nicht – der Kuchen ist noch heiß –

Seekatz. Wir lachen und niemand denkt an das Elend vor den Toren! Wie steht's denn draußen? Erfährt man nichts, Gretel?

Gretel. Zwischen Friedberg, Gelnhausen, Hauau ist schon alles abgemacht – Und (schluchzend) so viel Tote und so viel Blessierte liegen auf den Dörfern! (In der Ferne leise Kanonenschüsse.) Ich begreife überhaupt nicht – Sie sitzen hier ganz gemütlich beim Kaffee und jetzt stehen sie bereits bei Bergen!

Alle (erheben sich). Bei Bergen?

Schütz. Das wäre eine Retirade.

Hirth. Die Franzosen verlieren –

Junker. Wenn man das vom Eschenheimer Turm mit ansehen könnte.

Gretel. Beileibe nicht! – Bleiben Sie ja alle hier! Es gehen Patrouillen über Patrouillen durch die Straßen. Kein Mensch darf sich außerhalb der Häuser erblicken lassen.

Dritter Auftritt.

Mittler schleicht herein. Die Vorigen.

Mittler. Pst!

Alle. Herr Professor!

Junker. Sie riskierten es –?

Seekatz (zugleich). Wie steht es, bester Freund?

Mittler. Ruhe, Ruhe, Kinder!

Frau Rat. Hörten Sie nichts von meinem Mann? Er begibt sich, fürcht' ich, wieder in Gefahr – wissen Sie nichts?

Mittler. Es ist merkwürdig, dieser Rat Goethe! Sonst ein Mann, sozusagen nach der Schnur, kalt, sozusagen ein Pedant –

Alle. Herr Professor –

Mittler (nimmt ein Stück Kuchen und kaut im Sprechen). Bitte, ich wollte nur sagen – ich war unter militärischer Begleitung eben auf dem Römer. Der Herr Rat, wie gesagt, haben daselbst gesprochen wie ein zweiter Cicero.

Frau Seekatz. Schon wieder Mythologie?

Mittler. Wenigstens war es fabelhaft, schöne Frau, wie gering die feurige Rede auf die Senatoren wirkte! Sie zuckten die Achseln und blieben bei Belagerungszustand, Kriegsrecht und all den neuen Sächelchen, und Ihr Herr Vater, Frau Rat, der Herr Schöff Textor, der war noch der Verwegenste, sintemal dieser brave Mann äußerte, daß er einen kräftigen Protest aufsetzen und in triplo nach Wien, Wetzlar und Regensburg expedieren wollte –

Alle. Was hilft das jetzt –?

Wolfgang. Meine Herren, ein Protest beim Reichskammergericht ist immer eine Tat, deren Folgen so großartig sein können, daß sie sich selbst nach Jahrzehnten noch nicht übersehen lassen! Gehen Sie einstweilen zu Ihren Staffeleien zurück! Mutter, beruhige dich! Wir werden den bösen Feind zu besänftigen wissen, wenn nur du ihm noch einmal entgegentrittst und vielleicht auch Frau Seekatz eine ihrer hinreißenden Attitüden annehmen wollte –

Alle (ohne die Frau Rat). Ja, Frau Seekatz –

Frau Seekatz (bei Seite). Ich glaube, der Bursche hat bereits das verdeckte Bild gesehen –

Wolfgang. Dann werden wir diesen Stein erweichen und der Vater wird gerettet sein.

Frau Rat. Der Vorschlag ist in seinem Kern nicht übel! Aber geh', Wolfgang – was hältst du dich hier so lange auf? Ich dächte, du arbeitetest? Ja, ihr Lieben. wenn vielleicht mit mir noch Frau Seekatz, Frau Hirth, Frau Trautmann, wir alle für den Moment, wo der Graf aus der Schlacht zurückkehrt, dort Posto nehmen an der Tür. – (drinnen ein starkes Geräusch).

Alle. Ha!

Wolfgang (Bei Seite.) Alcidor regt sich.

Alle (sehen nach der Tür). Was war denn das?

Wolfgang. Bitte! (bei Seite.) Wenn sie den Schauspieler entdecken, mit dem ich nicht mehr umgehen soll –?

