Franz Grillparzer
Die Jüdin von Toledo
Franz Grillparzer

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Saal in dem Gartenhause. Im Hintergrunde nach links eine Türe, im Vordergrunde rechts eine zweite.

Rahel, eine Federkrone auf dem Kopfe und einen goldgestickten Mantel um die Schultern, ist bemüht, einen Lehnstuhl aus dem Seitengemache rechts herauszuschleppen. Esther ist durch den Haupteingang eingetreten.

Rahel.
Hier soll der Lehnstuhl her, hier in die Mitte.

Esther.
Um Gottes willen, Rahel, sieh dich vor,
Dein Mutwill' wird uns noch in Unglück stürzen.

Rahel.
Der König hat das Haus uns eingeräumt,
Solang wir es bewohnen, ist's das unsre.

(Sie haben den Stuhl in die Mitte gerückt.)

Rahel (sich besehend).
Und meine Schleppe, nicht wahr? steht mir gut,
Und diese Federn nicken, wenn ich nicke,
Nun fehlt noch eins und, warte nur, ich hol es.
(Sie geht in die Seitentüre zurück.)

Esther.
O wären wir nur weit, nur erst zu Hause.
Der Vater auch bleibt fern, den sie vertrieb.

Rahel (kommt zurück mit einem Bild ohne Rahmen).
Hier ist des Königs Bild, gelöst vom Rahmen
Das nehm ich mit.

Esther.
Treibt wieder dich die Torheit?
Wie oft nicht warnt' ich dich!

Rahel.
Und hab ich dir gehorcht?

Esther.
Beim Himmel, nein.

Rahel.
Und werd's auch diesmal nicht.
Das Bild gefällt mir. Sieh, es ist so schön,
Ich häng es in der Stube nächst zum Bette.
Des Morgens und des Abends blick ich's an
Und denke mir – was man nun eben denkt
Wenn man der Kleider Last von sich geschüttelt
Und frei sich fühlt von jedem läst'gen Druck.
Doch daß sie meinen nicht, ich stahl es etwa, –
Bin ich doch reich und brauche Stehlens nicht –
Du trägst mein eigen Bild an deinem Hals,
Das hängen wir an dieses andern Stelle,
Das mag er ansehn, so wie seines ich
Und mein gedenken, hätt' er mich vergessen.
Rück mir den Schemel her, ich bin die Kön'gin,
Und diesen König heft ich an den Stuhl.
Die Hexen sagt man, die zur Liebe zwingen,
Sie bohren Nadeln, so, in Wachsgebilde,
Und jeder Stich dringt bis zum Herzen ein,
Und hemmt und fördert wahrgeschaffnes Leben.
(Sie befestigt das Bild an den vier Ecken mit Nadeln an die Lehne des Stuhls.)
O gäbe jeder dieser Stiche Blut,
Ich wollt' es trinken mit den durst'gen Lippen
Und mich erfreun am Unheil das ich schuf.

Nun hängt es da und ist so schön als stumm,
Ich aber red ihn an als Königin
Mit Mantel und mit Krone die mich kleiden.
(Sie hat sich auf den Schemel gesetzt und sitzt vor dem Bilde.)
Ihr ehrvergeßner Mann, stellt Euch nur fromm,
Ich kenne dennoch jeden Eurer Schliche.
Die Jüdin, sie gefiel Euch, leugnet's nur!
Und sie ist schön, bei meinem hohen Wort,
Nur mit mir selber etwa zu vergleichen.

(Der König, von Garceran und Isaak gefolgt, ist gekommen und hat sich hinter den Stuhl gestellt, die Arme auf die Rücklehne gelegt, sie betrachtend.)

Rahel (fortfahrend).
Ich, Eure Königin, nun duld es nicht,
Denn eifersüchtig bin ich wie ein Wiesel.
Ob Ihr nun schweigt, das mehrt nur Eure Schuld.
Gesteht! Gefiel sie Euch? Sagt ja!

König.
Nun ja!

(Rahel fährt zusammen, blickt nach dem Bilde, dann aufwärts, erkennt den König und bleibt regungslos auf dem Schemel.)

König (vortretend).
Erschreckt dich das? Du wolltest's und ich sag's.
Ermanne dich, du bist in Freundes Händen.

(Er streckt die Hand nach ihr aus, sie fährt vom Schemel empor und flieht nach der Türe rechts, wo sie tiefatmend und mit gesenktem Haupte stehenbleibt.)

