Jeremias Gotthelf
Die Frau Pfarrerin
Jeremias Gotthelf

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So erzählte uns die Frau Pfarrerin in mehr als einem Nachmittage, denn das Reden machte sie müde und tat ihr doch wohl. In ihrem wahrhaften Stilleben hatte sich doch viel bei ihr angesammelt, das Herz war ihr voll geworden ihr unbewußt, unsere Teilnahme erwärmte es, schloß es auf, und sichtlich wurden diese Mitteilungen ihr zu einem eigentlichen Labsal. Erst jetzt erhielt ihr Leben eine feste Gestalt, sie konnte es sozusagen ansehen, hatte erst jetzt ihre Freude daran und ward Gott so recht innig dankbar dafür. Wir gestunden ihr offen, ein so vergnügt Leben sei uns nie vorgekommen, wir hätten es nicht für möglich gehalten; besondere Glücksfälle kamen wohl nicht vor, aber was hatten sie zu bedeuten gegen ein andaurend vergnügliches Dasein in gegenseitiger Liebe! So eine Gabe, nur das Freundliche wahrzunehmen und wohl daran zu leben, bei großer Beschränktheit keinen Mangel zu empfinden, kein Gefühl zu haben für das Bittere, Giftige im Leben, gehe über alle Schätze der Welt, sei uns aber in der Größe noch nicht vorgekommen im Leben. Von Mal zu Mal entwickelte sich merklich ihr Geist und reifte, während wir uns nicht verhehlen konnten, daß der Körper schwächer werde, und der Arzt, der erst die beste Hoffnung hatte, den Kopf zu schütteln begann. Sie aber schien dieses nicht zu bemerken, wenigstens wurde sie heiterer, man möchte fast sagen, es fuhr, besonders in Gesprächen mit der Frau Landvögtin, wie ein Schimmer von Mutwillen über ihr Wesen hin.

Eines Nachmittags waren wir wieder bei ihr, und wir waren eben mitten in einer sehr interessanten Gespenstergeschichte, welche die Frau Landvögtin aus ihrer Familie zum besten gab, als die Frau Pfarrerin mit allen Zeichen des Schreckens auffuhr und ausrief: ›Um Gotts wille, drVogt, drVogt! Ich will unter die Decke!‹ und fuhr runter. ›Schlafen, schlafen!‹ rief die Frau Landvögtin, und so legte sich die Frau Pfarrerin, statt vollends unterzufahren. Starke Schritte tönten gegen die Türe, und eine schwere Hand polterte daran. Ehe ich noch ›Herein!‹ rufen konnte, tat sich die Türe weit auf wie vor jemand, der gewohnt, hinlänglich Platz zu haben, und unter derselben erschien mein lieber Vetter, blieb verdutzt da stehen, langsam sich zurechtfindend, ob er wohl am rechten Orte sei. Ich hob warnend den Finger in die Höhe, legte ihn auf den Mund. Verwunderend erkannte er mich, machte Anstrengungen, auf den Zehen näher zu kommen, aber vergebliche, mit dem ganzen Fuß mußte er abtrappen. Er wollte flüsternd nach der Frau Pfarrerin fragen, er habe vernommen, sie sei krank, aber das ging auch nicht, sein Lebtag hatte er das Flüstern nicht gelernt. Ich gab ihm leise zu verstehen, daß man die Frau nicht wecken dürfe, es sei ein wichtiger Schlaf; aber er hörte nicht mehr gut und wollte mich nicht verstehen. Die Frau Landvögtin machte dazu ihr schlimmstes Gesicht, daß ich mich kaum halten konnte. Er hatte erst vernommen, daß seine Anbefohlene krank sei, und war alsbald gekommen, um Anstalten für den Transport in den Spital zu machen. Als er vernahm, daß die Frau Pfarrerin und jene von der Post Überstoßene die gleiche sei, die Krankheit also von lange her schon, sah er mich giftig an und wunderte sich, daß niemand den Verstand gehabt, an den Spital zu denken. Vermögen sei keins da, ohne Zuschüsse von der Gesellschaft vermöge sie nicht daheim krank zu sein, aber ehe die Gesellschaft etwas zahle, müßten die vorhandenen Hülfsmittel benützt werden. Das könne er nicht verantworten, man hätte es ihm auf jeden Fall sollen sagen lassen, er hätte erwartet, dies fiele mir bei, auch hätte es ihn gefreut, wenn ich selbst gekommen wäre, er hätte lange nicht die Ehre gehabt, mich zu sehen.

