Maxim Gorki
Ein Verbrechen
Maxim Gorki

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Siebentes Kapitel

Als Wanjuschka, müde und beschwitzt, nach dem Kampfe wieder zur Besinnung kam, sagte er mit entsetzten Augen halblaut zu Salakin:

»Sieh mal . . . Wo ist das andere Pferd? Fort!«

»Das erzählt's keinem,« brummte Salakin und wischte sich das Blut von seinem zerschundenen Gesicht.

Die ruhige Stimme seines Genossen verminderte Wanjuschkas Grausen.

»N–na, – da haben wir etwas Schönes gemacht!« sagte er und warf einen scheuen Seitenblick auf den Köhler.

»Besser wir ihn, als er uns . . .« sagte Salakin ebenso ruhig und fügte sogleich geschäftsmäßig hinzu:

»Na, ziehen wir ihn aus . . . Du nimmst den Pelz, ich den Rock . . . Aber beeil' dich . . . Sonst begegnet uns noch jemand . . . oder einer überholt uns . . .«

Wanjuschka begann den toten Köhler schweigend hin und her zu wenden, während er ihm die Kleider auszog, und sah dabei unverwandt auf seinen Genossen. Er dachte: fürchtet sich denn Jeremé wirklich nicht?

Daß sein Genosse so ruhig und geschäftsmäßig mit dem Ermordeten umsprang, weckte in ihm Staunen und Respekt. Und noch mehr wunderte er sich über Salakins blatternarbiges, zerkratztes Gesicht – alles in ihm zitterte, krümmte sich, gleichsam wie vor einem stummen Lachen, und seine Augen glänzten ganz sonderbar, als hätte er über den Durst getrunken oder empfände eine starke Freude über irgend etwas. In dem Kampfe hatte Wanjuschka seine Mütze verloren, Salakin nahm die Mütze des Köhlers, gab sie Wanjuschka in die Hand und sagte:

»Setz auf . . . Du erkältest dich so . . . Und es ist auch sonst nicht gut . . . Wenn ein Mensch auf einmal ohne Mütze . . . Jeder wundert sich . . .«

Er begann die Hosentaschen des Ermordeten umzukehren und machte das so schnell und gewandt, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes gethan, als Leute ermorden und ausrauben.

»Man muß an alles denken,« sagte er und band den Tabaksbeutel des Köhlers auf, »kein Mensch läuft ohne Mütze herum . . . Sieh mal, ein Goldstück, fünf Rubel . . . Nein, sogar sieben und ein halber . . .«

»Du . . .« begann Wanjuschka verlegen und sah das Goldstück mit glühenden Augen an.

»Was?« fragte Salakin mit einem schnellen Blick auf ihn. »Willst du es nehmen? – da!«

Er gab das Geld Wanjuschka und sagte in wegwerfendem Ton:

»Davon bekommen wir jetzt genug! – Na, marsch, alte Ziege! Lauf mal zu!«

Und Salakin gab dem Pferd mit der flachen Hand einen klatschenden Schlag auf die Croupe.

»Nicht wegen des Geldes . . .« sagte Wanjuschka, »ich wollte nur fragen . . .«

»Was?«

»Machst . . . machst du das zum erstenmal?« Wanjuschka deutete mit den Augen auf den entkleideten Leichnam des Köhlers.

»Esel!« rief Salakin mit einem Auflachen, »bin ich vielleicht ein Räuber? Was?«

»Ich meinte, weil – du hast ihn so schnell ausgezogen . . .«

»Wenn einer lebt . . . Bei einem Toten ist's keine große Kunst . . .«

Und auf einmal fing Salakin, der auf den Knieen lag, zu wanken an und fiel schwer über Wanjuschkas Beine hin. Wanjuschka erzitterte, als würde er mit dem ganzen Leibe plötzlich in kaltes Wasser getaucht, er schrie laut auf und begann, den Genossen von sich zu stoßen, und das Pferd setzte sich bei seinem Schrei in Galopp.

»Macht nichts . . . nichts,« murmelte Salakin und hielt sich an Wanjuschka, »er hat mich zwischen die Flügelknochen gehauen . . . Das geht aufs Herz . . . Es ist gleich vorbei.«

»Jeremé,« begann Wanjuschka mit zitternder Stimme, »kehren wir um . . . Um Christi willen!«

»Wohin?«

»In die Stadt! Ich hab' Angst . . .«

»In die Stadt – das geht nicht! Nein . . . Wir fahren weiter und verkaufen das Pferd . . . Und dann nach Borissowo . . . zu Matwé . . .«

»Ich – hab' Angst!« sagte Wanjuschka trübe.

