Jeremias Gotthelf
Der Oberamtmann und der Amtsrichter
Jeremias Gotthelf

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Auch gelang es unserm Oberamtmann wirklich nicht. Der Gauner sollte ausgeschmiert werden, und er hatte den Landjäger nicht, der Landjäger sollte draußen die Hunde erschießen, und er schoß nicht, der Oberamtmann rief nach ihm, und er kam nicht, er schickte den Schreiber aus, der blieb aus. Der Oberamtmann war drauf und dran, dem Schreiber die Gaunerin, der Gaunerin den Gauner nachzusenden, und zu allem dem jagte es draußen so lustig und wild, daß lustiger nichts genützt hätte. Die Frau Oberamtmännin schwitzte fast Blut. Begreiflich ärgerte sie die Unbescheidenheit oder vielmehr der boshafte Hohn des Amtsrichters sehr. Sie könne es vom Amtsrichter nicht begreifen, sagte sie, er habe sonst ihren Herrn in dieser Sache sehr geschont. Entweder müsse es etwas Ungerades zwischen ihnen gegeben haben, oder sie verstehe sich nicht mehr auf die Leute. Indessen das durfte sie einstweilen ihrem Herrn noch nicht sagen, denn wie es allgemein ist, wäre ein Entschuldigen von Menschen, über die der Herr in Zorn war, Öl in Feuer gegossen gewesen. Es ging draußen kein Schuß, es jagte lustig fort, der Herr war im Begriff, Gauner Gauner sein zu lassen und selbst zur Flinte zu greifen, da endlich knallte es nicht weit hinter dem Schloß, die Hunde verstummten, der Herr dachte: »Nun endlich! Es wird dem Amtsrichter wohl erleiden, mir die Hasen zum Fenster einzujagen, es nimmt mich wunder, ob es der mit der verfluchten Laute ist?« Aber lange wollte niemand kommen, Bericht zu geben. Endlich zeigte sich der Schreiber, der wollte nichts wissen, er hatte die andern nicht antreffen können, aber es hätte ihm geschienen, er höre »A la mort!« rufen. »Wenn man einen Hund erschießt, so kann man auch so rufen«, sagte der Oberamtmann, »es ist nirgends geschrieben, daß man es nur bei einem Hasen tun kann.« Darauf kam der Landjäger, wollte auch nichts Bestimmtes wissen, nur schien ihm, daß nicht der Jakob (der Jäger) geschossen, dessen Flinte klepfe anders. Der kriegte einen tüchtigen Putzer, denn er hätte Zeit genug gehabt, genau zu erkunden, was geschehen.

Endlich erschien der Jakob selbst mit einem prächtigen Hasen in der Hand und wurde, ehe er zu Worte kam, angefahren, es hätte ihn niemand heißen Hasen schießen, sondern die Hunde. »Verzeiht, Junker Landvogt!« sagte der Jäger, »ich habe gar nicht geschossen. Ich konnte nicht eher dazu kommen, als bis eben dsDragoners Sohn im Schnitzboden (man sagt, er gehe zu einer von Amtsrichters Töchtern und werde wohl einen Tochtermann geben) den Hasen geschossen. Wohl, dem sagte ich, ob das Manier sei, dem Junker Landvogt die Hasen um das Schloß herum zu jagen. Da entschuldigte er sich sehr, es sei nicht expreß geschehen, die Hunde seien halt dem Hasen nach, und dem Hasen hätten sie nicht befehlen können, wo durch er soll. Er lasse dem Herrn Oberamtmann sein Kompliment machen und schicke ihm den Hasen zum Präsent.« »Und du bist Esel genug und nimmst den Hasen! Auf der Stelle mach dich ihm nach und sage ihm, ich brauche keinen Hasen von ihm, er solle ihn selbsten fressen. Wenn ich Hasen wolle, könne ich sie selbsten schießen. Der Lumpenhund, jetzt noch das Gespött mit mir treiben zu wollen!« Da Jakob zaudernd dastand und sagte: »Ja, ich weiß nicht, wo ihn finden, er sagte mir nicht, wohin er gehe«, so machte der Herr eine Bewegung, welche Jakob kannte, daher so schnell als möglich die Türe zwischen sich und den Herrn zu bringen suchte. So wie der Herr es auffaßte, war dies wirklich das Düpflein auf den i, und wenn dies ungefähr fünfhundert Jahre vorher geschehen, so wäre nach einer Stunde eine schnaubende Schar aus dem Tore geritten, hätte die Säublume niedergebrannt, den Amtsrichter samt Weib und Kindern an dem Nußbaume aufgehängt.

