Georg Groddeck
Der Mensch als Symbol
Georg Groddeck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6

Die Drei des Menschen – Mann-Weib-Kind – ist unteilbar und das Wort Individuum berechtigt, wenn man es auf das bezieht, was unteilbar ist, das, was allen Menschen gemeinsam und notwendig ist: die Dreieinheit. Leider ist der Ableitung Individualität ein andrer Sinn untergelegt worden. Man braucht sie gerade für Eigenschaften, die gewiß abtrennbar vom Individuum sind. Individuum ist Neutrum und bezieht sich nicht auf die Eigentümlichkeiten der einzelnen Menschen, sondern auf das Gemeinsame aller, auf das Menschliche. Eine individualisierende Behandlung, von der seit einigen Jahrzehnten in der Medizin soviel gesprochen wird, kann nur die sein, die das Menschliche, abgesehen von Person und Charakter, berücksichtigt. Daß ein solches Individualisieren – nicht bloß für den Arzt, sondern für jeden, der mit Menschen zu tun hat – die Grundlage aller Erfolge ist und die Grundlage alles Meinens und Denkens sein sollte, brauche ich nicht erst zu sagen. Wer es fertig brächte, jede Lebenserscheinung ohne weiteres zu prüfen und zu entscheiden, was bei ihr »individuum« und was »dividuum«, allgemein menschlich und persönlich ist, würde eine gewaltige Wirkung ausüben. Leider ist niemand dazu imstande und gerade unsre europäische Kultur kümmert sich bewußt so gut wie gar nicht um das Unteilbare. Was man hier und da von asiatischer Weisheit zu hören bekommt, legt den Gedanken nahe, daß man dort in den Klöstern wenigstens Forschungen in dieser Richtung treibt; ob es wahr ist, ist eine andre Frage. Bei uns Europäern liegt die Beschäftigung mit dem Individuum im Unbewußten; dort ist sie tätig, leitet und lenkt unser Leben, ohne daß wir das Geringste davon wissen. Wir beten die Persönlichkeit an, wissen vom 117 Menschlichen nur das, was Maske ist, behandeln als Personen die Personen im täglichen Leben so gut wie im ärztlichen Tun.

Es läßt sich auch so leben, vielleicht bequemer und leichter als es uns ein bewußtes Anerkennen des Individuums, des Unteilbaren gewähren kann. Aber mit Wahrheit und Wissenschaft hat das nichts zu tun, es ist Charakterkunde, Studium des Theaters, des Unwesentlichen am Menschen.

Persona kommt nach Walde aus dem etruskischen Phersu, das »maskiert« bedeutet (»Maske« aus dem arabischen mashana = Possen reißen). Die, die immer auf ihre Persönlichkeit pochen und daraus Rechte statt Pflichten ableiten, sollten endlich erfahren, daß sie sich Possenreißer nennen und mit Recht. Angeblich soll Goethe die Persönlichkeit höchstes Glück der Erdenkinder genannt haben. In den Versen über das Glück der Persönlichkeit braucht Hafis den Konjunktiv »sei«, es ist die Meinung von Volk und Knecht und Überwinder, nicht die des Hafis, der das Glück in dem Verlust der Persönlichkeit sieht.

Wenn so das Unbewußte der Sprache mit dem Wort Individuum die Unteilbarkeit des Menschlichen feststellt, so erkennt es andrerseits doch die gewaltsame Zertrennung dieses Unteilbaren in dem Wort sexus = männliches und weibliches Geschlecht an. Nach Walde ist das Wort sexus von secare = schneiden abgeleitet, von dem auch das Wort segmentum = Abschnitt eines Kreises herkommt. In dem Wort sexus liegt die Idee, daß Mann und Weib eins sind, daß sie zusammen den Kreis Individuum bilden und daß beide Segmente des Kreises die Eigenschaft des Individuums besitzen, daß Mann und Weib zerschnittene Einheit sind. (Es entspricht das einer alten Schöpfungssage der Juden, daß Gott zunächst eine Einheit Adam – Lilith geschaffen hat, die er dann zersägte. Es stimmt auch überein mit der Lehre Platos.)

Das Wort secare = schneiden führt zu einem Knäuel von untereinander verwandten Wörtern, der nicht leicht zu entwirren ist. Ich greife einige davon heraus: Sichel und Sense sind, wie man annimmt, Ableitungen aus der in secare enthaltenen Wurzel sek- se-. Beide Instrumente sind in unsrer Vorstellung Attribute des Todes. Man darf vermuten, daß die Sichel das ältere Werkzeug ist, 118 jedenfalls bietet es mehr symbolische Anknüpfungen. Das Wort Mondsichel verdankt sein Dasein zunächst der Ähnlichkeit in der Gestalt. Sofort stellt sich aber heraus, daß nur der zunehmende Mond in Frage kommt, weil allein seine Form der Handhabung der Sichel entspricht. Als Attribut des Todes bedeutet die Sichel nicht Vernichtung, sondern Auferstehung nach dem Tode; sie ist Symbol des »Stirb und Werde«.

Wir begegnen hier wieder der Symbolisierung der Zeugung durch den Tod, des Todes durch die Zeugung. Unsre Zeit erlaubt sich manchmal, solche Zusammenhänge dichterisch zu verwerten, daß hier aber eine der tiefsten und wirkungsreichsten Tatsachen des Unbewußten vorliegt, hat sie vergessen. Die Stimmen, die das Sterben des europäischen Kulturkreises verkünden, mehren sich, aber jedes Sterben ist naturgemäß von der Hoffnung des Werdens begleitet. So ist es im Menschlichen beschlossen und anders kann es für das menschliche Meinen nicht sein.

Ich entschließe mich nicht leicht, hier auf die Wörter »Mond« und »Monat« einzugehen; denn wie man gleich sehen wird, verbergen sich in ihnen Dinge, über die die sachgemäße Sprachforschung keinen Aufschluß gibt. – »Die gewöhnliche Ableitung von einer idg. Wurzel me = messen (skr. manessen, matram = Maß, gr. metron, μετρον) mag sachlich ansprechen«, sagt Kluge, »– der Mond wäre als Zeitmesser gedacht –, doch darf vom sprachhistorischen Standpunkt aus diese Erklärung nicht als sicher gelten«. Das klingt sehr unangenehm, man hat sich darauf eingerichtet, den Mond als Zeitmaß anzunehmen, und mir bleibt nichts übrig, als diese Ansicht zu akzeptieren in der unsichern Hoffnung, daß sich etwas Brauchbares finden möge. Kluge hat seinen Worten einen Satz eingeschaltet: »Der Mond wäre als Zeitmesser gedacht.« Dieser Satz gibt Gelegenheit, sich mit einer der wichtigsten kulturhistorischen Fragen auseinanderzusetzen.

Wie sie es auch immer anfangen mag, zuletzt endet unsre Geschichtswissenschaft bei dem gestirnten Himmel. Sonne und Mond, Tag und Nacht, das ist der Forschung letzter Schluß, weiter geht es nicht und weiter wird auch nicht gesucht. Aber jedes Weib kann uns erzählen, daß das Kind verhältnismäßig spät Notiz von Sonne 119 und Mond nimmt, und ab und zu könnte sich auch ein Mann diese Tatsache ins Gedächtnis rufen. Es wäre immerhin möglich, daß der Mensch das Zeitmaß Monat nicht vom Mond genommen hat, sondern von den achtundzwanzigtägigen Perioden, in denen das Wesen lebt, das für das Kind alles ist, die Mutter. Ich bin geneigt, das anzunehmen. Selbstverständlich kann man und muß man zugeben, daß Sonne und Mond, Tag und Nacht für das Menschenvolk entscheidende Bedeutung haben, ohne sie geht es nicht. Aber das Sonnensystem ist ja auch wieder nur ein Glied in der Kette des Geschehens, wir könnten mit Hilfe unsrer himmelstürmenden Phantasie alles Mögliche herbeirufen, um uns die Entstehung des Zeitmaßes »Monat« zu erläutern. Schließlich können wir nicht leugnen, daß der Teil vom Ganzen abhängt, müssen aber hinzufügen das Ganze, die Welt, hängt auch vom Teil, dem Menschen ab. Und dem Bewußten und Unbewußten, ja auch dem Es ist gewiß das Menschliche näher als das Himmlische.

