Jeremias Gotthelf
Die Frau Pfarrerin
Jeremias Gotthelf

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Überhaupt drängte es mich, den Umhang vor ihrer Vergangenheit aufzuheben, um zu erfahren, wie es gekommen, daß sie so eigentümlich geblieben oder geworden. Aber nicht bloß ich war gwunderig, der Frau Landvögtin ging es akkurat gleich wie mir. Als ich einmal des Nachmittags zu ihr wollte, traf ich auf der Treppe die Frau Landvögtin an. ›Sagt mir doch‹, redete diese mich an, ›wisset Ihr nichts vom Leben unserer Frau Pfarrerin? Es nimmt mich zTod wunder; sie sitzt sorgfältiger darauf als eine Gluggere auf ihren Eiern und möchte nicht das Geringste merken lassen, und gerade deswegen nimmt es mich so wunder.‹ Gerade gleich geht es mir, sagte ich. Nun, wißt was, Ihr seid eine so resolute Frau, so stecht sie diesen Nachmittag geradezu an! Es ist absurd Wetter, so gerade recht, daß man nicht gestört wird und besonders geneigt ist, etwas zu hören. Sie ist so eine Gute, daß sie es nicht abschlagen darf, und was wir zu hören bekommen, bringen wir ihr nicht aus, wir dürfen es also wohl wagen. So war es mir gerade auch, und sobald die Frau Landvögtin, die noch einen kleinen Ausgang gemacht, sich gesädelt hatte und die Lismete im Gang waren, fragte ich: ›Was hättet Ihr gesagt, Frau Pfarrere, wenn ich meinen Vetter heraufgebracht hätte? Ich traf ihn fast vor der Haustüre an und hatte gute Lust, ihm zu sagen, er sei ein sauberer Vogt und kümmere sich schlecht genug um seine Anvertrauten; was der wohl für ein Gesicht gemacht hätte!‹ Meine kleine Bosheit hätte ich bald bereut der Angst wegen, in welche die arme Frau geriet. ›Mein Gott, nur das nicht!‹ rief sie, ›ich glaube, der Schlag rührte mich, Gott behüte mich davor‹, rief sie, ›wenn ich ihn plötzlich unter der Türe sehen würde. Wohl, der würde mir schöne Sachen sagen, daß ich mich nicht habe krank melden lassen bei ihm und nicht in den Spital gegangen, er ließe mich noch jetzt auf der Stelle transportieren.‹

Nachdem wir sie bestens beruhigt, fuhr ich fort und bat sie, uns zu erzählen, warum sie den guten Waisenvogt so fürchte, uns überhaupt unsern Gwunder zu stillen und uns von ihrem vergangenen Leben zu erzählen, wir wüßten ja gar nichts von ihr als den Namen, und in Bern sei es bräuchlich, daß man nicht bloß diesen, sondern auch die Herkunft eines Menschen, wenigstens bis zu Großvater und Großmutter hinauf, genau wisse, sonst bleibe ein Mensch immer verdächtig. Sie entschuldigte sich anfänglich mit dem Nichts ihrer Geschichte. ›Mein Gott, was wollte ich erzählen‹, sagte sie, ›was wollte einem so unbedeutenden Menschenkinde, wie ich bin, Merkwürdiges begegnet sein! Ihr würdet einschlafen darob.‹ Als wir ihr sagten, schon das sei merkwürdig, daß sie hier niemand kenne und dahergekommen scheine fast als wie vom Himmel herab, sagte sie: ›Das ist ganz natürlich, ich bin darum nicht von hier, sondern...‹, und somit kam sie in ihre Geschichte hinein, und als sie einmal im Zug war, vergaß sie die Bedenken.

