Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.
Begegnungen.

Alles kam so, rote ich es geplant hatte, ausgenommen, daß ich in Southampton zu meiner größten Ueberraschung beim Einschiffen auf Freunde, die liebsten und teuersten Freunde stieß, und der unfehlbare Instinkt eines von diesen ließ sich nicht täuschen. Ich traf sowohl meine Braut, als auch meinen Hund. Jene, dessen fühlte ich mich sicher, unternahm die Reise in meinem Interesse, und die Sehnsucht, mit ihr zu sprechen, verzehrte mich fast, aber ich wagte es nicht, mich zu früh zu erkennen zu geben. Roy, das kluge Tier, hätte mich jedoch fast verraten, denn er erkannte mich trotz meiner Verkleidung und ließ sich nicht abschütteln. Erst als ich dafür gesorgt hatte, daß er im Vorderteil des Schiffes, wo meine eigene Koje lag, eine gute Unterkunft gefunden hatte, legte er sich ruhig hin.

Mit Frida zu sprechen, hatte ich keine Gelegenheit, und auch dem Hauptzweck meiner Reise konnte ich erst nähertreten, als diese schon zur Hälfte vorüber war. Zwischen den Reisenden der ersten und denen der zweiten Kajüte eines Dampfers gähnt nämlich eine unüberbrückbare Kluft. Mein Spielraum war scharf abgegrenzt, ich durfte weder dem Hurrikandeck nahe kommen, noch den Rauchsalon, das Musikzimmer, oder den großen Speisesaal betreten, obgleich ich mich beständig in deren Nähe umhertrieb, so daß ich schließlich ein Gegenstand des Argwohns für die Offiziere, Steuerleute und Aufwärter wurde und manche Grobheit einstecken mußte.

Am zweiten Tage unsrer Fahrt merkte ich wieder, daß ich überall, wohin ich ging, beobachtet wurde, denn die letzten Ereignisse halten mich sehr feinfühlig für jede Spionage gemacht. Jetzt war ich nicht mehr geneigt, solche Dinge leicht zu nehmen, aber ich fühlte doch mehr Entrüstung als Besorgnis, und zwar dermaßen, daß ich mich einmal unerwartet nach meinem Verfolger, der ein Reisender erster Klasse war und auf dem Vorderdeck gar nichts zu suchen hatte, umdrehte und eine Erklärung seines Benehmens forderte.

»Ich bin Ihr Freund, Kapitän Wood,« sagte er flüsternd, indem er mich beiseite führte. »Mein Name ist Rossiter, und ich vertrete Saraband und Snuyzer, der verhindert war, uns auf dieser Reise zu begleiten. Er hat die ›Fleur de Lis‹ verfolgt, um Sie daraus zu befreien. Aber wie, zum Donnerwetter, kommen Sie denn hierher?«

Sobald ich überzeugt war, daß er es ehrlich meinte – und das bewies er durch seine Kenntnis der Einzelheiten des Falles – erzählte ich ihm meine Geschichte.

»Miß Fairholme wird sich sehr freuen; das können Sie sich denken. Bis jetzt weiß sie noch nichts, obgleich ich Sie infolge des Benehmens Ihres Hundes gleich erkannt habe. Außerdem habe ich auch eine Photographie von Ihnen in der Tasche. Snuyzer ist groß in seinem Fache und läßt sich so leicht kein X für ein U machen. Ich habe bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, mit Miß Fairholme zu sprechen, denn sie ist noch nicht an Deck erschienen.«

»Meine Anwesenheit muß ihr sogleich mitgeteilt werden, da ich sie selbst sprechen möchte. Das müssen Sie einrichten, und zwar, bitte, sofort.«

»Selbstverständlich, Mr. Wood, ich werde im ersten günstigen Augenblick nach eingetretener Dunkelheit eine Zusammenkunft zwischen Ihnen beiden herbeiführen, aber die junge Dame darf nicht in allzu offnem Verkehr mit einem Reisenden zweiter Klasse gesehen werden: das könnte das ganze Spiel verderben.«

»Und das ist …«

»Großartig, ganz großartig, Mr. Wood, jetzt wo Sie an Bord sind. Wir wollen die Leute ruhig gewähren lassen, und wenn sie das Spiel schon gewonnen zu haben glauben, treten Sie hervor. Die beiden Damen werden bezeugen, daß Sie wirklich der richtige Kapitän Wood sind; Sarabands halten alle Fäden der Verschwörung in Händen, und wir werden die ganze Gesellschaft in ein Unionsgefängnis bringen, sobald es uns paßt.«

