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Durch West-Turkestan. Samarkand.

Nach Karl Futterer, Durch Asien. Band I. 1901.

Die Forschungsreise, welche Professor Dr. Futterer in den Jahren 1897 und 1898 ausführte, begann mit einer raschen Fahrt durch West-Turkestan. Nachdem die Reisenden in 17½stündiger Fahrt über das Kaspische Meer gesetzt hatten, lag sofort bei der Landung in Krasnowodsk das öde, trostlose Landschaftsbild der asiatischen Wüste in seiner abschreckenden Eintönigkeit vor ihren Blicken. Die vom General Kaufmann angelegte transkaspische Militärbahn konnte zunächst benützt werden. Nach 21stündiger Fahrt wurde ein erster Halt in Aschabad gemacht, der Hauptstadt der transkaspischen Provinz, hinter deren Gärten und Bäumen übrigens die öde Steppe und Wüste sofort wieder sichtbar wird. Am andern Tag ging es weiter. Eine lange Fahrt bei nebeligem Wetter durch eintöniges Land führte die Reisenden erst um Mitternacht nach Merw, wo ein mehrtägiger Aufenthalt Gelegenheit gab, ein zentralasiatisches Volksbild in seiner bunten Farbenpracht zu betrachten. Der Sonntag führte von allen Seiten her die turkmenischen Umwohner zum Marktverkehr nach der Stadt. Merw selbst liegt in einer Oase, in der Weizen, Reis, Baumwolle und Hanf angebaut und in den Gärten Obstbäume gezogen werden. In der Nacht verließ man Merw und morgens befand sich der Zug wieder in trostloser Sandwüste. Eine Unterbrechung bilden die ersten auftauchenden Oasen des Emirats von Buchara (das wie das Emirat Chiwa dem Namen nach von Rußland noch unabhängig ist) und der gewaltige Amu-Darja, den der Zug in langsamer Fahrt, die 22 Minuten dauerte, auf hölzerner Brücke überschreitet. Es wurde Abend, bis die Oase von Buchara und die Station Neu-Buchara (das historisch interessantere alte Buchara liegt 12 Kilometer entfernt) der langen Fahrt (von Merw 17 Stunden) ein Ende machte.

Die Eisenbahnstrecke von Buchara bis Samarkand wurde nachts zurückgelegt; sie bietet nichts Interessantes, und somit geht durch die Nachtfahrt nichts verloren, in der man dem Glanzpunkte der mohammedanischen zentralasiatischen Welt entgegeneilt.

In der bilderreichen Sprache mohammedanischer Dichter heißt Samarkand »das Paradies der Welt«, und fast unerschöpflich sind die überschwenglichen Vergleiche, mit denen sie die Schönheiten und Vorzüge dieser Stadt preisen. Das gilt bei den Muselmanen natürlich nur von dem alten Samarkand und insbesondere von dem Samarkand Tamerlan's, der vor fünf Jahrhunderten diese Stadt zum Mittelpunkt der ganzen muselmanischen Welt machte; aber auch das neue Samarkand, das erst seit der Zeit der Eroberung durch die Russen (1868) existiert, macht einen sehr vorteilhaften Eindruck und ist jedenfalls die schönste der großen Städte Transkaspiens und Turkestans, wenn man die unmittelbar vor ihren Toren gelegene alte Stadt mit ihren herrlichen Baudenkmälern mit hinzurechnet.

Wie durch einen Park fährt man durch die Straßen von Russisch- oder Neu-Samarkand. Die meist nur einstöckigen, aber sauber und hell bemalten Häuser, die in weiten Zwischenräumen von einander stehen, sind von hohen Bäumen umgeben, so daß zur Sommerzeit das ganze Haus im tiefen Schatten liegt. Ebenso sind die Fahrdämme der Straßen mit Bäumen besetzt, meist breitästigen Pappeln und Ulmen, und an vielen Stellen finden sich kleine Gräben mit lebhaft fließendem Wasser. Wenn man die Straße entlang blickt, wird der Horizont häufig durch malerische Ausblicke auf Gebirgszüge geschlossen, die im Winter weiß von Schnee und Eis herüberglänzen.

