Jeremias Gotthelf
Der Oberamtmann und der Amtsrichter
Jeremias Gotthelf

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Droben im Schloß saß die Familie beim Tee, als der Kammerdiener den vom Knecht erhaltenen Auftrag meldete, unten sei der Jagdaufseher aus der Ödi und lasse sagen, der Oberamtmann söll fürecho, er heyg ihm einen. Der Knecht habe hinzugesetzt, er glaube, es sei der Herr Lieutenant; er glaube, sie hätten gute Lust, einander zu prügeln unten im Hofe. Die Cousinen schrien laut auf vor Lust und Bosheit, sprangen hinaus einem Fenster zu, welches auf den Hof ging, schmunzelnd die beiden Herren, der Oberst war längst wiedergekehrt, hintendrein. Die Frau Oberamtmännin wäre wahrscheinlich auch gegangen, wenn sie nicht mit der Frau Oberstin zu tun gehabt, die den ganzen Tag in Fiebern zugebracht und Seufzer und »Mon dieu!« abgelassen hatte, mehr als bei der Schlacht von Leipzig Schüsse getan worden. Erst hatte sie über das Wetter gejammert, denn wenn der Oberst naß werde, sei er krank, und Louis bekomme Zahnweh, und was das für eine Unvernunft sei, bei solchem Wetter auszugehen, und wenn sie nur den Verstand hätten, direkt heimzukehren und nicht unterwegs sich aufzuhalten! Sie stichelte auf die Säublume, und weder Mann noch Sohn traute sie überflüssig. Sie redete viel von Nachsenden, Heimholen, vielleicht hätte die Frau Oberamtmännin willfahrt, aber der Herr wollte nicht. Er meinte, sie seien alt genug, heimzukommen, wenn sie es für gut fänden, einen Knecht nachzusenden sei gut für Kinder. Die Frau Oberstin hätte von ihrem Manne eine solche Antwort nicht hingenommen, aber den Schwager fürchtete sie; sie schmollte nicht einmal mit ihm, seufzte bloß desto strenger.

Endlich kam der Oberst heim, übellaunig erst, dann lustig, als er in trockenen Kleidern behaglich an der Tafel saß. Es gibt wohl kein behaglicheres Gefühl als das des Jägers, der nach harten Mühen und wildem Wetter daheim behaglich sitzt und sich gütlich tut. Jetzt hatte auch die Oberstin weder Mitleid mit ihm noch Kummer seinetwegen, desto mehr plagte sie ihn mit Vorwürfen wegen Louis, daß er den armen Jungen bei solchem Wetter im Stich gelassen. Sie entwickelte an diesem Exempel sehr gründlich den Unterschied zwischen einer Mutter und einem Vater. Wie wäre es einer Mutter möglich gewesen, bei solchem Wetter ohne Kind zurückzukehren, es stecken zu lassen und wo? In einem Walde, man denke! Man wollte ihr den Unterschied begreiflich machen zwischen einem Kinde und einem Lieutenant, aber sie ging nicht darauf ein; Kind sei Kind, sagte sie, und einer rechten Mutter werde ein Kind je länger je lieber. Das sei ja tierisch: Katzen täten es und die abscheulichen Hunde, daß sie ihren erwachsenen Kindern nichts mehr nachfrügen. Unglücklicherweise sagte eine der Cousinen: »Aber Tante, wollte doch nicht so Angst haben um Louis! Was gilts, der sitzt auf der Säublume und macht sich lustig mit des Amtsrichters Töchtern!« Die Mutter Oberamtmännin warf der vorlauten Tochter einen scharfen Blick zu, aber leider zu spät, der Funke war am rechten Orte gefallen, der Frau Oberstin war erst jetzt nicht mehr zu helfen, was die jetzt für »Mon dieu!« fliegen ließ! Der arme Louis unter den frechen Mädchen, unter Bauernmenschern! Da war ja mehr als Lebensgefahr, und noch dazu war der Oberst so boshaft, zu sagen, daran hätte er nicht gedacht, sonst wäre er sicher auch hingegangen, entweder hätte er ihn dort gefunden oder ihn dort erwarten können, dann wären sie beide zusammen heimgekommen. Die Frau Oberstin jagte ihm einen Blick zu, daß es dem Obersten wohlkam, daß derselbe weder Pfeil noch Kugel war.

