Maxim Gorki
Ein Verbrechen
Maxim Gorki

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Drittes Kapitel

Als Wanjuschka aufwachte, fand er sich auf einer Pritsche in einem halbdunkelen Keller liegen, dessen gewölbte Decke ebenso viele Vertiefungen aufwies, wie Salakins Gesicht. Er suchte mit der Zunge in seinem Munde – Geld war keins da, nur ätzender, bitterer Speichel. Wanjuschka seufzte tief auf und schaute sich um.

Der ganze Keller war mit niederen Pritschen bestellt, und auf ihnen lagen, wie Schmutzhaufen, allerhand zerlumpte, dunkele Menschengestalten. Manche waren schon wach und stiegen mit schwerfälligen Bewegungen von den Pritschen auf den Lehmboden hinunter, andere schliefen noch. Ein nicht lautes, aber vielstimmiges Gespräch mischte sich mit dem Schnarchen der Schlafenden; irgendwo wurde mit Wasser geplätschert. Die zerlumpten Menschengestalten glichen in dem grauen Dämmern des werdenden Morgens den Wolkenfetzen am herbstlichen Himmel.

»Schon wach?«

Neben Wanjuschka stand Salakin. Sein Gesicht war rot, er mußte es gerade mit kaltem Wasser gewaschen haben. In der Hand hielt er eine Art kupfernes Döschen mit vielen Räderchen darin, und mit dem einen Auge schien er die Räderchen zu betrachten, während er mit dem anderen Wanjuschka lächelnd anschaute.

»Tüchtig haben wir gestern . . .« sagte Kusin und sah seinem Freund vorwurfsvoll ins Gesicht.

»So gehört sich's, man hat sich die Gedärme wieder ein bischen begossen . . .« äußerte sich dieser in sehr befriedigtem Ton.

»Mein ganzes Geld hab' ich durchgebracht . . .«

»Macht nichts! Wir kommen schon durch . . .«

»Ja–a, du hast gut . . .«

»Mach dir keine Sorgen . . . Ich hab' siebzehn Kopeken, und nachher verkauf' ich meine Stiefel . . . Wir kommen schon durch!«

»Ja, aber wie? . . .« sagte Wanjuschka mit einem mißtrauischen Blick in das Gesicht seines Freundes, und als Salakin schwieg, fügte er hinzu:

»Du mußt jetzt . . . Du mußt mir helfen . . . Ich habe mein Geld mit dir versoffen, also mußt du . . .«

»Ist schon recht! Was soll man da viel . . .? Gemeinsamer Schmerz, geteilte Freude . . . Wir sind keine reichen Leute, wir werden uns bei der Teilung nicht verzanken . . . Wenig genug ist zum Teilen da!«

Sein Blick und sein Ton beruhigten Wanjuschka, und er fragte ihn jetzt:

»Was hast du denn da in der Hand?«

»Rat mal!«

Kusin sah sich um und fragte halblaut:

»Das ist, um falsches Geld zu machen, nicht?«

»Verrückter Kerl!« rief Salakin lachend, »was du für Ideen hast! Und woher weißt du das mit dem Geld?«

»Ich weiß es! Sieben Werft von unserem Dorf hat ein Bauer gewohnt, der hat auch sowas gemacht.«

»Na? Und?«

»Nichts. Nach Sibirien haben sie ihn verschickt.«

Salakin dachte nach, schwieg ein Weilchen, drehte das kupferne Döschen zwischen seinen Fingern und sagte mit einem Seufzer:

»Ja, für sowas wird man verschickt . . .«

»Also ist das sowas?« fragte Wanjuschka leise und nickte mit dem Kopf nach dem Döschen hin.

»Nei–ein! Das ist ganz einfach der innere Teil von einer Uhr . . . Steh auf, gehn wir Thee trinken!« . . .

Wanjuschka kroch von seiner Pritsche, strich sich mit den Händen das Haar zurecht und sagte:

»Gehn wir also!«

Aber das kupferne Döschen erregte seine Neugier und zeugte in seinem Innern etwas wie Furcht davor. Und als er sah, wie Salakin es in seinen Busen steckte, fragte er ihn:

»Wo hast du das her?«

»Auf dem Tandelmarkt gekauft, als ich meinen Mantel verhandelte, siebzig Kopeken hat's gekostet . . .«

»Aber was machst du damit?« fragte Wanjuschka weiter.