›Als ich jung war, dachte ich nicht daran, daß ich je Burgerin von Bern werden würde, doch, um Vergebung, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ich bin aus einem der kleinen Städtchen, wo, wie das Sprichwort sagt, man am obern Tore einen Schoppen Nidle ausleeren und am untern Tore wieder auffangen kann, ohne einen Tropfen zu verlieren. Dort war mein Vater Torwärter und hatte zugleich die Stadtuhr zu überwachen und zu sorgen, daß immerdar zur rechter Zeit Mittag sei. Es war ein wichtiger Posten, aber auch ein beschwerlicher. Die Uhr war alt, stund daher gerne still, und merkte das mein Vater nicht alsbald, so kam die Frau Burgemeisterin oder Frau Burgerschreiberin oder eine andere Frau vom hohen Adel des Städtchens dahergelaufen und machten meinen Vater und später mir den Marsch und drohten, wenn man dsZeit nicht besser besorge, gebe es ander Wetter. Unter dem Tore hatte mein Vater ein Lädeli angebracht zum Verdienst und Zeitvertreib, wo man das beste Schwefelholz fand, denn mein Vater machte es selbst, doch hielt er es soviel möglich geheim. Nebenbei waren noch andere wichtige Sachen zu haben, Tabak zum Beispiel und oft auch Kaffee, im Winter Nüsse und Kastanien. Mein Vater war Witwer, hatte keine Kinder als mich, und eine Magd vermochte er nicht und dachte nicht daran. Als Burger hatten wir Land zum Pflanzen, einige Fruchtbäume. Vater und ich besorgten das gemeinsamlich, so gut es gehen wollte. Ach, mein Vater selig war gar ein guter Mann, er meinte nie, daß ein Mensch an zwei oder drei Orten zugleich sein könne; wenn ob dem Lädeli eine Pflanzung oder ob dem Garten das Lädeli versäumt wurde, er schmälte mich nie, und mit der Zeit nahm er es am geduldigsten; er aß, wenn gekocht war, und meinte nicht, daß es immer nur nach zwölf zu gleicher Zeit geschehen müsse, wie zum Beispiel die Frau Stadtschreiberin mit ihrer spitzigen Nas. Ich wußte oft nicht, wo wehren, das Nötigste abzutun; aber ich war zufrieden, es kam mir nicht in Sinn, daß ichs bös hätte, und am Sonntag hatte ich recht schöne Tage. Da konnte ich im Lädeli sitzen und alles sehen, was aus- und einging, löste manchen schönen Kreuzer, erhielt manches gute Wort, und Abend wurde es, ich wußte nicht, wie. Dann träumte ich noch die schönsten Sachen, und war der Montag da, so freute ich mich wieder auf den Sonntag. So lebte ich fast in lauterem Glücke, wenn auch in stillem. Ich war sehr wenig unter Gespielen, meist daheim, wo ich mehr als genug zu tun hatte; aber der Vater hatte mich lieb, und was wollte ich mehr? Hier und da weinte ich wohl auch, wenn mir ein Blumenstöcklein draufging, das ich liebhatte, oder der Vater mir einen kleinen Verwies gab. Da..., doch das darf ich gwüß nit säge, das muß ich überspringen‹, sagte die alte Frau, noch jetzt rot werdend.

Aber wir andern merkten wohl, was jetzt kommen müsse, das Kurzweiligste von allem, wie sie Burgerin von Bern geworden, und ließen daher nicht nach mit Bitten und Schmeicheln, bis sie wieder anfing: ›Da... da...‹, aber stotterend fast nicht mehr in Zug kam.

›Da steht eines Tags, an einem Montag gegen Abend war es, plötzlich ein kleiner Herr vor meinem Lädeli und frägt nach Schwamm, er müsse seinen verloren haben und möchte doch rauchen auf dem Heimweg. Ich bediente ihn wie andere Menschen so gut als möglich, er wählte lange, ich riet ihm, und endlich ging er, ohne daß ich was anders dachte, als das sei ein freundlicher Herr und habe eine gar liebliche Stimme, der werde sicher schön singen können, den möchte ich einmal hören.

