Jeremias Gotthelf
Der Oberamtmann und der Amtsrichter
Jeremias Gotthelf

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Nun erhob sich ein anmutig Wortgeplauder zwischen den Herren und Damen, denn des Obersten Frau, eine Fremde, war auch dabei. Die Frau Oberamtmännin war eine gute, aber verdammt kluge Dame. Sie liebte ihren biedern Mann von ganzem Herzen, aber sie kannte ihn auch durch und durch. Mit der zärtlichsten Emsigkeit räumte sie ihm alle Steine aus dem Wege, suchte allenthalben gut Wetter zu machen und wußte dazu die Stimmungen seiner Seele zu beherrschen wunderbar, das ist eine unendlich größere Kunst als Klavierspielen oder Geigen. Wer ein Klavier oder eine Geige handhabt, kann darauf herumfahren nach Belieben und Verstand, es ist ihm niemand im Weg, pfuscht ihm niemand darein; wer aber auf einem Herzen spielen will, dem will die ganze Welt und alle Menschen mithelfen, bald von rechts, bald von links trampeln auf den Tasten herum, greifen in die Saiten hinein. Da gilt es, die Töne, die andere greifen, zu meistern, daß sie klingen schön und fein, wie der Meister oder die Meisterin wollen, daß ein lieblich und wohllautend Spiel ertönet immer und immer von dem geliebten Herzen her. Diese Kunst ist nur ähnlich der großen Kunst Gottes, der jedem Esel seinen Willen läßt und jeden Menschen machen, was er will, und doch es macht, daß alles seinem Willen dienet und alles kömmt, wie er will. Diese wunderbare, große Kunst, die heilig ist und teuflisch, je nachdem sie mit heiligem oder teuflischem Sinn getrieben wird, diese Kunst ist hauptsächlich des Weibes Gabe, liegt bei ihm wenigstens mehr im Vordergrund als bei dem Manne, kömmt bei ihm zu größerer Vollkommenheit, wenigstens in Anwendung auf den einzelnen, wenn auch nicht auf die Massen.

Ach, wenn die Mütter, beide, die Damen und die Käs- und Kabisweiber, ihre Mädel diese Kunst lehrten oder lehren ließen statt die des Klavierens und das christliche Musikgehör ihnen ausbildeten, ach, da würde es schön auf Erden, und die verklungene Sphärenmusik klänge wieder in jede Hütte hinein, und, wo sie klingt, da weht der Friede Gottes. Man klagt, der liebe Gott schicke keine Engel mehr auf Erden. Wißt ihr, warum, lieben Leute? Das ist wegen des entsetzlichen Klavierens, das zu Stadt und Land fast in jedem Hause in Schwung gekommen, davon alle Wände zittern wie die Mauern von Jericho vor den Posaunen. Dieses Klavieren, so entsetzlich und jammersüchtig, mögen die Engel nicht ertragen, haben es Gott geklagt, sie kämen total ums Gehör, wenn sie viel danieden sein müßten. Entweder sollte er doch das Klavieren abstellen oder sie verschonen mit Sendungen usw. Da soll Gott gesagt haben, er begreife sie vollkommen, hätte es selber so, aber einstweilen könne er selbst es nicht abstellen; denn womit die Evatöchter einmal besessen seien, seien sie besessen. Aber er wolle die Engel von der Erde dispensieren, solange dieses Besessensein dauere; ohnehin hörte man nicht, was sie auszurichten hätten, vor diesem gräßlichen Gequike und Gequake.

Die Frau Oberamtmännin war eine wahrhaft fein gebildete Frau; das Neueste hatte sie zwar nicht gelesen, war auch nicht in allen freien Künsten bewandert, aber sie besaß das richtigste Gefühl für alles, was andern angenehm oder unangenehm war, wußte genug, um einen angenehmen Sprechstoff bei der Hand zu haben, hatte also das Wichtigste zu der wahren Höflichkeit für alle Leute und wandte diese Höflichkeit eben auch auf alle Leute an, auf ebenbürtige und nicht ebenbürtige; und soll das etwa eine Christin nicht? Daneben war sie eine recht gute Hausfrau, nicht von denen eine, welche meinten, der Grasanken müsse grün sein, und für Küchlein kein Futter geben wollten, weil sie saugen sollten wie andere Tiere, oder für ihre Plättete Tannzapfen bestellten, aber ausdrücklich hinzusetzten, sie wollten buchene usw., nie wußten, was auf den Tisch kam, und über die Köchin schimpften, wenn nicht das Rechte kam oder es sonst schlecht ging.

