Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Galgen-Männlin
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAPUT IV.
Fernere Continuation Simplicissimi Schreibens.

Sonst gibts auch Land-störtzr und Be-triegr / die durch Künst Galgn-Männl machn / und den Leutn ver-kauffn; abr hüt dich / du kriegst sonst zgleich mit dem Teuffl zu thun / und wirst von beydn Btriegrn btrogn. Jch schweig jetzt von dem / daß solch Geld / welchs uff die und andr der-gleichn weiß ein-geht / eim jedn wie dem Hund das Graß bkommt.

 
Anmerckung.

Damit ich die Mühe spahren möge / und mit Erläuterung der unterschiedlichen Betrügereyen so die Landfahrer brauchen / wann sie jemand mit dem Galgenmännlin anführen wollen / den Kopff nicht sehr zerbrechen dörffe; So will ich nur auß Joh. Prætorii newer Weltbeschreibung von allerley Wunder-Menschen / da er von Pflantzleuten schreibt / einen Extract hieher setzen / daraus eines theils Simplicissimi Meinung genugsam erhellen wird / wann er seinen Sohn allhier vor den Landfahrern warnet. So setzet nun gemelter Autor an besagtem Ort folgendes / und zwar mehrern theils aus anderen. Erstlich aus Barthol. Cent. 2. obser. Anat. cap. 51. pag. 317. Von dem Alraun redet man viel / daß durch Erzehlung der Alten und Jungen bewehret ist; wie er wegen der menschlichen ähnlichkeit stattliche Würckungen habe; seinem Besitzer / die Glückseligkeit; und den unfruchtbahren Frawen-Personen die Fruchtbarkeit zu wegen bringe; deßwegen begehrte Rahel hefftig einen Apffel-Alraun. Dann Lemnius de Herb. Bib. c. 2. hält darfür / daß er mit seiner schlaff erregenden kühlenden Krafft / die hitzige und dessentwegen zu der Empfängnus untüchtige Gebehr-Mutter in den warmen Ländern und Weibs-Persohnen mässigen könne. Die Wurtzel aber des Alrauns ist mit ihrem abwertz erstreckten zweyzinckigten Ast einem Menschen und desselben zweyen Schenckeln in etwas ähnlich / aber der obere Stamm gleichet dem Menschen gantz nicht: Es werden aber allerley Wurtzeln also zubereitet / daß sie die menschliche Gestalt vorbilden. Man gräbt die Stickwurtz mit Haber besteckt in die Erde / biß die Blätter ausschlagen / welche getreuget / den Hauptharen gleich sehen.

Die art dieser Zubereitung deutet Matthiolus in cap. 71. l. 4. Diosior. an. Jn die noch grünende Wurtzeln des Schilffrohrs / des Hundskürbs / und anderer Pflantzen / schnitzlen die Betrieger so wol Manns- als Frawenbilder / und stecken in dieselbe Oerter / da sie das Haar wollen haben / Gersten und Hirsenkörner / darnach machen sie eine Grube / und bedecken selbige so lang mit wenigem Sand / biß erwehnte Körner Wurtzeln schiessen / welches auffs höchst innerhalb 20. Tagen geschiehet / hierauff nehmen sie es wieder aus / und beschneiden die aus den Körnern angewachsene Wurtzeln mit einem scharffen Messerlein / und berahten sie also / daß sie die Gestalt der Haupt- Bart- und anderer Haar des Leibs abbilden. Matthiolus hat diese art der Aufbutzung des Alrauns zu Rom von einem Landstreicher gelernet / welcher selbige den leichtgläubigen vor grosses Geld verkaufft. Es sind zwey von dieser Art zu Neapolis in der Kunst-Kammer des Imperati vorhanden / welche gar wol einen Menschen darstellen / und von den Wurtzeln des Alrauns / Hundskürbs und des Habers gemacht sind; in denen die Kunst vollführt / was die Natur unterlassen.

