Franz Grillparzer
König Ottokars Glück und Ende
Franz Grillparzer

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Ein anderer Teil des Schlachtfeldes. Links im Vorgrunde das Ende eines Hügels auf die Bühne hereinlaufend, daneben steht ein Baum.

Ottokar kommt, auf einen Knecht gestützt; zwei andere und Milota folgen.

Ottokar.
Herr Milota, Eu'r Haufe greift nicht an!
Wo bleiben Eure Mährer, Tod und Teufel?
Ich fürcht, Ihr seid ein Schurk', Herr Milota!
Und seid Ihr es, Herr, weil ich Euch vertraut,
Seid Ihr es zehn- und hundertfach!

Sie haben mir das Pferd erstochen unterm Leib;
Das Bein schmerzt noch vom unversehrten Sturz.
Geh hin und such ein Pferd; ich weile hier!
(Einer ab.)
Ihr, Milota, jagt hin zu Euren Mährern!
Doch nein! Bleibt da! Geh du und sag der Nachhut –
Sie sollen auf den Feind, sonst will ich, Pest! auf sie!
(Der zweite ab.)
Seht mir ins Antlitz, Milota! Daß Gott!
Ihr schaut mit Grimm. Ich hoff, das gilt dem Feind;
Denn gält' es mir, auf Eurem Todbett, Herr,
Würd' Euch ein Milota genüber stehn
Und also schaun in Euer brechend Aug'.

Steigt dort auf jenen Hügel, Herr, und forscht
Nach Füllenstein und wie das Treffen geht.
(Milota ab.)
Du leite mich zu jenem Baume hin,
Daß ich mich halte, bis ein Pferd zur Hand,
Und sieh dich um und sag's, wenn Feinde nahn.
(Er steht am Baume und hält sich mit der Hand an einem niedrigen, dürren Zweige.)
Die Böhmen fechten matt, wie man wohl ficht
Für einen Ungeliebten, notgedrungen.
Die Östreichsmänner und die Steirer aber,
Die sonst nur träg mir ihren Dienst erwiesen,
In Todesengel scheinen sie verwandelt,
Und jeder ist ein Held nun wider mich.
Der Zahltag ist erschienen, und sie zahlen!

Ich hab nicht gut in deiner Welt gehaust,
Du großer Gott! Wie Sturm und Ungewitter
Bin ich gezogen über deine Fluren.
Du aber bist's allein, der stürmen kann,
Denn du allein kannst heilen, großer Gott.
Und hab ich auch das Schlimme nicht gewollt,
Wer war ich, Wurm? daß ich mich unterwand,
Den Herrn der Welten frevelnd nachzuspielen,
Durchs Böse suchend einen Weg zum Guten!

Den Menschen, den du hingesetzt zur Lust,
Ein Zweck, ein Selbst, im Weltall eine Welt –
Gebaut hast du ihn als ein Wunderwerk,
Mit hoher Stirn und aufgerichtem Nacken,
Gekleidet in der Schönheit Feierkleid,
Und wunderbar mit Wundern ihn umringt.
Er hört und sieht und fühlt und freut sich.
Die Speise nimmt er auf in seinen Leib,
Da treten wirkende Gewalten auf
Und weben fort und fort mit Fasern und Gefäß
Und zimmern ihm sein Haus; kein Königsschloß
Mag sich vergleichen mit dem Menschenleib!
Ich aber hab sie hin zu Tausenden geworfen,
Um einer Torheit, eines Einfalls willen,
Wie man den Kehricht schüttet vor die Tür.
Und keiner war von den Gebliebnen allen,
Den seine Mutter nicht, als sie mit Schmerz geboren,
Mit Lust gedrückt an ihre Nährerbrust,
Der Vater nicht als seinen Stolz gesegnet
Und aufgezogen, jahrelang gehütet.
Wenn er am Finger sich verletzt die Haut,
Da liefen sie herbei und banden's ein
Und sahen zu, bis endlich es geheilt.
Und 's war ein Finger nur, die Haut am Finger!
Ich aber hab sie schockweis hingeschleudert
Und starrem Eisen einen Weg gebahnt
In ihren warmen Leib. – Hast du beschlossen,
Zu gehen ins Gericht mit Ottokar,
So triff mich, aber schone meines Volks!