Was eigentlich den gnädigen Herrn am täubsten machte, war das Gefühl seiner Machtlosigkeit gegen solche blutige Beleidigung. Das Gesetz gab ihm keinen Griff, und er wußte, daß er mit Eigenmächtigkeiten bei seinen gnädigen Herren und Obern nicht wohl ankam. Sie waren zwar seine Standesgenossen, Vettern und Ratsverwandten nach alter Redweise, aber mehr als einer hatte ihm schon gesagt: »Fritz, Fritz, nimm dich in acht, in allen solchen Dingen kriegst gewiß unrecht, denke, wie unangenehm es dir dann sein muß, das Urteil den Betreffenden selbst eröffnen zu müssen!« Das hatte er schon mehr als einmal erfahren, und es war wirklich auch das Bitterste in seinem Leben. Die Herren von Bern waren, im ganzen genommen und namentlich im Verhältnis zur Zeit und ihrer Macht, sehr gerecht und namentlich unbestechlich, und von der Regel waren die Ausnahmen selten. Herausfordern konnte der Oberamtmann auch nicht, Säbel und Degen lagen zwar gut in desselben Hand, und Mut, sie zu gebrauchen, hatte er auch mehr als genug, aber was konnte er machen damit gegen einen Bauern? Aber seine hauptsächlichste Machtlosigkeit, der er eigentlich nicht einmal Namen geben konnte, bestand darin, daß niemand seinen Zorn teilte, niemand ausführte, was er befahl, und doch niemand eigentlich ungehorsam schien. Er befahl donnernd, und männiglich lief, zappelte, flog manchmal sogar und kam endlich mit einer guten Ausrede wieder, warum er beim besten Willen das Befohlene nicht habe ausführen können. Es war, als ob eine unsichtbare Macht den Takt schlüge der Dienerschaft, was zu tun, was zu unterlassen sei. Und wer recht gute Augen hatte und recht gut im Schlosse bekannt war, sah, daß diese Macht in den Augen der Frau Oberamtmännin saß. Aber mit dem Munde sprach sie dieselbe nie aus, nie gab sie irgendwie Gegenbefehle, höchst selten erlaubte sie sich in Gegenwart eines Dieners eine bescheidene Einrede. Der Landjäger freilich mußte gehorchen, mußte dem Gauner und manchen aufmessen, das brachte der Oberamtmann schließlich in Ausführung. Der Gauner hatte sie allerdings verdient; aber da es dem Landjäger schien, als hätte der Zorn an der Zahl einigen Einfluß gehabt, so zog er die Menge an der Strenge ab.

Die Oberamtmännin schwieg von der Geschichte, und wenn der Herr immer wieder darauf zurückkam, so redete sie dazu, denn Schweigen hätte der Herr übelgenommen, aber ohne zu blasen, ohne zu löschen, und das ist eine schwere Kunst. Ihre Fräuleins verstanden sehr wenig davon, und, wie die Mutter auch kanzelte, die Mädchen vergaßen immer alles wieder, es war einstweilen noch nicht in ihrem Blute. In große Verlegenheit brachte es sie, daß nächstens Amtsgericht war, die beiden sich sehen mußten und der Amtsrichter bei ihnen essen sollte. Lud man nicht ein, so zeigte es Feindschaft von ihrer Seite, kam er auf die Einladung nicht, so war es Feindschaft auf seiner Seite, und kam er, so waren Händel zu erwarten, so gewiß zweimal zwei vier macht. Was nun? Quid nunc?

