Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen
Galgen-Männlin
Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen

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CAPUT I.

Liebr Sohn

DEin Schreibn vom 17. diß ist mir wol zukommn / in welchm du von den so gnantn Galgn-Mänln so ausführ-lichn Bricht von mir bgehrst / daß ich glaubn müst (wann du mich nit bessr kennst) du haltst dvor ich hätt auch eins; odr wie soll ich von dir gdenckn / du seyst gsinnt / dern eins selbst in die Kost znehmn? dann wo zu wolst du sonst zwissn wünschn / wie man mit ihn umb-gehn soll? Odr wie könnt ich dir Nach-richt dvon gebn / wann ich nit eins in der Pfleg ghabt / odr noch hätt? Dis zwar hoff ich / wirst du mir nit zu-traun / und jehns will ich nit von dir glaubn. Doch abr deinn Vorwitz so weit zu ver-gnügn untrstehn / als weit ichs aus der Hör-sag: und was ich hie und da von ihn gleßn / zthun vermag. Was nun erst-lich das gmein Volck dvon sagt / und gar-nah glaubt / ist dis mit eim Wort: man find und grab sie untrm Galgn; dis wär nun ein ab-scheu-lich Her-kunfft / ab der sich ein jeds ehr-lich Gmüht ohn-zweiffl ent-setzt / odr doch bil-lich ent-setzn solt. Dann (sagn die Leuth) wann man ein Erb-dieb / das ist / ein solchn Dieb ghenckt / dem das stehln an-gborn / ent-wedr weil sein Muttr / in dem sie mit ihm schwangr gangn / auch gstohln / odr we-nigst zum stehln Lust ghabt / und der-selb sein Jungfr-schafft noch habend / das Wassr lauffn laß / so wachs ein solchs Galgn-Mänl draus / so auch Alraun gnannt wird / welchs hernach zu gwissr Zeit / und mit sondr-barn Ceremonien allr-dings wie die Wurtzl Baraas beym Josepho mit Auff-opff-rung eins schwartzn Hunds / der an statt des Gräbrs sterb / aus-gegrabn werdn muß; Als dann werd es in rohtm Wein gwaschn / in zarth lein- und seidn Tüchl gwickelt / solch Bad all Frey-tag mit ihm widr-holt / er in ein Lädl gthan / und ihm all Nacht ein stück Geld zu-glegt / da vor man am morgen früh zwey finde; man müß es abr nit übr-ladn / es steh sonst ab / odr sterb. Ein Ducat vor ein Nacht geh noch hin / abr nicht allzeit / sondr nur seltn. Wer abr sichr gehn / und dis Mänl nicht übr-treibn: sondr seinr Dienst lang gniessn woll / mög ihm kühn-lich und ohn Gfahr all Nacht ein halbn Thalr zu-legn. Dis ists nun / liebr Sohn / was vom gmei-nen Hauffn des Galgn-Mänls halbr gsagt / und von denen die sich uff so ein ver-damm-lich weiß breichrn wolln / in acht gnommn und voll-bracht wird.

 
ANNOTATIO.

DAß der Autor sich eines ungewöhnlichen newen styli hierinnen gebraucht / geschicht / weil er solches in seinem Gepräng mit dem Teutschen Michel zu thun versprochen; mehr einige Sprach-helden / sonderlich seinen Sohn Simplicissimum damit zu schertzen / als vor sich selbst etwas newes und seltzams auff die bahn zu bringen. Massen ihm der jenige stylus wie er in den Teutschen Fürstlichen und andern vornehmen Cantzleyen üblich / am allerbesten beliebt / er auch einen solchen zum Gebrauch zu haben wünschet.