Keine einzige Straße entbehrt des Baumschmuckes. Ein schöner Stadtpark bildet den Mittelpunkt. Der schöne, breite Boulevard führt in seiner östlichen Verlängerung direkt in die alte Stadt, deren kleine Verkaufsbuden dicht am Ende des Boulevard beginnen und deren große Monumentalbauten schon von hier aus in der Ferne sichtbar sind. Man gelangt auf einer breiten Straße, deren Anfang mit sartischen Die Sarten sind ein Mischvolk, entstanden aus der Vermischung der Urbewohner, der iranischen Tadschiken, mit den türkischen Eroberern, den Usbeken, die das herrschende Volk in Buchara, Chiwa und Kokan bilden. Verkaufsbuden besetzt ist, bis zum Registan, dem durch seine Medressen Medressen sind höhere Lehranstalten in mohammedanischen Ländern. und Moscheen berühmten Platze. Nördlich von dieser Straße sieht man die Lehmwälle einer Festung, die aber durchaus keinen ernsten Eindruck machen. Mehr wird unsere Aufmerksamkeit gefesselt durch eigenartige Kuppelbauten, die in geringer Entfernung von der rechten Straßenseite sichtbar werden und zu »Gur-Emir«, dem Grabe des Herrschers, gehören. Ihnen galt unser erster Besuch.

Wer zum ersten Male die Wirkung der in lebhaften Farben aus glasierten Ziegelsteinen ausgeführten Mosaikarbeit an großen Monumentalbauten sieht, erfreut sich eines starken Eindrucks. Obwohl die Bauten und hauptsächlich deren Belag an den Außenflächen vielfach gelitten haben, und dieser letztere an vielen Stellen nur in Resten noch vorhanden ist, so ist doch überall die Farbenharmonie der Komposition und die Kunst, mit der sie zur Ornamentik verwandt ist, im höchsten Grade staunenswert und erweckt Achtung vor der Höhe der künstlerischen Auffassung, die in Mittelasien vor mehr als 500 Jahren geherrscht haben muß.

Das Grabmal des großen Tamerlan, zum Teil auch nur als Ruine erhalten, ist der älteste der in Samarkand die Bewunderung erregenden Prachtbauten der Vergangenheit. Der Herrscher soll es noch selbst haben errichten lassen. Jetzt steht bloß der Hauptbau mit einer gerippten Kuppel, von den Flügeln und seitlichen Minarets sind nur Reste erhalten geblieben. In dem unter dieser Kuppel gelegenen großen, kapellenartigen, reich mit Marmor und Jaspis ausgekleideten Raume befinden sich neun Grabsteine; in der Mitte der große Nephritblock, welcher Timurs Grab bezeichnet.

Diese Grabkapelle macht einen recht imponierenden Eindruck. Das Tageslicht dringt nur gedämpft herab bis zum Grabsteine des großen Toten, und der matte Glanz des Nephrites, der Marmorplatten und des Jaspis an dem Wandbelage wirkt melancholisch ernst. Hohe Stangen, oben mit Fahne und Roßschweif versehen und von Gläubigen mit bunten Bändern und Wimpeln geschmückt, bezeichnen die Gräber der Heiligen. Zwei solcher Zeichen befinden sich auch in der Grabkapelle zu seiten eines kleinen Altars zu Häupten des Grabes des »Großen Timur«. Eine niedere dumpfe Krypta unter dieser Kapelle birgt die Gebeine der Toten.

Wirken die Bauwerke von Gur-Emir durch ihr ehrwürdiges Alter und die Bedeutung des Namens, dessen Andenken sie dienen, so kommt bei den andern der noch erhaltenen Prachtbauten auch das architektonische Element in hervorragender Weise zur Geltung.

Wer könnte sich dem Eindrucke verschließen, den der große Hauptplatz von Samarkand, der berühmte Registan, mit seiner Umgebung, den herrlichen Medressen und Moscheen, ihrem bunten Außengewande, den schiefen Minarets und dem überaus regen Volksleben auf dem Platze selbst, macht! Die Welt der orientalischen Märchen ist hier verwirklicht. Hier sehen wir den Märchenerzähler mit komischen Gesten und unübertroffenem Mienenspiel sein anspruchsloses Publikum unterhalten; da hören wir die Derwische in ihren buntscheckigen, zerfetzten Gewändern mit monotonem Geschrei oder Gesang herumziehen; dort wieder zeigt ein silberhaariger Greis die Kunststücke einer großen Bergziege, die er gelehrt hat, auf einzelne runde Holzstücke zu klettern, die er schließlich unter dem Tiere zu einer hohen Säule aufbaut; dabei begleitet er das allmähliche Aufsteigen der Ziege mit einem fast beschwörend klingenden halb gesungenen, halb gemurmelten Texte; endlich die Geldwechsler vor den Tempeln, wie zu Christi Zeiten, und die Menge der Kleinkrämer und fliegenden Geschäfte aller Art, besonders aber von Lebensmitteln und Süßigkeiten: alles das vereinigt sich zu einem belebten Bild.

