Maxim Gorki
Ein Verbrechen
Maxim Gorki

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Achtes Kapitel

In die Wirtschaft traten sie flott, mit Lärmen und Lachen.

»Na, lieber Mann,« sagte Salakin zum Wirt, »gieb uns mal jedem einen Schnaps!«

»Ist recht!« sagte der hochgewachsene, schwarzhaarige Bauer mit der großen Glatze, der hinter der Schenke stand. Und er sah Wanjuschka so freundlich und arglos an, daß Kusin mitten im Zimmer stehen blieb und schuldbewußt lächelte.

»Bei uns hier,« fing der Wirt an, während er den Schnaps vor Salakin hinstellte, »ist es der Brauch, daß die Leute, wenn sie irgendwo hereinkommen, »Grüß Gott« sagen oder »Guten Tag.« Ihr seid wohl nicht hier aus der Gegend?«

»Wir? Nein, wir . . . heißt das, wir kommen auch nicht so sehr weit her . . . Dreißig Werst . . .« erklärte Salakin.

»Von welcher Seite?«

»Von da!« – Und Salakin wies auf die Thür der Wirtschaft.

»Also nicht weit von der Stadt?« fragte der Wirt.

»Ja . . . Komm, Wanja, trink' . . .«

»Ist der Wanja dein Bruder?«

»Nein!« erwiderte Wanjuschka schnell, »was wären wir für Brüder?!«

In einer Ecke der Wirtschaft, bei der Thür, saß ein kleiner Bauer mit einer spitzen Vogelnase und scharfen, grauen Augen. Er stand von seinem Platze auf, kam langsam an die Schenke geschlendert und sah die Kumpane mit gewollter Ungeniertheit an.

»Was willst du denn?« fragte der Wirt.

»Nur so . . .« sagte der Bauer mit knarrender Stimme, »ich dachte nur – Es hätten ja Bekannte sein können . . .«

»Setzen wir uns 'n bißchen und erwärmen wir uns,« sagte Salakin und entfernte sich von der Schenke und zog Wanjuschka am Ärmel hinter sich her. Sie gingen beiseite und setzten sich an einen Tisch. Der Bauer mit der Vogelnase blieb an der Schenke stehen und sagte dem Wirt etwas mit leiser Stimme.

»Wir wollen fahren!« wisperte Wanjuschka Salakin zu.

»Wart' noch!« antwortete Salakin laut.

Wanjuschka sah seinen Genossen vorwurfsvoll an und schüttelte den Kopf. Jetzt laut vor den Leuten zu sprechen, das deuchte ihn gefährlich, nicht gut, falsch.

»Bring' uns noch einen!« bestellte Salakin.

Die Thür zur Wirtschaft kreischte, und es traten wieder zwei Bauern ein: der eine ein alter Mann mit langem, grauem Bart, der andere stämmig, dickköpfig, in einem kurzen Pelz, der nur bis zum Knie reichte.

»Grüß Gott!« sagte der Alte.

»Grüß Gott!« antwortete der Wirt und sah Salakin an.

»Wem gehört das Pferd?« fragte der Stämmige und deutete mit dem Kopf nach der Thür.

»Den beiden da,« sagte der Bauer langsam und zeigte mit dem Finger auf Salakin.

»Ja, uns!« bekräftigte Salakin.

Und Wanjuschka hörte die Stimmen, und sein Herz blieb vor Schrecken stehen. Ihm war es, als ob hier alle Leute ganz sonderbar sprächen, gar so einfach und ruhig, als wüßten sie alles und wunderten sich über nichts, – und warteten auf etwas.

»Fahren wir weiter,« flüsterte er dem Genossen zu.

»Wer seid ihr denn?« fragte der Stämmige Salakin.

»Wir? Metzger . . .« entgegnete Salakin, »mit Fleisch handeln wir.«

»Aber . . . was sagst du da?!« rief Wanjuschka erregt, aber leise.

Allein die Bauern hatten alle vier seinen Ausruf gehört und wendeten alle langsam die Köpfe und hefteten neugierige Augen auf ihn. Salakin musterte sie ruhig, nur seine fest aufeinander gepreßten Lippen zitterten, Wanjuschka aber ließ seinen Kopf tief über die Tischplatte hängen und wartete, und hatte das Gefühl, daß er nicht atmen könnte. Das Schweigen, das schwer war wie eine Wolke, dauerte lange . . .

»Ja, ja, ich seh' es,« begann der stämmige Bauer, »das Vorderteil von eurem Schlitten ist ganz blutig . . .«

»So?« sagte Salakin frech.

»Ich,« sagte der Alte, »habe kein Blut gesehen . . . Ist da Blut? – Ich habe nach dem Krummholz geschaut . . . Das Krummholz ist schwarz . . . Also, dacht' ich, ein Köhler . . . Gieb mir ein Glas, Iwan Petrowitsch . . .«

Der Wirt füllte ein Glas mit Branntwein und ging langsam, wie ein vollgefressener Kater, nach der Thür. Der Bauer mit der Vogelnase wartete, bis er sich nach ihm umwandte, und verließ dann die Wirtschaft mit ihm.