»Sie sagen, Sarabands halten alle Fäden in Händen. Ich weiß von nichts, möchte aber natürlich Aufklärung erhalten, was das alles bedeutet.«

»Ich habe von Snuyzer nur die Umrisse erfahren. Die Verschwörung ist von einem Menschen Namens Mc Quahe ausgeheckt worden.«

»O, den kenne ich. Ich habe Grund dazu …«

»Also dieser Mc Quahe war sehr genau mit Bully M'Faught, dem Erblasser, bekannt, in dessen Geheimnisse er zum Teil eingeweiht war, und er war der erste, der hörte, daß das Geld Ihnen zufallen werde. Deshalb verband er sich mit dem Italiener, der gar kein Herzog ist, und diese beiden brachten einen Commis Namens Simcox mit, der früher einmal in Quinlans Diensten stand. Das ist der Hanswurst, der Sie jetzt hier an Bord vorstellt, aber nun wird alles an den Tag kommen; verlassen Sie sich nur auf Sarabands.«

»Eins kann ich diesen nicht überlassen«, antwortete ich, worauf ich meinem neuen Freund von den vermißten Papieren erzählte. »Die muß ich unbedingt wieder in meinen Besitz bringen, ehe wir im Hafen anlangen. Wenn alles andre fehlschlägt, müssen wir die Schurken an Bord verhaften lassen, aber das möchte ich gern vermeiden, denn es könnte dazu führen, daß etwas vom Inhalt der Papiere bekannt würde, und diese sind von der geheimsten und vertraulichsten Art.«

»Glauben Sie nicht, daß der Spitzbube sie längst auswendig gelernt hat?«

»Ihr Inhalt ist so seltsam, daß kein Mensch ihm glauben würde, sogar unter Eid nicht, wenn er seine Aussage nicht durch die Papiere selbst bekräftigen könnte.«

»Dann werden Sie sie wohl wieder haben müssen, aber ich weiß wirklich nicht, wie das zu bewerkstelligen wäre, außer wenn man sie geradezu aus der Koje des Herzogs wegnähme, und das wäre etwas, was einen häßlichen Namen führt – wenn es entdeckt wird.«

»Für Sie wäre es ein Diebstahl, für mich nicht. Die Papiere gehören mir oder meinem Auftraggeber, und ich sage Ihnen, ich würde keinen Anstand nehmen, sie offen oder heimlich an mich zu bringen, oder darum zu kämpfen, wenn ich in ihre Nähe gelangen könnte.«

»Sie scheinen mir auch bereit zu sein, Kapitän, die Prüfung zum Eintritt ins Gefängnis abzulegen«, entgegnete Mr. Rossiter lachend.

Mein neuer Freund hatte mir Nachrichten von Frida versprochen, allein Tag um. Tag verging, ohne daß er mir etwas mitzuteilen gehabt hätte. Immer war es dieselbe Geschichte: »Das Fräulein leidet noch unter den Wirkungen des Wetters, wie die andern Damen. Nicht im stande, ihre Koje zu verlassen. Die Aufwärterin meint, sie werde festliegen, bis wir Sandy Hook erreichen, aber ich werde es Sie wissen lassen, sowie ich etwas höre.«

Endlich, am vierten Tage der Seereise – einem herrlichen, sonnigen und frischen Tage – erschien mein liebes Mädchen an Deck, und da ich unablässig auf Wache stand, sah ich sie von meinem fernen Platze zweiter Klasse lange ehe Rossiter mit seinem Berichte zu mir kam. Er war zu sehr durch die Sorge für ihre Bequemlichkeit und Bedienung in Anspruch genommen, die gute Seele, als daß er Zeit gehabt hätte, an mich zu denken. Als er endlich erschien, wollte er nur Roy holen. »Das Fräulein ist rein toll, den Hund zu sehen,« sagte er, aber von mir sprach er nicht.

Als er zurückkehrte, sah er ziemlich erschrocken aus.

»Jetzt ist die Geschichte verpfuscht! Die Herzogin hat Ihren Namen auf dem Halsbande des Hundes gelesen …«

»Und vermutet, daß ich an Bord sei?«

»Das will ich nicht gerade behaupten – wenigstens bis jetzt noch nicht, aber es wird bald genug ans Licht kommen, wenn Sie sich nicht für den Rest der Fahrt sorgfältig unten in Ihrer Koje versteckt halten.«

»Verstecken werde ich mich nicht, mein Freund, wenigstens nicht eher, als bis ich mit Miß Fairholme gesprochen habe, und das werde ich mit oder ohne Ihre Hilfe oder Erlaubnis thun.«