Sie hielt den Faden der Unterhaltung fest und behielt doch die junge Welt im Auge. Ihren beiden Töchtern, welche mit dem Vetter wandelten, sparte sie ihre Bemerkungen auf bis auf den Abend, wo sie wohl ein paar Kapitel über ihr sehr ungeniertes Wesen werden erhalten haben. Den Kindern dagegen sparte sie die Bemerkungen nicht so lange, sie wären zu spät gekommen. Es war ihr daran gelegen, sie mit ganzen und trockenen Kleidern auf die Säublume zu bringen; das hätte ihr wegen ihren eigenen Kindern nicht Kummer gemacht, aber des Obersten Kinder waren Stadtkinder, und die haben bekanntlich ein eigenes Geschick, entweder in Gräben oder Bäche zu fallen oder in Dornhecken hängen zu bleiben. Über alle hin tönte zuweilen ein scharfer Pfiff, der den Hunden galt, welche meinten, sie hätten auch das Recht, sich ungebunden lustig zu machen, und nicht großen Respekt zeigten vor den Pflanzungen, die noch hier und da im Felde standen. Der Oberamtmann war nun nicht einer von denen, welche entweder kein Gefühl haben für Pflanzungen, weder um Schädigung noch Gedeihen derselben sich kümmern oder auch meinen, der Bauer habe gar kein Recht, etwas übelzunehmen, sondern müsse sich gefallen lassen, was über ihn komme aus irgendeines Herrn Hand oder durch dessen Zulassung. Er war eben auch Bauer und hatte ein Herz für Gras und Vieh. Seine Frau warf ihm scherzend oft vor, seine Kleeäcker gingen ihm über seine Familie.

Man sah auch deutlich, daß er beliebt war. Wer ihnen begegnete, grüßte freundlich, sagte wohl auch: »Gehts über Feld? Es macht schön warm.« Sie erhielten aber auch freundliche Antworten. Bauern, die weit im Acker standen, lüfteten ihre Kappen. Wenn es der Oberamtmann merkte, tat er mit der seinen gleich, rief auch wohl ein freundlich Wort hin. Der Oberst machte es schon kürzer, während sein Sohn von alledem keine Notiz nahm. Stark rückten sie nicht vorwärts, aber es war ein gar lieblicher Weg mit vielem Schatten, schönen Bächen, daß er ihnen weder lange noch beschwerlich vorkam und, lange ehe sie es erwartet, der Oberamtmann sagte: »Seht, dort ist sie schon, kaum zwei Scheibenschüsse weit.«

Es war ein großes, stattliches Haus mit vielen Fenstern, von gewaltigen Bäumen beschattet. Wenn es auch nur von Holz war, so wohnte doch sicher mancher polnische oder ungarische Edelmann schlechter, unbehaglicher und wäre froh gewesen, seinen Edelsitz mit diesem Bauernsitz zu vertauschen. Namentlich was Vorräte betraf, hätte er keinen schlechten Tausch gemacht. Vielleicht auf einem Dutzend Edelsitzen zusammengenommen hätte man nicht soviel Hemden, Bettzeug, flächsernes Tuch und Garn gefunden als in diesem einzigen Bauernhause und dessen Spycher.

Der Landjäger hatte dort seinen Auftrag ausgerichtet und damit die Frau Amtsrichterin gar mächtiglich erschreckt. Nicht weil Landvogts kamen, das war ihr an sich ganz recht, denn die Landvögtin war eine gar anständige, liebe Frau; »das ist eine, mit der man doch ein vernünftig Wort reden kann, die hat Verstand, daß man sich ganz verwundern muß, fast soviel als unser Gattig«, pflegte die Frau Amtsrichterin zu sagen. Sie ward erschreckt, weil die Botschaft so spät kam, nicht wenigstens einen oder zwei Tage zuvor. »Wenn man schon meint«, sagte sie vor dem Landjäger, »sellige Leute hätten Verstand, sie haben dennoch keinen, meinen, einen Schinken koche man gleich geschwind wie ihre Schnäfeli Fleisch, wo siebenundzwanzig auf ein Viertelpfund gehen.«

