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Fünftes Kapitel.
Snuyzers Berichte.

Von Erastus K. Snuyzer
an die Herren Saraband & Söhne in New York und Chicago.

In meinem ernsten Bestreben, die Wünsche und Interessen Ihrer Firma zu fördern, habe ich den in Ihrem letzten Briefe erwähnten Herrn aufgesucht und ihm kurz, aber mit großem Nachdruck die Gründe auseinandergesetzt, warum es für ihn ratsam sei, sich der Dienste der Herrn Saraband & Söhne zu versichern. Kapitän Wood hatte keine große Lust, auf meine Vorschläge, die er nicht ernst nahm, einzugehen, allein es ist meine feste Ueberzeugung, daß er schon jetzt alle Schätze der Erde dafür geben würde, wenn er seine übereilte und thörichte Ablehnung meines Anerbietens ungeschehen machen könnte.

Am Abend des ersten Tages – jetzt gerade vor achtundvierzig Stunden – war ich ihm, immer dicht auf den Fersen, durch den Hyde Park nach seinem Klub und von da nach seinem Hause gefolgt. Im Hyde Park wurde Kapitän Wood von einem Menschen angeredet, den ich von Ansehen und dem Namen nach kenne, einem Halbamerikaner Namens Jimmy Lawford, der die Ueberfahrt mit Mr. Wood in demselben Dampfer der Cunardlinie gemacht und mit ihm im Rauchzimmer gespielt hat. Damals galt dieser Lawford für einen überseeischen Geschäftsreisenden, obgleich manche behaupteten, er sei im Geheimdienst der Vereinigten Staaten angestellt, während er jetzt, wie ich glaube, einfach bummelt – ganz der Mensch danach, mit dieser Bande gegen Wood gemeinsame Sache zu machen.

Was er mit diesem sprach, habe ich nicht verstanden, aber als ich den Park verließ, sah ich Jimmy in vertraulichem Gespräche mit einem Droschkenkutscher, der vom Bock gestiegen war und Lawford sehr aufmerksam zuhörte.

Nur die letzten paar Worte vernahm ich, und sie lauteten: »Zu jeder beliebigen Zeit, heute oder morgen abend. Sie werden die Belohnung erhalten, aber Sie müssen scharf aufpassen und bei der Hand sein.«

Diese ganze lange Nacht überwachte ich den Kapitän. Er ging in die Oper, in verschiedene Gesellschaften im Westend, und ich habe auch mit ihm gesprochen, oder vielmehr er mit mir, und zwar hat er mich an der Thür eines Hauses in Princes Gate, wo er zwei Damen beim Einsteigen in einen Wagen behilflich war, ziemlich grob angefahren. Aber ich habe ihn trotzdem nicht aus dem Auge gelassen. In der Nähe von Knightsbridge stieg er in eine Droschke, und das nächste, was ich sah, war, wie diese, als sie kaum fortgefahren war, in rasender Eile zurückkam, wobei der Kutscher auf dem Bock aufrecht stand und wie toll auf seinen Gaul lospeitschte.

Inzwischen war es hell genug geworden, daß ich erkennen konnte, was im Innern der Droschke vorging, als sie an mir vorbeiraste, und in diesem Augenblick sah ich, daß mehrere Männer darin waren – zwei oder drei, – die mit jemand rangen, der unter ihnen liegen mußte.

Natürlich war das Kapitän Wood, den sie wahrscheinlich betäuben und entführen wollten. Das alles wurde mir im Augenblick klar, und ich machte mich sofort daran, die Droschke zu verfolgen.

Zuerst ging es durch Kensington Road, wobei natürlich die Entfernung zwischen mir und dem Wagen immer größer wurde, und als ich High Street erreichte, hatte ich ihn aus den Augen verloren.

Ein Kaffeewirt, der seine Bude schon frühzeitig geöffnet hatte, erzählte mir jedoch, er habe die Droschke in der Richtung nach Holland House vorüberjagen sehen, und in St. Mary Abbotts Terrasse hörte ich, sie sei in Addisons Street eingebogen. Weiter konnte ich ihre Spur über Holland Road nach Shepherds Bush Green verfolgen, aber dort wurde sie unklar, denn ich war unerwartet auf die Spur von zwei Droschken gestoßen, wovon eine nach Shepherds Bush oder Uxbridge Road, die andre nach Green Road gefahren war.

Ich folgte der ersten, merkte aber bald, daß ich mich geirrt hatte. Es war nur eine Nachtdroschke, die nach ihrem Stalle zurückkehrte, wo ich den Kutscher traf, wie er gerade zu Bett gehen wollte. Er schwor, er habe in den letzten zwei Stunden keinen Fahrgast gehabt, und ich bin überzeugt, daß er die Wahrheit sprach, denn man sah seinem Pferde an, daß es lange gestanden hatte.

Nun kehrte ich nach Starch Green Road zurück und erkundigte mich überall nach einer im Galopp fahrenden Droschke. Zu dieser frühen Stunde waren noch wenige Menschen auf der Straße, meist nur Schutzleute, die mein verdächtiges Kostüm mit mißtrauischen Blicken betrachteten und mir keine Antwort gaben. Ein Bummler, dem ich begegnete, blinzelte mir zu, als ich ihn ansprach. Er meinte, es habe mit der Droschke nicht ganz seine Richtigkeit, und ermahnte mich, vorsichtig zu sein. Endlich kamen ein paar ordentliche Bauern, die Milch in die Stadt brachten, und die erzählten mir, sie wären auf der andern Seite von Hammersmiths Bridge einer Droschke mit einem ganz erschöpften Pferde begegnet und hätten sie in einen Garten fahren sehen, der zu einem Hause an Strathallan Road gehöre.

Als ich die letztgenannte Straße erreicht hatte, war es bereits heller Tag. Ich sah eine ganze Menge einzeln stehender Villen, die jede von ihrem eigenen Garten umgeben war und von denen einige auch Stallgebäude hatten. Während ich zweimal in dieser Straße auf und ab ging, kam ich zu der Ueberzeugung, daß sich eins von diesen Häusern recht gut dazu eigne, Wood darin gefangen zu halten, wenn es gelang, ihn hineinzubringen. Die Droschke konnte geradeswegs in den Stallhof fahren, und wenn sich das Thor der Wagenremise hinter ihr geschlossen hatte, war keine Spur mehr von ihr zu sehen, und kein Mensch, weder die Nachbarn, noch die Polizei, würden etwas von der Unthat erfahren, die im Innern des Hauses ausgeführt wurde.