»Jetzt gleich?«

»Ja, jetzt gleich, und zwar da drüben auf dem Schanzdeck, vor aller Augen. Ich kann das Fahrgeld erster Klasse bezahlen und werde es unter einem andern Namen thun.«

»Wollen Sie denn die Aufmerksamkeit absichtlich auf sich lenken und diese Halunken wieder auf Ihre Fährte setzen – das ganze Spiel verderben?«

»Was können sie mir denn anhaben? Und wenn sie etwas gegen mich versuchen sollten, so bin ich Manns genug, mich zu wehren. Vor offenen und ehrlichen Angriffen fürchte ich mich nicht.«

»Offene und ehrliche Angriffe sind aber gerade das, was sie nicht unternehmen werden. Wenn Sie sich jetzt zeigen, spielen Sie das Spiel dieser Leute – oder Sie veranlassen sie wenigstens, sehr auf der Hut zu sein. Seien Sie nicht eigensinnig, Kapitän, und warten Sie – nicht wahr?«

»Wie lange? Heute – Mittwoch – sind wir vier Tage in See, somit werden wir spätestens Sonnabend den Hafen erreichen, und was soll ich dann thun?«

»Hören Sie mich an, Kapitän. Ich werde selbst heute abend in der Dämmerung Miß Fairholme zu Ihnen führen, oder Sie zu ihr. Was sagen Sie dazu? Da hinten gerade über dem Steuervorgelege ist ein kosiges Plätzchen – eben Raum genug für zwei Leutchen, die sich gern haben …«

Ich wußte nicht, ob ich ärgerlich werden sollte oder nicht, aber ich konnte mich der Richtigkeit seiner Darlegungen nicht verschließen und erklärte mich bereit, seinem Rate gemäß zu warten.

»Haben Sie ihr gesagt, daß ich hier bin? Wenn nicht, würde ich – Sie werden das wohl begreifen – würde ich vorziehen …«

»Sie brauchen bei mir nicht mit dem Zaunpfahl zu winken, Kapitän. Von mir hat sie kein Wort gehört, daß Sie an Bord sind, und wird auch keins hören. Ob sie etwas ahnt oder nicht, kann ich jedoch nicht sagen, allein ich wüßte nicht, wie sie auf den Gedanken kommen sollte, und wenn sie darauf käme, würden sie wohl keine zehn Pferde festhalten – aber ich nehme mir wohl etwas zu viel heraus.«

Für den Rest des Tages, wenigstens solange Frida an Deck war, blieb ich, wie zu gestehen ich mich nicht schäme, an dem Orte, von wo ich sie am besten sehen konnte, und ich borgte mir ein Doppelfernrohr von Rossiter, um ihr liebes, schönes Antlitz genauer durchforschen zu können. Mannigfach wechselnde Empfindungen spiegelten sich in ihren Zügen, bald waren sie voll Sehnsucht, Erwartung, Trauer und Verzagen, bald leuchteten sie in unbestimmter Hoffnung auf, oder süßen Erinnerungen – Gedanken an mich, wie zu glauben ich eitel genug war – und zwar mit Recht, wie ich aus dem herzlichen Willkomm schließen durfte, womit sie mich begrüßte, als wir endlich wieder vereinigt waren.

Wie die Zeit verging, kann ich nicht sagen. Wir saßen Hand in Hand und schauten über den leuchtenden Streifen hin, den der Kiel des Dampfers im Wasser zog und der in den Strahlen des Mondes glänzte und schäumte, aber unsre Seelen blieben unberührt von diesem Bilde, wie von dem Gedanken, warum wir da waren, was uns bevorstehen mochte und was wir zunächst thun sollten. Unsrer Umgebung unbewußt und ohne uns um sie zu kümmern, würden wir bis tief in die Nacht dort sitzen geblieben sein, wenn nicht plötzlich eine hohe Gestalt einen Schatten auf uns geworfen und eine weibliche Stimme uns angeredet hätte.

»Entschuldigen Sie,« sagte sie, »aber ich wußte, daß ich mich nicht irren könnte; Sie sind Kapitän Wood.«

Es war die Herzogin von Buona Mano!

