Jeremias Gotthelf
Der Oberamtmann und der Amtsrichter
Jeremias Gotthelf

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Da kam an einem kalten Morgen, wo der Atem gar nicht aus dem Munde wollte aus Furcht, er erfriere, der Polizeidiener voll Reif, daß er anzusehen war wie ein gepudertes Tanngrotzli, und brachte Bericht: der Amtsrichter lasse seinen Respekt vermelden und dem Herrn Oberamtmann melden, auf seinem Lewatacker liege ein Reh, welches ihm Schaden zugefügt, und weswegen er es erschossen habe, der Herr Oberamtmann solle darüber verfügen. Nun, jetzt mag der verehrte Leser einmal selbst die Mühe nehmen, sich vorzustellen, was der Oberamtmann für ein Gesicht machte, und wie er den Mund auftat. Im ersten Zorn riß er am Glockenzug, daß er sprang, und rief nach dem Landjäger, daß der Kalk von den Mauern sprang. Der und der alte Polizeidiener sollten den Amtsrichter gefangen nehmen und ihn herbringen, ob gefesselt oder nur so einer hinten und einer vornen, wissen wir nicht. Wahrscheinlich hatte der Landjäger Lunte gerochen und sich fortgemacht, auf die Post hieß es und gläublich, da die dazu übliche Zeit vorhanden war. Man mußte also dessen Rückkehr erwarten, da augenscheinlich der schlotternde alte Diener der Polizei kaum die eigenen Beine bewegen konnte, geschweige andere gefangen führen.

Unterdessen setzte sich die erste blinde Hitze, und der Schreiber, der immer genau wußte, auf welchem Standpunkte der Oberamtmann war, ohne daß er ihm den Puls griff, begann zu reden, aber ganz leise. »Wie wäre es«, sagte er, »wenn man zuerst ein Protokoll aufnehmen würde und die Sache vorläufig untersuchte, ehe man zur Verhaftung schritt! Ich kann mir nicht denken, daß uns der Amtsrichter so bald davonläuft; aber Ihr wißt, wie sie in Bern sind, von einer Förmlichkeit, daß man aus der Haut springen möchte, und wenn nicht alles nach dem Lineal geht, so bekömmt man Verdruß, muß wegen der Form hintenabnehmen, wie klar man im Recht ist. Es scheint, man hat seit einiger Zeit in Bern die Freude daran, die Oberamtmänner zu blamieren und die Bauern übermütig zu machen; sie werden es aber erfahren, wohin das führt.«

Dem Oberamtmann drangen diese Worte durch den Nebel des Zorns; er pflügte noch einige Male die Stube auf und ab, dann sprach er: »Man kanns machen, es soll an der Sache aber nichts ändern; nur damit sie drinnen nicht die Freude haben, einen Wischer aufs Land hinauszuschicken. Obschon ich mir aus solchen Wischern hell nichts mache, der wäre zu den andern gegangen in die Schublade, wo wohl noch einige Platz haben werden. Schreibt einen Auftrag an den Amtsverweser, du, Polizeier, bringst ihm denselben, und sage ihm, der Herr Amtsschreiber und der Landjäger würden längst in einer Stunde ihn abholen; daß er daheim sei! Und ist er etwa nicht daheim, so soll man nach ihm aussenden, bis man ihn hat!« Der Polizeier marschierte ab mit dem Befehl, nachdem er noch einmal die Hände an den heißen Ofen gelegt und so gleichsam Vorrat von Wärme mitgenommen hatte.

»Aber so mit nichts soll mir heute der Amtsrichter nicht darauskommen, der soll nicht seine Galgenfreude daran haben, mich erzürnt zu haben, der Halunke, was er ist!« sagte der Herr. »Schreibt eine provisorische Verfügung, daß ihm einstweilen bis zur Vollendung der Untersuchung und weiteren Bescheid verboten sei, den Fuß ab seinem Herd zu setzen!« Hier wagte der Schreiber keine Einwendung, er wußte, wie der Herr um so hartnäckiger in Nebensachen wurde, wenn er in der Hauptsache nachgegeben hatte. Das werde halt einen neuen Wischer geben, dachte er, mache aber nicht das Aufsehen und die Erbitterung wie eine öffentliche Gefangenführung, und wenn halt der Oberamtmann Freude an Wischern habe, wolle er sie ihm nicht verderben. Man sieht, der Schreiber war ein loyaler Mann, gönnte jedem das Seine, sorgte hauptsächlich doch dafür, daß die Kirche mitten im Dorfe bleibe. Er schrieb also die Verfügung des Eingrenzens des Amtsrichters auf seinen Herd und ging mit ihm ab, um sich mit gehöriger Kleidung zu bedecken auf den kalten Weg.