Zum Glück merkte er selbst nicht, wie laut sein Flüstern geworden, er hätte sonst gegen den Schlaf der Frau Pfarrerin Verdacht schöpfen müssen, aber sie schien bombenfest zu schlafen; mit dem Gesicht gegen die Wand gekehrt, lag sie so stille da wie gestorben. ›Die gute Frau hatte eine sehr schlimme Nacht, ich bin doch so froh, daß sie einmal wieder recht schlafen kann‹, sagte ich. ›Wenn es der Vetter erlaubt, so komme ich morgen zu ihm und will ihm sagen, warum man sie nicht in den Spital transportierte, und warum es auch noch jetzt nicht geschehen kann.‹ ›Das wird doch sein müssen‹, sagte er, ›das ist nur Meisterlosigkeit, und wer zahlt?‹ ›Enfin, Vetter, morgen um welche Zeit ist es Euch am liebsten?‹ ›Es wird mich freuen‹, sagte er, ›aber an der Sache wird das nichts ändern, Ordnung ist Ordnung; Burger, die nicht Vermögen haben, werden im Spital verpflegt, es hat sich dessen niemand zu schämen. Sie ist eine Burgerin, ist krank, hat nicht Vermögen, also gehört sie ins Spital. Ordnung ist Ordnung, Bäsi, und für die Kranken wird gesorgt wie in wenig Privathäusern, Landvögt wären froh, wenn sie immer diese Abwart hätten.‹

Kaum war die Türe hinter ihm zu, so ließ die Frau Landvögtin ihre Burgerlust über die Hiebe, welche er ausgeteilt, los. So seien die Burger am schönsten, in ihrer Pflichttreue und ihrer Rücksichtslosigkeit bei der Erfüllung derselben. So ein rechter Bernerburger nähmte unbsinnt den Teufel bei den Hörnern, wenn er sich ihm in Weg stellte in Ausübung seiner bürgerlichen Rechte und Pflichten.

Weinerlich drehte sich die Frau Pfarrerin um, der Mutwillen war ganz verflogen. Sie machte sich ein Gewissen mit der Verstellung, aber um alles in der Welt hätte sie kein Lebenszeichen von sich geben dürfen. ›Das gebt mir auf mein Gewissen!‹ sagte die Frau Landvögtin, ›daran trage ich nicht schwer. Späße sind ja wohl erlaubt, besonders wenn sie Ärgernissen vorbeugen, überhaupt Ungutes verhüten, von dem man nachher wollte, es wäre nicht.‹

Am folgenden Morgen machte ich mich auf zum Vetter; er war gar nicht gnädig. Für alle meine Gründe wegem Vögeli, ihrer Schüchternheit, dem Bedürfnis von Stille hatte er gar keine Ohren. ›A bah!‹ sagte er, ›gewöhnt hat sie sich bald, und verpflegt wie dort wird sie nirgends und ohne daß es sie einen Kreuzer kostet.‹ Ich sagte, einstweilen habe sie Geld genug, und lange werde sie es kaum mehr machen. ›Und wenn sie es noch lange macht und kein Geld mehr da ist?‹ frug er. ›Spare sie es jetzt, so kann sie es immer noch später brauchen, wenn es gebraucht sein muß, was aber nirgends geschrieben steht.‹ Nun rückte ich mit der schweren Batterie vor. Bei ihrer Schwäche stünde ich für gar nichts, wenn man sie wider Willen und ohne Not in den Spital transportiere, und ob er es auf sein Gewissen nehmen wolle, wenn er so um nichts und wieder nichts, bloß um etwas zu erzwingen, das nicht nötig gewesen, eine Person töte? ›Bäsi‹, sagte er, ›das verstehn die Frauen nicht; wo man seine Pflicht tut, da hat man sich vor dem Gewissen gar nichts zu fürchten, und Ordnung ist Ordnung. Indessen damit Ihr seht, daß ich nicht eigensinnig bin, so will ich es der Waisenkommission vortragen; was dann die spricht, das geschieht dann, Bäsi.‹ ›Und ich rede mit dem Arzt; und was dann der sagt, das geschieht, Vetter.‹ ›So‹, sagte er, ›also mit der Waisenkommission wollt Ihr es probieren?‹ ›Wenn sie will; aber sie wird nicht wollen. Mein Arzt ist der Frau Pfarrerin Arzt, und der Arzt ist Mitglied euerer Waisenkommission, und jetzt, Vetter, was meint Ihr?‹ ›Ja‹, sagte er, wo die Weiber die Nase in einer Sache haben, da ist es aus mit allem Verstand.‹

Nun, der gute Herr Vetter mußte sich diesmal darein schicken, daß es nach Weiberköpfen ging und nicht nach seinem, es war auch ganz vernünftig so.

Die Frau Pfarrerin schien eine Natur gehabt zu haben von äußerst schwacher Art, die gesund schien, solange die Tage in stiller Einförmigkeit über sie weggingen, die aber harte Stöße nicht zu ertragen vermochte. Auch möglich, daß in ihrem Wesen sich schon lange der Krankheitsstoff eingeschlichen hatte, ohne daß sie es selbst bemerkte, der erst nach den groben eidgenössischen Zärtlichkeiten Bahn erhielt und sich geltend machen konnte. Was es war, weiß ich eigentlich nicht, denn die Ärzte titelieren die Krankheiten nach ihren eigenen Köpfen; was der eine ein Schleichfieber nennt, dem sagt ein anderer Schleimfieber; wissen sie mit etwas nichts zu machen, so sagen sie ihm Grippe, und, was ihrer Kunst den Weg vorläuft, dem sagen sie galoppierende Schwindsucht; den einen plagen die Hirnentzündungen im Traum, andere glauben nur an Herzerweiterungen, die dritten reden bloß noch vom Rückenmark, und wenn ihnen der Verstand ganz stillesteht, so sagen sie, es fehle in den Organen, aber sie könnten in Gottes Namen nicht darüberkommen, in welchem. Daher werde ich mich wohl hüten zu sagen, was die Frau Pfarrerin eigentlich gehabt, damit nicht jeder Arzt sage, das sei nicht wahr, sie hätte dies gehabt oder jenes, oder es sei ein eigentlich gar Nichts gewesen, aber man habe sie offenbar verpfuscht, nur wisse er nicht, wer, ob der Arzt oder die Weiber, wahrscheinlich beide zusammen.