König.
Ist sie so scheu?

Esther.
Nicht immer, gnäd'ger Herr.
Und scheu nicht, schreckhaft nur.

König.
Bin ich so greulich?
(Sich ihr nähernd)

Rahel (schüttelt heftig mit dem Kopfe).

König.
Nun denn, so fasse dich, mein gutes Kind.
Ja, du gefielst mir, sag ich noch einmal
Und kehr ich heim aus diesem heil'gen Krieg,
In den mich Ehre ruft und meine Pflicht,
Frag in Toledo ich vielleicht nach dir.
Wo wohnt ihr dort?

Isaak (schnell).
Herr, in der Jüdenstraße
Ben Mathaes Haus.

Esther.
Wenn man nicht früher
Uns etwa schon vertrieb.

König.
Dafür mein Wort!
Ich weiß zu schützen, wem ich Schutz gelobt.
Und wenn du dort auch so gesprächig bist
Und gut gelaunt, wie früher mit den Deinen,
Nicht scheu wie jetzt, verplaudr' ich wohl ein Stündchen
Und hole Atem aus dem Qualm des Hofs.
Nun aber geht, denn es ist hohe Zeit,
Du Garceran begleite sie; doch erst noch
Häng dieses Bild zurück an seine Stelle.

Rahel (auf den Stuhl losstürzend).
Das Bild ist mein.

König.
Was kommt dir bei?
Zurück zum Rahmen soll's, aus dem du's nahmst.

Rahel (zu Garceran).
Berühr die Nadeln nicht, noch dieses Bild,
Sonst festig ich's mit einem tiefern Stich,
(mit einer Nadel nach dem Bild fahrend) Siehst du? gerad ins Herz.

König.
Halt ein! Beim Himmel!
Hast du mich fast erschreckt. Wer bist du Mädchen?
Übst du geheime Künste, die Verbrechen?
War's doch, als fühlt' ich in der eignen Brust,
Den Stich nach jenem Bild.

Esther.
Mein hoher Herr,
Sie ist nur ein verwöhnt, verwildert Mädchen
Und weiß von unerlaubten Künsten nichts,
Es kam ihr ein, und also tat sie's eben.

König.
Man aber soll mit derlei keck nicht spielen.
Es trieb bis zu den Augen mir das Blut,
Und wie im wirren Licht seh ich die Dinge.
(Zu Garceran.)
Ist sie nicht schön?

Garceran.
Sie ist's mein Herr und König.

König.
Und wie das wogt und wallt und glüht und prangt.

(Rahel hat unterdessen das Bild abgenommen und zusammengerollt.)

König.
Du willst das Bild denn durchaus nicht entbehren?

Rahel (zu Esther).
Ich nehm es mit.

König.
Nun denn in Gottes Namen!
Er wird's verhüten, wenn ein Unheil droht.
Nur eilig fort. Nimm, Garceran
Den Weg der rückwärts durch den Garten führt.
Das Volk ist aufgeregt; es liebt, als schwach,
Die Schwäche gern zu prüfen an dem Schwächern.

Garceran. (am Fenster).
Doch seht, o Herr, es naht der ganze Hof,
Die Königin an des Geleites Spitze.

König.
Hierher? Verwünscht! Ist hier kein andrer Ausgang?
Mich widern an die Deutungen des Schwarms.

Garceran. (auf die Seitentüre zeigend).
Vielleicht in dies Gemach.

König.
Was fällt dir ein!
Soll ich verbergen mich vor meinen Dienern?
Und doch fürcht ich den Schmerz der Königin,
Sie könnte glauben, – was ich selber glaube.
Ich rette denn die wirre Majestät,
Sieh zu, daß du baldmöglichst sie entfernest.

(Er geht in das Seitengemach.)

Esther.
Ich sagt' es ja: es ist der Weg des Unglücks.

(Die Königin, von Manrique de Lara und mehreren begleitet, tritt ein.)

Königin.
Es ward gesagt, der König sei hier oben.

Garceran.
Er war, doch ging er fort.

Königin.
Und hier die Jüdin.

Manrique.
Geschmückt, dem losgelaßnen Wahnsinn gleich,
Mit all dem Flitterstaat des Puppenspiels.
Leg ab die Krone, die dir nicht geziemt,
Selbst nicht im Scherz; den Mantel von der Schulter!
        (Esther hat ihr beides abgenommen.)
Was hält sie in der Hand?