Und auf all dies bunte Treiben, dessen tausendfältige Seiten man nur im Fluge übersehen, aber nicht im einzelnen beschreiben kann, blicken in ehrwürdiger Ruhe die alten Bauten herab, die jedoch durch ihr buntes Äußere vollkommen in diese heitere Umgebung passen. Alles atmet Freude und Zufriedenheit; es fehlt der ernste Zug, dem man in den Kulturländern des Westens so oft unter der niederen Bevölkerung begegnet. Man sieht den Leuten die Armut an, aber sie haben nichts Verbittertes; sie freuen sich an den harmlosen Witzen ihrer Erzähler und sind immer zum Lachen geneigt; Sorgen kennen sie offenbar nicht.

Eine ernstere Seite mohammedanischen Geisteslebens finden wir in nächster Nachbarschaft, wenn wir eine der Moscheen oder der meist mit ihnen verbundenen Medressen betreten. Um den Registan befinden sich nach drei Seiten, mit Ausnahme der Südseite, an welcher die Straße vorbeiführt, die Fronten großer Moscheen.

In der Schir-Dar-Moschee besuchten wir den Unterricht oder besser gesagt das Kolleg eines berühmten Professors, der gerade bei unserem Besuch eine Vorlesung über ein Kapitel des Koran hielt, in dem die Verpflichtungen der Wohlhabenden den Armen gegenüber enthalten waren. Vom Hofe des Gebäudes gelangt man durch eine offene Tür in das Auditorium, einen hohen Raum, in dem durch das hochgelegene, nicht sehr große Fenster nur gedämpftes Licht hereindringt. Am Boden sind Teppiche ausgebreitet und auf ihnen hocken oder knieen die Studierenden. Es waren ihrer 10 bis 12, und jeder hat vor sich eine Ausgabe des Koran liegen, über die sie sich beugen und mitlesen, wenn der Professor Stellen zitiert, wenn dieser aber erklärt, so sehen sie auf ihn, ohne aus ihrer gebeugten Stellung herauszugehen. Häufig stellen sie auch Fragen an den Lehrer. Es sind Schüler der verschiedensten Altersstufen, unter ihnen schon stark bejahrte neben solchen, denen erst der Flaum auf dem Kinn zu sprossen beginnt.

Der Professor selbst, ein würdig aussehender Mann in den besten Jahren, saß ebenfalls auf Decken seinen im Halbkreis geordneten Schülern gegenüber und drehte während seines Vortrages fortwährend eine Orange in seiner Hand; einige andere solcher Früchte lagen neben ihm. Vor sich auf dem Boden hatte er eine dickleibige, in großen Lettern gedruckte Koranausgabe. Irgend welcher Schmuck des Saales und seiner Wände fehlte vollkommen, wenn man nicht eine Anzahl aufgehängter gelber Melonen dahin rechnen will.

Als wir eintraten, erhoben sich alle sehr höflich, der Mandarisse reichte uns die Hand und hieß uns willkommen, Stühle wurden für uns hereingebracht, und dann der Unterricht fortgesetzt. Derselbe trug ein sehr ernstes, würdiges Gepräge, und selbst die Anwesenheit von Europäern vermochte nicht für einen Augenblick die Aufmerksamkeit auch nur eines der Schüler abzulenken. Fragen und Gegenerklärungen folgten sich rasch, dazwischen hielt der Vortragende auch längere Erläuterungen, die ohne Unterbrechung angehört wurden. Wir hörten einige Zeit zu und verabschiedeten uns dann von dem freundlichen Lehrer, der als einziger an dieser Medresse unterrichtet und uns noch Tee anbot.