Alle. Was ist da drinnen?

Wolfgang. Hört ihr nichts? (Bei Seite). Er beschwor mich, ihm die Zimmer des Königsleutnants zu zeigen und seine Anwesenheit niemand zu verraten –

Alle (horchend). Wo? Im Zimmer?

Wolfgang. Nein! Spitzt die Ohren. Vernehmt ihr nicht in der Ferne Klänge? Das sind Trommeln. Trommeln und Pfeifen – kriegerischer Klang! Gretel, die Tassen fort – sie kommen! Sie kommen!

Alle (bestürzt). Wer?

Wolfgang. Öffnet die Fenster! Ströme herein, balsamische Luft der Freiheit! Hört, hört, es sind – die Preußen!

Alle. Die Preußen?

Wolfgang. Da, Onkel Seekatz, nehmt die Tasse – und Sie, Herr Hirth, hüten Sie die gemalte Herde auf dem Teller da, hier, Herr Junker, das Blumenstück auf Porzellan. Jeder nehme – rasch! Rasch! Friedrichs Geschwader sind an den Toren – Über die Zeil schon rufen sie: Sieg! Sieg!

Alle. Ist's möglich?

Wolfgang. Freut euch, die Retter des Vaterlandes haben gesiegt – faß an, Gretel, tröste dich über Macks Misogyne und hebe den Tisch hinweg! (Gretel hebt einen der Tische fort.) Die Decken ausgeschüttelt! (Alle helfen.) Aber keine Brosamen auf die Erde – ums Himmels willen! Wenn der Herzog von Braunschweig hier einkehrte! Die Stühle zurück – helfen Sie, meine Herren! Da, Tante Seekatz, Sie nehmen die große Kaffeekanne! Hausfreund Mittler, Sie nehmen den Kuchen! Mutter, dir dies Bukett von Blumen! Hinaus! Hinaus! Und immer leise! Immer leise! Immer nach der Geister Weise! Fort! Behutsam müßt ihr wandern! Wie verliebte Katzen schleichend – alle der Gefahr entweichend – einer halte sich am andern! – Geht und seht, von diesem Ort – fegt ein Geisterhauch euch fort – fegt euch fort ein Zauberbesen! Schatten weicht! Ihr seid gewesen! (Was er sagte, ist geschehen. Das Zimmer ist in Ordnung. Alle sind von ihm, jeder das tragend, was er nannte, forteskamotiert. Er schlägt hinter ihnen die Tür zu und kommt zurück.) Ha, ha, ha! Das nenn' ich mit der Prosa Kehraus machen! Alles, was ich hörte, war erfunden! Mein braver Alcidor, meine teure Belinde, nicht vergebens bin ich bei euch in der Schule der Musen und Grazien gewesen! Mit französischer Gewandtheit die schweren deutschen Stoffe bewegen, den leichten, schäumenden Wein der Champagne in grüne deutsche Römergläser füllen und von den altfränkischen deutschen Burgen die Roheit und Geschmacklosigkeit wie altes Geginster und Dornengeflecht fortreißen, daß nichts von ihnen übrig bleibt als der schöne, mondscheinhelle Duft der Sage, durchwoben von Tapferkeit, Gesang und Liebe . . . Ich fühle, das könnte eine Bestimmung werden, für die ich Worte finden möchte, von hinreißender Zauberkraft. Schüttle dich, Welt, in deinen Angeln, rase über die Länder hin, antlitzverzerrte Bellona, es muß ein Friede kommen, wo die Saat des Geistes blüht und keine zersplitterte Lanze, keine blutgezeichnete Fahne hoch genug ist, über die bescheidenen Blumen der Dichter emporzuragen – Mais – noch ist Alcidor nicht befreit! (An die Tür.) Eh bien, mon ami! – (Während draußen Trommeln ertönen, stürzt ihm Alcidor entgegen.)

Vierter Auftritt.

Alcidor. Wolfgang.

Alcidor (mit Bezug auf die noch lärmenden Trommeln, rasch). Mon ami, les Français?