»Ich mußte Sie sprechen, wenn ich Ruhe finden sollte,« fuhr sie eilig fort, »und doch fühle ich mich hier de trop. Ich möchte Sie nicht gern stören und unterbrechen, aber darf ich ein Wort fragen? Sie sind also entkommen?«

»Wie Sie sehen, Frau Herzogin, und zwar ohne daß mir, abgesehen von etwas Unbequemlichkeit und rauher Behandlung, ein Leid geschehen ist. Sie sollen eines Tages die ganze Geschichte hören.«

»Gern hätte ich Ihnen dieses Ungemach von Anfang an erspart. Ich habe es mit allen meinen Kräften versucht, selbst an jenem ersten Abend in der Oper, und später hätte ich Sie gern gewarnt, aber ich wagte es nicht, deutlich zu sprechen. Und dann stand ich in jenem furchtbaren Hause wieder auf Ihrer Seite.«

»Wirklich, Frau Herzogin,« fiel Frida ein, »Sie haben sich unsre Freundschaft verdient, und wie dankbar wir sind, werden wir Ihnen hoffentlich noch beweisen können.«

»Aber warum sind Sie hier?« fuhr die andre Dame ungeduldig fort. »Auf welche Weise sind Sie hierher gekommen? Ich habe Sie während der Reise noch nicht gesehen und – die andern ahnen auch noch nichts von Ihrer Anwesenheit, was ein Glück für Sie ist, denn Sie würden bestimmt versuchen, Ihnen ein Leid anzuthun.«

»Das haben sie bereits gethan, und die Schädigung, die sie mir zugefügt haben, ist vielleicht gar nicht wieder gut zu machen. Sie haben mich bestohlen.«

»Ja, ja, das weiß ich,« antwortete sie, »aber das ist doch etwas Geringfügiges und leicht wieder gut zu machen, und vor Schlimmerem können Sie sich jetzt, wo Sie wieder frei sind, schützen, wenn Sie nur vorsichtig sein wollten. Warum Sie jetzt so viel wagen, indem Sie sich wieder in den Bereich Ihrer Feinde begeben, kann ich nicht begreifen.«

»Das hat bei mir nie mitgesprochen,« antwortete ich lachend, »ebensowenig als mir an dem Gelde etwas liegt, aber meine Ehre steht auf dem Spiele, Frau Herzogin. Ich muß gewisse Papiere wiedererlangen, die Ihr – Ihre Leute gestohlen haben, sonst bin ich auf immer entehrt.«

»Papiere? Gehören die Ihnen? Ich habe davon sprechen hören. Staatspapiere, die Ihrer Regierung gehören und die für den, der sie der unsern ausliefert, ein Vermögen wert sind. Also mit denen haben Sie etwas zu schaffen?«

»Sehr viel. Ich würde eine große Summe – jede Summe – geben, um sie wiederzuerlangen.«

»Bei mir bedarf's der Bestechung nicht, Kapitän Wood,« erwiderte sie voll Würde. »Sie werden mir doch kein Geld anbieten wollen? So tief bin ich noch nicht gesunken, und ich bin bereit, sie Ihnen wieder zu verschaffen. Das ist das Wenigste, was ich thun kann. Sie sollen die Papiere haben; ich will sie holen.«

»Sie sind eine gute Frau – und ich fühle die innigste Teilnahme für Sie,« sagte Frida, indem sie die Herzogin mit einer Bewegung, als ob sie sie küssen wolle, zurückhielt, allein diese machte sich frei und ging davon.

»Ja, sie ist eine gute Frau,« wiederholte ich, Fridas Empfindung beistimmend, aber nur, um zu finden, daß ihr diese Bemerkung nicht gerade gefiel.

»Ich begreife nicht, weshalb sie einen solchen Anteil an dir nimmt, und ich werde wohl die Augen offenhalten müssen.«

Aber warum soll ich die Worte einer lustigen Neckerei zwischen zwei thörichten Liebenden hier verewigen, die indes durch die Rückkehr der Herzogin bald unterbrochen wurden.

»Hier nehmen Sie, wenn es die Ihren sind, wofür mir Ihr Ehrenwort genügt. Ich wußte, wo er sie aufbewahrt hatte, und ich habe sie genommen – wie, das ist gleichgültig.«

Ein einziger Blick unter der nächsten elektrischen Lampe genügte, mich zu überzeugen, daß es die vermißten Papiere waren. Sie steckten noch in ihrer dienstlichen Hülle, einem breiten Streifband von grünem Papier, worauf gedruckt stand: »Streng vertraulich.«

»Seien Sie auf Ihrer Hut, ich beschwöre Sie,« fuhr sie fort, »denn es kann leicht sein, daß Lärm darüber geschlagen wird. Wenn es herauskommt, wer Sie in Wirklichkeit sind, wird sich der Verdacht auf Sie lenken, und das wäre ein neuer Grund zu Feindseligkeiten gegen Sie. Stecken Sie sie ein und bewahren Sie sie sorgfältig auf.«

»Gib sie mir,« mischte sich Frida ein. »Niemand wird auf den Einfall kommen, mich mit der Angelegenheit in Verbindung zu bringen, und ich fürchte mich vor nichts, was die Leute mir anthun könnten.«