Des armen Lieutenants Lage auf der Säublume kam ihr so schrecklich und gefahrdrohend vor, daß sie nicht ruhte, bis endlich der Jäger ablaufen mußte, das arme Kind dort zu suchen und heimzuholen. Wenn sich nicht die Frau Schwägerin ihrer erbarmt hätte, so ists zweifelhaft, ob die Herren eine solche Expedition zugelassen. Aber was half sie? Nichts! Der Jäger brachte die Nachricht, man hätte den Lieutenant dort nicht gesehen, aber man wolle auf ihn achten. Die Frau Amtsrichterin hatte sagen lassen wollen, man schicke Knechte aus, ihn zu suchen; aber der Amtsrichter hatte gesagt: »Flausen, nie z'nötlich tun! Der Oberamtmann hat mehr Leute, die er aussenden kann, als ich. Daneben wird er schon wiederkommen, wenn ihn der Hunger plagt.« Jetzt war der guten Frau Oberstin erst nicht zu helfen, sie sah ihren Louis verschmachtet, verrissen, verfressen von wilden Tieren, versoffen im Wasser, verloren für Zeit und Ewigkeit. Sie gab nicht hintenum zu verstehen, wenn der Oberamtmann Verstand hätte, so böte er den Landsturm auf, den Louis zu suchen, zu retten. Aber, je anzüglicher sie tat, desto holzböckiger tat der Oberamtmann. Er hatte Manieren, er war sogar ein galanter Herr, aber auf Erden haßte er nichts so sehr als Dummtun, besonders Dummtun der Seinigen. Es ist sehr möglich, daß er Frau und Töchtern Ohrfeigen ausgeteilt hätte, wenn sie sich gebärdet hätten wie seine geliebte Frau Schwägerin, aber die wußten wohl, woran sie waren, so was fiel ihnen daher auch im Traum nicht ein. Der Oberamtmann dachte auch nicht von ferne daran, Mannschaft aufzubieten, sondern versuchte, sich mit seinem Bruder in gelehrte Gespräche über das französische und deutsche Kommando zu vertiefen, wobei sich der Oberst sehr dienstfertig zeigte, die Frau Oberstin dagegen fast aus der Haut fuhr und, sehr gereizt, ernstliche Maßregeln zur Rettung des verlorenen Sohnes aufs Tapet brachte. Es war eben die Rede davon, als die Nachricht kam, einer sei eingebracht, wahrscheinlich der Herr Lieutenant. Das schlug der Frau Oberstin wieder in die Glieder, sie fiel fast in Ohnmacht, aber eigentlich nicht aus Freude, sondern aus Angst, man habe den pauvre garçon mißhandelt, und aus Entrüstung über ein Land, wo man einen vom Adel, einen Lieutenant einbringe, als sei er ein Verbrecher oder gar ein gemeiner Mensch.

Während unten der Lieutenant mit dem Aufseher heftig sich zankte, erscholl über ihnen ein hell Gelächter. Unter offenem Fenster sahen die Streitenden die zwei lachenden Töchterlein und hinter diesen die mächtigen Gestalten der zwei Herren mit lustigen Gesichtern. Ehe die unten zur Rede gekommen, aber jeder bemüht, den andern beim Kragen zu nehmen und zu präsentieren, beugte sich der Oberamtmann vor und sagte lachend: »Brav, Kaspar, brav, daß Ihr mir wieder einen bringt, den will ich lieb haben! Jetzt laßt ihn laufen, der entrinnt nicht, und geht hinein, sie sollen Euch zu essen und zu trinken geben, ich komme dann hinunter.« Kaspar suchte, gemütlich schmunzelnd, die wohlbekannte Stube, während der Lieutenant, nicht sehr erbaut über den Empfang, die Treppe aufstieg. Es fehlte nicht viel, er hätte im Abgehen dem Aufseher noch eine brave Ohrfeige abgestreckt.

Oben wurde er von den Cousinen mit einem Kreuzfeuer von Witzen empfangen, in welchem seine ganze Person jämmerlich hergenommen wurde, ehe er zu Worten kommen konnte. Cousin Louis hatte Manieren, kam nicht gleich aus der Position, zog aus der reich gefüllten Jagdtasche zwei Tauben, hielt sie als Schild vor, hätte sie vielleicht als Angriffswaffe gebraucht, wenn nicht aus einer Tür sein Name gerufen worden wäre. Seine Mutter wollte ihn sehen, sich überzeugen, daß er noch ganz sei. Als ihn seine Mutter sah, so naß und mit den blutigen Tauben in der Hand, da hielt sie die Hand vor, prallte zurück, rief zornig: »Fi donc, va-t'en, patron!« wollte nichts von ihm sehen, nichts von ihm hören, zappelte ordentlich, bis er verschwunden war. Unten erzählte der Kaspar mit großem Behagen, wie er den jungen Herrn eingefangen, wie der es ihm habe machen wollen, wie aber Kaspar Kaspar sei. Wenn er die berühmte Seeschlange eingefangen, er hätte nicht glücklicher leben können im Gemüte an seinem dargelegten Heldenmute. Die Dienerschaft, namentlich die Kammerjungfer der Frau Oberstin, wollten dem Kaspar angst machen. Sie sagten ihm, das sei wirklich des Oberamtmanns Neffe, und sein Vater sei auch da, und der sei Oberst, und wenn der Junker oben erzähle, wie er behandelt worden, so werde es schön Feuer geben. Kaspar komme ins Zuchthaus, oder wenn er mit fünfundzwanzig aus dem Pfeffer und hundertmal vierundzwanzig Stunden hintern bei Wasser und Brot davonkomme, so solle er Gott danken.

