Franz Grillparzer
Die Jüdin von Toledo
Franz Grillparzer

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König.
Lenore, diese Hand ist nicht verpestet.
Zieh ich in Krieg, wie ich denn soll und muß,
So wird sie Feindes Blut vollauf bedecken,
Doch klares Wasser tilgt den Makel aus
Und rein werd ich sie bringen zum Willkomm.
Das Wasser nun der körperlichen Dinge
Hat für die Seelen geistigen Ersatz.
Du bist als Christin glaubensstark genug,
Der Reue zuzutrauen solche Macht.
Wir andern, die auf Tätigkeit gestellt,
Sind so bescheidnem Mittel nicht geneigt,
Da es die Schuld nur wegnimmt, nicht den Schaden,
Ja, halb nur Furcht ist eines neuen Fehls.
Wenn aber beßres Wollen, freudiger Entschluß
Für Gegenwart und für die Zukunft bürgt,
So nimm's, wie ich es gebe, wahr und ganz.

Königin (beide Hände hinhaltend).
O Gott, wie gern!

König.
Nicht beide Hände!
Die Rechte nur, obgleich dem Herzen ferner,
Gibt man zum Pfand von Bündnis und Vertrag,
Vielleicht um anzudeuten, nicht nur das Gefühl,
Das seinen Sitz im Herzen aufgeschlagen,
Auch der Verstand, des Menschen ganzes Wollen
Muß Dauer geben dem was man versprach;
Denn wechselnd wie die Zeit ist das Gefühl,
Was man erwogen bleibt in seiner Kraft.

Königin (die Rechte bietend).
Auch das! Mein ganzes Selbst.

König.
Die Hand, sie zittert.
(Sie loslassend.)
Ich will dich nicht mißhandeln, gutes Weib.
Und glaube nicht, weil minder weich ich spreche,
Ich minder darum weiß, wie groß mein Fehl
Und minder ich verehre deine Güte.

Königin.
Verzeihn ist leicht, begreifen ist viel schwerer.
Wie es nur möglich war. Ich faß es nicht.

König.
Wir haben bis vor kurz gelebt als Kinder.
Als solche hat man einstens uns vermählt
Und wir, wir lebten fort als fromme Kinder;
Doch Kinder wachsen, nehmen zu an Jahren
Und jedes Stufenalter der Entwicklung
Es kündet an sich durch ein Unbehagen
Wohl öfters eine Krankheit, die uns mahnt,
Wir sei'n dieselben und zugleich auch andre
Und andres zieme sich im Nämlichen.
So ist's mit unserm Innern auch bestellt,
Es dehnt sich aus, und einen weitern Umkreis
Beschreibt es um den alten Mittelpunkt.
Solch eine Krankheit haben wir bestanden!
Und sag ich: wir, so mein ich, daß du selbst
Nicht unzugänglich seist dem innern Wachstum.
Laß uns die Mahnung stumpf nicht überhören!
Wir wollen künftighin als Kön'ge leben,
Denn, Weib, wir sind's. Uns nicht der Welt verschließen
Noch allem was da groß in ihr und gut,
Und wie die Bienen, die mit ihrer Ladung
Des Abends heim in ihre Zelle kehren,
Bereichert durch des Tages Vollgewinn
Uns finden in dem Kreis der Häuslichkeit,
Nun doppelt süß durch zeitliches Entbehren.

Königin.
Wenn du's begehrst, ich selbst vermiß es nicht.

König.
Du wirst's vermissen dann in der Erinnrung
Wenn du erst hast, woran man Werte mißt.
Nun aber laß Vergangnes uns vergessen!
Ich liebe nicht, daß man auf neuer Bahn
Den Weg versperre sich durch dies und das,
Durch das Gerümpel eines frühern Zustands.
Ich spreche mich von meinen Sünden los,
Du selbst bedarfst es nicht in deiner Reinheit.

Königin.
Nicht so! nicht so! Oh, wüßtest du, mein Gatte,
Was für Gedanken, schwarz und unheilvoll,
Den Weg gefunden in mein banges Herz.

König.
Wohl etwa Rachsucht gar? Nun um so besser,
Du fühlst dann, daß Verzeihen Menschenpflicht
Und niemand sicher ist, auch nicht der Beste.
Wir wollen uns nicht rächen und nicht strafen,
Denn jene andre, glaub, ist ohne Schuld
Wie's die Gemeinheit ist, die eitle Schwäche,
Die nur nicht widersteht und sich ergibt.
Ich selber trage, ich, die ganze Schuld.

Königin.
O laß mich glauben, was mich hält und tröstet.
Der Mauren Volk und all, was ihnen ähnlich,
Geheime Künste üben sie, verruchte,
Mit Bildern, Zeichen, Sprüchen, bösen Tränken
Die in der Brust des Menschen Herz verkehren
Und seinen Willen machen untertan.

König.
Umgeben sind wir rings von Zaubereien,
Allein wir selber sind die Zauberer.
Was weit entfernt, bringt ein Gedanke nah,
Was wir verschmäht, scheint andrer Zeit uns hold,
Und in der Welt voll offenbarer Wunder
Sind wir das größte aller Wunder selbst.