Meine Meinung ist, daß die Kindheit der Kultur ebenso wie die des Einzelwesens aus den Tatsachen heraus, die es kennt, Begriffe und Wörter bildet. Ein deutscher hochachtbarer Menschenforscher Fließ will herausgefunden haben, daß sich das Leben des Weibes immer und unter allen Umständen in achtundzwanzigtägigen Perioden abspielt. So etwas läßt sich schwer nachprüfen; aber die Tatsache, daß Frauen, wenn ihre monatlichen Blutungen längst aufgehört haben, doch alle achtundzwanzig Tage nachweisbare Abweichungen in ihrem Wesen zeigen, spricht für seine Theorie. Ich brauche sie aber nicht zu Hilfe zu rufen. Jedes Kind wird in der Zeit geboren, in der die achtundzwanzigtägige Periode des Weibes in voller Wirkung steht, also muß jedes Kind, da es in nächster Nähe des Weibes lebt – auch in der Schwangerschaft bleibt die achtundzwanzigtägige Periode bestimmend – dieses Zeitmaß von achtundzwanzig Tagen mit auf die Welt bringen. Und nach der Geburt muß sich das Zeitmaß in das tiefste Erleben eingraben; es geht nicht anders. In dem gewaltigen Erlebnis des Geborenwerdens, der Trennung von der Mutter – sexus – nimmt das Kind die Tatsache des Blutens wahr. Und bei jedem Kinde bis weit in sein Wachstum hinein wiederholt sich dieser bewußte 120 Eindruck des Blutens in regelmäßigen Zeiträumen, um erst langsam in das Unbewußte verdrängt zu werden. Lange Jahre hindurch stellt das Kind fest, daß das ihm nächststehende menschliche Wesen Menses – Monate – hat. Für mich besteht nicht der mindeste Grund, warum ich das lateinische Wort mensis, gr. men (μην) = Monat, Mond nicht auf dieselbe Wurzel zurückführen sollte, die das Wort Mensch hat, auf die Wurzel men-man-, von der ich früher sprach.

Sowohl die Römer als die Griechen hatten noch ein eignes Wort für Mond, lat. luna (fr. la lune), gr. selene (σεληνη). In beiden Wörtern drückt sich das zweite erschütternde Erleben bei der Geburt aus, das Wahrnehmen des Lichts: luna wird von luceo = leuchten, lux = Licht abgeleitet, selene von haleo (ἁλεω) = strahlen. Gerade in diesem gleichzeitigen Erleben von Blut und Licht, das mit dem Verlassen der Mutter zusammenfällt, sehe ich eine Bestätigung dafür, daß das Zeitmaß vom Menschlichen genommen ist, nicht vom gestirnten Himmel, von der Menstruation, nicht vom Mondwechsel. Und ich werde in dieser Meinung durch die Kenntnis bestärkt, daß Luna–Artemis–Selene Göttinnen des Mondes und der Geburtshilfe waren.

Die Assoziation Sichel-Mond weckt die Erinnerung daran, daß die Mondgöttin die Geburten leitet. Auch da begegnen wir der seltsamen Tatsache, daß unsre scheinbar wissenschaftliche Zeit an Phänomenen vorübergeht, die für unsre Vorfahren und für andersgeartete Kulturkreise der Gegenwart größte Bedeutung haben. Bis zu dem Moment der Geburt kann man Mutter und Kind als eine Einheit betrachten, selbst wenn man weiß, daß die Lebensflüssigkeit des Bluts bei beiden Wesen verschieden ist; erst der Moment der Abnabelung trennt für den Augenschein das Kind von der Mutter. Aus dem Kreis Mutter–Kind löst sich ein Segment, zwei neue, einander nahe, aber ganz selbständige Kreise entstehen: Weib und Kind. Die Verbindung dieser Kreise, die Nabelschnur, wird zerschnitten. (Wir können annehmen, daß vor der Erfindung der schneidenden Werkzeuge diese Schnur ebenso wie bei Tieren zerbissen wurde, was ja nur eine primitive Form des Schneidens ist.) Wie uns berichtet wird, hatten die Griechen in Delphi einen 121 kegelförmigen Stein, den sie den Nabel der Welt nannten; ihnen muß also der Nabel als Mittelpunkt des Lebens erschienen sein. Dabei erinnert man sich an die unzähligen Darstellungen Buddhas, wie er ernst und lächelnd den Nabel seines schwangeren Bauches beschaut. Stellt man demgegenüber, daß bei uns nur noch die Kinder und die Studenten der Medizin – erstere mit allergrößtem Interesse, letztere mit dem Widerstreben, das wir allem entgegenbringen, was mystische Bedeutung hat –, daß bei uns nur noch die irrationalen Infantes den eignen Nabel betrachten dürfen, so haben wir allen Grund, unsre Kultur für todgeweiht zu halten: im Nabel ist Vergangenes und Zukünftiges, er ist das Symbol des Stirb und Werde, des Individuums und des Sexus. Wir sollten uns schämen.

Die Etymologie versagt ganz. Sie zählt in den verschiedenen Sprachen die verschiedenen Namen für Nabel auf, führt sie auf eine Wurzel nebho = platzen und ombh = schwellen zurück, spielt ein wenig damit, daß im Lateinischen Nabel umbilicus heißt und Schild umbo, daß das griechische omphalos (ομφαλος) dem umbilicus gleichsteht und daß Nabe des Wagenrades dem Wort Nabel nahe verwandt ist. Und sonst gibt sie keine Auskunft, es sei denn, daß sie den Verdacht in uns zurückläßt, die Gelehrten seien der Meinung, daß der Wagen älter sei als die Schwangerschaft.

Ich bin vorläufig auf das Meinen angewiesen, auf das Erdichten. Und da denke ich mir, daß der Omphalos der Griechen etwas mit dem Phallus (phales und wohl mit amphi) zu tun hat und Nabel in dem deutschen Näber, Naber = Bohrer, vielleicht auch in Natter weiterlebt; Naber ist sicher mit Nabe, dem vorragenden Teil des Rades, dem Teil, um den sich alles dreht, aufs engste verbunden, amphi ist dann der Kreis, Phallus das Zentrum (Stachel). (Cymr. heißt naf, Herr; im Englischen ist neb = Schnabel, die symbolisch dem Phallus gleichwertige Brustwarze = nipple, das Wort nib [slang] bedeutet gentlemen.) Wenn dem so ist, so bezeichnet das Wort Omphalos ebensowohl wie Nabel das Doppelgeschlecht des Menschlichen und ebenso das Kindlich-Mannbare in der Beziehung von Nabel zu Schwangerschaft und Geburt. Ist der Nabel ein solches Symbol, so braucht man sich nicht darüber zu wundern, daß wir den Nabel nicht mehr wie Buddha und das Kind beschauen; denn 122 nichts haben wir so gründlich verdrängt wie die Dreieinheit des Menschlichen und die Ehrfurcht vor der Mutter, von der wenig übriggeblieben ist, schon seit einem Jahrhundert. Denn daß fast alle Menschen schmerzhafte Punkte an der linken Seite des Nabelrings haben, daß links oberhalb des Nabels nach dem Herzen zu und in der Mitte zwischen Nabel und Schwertfortsatz, dort wo das Männliche des Brustbeins sich dem Weiblichen des Nabelrings entgegenreckt, dem Sonnengeflecht vorgelagert, überaus empfindliche Stellen sind, muß man wohl als Überbleibsel aus den Verdrängungskämpfen gegen die Mutterverehrung anerkennen; aber es drückt sich darin nicht Verehrung, sondern Kampf gegen Verehrung aus. Allerdings muß man zugeben, daß die Frauen es den Kindern nicht mehr leicht machen, sie zu verehren, seitdem sie die Schwangerschaften nicht als Ehre empfinden, sondern sie unter allerlei Vorwänden bewußt und unbewußt vermeiden oder verstecken.

Irgend etwas muß die Sprachforschung dazu gebracht haben, den Nabel mit dem Wagen in Verbindung zu bringen. Es ist nicht selten, auch bei Gelehrten, daß das Unbewußte versucht, den Denker auf den richtigen Weg zu bringen. Und so mag es auch hier sein. Denn unsre Kenntnis des Symbols ist soweit gediehen, daß wir die Erfindung des Wagens geradezu aus der Schwangerschaft herleiten können. Die Geschichte vom kleinen Hans, die Freud schon vor drei Jahrzehnten veröffentlicht hat und die eine Fundgrube für die Muttersymbole ist, sollte einen jeden darüber belehrt haben. Aber auch sprachlich läßt sich darüber viel sagen. Man behauptet, Wagen hänge mit Weg zusammen, ebenso wie vehiculum mit via. Der Urweg ist aber die Spalte und Scheide des Weibes. Weg und Brücke sind Schöpfungen des Eros, der ja auch Erfinder des Geldhandels und Warentausches ist, des »Verkehrs«.