Zwei Stunden brauchte ich, um die Einfahrten sämtlicher Villen dieser Straße, die Ställe hatten, genau zu untersuchen, doch nur bei einer fand ich frische Radspuren, aber ich konnte nicht herausbringen, zu welcher der Villen diese Einfahrt gehörte. Die Spuren waren erst vor kurzem entstanden und in dem dicken Sommerstaub deutlich zu sehen, so daß ich nicht im geringsten bezweifelte, den rechten Ort gefunden zu haben.

Sobald ich ein Telegramm aufgeben konnte, befahl ich dem jungen Joseph Vialls, einem gewandten Burschen, vom Bureau in der Norfolk Street, zu mir zu kommen, und wartete dann geduldig auf sein Eintreffen, während ich aus sicherer Entfernung das verdächtige Haus beobachtete.

Als der Tag vollends anbrach und sich das geschäftige Leben auf der Straße zu regen begann, sah ich, wie in allen Häusern, außer einem, die Fenstervorhänge aufgezogen, die Thüren geöffnet wurden und Dienstmädchen erschienen, die die Thürmatten ausschüttelten und die Treppenstufen wuschen. Bald kamen auch Kinder heraus und liefen in den Gärten umher, und ich konnte sehen, wie sich Familien um die Frühstückstische versammelten, von denen ein lieblicher Kaffeeduft in die Morgenluft drang, der einem hungrigen, die ganze Nacht auf den Beinen gewesenen Menschen, wie mir, Tantalusqualen bereiteten.

Diese ganze Zeit über blieb das eine Haus geschlossen, hermetisch versiegelt. Auf dieses machte ich Joe aufmerksam, indem ich ihm genaue Verhaltungsmaßregeln gab.

Als ich meine Wohnung in der Norfolkstraße erreichte, war ich ziemlich am Ende meiner Kräfte angelangt, aber ich legte mich nur auf eine Stunde zur Ruhe und erwachte um zehn Uhr sehr erfrischt.

Während ich mich sorgfältig ankleidete, dachte ich tief über die Sache und mein weiter einzuschlagendes Verfahren nach. Meine erste und dringendste Aufgabe war, für Mr. Woods Befreiung zu sorgen, immer vorausgesetzt, daß er der Herr war, dessen Entführung in der Droschke ich thatsächlich mitangesehen hatte.

Für jetzt war ich dessen noch nicht ganz sicher, sondern stützte mich nur auf allerdings sehr schwerwiegende Verdachtsgründe. Konnte ich jedoch feststellen, daß er nicht nach Hause zurückgekehrt war, so war ich berechtigt, meine Vermutung als durch die Thatsachen bestätigt anzusehen.

Deshalb lenkte ich meine Schritte zuerst nach Clarges Street. Der Diener dort entsann sich meiner, machte aber ein sehr sonderbares Gesicht, als ich nach Kapitän Wood fragte.

»Also haben Sie die Neuigkeit noch nicht gehört?« antwortete er.

»Was, zum Donnerwetter, gibt es denn mehr zu hören, als was ich Ihnen zu erzählen habe?« entgegnete ich etwas geärgert über den Gedanken, daß mir jemand zuvorgekommen sei.

»Nun, daß dem Kapitän ein Unfall zugestoßen ist. Er ist diese Nacht oder heute morgen früh gefallen und hat sich schwer verletzt.«

»Wer hat Ihnen denn das aufgebunden? Glauben Sie es etwa?«

»Ich werde doch wohl des Kapitäns eigner Handschrift glauben.«

»Sagen Sie mir einmal genau, was er geschrieben hat.«

Begreiflicherweise war ich sehr bestürzt, wollte aber nichts merken lassen.

»Hier – Sie können es ja selbst lesen. Alles hat er natürlich nicht eigenhändig geschrieben, und Sie werden wohl auch begreifen, warum, aber seine Unterschrift ist das ganz bestimmt.«

Die Mitteilung war auf gutem grauen Briefpapier in hübscher fließender Handschrift geschrieben und lautete:

 

»Savory, ich bin bei der Nachhausefahrt verunglückt. Das Pferd stürzte auf dem Pflaster und ich wurde aus der Droschke geschleudert. Gute Leute hoben mich auf, und ich befinde mich in liebevoller Pflege, aber ich werde einige Zeit nicht im stande sein, mich zu rühren. Schicken Sie mir durch den Ueberbringer meinen Koffer mit Hemden, Schlafrock, Anzug, Checkbuch, Briefen, Papieren und so weiter. –

Laburnum Street
Harrow Road. 17a

Ihr
W. A. Wood.«

 

»Und Sie haben die Sachen abgeschickt? Auf welche Weise?«

»Mit der Droschke, die den Brief brachte.«

»Warum sind Sie nicht selbst mitgefahren?«

»Daran habe ich allerdings gedacht, und ich wäre froh, wenn ich es gethan hätte.«

»Ein sehr gerechtfertigter Wunsch. Und wenn Sie jetzt meinen Rat befolgen, so machen Sie sich sofort auf die Beine und gehen nach Laburnum Street 17a, wenn es einen solchen Ort überhaupt gibt.«

»O, den gibt's. Er steht im Adreßbuch.«

»Wirklich? Na, wenn Sie Mr. Wood dort finden, will ich Sie bei der nächsten Präsidentenwahl in Amerika als Kandidat aufstellen; Sie haben ein Gesicht, das sich aus einer Briefmarke sehr hübsch ausnehmen würde.«

»Was, um Gottes willen, meinen Sie denn eigentlich? Was ist ihm denn zugestoßen?«

»Meiner Ansicht nach ist Kapitän Wood unter Diebe, Räuber und Schlimmeres gefallen – Halunken, die ihm Lösegeld abpressen, ihn berauben, ermorden und ihm Gott weiß was anthun wollen, wenn nicht jemand von uns ihre Spitzbübereien durchkreuzt. An Droschkenunfälle und Laburnumstraßen glaube ich nicht. Da Sie indes andrer Ansicht zu sein scheinen, so wäre es am besten, Sie gingen hin und überzeugten sich.«

Allein, daß er ihn nicht in Laburnum Street finden werde, wußte ich ziemlich sicher, wenn es auch ganz in der Ordnung war, dort nachzufragen, auf die schwache Möglichkeit hin, daß am Ende doch etwas an der Geschichte sein möchte.