Unheimlich regte es sich freilich in Kaspars Gemüt, daß der Eingebrachte wirklich des Oberamtmanns Neffe war, aber Kaspar hatte als Jäger zu viel von den Füchsen gelernt, um irgendwas merken zu lassen. Er sagte, ja, wenn der Oberamtmann eine hübsche Jungfer wäre wie sie, dann wollte er machen, daß er fortkäme, während es noch Zeit sei, aber zwischen einem Oberamtmann und einer schönen Kammerjungfer sei allweg ein Unterschied. Der Oberamtmann sehe aufs Recht und nit uf dHübschi wie so es Jüngferli, das oft den größten Spitzbuben am liebsten hätte. Kaspar focht blindlings, aber ungefähr trifft man manchmal am schärfsten. Er begriff es gleich, warum die andern lachten, ward wieder stark in seinem Inwendigen, und als der Oberamtmann mitten im Gelächter eintrat, stand Kaspar auf und brachte in gehöriger Deferenz vor, daß es ihm leid sei, wenn er gefehlt, aber er sehe den Leuten nicht an der Nase an, wem sie seien. Er fahre nach seiner Instruktion, und wenn das nicht recht sei, könne er in Gottes Namen nichts dafür. Daneben sei der Herr selbst schuld, wenn er rauh mit ihm umgegangen. Wo sie gegen das Schloß gekommen, habe derselbe ihm eine Franke gegeben, wenn er ihn laufen lasse. Er habe die Franke genommen und gesagt: »Jetzt erst mußt warten, Bürschli!« Da sei sie, sagte er und streckte sie dem Oberamtmann dar. »Behaltet sie; und da habt Ihr noch was dazu!« sagte der Oberamtmann. »Ihr habt Eure Sache recht gemacht, Kaspar, es wäre wohl gut, es wären alle wie Ihr, dann könnte man dabeisein. Ich bin selbst im Fehler, ich hätte jedem eine Bewilligung ausstellen sollen, aber ich dachte nicht daran, weil sie mit dem Amtsrichter gingen. Macht es immer so, Kaspar, und wenn ich mehr einen beeidige, so will ich ihm sagen: ›Machs wie Kaspar!‹«

Man kann denken, wie hoch das Kaspar nahm, und wie stolz es ihn machte. Nun war er auch einer der Glücklichen, die eine Heldentat in ihrem Leben haben. Eine Heldentat in seinem Leben ist eine unerschöpfliche Büchse voll Lust und Wonne, sie erheitert die Seele in trüben, einsamen Stunden, sie gießt dem Menschen unter Menschen ein mächtiges Selbstbewußtsein ein, das strahlend leuchtet, wenn zwei oder drei beisammen sind, oder wenn unter Hunderten der Mensch sitzet, sie ist ein warmer Ofen, an welchem der Mensch sein alle Jahre kälter werdendes Blut Tag und Nacht zu erwärmen vermag, auch wenn er kein Scheit Holz und keinen Tropfen Warmes im Hause hat, sie ist ein Demant, welcher dem Besitzer, je mehr er ihn braucht, um so unvergänglicher und merkwürdiger zu werden scheint.

Während der Verhandlungen da unten gab der Lieutenant seine Tauben in der Küche ab und machte die Köchin glücklich mit dieser Aufmerksamkeit, bis die Kammerjungfer von Kaspar weg hinaufschoß und mit den Worten: »Der Herr Lieutenant wird wollen dsKoche lehre, dsRupfe wird er wohl schon können!« wieder wegschoß. Wie es scheine, dachte der Junker, sei es heute nicht richtig, sondern neble überall, und machte, daß er in sein Zimmer kam. Er war hungrig und durstig, man wird es begreifen; doch machte er sorgfältig Toilette, warf sich in die Brust und erschien wie ein Halbgott im Salon, er stellte sich außerhalb der Grenzen des Ausgelachtwerdens. Das ist schon viel gemacht, wenn das einer kann. Im Salon war er wirklich allen eine willkommene Erscheinung, hauptsächlich als Blitzableiter für die Frau Oberstin, die heute voll Nebel und elektrischen Stoffes war, so daß sie, wo man sie auch berühren mochte, ringsum Funken stob.