Deutlich klingen diese Dinge noch in dem Worte »Rad« nach. (Es gibt einen Ausdruck für Schubkarre, der lautet Radebere, bayr. Tragradel; bere ist dasselbe wie das schwedische »barn«, das englische »to bear«, das deutsche »gebären«. Der Schubkarren ist die Mutter – Frau.) Allgemein wird angenommen, daß »Rad« dem lateinischen rota = Rad und rotundus = rund 123 stammverwandt sei. Die Wurzel lautet angeblich reth = laufen. Das mag so sein. Die Ableitung rotundus = rund führt aber auch zu dem griechischen Ausdruck für Rad kyklos (κυκλος), der gleichzeitig Kreis bedeutet. Zu kyklos gehören als Verwandte das englische wheel und das schwedische hjul = Rad. Alle diese Wörter werden auf eine Wurzel gelo = drehen, treiben zurückgeführt, von der wiederum gr. polos (πολος) = Achse (erhalten in Pol) herrührt. Verwandt damit sind gr. pelo (πελω) = sich bewegen, pelte (πελτη) = Schild (s. oben umbo – umbilicus), pellis (πελλις) = Becken (lat. pelvis), pella (πελλα) = Milcheimer. Alle diese Wörter legen den Gedanken nahe, daß kyklos (wheel, hjul) etwas mit der Kugelform des schwangeren Leibes zu tun haben könnte, mit dem Kreise seines Umfangs. Und mag man es wollen oder nicht, gleichzeitig stellt sich die Meinung ein, daß die deutschen Wörter »kreisen, kreißen« (gewöhnlich von kreischen abgeleitet) doch mehr mit dem Kreis zu tun haben könnten, als die Etymologie es wahrhaben will, ja selbst die deutsche Bezeichnung für das os sacrum = Kreuzbein, Kreuz könnte so zu Kreis (ahd. Kreits) bezogen werden. Entschließt man sich zu solcher Laienetymologie der Zeugung, Schwangerschaft und Geburt, so findet man auch noch das lateinische radius = Stab, Radspeiche, Kreishalbmesser; ramus = Zweig, Ast; radix = Wurzel. Und bei diesem letzten Wort »Wurzel« stehe ich plötzlich der Einsicht gegenüber, daß wirklich der sexus, das segmentum, das beim secare des Kreises entsteht, Wurzel dieser Wortgruppen ist, zumal da Wurzel von einem Stammwort rota = Wurzel, Rute herkommt. (Hier sei an den englischen Ausdruck holy rood erinnert. Eins der vielen Menschensymbole, die in dem Erlösungsmythus der Kreuzigung und Auferstehung enthalten sind, gibt sich hier kund. Rute = männliches Glied; rota ist auch Rad.)

Ähnlich wie das religiöse Leben der Griechen den Nabel als Mitte der Welt anerkannt hat, versucht es von Urzeiten her die darstellende Kunst. Als Symbol dafür hat sie von jeher den Kreis gewählt, der um den Menschen bei ausgestreckten Armen und gespreizten Beinen geschlagen wird, so daß der Nabel Mittelpunkt wird. Die uralten Steinreliefs, vor allem auch das Hakenkreuz, 124 drücken die Symbolik des Menschen im Kreise der Mutter ebenso deutlich aus wie heutigentages die russische Schaukel oder das Rhönrad oder das Triebrad der Maschinen diesen Mythus versinnbildlichen. Ja, bei näherem Zusehen gewahrt man, daß unser religiöses und wissenschaftliches und künstlerisches Leben so gut wie die Mathematik und Technik von dieser symbolischen Idee durchtränkt sind. Das grundlegende Prinzip des Menschlichen, Mann-Weib-(Kreis)Kind (Mann im Kreis) ist in dem Symbol erfaßt, ja dadurch, daß sich in dieses Symbol des Menschlichen die Zeitrechnung und das Sonnensystem, ja alles, was wir kennen, eingefügt hat, auch Wahrheit, Irrtum und Schwanken zwischen beiden, auch Himmel, Hölle und Mensch, auch Gut und Böse und Menschlich, zeigt sich, warum dieses Symbol trotz tausendfältigem Formwechsel immer wieder benutzt werden muß. Der Kreis zeigt die Grenze alles menschlichen Lebens, den Tod sowohl wie das Leben, das Sein wie das Werden, die Fähigkeit des Treibens und Getriebenwerdens (Radform) und das Gefesseltsein an Ebene und toten Körper. Und es muß erwähnt werden, daß sowohl das Hakenkreuz wie das griechische Kreuz das Symbolische des Sterbens und Werdens am deutlichsten zeigen durch die Bewegung andeutenden Haken und durch den Gekreuzigten.

Betrachtet man den Mittelpunkt dieses um den Menschen geschlagenen Kreises, den Nabel, so zeigt sich auch da wieder die Eins und die Drei des Menschlichen. Der Nabel selbst entspricht der Spitze des Gliedes, die aus dem umgebenden Ring etwas hervorragt wie der oberste Teil der Eichel aus der Vorhaut. Ich habe schon früher erwähnt, daß die Vorhaut als weiblicher Teil des Menschlichen empfunden wird, gleichzeitig aber auch als Kindliches im Gegensatz zum Männlichen, weil ja die Vorhaut verstreicht in dem Augenblick, wo sich das Kindliche in das Männliche verwandelt, in der Erektion.

Man sieht, daß der Nabel in Wahrheit das Mysterium der Menschenwelt in sich enthält, und dieses Mysterium gewinnt an Tiefe, sobald man sich der Entstehung des Nabels zuwendet: er ist der Rest des Nabelstrangs (Nabelschnur), der nach der Geburt in der Nähe der kindlichen Bauchhaut durchgeschnitten wird, wie ich 125 schon sagte, ein Versuch, das Unteilbare (Individuum) zu trennen (Geschlecht – sexus – secare). Die Ausdrücke Strang und Schnur führen einen Schritt weiter. Strang ist urverwandt mit dem Wort streng, das ursprünglich angespannt, stark, hart bedeutet. Die Bedeutung des Gedrehtseins scheint erst nachträglich hineingelegt worden zu sein, wahrscheinlich gerade wegen der gedrehten Form des vorbildlichen Nabelstrangs. Die Härte und Länge des Nabelstrangs führt zum Männlichen hin, die Verbindung mit dem Mutterkuchen zum Weiblichen, während die Drehung und das Rinnen des nährenden Blutes innerhalb des Nabelstrangs die Vereinigung von Mann und Weib symbolisieren; an das andre Ende des Strangs ist das Kind, die Zukunft, befestigt. Das Wort Strang betont das Männliche, während in dem Wort Schnur das Weibliche vorherrscht. Wir haben in unsrer deutschen Bibelsprache überall noch die Bezeichnung Schnur für die Sohnesfrau. Zugleich ist in dem Wort auch das männliche Sohn enthalten (idg. snusa, snusus = Schwiegertochter wird als Ableitung des idg. sunu = Sohn aufgefaßt; im Schwäbischen entspricht dem Söhnin oder Söhnerin).