»Na,« sagte Salakin und stand auf, »na, Wanja . . . wir müssen fahren! Wo ist denn der Wirt hin? Ich will zahlen . . .«

»Er kommt gleich,« sagte der stämmige Bauer und wandte sich von Salakin ab und begann sich eine Cigarette zu drehen. Wanjuschka erhob sich gleichfalls, ließ sich aber sofort wieder auf den Stuhl fallen, seine Beine schienen ihm ganz morsch und weich und wollten ihn nicht tragen. Er sah mit stumpfem Blick in das Gesicht seines Genossen, und als er bemerkte, daß Salakins Lippen zitterten, begann er vor Schmerz und Angst leise vor sich hin zu stöhnen.

Der Wirt kam allein zurück. Genau so langsam und ruhig, wie er hinausgegangen war, kehrte er wieder hinter die Schenke zurück, stützte seine Arme auf und sagte zu dem alten Bauern:

»Es ist wieder wärmer geworden . . .«

»Ja, es ist jetzt auch Zeit, daß es warm wird . . .«

»Na, wir fahren jetzt aber!« sagte Salakin laut und trat an die Schenke, »Zahlen!«

»Wart' noch!« sagte der Wirt und lächelte phlegmatisch.

»Wir haben keine Zeit . . .« erwiderte Salakin leiser und schlug die Augen nieder.

»Wart' nur noch!« wiederholte der Wirt.

»Auf was denn?«

»So . . . ich habe nach dem Gemeindevorsteher geschickt . . .«

»Ich will nichts von dem Gemeindevorsteher,« erklärte Salakin, mit den Achseln zuckend, und setzte seine Mütze auf. Warum, wußte er selbst nicht.

»Aber er will was von dir,« sagte der Wirt langsam und ruhig und entfernte sich von Salakin. Der alte und der stämmige Bauer gewannen Interesse an dieser für sie unverständlichen Unterhaltung und näherten sich der Schenke.

»Er will dich fragen, wie das zugeht – du handelst mit Fleisch, hast aber leere Kohlensäcke im Schlitten . . .«

»So, so, so!« sagte der Alte gedehnt und trat schnell von Salakin zurück.

»Das ist die Geschichte!« rief der Stämmige, »das Pferd haben sie gestohlen!«

»Nein!« rief Wanjuschka mit dünner Stimme.

Salakin winkte ihm abwehrend mit der Hand und sagte mit einem schiefen Lächeln:

»Die Sache ist, wie sie ist . . . Schluß . . .«

Ins Gastzimmer traten jetzt lärmend und eilig noch fünf Bauern. Einer davon, ein hochgewachsener rothaariger Mensch, hatte einen langen Stock in der Hand. Wanjuschka sah die Leute mit weit aufgerissenen Augen an, ihm war, als ob sie alle, wie Betrunkene, auf ihren Füßen schwankten und das ganze Haus ins Wackeln brächten.

»'N Tag, ihr Burschen!« sagte der Bauer mit dem Stocke, »nun sagt uns doch mal . . . wer ihr denn seid? Und woher? Ich, zum Beispiel, ich bin der Gemeindevorsteher . . . und ihr?«

Salakin sah den Gemeindevorsteher an und schlug ein Gelächter auf, das Ähnlichkeit mit dem Gebell eines Hundes hatte. Aber sein Gesicht wurde bleich . . .

»Du – lachst?« fuhr einer von den Bauern ihn barsch an und begann seine Ärmel aufzukrämpeln.

»Wart' doch, Korné . . .« hielt ihn der Gemeindevorsteher zurück. »Eins nach dem andern. Sie werden schon so . . . Ihr Burschen nämlich . . . Sagt es nur grade und glatt heraus – wo habt ihr das Pferd her?«

Wanjuschka glitt schwer und langsam, wie Schnee bei Tauwetter von einem Dache, von seinem Stuhl auf den Boden und begann, knieend und sich bekreuzigend, mit stockender, dumpfer Stimme sein Bekenntnis:

»Rechtgläubige Christen . . . nicht ich! Er . . . Wir haben das Pferd nicht gestohlen . . . wir – haben den Köhler erschlagen . . . zu Tode geschlagen einen lebendigen Menschen! Er ist dort . . . nicht weit . . . Im Schnee haben wir ihn verscharrt . . . Wir haben das Pferd nicht weggejagt . . . es ist selbst fortgelaufen . . . Und mit dem andern sind wir nur gefahren . . . Bei Gott! Und das alles war nicht ich! Es ist von selbst davongelaufen . . . das Pferd . . . es kommt schon wieder. Wir wollten ihn nicht . . . totschlagen, er hat selbst angefangen . . . mit dem Totschläger . . . Wir wollten nach Borissowo . . . wir wollten beim Verwalter einbrechen . . . Feuer legen, zuerst . . . einbrechen . . . Aber die Pferde haben wir nicht gestohlen . . . Das hat er mir alles gesagt.«

»Fertig!« schrie Salakin laut. Er riß seine Mütze vom Kopf und warf sie den Bauern vor die Füße, die ihm gegenüberstanden als eine schweigende, dichte, finstere Mauer.

Wanjuschka verstummte und ließ den Kopf auf die Brust sinken, seine Arme hingen schlaff am Körper herunter, und der ganze Mensch – wurde weich, als finge er zu schmelzen an.

Die Bauern blickten verdrossen und schweigend vor sich hin . . . Endlich seufzte einer auf – es war der mit der Vogelnase und der knarrenden Stimme – und sagte laut und ärgerlich:

»Solche . . . Esel!«

* * *

Sie kamen vors Gericht, natürlich. Und sie wurden verurteilt: Wanjuschka sechs Jahre Zuchthaus, und Salakin acht Jahre.

 


 


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