Damen von dieser Sorte sind die interessantesten, bildendsten Persönlichkeiten, ganz besonders in Beziehung auf feinen Ton und Takt. Bekanntlich sollen die Gauner in London zur Dressur angehender Spitzbuben eine Figur an einem Drahte hängen haben, über und über mit Schellen gespickt. Nun soll der Lehrling die Taschen leeren, ohne daß die Schellen Laute geben, die Person sich bewegt; gibts einen Laut, regnet es Schläge. Akkurat solche Figuren hat man in der schönen Welt, um Takt und Ton zu lernen. Voll Schellen sind sie, Capricen nennt man sie auf welsch oder l'humeur, Wunderliche oder Teufelsüchtige auf deutsch; ein Blick, ein Wort, ein Tritt, hat es gefehlt, wird die Nase gerümpft, das Maul viereckig oder krumm gezogen wie ein alter Husarenschnauz, das Schnupftuch fährt im Gesicht herum, es gibt Blicke, es fahren Worte in der Luft herum, es wird lanciert links und rechts, ja, es werden sogar sorties gemacht in alle Ecken hinein. Mit solchen Figuren Stunden umzugehen, ohne sie zu touchieren, daß sie tönen, ihnen das Herz aus dem Leibe zu nehmen, daß es keinen Gux gibt, höchstens zärtliche Blicke, die niemand merken soll, das ist die Spitze dieser Kunst. Glücklich sind die Söhne, welche solche Mütter haben, sie lernen die so schwere Kunst gratis. Man wird bemerken, daß hübsche Söhne mit solchen Müttern wunderbar umzugehen wissen und nicht selten sie furchtbar tyrannisieren, ihnen zehnfach eintreiben alle ihre Sünden gegen ihre Mitmenschen. Töchter dagegen sind zu bedauern, sie schaffen mit solchen Müttern nichts, lernen von solchen Müttern wenig, haben ihnen aber hier und da einen Mann zu verdanken, den die Mutter über Hals und Kopf aufgetrieben, um die Tochter aus dem Hause zu bringen.

Als der Lieutenant nun so frisch und schön hereintrat, wurde die mütterliche Eitelkeit wach, sie freute sich seiner bonne façon und der feinen Art, mit welcher er sich gegen die Tante betrug, die recht mütterlich für seinen Hunger und Durst sorgte. Sie betrachtete ihn ganz als ihr Produkt, sowohl die Schönheit als die Manieren anbelangend. Wirklich machte er sich diesen Abend auch sehr liebenswürdig. Er erzählte auf eine Weise, welche bedeutende Anlagen verriet, sein Abenteuer, ergriff alle weiblichen Herzen mit den Schilderungen seines Verlassenseins in dieser nassen Schauerlichkeit eines nebelvollen Tages, in düsterm Moos und Wald. Er interessierte die Herren mit seiner Taubenjagd, ihnen war nie eine solche Taubenarmee vor den Schuß gekommen. So sehr die Frau Oberstin Freude hatte, konnte sie sich doch nicht enthalten, die Herren zu trümpfen, namentlich ihren Mann, der früher über die Unerfahrenheit des Junkers gespottet, während derselbe reiche Jagdbeute gemacht und sie keine. In dieser Beziehung glich die Oberstin auffallend einem Dampfkessel. Wie man bei diesem von Zeit zu Zeit unbrauchbaren Blast auslassen muß, so mußte die Oberstin immer von Zeit zu Zeit den Kyb loslassen, der sich fort und fort bei ihr sammelte.

Schließlich ergötzte er alle mit der Beschreibung seines Zusammentreffens mit Kaspar, dem Aufseher. Er stellte ihn dar als einen Waldteufel, einen aufrecht gehenden Bären, beschrieb, wie er ihm langsam nachgetrappt, er immer zugeschossen habe, was sie auf dem Heimweg gesprochen, wie einer den andern zu überlisten gesucht, wobei der Junker sich selbst gar nicht schonte und drollig genug die Freude des Aufsehers schilderte, der gestrenge Herr Oberamtmann werde dem Säubub, der unbefugt ihm die Tauben töte, fünfundzwanzig aufmessen lassen. Hier gerieten die Oberstin und der Herr Schwager wieder hart aneinander.


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