Ehe ich mich näher über die geheimnisvollen Schicksale äußere, die im Nabel symbolisiert sind, muß ich nochmals auf das Wort secare und seine Ableitungen zurückgehen. Zunächst erwähne ich die Wörter Säge und lat. securis = Beil. Im Sägen symbolisiert sich das Hin und Her des Schneidens, aber auch des Geschlechtsverkehrs, der ja mit einer Trennung des Individuums Mann von seinem Männlichen, dem Samen, unter gewaltsamer Erregung endet. In lat. securis = Beil versinnbildlicht sich das Abschlagen, das im Deutschen das Wort Geschlecht geschaffen hat. (Merkwürdig ist die deutsche Redensart »sein Wasser abschlagen«, was vielleicht auf die unbewußten Zusammenhänge von Urinieren und Samenerguß hindeutet.) Kluge macht den Vorschlag, das Wort schlagen (got. slahan, altn. slâ, engl. slay usw.) mit gr. laktizo (λακτιζω), lat. lacerare = zerreißen, zerfetzen zusammenzubringen, was allerdings Walde ablehnt, weil es sinnlos sei, jedoch gibt das Wort Geschlecht in Verbindung mit dem Zerfetzen der Jungfernhaut durch Beischlaf und Geburt den Beweis, daß mehr Sinn in dieser Verbindung steckt, als Walde annimmt. Schließlich gibt es noch das 126 lateinische Wort saxum, das abgeschnittener Ast bedeutet, gleichzeitig aber auch Fels, Stein und Klippe. Ich stoße hier auf das, was die Psychoanalyse den Kastrationskomplex nennt, behalte mir aber vor, darauf später zurückzukommen; der unglücklich gewählte Ausdruck Kastration erfordert eine besondere Auseinandersetzung. Dagegen ist die Ähnlichkeit der Erschlaffung des aufgerichteten Gliedes nach dem Geschlechtsverkehr mit dem Niedersinken eines ragenden Astes beim Durchsägen bezeichnend. Die Vorgänge in dem, was man Kastrationskomplex nennt, sind nicht erschöpft, wenn man nur an das blutige Abschneiden des Penis (Menstruation des Weiblichen) denkt; neben der blutigen Verwandlung des Männlichen in das Weibliche (sexus, secare) liegt in dem Begriff Kastrationskomplex die Verwandlung des Mannbaren in das Kindliche durch den Verkehr mit dem Weiblichen.

Um den Grund für meine weitern Meinungen noch zu verstärken, mache ich auf das schwedische Wort sax = Schere, Schwert aufmerksam; auch »sax« (lat. saxum) hat eine Bedeutung Fels, Stein. Der Wortsinn Fels, Klippe tritt in einem andern schwedischen Wort »skär = Felseneiland« hervor, während das Verbum skära in seiner Bedeutung »abschneiden« dem lat. secare ganz nahe steht. – Im Griechischen gesellt sich zu diesem Wortkreis keiro (κειρω) = scheren, wozu ker (κηρ) = Schicksal, Tod und karpos (καρπος) – Frucht, Leibesfrucht gehören. Im Deutschen ist Stammverwandtschaft zu secare in den Wörtern Schere, scheren vorhanden, wahrscheinlich auch in Messer. (Ahd. mezzi-rahs, mezzi-sahs, sahs angeblich verwandt mit saxum, sax = Stein – Anschluß an die Messer der Steinzeit –, das mezzi soll mit schwed. mat, engl. meat = Speise zusammenhängen.)

Wichtig für meine Zwecke ist weiter, daß im Schwedischen klippa als Substantivum Klippe bedeutet, als Verbum schneiden, scheren. Im Deutschen hat sich in dem Wort klipp-klapp das Klippen als Schneiden erhalten. Auffallend ist, daß im Englischen to clip neben schneiden auch umarmen bedeutet.

Daß in allen indogermanischen Sprachen übereinstimmend dieselben wichtigen Lebensgebiete sich um das eine Wort secare gruppieren, das seinen tiefsten Sinn in den Wörtern sexus und 127 Geschlecht kundgibt, beweist, wie tief einmal die Menschenseele von der gewaltsamen Trennung des Individuums Mutter-Kind ergriffen gewesen sein muß, und das Erstaunen darüber, daß für uns der Moment des Abnabelns kaum noch bewußte Bedeutung hat, wächst. Aber bei den Griechen hat es einmal Keren gegeben, bei den Römern Parzen und bei den Germanen Nornen. Das, was wir Schicksal nennen, war mit dem Durchschneiden des Nabelstrangs innig verbunden. Gemeinsam ist diesen Schicksalsgöttinnen die Zahl Drei, gemeinsam auch das weibliche Geschlecht, gemeinsam der Sinn von Vergangenheit (nord. urdh, gr. Atropos [ατροπος]), Gegenwart (nord. verdhandi, gr. Klotho [κλωϑω]) und Zukunft (nord. skuld, gr. Lachesis [λαξεσις]), gemeinsam das Spinnen des Schicksalsstrangs und die Schere, das Sein, Werden und Vergehen. Neben Ker (κηρ von keiro, κειρω) = scheren) hatte der Grieche auch die Moira (μοιρα) = Teil (von meiromai, μειρομαι = Anteil haben). Bei dem einen Namen ist die Handlung des Zerschneidens, bei dem andern der Erfolg der Handlung betont, das Entstehen des Geschlechts und die Tatsache des Geschlechts. Das lateinische Wort Parca = Parze (ursprünglich parica = Geburtsgöttin) zeigt die Verbindung des Schicksalsgedankens mit Geburt und Zerschneiden der Nabelschnur (Lebensschnur) am deutlichsten. Der Name ist abgeleitet von pario = gebären, zu dem auch pars = Teil, portio = Teil (portio uteri wird der in die Scheide ragende Teil der Gebärmutter genannt, der symbolisch sowohl die Eichel wie den Nabel vertritt), porta = Türe, portus = Hafen gehören, vielleicht auch par = gleich.

Ich muß einen Augenblick auf den Ausdruck spinnen (vielleicht verwandt mit spannen, Ehegespann, Ehegesponst) zurückgreifen. Wahrscheinlich verbindet sich der Schicksalsgedanke ebenso mit dem Weben wie mit dem Spinnen, die ja in der Tat begrifflich zusammengehören, auch Spindel und Weberschiff haben gewisse Ähnlichkeiten. Der lateinische Ausdruck für weben ist texo, was gleichzeitig auch bauen heißt (textor = Zimmermann, gr. tekton, τεκτων = Zimmermann, techne, τεχνη = Handwerk, Kunst). Walde findet, daß ein kaum überbrückbarer Bedeutungsunterschied zwischen zimmern und weben besteht. Sobald man bedenkt, daß das 128 erste Haus, in dem der Mensch wohnt, die Gebärmutter ist und daß aus dem ersten Hin- und Herbewegen des Weberschiffchens {männliches Glied) das großartige Gewebe (Textur) des Menschenkindes entsteht, verschwinden diese Bedenken.

Die deutschen Wörter wibbeln, wabbeln, Wespe, aber auch Wabe, die alle mit weben zusammenhängen, deuten nach derselben Richtung, ja ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß das rätselhafte Wort Weib (wif, wiif) mit weben zusammenhängen könnte. (Kluge gibt bei Weib das althochdeutsche weibon = unstet sein, schwanken an, schwed. viv = Weib, viva = schwanken; daß das aber mit den Geschlechtsfunktionen des Weibes in Liebe und Schwangerschaft zusammenhängen könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. Ist es richtig, so erscheint in dem Unbewußten der englischen Sprache eine der schönsten Eigentümlichkeiten der englischen Rasse, ihr Humor. Sie nennen die Ehefrau vom Weben ausgehend wife, die unverheiratete spinster darf spinnen, aber nicht weben.) Ich glaube auch, daß gr. teknon = Kind stammverwandt mit texo ist und ebenso tikto = gebären, zeugen.

Man ist gewöhnt, bei den Wörtern gebären, Geburt nur an den weiblichen Teil des Individuums Mensch zu denken, aber das Unbewußte faßt den befruchtenden Samenerguß des Männlichen ebenso als ein Gebären auf. (Das Wort »gebären« wurde im Mittelalter auch für »zeugen« gebraucht, dasselbe gilt von gr. tikto und lat. pario.) Daraus ergibt sich, daß sexus = Geschlecht beide getrennte Teile des Individuums, männlich und weiblich, umfaßt. Bei dieser Gelegenheit mache ich darauf aufmerksam, daß die Schere ihrer Form und Leistung nach Symbol des Weiblichen im Geschlechtsakt ist und auch vom Unbewußten so aufgefaßt wird; es wäre denkbar, daß das Unbewußte aus der Tatsache der gespreizten weiblichen Schenkel und der schicksalsmäßigen Folge der Entmannung des Mannes im Beischlaf die Anregung zum Erfinden der Schere genommen hat. Ich erinnere an das englische to clip = umarmen.