Was mich betrifft, so war ich mehr als je überzeugt, daß es sich um faule Fische handelte, und ich hielt mich für verpflichtet, den ganzen Fall der Londoner Polizei vorzulegen.

Auf dem Polizeiamt wurde ich nicht gerade freundlich empfangen. Zunächst verlangte man ordnungsmäßige Ausweispapiere, ein Zeugnis des amerikanischen Konsuls.

Das ärgerte mich zwar furchtbar, aber um keine kostbare Zeit zu verlieren, fuhr ich in einer Droschke geradeswegs nach dem Konsulat, wo ich natürlich vollkommen bekannt war. Einer der älteren Beamten fragte sofort nach meinem Begehr.

»Was steht Ihnen zu Diensten, Mr. Snuyzer? – Sie wollen also ein Zeugnis, das Sie bei der hauptstädtischen Polizei beglaubigt? Schön, das sollen Sie haben. Zu fragen, wohinter Sie her sind, ist wohl überflüssig? Wohl ein wichtiger Fall?«

Der Mann war mir befreundet und hatte mir schon oft, soweit es in seinen Kräften stand, kleine Mitteilungen gemacht, und so dachte ich, er könne mir auch jetzt helfen, denn ich hatte von Ihnen gehört, daß die Teilnehmer an dieser Verschwörung meist Amerikaner seien, weshalb ich es für nicht unwahrscheinlich hielt, daß die Konsulatsbeamten wüßten, ob einige von den Hauptspitzbuben und Bauernfängern gegenwärtig in London wären.

»Die Geschichte hängt mit M'Faughts Millionen zusammen,« sagte ich. »Sie haben doch ohne Zweifel von dem Glück des jungen Engländers gehört?«

»Na und ob! Heute morgen noch war er hier, vor kaum einer Stunde.« (Es war jetzt etwa ein Uhr.) »Kapitän William Aretas Wood wurde er genannt. Ist das Ihr Klient?«

Diese Mitteilung traf mich wie ein Schlag, denn ich durchschaute sofort, was sie bedeutete. Kapitän Wood konnte nicht wohl verwundet in einer Nebenstraße von Harrow Road liegen und sich gleichzeitig im amerikanischen Konsulat herumtreiben. Eines weiteren Beweises, daß faule Geschichten vorgekommen waren, bedurfte es nicht.

»Ja, wir arbeiten für Kapitän Wood. Ein Fall von Betrugsversuch. Die Bande ist sehr bald dahinter gekommen, daß er jagdbares Wild ist. Aber was hat ihn denn hierhergeführt, wenn ich fragen darf?«

»Eine Vollmachtsangelegenheit. Generalvollmacht für seine Vertreter in New York und Ueberweisung von gewissen Vermögenswerten an Vertrauenspersonen. Ein juristisches Geschäft. Das Gesetz verlangt, wie Sie wissen, daß die Urkunde in Gegenwart des Konsuls der Vereinigten Staaten unterschrieben wird.«

»Also haben Sie Kapitän Wood selbst gesehen, ja?«

»Selbstverständlich, ein Mann, der Millionen wert ist! Er interessierte uns alle. Nahm die Sache jedoch ziemlich gelassen hin. Sieht wie ein etwas gewöhnlicher Sportsman aus. Ziemlich groß, aber nichts Auffälliges in seiner Erscheinung – und für einen so reichen Mann war er eigentlich ziemlich schlecht gekleidet.«

»Ein hübscher junger Mann, was? Groß, blond, mit straffer Haltung?« fragte ich weiter.

»Nein gar nicht; eher häßlich möchte ich sagen. Blond, ja, aber vierschrötig und gewöhnlich aussehend. Gesprochen habe ich aber nicht mit ihm. Er und seine Freunde gingen gleich ins innere Zimmer zum Konsul selbst.«

»Seine Freunde?« wagte ich zu fragen.

»Dafür habe ich sie wenigstens gehalten, aber er hätte sich bessere aussuchen können. Da war zum Beispiel dieser Lawford – Jimmy, wie er genannt wird. Viel weiß ich nicht von ihm, aber jedenfalls nichts Gutes. Und dann der Oberst Mc Quahe, der damals den großen Cyclostoma-Schwindel im Westen ausgeführt hat, und ein kleiner Italiener mit einem braunen Gesicht, der so hungrig aussah, als ob er ihn mit Haut und Haaren hätte verzehren mögen. Wenn Sie ein Freund Kapitän Woods sind, so würde ich ihm an Ihrer Stelle raten, sich nicht zu tief mit dieser Gesellschaft einzulassen.«

»Ihn warnen?« sagte ich bei mir, als ich vom Konsulat wegging. »Wenn er auf mich gehört hätte, würde er nie in diese verzweifelte Lage geraten sein.«

So sehr ich auch über die Raschheit, womit ihn diese gewissenlosen Feinde in ihren Netzen gefangen hatten, überrascht war, so war mein Erstaunen über die Großartigkeit und Kühnheit ihres Planes doch noch größer.

Dieser war mir so klar, als ob ich ihn gedruckt vor mir hätte. Er bestand darin, daß sie ihren Gefangenen mit allen Mitteln und unter Gott weiß welchen Mißhandlungen festhalten, wenn nicht ganz beiseite schaffen wollten, während ein Doppelgänger, irgend ein geschickt herausgeputztes zweites Selbst, ihre Puppe und ihr Spießgeselle, seine Rolle spielte, für ihn handelte, sein Vermögen vergeudete, oder bis zum letzten Heller, der flüssig zu machen und erreichbar war, an sich brachte, ohne Furcht vor Einmischung oder Vergeltung, vorausgesetzt, daß es ihnen gelang, ihre Beute festzuhalten.

Wie weit stand es in meiner Macht, diese verbrecherischen, aber schlau ausgedachten Pläne zu durchkreuzen und zum Scheitern zu bringen? Einige Fäden hielt ich wenigstens in Händen.