Am nächsten Montag steht er plötzlich wieder vor dem Lädeli; ich erschrak recht, denn ich hatte ihn ganz vergessen. Er rühmte den Schwamm sehr und frägt, ob wir auch Tabak hätten, er sei mit dem seinen fast aus. Ich sagte, wir hätten wohl Tabak, aber so einem Herrn sei er wohl zu schlecht. Er meint nein; seit er so guten Schwamm hier gefunden, habe er das Zutrauen, wir würden auch guten Tabak haben, und ich muß ihm ein Päcklein von unserm geben. Ich tats mit rechter Angst, er finde ihn nicht gut und meine dann, ich hätte ihn angeführt. Diesmal vergaß ich ihn die Woche durch nicht, mit Bangen und Sorgen erwartete ich den Montag und mochte doch fast nicht warten, bis er da war, um zu vernehmen, wie dem Herrn der Tabak geschmeckt. Endlich kam der Montag, und der Herr kam auch. Er hatte ihm recht gut geschmeckt wie lange keinen, er hätte es nicht erwartet, aber es seien nicht immer die großen Läden, wo man das Beste finde, er wollte künftig allen bei uns nehmen. Ich wußte nicht, was darauf sagen; wenn er es nicht so freundlich gesagt, ich hätte geglaubt, er wollte mich zum besten halten.

Am Abend sagte ich dem Vater, es komme da ein Herr, ich wüßte nicht, wer er sei, aber er wolle den Tabak bei uns nehmen, er solle ja machen, daß wir immer recht guten hätten und ich nicht mit Schanden bestehen müsse. Wenn ich nur wüßte, wer er wäre. Als ich dem Vater auf seine Fragen antwortete, er sei, seit ich ihn bemerkt, immer an einem Montag gekommen, sagte er, das werde sicher der Vikar im Blackenboden sein, der komme alle Montage ins Städtchen, die Leute lachten sehr über ihn, er kaufe immer in der Apotheke einen Vierlig Täfeli und einen halben Schoppen Magenelixier und trinke beim ›Hirschen‹ einen halben Schoppen Vierbatzigen und nie mehr. Das machte mich sehr böse, daß die Leute einen so freundlichen Herrn auslachen konnten, und er erbarmte mich sehr. Ich war deswegen das nächste Mal desto freundlicher mit ihm aus Erbarmen wegen den bösen Leuten. Er schwatzte auch länger als sonst, es freute ihn, als ich ihm Herr Vikar sagte, daß ich wüßte, wer er war. Er erzählte, wie der Montagnachmittag die Zeit sei, wo er sich eine Freude gönne, am Dienstag in der Früh müsse er dann schon wieder anfangen studieren für den nächsten Sonntag.