Nach einigen Tagen sagte die Frau Oberamtmännin, so gleichsam wie verloren, sie hätte gehört, der Amtsrichter sei nicht bei der Jagd gewesen. Aber potz Wetter, das war ein Funken in ein Pulverfaß. »Jawohl, nicht dabeigewesen!« sagte der Herr Oberamtmann. »Wenn er nicht dabei war, wer war dann dabei und jagte mit seinen Hunden? Wenn er nicht dabeigewesen, der wäre schon gekommen und hätte seine Entschuldigungen gemacht, aber der wird sich hüten, sich so bald hier zu zeigen.« »Enfin«, sagte die Frau Oberamtmännin, »ich gab es, wie ich es hörte, du kannst wohl recht haben; dsKammermeitli hat es gesagt; von wem es es hatte, weiß ich nicht.« Lisette mußte vor, aber nicht zum erstenmal in diesem Saale, berief es sich auf eine Brombeerenfrau, welche es der Köchin gesagt. Die derbe Köchin antwortete, sie hätte viel zu tun, wenn sie alles im Kopfe behalten wollte, was die vielen Weiber, welche ins Schloß kämen, berichteten, da würde sie sturm nicht bloß im Kopf, sondern an der Leber, und der Herr Landvogt werde die Sachen lieber nicht angebrannt oder versalzen wollen. »Mach, daß das Mensch fortkommt!« sagte der Herr, »ich kann es gar nicht mehr sehen.« »Gern, wenn ich eine bessere Köchin wüßte, gern«, sagte die Frau. »Aber du issest gern gut, und treffen wie die konnte es dir noch keine; daneben wie du willst! Aber wenn man sie in der Küche läßt, so kommt sie dir nicht vor das Gesicht.« »Wegem Kochen ists seit einiger Zeit hundsschlecht, alles Fleisch zu weich, und das Gemüse läßt sie halb roh, wir hatten ja letzthin Bohnen, man konnte damit einander erstechen, und keine hätte sich gekrümmt«, polterte der Oberamtmann. Da fielen die Töchter ein, und das Wetter war vorüber.

Der Amtsrichter war wirklich nicht bei der Jagd gewesen und hatte gar nicht daran gedacht, daß die Jagd nach dem Schlosse hin sich ziehen könnte. Er hatte allerdings mit dem jungen Menschen und noch einem Freunde auf die Jagd gehen wollen. Wie er aufbrechen wollte, kam ein Mann und holte ihn zu einem kranken Verwandten, der testieren wollte, da galt weder Aufschub noch Ausrede. Damit die andern nicht um die Freude kämen, gab er ihnen den Knecht mit, den er auch als Jäger gebrauchte und in seiner Patente hatte. Er bezeichnete ihnen ihr Revier und gab dem Knecht genau an, wo er die Hunde ablassen solle, und das war wohl anderthalb Stund vom Schloß entfernt, und noch kein Hase hatte in dessen Richtung Reißaus genommen von jener Gegend her.

Doch nicht umsonst haben die Jäger den Glauben, man finde Hasen, die eigentlich nicht Hasen seien, sondern Hexen oder sonst neidische, böse Menschen gewesen, welche nach ihrem Tode in Hasen verwandelt worden, um ihr Handwerk fortzusetzen und Jäger zu quälen und zu narren. Es gibt aber auch wirklich Hasen, die voll Tücke sind, die man immer im gleichen Revier findet, die der Jäger alsbald an ihren Ränken erkennt und ausruft: »O wetsch, haben wir aber den, wenn wir nur die Hunde wieder hätten, der verderbt uns allemal den Tag.« So eine alte Hex oder vielleicht auch ein alt Böcklein war aufgegangen, hatte alsbald die Strümpfe gebunden und riß aus, dem Schlosse zu, als ob der Oberamtmann sein Vetter wäre und er dort zVisite wolle. Wäre der Amtsrichter dabeigewesen, so hätte er dem Jäger gesagt: »Mach dich nach, so stark du kannst, mach, daß du die Hunde wieder kriegst, wir warten dir hier. Denn der Amtsrichter hütete sich sehr, den Oberamtmann zu beleidigen, denn er achtete ihn wirklich, er verkannte das viele Gute, welches von ihm ausging, nicht. Unsere Jäger aber bedachten dieses nicht, standen mit dem Oberamtmann in keinem Verhältnis, hatten ihre Freude dran, wie die Hunde so prächtig unverloren jagten, ließen es tschädern und machten sich, als sie merkten, daß es darausging, spornstreichs nach, schossen einen Hasen im Felde, einen vor den Hunden, beides vor den Fenstern des Schlosses, und merkten nicht, daß sie gefehlt, bis der Jäger des Oberamtmanns dazukam. Als sie merkten, was Trumpf war, tat es ihnen alsbald leid, und um gutzumachen in aller ehrlichen Absicht, sandten sie den Hasen zum Präsent und machten sich schnurstracks mit gekoppelten Hunden aus dem Bereiche des Schlosses.