Der dritte Bestandteil des Individuums, das Kindliche, ist in dem Wort sexus allerdings nicht enthalten (ganz anders als bei dem deutschen »Geschlecht«, das sich auch auf Abstammung bezieht 129 und das Kindliche mitbetont als Resultat des Abschlagens), aber ich halte es für möglich, daß das Wort saxum (Fels, Stein) ebenso wie das schwedische skär = Felseninsel und klippa = Klippe der Symbolik des von der Mutter (Berg) abgesprengten, vereinsamten Kindes entsprungen ist. Zu dieser Annahme glaube ich einiges Recht zu haben. Das schwedische skär, dem das deutsche Klippe, weiterhin Riff entspricht, ist im Grunde Insel, lat. insula. Insula ist nach Walde das im Meere oder Salzwasser liegende (gr. en hale usa, εν ἁλη ουσαa) in sale. Wiederum muß ich feststellen, daß der Mensch bei Dingen im Salzwasser zunächst an das Kind gedacht haben muß, denn das Kind im Mutterleib hat er früher gekannt als das Meer. (Vermutlich sind mare = Meer und mater = Mutter nicht bloß klangähnlich, sondern stammverwandt.) Die Beziehung des schwedischen skär zum Komplex Mann-Weib-Kind gewinnt dadurch an Kraft. Aber auch das deutsche Klippe führt zum gleichen Sinn hin. Klippe (engl. cliff), meint Kluge unter Klippe, könne mit dem isl. klifa = klettern nicht verknüpft werden, weil das gemeingermanische kliba-, von dem Klippe herkomme, kleben bedeute, kleben und klettern stimmten nicht zusammen. Ich könnte an den bekannten Volkswitz erinnern, daß das Kind an der Nabelschnur hochklettert, aber das ist nicht nötig. Denn unter dem Stichwort »kleiben« sagt derselbe Kluge, daß anord. klifa = klettern, klimmen zu kleben gehöre. (Wir sagen, jemandem eine Ohrfeige »kleben«, der Schweizer nennt die Ohrfeige »Chlefe«; Kleiber = Spechtmeise, angeblich weil er das Eingangsloch zum Nest zuklebt, wahrscheinlich aber weil er der einzige Vogel ist, der auch abwärts klettern kann.) Das Wichtige darin ist, daß »kleben« mit den Wörtern »leben« und »bleiben« stammverwandt ist, das Lebende ist das Bleibende, das, was bei dem beiderseitigen Sterben des männlichen und weiblichen Sexus im Geschlechtsverkehr lebendig bleibt, das Individuum, wie ich es verstehe, das Kind, das im Salzwasser Seiende, die Klippe. Und wenn man den Weg des Samentierchens bei der Befruchtung bedenkt oder das Geborenwerden des Kindes, so liegt es klar vor Augen, daß die Tätigkeit des Kletterns dabei notwendig ist, daß der Same klebrig ist, hat noch niemand bezweifelt. – Weitern Aufschluß gibt das Wort 130 Riff (engl. reef), Kluge erwähnt, daß man es mit rifa = Ritze, Spalte, Riefe zusammenbringe, das würde heißen mit dem weiblichen Geschlechtsteil. Das englische rifle = Büchse, Gewehr leitet zu dem Männlichen über. Denn, sagt er, nord. rif (unser Felsenriff) laute gleich mit nord. rif = Rippe, was wohl nur Zufall sei. Aber es ist wohl kein Zufall, denn Rippe – ich sehe ab von der hebräischen Sage über die Erschaffung des Weibes – ist urverwandt mit Rebe, das von idg. rebh = umschlingen herkommt. (Ahd. hirni-reba = Hirnschale.) Das Unbewußte zwingt den Etymologen, die richtige Verbindung herzustellen, ohne daß er sich dessen bewußt wird: denn da ist kein Zweifel, die Urumschlingung ist die von Mann und Weib.

Wollte ich in dieser Richtung weitergehen, so könnte ich leicht noch manches Problem zu diesen Wörtern hinzufügen. Der Leser wird sich vieles selbst ergänzen müssen, zustimmend oder ablehnend. Ich möchte aber einen Einfall nicht unerwähnt lassen, der sich mir aufdrängt. Das Wort Rebe in seiner Ableitung von rebh = umschlingen führt zu einem losen Zusammenhang mit dem Sexus von Mann und Weib. (Die Gewohnheit, die Rebe – weiblich – so zu pflanzen, daß sie den Baum [Oberitalien] oder die Stange – männlich – umschlingt, bestätigt das.) Schlingen ist »hin und her ziehend schwingen« (Kluge), wie es sich noch in den Wörtern »schlingern, schlenkern, Schlange« erhalten hat (auch andre Sprachen beweisen dasselbe). Die Sinnesverwandtschaft mit dem Leben gebenden Verkehr von Mann und Weib wird noch deutlicher, wenn man, wie es allgemein geschieht, dem Wort »schlingen« den Sinn von »schlendern« beilegt und das alte Phallussymbol »Schlange« dazu nimmt. Wählt man für »umschlingen« umwinden, so ist es dasselbe (Windel, wickeln). Winden führt zu »Wende« = Grenze, Umkehr (Wendeltreppe Symbol der Zeugung und Geburt) und »wenden« = sich ändern. Fügt man dem hinzu, was ich über Rippe und Riff und Kind gesagt habe, so gewinnt die hebräische Legende immer mehr symbolischen Halt. Das Leben kommt in Beziehung zu dem Auspressen des Traubensafts, zum Wein. (Leben, bleiben, kleben, Klippe, skär, Insel.) Auch das Wort Kelter gehört hierher, es ist mit lat. calcare = treten stammverwandt 131 (calcar = Sporn ist männliches Symbol). Man könnte diese Verbindungen rasch ablehnen, aber es erheben sich Schwierigkeiten. Im Griechischen gibt es ein Wort omphax (ομφαξ) = unreife Weinbeere; es steht in enger Verwandtschaft mit omphalus – amphi – phallus, amphi (αμφι), wahrscheinlich verwandt mit um- = umschlingen, umwinden, sicher verwandt mit lat. ambo = beide. Kelter heißt im Griechischen lenos (λενος) = Trog, Sarg, Standloch für den Mast, Wagenkasten, alles weibliche Symbole; es kommt von der Wurzel le-, die »ergreifen, wollen«, aber auch »hingeben« bedeutet; die Geschlechtsbeziehung ist auch hier gegeben. Für »Wein« hat das Griechische oinos (οινος), das geradezu urverwandt mit dem lateinischen vinum = Wein ist. Nach Walde hängt vinum mit vieo = ranken, flechten zusammen. Er führt eine Menge Ableitungen und Verwandtschaften mit vieo an (unter andern vitus = Radfelge, das zu phallus leitet), leider nicht das Wort viesco = verwelken, verschrumpfen, das das Gleichnis des männlichen Einschrumpfens durch das Umwinden des Weiblichen erst verständlich macht. Noch viel weniger stellt er eine Verbindung mit vita = Leben und vivere = leben her. Auch vir = Mann fehlt in diesem Verzeichnis der Wortverwandtschaften. Das Wort für Kelter »torcular« ist mit torqueo = drehen, winden zu verbinden, bietet also auch wieder das Gleichnis des Männlich-Weiblichen.

Das griechische Wort für Insel ist nesos (νησος); Prellwitz bringt es in Beziehung zu naus (ναυς) = Schiff, das von der Wurzel nau-, schwimmen herkommen soll (ebenso lat. navis = Schiff, nauta = Schiffer), nausia (ναυσια) ist die Seekrankheit. Nesos (νησος) ist demnach die im (Salz-) Wasser Schwimmende, in sale – insula.

Für Wort und Begriff »Klippe« gibt es petra (πετρα), spilas (σπιλας), skopelos (σκοπελος). Von petra gibt es das Maskulinum petros = Stein, während sich das Femininum in altisl. hvedra = Riesin, Berg wiederfindet. Das Zwiegeschlecht kommt in spilas ebenso deutlich hervor: im Deutschen sind damit verwandt spitz, Spießer, Spieß. Die Wurzel spilo- ausdehnen, spi- spannen, strecken ist bezeichnend für die phallischen Beziehungen (Speile, Speiche, mhd. spicher = Nagel, ahd. spinula = Stecknadel, lat. spina = Dorn, Gräte, spica = Ähre, spicare = spitzen usw.). Skopelos soll mit 132 skeptomai (σκεπτομαι) = Wache halten, spähen zusammenhängen. Skepas (σκεπας) ist Schutzdach, Hülle – weibliches Symbol. Die Sinnbeziehung zu sehen und Auge ist wichtig. Im Schwedischen heißt Insel ö, das Auge heißt ögon; im Deutschen ist Au, Aue = Insel, Wasser, die althochdeutsche Form ist augia, fast dasselbe Wort wie Auge; im Englischen ist Insel island (unser Eiland), es lautete im Angelsächsischen eg, egland, im Altnordischen ey. Natürlich liegt für mich als Laien die Annahme nahe, daß hier eine Verbindung zwischen island, eye und egg, zwischen Ei und Auge und Eiland bewiesen sei. Aber die Etymologen sind andrer Ansicht. Man lernt es, sich zu fügen.