Ich kannte mit ziemlicher Sicherheit das Haus oder dessen Nebengebäude, wo Kapitän Wood gefangen gehalten wurde. Ihn da herauszubringen, mußte meine nächste Aufgabe sein. War er erst befreit, so konnte vielem Unheil, wenigstens dem schlimmsten vorgebeugt werden. Aber mochte er nun sofort befreit werden oder nicht, so war es jedenfalls von der größten Wichtigkeit, seine Feinde zu verfolgen, zu erforschen, was sie trieben, und nichts unversucht zu lassen, was die Ausführung ihrer Pläne hindern konnte.

Von dreien der sauberen Rotte hatte ich, dank meinem Freunde im Konsulat, gehört, zwei waren mir mit Namen genannt und ihrer Persönlichkeit nach näher beschrieben worden, und der dritte konnte durch diese beiden ermittelt werden.

Meine nächsten Schritte waren mir demnach klar und gebieterisch vorgezeichnet.

Als ich über den »Strand« ging, sprach ich in meiner Wohnung in Norfolk Street vor. Von Joseph keine Nachricht, woraus zu schließen war, daß in Strathallan Road alles beim alten sei. Von da ging ich nach Clarges Street.

Die Zeit verstrich, schon war es drei Uhr nachmittags, und noch war für Mr. Woods Befreiung nichts geschehen. So ungeduldig und begierig ich auch war, für ihn zu handeln, so wußte ich doch auch, daß ich äußerst vorsichtig sein mußte.

Savory war zurückgekehrt, und ich sah ihm am Gesicht an, daß er in Laburnum Street nichts gefunden hatte.

Natürlich war kein Mr. Wood dort, das brauchte er mir gar nicht zu sagen, und auch Savory war jetzt überzeugt, wozu der Hund, den er mitgenommen, sehr viel beigetragen hatte.

»Master Willie war in dem Hause ganz bestimmt nicht, dafür steht Ihnen Roy. Ich habe ihm zugerufen: ›Such', Roy, such'!‹ obgleich das Frauenzimmer, das im Hause war – es schien mir eine ziemlich geringe Herberge zu sein – ihn einen greulichen Köter nannte und ihn zurückzuhalten suchte, aber Roys Zähne halfen ihm, so daß er das ganze Haus durchsuchen konnte.«

»Ein Prachtkerl! Wir wollen ihn auf unsrer Jagd nach Mr. Wood mitnehmen – was, Roy?«

Der Hund hatte Verstand wie ein Christenmensch, denn er schloß sofort Freundschaft mit mir, wedelte mit dem Schweife und steckte seine Schnauze in meine Hand, und als Savory ihn in seinem Kauderwelsch anredete und rief: »Ululululu! Such' verloren! Marsch, Roy!« heulte und bellte er und lief wie toll im Flur umher.

»Wohin gehen wir denn?« fragte Savory in ehrerbietigem Tone, da ihm jetzt ein Licht über meine Stellung aufgegangen war.

»Zunächst nach dem Polizeiamt. Heute morgen wollte man mir dort kein Gehör schenken, aber jetzt wird man vielleicht … Was haben Sie denn da?«

»Das ist ein Brief an Mr. Wood, der vor einer Stunde von einem Bedienten hier abgegeben worden ist. Sehen Sie, es steht ›Eilt sehr‹ darauf, aber … Was, Sie werden doch nicht …?«

Das war sein besorgter Einspruch, als er sah, daß ich mich anschickte, das Siegel zu erbrechen.

»Gewiß werde ich. Hier handelt es sich um Leben und Tod für Kapitän Wood, und ich muß von allem und jedem, was meinen Zwecken irgendwie förderlich sein kann, Gebrauch machen.«

Allein gerade als ich im Begriffe war, den Brief aufzureißen, wurde ich durch den Eintritt eines großen militärisch aussehenden alten Herrn mit einem wütenden Gesicht und sehr befehlshaberischem und hochfahrendem Wesen unterbrochen. Savory und ich standen im Flur, denn obgleich er wußte, wer ich war und welche Absichten ich hatte, traute er mir doch nicht genug, mich hinaufgehen zu lassen. Die Hausthür war halb geöffnet, er stand innen und ich noch auf dem Vorplatz, als dieser hochtrabende gebieterische Herr ankam und uns beide anredete.

»Wohnt hier Kapitän Wood? – Na, beeilen Sie sich etwas mit Ihrer Antwort; ich muß es wissen.«

In seinem Tone und seinem Auftreten lag eine Schroffheit, die ich als frei geborener Amerikaner nicht verdauen konnte. Wie ein Sklavenhändler mit einem Schwarzen, so sprach er mit uns, doch ich schaute ihn in einer Weise an, die ihn warnte, sich mir gegenüber nicht zu viel herauszunehmen.

»Nun, wird's bald? Wer von euch gehört hier ins Haus? Ist Kapitän Wood da? Ich muß ihn sofort sprechen. Mein Name ist Sir Charles Collingham.«

Als er diese Worte hörte, machte Savory eine tiefe Verbeugung. Diese Briten sind doch eine elende speichelleckerische Bande. Wenn sie nur einen großmächtigen Titel hören und gewaltige Kröten in ihren Pfützen umherschwimmen sehen, liegen sie sofort auf dem Bauch.

»Ja, ja, Sir Charles, jetzt erkenne ich Sie – aber Kapitän Wood ist nicht zu Hause.«

»Wo kann ich ihn finden? Ich muß ihn sofort sprechen – in einer dienstlichen Angelegenheit. Wo ist er?«

»Ja, wenn wir das nur wüßten,« warf ich dazwischen. »Wir stehen vor einem völligen Rätsel. Der arme Mensch ist in eine Falle geraten, und wir wissen nicht, was ihm zugestoßen ist oder wo wir ihn suchen sollen.«

»Wer, zum Kuckuck, sind Sie denn?« fragte mich der Herr unverschämt, »und was, in Dreiteufels Namen, haben Sie mit Kapitän Wood zu schaffen? Sie sind Amerikaner, wie ich merke.«

»Das stimmt, doch was kommt denn darauf an? Bin ich etwa nicht gut genug, Kapitän Wood zu kennen, oder für Sie, mit mir zu sprechen?« antwortete ich jetzt auch in ziemlich scharfem Tone, denn er hatte mich ärgerlich gemacht.