»Siehst du,« begann Salakin, geheimnisvoll zu seinem Ohr geneigt, »ich wollte schon lange herauskriegen, woher so eine Uhr die Zeit weiß? Wenn's Mittag ist, – gleich schlägt sie zwölf . . . Wie geht das zu? Es ist doch einfaches Kupfer, aber doch so eingerichtet, daß es weiß, was für eine Stunde grade ist . . . Ein Mensch kann es an der Sonne sehen, das liebe Vieh, na, das begreift garnichts . . . Es lebt einfach so hin! Aber hier – die Räderchen . . . das Kupfer . . .«

Wanjuschkas Kopf schmerzte. Er ging neben seinem Freunde dahin, lauschte seinen unverständlichen Reden und wälzte schwere Gedanken. Was würde Salakin thun, wenn er die Stiefel verkauft hätte? . . . Würde er ihm wenigstens die Hälfte von dem vertrunkenen Geld wiedergeben, oder nicht? Und, seinen Blick in Salakins Augen heftend, fragte er:

»Wann gehst du, deine Stiefel verkaufen?«

»Na, trinken wir erst mal Thee, und dann gehn wir . . . Ach ja, über die Uhren hab' ich schon viel nachgedacht. Viele Leute hab' ich gefragt . . . Kluge Leute . . . Der eine sagt dies, der andere das . . . Man kann das nicht begreifen!«

»Ja, aber wozu brauchst du das zu wissen?« fragte Wanjuschka neugierig.

»Das ist doch interessant! Wie das ist? Der Mensch geht . . . Er ist lebendig, für ihn ist das eine einfache Sache . . .«

Salakin redete so viel und so hitzig von dem Geheimnis der Uhren, daß Wanjuschka unwillkürlich von der Begeisterung seines Freundes mitgerissen wurde und selbst Vermutungen darüber aufzustellen anfing, woher die Uhren die Zeit wüßten. Und während die Freunde ihren Thee tranken, disputierten sie hartnäckig und rechthaberisch über die Uhr.

Dann gingen sie, die Stiefel verkaufen, und schlugen sie für zwei Rubel vierzig los. Salakin war sehr betrübt, daß sie so niedrig taxiert wurden. Und gleich dort auf dem Tandelmarkt lud er Wanjuschka in die Volksküche ein und gab vor lauter Kummer gleich einen ganzen Rubel aus. Und spät in der Nacht, als sie beide, stolpernd und unter lauten Reden, nach ihrer Schlafstelle gingen, klapperten in Salakins Tasche nur noch vier kupferne Fünfer. Wanjuschka faßte ihn unter den Arm, gab ihm einen Schubs mit der Schulter und sagte selig:

»Bruderherz! Ich liebe dich . . . Wie einen leiblichen Bruder! Bei Gott! Du Seele von einem . . . Ach was, nimm mich mit Haut und Haar! Ja, wahrhaftig! Bei Gott! Steig mir auf den Buckel . . . Wenn du Lust hast . . . Ich trag' dich! . . .«

»Ver–rückter Kerl!« brummelte Salakin. »Macht nichts! Wir kommen durch! Morgen gehen wir . . . wir verhandeln das Innere von der Uhr . . . Die ganze Blase! Hol's der Teufel! was?«

»Weiter nichts!« schrie Wanjuschka mit einer wegwerfenden Handbewegung und begann mit dünner Stimme zu singen:

»Hä–äßlich bin ich und ganz arm.«

Salakin blieb stehen und fiel ein:

»Schlecht ist mein Gewa–a–and.«

Und, fest aneinander gedrückt, heulten sie mit wilden Stimmen los:

»Und kei–einer ma–ag mich zur Frau, –

»Wirbt um mei–ne Ha–a–and!«

»Und Matwé, das rothaarige Aas . . . Er lernt mich schon noch kennen!« schloß Salakin, gänzlich überraschend, und reckte seinen Arm hoch auf und drohte mit der Faust in die leere Luft hinaus.

 


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