Das »Scheren« heißt im Griechischen kura (κουρα) von keiro und koreuo = scheren. Auch da kann ich mich nicht der Meinung enthalten, daß dieses Wort etwas mit kore (κορη) = Mädchen und kuros (κουρος) = Knabe zu tun hat; das Mädchen wegen Gestalt und Funktion der Schere, der Knabe weil von kuros, koros das Wort korthyno (κορϑυνω) = erheben abgeleitet ist; die Wurzel lautet angeblich cera, cor = ragen, sich erheben, von der auch lat. crescere = wachsen und creare = erschaffen abhängig sein sollen.

Die lateinischen Wörter für Klippe sind cautes und scopulus. – Cautes kommt nach Walde von cos = Wetzstein; er scheint es mit acutus = spitz zusammenzubringen, läßt sich nicht überzeugen, daß cos etwas mit coxa = Hüfteneinsatz, Hüftbeingrube oder gar costa = Rippe zu tun habe; allerdings gäbe es ein ab. Wort kost = Knochen, aber nun gar das russische kosa = Sense könne nicht als verwandt in Frage kommen. Das ist aber nach dem, was über secare und Sense zu sagen ist, gar nicht so unwahrscheinlich. – Wenn übrigens costa und coxa, cos = Wetzstein (man denke an die Bewegung des Wetzens und an die obszöne Bedeutung davon) doch zusammenhängen sollten, paßt coxim = zusammengekauert (Erschlaffung) gut dazu.

Scopulus = Klippe bringt Walde mit scapus = Schaft, Stengel, scopio = Stamm des Spargels, ahd. skaft = Speer, gr. skeptron (σκηπτρον) = Stab, Zepter zusammen. Die phallische Bedeutung ist ohne weiteres klar.

133 Die Schere heißt im Lateinischen forfex. Prellwitz (und halb und halb auch Walde) bringt es auf forma = Gestalt und facere – fex = tun zurück. Wenn »schneiden, scheren« Symbol des Geschlechtsverkehrs ist, könnte man es sich nicht besser wünschen. Das Verbum scheren heißt lat. tondeo (tonsura), und tondeo wird von gr. tendo = abnagen abgeleitet; ob es auch zu lat. tendo = spannen, dehnen gehört, habe ich nicht feststellen können.

Wenn ich vorhin die Entstehung des Gedankens und Worts Schere aus dem Geschlechtsverhalten des Weibes herleitete, so führen die Wörter sica = Dolch, sahs, sachs = Messer, Schwert (alle verwandt mit secare) auf die Form und Tätigkeit des Männlichen zurück, ebenso kann sich sech = Pflugmesser nur auf die männliche Sexualität beziehen. (Das Pflügen ist uraltes Symbol der männlichen Geschlechtsbetätigung.) Man kann, wenn man will, den Begriff Schneiden, der in diesen Wörtern liegt, mit der Beischlafsbewegung, mit der Samenergießung oder mit dem Erschlaffen des Gliedes zusammenbringen, wie ich es getan habe. Ein weiteres Wort läßt noch eine andre Deutung zu, das ist das Wort Schermaus für Maulwurf. Selbstverständlich ist der Maulwurf mit seiner geheimnisvollen unterirdischen Tätigkeit, mit dem Graben des Gangs im Schoße der Erde ein treffliches Symbol des Männlichen, das ja vom Geheimnis lebt und den unterirdischen Gang gräbt. Die Silbe Scher könnte vom weiblichen Partner genommen sein, eine Schere, die das Glied – Maus zum Erschlaffen bringt, abschneidet. Die Art der Zusammensetzung spricht aber eher dafür, daß die Maus schert, als daß sie geschoren wird. Und außerdem wäre das Auffallende im Dasein des Maulwurfs, das Aufwerfen des Hügels, in dem Symbol nicht mit erfaßt. Deshalb glaube ich, daß der Ausdruck Schermaus sich auf den Vorgang der Geburt beziehen läßt. Das Ganggraben wäre der Geschlechtsakt, das Aufwerfen des Hügels die Schwangerschaft, das Erscheinen des Maulwurfs die Geburt, die notwendig die Abnabelung zur Folge hat. Schermaus würde die vorbereitenden Vorgänge bis zum Moment des Scherens, der Abnabelung umfassen.

Das Phänomen der Schwangerschaft (Hügel der Schermaus) bringt mich zu dem Kyklos, Zirkel, Kreis zurück. Der Begriff des 134 Kreises erfordert den des Mittelpunktes, und hier lassen sich wieder andre Fäden anknüpfen. Freilich mit dem Wort Mittel, Mitte, lat. medius, gr. mesos (μεσος) weiß ich nichts anzufangen, und die Etymologie gibt mir nicht den geringsten Aufschluß! Dagegen ist Punkt unbedingt der Stich als Resultat des Stechens (lat. pungere). Und nun ist es merkwürdig, daß das gleichbedeutende Wort Zentrum Stachel heißt (gr. kentron, κεντρον). Man gibt eine einfache und sicher richtige Erklärung dafür, daß das Zentrum des Kreises ein Stachel oder ein Hineingestochnes (punctum) ist. Die Kreislinie wurde mit Hilfe eines Pflockes als Mitte und eines Fadens oder Seils als Radius auf der Erde gezogen und in sie mit einem zweiten Werkzeug am andern Ende des Radius eingeritzt. Die Symbolik des Radius als Nabelschnur, des Zentrums als Ansatzstelle der Schnur am Mutterkuchen (Placenta), des Kreises als der größten Entfernungslinie, die die Schnur zwischen Mutter und Kind gestattet, liegt nahe. Punctum mit dem Stachel kentron darin ist aber auch der Augenblick, in dem Männlich und Weiblich (sexus) sich zum individuum vereinen, dann ist der Kreis die Welt; denn das Weltgeschehen ist Streben des Sexus zum Individuum. Da diese Kreislinie nach allen Seiten hin denkbar ist, gehört auch der Begriff der Kugel (gr. sphaira, lat. globus) in den Komplex des Nabels und der Schwangerschaft hinein.

Vorläufig werde ich erst einiges über Placenta und Mutterkuchen sagen. Walde leitet placenta von dem gr. plakus (πλακους) = Kuchen unter Zuhilfenahme des lat. placeo = gefallen, eben sein ab (fr. plaire, engl. please, it. piacere). Man könnte kein treffenderes Wortgleichnis für den gefälligen Zustand des Kindes im Mutterleibe erfinden. (Das italienische piano, das in der Musik so bedeutend ist, gehört zu placeo, planus = flach, eben.) Das griechische plakus leitet Prellwitz von einer Wurzel plak- breitschlagen her; es hat ebenso wie placenta die Nebenbedeutung Kuchen (Fladen). Zu dieser Übereinstimmung, in allen drei Sprachen dem Gebilde die Bedeutung Kuchen zu geben, hat wohl nicht nur die Form des Mutterkuchens Veranlassung gegeben, sondern ebenso der selige Himmelszustand der Leibesfrucht während des Aufenthalts in der Mutter; die Vorstellung vom Kuchen ist von der Glückseligkeit 135 nicht zu trennen, und so ist es natürlich, die Ernährung des Kindes mit Kuchen zu verbinden.