Der gute Oberamtmann in seinem heiligen Zorn! Wenn er gewußt hätte, wie er mit all seiner Majestät verraten sei ringsum, die einen den Buckel voll lachten, die andern die Luft voll seufzten über ihn, wir glauben, der Schlag hätte ihn gerührt. Begreiflich kamen die Seufzer von der Frau Oberamtmännin. Sie glich darin sehr der Frau des Pilatus, daß sie so ziemlich wußte, mit wem ihr Herr zu tun hatte, und daß ihr dieses Tun nicht selten im Traume vorkam. Darin aber unterschied sie sich sehr von der Frau Pilatussin, daß sie sich wohl hütete, dem Herrn durch ihre Zofe Mahnungen ins Audienzzimmer zu senden. Wie es aber geht bei solchen Aufregungen, daß man mitteilend wird, sich aussprechen muß, so suchte der Oberamtmann, sobald der Schreiber ihn verlassen hatte, seine Frau und packte ihr des Amtsrichters Untaten und seinen Zorn aus. »Da kannst sehen, was das für ein Bursche ist! Du nahmst immer seine Partie, da siehst, was Freundlichkeit geholfen hätte bei einem solchen Bauerntrotz, das Auslachen hätte man noch gehabt zum Dank für alles obendrein!« »Ich weiß nicht«, sagte die Frau Oberamtmännin, »und ich möchte dich nicht bösemachen, Fritz« – so nannte sie ihn unter vier Augen immer, wenn sie besonders zarte Verhandlungen pflog um empfindliche Seiten herum – »aber ich glaube gerade das Gegenteil. Wärest du mit dem Amtsrichter auf gutem Fuß gewesen, er hätte das Reh nicht geschossen. Ich habe nie gehört, daß der Amtsrichter geizig sei, wegen einem ganzen Sack Lewat hätte er dich nicht böse gemacht, er hätte den Rehen so ein kurzes Winterfutter gern gegönnt, den armen Tieren mit ihren zarten Fellen!« »Meinst dann, ich hätte da vor dem Amtsrichter den gehorsamen Diener machen, mich wegen seiner Unverschämtheit noch bei ihm bedanken sollen! Ja, du verstehst, die Leute zu behandeln! Wärest du Meister, sie hätten dir bald die Haut über die Ohren gezogen, die Haut über dem Kopfe verbrannt.« »Wer weiß!« sagte die Frau Oberamtmännin, »ich habe doch schon oft mit Freundlichkeit viel ausgerichtet, und was ich Freundlichkeit nenne, ist nicht ein Unterziehen oder ein unangemessenes Billigen von Sachen, welche gerügt werden müssen; übrigens ist ja oft am besten, wenn man die rechten Hauptsachen im Auge behält und Kleinigkeiten übersieht.« »Es ist heute aber nicht mit dir zu reden, das ist ein ewig Widerspensten; Kleinigkeiten das, wenn man einen ganzen Morgen lang die Hunde ums Schloß brüllen läßt und die Hasen vor der Nase schießt und zuletzt nicht einmal Entschuldigungen macht! Kleinigkeiten, jawohl!« »Und jetzt wegem Reh, was willst machen, Fritz?« frug die Frau. »Ihm zeigen, dem... Bauer, wer Meister im Lande, und ob man der Obrigkeit so unverschämt Trotz bieten solle oder nicht!«

Und mit gewaltigem Schritt marschierte er aus dem Zimmer, und gewaltig dröhnte hinter ihm die Tür, fast konnten seine Zöglinge von Gottes Gnaden reden, daß ihr gestrenger Herr weder Landjäger noch Schreiber bei der Hand hatte, um Übungen mit ihnen anzustellen. Aber wenn er erst bei dem Zuge nach der Säublume gewesen wäre, was hätte er erleben müssen! Oh, wenn alle Obern alle Jahre auf vierzehn Tage verdammt würden, alles hören zu müssen, was ihre Untergebenen hinter ihrem Rücken von ihnen reden, da täte es erst großen Zorn geben, der brächte in wackere Gemüter viel Weisheit, die mancher Not vorbeugte, die in Tagen der Not der beste Steuermann wäre. Sie waren sämtlich auf Seiten des Amtsrichters, waren ordentlich stolz auf den Amtsrichter, der es wagte, ihrem taubeligen Herrn, der ungefähr war wie ein stehend Wetter am Himmel, welches jeden Augenblick losbrechen könnte, die Stirne zu bieten. Sie machten sich lustig über des Gewaltigen ohnmächtigen Zorn, waren gewunderig über des Amtsrichters Gesicht, der ganz sicher des Donnerwetters kaltblütig wartete, welches, wie er wohl wußte, der Oberamtmann ihm auf den Hals schicken werde. Sie bewunderten die Vorsicht, daß er das Reh liegen gelassen, die Anzeige selbst gemacht. Aber die Hauptsache war allen die Restauration beim Amtsrichter, deren sie sicher waren, an deren sie bloß im Vorgefühl kannibalisch wohllebten. Sie hatten auch ganz richtig kalkuliert. Natürlich gingen sie zuerst nach der Säublume, denn wo sie das Reh suchen sollten, wußten sie nicht. Der Amtsrichter ließ sich nicht suchen, er empfing sie schon vor der Haustüre und zwar mit lachendem Gesicht und fragte, was sie Guts brächten, es müsse was Wichtiges sein, daß sie sich vom Ofen weggelassen. Der Schreiber, dem das Maul am gängigsten geblieben, weil er es am meisten in Bewegung erhalten, antwortete: »Allweg! Wir sollen einen gewissen Amtsrichter fassen und an Schatten bringen.« Nun, er sei zweg, sagte der Amtsrichter mit lachendem Gesicht. Er hätte heute expreß frische Strümpfe angezogen, die wärmer seien als schon getragene, damit er es besser erleiden möge im Mörderkasten, oder in welche Käfi sie ihn bringen sollten. Das werde er erfahren, wenn er einmal dreinmüsse, jetzt hätten ihm gute Leute, denen er es hoffentlich nicht vergessen werde, zBest geredt, einstweilen hätten sie bloß den Auftrag, ein genau Protokoll aufzunehmen und ihm ein Schreiben zu übergeben, woraus er sehen könne, was Trumpf sei.