»Ach was! Mit Ihnen habe ich nichts zu thun. Ich kenne Sie nicht und trage auch kein Verlangen, Sie kennen zu lernen, Sie können sich meinetwegen zum Teufel scheren, sobald Sie Lust haben.«

Ohne auf Antwort zu warten, drängte er sich an mir vorbei und schob Savory beiseite.

»Ich muß hinauf in seine Stube gehen und mir einige Papiere holen, die ich nötig habe. Vorwärts, zeigen Sie mir den Weg,« sagte er dabei, indem er die Treppe hinanstieg.

Natürlich folgte ich, denn ich nahm an Kapitän Wood ebensoviel Anteil, als er. Außerdem fühlte ich, daß ich es meiner Selbstachtung und meiner Stellung als einer Ihrer vertrautesten Beamten schulde, diesen hochmütigen Briten zur Raison zu bringen.

General Sir Charles Collingham war zuerst im Zimmer und ging ohne weiteres auf den Schreibtisch los, woran, wie ich vermutete, Kapitän Wood seine schriftlichen Arbeiten ausführte. Der General fiel über die darauf liegenden Papiere her und durchsuchte sie in großer Hast und Aufregung.

»Wo ist die Mappe aus meinem Bureau?« fragte er hierauf, indem er sich an Savory wandte, in demselben gebieterischen Tone. »Sie ist gestern abend hier abgegeben worden, aber ich kann sie jetzt nicht finden. Schaffen Sie sie zur Stelle! Verstanden?«

»Aber die habe ich ja dem Kapitän heute morgen mit seinem Koffer und den andern Sachen zugeschickt.«

»Wie ist denn das möglich, wenn Sie nicht wissen, wo er ist?«

»Wenn Sie mir erlauben wollen, die Sache zu erklären,« warf ich nun dazwischen, obgleich es mir jetzt ein Rätsel ist, wie ich dazu kam, mich überhaupt noch mit dem Grobian einzulassen, denn er sah mich an, als ob er mich für eine Null halte, die nicht einmal seiner Verachtung wert sei. Allein als ich meine Geschichte erzählt hatte, machte sein anfänglicher Ausdruck völligen Unglaubens und Erstaunens dem einer alles andre in den Hintergrund drängenden Bestürzung Platz, und als ich fertig war, warf er sich in den nächsten Armstuhl und stieß ein langes, lautes Pfeifen aus, womit er offenbar seiner Aufregung Duft machen wollte.

Hierauf sprang er auf und lief wie ein Wahnsinniger im Zimmer hin und her.

»Ganz unmöglich!« rief er laut. »Das ist ja rein zum Verrücktwerden. Ich kann und darf es nicht glauben, und doch – beim Allmächtigen, es kommen manchmal seltsame Dinge vor.«

Plötzlich blieb er vor mir stehen und sah mich an, als ob er mich für einen Spitzbuben und Halunken halte.

»Man wird Ihnen doch wohl trauen dürfen, he? Was sind Sie und wie heißen Sie? Sie haben doch die ganze Geschichte nicht etwa geträumt? Waren Sie vielleicht gestern abend betrunken?«

»Ich trinke nur Wasser, Sir Charles, und zwar den Vorschriften meines Arztes gemäß mit Vorliebe heißes,« antwortete ich ernst. »Wie ich aus Ihrem Titel schließe, sind Sie wohl englischer Offizier, aber da Sie harmlose Menschen so verunglimpfen, kann ich Sie nicht für einen gebildeten Herrn halten.«

»Na, na, na, werden Sie nur nicht ungemütlich. Ich lasse mich nie fortreißen – der Jähzorn ist ein großer Fehler – namentlich im Dienst. Sie haben mir übrigens immer noch nicht gesagt, wer Sie sind und was Sie mit Kapitän Wood zu thun haben.«

Am kürzesten kam ich durch Überreichung meiner Karte zum Ziel, und es zeigte sich, daß ihm der Name Saraband nicht unbekannt war, worauf er ganz höflich wurde, und zwar in einem Maße, daß ich mich, da ich ihn wirklich für eine wichtige Persönlichkeit hielt, veranlaßt sah, ihm in kurzen Zügen die Verschwörung mitzuteilen, der, wie wir glaubten, Kapitän Wood zum Opfer gefallen war.

»Sie meinen, es handle sich um das Geld und um weiter nichts?« fragte er scharf.

»Nein, um was sonst könnte es sich denn handeln?«

»Alles darf ich Ihnen nicht sagen,« fuhr er nach kurzem Nachdenken fort, »denn das sind Dienstgeheimnisse, aber es sind auch noch andre Gründe denkbar, die gewisse Leute veranlassen könnten, Kapitän Wood zu entführen und eine Zeit lang verborgen zu halten, da er Dinge weiß, die von hoher Wichtigkeit für … Na, das darf ich Ihnen eben nicht sagen, aber das Verschwinden dieser Papiere, kurz, der Mappe, bestärkt mich in meiner Ansicht.«

»Demnach liegen auch Gründe öffentlichen Interesses vor, alles zu thun, um Kapitän Wood wiederzufinden?«

»Sehr triftige Gründe, und wir müssen sofort die Polizei zu Hilfe rufen. Ich werde sogleich nach dem Polizeiamt gehen und die Detektives auf die Beine bringen.«

»Da bin ich schon gewesen; sie haben mich aber nur ausgelacht.«

»Mich sollen sie nicht auslachen, dafür stehe ich Ihnen, denn es wäre nicht ausgeschlossen, daß der Vorfall zu einer Kabinettsfrage führte. Wenn diese Papiere in unrichtige Hände fallen, so kann das eine ganz verteufelte Geschichte geben. Mit oder ohne Wood, ich muß sie noch heute wieder haben und darf meine Zeit nicht mit Schwatzen verschwenden.«

»Einen Augenblick, Sir Charles. Mein – unser Interesse an Kapitän Wood ist kaum geringer, als das Ihre, deshalb möchte ich mir den Vorschlag erlauben, daß wir zusammenarbeiten.«

»Richtig, das ist ganz verständig. Haben Sie sich schon einen Plan gemacht? Was beabsichtigen Sie zu thun?« antwortete er, und jetzt war er auf einmal honigsüß.