Wolfgang. Les Français, mon ami!

Alcidor. Adieu, mon ami!

Wolfgang. Mais, mon ami! Un instant –

Alcidor. Laissez moi, laissez moi, mon ami!

Wolfgang. Mais, mon ami, mon père –

Alcidor. Votre père (Wollte die Mitteltür offnen und prallt auch zurück.) Ah!

Wolfgang. Qu'est-ce que qui a-t-il?

Alcidor. Par ici? (flieht hinter den zweiten Fenstervorhang.)

Wolfgang. Avez-vous peur, mon ami?

Alcidor. Peur? Non, mon ami!

Wolfgang. Mais – dites moi donc – mon ami . . . (Flieht hinter denselben Fenstervorhang. Sie sind beide versteckt.)

Fünfter Auftritt.

Frau Seekatz kommt trippelnd geschlichen.

Frau Seekatz. Es ist der letzte günstige Augenblick. Es sind die Franzosen, die gesiegt haben, und sie kommen. Jetzt kann's noch geschehen! Ich muß mich überzeugen, was das für ein Gemälde ist, das der Graf gewagt hat, hier in der Nähe einer deutschen Hausfrau aufzuhängen. Wenn es mein Mann gesehen hätte! Wenn er es noch zu sehen bekäme! Nein, diese Franzosen! Nichts ist ihnen heilig! Aber mir sollte jemand wagen, in mein Haus ein solches Bild – (sie hat es abgenommen und ist damit an den Tisch rechts gegangen) Ha! Ich höre Geräusch – Himmel – sie kommen schon –

Macks (Stimme von draußen). Tonnerrrre de Dieu –

Frau Seekatz. Ah! (Sie läßt das Bild auf den Tisch fallen und flüchtet sich hinter den ersten Fenstervorhang.)

Sechster Auftritt.

Mack. Die Vorigen.

Mack (mit Sack und Pack). Donnerwetter! Wird man hier so empfangen? Nach einer Schlacht, die in den Annalen der Weltgeschichte glänzen wird! Keine Menschenseele, die einem mit Blumen oder sonst etwas Erfrischendem entgegenkommt? Kuchen, merk' ich, ist hier gebacken worden, aber wohl nicht für die Sieger von Bergen, l'armée victorieuse de la France. Wartet, jetzt wird ein Strafgericht erfolgen, daß euch die Elsässer Affen vergehen sollen. Zwei Mann Wache hab' ich schon vor sein Zimmer postiert. Pulver und Blei! Sieben Fahnen, acht Standarten, vierundzwanzig Geschütze sind erobert; da kann's auf einen Bürgermeister mehr oder weniger nicht mehr ankommen – (ab nach rechts).

Frau Seekatz (schleicht aus ihrem Versteck und läuft ab).

(Alcidor und Wolfgang treten vor und stürzen auf das Bild und öffnen es.)

Alcidor und Wolfgang (zugleich). Le portrait!

Alcidor. C'est lui!

Wolfgang. C'est elle!

Alcidor. Héloïse!

Wolfgang. Belinde!

Mack (tritt wieder heraus, auch in gleichem Ton) Hélas! Que vois-je?

Alcidor. Est-il possible?

Mack (erkennt Alcidor). Monsieur?

Alcidor (erkennt Mack.) St. Jean?

Mack. C'est vous?

Alcidor. C'est moi! Et vous?

Mack. C'est moi!

Alcidor. Adieu, adieu! Pour jamais. (Stürzt ab. Mack steht starr.)

Siebenter Auftritt.

Thorane durch die Mitte, Alcidor begegnend, der an ihm mit gesenktem Haupt vorüberfuhr. Mack. Althof. Wolfgang.

Thorane. Qu'y a-t-il?

Mack. L'avez-vous vu?

Thorane. Qui?

Mack. Lui?

Thorane. Qui lui?

Mack (zeigt weit weg). Lui! Lui d'elle!

Thorane. Lui d'elle?

Mack. C'était lui.

Thorane. Lui? (In der größten Ekstase.) Lui, qui –! Le même? Je suis mort! Suivez moi! (Ab nach innen, Mack folgt.)