»Soll ich etwa absagen? Der Oberamtmann hat gesagt, wenns nicht anständig sei, so sollte man absagen lassen!« »Warum nicht gar, absagen!« zürnte die Amtsrichterin, »daß sie meinen, wir hätten nichts z'essen im Haus für ein Dutzend oder zwei und dazu Lüt, wo sie vom Schmöcken halb genug haben, wir müßten erst in alle Himmelsgegenden ausschicken und zusammenbetteln, wenn uns ein Mensch ungesinnet ins Haus läuft, wie es die armen Leute machen. Bäbi, gib dem Landjäger ein Kirschenwasser! Wo ist der Vater?« »Hinter dem Spycher bricht er Korn«, lautete die Antwort. Dorthin lief die Amtsrichterin, in vollem Harnisch die Kunde bringend. Der Amtsrichter nahm dieselbe ganz kaltblütig auf: »Gib, was du hast, und zum Reste laß sie einen Stecken stecken!« »Flausen, jawohl!« sagte die Frau, »es muß eine Hamme sein, es muß Fleisch sein; wie soll das alles lind und gut sein bis nachmittag?« »Warum nicht!« sagte der Mann, »nimm von den letzten Hammen und dem letzten Fleisch, laß feuern im Ofenhaus, daß man eine Hex braten könnte, brauch all Vörtel! Bis um vier oder fünf Uhr abends gehts noch lang, und, was sie dann noch nicht beißen können, das können sie ungegessen lassen.« »Wenn du nichts Besseres weißt, so hätte ich das auch gewußt und meine Zeit besser brauchen können. Aber so ist das Mannsvolk, will alles regieren, und wenn es an Notknopf kömmt, so ist die dümmste Frau gescheiter. Komme, hau mir Fleisch herunter!« So brummte die Frau Amtsrichterin, und doch hatten ihr des Amtsrichters Winke den ganzen Schlachtplan in die Hand gegeben, den sie jetzt mit aller Sicherheit verfolgte.

Die Frau Amtsrichterin war ein großes, wohlbeleibtes, schönes Weib, stark im Arm, weisen Sinnes, guten Herzens, aber eine Löwin an Zorn und Kraft, wenn es an sie kam. Ehe sie den Hof hier geerbt, hatten sie in einem Dorfe gewohnt. Da waren einmal in einer Samstagnacht fremde Nachtbuben ins Dorf gekommen, eine große, wilde Rotte, hatte groben Spektakel verübt, die Mädchen gequält, mutwillig Schaden angerichtet. Männer und von Buben, was daheim war, wollten mahnen, wehren, jagten von den Häusern weg, bis endlich alles zu einem Knäuel ward, in der Gasse, inmitte der Straße eine blutige Schlacht auf- und niederwogte. Der Amtsrichter war auch dabei und mittendrin, die Amtsrichterin stand vor dem Hause, die aufgejagte Magd neben ihr. Als sie das Toben und Fluchen hörte, das Krachen und Schmettern der fallenden Stöcke, da ergriff es sie, sie wußte nicht, wie. »Komm, Lisabeth!« rief sie, nahm in der Küche vom Herde eine kurze Kelle, vornen mit einem schweren eisernen Haken, Lisabeth ein anderes kurzes, schweres Instrument, und beide hinten ins Gewühle und schlugen rechts und schlugen links und auf jeden Streich einen Nachtbuben, an den bedeckten Köpfen leicht kenntlich, nieder, daß im Umsehen die halbe Rotte am Boden lag, die andere halbe auf der Flucht. Was diese zwei Weiber verrichtet, ward nicht vergessen bis auf diesen Tag. So ein handlich Weib ist denn doch ein kitzlich Ding und paßt nur zu einem tüchtigen, handfesten Mann, einem andern möchte ich keins raten von dieser Sorte. Übrigens sind Exemplare von dieser Sorte rar, was den Männern wirklich wohlkömmt, denn die mannhaften Männer sind wirklich auch nicht überdicht gesät.

Nun ging es wirlich los auf der Säublume, als ob sieben Hexen sollten gebraten werden, nicht bloß eine. Töchter und Mägde wurden tribuliert, noch ganz anders als Kanoniere einer Batterie, die alle fünf Minuten Position ändert im Galopp. Als der Ruf erscholl: »Landvogts kommen!« war aber auch die Sache in Ordnung, der Stand der Dinge durchaus befriedigend, die Frau Amtsrichterin angezogen und brauchte scheinbar um nichts mehr sich zu kümmern, es sollte alles gleichsam von selbst gehen, als brächten es die Engel des Himmels daher. Geputzt war die Frau Amtsrichterin scheinbar gar nicht, ihre Kleider schienen Werktagskleider, waren aber durchaus rein, von feinem Stoff und blendend das weiße Hemd. So waren auch die Töchter angezogen. Man sollte glauben, sie wären eigentlich immer so.

