Christian Dietrich Grabbe
Hannibal
Christian Dietrich Grabbe

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Warte über einem Haupttor Karthagos

Der Pförtner mit seinem Knaben

Pförtner. Kind, sieh genau hin, denn heut erblickst Du etwas, wovon Du nach hundert Jahren erzählen kannst, und zum Glück ists helles Wetter.

Knabe. O die lustige Musik! Die blanken Harnische!

Pförtner. Siehst Du die beiden Staubwolken?

Knabe. Die da links den Himmel verdunkeln und durcheinanderwirbeln?

Pförtner. Das ist die numidische Reiterei im Gefecht mit der römischen. Den Göttern Dank, die unsrige dringt vor!

Knabe. Was wimmelt und windet sich hinter ihr am Boden, als wollts aufstehen und fort, und könnte nicht?

Pförtner. Verwundete und Sterbende, mein Sohn.

Knabe. Hilft ihnen keiner?

Pförtner. Nachher. Im Drange der Schlacht ists zeitstörend und gefährlich, sagt unser Nachbar, der Bader.

Knabe. In der Mitte der Scharen, Vater – hu, was sträuben sich da die Lanzen empor, fast wie Großmutters Haare, wenn sie keift!

Pförtner (schlägt ihm hinter die Ohren). Bengel, schimpf nicht auf Großmutter!

Knabe (weint). Darf ich nicht sagen, was ich sah? (Will fort.)

Pförtner. Junge, Du bleibst.

Knabe. Meine Schulstunde – Ich komme zu spät.

Pförtner. Werde Dich entschuldigen. – Schau, die beiden Mitteltreffen geraten aneinander!

Knabe. Der Feind zieht aber seine Schwerter und rollt sich zusammen, wie neulich der Stacheligel.

Pförtner. Es hilft ihm nichts, unsre Lanzen sind länger.

Knabe. Der Feind schlägt sie doch beiseit – Weh, da sitzen und würgen sie sich an den Kehlen!

Pförtner. Teufel – und es wird dabei so schauderhaft still, und man siehts so deutlich! Brausten doch alle Donner los, wirbelten und dampften alle Wüsten auf, dies leise Gewürg und Gemetzel zu übertäuben, zu verhüllen! – Ha, da kommt der edle Brasidas mit Reiterei zu Hülfe!

Knabe. Und da stößt ihm ein Römer den Dolch unter die Rippen, daß ihm das Blut auf die Erde prasselt, und er vom Pferde stürzt! Hu!

Pförtner. Wie sie sich um den Leichnam streiten! Er macht hundert andere!

Knabe. Ich kanns nicht mehr ansehn! Wär ich auch tot!

Pförtner. Was fällt Dir ein, Bube?

Knabe (schreit). Die Römer brechen durch!

Pförtner. Ruhig – Hannibal lockt sie in eine Falle – Ha! siehst Du? Da ist er, unerwartet aus dem Versteck, frisches Fußvolk, frische Reiterei hinter ihm – Moloch, wie wirds Platz, wohin er kommt! – Da hat er die Leiche des Brasidas, empor reißt er sie mit gewaltiger Hand, zeigt sie racherufend dem Heer –

Knabe. 's klingt ohrzerschmetternd!

Pförtner. – und wirft sie auf das Pferd! – Hölle, nun erst gehts los – Die Funken stäuben von den Panzern, meine Augen beben!

Knabe. Vater, Vater! Er hat zu wenig Leute! Der Feind umschwemmt ihn!

Pförtner. Pah! was das? Sieh, er schwimmt allerwärts durch, patscht gut hinein, wo er ist, spritzt doch das Blut himmelhoch!

(Der Knabe hält sich die Augen zu.)

Die Hände von den Augen – Karthago siegt!

Knabe. – – Was für eine Eisenmasse kommt aber da aus der Ferne? Kalt, blinkernd, still und doch vordrängend – So ists, wie unser Lehrer sagt, bei Thule mit den Eisblöcken!

Pförtner. Aff, das ist die letzte römische Macht, – Hannibal sprengt schon selbst darauf zu, wetzt den Degen daran, und haut das Eis zu Stücken.

Knabe. Das tut er, aber es gefriert und schließt sich immer wieder – die Unsren werden matt –

Pförtner. Er zerbrichts mit seinen wenigen – schau, die Lücke!

Knabe. Ja, und da kommt er bluttriefend mit einem Schock Mann nur aus ihr zurück!

Pförtner. 'ne Teufelsgeschichte!

Knabe. Wie winkt er mit dem Arm den Unzähligen, die nahe vor uns stehen, so schön in Silber gewaffnet, ihm zu helfen? Sie rühren sich nicht.

Pförtner. Müßten auch Narren sein, ihre teuren Rüstungen und ihr kostbares Leben einzusetzen. Genug, daß sie dastehn und dem Feinde Achtung einflößen. Sprich vorsichtiger von ihnen, Junge. Es sind die Söhne unsrer angesehensten Familien, und von ihnen hängt es einst ab, ob Du mein Nachfolger werden sollst oder nicht – Die Unsterblichen sinds!

Knabe. Weil sie, wie jetzt, weglaufen, ehe man sie totschlägt?

Pförtner. Halt den Schnabel von Dingen, die Du nicht verstehst. (Er blickt in die Stadt.) Melkir, Hanno, Gisgon, die Geächteten, jeder mit wildem, großem Pöbelgefolg, und wie es hieß, unlängst unter sich in Zwiespalt, jetzt so scheints, noch einmal Eine Seele! – Was nicht eine verlorene Schlacht tut!

Knabe. Mutter sagt, wo ein Aas, da –

Pförtner. Schurk, schweig!

Melkir. Hanno, Gisgon, besetzt jene Mauern! (Indem er zum Pförtner steigt.) Ich besetze diese! – Verliert der Windbeutel?

Pförtner. Du meinst –?

Melkir. Hannibal, den Schuft, von dem ihr Schufte alles hofftet, und der nichts leistete. – Ha, er ist geschlagen, alles flieht, die Unsterblichen voran – Denen öffne die Tore, jedem andren Flüchtling schlag sie vor der Nase zu.

Pförtner. Dem Feldherrn auch?

Melkir. Ja, und mit einem kräftigen Ruck!

Pförtner. Komm, Junge. (Mit seinem Sohn ab.)

Melkir. Mein altes Herz, bebe vor Freude, daß du zu so hohen Jahren kamst! Die Römer konnten mir keinen größeren Gefallen erzeigen, als mit ihrem Sieg! Hannibals Name ist dahin, er selbst wird von der Stadt ausgeschlossen, und belagern sie uns, so verderben sie sich an unseren dreifachen Kyklopenmauern mehr, als er an Roms niedrigem Gemörtel. Eh, da ist er!

(Hannibal sprengt mitten durch die Unsterblichen, die scheu vor ihm ausweichen, und vor denen er im Vorübersausen ausspeit, mit einem kleinen Reiterhaufen auf Karthago zu; wie er Hanno, Gisgon und Melkir mit ihren Leuten auf den Mauerzinnen erblickt, reckt er die Hand gen Himmel, und jagt dann abwärts, pfeilschnell zur Küste.)

Er flieht! – – So etwas tut einem Greise wohl! – Daß aber großes Glück immer größere Sorgen mitbringt: der Maulaffe Gisgon und der Blasebalg Hanno müssen endlich unbedingt fort. Hanno erbte mit seiner Familie ein Rudel Anhänger, und Gisgon sammelt sich fleißig neue – Der alte Melkir aber überlistet euch beide, und wird Karthagos einziger Herr, oder er müßte nicht Melkir sein!


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