Wolfgang (steht nach dieser Szene, die sich im Ton des höchsten französischen Theaterpathos gibt, eine Weile wie verblüfft). Ja, was war denn das. Das ist ja rein um den Verstand zu verlieren! Waren die drei verrückt oder bin ich es? Lui – Qui – Lui – Elle – Ah – Oh! – Ich habe in der französischen Komödie dergleichen Szenen zu Hunderten gesehen, und doch, obgleich ich die Vertrauensrolle spiele, begreife ich kein Wort! Das Bild, das seh' ich nun wohl – ist Belinde! Etwas jünger, noch lieblicher, heiterer als jetzt, schöner nicht, aber glücklicher! Welches namenlose Rätsel umschwebt diese reizenden Züge? Und Alcidor, der meinen Vater um Rat fragen, die Zimmer des Grafen sehen wollte –! Werd' ich über alles das nichts erfahren als einen Kommentar, der aus lauter Ah's und Oh's besteht?

Althof (tritt heraus). Junger Mann, im Auftrag Sr. Exzellenz, wie hieß der Herr, der soeben mit Ihnen in diesem Zimmer war.

Wolfgang (bei Seite). Ich werde es am Ende nicht sagen dürfen –

Althof. Ist es nicht Jean Desiré Gaston Marquis Boissy d'Anglade et de Vasmenil?

Wolfgang. Jean Desiré – sagen Sie noch mal –

Althof. Jean Desiré Gaston Marquis Boissy d'Anglade et de Vasmenil!

Wolfgang. Nein, mein Herr, jetzt wird mir's zu bunt! Dieser junge Mann ist ein armer Schauspieler, der meine dramatischen Versuche korrigiert, mir Unterricht in der richtigen Anwendung der Vertrautenrollen in der Tragödie gibt und ganz einfach Monsieur Alcidor heißt.

Althof. Monsieur Alcidor? Und seine Wohnung?

Wolfgang. Bibergasse Nr. 39, am Stadtgraben, drei Treppen hoch. Punktum. Dixi. Animam salvavi et caetera. Herr, was wollen Sie mit dieser Konfusion?

Althof. Ich danke Ihnen. (Ab.)

Wolfgang. Ich danke Ihnen? Weiter nichts? Nicht einmal ein Mißverständnis von seiner Seite? Bloß ich der Gefoppte? Lui – elle – qu'elle – qui und Jean Desiré – jetzt geh' ich selbst und muß Licht haben – und sollt' ich –

Mack (ihm entgegen). Wohin?

Wolfgang. Zum Grafen.

Mack. Pardon, Monsieur. Ich habe den Auftrag, im Namen Sr. Gnaden Ihnen zu sagen, daß er auf Sie höchst ungnädig ist. Ja, mein Herr, Sie haben das Verbot übertreten und ein gewisses Bild beläubigelt – wollt' ich sagen, beliebäugelt, welches Exzellenz so streng verboten haben, und deshalb –

Wolfgang. Das Bild –? Wenn der Graf wüßte –

Mack. Will nichts wissen, als daß Sie bei ihm in Ungnade gefallen sind. Sie haben diese Zimmer tout de suite zu verlassen –

Wolfgang. Aber ich könnte dem Grafen Aufklärung geben über diese Züge –

Mack. Winkelzüge! Sie haben jetzt nur, wie der Herzog Ferdinandus von Braunschweig, an die Rückzüge zu denken –

Wolfgang (rückwärts zur Tür sich zurückziehend). Aber – sagen Sie dem Grafen –

Mack. Keine Parlamentage! Gewehr gestreckt! Pulver und Blei! Und überhaupt Ihre Dolmetscherei hier und Ihre Sympathie und Spionage und das Lexikon, das sind meine Geschäfte hier – Verstandez-vous(Drängt ihn fort.)

Wolfgang. Neid! Kabale! Intrigue! Jetzt weiß ich einen Ort nur, wo ich Ruhe finde – Belinde! Belinde! (Ab.)

Achter Auftritt.

Thorane kommt sehr aufgeregt zurück. Althof. Mack.