»Eins ist vor allem andern dringend erforderlich. Die Polizei sollte das Haus in Strathallan Road durchsuchen.«

»Jedenfalls darf es keinen weiteren Aufenthalt geben. – Sie da,« rief er Savory zu, »halten Sie die erste beste Droschke an. Ich fahre nach der Polizei. Wollen Sie mit mir fahren?«

»Ich möchte lieber da draußen mit Ihnen zusammentreffen, denn ich nehme an, daß Sie sich der Polizei anschließen werden.«

»Ganz entschieden werde ich das thun, und vielleicht komme ich sogar noch vor ihr, also au revoir.«

»Einen Augenblick, Sir Charles. Beinahe hätte ich diesen Brief vergessen, der vor einer Stunde hier abgegeben worden ist. Er ist an Kapitän Wood gerichtet und kann vielleicht dazu beitragen, Licht in diese geheimnisvolle Geschichte zu bringen. Allerdings ist es eine Damenhand, aber ich war gerade im Begriffe, ihn zu öffnen, als Sie erschienen. Glauben Sie, daß ich das wagen darf?«

»Unbedingt. Auch die geringste Mitteilung ist jetzt möglicherweise von der äußersten Wichtigkeit. Ich will es indes lieber selbst thun, denn ich kann, wenn es erforderlich ist, Kapitän Wood später die nötige Aufklärung geben.«

Bei diesen Worten erbrach er das Siegel, öffnete den Brief und fing sofort an, laut und herzlich zu lachen.

»Aha, Miß Frida! Also haben Sie sich nicht lange besonnen, sich mit unserm neugebackenen Nabob zu verständigen. Lesen Sie nur,« sagte er, indem er mir den Brief reichte.

Die Ueberschrift lautete: »Hill Street 273,« unterzeichnet war er »Frida«, und der Inhalt bestand aus nur wenigen Zeilen: »Was ist denn aus Dir geworden? Ich erwartete Dich zeitig vor dem Lunch, und als Du nicht kamst, war ich zuerst einfach wütend, aber jetzt bin ich ernstlich besorgt, denn es muß irgend etwas vorgefallen sein. Daß Du den gestrigen Abend schon vergessen haben könntest, ist doch unmöglich.«

»Was sie mit dem ›gestrigen Abend‹ meint, kann ich mir denken, denn ich habe ihre Verabschiedung an der Thür des Hauses in Princes Gate mit angehört.«

»Wo sie ohne Zweifel gegirrt und geschnäbelt haben,« fügte der General hinzu. »Aber sie hat das Recht, zu erfahren, was vorgefallen ist. Sprechen Sie lieber auf Ihrem Wege erst in Hill Street vor. Allein nun ist genug geredet; ich muß machen, daß ich fortkomme.«

Savory und ich folgten kurz darauf in einer zweiten Droschke und auf Vorschlag des Dieners nahmen wir den Hund mit.

»Er findet den Kapitän ganz bestimmt, wenn wir auf die geringste Spur stoßen,« meinte Savory, und der Hund schien zu verstehen, was von ihm erwartet wurde, denn so wie wir das Haus in Hill Street erreichten, war er der erste, der hineinstürmte. Als ob sich das ganz von selbst verstehe, lief er die Treppe hinauf und schien dort vollkommen zu Hause zu sein.

Bald kam er wieder herab, und ihm folgte eins der hübschesten, flottesten und süßesten jungen Geschöpfe, das ich seit meinem letzten Sonntagsspaziergang nach der Kirche in der Fünften Avenue gesehen hatte.

Zu beschreiben, was sie trug, habe ich nicht die Gabe; ich weiß nur, daß ihr Kleid ihr wie angegossen paßte, aber während sie mit mir sprach, sah ich weiter nichts, als ihre blitzenden Augen und ihre roten Lippen.

»Natürlich kommen Sie von Kapitän Wood, denn dies ist sein Hund. Was haben Sie mir zu sagen? Rasch! Erklären Sie sich. Wo ist er selbst?«

»Ich wollte, gnädiges Fräulein, ich könnte Ihnen das bestimmt sagen, aber das kann ich eben nicht. Der Kapitän ist nämlich …«

»Warten Sie, treten Sie hier ein.«

Bei diesen Worten führte sie uns in ein Zimmer, bot mir einen Stuhl an und stellte sich mit auf den Rücken gelegten Händen auf den Teppich vor dem Kamin.

»Erzählen Sie mir die ganze Geschichte, oder wenigstens alles, was Sie wissen,« sagte sie, »und beeilen Sie sich, bitte.«

Hoch aufgerichtet und furchtlos stand sie da, ein Bild von Selbstbeherrschung, während ich ihr alles, was ich wußte, kurz und bündig erzählte. Abgesehen davon, daß ihre Farbe lebhaft wechselte, so daß ihre Wangen bald tief gerötet, bald totenbleich waren, und daß in ihren Augen Thränen glänzten, die sie aber energisch zurückdrängte, ließ dieses tapfere Kind kein Zeichen der Erregung über die Gefahr ihres Geliebten merken.

»Was haben Sie bis jetzt gethan?« fragte sie gebieterisch. »Was hat die Polizei dazu gesagt? – Bah, keine Ausflüchte, und klopfen Sie nicht auf den Busch,« fügte sie hinzu, als ich anfing, ihr die Sachlage zu erklären. »Sie wissen dies seit mehr – lasten Sie einmal sehen – seit mehr als zwölf Stunden, und doch ist mein – mein Freund, Kapitän Wood, noch immer da, wo ihn diese Menschen hingeschleppt haben.«

»Wo ich glaube, daß sie ihn hingeschleppt haben.«

»So geht die Geschichte nicht, Mr. – ich weiß nicht, wer Sie sind und wie Sie heißen – Mr. Snuyzer, amerikanischer Detektive? – Also schön, Mr. Snuyzer, jetzt werde ich die Sache in die Hand nehmen. Wir müssen Kapitän Wood finden, das heißt, ich muß ihn finden, einerlei ob Sie sich an den Nachforschungen beteiligen oder nicht.«