Rahel.
Es ist mein eigen.

Manrique.
Das wollen wir erst sehn.

Esther.
Wir sind so arm nicht,
Daß wir nach fremdem Wert die Hände streckten.

Manrique (auf die Seitentür zugehend).
Auch dort in jenem Zimmer forscht man erst,
Ob nichts abhanden, ob die Habsucht nicht
Sich mit der Frechheit so wie hier verbunden.

Garceran. (ihm in den Weg tretend).
Hier, Vater, ruf ich: halt!

Manrique.
Kennst du mich nicht?

Garceran.
So Euch als mich. Doch gibt es, wißt Ihr, Pflichten,
Die selbst dem Vaterrecht die Waage halten.

Manrique.
Sieh mir ins Aug'! Er kann es nicht ertragen.
So raubt mir denn zwei Söhne dieser Tag.
(Zur Königin.)
Wollt Ihr nicht gehn?

Königin.
Ich möchte, doch ich kann nicht.
Vielmehr ich kann, beim Himmel, denn ich muß.
(Zu Garceran.) Ziemt Euer Amt gleich einem Ritter nicht,
Doch dank ich Euch, daß Ihr es treulich übt.
Zu sehen wäre Tod – doch leiden kann ich
Und trefft Ihr Euren Herrn vor Abend noch,
Sagt ihm, daß rück ich nach Toledo ging – allein!

(Die Königin und ihr Gefolge ab.)

Garceran.
So mußte mich das Unglück diesen Tag,
Gerade heut vom Heere heimwärts führen.

Rahel (zu Esther, die sich mit ihr beschäftigt).
Ich wäre nicht gewichen, galt's den Tod.

Esther (zu Garceran).
Nun aber bringt uns fort, wir bitten Euch.

Garceran.
Erst frag ich noch den König, was sein Wille.
(An die Seitentüre pochend.)
Mein hoher Herr! – Wie nur? Kein Zeichen! – Sollte
Ein Unfall? – Wie denn immer auch, ich öffne.

(Der König tritt heraus und bleibt im Vorgrunde stehen, indes die andern sich zurückziehen.)

König.
So ist die Ehre und der Ruf der Welt
Kein ebner Weg, auf dem der schlichte Gang
Die Richtung und das Ziel den Wert bestimmt;
Ist's nur des Gauklers ausgespanntes Seil
Auf dem ein Fehltritt von der Höhe stürzt
Und jedes Straucheln preisgibt dem Gelächter?
Muß ich, noch gestern Vorbild aller Zucht,
Mich heute scheun vor jedes Dieners Blicken?
Dann fort mit dir, du Buhlen um die Gunst!
Bestimmen wir uns selber unsre Pfade.
(Sich umwendend.)
Wie, ihr noch hier?

Garceran.
Wir harren des Befehls.

König.
Hättst du doch immer des Befehls geharrt
Und wärst geblieben an der fernen Grenze.
Ansteckend ist dein Beispiel, Garceran.

Garceran.
Gerechte Fürsten strafen jeden Fehl,
Den eignen selbst. Allein, da selber straflos,
Trifft andre gern das Zürnen ihrer Brust.

König.
Ich bin kein solcher, Garceran. Sei ruhig!
Wir bleiben dir wie früher zugetan.
Doch nun bring diese fort, und zwar auf immer.
Was andern Laune ist beim Fürsten Schuld.
        (Da Rahel sich ihm nähert.)
Laß nur! Doch dieses Bild leg erst noch ab
Stell es zurück, von wo es ward genommen,
Ich will's. Drum zögre nicht.

Rahel (zu Esther).
So komm du mit.
        (Indem sich beide der Seitentüre nähern.)
Trägst du mein eigen Bild wie sonst am Halse?

Esther.
Was willst du?

Rahel.
Meinen Willen. Gält's das Schlimmste.

(Sie gehen in die Seitentüre.)

König.
Dann kehr zur Grenze, wohin nächst ich folge.
Wir wollen in der Mauren Blut die Schmach,
Die gleichgeteilte, dieses Tages waschen,
Daß wieder wir ertragen Menschen Blick.

(Die Mädchen kommen zurück.)

Rahel.
Es ist geschehn.

König.
Und fort nun ohne Abschied.