»Vor was?«

»Es kostet uns den Kragen! Was wird jetzt sein? Bin ich deshalb mit dir gegangen?«

»Geh zum Teufel!« brüllte Salakin, und seine Augen funkelten zornig, »den Kragen! Was heißt das: es kostet uns den Kragen? Sind wir vielleicht die einzigen in der Welt, die Leute erschlagen? Ist das zum erstenmal auf dieser Erde passiert?«

»Sei nur nicht böse,« bat Wanjuschka in weinerlichem Ton, denn er sah, daß das Gesicht seines Genossen wieder jenen sonderbar verzweifelten und trunkenen Ausdruck annahm.

»Da soll einer nicht böse werden!« rief Salakin unwillig, »was du dir ausdenkst! . . .«

»Du, hör' doch, was machen wir denn!« begann Wanjuschka eindringlich, dabei zitterte er am ganzen Körper und schaute sich ängstlich rund um. – »Wohin fahren wir ihn? Wir müssen gleich in Wischenki sein . . . Und was haben wir da im Schlitten?«

»Prrr, du Satan!« schrie Salakin das Pferd an und sprang schnell und leicht wie ein Gummiball aus dem Schlitten auf die Straße.

»Richtig!« murmelte er und ergriff einen Arm des Köhlers. »Faß ihn, heraus mit ihm! Faß ihn an den Beinen, marsch! Vorwärts!«

Wanjuschka vermied es, dem Leichnam ins Gesicht zu sehen, aber als er ihn an den Füßen faßte, erblickte er dennoch etwas Blaues, Rundes, Schreckliches, wo der Köhler sein Gesicht hatte.

»Grab' ein Loch!« kommandierte Salakin und sprang in dem lockeren Schnee herum, während er ihn mit heftigen, hastigen Bewegungen seiner Füße nach beiden Seiten fortscharrte. Er machte das so sonderbar, daß Wanjuschka, der den Leichnam des Köhlers in den Schnee hatte sinken lassen, neben ihm stehen blieb und den Genossen anschaute, ohne ihm zu helfen.

»Scharr' ihn ein! scharr' ihn ein!« sagte Salakin und häufte schnell und eifrig Schnee auf Kopf und Brust des Ermordeten.

Die beiden arbeiteten, zwei Schritte vom Schlitten entfernt, und das Pferd hatte den Hals gebogen und schielte mit einem Auge zu ihnen herüber, ohne sich zu rühren, wie eingefroren.

»Fertig, wir fahren weiter!« sagte Salakin.

»Noch nicht genug . . .« entgegnete Wanjuschka.

»Was ist nicht genug?«

»Man sieht's noch . . . Der Hügel . . .«

»Alles eins! Den machst du nicht glatt . . .«

Sie stiegen in den Schlitten und fuhren weiter, fest aneinander gedrückt. Wanjuschka blickt die Straße zurück und ihm schien es, als ob sie furchtbar langsam führen. Denn der Schneehügel über dem Leichnam des Ermordeten schwand nicht aus seinen Augen.

»Hau' aufs Pferd,« bat er Salakin leise, und drückte die Augen fest zu und hielt sie lange geschlossen. Aber als er sie aufmachte, sah er doch noch immer in der Ferne, links von der Straße eine kleine Erhöhung auf dem glatten Schneefeld.

»Ach Gott, Jeremé, uns geht's an den Kragen . . .« sagte Wanjuschka, beinahe flüsternd.

»Ach geh!« erwiderte Salakin mit dumpfer Stimme, »wir verkaufen das Pferd . . . Und nachher – wenn wir wieder in der Stadt sind . . . Sie sollen uns nur suchen! Und da ist ja auch Wischenki . . .«

Die Straße senkte sich bergab, in ein flaches, verschneites Thal. Schwarze, nackte Bäume zogen zu beiden Seiten der Straße an ihnen vorüber . . . Eine Dohle schrie . . . Die beiden Genossen erzitterten, schweigend blickten sie sich in die Augen . . .

»Du . . . Aber vorsichtig . . .!« flüsterte Wanjuschka Salakin zu.

 


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