Geblendet war ich, so hab ich gefehlt,
Mit Willen hab ich Unrecht nicht getan!
Doch einmal, ja! – und noch einmal: O Gott,
Ich hab mit Willen Unrecht auch getan!

Es ist nicht Todesfurcht, was so mich reden läßt.
Der du die Herzen aller kennst,
Du weißt, ob dieses Herz die Furcht bewegt?
Doch wenn dich eines Mannes Reu' erfreut,
Den nicht die Strafe, den sein Unrecht schreckt;
So sieh mich hier vor deinem Antlitz knien,
(Er kniet.)
Und hör mich beten wie ich jetzo bete:
Geh als ein Gott der Gnade zu Gericht!
(Er senkt sein Haupt.)

(Seyfried von Merenberg tritt, ganz gerüstet, im Hintergrunde auf.)

Seyfried.
Ottokar!

Ottokar.
Wer ruft?

Seyfried (hinten stehenbleibend).
Wo hast du meinen Vater?

Ottokar (steht auf).
Wer bist du? – Merenberg!

Seyfried.
Wo hast du meinen Vater?

Ottokar (dumpf vor sich hin).
Als Gott den Kain fragte, sagte der:
Mir hast du ihn zu hüten nicht gegeben!

Seyfried.
Ich gab ihn dir, ja wohl, mein eigner Unsinn!
Und jetzt steh ich vor dir, in Stahl gekleidet,
Und fordr' ihn wieder: gib mir meinen Vater!

Ottokar.
Du weißt wohl, wo er ist.

Seyfried.
Wohl weiß ich's: tot!

Ottokar.
Er büßte, wie Verräter!

Seyfried.
Er, Verräter!
Er war dir nur zu treu, dir, mir, der ganzen Welt.
Um meinen Dienst beim Kaiser wußt' er nicht.
Der Brief, den er mir gab, enthielt nur Bitten
Für dein verstoßnes Weib.

Ottokar.
So hat ihn Gott!

Seyfried.
Er hat ihn, ja! Empfiehl ihm deine Seele!
(Stürzt mit dem Schwerte auf ihn los.)

(Emerberg tritt auf.)

Emerberg.
Seyfried, was tust du?

Seyfried.
Sieh, er mahnt mit Recht!
Der Kaiser hat verboten, dich zu töten
Mit Waffen; doch ich will, ein Basilisk,
Versuchen, mit den Augen dich zu töten.
Sieh her nach mir und höre: Merenberg!
Der Hölle Ruf dereinstens: Merenberg!

Ottokar.
Gebt Raum, ich muß zu meinem Heer!

Seyfried.
Du bleibst!
Du warst mir Lehrer, warst mir Muster, Beispiel,
Ich habe dich geehrt, wie niemand sonst;
Der Erde Ruhm ging mir in dir zu Grabe.
Der Erde Glück in meines Vaters Haupt.
Gib das Vertrauen mir auf Menschen wieder,
Den Vater wieder, den ich selbst geliefert,
Ich selbst in deine Hand. Vorschneller Würger,
Sieh mir ins Antlitz; es ist Merenbergs.
Komm, töt ihn noch einmal in seinen Zügen!

Ottokar.
Schließ deinen Helm, dann sei des Kampfs gewährt.

Seyfried.
Nicht also! Nein! Ficht, König, mit den Toten!
Hei, tapfrer Ottokar, mit eins so feig?

(Ottokars Knecht kommt zurück.)

Knecht.
Herr Milota, zu Hilfe! Feinde! Feinde!