Der Amtsrichter empfing die Gäste einige Schritte vor dem Hause, ohne besondere Zeremonien, mit natürlicher Höflichkeit, die Kappe in der linken Hand, bis er allen die Rechte gegeben, nachher setzte er sie wieder auf, als ob sich das von selbst verstehe. Er war auch ein schöner Mann, seine Gesichtsbildung nobel, und wenn er Herrentracht getragen, so hätte man ihn auch für einen Herrn gehalten, so frei war seine Haltung. Als er mit Begrüßen fertig war, kam die Frau Amtsrichterin, nach ihr schüchterne Kinder, Jagdhunde, welche die Wachtelhunde knurrend und scherzend begrüßten. Umsonst sah der Lieutenant nach den Töchtern sich um, von denen ihm seine Cousinen viel erzählt, und diese, sein Visieren wohl merkend, lachten ihn weidlich aus. Vor allem mußte die ganze Gesellschaft bis an die eigenen Hunde in die Stube gehen. Herr Landvogts hätten warm, sagte die Amtsrichterin, und da oben sei immer Zug, sie könnten sich erkälten. Es sei nicht warm drinnen, und vor Fliegen sollten sie sich nicht fürchten, sie hätte dieselben soviel wie möglich hinausgemustert. Die Stube hatte nichts Besonderes als einen schönen Glasschrank und einen mächtigen Eichentisch nebst gehörigem Geräte zum Sitzen, einem Ruhebett, damals noch eine Seltenheit auf dem Lande. Bald darauf kam der Amtsrichter mit zwei großen, schön geschliffenen Flaschen voll goldenen Weines und hinter ihm zwei Töchter mit Gläsern, weißem Brot und Käs. Der Amtsrichter machte den Wirt, schenkte ein, servierte mit Hülfe der Töchter, die Frau Amtsrichterin nahm sich der Sache sehr wenig an, schickte bloß ein Kind nach Wasser, als sie die Frau Oberstin darnach seufzen hörte, und sprach der Frau Oberamtmännin zu, als sie den Kindern keinen Wein zulassen oder ihn mit Wasser ertränken wollte, redete zu, statt des dünnen Wassers den in den Städten unbekannten, auf dem Lande so beliebten, mit Zucker und Zimt angemachten süßen Tee zu gebrauchen, der, in den Wein gegossen, wirklich sehr angenehm und durstlöschend ist. Wirklich ward er auch probat gefunden, nur die Frau Oberstin rümpfte ein wenig das Näschen, denn begreiflich war der Tee nicht von der feinsten Sorte. Der Herr Lieutenant wollte mit den Töchtern anbinden, fand aber den Ton nicht, erhielt sehr kurzen Bescheid, was seine Cousinen ihm nicht schlecht gönnen mochten und es den Mädchen durch doppelte Freundlichkeit vergalten. Die Herren lobten des Amtsrichters Wein als kräftig und rein, mit lieblicher Blume. Dem tat das wohl, und er erzählte, wie er fast alle Jahre an den kleinen See fahre und Wein hole für seine Leute, nur leichten, und wenn er schon sauer sei, so sei er ihnen desto lieber, weil er ihnen den Durst desto besser lösche. In ganz guten Jahrgängen fahre er dann ins Welschland und hole dort ein Faß oder zwei, je nachdem jemand mit ihm einstehe oder nicht. Man sei froh, einen Tropfen guten Wein im Keller zu haben, es könne einem zuweilen begegnen, daß man müsse Kindbett halten, und wenn nicht, so sei man sozusagen auch ein Mensch, und ein Glas guter Wein tue allezeit wohl.

Bei dieser Erfrischung blieb man nicht lange sitzen, es strebte alles ins Freie. Ein Bauernhof ist eine wahre Raritätenkammer für Stadtleute, und wenn man die rechte Begleitung hat, kann man in einem halben Tage mehr Landwirtschaft lernen als auf einer Universität in einem halben Jahre. Natürlich fand alsbald in der Gesellschaft eine große Spaltung statt, die große und kleine Jugend strebte nach den Bäumen, die Damen ins Grüne, die Herren in die Ställe, besichtigten Misthaufen und Heustock und versenkten sich dann in die Landwirtschaft überhaupt, welcher auch der Oberst nicht fremd war und nach einigen Jahren mit derselben noch näher bekannt zu werden gedachte. Der echte Berner hat einen Zug zur Landwirtschaft. Der Handwerksmann, sobald es ihm irgendwie möglich ist, kauft ein Stücklein Land, sein höchstes Streben geht dahin, Bauer zu werden. Der Edelmann, wenn er es immer kann, hat auf dem Lande seinen Besitz und bauert wie ein Hellteufel, wie man zu sagen pflegt. Das ist Naturzwang. Es ist aber auch der Kanton Bern ein klein Ländchen Gosen. Der Boden fordert freilich sehr harte Arbeit, liefert dann aber auch sehr kräftige Produkte. Und wenn nicht Landwirt, so ist der Berner am liebsten Soldat, zum Kaufmann ist er nicht geboren. Wie echte Landwirte liebt er auch Vorräte, fragt nicht nach dem Kapital, welches darin steckt und keinen Zins trägt.


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