Dem Wort Kuchen etymologisch beizukommen ist kaum möglich. Ein Laie wird zunächst an Kochen, Koch, Küche denken; aber eben nur ein Laie. Die Wissenschaft denkt darüber ganz anders. Wenn ich es recht verstanden habe, ist das Haupthindernis, Kuchen mit Koch zusammenzubringen, die verschiedene Länge der Vokale, wozu noch für Kuchen ein gedehntes a im schwedischen kaka und englischen cake kommt, die abgründig vom lustigen kurzen o getrennt sind. Vielleicht sind es aber andre lautgesetzliche Hindernisse, die solche laienhaften Zusammenstellungen unmöglich machen. Aber was kümmert das mich? Für mich steht es fest, daß die älteste Küche der Welt der Bauch gewesen ist, im besondern der Frauenbauch mit dem Kessel der Gebärmutter und der Feuerstätte der Scheide, und daß der erste Koch der Mann gewesen ist, der das Feuer entzündete und die Frau mit Hilfe seines symbolischen Küchenjungen schwängerte. Und dieser Küchenjunge heißt im Französischen coq (coquet, coquin) und im Englischen cock, im Deutschen Gockler, und im Lateinischen heißt kochen coqueo. Coq ist die Bezeichnung für den männlichen Geschlechtsteil, heißt aber Hahn, Hahn ist wieder das Tier mit Kamm und Sporn, bezeichnet aber ebenso wie coq den Geschlechtsteil, und im Schwedischen heißt »han« er, »hun« (hon geschrieben) sie, »hennes« ihrer. Da ist die Bescherung. Das Hühnchen ist Küchlein, die Küche ist Kuchel (engl. chicken und kitchen). Und Placenta ist das griechische plakus und das deutsche Fladen, alles miteinander Wörter für Kuchen, und im Schwedischen ist Kuchen kaka, und während der Deutsche Kuhfladen sagt, sagt der Schwede für dasselbe Ding kokaka. Und kacken? Nein, das geht zu weit. Das ist nicht mehr anständig.

Aber es ist wahr. Wenn ihr armseligen Menschenkinder nicht in eurem Darm, dieser vortrefflichsten Küche, Millionen kleiner Mikrobenköche hättet, würdet ihr bald erledigt sein. Sie backen den Kuchen, den der rohe Barbar Kacke nennt, und die Mikroben des Spermas backen den Mutterkuchen, und symbolisch, das ist längst bewiesen, ist Geburt und Entleerung, Kind und 136 Kacke dasselbe (Atavismus?). Ja, es ist unanständig, aber es ist wahr.

Der Mensch ist unersättlich, indezente Dinge in sich aufzunehmen. So gehe ich denn weiter. Die Henne legt Eier, das heißt dem Wesen nach kackt sie diese Eier, und dazu gackelt sie, kackeln und kakern sind andre Ausdrücke dafür. Im Griechischen heißt das Rebhuhn kakkabe (κακκαβη), kukkazo (κακκαζω) = gackern, kakkao (κακκαω) = kacken, kakke (κακκη) ist identisch mit unserm deutschen Wort.

Artokopos (αρτοκοπος) ist Koch, kopros (κοπρος) = Mist. Die ersten Silben des Worts führen zu artos (αρτος) = Brot und hängen zusammen mit artyo (αρτυω) = fügen, bereiten, würzen, und dies Wort führt zu ararisko (αραρισκω) = fügen. Da stehen wir nun gar vor einer großen Auswahl: ai. gibt es ein Wort »arpayati = steckt hinein«, aram = passend, aras = Radspeiche, araris = Türflügel, lauter erotische Symbole; ab. irmas- arema = Arm (umarmen, embrasser), lat. artus = Gelenk, gr. artys (αρτυς) = Freundschaft, Verbindung, arthron (αρϑρον) = Gelenk, arachne (αραχνη) = Spinne, aresko (αρεσκω) = zufriedenstellen, befriedigt werden, areion, aristos (αρειον, αριστος) = besser, der beste, arete (αρετη) = Manneskraft (virtus =Tugend). – Alles von der Wurzel ar- vereinigen.

Das Gebilde des Mutterkuchens gibt mir Veranlassung zu einigen Bemerkungen, die bis zu einem gewissen Grade das »individuum«, die gewaltsam getrennten »sexus« und die Wiedervereinigung dieser beiden zum »individuum« verdeutlichen sollen. Der Mutterkuchen entsteht durch Wachstumsvorgänge von der Gebärmutter aus und durch solche vom Kinde aus. Von beiden Seiten bilden sich Platten, die mit Zotten bedeckt sind, so daß die Zotten des kindlichen Teils in die Vertiefungen des mütterlichen hineinwuchern und ebenso die mütterlichen Zotten in die kindlichen Tiefen. Die kindliche Hälfte wird niemals Bestandteil der Mutter, die mütterliche niemals des Kindes. Vielmehr könnte man das Verhältnis mit dem Falten der Hände, wo die Finger der einen Hand sich zwischen die Finger der andern legen, vergleichen, nur daß die kindlichen Zotten nicht aus den mütterlichen Tälern herausgezogen werden können. Der weitverbreitete Glaube, daß mütterliches Blut 137 in den kindlichen Organismus überfließe, ist falsch, ja, es muß hier deutlich und scharf ausgesprochen werden, daß das Kindliche von dem Moment an, wo das Ei den mütterlichen Eierstock und das Samentierchen den väterlichen Hoden verläßt, nicht den geringsten organischen Zusammenhang mehr mit den Eltern hat, daß eben die beiden »sexus« sich selbsttätig aufgesucht und zu einem »individuum« zusammengefügt haben. Von dem Samen wird das ein jeder sofort zugeben; da aber das Kindliche innerhalb des Mutterleibes, allerdings ohne organische Verbindung, sondern nur zur Pflege bleibt, hat sich die Meinung auf allen Lebensgebieten durchgesetzt, daß Kind und Mutter näher zueinander ständen als Kind und Vater. Bis zu einem gewissen Grade ist das richtig, ebenso wie es richtig ist, daß ein Haus, in dem wir lange Zeit wohnen und große Erlebnisse haben, uns vertrauter ist als eines, in dem wir nur die frühesten Kindheitswochen zugebracht haben; aber unter Umständen ist das Stammhaus, das seit Jahrhunderten steht, für uns wichtiger als das Geburtshaus; das läßt sich nicht ohne weiteres entscheiden, es sind Imponderabilien. Jedenfalls aber ist das Kindliche weder Schöpfung des Vaters noch der Mutter, sondern des Wiedervereinigungszwangs des »sexus« zum »individuum«. Die Samenzelle sucht aus eigner Kraft das Ei auf, und aus eigner Kraft öffnet sich das Ei zum Empfang des Zellenbräutigams. Und wie bei dem Mutterkuchen ist diese Vereinigung der »sexus«, Ei und Samenzelle, keine Vermischung, sondern ein Ineinanderfalten, vergleichbar dem Händefalten, der Umschlingung von Mann und Weib, nur daß sie unlöslich ist. So wenigstens darf man nach dem augenblicklichen Stande unsres Wissens urteilen. Naturgegeben ist die Beziehung Mutter–Kind als Notwendigkeit für das Kind nur für die Zeit der Schwangerschaft; mit der Geburt endet die Mutterschaft im tiefsten Sinne des Worts, von da an kann die Mutter ersetzt werden. Das Kind verläßt die Welt des Mutterleibes und tritt in neue Weltordnung ein.

Der vorgeburtliche Zustand des Menschen ist Geheimnis, wie schon die Verhüllung dieses Zustands in der Höhle des Mutterleibs zeigt, und dieses Geheimnis ist unantastbar, seine Wirkung unermeßlich. Höhle und Heiligtum entstammen derselben Wurzel. 138 Es ist nicht statthaft, dem heiligen Geheimnis nachzuspähen, es ist auch erfolglos. Aber man kann versuchen, sich einiges klarzumachen, die Bedeutung des Heiligen an den Folgen zu ermessen, die auch die nachgeburtlichen Beziehungen des Menschen zu seiner Mutter haben, Beziehungen, die, wie es scheint, nur der Mensch sein Leben lang bewahrt und pflegt. Nur so kann man dazu kommen, die Mutter zu verehren, und Ehrfurcht vor der Mutter ist Bedingung des menschlichen Lebens. Der Rahmen dieses Buches würde gesprengt werden, wenn ich näher auf diese Dinge eingehen wollte, die sich auf dem Grenzgebiet der Menschenperson und des Menschenindividuums abspielen. Person und Individuum sind wesensbedingende Eigentümlichkeiten, die miteinander verschlungen sind, weder das eine noch das andre steht höher oder niedriger, sie sind beide menschlich.