Sie lebte scheinbar auf, doch nur geistig, sie wußte sich viel inniger auszudrücken, ihre Gefühle schienen lebhafter als früher. Sie redete viel von einem Reischen ins Bohnengschüch, sobald sie genesen sei, sie hätte ein recht Heimweh nach ihres guten Manns selig Grab, möchte sehen, wie die Bäume gewachsen, möchte wissen, ob die Leute sie noch kennten, ihrer gedächten. Wenn ich ihr vom Markte was heimbrachte als Geschenk eines Marktweibes, so freute es sie wie ein Kind, sie konnte vor Freude darüber weinen. Allgemach verscholl sie aber auf dem Markte, es wird am Ende alles vergessen, aber um ihr nicht wehezutun, ließ ich sie es nicht merken, sondern brachte ihr fort und fort die Andenken, und ein jedes war eine Labung für sie. Auch diese Täuschung gab ich der Frau Landvögtin aufs Gewissen, und sie nahm sie gerne. Es gehe zu allem andern, sagte sie.

Am rührendsten war ihre Zärtlichkeit zu ihrem Vögeli. Sobald morgens die Aufwärterin wach war, mußte sie es aus dem Käficht lassen, und den ganzen Tag über entfernte es sich wenig von ihrem Bette und flattierte und schnäbelte, wie ich es noch nie gesehen. Sie stürbe nicht ungerne, sagte sie zuweilen, wenn es sein müßte und das Vögeli nicht wäre. Es ginge niemand auf der Welt übel, wenn sie nicht mehr wäre, als gerade dem Vögeli. Sie wüßte wohl, wir würden es nicht verhungern lassen und es so gut besorgen, als wir es verstanden, aber einmal nun liebe es sie, so könnte es niemand mehr lieben wie sie, daher täte ihr das Sterben fürs Vögeli weh, und in die alte Heimat wäre sie auch gerne noch einmal gewesen, doch an dem hange sie nicht; wie der Herr wolle, sie schicke sich gerne darein.

Es war der Wille des Herrn, daß sie sterbe. Eines Morgens, als eben die Sonne ihr Stübchen vergoldete, schied sie leise, ohne schweren Atemzug; bloß das Vögeli, das auf ihrem Kopfe saß, merkte ihr Scheiden, flatterte ängstlich um ihren Kopf herum, setzte sich auf ihre Achsel, schlug, so laut es konnte, seine Triller, pickte dann und zerrte, als ob es sie wecken wolle, und als es sie nicht wecken konnte, setzte es sich trübselig aufs Hauptkissen, flatterte von Zeit zu Zeit über sie hin, setzte sich, wenn es sie immer so still und unbeweglich sah, wieder ans alte Ort, sträubte schon nachmittags sein Gefieder, und als man es mit Sonnenuntergang wie üblich zSädel tragen wollte, war es schon für immer zSädel gegangen, tot lag es auf ihrer Achsel, wo es im Leben so viel gesessen war; es war seiner guten Herrin nachgegangen, ihre Liebe zu missen vermochte es nicht einen Tag lang. So innig hängt wohl selten der Mensch am Menschen, man vermißt einander wohl, aber selten werden die Herzen wahrhaftig blutig gerissen, geschweige daß sie sterben.

Nun, eine Lücke riß ihr Verlust auch in mein Leben, wie ich sie selten empfunden, und worüber mein Vetter sich nicht wenig ärgerte. Er könne nicht begreifen, was mir da sollte zu Herzen gehen, sagte er, wir seien ja gar nicht verwandt, nicht einmal von der nämlichen Gesellschaft, nicht manchen Monat daure unsere Bekanntschaft, und da sei ein Nötlichtun, das nicht natürlich sei, sondern affektiert, unnatürlich, sentimental, die Herren von der Waisenkommission fänden es auch so und hätten sich sehr aufgehalten darüber.

Beim Mangel an allen Verwandten nahm niemand von ihrem Tode Notiz als die Herren von der Waisenkommission, sie füllten auch die Kutsche, welche hinter ihrem Sarge herfuhr. Ihr Scheiden machte also keinen Lärm auf Erden, ging ganz stille vorüber. Desto größere Freude wird im Himmel gewesen sein bei den Engeln, die schon lange sie kannten und liebten, als sie zu ihnen kam, mit ihnen den Herrn zu loben und zu preisen, wie es nur die reinen Seelen vermögen.«


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