Neulich hat ein junger Kauffmann ein newe art nach Coppenhagen gebracht / er wiese uns einen Alraun der ihm durch die Post von Hamburg zugeschickt / und wie er berichtet / im Schweitzerland unter dem Galgen ausgegraben worden. Unser gemeiner Mann ist in gleicher Meinung / daß nemlich unter dem Gericht aus dem Harn eines erhangenen Menschen ein solcher kleiner Mensch entstehe / welches sie ein Draffne-Ducke nennen / dieses meldet der Kauffmann auch von dem seinigen / und schätzte es auff grosses Geld. Der Kopff war rund mit vier Erhöhungen bildet er die Augen / Nase und den Mund für / die Haar hingen ihm längst über den Rucken herab; der übrige Leib bestund aus Knochen / Mäußlin und Gelencken irgends eines Thiers. Es war in Warheit kein Alraunen Wurtzel / noch eine natürliche Zusammenfügung. Dann wie kan ein Thier aus einer Pflantzen entstehen / daß darzu noch Knochen habe? über das konte man sehen / daß der Kopff aus einer Eichen Wurtzel gemacht / und an dem Strumpff angeleimet war. Damit man aber dieses nicht in acht nehme / band er ihm einen Kragen von Haar zusammen gewickelt umb den Halß / die angesetzte Haar bestunden aus auffgedrückneten Zäserlein der Wurtzlen / dann auff dem Rucken waren sie loß / und konten nach belieben abgenommen und wieder aufgesetzt werden; der übrige Leib war irgends eines Thierlins / dieweil man warhafftige Knochen / Mäußlin und Eingleichungen sehen konte; von den verdorreten Mäußlin hatten sie ein Stücklin abgeschnitten / welches / wie man zu mehrerer Bekräfftigung darbey erzehlet / eine Fraw von der schweren Noht solte befreyet haben.

Als ich die Sach mit meinem Vater / dem / in der Kräuter Wissenschafft und der Zerglieder-Kunst höchst-erfahrnen / D. Fuirenio etwas genauer betrachtete / kam es uns für / als ob es ein auffgetreügter und in die auffgerichte menschliche Gestalt gedähnter Frosch wäre / dann die Brüstlein ragen an einem Frosch kurtz und breit herfür. Er hatte an den Händen nur vier Finger / und an den Füssen vier Zehen / welche an einem Frosch länger sind; allhier aber waren sie verkürtzt und stumpff darzu. Als wir mit dem Bein-Cörper des Frosches ein Vergleichung angestellt / war der Unterbauch beyderseits länglichter / und das Schamgebein ragte herfür / also entfiele dem Kauffmann nach entdecktem Betrug seine Hoffnung.

Unlängst sahe ich bey meinem Bruder D. Casparo Bartholino dem jüngern noch eine andere Gestalt des Alrauns / die weit warhafftiger schiene als die erste; darzu auch der Natur der wachsenden Pflantzen viel ähnlicher war. Es besitzet solchen / als ein hohe Sach / einer von den Rohtgiessern auff der Gammer Mühl / deß Großachtbaren Henrich Müllers / und dieweil ihm selbigen seine Mutter gegeben hat / schätzt er ihn dem Gold gleich. Das Haupt ist ohnaußgebildet und länglich / hatt die Wahrzeichen der Augen und des Mundes / die zusammen gewachsene Haupthaar sahen der abgetreügten Woll der Pflantzen gleich; ich vermeinte es sey die Wurtzel von dem Wasser Farnkraut / die von dem Podoneo l. 5. Pempt. 3. c. 2. abgebildet ist / mit welcher es eine grosse Gleichnus hat. Von diesem Knorren des Haupts erstreckt sich abwertz ein dichte und dicke Wurtzel welche den Strumpff des Leibs abbildet / und endlich in zwey abhangende Schenckel getheilt wird; aber die Gegend der Scham bekleidet obenerwehntes wollichteß Wesen / das sonderlich ist / daß ein Röckelein gleich einem Netz den gantzen Leib umbgiebet / welches denen aus einer Pflantzen abgesonderten Zäserlein ähnlich / an den Halß also angewachsen ist / daß man nicht mercken kan / ob es durch Kunst daran gesetzt sey? Dieses gantze Werck ist aus dem Geschlecht der wachsenden Creaturen zusammen gesetzt / und scheinet im ersten Anblick als ob es also gewachsen wäre. So fern man es nicht vor eine Alraunwurtzel halten soll / so ist es doch eine frembde Wurtzel / und das Netz nicht ungleich dem Sack deß von Clusio beschriebenen Sacktragenden Dattelbaums / zu diesem ende ich selbigen auch / dieweil er bey uns gantz ungewohnlich ist / allhier zu entwerfen für gut erachtet. Die erste Figur zeiget die Wurtzel / so oberhalb knorricht / und halb in zwey / mit den verkehrten Buchstaben gezeichneten Sprößlein abgetheilet ist / neben dem Hindertheil des Netzes; Die andere Figur stellet vor Augen das fordere von dem Leib abgerissene theil des Netzes; Hactenus ille. Dessen Figuren du d. l. suchen: und noch dieses aus Rauens Memorial 106. p. 91. hinzu thun kanst:

Was von der Alraun Wurtz wunderbahrem Ursprung vorgeben wird / (wann es anderst in Warheit also) ist männiglich bekant / daß nemlich dieselbe unter dem Hochgericht aus der Erden in Gestalt eines lebendigen schwartzen Knäbleins wachse / und wann es heraus gezogen / wegen des ohngewöhnlichen Tagsliechts einen hellen Schrey von sich lasse / so denen so es hören / entweder den gewissen plötzlichen Tod / oder grosse Unsinnigkeit bringe; und ist das Volck in der Meinung / es werde solches Männlin aus dem Chrysam (O Gottslästerlicher Glaube) so der justificirte Sünder im Tauff empfangen (wie? wann aber der gehenckte Un-Catholisch gewesen?) geboren. Seine Krafft ist / das Geld wunderbahrlicher weiß zu vermehren / andre zur Lieb zu bewegen / und dergleichen Wirckungen / und wird die weiß / wie man es mit einem Hund heraus ziehen soll / nach des gemeinen Manns vorgeben / von Boissardo im Tractat von Wahrsagungen / am End beschrieben / so weit vor dißmahl aus Prætorio.

Gleich wie nun der leidige Satan auff Verhängnus GOttes einem jeden ohne Zweiffel einen Venus-Berg daher gaucklen kan / umb (wie man von den fahrenden Schülern sagt) die schwartze Kunst allda zu studirn / wann gleich kein solcher Berg nirgends vorhanden; also gilts jhm auch gleich / ob er die Menschen mit Warheit oder mit Lugen in seine Strick und zu sich in die ewige Verdammnus bringe; ob er sie durch ein natürlichs selbstgewachsenes Galgenmännl (wie es hier in Rauens memorial beschrieben wird) oder durch ein mit Kunst zugerichtem und jhm ähnlich gemachtem Ebenbild betriegt; Jch weiß mich zu erinnern von einem Jtalianer gelesen zu haben / der einen Spiritum familiarem kauffen wollen / welchen aber der Verkäuffer / an statt eines solchen Spiritus mit einer grossen Spinn / so er in ein Gläßlein verschlossen / betrogen; Aber was geschicht? der Käuffer bildet sich festiglich ein / daß es ein rechter familiar-Geist wäre / und verrichtet darauff mit jhm eben die jenige Ding die er durch einen Spiritum hat thun wollen; und gleich wie die Wort Christi niemal fehlen / also treffen sie auch hier ein / wann er sagt: dir geschehe wie du geglaubet hast; wann jemand im Sinn hat von Gott abzufallen / und nicht gleich die Rew und Bekehrung folgt / so ist der Abfall schon halber: und wann der Vorsatz abzufallen fest gestelt worden / bereits gantz und würcklich geschehen.

Wann einer / der ein Galgen-Männl deß Gelts halber (massen sie Matth. Hammer in Virid. Histor. p. m. 48. auch Geltmännlin nennet) zu haben verlangte / einen Dieb auffknüpffen / und jhn das Wasser lauffen lassen sehe / hernach hingieng zuschawen / ob kein Alräungen gewachsen / umb solches mit bequemer Gelegenheit auszugraben; vermeinstu der leidige Teuffel der herumb gehet / wie ein brüllender Löw / werde alsdann feyern / einem solchen die Augen zuverblenden / daß er eines nach Wunsch dort sihet? oder vermeinstu er hab nicht genugsame Wissenschafft und natürlicher Sachen Erkantnus / das er in bälde auß irgends einer Wurtzel eins zurichten (könnens doch wie oben gehört / die Landstreicher) und dorthin untern Galgen partiren könte / alwo es der Mensch / der ihm in seine Strick zufallen entgegenlaufft / außzugraben beschlossen? kan nun diß seyn / wie dann ohne zweiffel geschiehet (massen ich nimmermehr glauben kan / daß ein solch Gewächs aus eines erhenckten Samen / Urin / viel weniger aus dem im Tauff empfangenen Chrysam erwachsen solte:) warum wolt sich dann nit auch der böse Geist zu einem mit Kunst der Menschen / ohn sein Mühe / bereits zum Betrug zugerichteten Bild / wie zu des gedachten Jtalianers Spinn / gesellen / und dort seine Dienst oder Tück ausüben / biß er den Besitzer des Dings zu sich in die Verdamnus gezogen? Und diß ists / warvor Simplicissimus seinen Sohn so getreulich warnet. Was ich aber von seiner Erinnerung wegen des uff solche und dergleichen weiß überkommenen Gelds vorzubringen habe / ist ins folgende Capitel versparet worden.


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