Nun freute ich mich noch immer auf den Sonntag, aber hauptsächlich, weil nach ihm der Montag kam. Ach, wenn es doch nur Montag wär! dachte ich die ganze Woche, litt aber immer an großer Angst, der Vater möchte mich verschicken auf unser Land am Montagnachmittag, dann finde der Vikar vielleicht gar niemanden und nehme künftig seinen Tabak an einem andern Orte. Wir meinten nicht, daß immer jemand im Lädeli sein müsse. War ich nicht daheim, so ging der Vater ganz ungeniert seine Wege, ja oft bei wichtigen Angelegenheiten, zum Beispiel dem Bohnen- und Kabissetzen, gingen wir beide. Ich zog daher die ganze Woche alles zweg, von dem ich am nächsten Montag dem Vater sagen konnte, wenn ihn etwa das Gelüsten ankommen sollte, mich auszusenden, das müsse abgetan sein, es sei ja morgen auch ein Tag. Der Herr Vikar war sehr pünktlich, wenig Minuten werden gefehlt haben, daß er früher oder später vor dem Lädeli stand, aber nie mehr unerwartet oder unversehens; wie klein er auch war, immer von weitem schon hatte ich ihn kommen sehen. Ehe er ins Städtchen ging, hielt er jedesmal an und frug an, ob wir noch von dem Tabak hätten; wenn nicht, so müsse er sich im Städtchen versehen. ›Bhütis Gott wohl, Herr Vikari!‹ antwortete ich; dann hielt er sich nicht länger auf. Ungefähr zwei Stunden nachher, welche Zeit aber allmählich sehr zusammenschrumpfte, erschien er wieder und machte seinen Einkauf, und wir redeten zusammen ein wenig, vom Wetter und von Feuersbrünsten und Mordtaten, wenn es irgendwo welche gegeben. Wenn er schon klein war, so schritt er doch recht stattlich einher, besonders von hinten zu sehen, daß man Respekt haben mußte vor ihm; daher sah ich ihm immer nach, so weit ich konnte. Für mein Leben gern hätte ich ihn predigen hören, aber das gab sich nicht, ich durfte den Vater nicht darum fragen. Hingegen wenn irgend jemand aus dem Blackenboden bei mir einsprach, so vergaß ich nie, zum Ruhm meiner Sachen zu sagen, ihr Herr Vikar nehme auch alles bei mir und sage, er finde es nirgend so gut. Nichts konnte mich böser machen, als wenn man mir antwortete, selb wolle nicht viel sagen, von wegen er sei gar e Dumme und sei nicht schuld daran, daß die Pferde nicht Hörner hätten. Viel lieber hörte ich, wenn sie sagten, es sei ein guter Herr und hätte für so einen Kleinen ein bsunderbar schönes Wort, und ein Eifriger sei er mit dem Studieren, er wende an, er werde immer bachnaß darob. Sie trauten, es gehe ihm wohl schwer, aber mit der Zeit werde es ihm auch bessern, er sei noch gar e Junge.

Einmal, als er eben seine Einkäufe in den Taschen untergebracht hatte, gab es einen plötzlichen Schneesturm. Es wurde ganz finster, ganze Haufen trieb es durch das Tor, daß ich nicht anders konnte als ihm geschwind die Türe auftun und in unsere Stube führen, denn im Lädeli hätten wir kaum beide Platz gehabt. Er war schon über und über voll Schnee, als er hineinkam. Ich hätte ihn abklopfen sollen, aber ich durfte nicht vor Respekt, der Vater schmälte nachher mit mir bedenklich. Aber ich hatte auch schnell einige Sachen zu verstoßen, die unnötig herumlagen, und mußte daher entschuldigen, daß es so wüst bei uns aussehe, und hätte gerne gesagt, der Vater ziehe immer allerlei hervor und tue es nicht an seinen Ort, wenn er es nicht mehr brauche, aber ich durfte doch nicht recht, und zudem rief, sobald er wieder sah, der Vikari: ›Nein aber, was habt Ihr doch für einen schönen Rosenstock! So einen sah ich mein Lebtag nicht.‹ In der Tat hatte ich beim Fenster vornen einen Rosenstock voll prächtiger Rosen, wie ich sie auch noch nie gehabt. Er ward recht eifrig und erzählte, wie er ein großer Blumenliebhaber sei, besonders die Rosen gerne habe, aber es noch nie höher als bis auf drei Geschirre gebracht. Wie er sich so auf eine Pfarrei freue, wo er einen Garten habe, sonst noch Land, und Blumen ziehen könne nach Lust und Liebe! Da wolle er erst recht leben, und mit einem Garten voll Blumen sei er reich genug. Im Blackenboden habe er nicht einmal ein einzig Stöcklein, aber wenn ich ihm im Frühling ein Schoß geben wolle, so werde er mir sehr dankbar sein. Begreiflich sagte ich ja und wagte es endlich, zu fragen, ob ich ihm nicht eine Rose mitgeben dürfe. Und als er sagte: ›Bhütis, gar gern!‹ brach ich einen Stengel ab, an welchem eine eben aufgegangen und ein Knopf zum Aufgehen war. Ach, wie er so freundlich danken konnte!


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