Königin.
Sie hat dein Bild.

König.
Sie soll es wiedergeben
Und heften will ich's sichtlich an die Wand
Und drunter schreiben für die späten Enkel:
Ein König, der an sich nicht gar so schlimm,
Hat seines Amts und seiner Pflicht vergessen.
Gott sei gedankt, daß er sich wiederfand.

Königin.
Allein du selber trägst an deinem Hals –

König.
Ja so! ihr Bild? Ward dir das auch schon kund?
(Er nimmt das Bild mit der Kette vom Halse und legt es auf den Tisch rechts im Vorgrunde.)
So leg ich es denn hin, und mög' es liegen
Ein Blitz, der nicht mehr schädlich nach dem Donner.

Das Mädchen aber selbst, sie sei entfernt!
Mag dann mit einem Mann sie ihres Volks –
(von vorn nach rückwärts auf und nieder gehend, in Absätzen stehenbleibend)
Ob das zwar nicht. – Die Weiber dieses Stamms
Sind leidlich, gut sogar. – Allein die Männer
Mit schmutz'ger Hand und engem Wuchersinn,
Ein solcher soll das Mädchen nicht berühren.
Am Ende hat sie Bessern angehört. –
Allein was kümmert's uns? – Ob so, ob so,
Wie nah, wie fern! – Sie mögen selber sorgen.

Königin.
Doch wirst du stark auch bleiben, Don Alfonso?

König (stehenbleibend).
Sieh nur, du hast das Mädchen nicht gekannt.
Nimm alle Fehler dieser weiten Erde,
Die Torheit und die Eitelkeit, die Schwäche,
Die List, den Trotz, Gefallsucht, ja die Habsucht,
Vereine sie, so hast du dieses Weib,
Und wenn, statt Zauber, rätselhaft du's nennst,
Daß jemals sie gefiel, so stimm ich ein
Und schämte mich, wär's nicht natürlich wieder.
(Er geht auf und nieder.)

Königin.
Oh, nicht natürlich, glaube mir mein Gatte.

König (stehenbleibend).
Ein Zauber endlich ist. Er heißt Gewohnheit,
Der anfangs nicht bestimmt, doch später festhält,
Von dem was störend, widrig im Beginn,
Abstreift den Eindruck, der uns unwillkommen,
Das Fortgesetzte steigert zum Bedürfnis.
Ist's leiblich doch auch anders nicht bestellt.
Die Kette, die ich trug – und die nun liegt,
Auf immer abgetan – so Hals als Brust
Sie haben an den Eindruck sich gewöhnt (sich schüttelnd)
Und fröstelnd geht's mir durch die leeren Räume.
Ich will mir eine andre Kette wählen,
Der Körper scherzt nicht, wenn er warnend mahnt.
Und damit nun genug! – Doch daß Ihr blutig
Euch rächen wolltet an der armen Törin,
Das war nicht gut. (Zum Tische tretend.) Denn sieh nur diese Augen –
Nun ja, die Augen Körper, Hals und Wuchs,
Das hat Gott wahrlich meisterhaft gefügt;
Sie selber machte später sich zum Zerrbild.
Laß Gottes Werk in ihr uns denn verehren
Und nicht zerstören was er weise schuf.

Königin.
Berühr es nicht!

König.
Schon wieder denn der Unsinn!
Und wenn ich's nehme wirklich in die Hand
(er hat das Bild auf die Hand gelegt)
Bin ich ein andrer drum? Schling ich die Kette
Aus Scherz, um dein zu spotten, um den Hals,
(er tut's) Das Bild, das dich erschreckt, im Busen bergend,
Bin minder ich Alfonso, der es einsieht
Daß er gefehlt und der den Fehl verdammt?
Drum sei's des Unsinns endlich doch genug.
(Er entfernt sich vom Tische.)

Königin.
Allein –

König (wild nach ihr hinblickend).
Was ist?

Königin.
O Gott im Himmel!

König.
Erschrick nicht gutes Weib. Doch sei vernünftig
Und wiederhole mir nicht stets dasselbe,
Es mahnt zuletzt mich an den Unterschied.
(Auf den Tisch, dann auf seine Brust zeigend.)
Dort jenes Mädchen – zwar jetzt ist sie hier –
War töricht sie, so gab sie sich als solche
Und wollte klug nicht sein, noch fromm und sittig.
Das ist die Art der tugendhaften Weiber,
Daß ewig sie mit ihrer Tugend zahlen.
Bist du betrübt, so trösten sie mit Tugend,
Und bist du froh gestimmt, ist's wieder Tugend,
Die dir zuletzt die Heiterkeit benimmt,
Wohl gar die Sünde zeigt als einz'ge Rettung.
Was man die Tugend nennt, sind Tugenden,
Verschieden, mannigfalt, nach Zeit und Lage,
Und nicht ein hohles Bild, das ohne Fehl,
Doch eben drum auch wieder ohne Vorzug.
Ich will die Kette nur vom Halse legen,
Denn sie erinnert mich – Und dann Lenore,
Daß du mit den Vasallen dich verbündet,
Das war nicht gut, war unklug, widrig.
Wenn du mir zürnst, bist du in deinem Recht;
Doch diese Männer, meine Untertanen,
Was wollen sie? Bin ich ein Kind, ein Knabe,
Der noch nicht kennt den Umkreis seiner Stellung?
Des Reiches Sorge teilen sie mit mir
Und gleiche Sorge, weiß ich, ist mir Pflicht.
Doch ich, Alfonso, ich, der Mensch, der Mann
In meinem Haus, in meinem Sein und Wesen,
Schuld ich des Reiches Männern Rechenschaft?
Nicht so! Und hört' ich nichts als meinen Zorn,
Ich kehrte rasch zurück, woher ich kam,
Nur um zu zeigen, daß nicht ihrem Urteil,
Nicht ihrer Billigung ich untertan.