Thorane (atemlos). Sie werden sich erkundigen genau, ob es ist der Rekte.

Althof. Ich möchte es kaum glauben, mein General. Hinter einem Schauspieler sollte einer der ersten Adeligen Frankreichs versteckt sein –?

Thorane. Nie ik habe den Verräter gesehen – aber St. Jean es sagen –

Mack. Auf Kavaliersparole! Ich schwör's, es war der Marquis mit dem langen Namen! Wie er mein Gesicht von Paris, von Straßburg und Schloß Grasse her erkannte, lief er davon, als wenn hinter ihm alle höllischen Geister her wären.

Thorane. Alcidor! Welch ein Name der Verführung! Kommen Sie, mein braver Althof. Es ist sehr eine Demütigung, daß wir nach der schönen Slakt, welche wir haben geliefert unter dem tapfern Marschall Broglie, uns sollen schlagen mit eine Mann, der ist der slekteste Mensch von dieser Erde –

Althof. Schlagen, General? Sie wollen sich mit dem Marquis d'Anglade – duellieren?

Thorane. Seit sechs Jahren suche ich diesen Marquis, um ihm zu zeigen der kleine Mund von einer pistolet.

Althof. Aber mein General, der König –

Thorane. Aben verboten alle der Duelle, aber nikt aller Gefühle für der Ehre! Seit sechs Jahren ist diese Stunde gesukt als die wichtigste meines Lebens!

Althof. Ein Gesetz, General, das Sie selbst veröffentlicht haben –! Der König haßt die Duelle der Offiziere – Sie haben selbst die Strafe der Kassation darauf gesetzt –

Thorane (erschrickt und kämpft mit sich). – – Mais – Ik aben großen Respekt vor der König. meine Souverän, aber ik aben einen Respekt noch größern vor mir selbst und meiner Person, welche hat geschworen, von diesem Marquis zu verlangen Heloise de Vautreuil oder seine Leben . . . Venez, mon ami! Suken wir diese flekte Mann. und wenn es ist Jean Desiré Gaston Marquis Boissy d'Anglade et de Vasmenil, so arrangier wir auf der Stell die affaire d'honneur, die ich geschworen habe sechs Jahre lang – bei dem allmäktige Gott – dort oben – in dem Himmel! – – St. Jean!

Mack. General –

Thorane. Chargez les pistolets!

(Alle drei gehen nach außen.)

Neunter Auftritt.

Mittler (steckt nach einer Pause den Kopf durch die Mitteltür). Pst! . . . He! . . . Keiner da? Hm! . . . Alle ausgeflogen! Wie toll schossen die drei davon. In der Schlacht haben sie Blut geleckt. Jetzt wird's an die Halsprozesse gehen. Wohl dem, der sich in den Zeiten der Krisis hübsch in der Mitte zu halten wußte! Der unglückliche Rat Goethe! (Zur Tür zurück.) Kommen Sie nur! Das Feld ist rein.

Zehnter Auftritt.

Gretel trägt eine Staffelei mit einem Karton herein. Frau Rat hält den Karton, daß er nicht herabfällt. Mittler hilft.

Gretel. Lassen Sie nur, Frau Rat, ich kann mein Kreuz allein tragen.

Frau Rat. Ihr Kreuz? Wir haben, denk' ich, all' unsere Last und Not –

Mittler. Liebste, beste Freundin, zwei Mann Wache vor der Tür Ihres edeln Gemahls!

Gretel (in Bezug auf die Staffelei). Hierher?

Frau Rat. Dahin Gretel! Nun blick nur munter! Ich hab' Ihr's ja verziehen. Sie hat's ja gut gemeint. Na, sie wird schon einen andern kriegen! Wie wär's auch möglich, so weit mitzugehen, bis ins südliche Frankreich!

Gretel. Bis ins sündliche Frankreich! . . . So weit . . . Wie weit ist's wohl bis dahin?

Mittler. Bis Grasse am Mittelländische Meer ist's praeter propter –

Frau Rat. Zweihundert Stunden und die Ewigkeit –

Gretel. Du mein Gott! Aber ich bin gefaßt. Er bekommt achthundert Franken und wird Intendant! Wenn nur der Herr Rat –?