Der Amtsrichter öffnete das Schreiben, machte erst eine dunkele Miene, die sich rasch verzog, legte das Schreiben beiseite und sagte, er hülfe jetzt an Ort und Stelle zu gehen, wenns dem Herrn Amtsverweser belieben dort den Augenschein einnehmen und dann hier das Protokoll schreiben, draußen gefrören ja Tinte und Finger; derweilen könne seine Frau was Warmes machen. Daneben wie sie wollten, er habe da nichts zu befehlen, sondern als Delinquent gebotsamst sich zu unterziehen. Wer hätte etwas gegen des Amtsrichters Vorschlag einwenden sollen, besonders wegen dem Warmen? »Indessen doch noch eins auf den Weg!« sagte der Amtsrichter und schenkte ein delikates Kirschenwässerchen ein, daß sämtliche Majestäten ganz verzückt davon wurden, die Beine nicht stillehalten konnten. Der Amtsrichter benutzte den Augenblick, seiner Frau die Verfügung mitzuteilen, die sprang zweg wie eine Katze am Hälsig, und wohl kams dem Landvogt, daß er einen Stellvertreter geschickt, der selbst hätte was vernommen wie noch nie in seinem Leben! »Und jetzt, was willst machen etwa ein Fösel sein und dSach in Sack stecken?« »Still, Frau, still, und wenn sie wiederkommen, still, ganz still, ohne Wort und saure Miene, der Landvogt muß nicht Freude haben, wenn er hört, wie ich getan, und wie du aufgesprungen. Denn die drinnen sind ein Pack, die, wie gut sie es mit uns zu meinen scheinen, brichten doch alles dem Landvogt.« »Aber was willst dann machen, das so annehmen?« »Weiß es schon, will es dir sagen, sobald sie fort sind. Sei freundlich, miß die Worte wohl; wie gesagt, sie müssen nicht Freude haben an uns, weder der Landvogt noch die andern.« Die Frau verstand den Mann und tat also. Sie war nicht gewohnt, mit wenn und aber und allerlei Quergedanken die Sache zu versalzen.

Die Männer zogen aus, fanden einen schönen Rehbock auf dem Lewatacker, der wirklich aussah, als hätte eine Herde Schafe sich lange Zeit da aufgehalten. Sie nahmen es gut ins Auge, und der Amtsrichter gab zu Protokoll: Rehe seien mutwillig hierher verpflanzte Tiere, der Oberamtmann habe sie für seine Freude hierher gebracht, nun sei es nirgends geschrieben, daß er schuldig sei, um dem Herrn Oberamtmann Freude zu machen, Schaden zu leiden. Er habe denselben geziemend warnen lassen und erst, als er schnöden Bescheid erhalten, von seinem gesetzlichen Recht Gebrauch gemacht. Der Schaden liege vor Augen, Frevel habe er keinen begangen, das Reh liege da, die Anzeige habe er selbst gemacht, der Verfügung des Herrn Oberamtmanns unterziehe er sich einstweilen, behalte sich aber das Gutfindende vor.

Nachdem also das Protokoll gehörig abgefaßt, unterschrieben, versiegelt war, setzte man sich ohne langes Nötigen an das Warme, welches die Frau Amtsrichterin bereitet hatte, das war eine stattliche Mahlzeit und dazu die schönen aufwartenden Töchter, es ward absonderlich dem Schreiber, als sei er in Mohammeds Paradiese; ob Christ, ob Türk, war ihm hell egal im allgemeinen, im besondern aber, wobei er Besseres genoß und Schöneres sah, war ihm die Religion am liebsten. Er ward ganz Geist und Humor, und wenn dann die Mädel recht lachten, so kam es ihm vor, er hätte sie schon, wenigstens eine. Die meisten seiner Geschichten bezogen sich auf das Schloß und ganz besonders auf den Junker. Wenn der gewußt hätte, wie es ihm erging, und was seinem Schreiber aus dem Munde ging, es wäre wirklich nicht gut gekommen. Eine erzählte er, welche wir wiederholen wollen, da sie vielleicht auch jetzt noch irgend einem Beamteten zur Warnung dienen kann.


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