Esther.
Nimm unsern Dank, o Herr.

Rahel.
Den meinen nicht.

König.
Nun so denn: ohne Dank.

Rahel.
Ich spar ihn auf.

König.
Das heißt: auf nie.

Rahel.
Ich weiß das besser. (Zu Esther.) Komm!

(Sie gehen, von Garceran begleitet, wobei der Alte tiefe Verneigungen macht.)

König.
Die höchste Zeit war's, daß sie ging, denn wahrlich
Die Langeweile eines Fürstenhofs,
Sie macht die Kurzweil manchmal zum Bedürfnis.
Doch dieses Mädchen, obgleich schön und reizend,
Sie scheint verwegner Brust und heft'gen Sinns
Da sieht sich denn ein Kluger billig vor.
Alonso!

(Ein Diener tritt ein.)

Diener.
Hoher Herr –

König.
Bereit die Pferde.

Diener.
Herr, nach Toledo?

König.
Nach Alarcos, Freund.
Wir wollen an die Grenze, in den Krieg,
Darum bereit das Nötigste nur vor.

Vier Augen drohen in Toledo mir
Voll Wasser zwei, und andre zwei voll Feuer.

Sie wollte sich von meinem Bild nicht trennen,
Dem Tode selbst, so schien es, trotzte sie.
Doch braucht' es nur mein streng gebietend Wort,
So hing sie's wieder an die alte Stelle.
Schauspielerkünste waren's, weiter nichts.
Doch ob sie's auch dem Rahmen eingefügt?
Da ich auf lange diesen Ort verlasse
Sei alles so wie früher unverrückt
Und dieses Vorgangs letzte Spur verschwunden.

(Er geht ins Seitengemach. Pause, während welcher der Diener die von Rahel abgelegten Kleider vom Stuhle aufnimmt und über den Arm hängt, die Krone aber in der Hand hält.)

(Der König kommt zurück, Rahels Bild haltend.)

König.
Mein Bildnis fort und dies an seiner Stelle –
Ihr eignes ist's. Es brennt in meiner Hand.
(Das Bild auf den Boden schleudernd.)
Fort mit dir, fort! Geht so weit denn die Frechheit?
Das darf nicht sein! Indes ich ihrer selbst
Nur mit gerechtem Widerwillen denke,
Schürt sie, gemalt, mir Glut in meiner Brust.
Und dann mein eigen Bild in ihren Händen!
Man spricht von magisch unerlaubten Künsten,
Die dieses Volk mit derlei Zeichen übt
Und etwas, wie von Zauber, kommt mich an.
(Zum Diener.)
Nimm dies vom Boden auf und eile spornstreichs
Bis du sie einholst.

Diener.
Wen, Gebieter?

König.
Wen?
Nun eben Garceran und jene beiden,
Stell dies zurück den Mädchen und begehre –

Diener.
Was, hoher Herr?

König.
Soll ich die eignen Diener
Zu Mitbewußten machen meiner Scham?
Ich will nur selbst den Tausch, wär's Not, erzwingen.
Nimm auf das Bild! – Ich selbst berühr es nicht.
        (Der Diener hat das Bild aufgehoben.)
Wie ungeschickt! Birg's nur in deiner Brust;
Doch wär' es dort erwärmt von fremder Wärme!
Gib her, ich nehm es selbst, und folge mir;
Wir holen sie noch ein. – Bedenk ich's recht,
So kann, da einmal rege der Verdacht,
Ein Unfall sie betreffen, ja Gewalttat,
Da schützt zumeist mein eigenes Geleit.
Du aber folge mir!
(Er hat das Bild angeblickt und dann in den Busen gesteckt.)
Ist dort nicht seitwärts
Das Schloß Retiro, wo mein Ahn, Don Sancho
Mit einer Maurin, aller Welt verborgen –

Diener.
So ist's, erlauchter Herr.

König.
Wir wollen unsre Ahnen
Nachahmen in der Tapferkeit, dem Wert
Und nicht in ihrer Schwäche niederm Straucheln.
Vor allem gilt es sich erobern selbst –
Und dann entgegen feindlichen Erobrern.

Retiro heißt das Schloß? – Was wollt' ich nur?
Ja so, nur fort! Und sei verschwiegen! Zwar
Du weißt ja nicht. Um so viel besser. Komm!

(Mit dem Diener ab.)

(Der Vorhang fällt.)


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