Frau Rat. Gefangener nach wie vor und kein Beistand – keine Hilfe!

Mittler. Könnte nicht der Trost, einen Freund zu besitzen, der – ein – Wesen – wie – Sie, sozusagen eine verlassene Ariadne – (will gegen Frau Rat galant sein).

Frau Rat. Nehmen Sie sich in Acht. daß Sie nicht einmal bei einer solchen verlassenen Ariadne so schlimm ankommen, daß Sie auch zeitlebens misogyn werden.

Mittler. Sie zürnen mir! Beste Freundin, kann ich dafür, daß ich in dem Bestreben, den Frieden Ihres Hauses zu fördern, Ihnen schon so vielen Anlaß zum Kummer gegeben habe? Kann ich dafür, daß Sie einen Sohn besitzen, der nun schon wieder auf den schlimmsten Wegen geht? Wie ich mich eben an den Häusern entlang schleiche, seh' ich ihn ja nach der Bibergasse rennen, mitten durch die Franzosen hindurch – (Die mittlere Tür öffnet sich. Man sieht zwei Grenadiere, von denen der eine öffnete.) Herr Gott, auch wir sind gefangen –!

Elfter Auftritt.

Rat. Die Vorigen. Zwei Grenadiere.

Rat (zu den Grenadieren). Deux mots, mes amis. (Eintretend mit einem Rapier in der Hand.) Liebe Frau, ich suchte Wolfgang –! Warum verweilst du hier in diesen Zimmern –?

Frau Rat. Auf Schritt und Tritt begleiten dich diese Barbaren!

Gretel. Wie soll das enden?

Rat (zeigt auf einen geöffneten Brief). Ich vermutete Wolfgang hier! Ein junger französischer Schauspieler, Namens Alcidor, bittet um einen juristischen Beistand – er hätte aus Frankreich wegen eines zärtlichen Abenteuers entfliehen müssen, schreibt er, – wäre ein geborener Marquis und wünsche den Weg zu wissen, sein Vermögen zu reklamieren – er beruft sich auf Wolfgang. Solchen Umgang sucht nun mein Sohn! Diesen Kummer dann auch noch in den allgemeinen Drangsalen!

Mittler. Mäßigen Sie Ihre Zunge, Mann! Ihr Schicksal hängt an einem seidenen Faden . . .

Rat (zu Gretel, die inzwischen noch eine Staffelei hereintrug). Was sollen diese Staffeleien?

Frau Rat. Die Maler wollten die ersten Umrisse ihrer gemeinschaftlichen Bilder zeigen. Vielleicht, daß sie den Grafen durch die Kunst zu deinen Gunsten besänftigen –

Rat. Wie ihn schon Wolfgang besänftigte durch eine Vertraulichkeit, die auf unsittliche Lieder begründet war? Sicher waren diese frivolen Verse aus dem Französischen übersetzt!

Mittler. Lieber Freund. lassen Sie alle Angriffe auf die französische Literatur! Sind jetzt nicht zeitgemäß.

Rat (mit Verachtung). Das Herz muß brechen, nicht über die Gefahr, die von außen droht, nein, auch über die innere der wachsenden Gesinnungslosigkeit. (Er bietet seiner Frau den Arm und führt sie durch die Mitte ab.)

Mittler. Was hilft Charaktergröße! Man rennt in sein Verderben! Gretula, sind denn auch Ihre Grundsätze so exzentrisch? (Bleibt betroffen stehen.) Halt, da rollt eben ein Wagen vor's Haus!

Gretel. Es ist der Graf –! Ja kommen Sie nur her –! Bleiben Sie nur da an meiner Seite. (Sie will ihn zu ihrem Schutz hinter einen der Vorhänge ziehen.)

Mittler. Bitte –! Da will ich doch lieber in die Dachkammer zur Frau Seekatz gehen. Überhaupt – diese treffliche Frau ist sozusagen nur ganz allein noch mit mir auf einen Akkord gestimmt. (Ab durch die Mitte.)


 << zurück weiter >>