Die Wohnungen der Studierenden sind alle in dem Gebäude selbst und viel einfacher als selbst die denkbar ärmlichste Studentenwohnung auf unsern Hochschulen. Man steigt auf engen, hochstufigen, im Lauf der Jahrhunderte stark ausgetretenen Treppen zum ersten Stockwerk in die Höhe; es kann immer nur je einer hinauf oder herunter, da ein Ausweichen unmöglich ist. Oben befinden sich weite Galerien und noch viele große Hör- und Betsäle, während die Zimmer oder Gemächer für die zahlreichen Studierenden nur aus äußerst dürftigen kleinen Nischen oder Kämmerchen bestehen, denen jedes Mobiliar fehlt.

Wir sahen eine solche kaum etwas mehr als mannshohe Behausung mit kahlen, nackten Ziegelwänden, die zwei der Studierenden zum Aufenthalt und Nachtlager diente. Ein bis zum Boden reichendes, nur mangelhaft schließendes Fenster mit kleinen Scheibchen erhellte den Raum, auf dessen Fußboden an zwei Stellen dünne Hecken lagen, auf denen das Nachtlager hergerichtet wird. Einige Bücher und einige Früchte, Kürbisse und Wassermelonen, bildeten nebst einer Öllampe die einzigen Einrichtungsgegenstände, die nichts an sich haben, was ein gründliches Koranstudium zu stören vermöchte. Solcher Schlafstellen – denn Wohnungen kann man sie nicht nennen – sind mehrere Hundert vorhanden; während des Tages halten sich die Leute in den Hör- und Betsälen, den großen Galerien oder im Hofe auf.

Zur Glanzzeit Samarkands und in der Blüteperiode der mohammedanischen Wissenschaft waren die zahlreichen Medressen von einer großen Zuhörerschaft besucht, und die mächtigen Bauten zeugen von der Bedeutung dieser Pflanzstätte der Wissenschaft und des Glaubens.

Die größte Moschee, von der leider nur noch Trümmer vorhanden sind, liegt beim Grabdenkmale der Bibi-Chanim, der Lieblingsfrau von Timur, und wurde von ihm zum Tanke für den glücklichen Ausgang eines indischen Feldzugs und zu Ehren dieser seiner Frau 1399 errichtet. So stark auch die Zerstörungen sind, welche der Zahn der Zeit, die Kriegsjahre und vor allem die Erdbeben hier angerichtet haben, so ist doch die Großartigkeit der gesamten Anlage, die einen großen Triumphbogen, zwei seitlich gelegene kleinere Medressen und erst im Hintergrunde die große Moschee mit enormer Kuppel umfaßt, sowie an vielen Stellen die Schönheit der Majolikamosaik und die Kunstfertigkeit im Aufbau der Säulen, Bogen und Gewölbe mit ihren tausendfachen Einzelheiten noch wohl zu erkennen. Erst wenn man liest, wie einst die ganze Wandfläche innen und zum Teil auch außen mit weißen Marmorplatten, vergoldeten Reliefs und Inschriften bedeckt, wie die Säulen, Türeinfassungen und Kanzeln mit kunstvollen Arbeiten geschmückt waren, begreift man, wie viel von der alten Herrlichkeit hier der Vernichtung anheimgefallen ist.

Alle diese Bauten, die Moschee sowohl wie die große Kuppel des Mausoleums, haben besonders durch ein Erdbeben gelitten, das im September 1897 eintrat und so gefährliche Risse in die Gewölbe und die Wandbeläge brachte, daß bei einem großen Teil derselben ein Einsturz und damit völlige Zerstörung unvermeidlich ist.

Weniger durch ihre Größe in die Augen fallend, als durch die Schönheit ihrer architektonischen Formen und die aufs äußerste entwickelte Kunst in der Zusammenstellung der Majolikamosaiken, der Herstellung der Tonreliefs und der harmonischen Farbenwirkungen, sind die Bauten, welche unter dem Namen Schach-Sinda-Moschee zusammengefaßt werden. Es ist eine langgestreckte, etwa zwei Kilometer von Bibi-Chanim gelegene Gruppe von zum Teil mit Kuppeln überwölbten Kapellen, Mausoleen und Moscheen.

Hinter den obersten Bauwerken von Schach-Sinda und weiterhin über den von zahlreichen Unebenheiten gebildeten Berg dehnen sich weite Gräberfelder aus, deren Eintönigkeit unterbrochen wird durch ein etwas größeres Bauwerk zu Ehren eines Heiligen. Hier schließt sich das große Feld der Gräber und Trümmer von Afrosiab an, eine der ältesten menschlichen Ansiedlungen.