Zu der Erscheinung Individuum–Sexus ließe sich leicht eine Parallele Keimplasma–Körperplasma ziehen. Meine Kenntnisse auf diesem Gebiet würden aber nur Wiedergaben der Erfahrung andrer sein. Ich verzichte lieber auf ein Mäntelchen der Wissenschaftlichkeit, schon weil ich erwarten müßte, daß dies Mäntelchen sehr rasch von denen abgerissen werden würde, die sich durch Arbeit das Recht erworben haben, das Gewand der Wissenschaft zu tragen. Lieber wiederhole ich meine Meinung, daß sexus lediglich eine Verkleidung der unteilbaren Dreieinheit des Menschlichen ist, daß schon Ei und Samenzelle individua sind, die nur der Form nach verschiedenes Geschlecht haben. Bei der Befruchtung verschwindet der sexuelle Charakter und die Individualität, die bei dieser Verschlingung beider formell verschiedener individua entsteht, löst sich nicht wieder, sie ist in gewissem Sinne ewig. In dem Mutterkuchen ist diese Verschlingung von Weiblich-Kindlich-Männlich formell unlöslich, sie hat aber keine lebendige Dauer, mit der Geburt verliert dieses Symbol der Dreieinheit sein Leben. Im Laufe des embryonalen Lebens nimmt die Individualität wieder die Form des geschlechtlichen Unterschiedes an und führt schließlich zu dem, was wir als Mann und Weib im Gegensatz zueinander sehen.

Das tägliche Leben, nicht zum wenigsten die Gewalt des Eros, macht uns fast ganz blind für die Tatsache des dreieinen 139 Menschlichen, das trotz aller sexuellen Unterschiede beider Geschlechter tiefstes Leben regiert. Die Frage nach Männerrecht oder Frauenrecht, nach Elterngewalt und Kindererziehung dringt nicht bis zu den Tiefen. Aber niemand kann an ihnen vorübergehen, unser Erleben ist bedingt durch die verschiedene Form des Unteilbaren als Mann oder Weib, als Mannbar oder Kind. Die Unterschiede von Mann und Weib sind da, und sie suchen nach einem Ausgleich, der für den kurzen Moment der seelischen oder körperlichen Vermischung eintritt, um sofort wieder zu verschwinden. Man kann mit Recht diese kurzen Momente der Erosherrschaft das erschütternde Symbol des Menschlichen nennen; wenngleich die seelische Verschlingung wohl die innigere ist, so könnte zur Darstellung des Symbols doch nur die körperliche Verschlingung gewählt werden. Daß die Kunst fast nie wagt, diese Verschlingung darzustellen, und daß, wenn sie es wagt, das Wagnis immer künstlerisch mißlingt, ist der beste Beweis, wie mangelhaft sich tiefste Symbole im Bilde und, wie ich zufüge, im Wort ausdrücken lassen. Der Gott, der Mensch ist, der Mensch, der Gott ist, kann nicht dargestellt werden.

Die Kunst vermag nur Mann und Weib gegenüberzustellen. Der Typus, den sie dafür im letzten Jahrtausend gewählt hat, ist Adam und Eva im Paradies.

Von Albrecht Dürers Hand gibt es einen Kupferstich, der den Sündenfall darstellt (Taf. 8); in dem hat das Unbewußte – oder war es das Bewußte des frommen Schalks – in wenigen Strichen viel vom Menschenleben erzählt. Da sind zunächst im Vordergrund des Bildes zwei Tiere, dem Adam gehört ein harmloses Mäuschen an, vor Eva sitzt eine Katze; zum Zeichen, daß sie zu Eva gehört, ringelt sich ihr Schwanz zwischen den Beinen des Weibes. Wer kennt nicht Frauen, die beim Wahrnehmen der Maus auf den nächsten Stuhl klettern, damit die Maus nicht unter den Röcken nach dem Mauseloch sucht? – Wer wüßte es nicht, daß die Katze, die die Maus frißt, ein Weibessymbol ist? – Zwischen Adam und Eva strebt der Baum in die Höhe, der das Werkzeug versinnbildlicht, mit dem Mann und Weib sich vereinigen. Und dieser Stamm trägt nach Evas Seite hin einen ragenden Ast voll lockender Früchte; um ihn und den Stamm schlingt sich die Schlange, dies 140 Wahrzeichen vom Manne, vom Weibe und von beiden zusammen, und Eva nimmt dem Tiere den Apfel aus dem Maul. Adam hält schon die Hand hin, den Apfel zu nehmen. Aber was bedeutet es, daß Eva schon in der andern Hand einen zweiten Apfel hat, den sie hinter ihrem Rücken vor Adams Blick versteckt? Und warum ist dem Adam der Hirsch beigegeben, der sein Geweih zur Schau trägt? Adam schaut sein Weib an, Eva sieht nur den Apfel. Dürer war nicht der Meinung vom Weibe, die unsrer Zeit so seltsames Gesicht gegeben hat. Damals war wohl der Mann mehr der Gefahr des Geweihs ausgesetzt als in unsern Tagen der Frauentreue. Fruchtbarer war das Weib sicher: Eva hat das Kaninchen bei sich, die Äpfel hängen zu ihr hin, und hinter ihr ruht die Kuh. Adams Ast – er zweigt sich von einem Stamm hinter seinem Rücken ab und Adam hält sich an diesem Ast –, Adams Zweig ist früchtelos, nur ein Vogel sitzt darauf, ein Papagei, und eine Tafel prahlt von den Taten des Mannes Dürer. Dieser Stamm Adams, von dem er wegschreitet, hat weibliche Symbole in zwei klaffenden Spalten der Rinde, ein zweiter Ast – Kind legt sein Laub vor das männliche Abzeichen: Adam geht von dem Symbol des Menschlichen aus, so scheint es, aber er verläßt Vater und Mutter und Kind – das Symbol – für das Weib, das ihm den Apfel geben wird, sie ist Imago geworden. Evas schamschützendes Laub kommt von dem Apfel her, den sie vor Adam verbirgt. Die Mutter Kuh ist noch dicht hinter ihr, aber der stoßende Vater Steinbock ist auf einsamen Felsengipfel verwiesen. Für Dürer war, scheint es, das Weib noch kein unlösbares Rätsel.

Bei früherer Gelegenheit habe ich Michelangelos Creazione dell'Uomo besprochen, in der das Mysterium von der Erschaffung des Mannes aus der Vision des Menschlichen dargestellt ist. Bei dem Gegenstück des Bildes, der Creazione della Donna (Taf. 9), ist das Mysterium ergänzt. Keine Spur der leidenschaftlichen Erregung des andern Bildes ist hier vorhanden, auch nichts von dem visionären Charakter. Das Weib, vom Gotte losgelöst, hat den Ausdruck des Staunens behalten, ja, dieser Ausdruck hat sich bis zur Ehrfurcht geläutert. Sonst herrscht auf dem Bilde Ruhe und Schlaf. Das Weib ist in der Umarmung des Mannes entstanden, das 141 Unbewußte kennt das Geheimnis, daß das Mädchen Weib wird nicht in der Empfängnis, sondern im Liebesspiel mit dem Manne. Das Sichfortpflanzen ist eines der vielen Ergebnisse des Liebesspiels, kann es zuweilen sein, aber niemals fehlt in diesem Sichvereinigen, daß der Mann seine Kraft verliert und zum Kind wird, während das Mädchen zum schützenden Weibe des Mannes wird, zur Hüterin über seine Schwäche, zur Mutter des Geliebten. Auf Michelangelos Bild schläft der Mann in vollkommener Erschlaffung. Die Stümpfe von Baum und Ast betonen symbolisch, daß ihm die Mannheit genommen ist, und der riesige Gott der Creazione dell'Uomo ist alt und überragt nicht mehr das Menschenmaß, sein Rücken ist gebeugt, er ist der Weise, dessen Leidenschaft nicht mehr das Weib begehrt, sondern in verhaltner Kraft mit gekrümmten Armen und gebognem Knie das anbetende Weib dem Kosmos eingliedert. Dem Gotte entgegen schreitet das Weib der Mutterschaft zu, die es vom Manne trennen wird. Alles in ihr ist ehrfürchtige Huldigung der Erschaffenen vor dem erzeugenden Gott, nicht mehr Anstaunen des Geliebten, den sie, einer neuen Zukunft zugewendet, treulos verläßt. Und wie der Mann nach dem Schlaf seine Fähigkeit, Mann zu sein, wieder hat, so wird die Mutter wieder zum Mädchen, um die liebliche, gut zu essende Frucht der Liebe mit dem Manne zu teilen. 142

 


 << zurück weiter >>