Was aber die Galgen-Männlin anbelangt / weiß leyder ohne dis Tractätl jung und alt mehr als genug von demselben: Jtem wo und wie sie bekommen werden; wie man ihrer warten: und daß sie Geld und Glück über Glück eintragen sollen / zu sagen; so daß gar nicht zu zweiffeln / es werden sich hin und wieder leichtfertige Leuth finden / die auff diesem Weg / GOttes und ihrer Seelen Heyl und Seeligkeit vergessen / und dem leidigen Satan in sein Rachen rennen. Weil aber hingegen solche elende Geitzhäls und Geldnarren weder wissen noch glauben / oder doch wenigst nicht bedencken / man ihnen es auch bißhero wissentlich noch nicht gesagt / in was vor einem gefährlichen Gottslästerlichen Stand sie stehen / als unterstehet sich der Autor seiner Gewohnheit nach mit einer annemlichen mehr Kurtzweil: als ernstlichen art naturäl abzumahlen / beydes wie die Galgenmännlin beschaffen / und weme die Dienste widerfahren oder geleistet werden / die man ihnen mit baden / sauber halten etc. anthut; so dann auch / was endlich der Possessor eines solchen Geltgötzlins in Warheit vor Nutzen und Lohn zu gewarten.

Von der Wurtzel Baraas schreibst Josephus im siebenden Buch seiner Jüdischen Kriegen Cap. 23. von Wort zu Wort folgends; Dis Orts aber (verstehe zu Macherunta / welche Herodes Ascalonita erbawet) da die Kling gegen Mitternacht umb die Statt gieng / war ein Platz mit Nahmen Baraas / daran ein Wurtzel auch also genannt / zu wachsen pflegt; dieselbe ist Fewrfarb / und wann man den abend zu ihr gehet / so erscheinert sie als ein Blitz / läst sich aber nicht bald ausgraben / sondern weicht hintersich / und bleibt nicht an voriger stätt / so lang und viel / biß man Weiberharn / oder ihr Kranckheit darauff giessen thut; und wann sie jemand gleich darnach anreget / so ist er des Tods auch eigen / er thue dann dieselb Wurtzel an der Hand also hangend hinweg tragen. Sie ist aber auch auff ein andern / und nemlich auff diesen Weg zu bekommen: Erstlich muß man sie gantz und gar umbgraben / und nur ein wenig darvon unten im Erdreich hafften lassen; folgends einen Hund daran binden / und wann der Hund dem jenigen der ihn angebunden hat / nachlauffen will / so zeucht er die Wurtzel leichtlich heraus / stirbt auch alsbald darvon / und wird an dessen statt / der die Wurtzel graben hat / dem Tod auffgeopffert. Nachmals haben sich die jenige so sie anregen / keines fernern Schadens zu besorgen / und ist gleichwol diese Gefahr einer einzigen Krafft oder Tugend halber / so diese Wurtzel hat / wol zu übersehen / dann der bösen Menschen Geister / Dæmonia oder Teuffel genannt / welche in die lebendige Gefahren / und die so kein Hülff darwider haben oder wissen / umbringen / werden durch mehrgedachte Wurtzel / wann man sie dem Krancken allein darreicht / verjagt und ausgetrieben. So weit Josephus.

Die gleiche Art und Ceremonien / beydes diese Wurtzel und das Galgenmänlin auszugraben (ohne daß zu dem Galgenmänl / welches bey seiner Ausreissung einen tödlichen schrey lassen soll / ein schwartzer Hund gebraucht wird) veranlassen zu glauben / daß der leidige Satan so wol bey Grabung dieser Wurtzel als dem Galgen-mänlin der Principal und der Vollbringer oder Wircker der jenigen Dinge sey / so diesen beyden Stücken von den abergläubischen Leuten zugeschrieben werden. Wir sehen hier beym Josepho klar / daß die Juden durch diese Wurtzel die Teuffel ausgetrieben. Christus aber / der Mund der Warheit / welcher solches ohne diese Baraas durch den Finger GOttes verrichtet / spricht zu ihnen Lucæ am II.capitel: So aber Jch die Teuffel durch Beelzebub austreibe / durch wen treiben sie denn euere Kinder aus? An welcher Frag leicht zu begreiffen / wer entweder die Wurtzel selbst: oder von wem wenigst ihre Krafft herrührig gewesen.


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