»Es würde mir sehr leid thun, wenn ich nicht daran teilnehmen dürfte, aber es gibt auch noch andre Leute, außer uns, die die Sache ausgenommen haben. Ich habe mit einem englischen General Namens Collingham gesprochen.«

»Ja, ja, den kenne ich – Willies, ich wollte sagen, Kapitän Woods Vorgesetzter bei der Nachrichtenabteilung. Ich wollte gerade zu ihm schicken, denn er ist ein Mann von großem Einfluß und von Bedeutung, ein Mann von Welt, der weiß, was er thut. Ihm ist es also schon mitgeteilt worden? Was will er denn thun?«

»Die Polizei auf die Beine bringen. Er wird einen ganzen Haufen Menschen nach dem Orte schleppen, bis wohin ich der Spur des Kapitäns gefolgt bin, und ich werde dort mit ihnen zusammentreffen.«

»Dann will ich auch mitgehen. Warten Sie hier, während ich meinen Hut aufsetze,« schloß sie, indem sie die Klingel zog. »Wenn der Bediente kommt, sagen Sie ihm, er soll mein Fahrrad vor die Thür bringen; oder halt – es ist besser, wenn wir zusammenbleiben. Bestellen Sie also meinen Ponywagen und sagen Sie, er müsse in zehn Minuten vor der Thür stehen.«

In weniger als zehn Minuten erschien sie wieder zur Ausfahrt angekleidet und ihre Handschuhe zuknöpfend.

»Kommen Sie, Mr. Snuyzer,« sagte sie lebhafter und entschiedener als je. »Es wird mir, nicht leicht, Ihnen Ihre bisherige Verschleppung der Sache zu verzeihen, aber wir müssen versuchen, die verlorene Zeit wieder einzubringen. Hier ist der Ponywagen, und den Hund wollen wir auch mitnehmen.«

Als wir Strathallan Road erreichten, war Joe Vialls zu meinem großen Verdruß nicht zur Stelle und auch weit und breit nicht zu finden.

Auf den kleinen Burschen hätte ich aber mein Leben verwettet. Er war ein Londoner Junge, der in seinem kurzen Dasein schon vieles zu Lande und zu Wasser gesehen hatte. Seiner gewandten Zunge und seines aufgeweckten Wesens wegen hatte ich ihn von der Straße aufgelesen, und jetzt gab ich mir Mühe, ihn für unser Geschäft abzurichten, wofür er natürliche Anlagen hatte. Was von ihm erwartet wurde, wußte er ganz genau, und er war gar nicht der Junge danach, daß er sich so leicht dazu hätte verleiten lassen, seinen Posten aufzugeben und seinen eigenen Vergnügungen nachzugehen.

Wie eine Tigerin wandte sich Miß Fairholme gegen mich, als wir am Hause vorbei- und wieder zurückfuhren, ohne daß eine Spur von Joseph zu entdecken war.

»Steigen Sie aus und läuten Sie,« sagte sie zornig. »Je rascher wir in das Haus gelangen, um so besser. Bitte beeilen Sie sich.«

Ich hämmerte gegen die Thür und hing mich an den Klingelgriff, daß der Widerhall der lebendig-toten Vorstadt erweckt wurde, aber niemand erschien, und es war kein Lebenszeichen im Innern zu entdecken.

Bald darauf traf die Polizei ein, und der General, der auf seinem Fahrrad umhergekreuzt war, gesellte sich der jungen Dame draußen zu. Alle blieben einen Augenblick bei ihr stehen, um mit ihr zu sprechen. Ich glaube, die Leute zögerten, einzugreifen, und stritten mit dem General, der sehr ärgerlich war und ihnen kurze, scharfe Befehle gab, aber nicht viel dadurch erreichte, bis das kleine Fräulein die Sache in die Hand nahm. Ihr gelang es sehr bald, die Leute zu veranlassen, mir zu folgen, worauf sie sich anschloß.

Einer von den Schutzleuten ging ums Haus herum und fand auf der Rückseite einen schmalen mit einer niedrigen Mauer umgebenen Garten. Ohne Schwierigkeit übersprang er diese, worauf er durchs Fenster der Waschküche ins Haus drang. Gleich darauf hörten wir, wie er die Sicherheitskette an der Thür löste. Nun traten wir alle in den Flur und zerstreuten uns im Hause, indem einige in die oberen, andre in die unteren Räume gingen, aber niemand von uns fand etwas. Kein einziges Stück Möbel, noch das geringste Anzeichen, daß das Haus bewohnt war, konnten wir entdecken.

Das kleine Fräulein nahm jedoch ebenfalls an der Jagd teil und feuerte den Hund an, indem sie ihm zurief: »Such', Roy, such' verloren! Such', such', such'!« was das Tier fast toll machte. Mit einem kurzen, scharfen Bellen, als ob er eine Schafherde zusammentreiben wollte, jagte er durchs Haus, und er – wunderbares Tier! – war es, der uns ins Erdgeschoß führte, in einen zwischen dem vorderen Wohnzimmer und der Küche gelegenen kellerartigen Raum.

Hier raste er mit wütendem Gebelle wie besessen umher.

Der Raum war pechfinster, denn es waren keine Fenster vorhanden, und nicht ein Schimmer des Tageslichtes drang herein, aber einer von den Leuten zündete ein Streichholz und dann eine Blendlaterne an, so daß wir sehen konnten, was der Raum enthielt. In der Mitte stand ein langer Tisch, ein Küchentisch mit Stühlen an beiden Seiten, und an einem Ende des Raumes erhob sich eine seltsame Vorrichtung, die ihre eigene Geschichte erzählte.

Es war ein hölzernes Gerüst, ein Mittelding zwischen einem Schafott und einem Galgen. Zwei starke, senkrechte Balken waren zwischen der Decke und dem steinernen Fußboden eingekeilt, als ob sie den Zweck hätten, jene wie Säulen zu stützen, aber es war leicht zu sehen, daß ihre eigentliche Bestimmung eine andre war, denn in der Nähe des Fußbodens befand sich ein sogenannter Bock zum Einspannen der Füße, so daß sich das Ganze als eine Einrichtung zum Auspeitschen eines Menschen darstellte, und diesem Zwecke hatte sie auch offenbar wirklich gedient. Zwischen den senkrechten Ständern hing eine lange Kette mit Vorhängeschloß gerade über einer niedrigen Bank, die dem Unglücklichen, der dort gefangen gehalten worden war – wer es auch gewesen sein mochte – zum Sitz gedient hatte.