»Nein, du sollst dich einer solchen Gefahr nicht aussetzen, Frida,« antwortete ich. »Dies ist lediglich meine Sache, um dieser Papiere willen bin ich hierher gekommen, und ich werde sie gegen jedermann verteidigen. Im äußersten Notfälle werde ich sie über Bord werfen. Einen wirklichen Wert haben sie nicht, ausgenommen, wenn sie in unrechte Hände fallen, denn wir besitzen Abschriften.«

So wurde die Sache erledigt, worauf sich unsre kleine Gruppe trennte. Ich war der letzte, der das Heck verließ, nachdem ich mit meinem lieben Mädchen ein Stelldichein an demselben Orte und zu derselben Zeit des folgenden Abends verabredet hatte. Allein als ich über das jetzt vereinsamte Deck auf die Treppe zuging, die zu meiner Koje in der zweiten Kajüte führte, begegnete mir gerade, als ich durch den vollen Lichtschein einer elektrischen Lampe schritt, ein Steuermann, der mich grob anfuhr.

»Heda, guter Freund! Was bringt Sie denn in diese Gewässer? Sie haben kein Recht, sich hier hinten aufzuhalten, und das wissen Sie sehr wohl. Ich werde Sie zum Offizier der Wache führen; er will Sie sprechen.«

»Wenn er mich sucht, so weiß er, wo ich zu finden bin. Im zweiten Salon, vorn.«

»So, so, also da nisten Sie? Das wissen wir schon, und noch mehr – daß Sie nicht dort bleiben werden. Weshalb kreuzen Sie hier auf dem Deck erster Klasse? Dafür werden Sie sich zu verantworten haben.«

»Das will ich auch, aber nur der zuständigen Persönlichkeit, dem Kapitän und keinem andern gegenüber. Geben Sie Raum!« rief ich, denn ich war durch die unverschämte Sprache des Menschen gereizt. »Unterstehen Sie sich nicht, sich in meine Angelegenheiten zu mischen. Für das, was ich gethan habe, kann ich ausreichende Gründe angeben, und das werde ich auch thun, aber nicht Ihnen. Aus dem Wege, oder ich lege Sie im Handumdrehen auf den Rücken.«

Bald wäre es zu Thätlichkeiten zwischen uns gekommen, denn der Kerl gab mir eine grobe Antwort, allein eine scharfe Stimme mischte sich in unsern Streit, die des Kapitäns selbst, denn der Wortwechsel hatte gerade vor seiner Kajüte stattgefunden.

»Was geht hier vor, Steuermann? Zanken Sie sich mit den Reisenden? Und wer sind Sie, Herr, der Sie den Mund so voll nehmen?«

»Einer aus der zweiten Kajüte,« entgegnete der Seemann, »der beständig die Grenze überschreitet, und ich habe den Befehl vom ersten Offizier, auf ihn zu passen.«

»Wie heißen Sie?«

»In der Liste stehe ich unter dem Namen Hardcastle, aber …«

»Ein falscher Name, das sieht schon gleich faul aus. Aber jetzt ist nicht die Zeit zu Verhandlungen, ich werde morgen mit Ihnen sprechen, vorn, in der zweiten Kajüte. Führen Sie ihn dahin, Steuermann, und sagen Sie dem Aufwärter, er solle ihn im Auge behalten – weit kann er freilich nicht kommen.«

»Zu Befehl, Herr Kapitän. – Vorwärts marsch – wollen Sie, oder soll ich Ihnen Beine machen?«

Ohne Zweifel ärgerte er sich, daß der »Alte« nicht entschiedener für ihn eingetreten war, aber jetzt, wo ich meine Ruhe wiedergefunden hatte, war mir sein Ton gleichgültig. Ich hatte Zeit gehabt, zu der Ueberzeugung zu kommen, daß es für jetzt geratener sei, mich stille zu verhalten.

Demnach ging ich geradeswegs nach meiner Koje und legte mich zu Bett. Ich teilte meinen Schlafraum mit zwei andern, sogenannten Seepferden, die die Ueberfahrt alle Monate einmal machten, und sie lagen schon in tiefem Schlafe. Ehe ich das Licht ausdrehte, blätterte ich die Papiere noch rasch und fand zu meiner großen Freude, daß sie vollzählig und unberührt waren.

Hierauf legte ich das kostbare Päckchen unter mein Kopfkissen und entschlummerte mit dem tröstlichen Bewußtsein, daß ein ersprießlicher Tag hinter mir lag.


 << zurück weiter >>