(Nach vorn tretend und mit dem Fuße auf den Boden stampfend.)
Und endlich dieser Alte, Don Manrique,
Wenn er mir Vormund war, ist er es noch?

(Don Manrique erscheint in der Mitteltüre. Die Königin zeigt mit gerungenen Händen nach ihrem Gatten. Manrique zieht sich mit einer beruhigenden Bewegung beider Hände zurück.)

Erkühnt er sich dem König vorzuschreiben
Die hausgebacknen Lehren seiner Weisheit?
Wohl gar zu heimlicher, verwegner Tat –?
(In der Quere der Bühne auf und nieder gehend.)
Ich will das untersuchen, ich, als Richter
Und zeigt sich eine Spur nur von Vergehn,
Von frevelhafter Absicht oder Tat,
Je näher mir der Schuldige, ja nächst,
Nur um so härter büß' er sein Erkühnen.
Nicht du, Lenore, nein, du bist entschuldigt.

(Die Königin hat sich während des letzten leise durch die Seitentüre rechts entfernt.)

Wo ging sie hin? So läßt man mich allein?
Bin ich der Tor in meinem eignen Haus?
(Er nähert sich der Seitentüre rechts.)
Ich will zu ihr! – Die Tür verschlossen?
(Die Türe mit einem Fußtritt sprengend.)
Auf!
So nehm ich mir im Sturm mein häuslich Glück.
(Er geht hinein.)

(Don Manrique und Garceran erscheinen in der Mitteltüre. Letzterer macht einen Schritt über die Schwelle.)

Manrique.
Willst du mit uns?

Garceran.
Mein Vater!

Manrique.
Willst du nicht?
Die andern sind voran. Folgst du?

Garceran.
Ich folge.

(Sie ziehen sich zurück, die Türe geht zu. – Pause. – Der König kommt zurück. In der Stellung eines Horchenden.)

König.
Horch wieder! – Es ist nichts, und alles stille. –
Die Zimmer meiner Gattin leer, verlassen.
Rückkehrend aber, in der Erkerstube
Vernahm ich Lärm von Wagen und von Rossen
In reißendem Galopp das Weite suchend.
Bin ich allein? He, Garceran! Ramiro!

(Der Knappe kommt aus der Seitentüre links.)

Was ist? Was geht hier vor?

Knappe.
Erlauchter Herr
Das Schloß ist menschenleer; Ihr selbst und ich
Zur Zeit die einzig lebenden Bewohner.

König.
Die Königin?

Knappe.
Verließ das Schloß zu Wagen.

König.
Schon nach Toledo denn zurück?

Knappe.
Ich weiß nicht.
Allein die Herren –

König.
Welche Herrn?

Knappe.
Die Stände,
Die sich gesamt auf ihre Pferde schwangen,
Sie nahmen ihren Weg nicht nach Toledo,
Vielmehr den Weg, auf dem ihr selber kamt.

König.
Ha! nach Retiro? Fällt's wie Schuppen doch
Von meinen sehenden und blinden Augen.
Das ist der Mord! Sie gehen, sie zu töten.
Mein Pferd! Mein Pferd!

Knappe.
Das Eure, hoher Herr,
Ward als gelähmt, wie selber Ihr befahlt –

König.
Nun denn ein andres, Garcerans, das deine.

Knappe.
Man hat die Pferde sämtlich weggebracht,
Mit sich geführt, vielleicht gejagt ins Freie.
Die Ställe sind geleert so wie das Schloß.

König.
Sie denken mich zu überholen. Fort!
Schaff mir ein Pferd, und wär's ein Ackergaul,
Es soll ihm Flügel leihen meine Rache.
Und wenn's geschah? – Dann, guter Gott, dann gib,
Daß ich nicht als Tyrann, daß ich als Mensch
Die Schuld bestrafe und die Schuldigen.
Schaff mir ein Pferd! Sonst bist du einverstanden
Und zahlst mit deinem Kopf, wie alle,
(an der Türe stehenbleibend, mit einer heftigen Bewegung)
alle! (Er eilt fort.)

(Der Vorhang fällt.)


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