Seyfried (zu Emerberg).
Halt den zurück! Er muß sich mein erwehren!
Daß ich dem Kaiser sagen möge: Herr,
Ich schlug ihn nicht, er selber fiel mich an;
Den Fall der Notwehr habt Ihr ausgenommen!
(Emerberg ficht mit demKnecht.)

Knecht.
Herr Milota!

Emerberg.
Entweich!

Knecht.
Ach Gott! ach Gott!
(Er fällt getroffen zu des Königs Füßen.)

Ottokar (sein Schwert aufnehmend).
So sei's!
(Milota kommt.)
He, Milota, hilf deinem König!

Seyfried.
Freund oder Feind?

Milota.
Nicht euer Feind, ihr Herrn!
Geht hier der Weg nach Mähren?

Ottokar.
Milota!

Milota.
Mein Bruder, Benesch Diedicz, läßt Euch grüßen,
Er ist gestorben als ein Sinnberaubter,
Und Muhme Berta rast an seinem Sarg.
Gebt Raum, ihr Herrn! Glück auf! ich stör euch nicht.
(Geht in seinen Mantel gehüllt vorüber und ab.)

Ottokar.
Verläßt du mich, und kann ich dich nicht schelten?
Und doch war ich dein Herr, drum Schurke du auf ewig!

Seyfried.
Gib dich!

Ottokar.
Vermeinst du Ottokarn zu fangen?
Es gilt zu fechten! (Er tritt hart auf den verletzten Fuß.)Trage, Fuß!
Jetzt ist nicht Zeit zu schmerzen! Ihr, gebt Raum!

Emerberg.
Du bist verloren, sieh, die Deinen fliehn!
(Fliehende Böhmen bedecken den Hintergrund.)

Ottokar.
Du lügst, kein Böhme flieht! Zu ihnen! Fort!

Beide (mit vorgehaltenen Schwertern).
Du bleibst!

(Heinrich von Lichtenstein tritt mit einer Schar verfolgend im Mittelgrunde auf und eilt nach hinten, das Banner von Östreich in der Hand.)

Lichtenstein.
Die Feinde fliehn! Hoch Österreich!

Ottokar.
Steht, Memmen, steht! – Und ihr gebt Raum.

Seyfried.
Im Grabe.
Sonst nicht!

Ottokar (einen Hieb führend).
Hier Böhmen!

Seyfried (ebenso).
Und hier Österreich!

Ottokar (mit einem neuen Hiebe).
Hier Ottokar!

Seyfried.
Hier Merenberg und Gott!
(Er haut ihn nieder.)

(Ottokar stürzt nieder, rafft sich schnell wieder auf, taumelt einige Schritte und fällt dann tot neben der Hügelerhöhung hin.)

Emerberg.
Was tatst du? Das Gebot verletzt des Kaisers!
(Merenberg steht, die Hände hinabgesunken, unbeweglich da.)

Heinrich von Lichtenstein (kommt zurück).
Sieg, Sieg! Die Feinde fliehn! Hoch, Österreich!

(Rudolf tritt auf mit Gefolge.)

Rudolf.
Halt ein mit Töten! Schont der Überwundnen!
Was ist hier? Was hat dich zu Eis verwandelt?
Ha, Ottokar, am Boden, blutend, tot!
Du hast's getan! Flieh, wie der erste Mörder,
Und laß dich nimmer sehn vor meinem Blick!
(Merenberg entflieht.)
Die Böhmen sollen ruhig heimwärts ziehn,
Für den sie stritten, ruft es aus!, ist tot.

Frau Elisabeth (hinter der Szene).
Gewalt, Gewalt!

Rudolf.
Wer ruft?

Elisabeth (kommt und wirft sich dem Kaiser zu Füßen).
Ach, gnäd'ger Kaiser!
Sie plündern drin im Haus, sie zünden an
Und gönnen selbst den Toten nicht die Ruh'!
Ach, schützt uns, Herr!