Das war die Stelle, wo der Hund am wütendsten umhertobte und schnüffelnd hin und her rannte, immer mehr angefeuert, durch die Stimme der jungen Dame, die ihm zurief: »Lululu, braver Hund! Such' ihn! Wo ist denn dein Herr? Heraus mit ihm! Lululu!«

Daß sein Herr dort gewesen war, ging aus dem Benehmen des Hundes so offenbar hervor, daß kein einziger von uns daran zweifelte, ebensowenig als an der am Tage liegenden Thatsache, daß er jetzt nicht mehr da war. Ratlos sahen wir uns eine Weile an und wußten kaum, was wir zunächst thun oder sagen sollten, bis das gnädige Fräulein mit ihrem hübschen Füßchen aufstampfte und rief: »Nun?«

»Ich habe meinen Verdacht,« begann der Sergeant, ganz vergnügt in die Hände klatschend, so daß eine Wolke von weißem Staube aus seinen waschledernen Handschuhen aufstieg. »Hier ist nicht alles so, wie es sein sollte. Ich werde meinen Bericht erstatten und dann weitere Anweisungen abwarten.«

»Bah!« unterbrach ihn die junge Dame. »Und inzwischen wird Kapitän Wood ermordet. Wer ihn findet, erhält von mir eine Belohnung von fünfhundert Pfund, aber es muß innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden geschehen.«

»Das war ein Wort zur rechten Zeit,« sagte ich herzlich, »und ich sehe nicht ein, was wir gewinnen können, wenn wir noch länger hier bleiben. Der Käfig ist leer, und wir müssen den Vögeln folgen, wohin sie auch geflogen sein mögen.«

»Wenn ich mir einen Rat erlauben darf,« sagte der Sergeant, der, seit er von der Belohnung gehört hatte, einen gewaltigen Eifer entwickelte, »so wäre es nach meiner Ansicht das Beste, wenn wir dieses Haus zum Ausgangspunkt unsrer Nachforschungen machten. Wem gehört es? Wer hat es bewohnt? Wer hat diese hübsche Vorrichtung hier angebracht und warum und wozu? Wenn diese Fragen von den Nachbarn, Wohnungsagenten, Geschäftsleuten und was dazu gehört beantwortet sind, werden wir wohl denen auf die Spur kommen, die für diese Geschichte verantwortlich sind.«

»Dann machen Sie sich daran und thun Sie alles das,« meinte der General sehr verdrießlich, »ich aber werde inzwischen nach New Scotland Yard zum Polizeichef selbst gehen. Hinter dieser Geschichte steckt mehr, als ihr Dummköpfe zu ahnen scheint. Wir müssen die besten Beamten haben, über die sie verfügen, einen wirklichen Detektiv, der seine Sache versteht.«

Das war auf mich gemünzt, und Sie werden mir zugeben, daß es recht boshaft war. Aber was hatte ich denn schließlich erreicht? Und wo war mein Freund Joe?

»Das sieht ihm gar nicht ähnlich,« sagte ich halb zu mir selbst, als Miß Fairholme und ich beisammen standen und sie die Zügel ergriff, wobei sie, zum Einsteigen bereit, mit einem Füßchen auf dem Wagentritt stand. »Entweder ist er beim Spionieren erwischt worden – freilich ist es sonst nicht seine Art, sich ertappen zu lassen – oder er hängt ihnen an den Fersen wie Vogelleim. Aber – was, zum Donnerwetter, ist denn das?«

Etwas mit weißer Kreide ans Thor Geschriebenes hatte mir diesen Ausruf entlockt. Ein mit der Spitze nach der Stadt gerichteter Pfeil war darauf gemalt, und darunter standen die Worte: »Ausgekniffen – ich folge. – Joe.«

Die Schrift war so deutlich als gedruckt, wie auch ihr Sinn nicht mißzuverstehen war, und frohlockend machte ich Miß Fairholme darauf aufmerksam.

»Ich wußte, daß mich der Junge nicht im Stiche lassen werde. Der hat Schneid, das versichere ich Ihnen. Eines Tages wird er mich noch etwas in meinem Geschäfte lehren können …«

»Dann wollte ich, er machte bald einen Anfang damit,« entgegnete die junge Dame übellaunig. »Immer dieselbe Geschichte! Eines Tages, morgen nie. Und während dieser ganzen Zeit ist der arme Kapitän Wood …«

Bei diesen Worten versetzte sie ihrem Pony einen scharfen Hieb mit der Peitsche, so daß das Tier fast durch sein Kummet sprang und wie verrückt davonjagte, während das fast tolle Tier von einem Hunde bellend und heulend vor dem Pferde in die Luft sprang und nach seinem Maule schnappte oder es in die Sprunggelenke zu beißen suchte. Auch der General würdigte mich nur eines geringschätzigen Grußes, schwang sich wie ein Jüngling auf sein Rad und fuhr in großer Eile hinter dem Wagen her.

Die junge Dame werde ich wohl zum letztenmal gesehen haben, denn sie hat weder meine Karte angenommen, noch sich erkundigt, wo ich zu finden sei, und ich bin fest entschlossen, mich meine Lebtage nicht mehr um sie zu kümmern. Wenn Joe wieder auftaucht, was er, wie ich ganz zuverlässig erwarte, sehr bald thun wird, und zwar mit wichtigen Nachrichten, so daß ich eine frische Spur aufnehmen kann, werde ich die Sache allein weiter verfolgen. Mit hochnäsigen Herzoginnen, die einen wie Schmutz behandeln, will ich nichts mehr zu thun haben, denn ein freigeborener amerikanischer Bürger ist ebensoviel wert, als irgend ein beliebiger Kaiser, geschweige denn ein naseweises Frauenzimmer mit einem hübschen Lärvchen. Nun, wir werden ja sehen. Und wenn ich keinen bessern Grund hätte, als den, sie ein bißchen zu demütigen, werde ich das Ding bis zu Ende durchführen.


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