Schon als Hauptstadt des alten Sogdiana hatte Samarkand eine lange Vergangenheit hinter sich. Alexander der Große eroberte Samarkand auf seinem Zuge gegen Baktrien und Sogdiana. In ganz Mittelasien stand nach der makedonischen Zeit unter den Sassaniden eine Kulturperiode in hoher Blüte, von der sich in Turkestan wie Afghanistan noch zahlreiche Reste finden. Der buddhistische Glaube drang bis hieher nach Westen vor und bestand neben der griechischen und zoroastrischen Religion. Auf die arabische Herrschaft und Selbständigkeit als Hauptstadt von Transoxanien folgte die Unterwerfung durch die türkischen Seldschukken im elften Jahrhundert, und 1221 wurde die blühende Stadt gleich wie Buchara von Dschingis-Chan genommen und zerstört. Erst Timurlan, der es zu seiner Hauptstadt machte, verhalf ihm zu neuer Blüte und schmückte es in der geschilderten Weise mit hervorragenden Bauwerken. Zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts kam Samarkand zu Buchara und 1868 an Rußland.

Durch Jahrhunderte, wenn nicht durch Jahrtausende, war das Trümmerfeld von Afrosiab eine bedeutende Stätte menschlicher Geschichte; allmählich verschob sich der Schwerpunkt weiter nach Westen in die Stadt Timurs, die sich auch heute noch lebhaften Verkehrs erfreut, wenn auch das politische und administrative Element, sowie die regierenden Gewalten wieder weiter nach Westen, in das heutige russische Samarkand vorgerückt sind.

Diese Teile der Stadt sind vornehm, ruhig wie die Wilhelmstraße in Berlin, aber in Alt-Samarkand wogt der Verkehr, blüht der Kleinhandel und das Handwerk. Besonders an zwei Tagen in der Woche, an welchen großer Markt ist, herrscht lebhaftes Treiben.

Viele der Marktbesucher sind beritten und machen ihre Einkäufe, ohne abzusitzen; reihenweise sieht man sie so hart an den Buden stehen, und die Fußgänger sind dann meist übel daran, weil sie in die Straße hinaus ausweichen müssen, die durch ihr lebhaftes Gewühl von Pferden mit Wagen, Reitern und Kamelen ebenso unangenehm ist wie durch den bei nassem Wetter fußtiefen zähen Schmutz. Im übrigen ist der Bazar seinen Produkten und Waren nach genau so vielgestaltig wie alle andern Verkaufshallen in den größeren alten Städten des turkestanischen und bucharischen Gebietes.

Wenn ich nach dem Volksleben auf dem Registan und auf dem Markte urteilen soll, scheint die einheimische Bevölkerung noch wenig von den europäischen Gebräuchen der Russen angenommen zu haben. Aber sie hat sich vollkommen an den Anblick der Europäer und auch ihrer Frauen gewöhnt, so daß man nur sehr selten noch sieht, daß ein Muselman sein Gesicht wegwendet, wenn ein Europäer kommt, eine Geste des Abscheus macht oder ihn gar belästigt. Das strenge Auftreten der russischen Gouverneure hat Respekt eingeflößt, und jeder Europäer bewegt sich frei und ungehindert im dichtesten Verkehre, da alles auf die Seite tritt und Wagen wie Reiter anhalten, wenn ein Europäer vorübergehen will.

In manchen Dingen geben die Leute den russischen Einflüssen nach und verlassen Institutionen, die ihnen Jahrhunderte lang für heilig und unverletzbar galten. Noch gehen die meisten Frauen dicht verschleiert und der Mohammedaner hält mit Eifer an allen seinen religiösen Einrichtungen fest. Aber er beginnt, sich an den Genuß des guten Bieres zu gewöhnen, das nicht nur in Samarkand, auch in Taschkent, Margelan und an anderen Orten von Deutschen gebraut wird. Wenn erst das weibliche Element mehr für europäische Bedürfnisse empfänglich wird, dann werden die meisten der äußeren Schranken fallen und die Bevölkerung wird dem Eindringen europäischer Kultur weniger Widerstand entgegensetzen, da sie von deren Nutzen und Zweckmäßigkeit schon jetzt überzeugt und nur durch altes Herkommen und religiöse Gesetze einstweilen noch behindert ist.

Von Samarkand aus führt die Eisenbahn noch bis an den reißenden Syr-Darja; die Weiterreise nach Taschkent muß von da ab zu Wagen bewerkstelligt werden.


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