Rudolf.
Man soll zu Hilfe sehn! Wer bist du?

Elisabeth.
Ach, der Königin Margrethe
Von Österreich getreue Kämmerin,
Und die dort tragen meiner Frauen Leiche.

(Vier Männer, von schwarzgekleideten Frauen begleitet, tragen den Sarg herein.)

Rudolf.
Sieh dort die Leiche deines Herrn!

Elisabeth.
Ach Gott!
So starb er! Grade da er sanft geworden!
Du armer Herr! Setzt hin dort unsre Leiche,
So liegen sie im Tode doch vereint.
(Der Sarg wird auf eine Erhöhung zu Ottokars Häupten gesetzt.)

(Kunigunde kommt, hinter ihr Zawisch und Berta.)

Kunigunde.
Der König ist gefangen, wird gesagt.

Rudolf.
Hier, Weib, hier liegt dein Mann!

(Kunigunde sinkt mit einem Ausruf bebend in die Kniee. Zawisch steht mit gesenktem Haupte.)

Rudolf (fortfahrend).
Zu seines Weibes Füßen,
Denn daß sie's blieb, hat sie im Tod erprobt.

Berta (ist hinter dem Sarge auf die Erhöhung getreten und lehnt mit dem Ellenbogen darauf, jetzt pocht sie an den Sarg und sagt:)
Mach auf, Margrethe, sieh, dein Mann ist da!

(Mit mehreren Gefangenen ist der Kanzler hereingebracht worden, er stürzt hin.)

Kanzler.
O Herr! Du mein verirrter, wackrer Herr!
(Er nimmt Ottokars Haupt in seinen Schoß.)

Rudolf.
So liegst du nackt und schmucklos, großer König,
Das Haupt gelegt in deines Dieners Schoß,
Und ist von deinem Prunk und Reichtum allen
Nicht eine arme Decke dir geblieben,
Als Leichentuch zu hüllen deinen Leib.
Den Kaisermantel, dem du nachgestrebt,
Ich nehm ihn ab und breit ihn über dich,
(er tut es)
Daß als ein Kaiser du begraben werdest,
Der du gestorben wie ein Bettler bist.

Bringt ihn nach Laa und stellt ihn fürstlich aus,
Bis man ihn holt zur Ruhstatt seiner Ahnen.
(Er entblößt das Haupt und betet still, die andern tun dasselbe. Kunigunde verhüllt sich, Zawisch blickt starr vor sich. Pause.)

Berta (noch immer auf den Sargdeckel gelehnt).
Und vergib uns, als auch wir vergeben!
Und führ uns nicht in Versuchung!

Rudolf.
Nicht führ' uns in Versuchung, großer Gott!

Und nun, mein Sohn, im Angesicht der Leiche,
Vor diesem Toten, der ein König war,
Belehn ich dich mit Östreichs weitem Erbe.
(Auf seinen Wink knieen seine beiden Söhne nieder. Er spricht immer vorzugsweise zu dem ältern.)
Sei groß und stark, vermehre dein Geschlecht,
Daß es sich breite in der Erde Fernen
Und Habsburgs Name glänze bei den Sternen!
Du steh in allem deinem Bruder bei!
Doch solltet ihr je übermütig werden,
Mit Stolz erheben euren Herrscherblick,
So denkt an den Gewaltigen zurück,
Der jetzt nur fiel in Gottes strenge Hände,
An Ottokar, sein Glück und an sein Ende!

Steh auf! und du! Und niemals kniee wieder,
Ich grüße dich als dieses Landes Herrn.
Und ihr auch grüßt ihn, laßt es laut erschallen,
Daß weit es sich verbreite, donnergleich:
Dem ersten Habsburg Heil in Österreich!

Alle.
Heil! Heil! – Hoch Österreich! – Habsburg für immer!

(Indem alle unter Trompeten und Jubelgeschrei niederknieen, um die Huldigung zu leisten, fällt der Vorhang.)

Ende.


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