Als der Amtsrichter zu ihnen kam und hörte, was vorgegangen, erschrak er alsbald. Er wollte eine Dublone geben aus seinem Sack, wäre das nicht begegnet, sagte er. Indessen fand er es doch nicht nötig, sich so weit zu unterziehen, daß er expresse aufs Schloß ging, um sich zu entschuldigen, war doch kein Gesetz übertreten worden, hatte er sich doch das Recht erkauft, im ganzen Kanton zu jagen, wo er wollte, insofern er keinen Schaden anrichtete. Es sei nächstens Amtsgericht, dachte er, da schicke es sich am besten, dem Oberamtmann zu erzählen, wie es zu- und hergegangen; wenn er den Verstand brauchen wolle, so sehe er dann den schon, daß er sich dessen nichts vermöge, und daß es jedenfalls nicht mit Fleiß und Absicht geschehen sei. Das war nicht unverständig gedacht, aber man kann halt verschiedener Ansicht sein über die gleiche Sache so gut als über die Verhältnisse der Menschen zueinander, und in der Tat gingen hier des Amtsrichters und des Oberamtmanns Ansichten bedenklich weit auseinander.

Gewöhnlich fanden an den Gerichtstagen die Amtsrichter den Herrn Oberamtmann bereits im Audienzzimmer. Darauf bauend, ging der Amtsrichter zeitlich, um der erste zu sein und seine Erklärung ungestört anbringen zu können. Aber er fand den Herrn nicht, nur den Schreiber, der war für sein Leben gern gut Freund mit den sämtlichen Amtsrichtern. Er aß für sein Leben gern was Gutes, und ebenso hatte er es mit dem Trinken, aber nicht viel oder gar nichts sollte ihn das Ding kosten. Nun war er bei jedem Besuch bei einem Amtsrichter der besten Aufwart sicher, und wenn er beim Kosten des Weins sagte: »E wahre Balsam, Herr Amtsrichter, e wahre Balsam, wie bei Euch trinkt man ihn nirgends!« so konnte er sicher sein, daß der Amtsrichter ihm in einer zweiten Flasche noch bessern brachte und sagte: »Versucht den, Herr, was sagt Ihr zu dem?« Zugleich hatte er dabei den Schein eines Protektors und konnte gut Wetter versprechen oder mit bösem drohen, je nachdem. Ein solcher Schreiber kann eine sehr bedeutsam Person vorstellen, wenn die Natur des Obern danach ist. Diesem Schreiber hätten wir nicht raten wollen, sich wichtig zu machen, so daß es der Oberamtmann gemerkt. Begreiflich, was er nicht merkte, das konnte er nicht hindern, er mußte es sich gefallen lassen.

Dieser Schreiber tat gegen den Amtsrichter sehr freundlich und sagte: »Herr Amtsrichter, Herr Amtsrichter, seht Euch vor, der Herr ist sehr böse über Euch, Ihr hättet es hören und sehen sollen, wie zornig er war, und wie wüst er tat, man war fast seines Lebens nicht sicher um ihn, mit nichts hätte man ihn böser machen können als mit dem Jagen.« Der Amtsrichter entschuldigte sich. Es sei ihm leid, sagte er; wenn er dabeigewesen wäre, es wäre nicht begegnet. Deswegen sei er auch so früh gekommen, um dem Herrn Oberamtmann zu erzählen, wie es gegangen, und ihm zu sagen, er solle ihm nicht zürnen, er vermöge sich dessen nichts. »Es wird bös gehen, ehe er Euch hört«, sagte der; »ich wollte Euch zBest rede, aber wohl, ich war froh, zu schweigen!« »Ich will es einmal wagen«, lachte der Amtsrichter, »und ihm dSach erklären, dann kann er es in Gottes Namen nehmen, wie er will. Ists ihm nicht gut genug, so stecke er einen Stecken dazu!« »Ja, ja, Herr Amtsrichter, Ihr an Eurem Platz habt gut krähen, es wäre mir auch geradeso. Aber was unsereiner auszustehen hat! Ihr glaubt es nicht, es mag bald in kein Maß mehr, er ist manchmal gar nicht mehr ein Mensch.«


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