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3. Experimentier-Vortrag.
Posthypnotische Suggestion. Über den persönlichen Magnetismus. Massensuggestion. Fakirkünste.

Der Professor hat dasselbe Fräulein – V. P. – bestellt und will jetzt dazu übergehen, die Phänomene der sogenannten posthypnotischen Suggestion zu erklären.

»Meine Herren! Was wir bis jetzt gesehen haben, waren Darbietungen der Hypnose innerhalb des Raumes und der Zeit. Aber über beide hinaus erstrecken sich die Wirkungen der Hypnose in der sogenannten posthypnotischen Suggestion. Wir können also unserer V. P. eine Weisung geben, die sie zwar aufnimmt, aber unabhängig von diesem Hörsaal und dieser Stunde an einem von uns zu bestimmenden Ort und Zeitpunkt vollzieht. Gerade mit der Zweiteilung des Bewußtseins in ein Oberbewußtsein und ein Unterbewußtsein finden wir auch die leichteste Erklärung für diese auf den ersten Blick so außerordentlich seltsam anmutende Erscheinung. Wenn unsere V. P. wieder in den Normalzustand zurückgekehrt ist, so sind gewiß für ihr Oberbewußtsein alle Vorgänge während der Hypnose verschwunden, aber in ihrem Unterbewußtsein haftet für den bestimmten Zeitpunkt und den angegebenen Ort der erhaltene Befehl. Von dieser Fixierungsstelle aus werden dann befehlsgemäß die erhaltenen Weisungen ausgeführt. Geben Sie, mein lieber Herr E., bitte jetzt der V. P. folgende Weisung:

(Vorausgeschickt sei, daß diesmal Herr E. gleich am Anfang der Sitzung die V. P. in den nötigen suggestiblen Zustand versetzt hat.)

›Fräulein Pierer, Sie werden heute Nachmittag um 4 Uhr im Hörsaal 8 erscheinen und dort den fünften Band der Real-Encyklopädie aus dem Buchfach herausnehmen und ihn dann dem Herrn Professor bringen. Ferner werden Sie heute über acht Tage diesen Band wieder an seinen alten Platz bringen.‹«

(Herr E. erteilt diese Suggestion und führt dann die V. P. wieder in den Normalzustand zurück.

Wir versetzen uns im Geiste jetzt in den Hörsaal 8 und sehen dort gegen 4 Uhr die V. P. auftauchen, die mit der ganzen Sicherheit, wie sie das Bewußtsein eines berechtigten Tun's verleiht, auf ein bestimmtes Buchfach zugeht und aus ihm den bewußten fünften Band herausnimmt, den sie auch unter den Arm klemmt und fortträgt.

Acht Tage später würden wir mit derselben Promptheit mit erleben, wie die V. P. den Band in die Wohnung des Herrn Professors bringt.)

Der Herr Professor fährt in seinem Vortrage fort:

»Meine Herren! Sie haben gesehen, wie sowohl ich selbst als auch Herr E. die V. P. verhältnismäßig leicht suggestioniert haben. Theoretisch sollte dies jedem von Ihnen in gleicher Weise gelingen, aber praktisch finden Sie in der darüber bestehenden Literatur immer wieder, daß es einigen besonders leicht, anderen sehr schwer und einzelnen wiederum ganz unmöglich fällt, Suggestionen und Hypnosen auszuführen. Ich für meinen Teil nehme da an, daß eben die Vorbedingungen nicht ganz so erfüllt sind, wie ich Sie Ihnen in meinen Vorlesungen zum Thema der Eignung zum Hypnotisieren auseinandergesetzt habe. Andere meinen freilich, daß eben doch ein gewisses Etwas, so etwas wie ein magnetisches Fluidum mit eine Rolle spiele, und wiewohl ich persönlich alles auf Suggestionswirkung zurückbeziehe, so will ich Ihnen doch heute dartun, was über den persönlichen Magnetismus gesagt werden kann.

Da ist es Franz Anton Mesmer, geboren den 23. Mai 1734 in Iznang, Amt Radolfszell, dem man das Verdienst zusprechen muß, die Erklärungen für gewisse Erscheinungen, die freilich schon von ältesten Zeiten her bekannt waren, in ein gewisses System gebracht zu haben. Mesmer stellt die Lehre auf, daß es einen tierischen Magnetismus gäbe und er sagt in seiner Schrift ›Mesmerismus, oder System der Wechselwirkungen, Theorie und Anwendung des tierischen Magnetismus usw.‹: ›Gleichwie eine allgemeine und gegenseitige Gravitation zwischen allen Himmelskörpern besteht, so besteht auch noch eine besondere und gegenseitige Gravitation von den Bestandteilen der Erde gegen das Ganze, und von dem Ganzen gegen jedes dieser Teile und endlich noch unter allen diesen Teilen wieder von einem jeden gegen den anderen. Diese gegenseitige Verrichtung aller Körper wird durch die ein- und ausgehenden Ströme, auf eine mehr oder minder direkte Weise ausgeübt, je nach der Analogie der Körper. Derjenige unter allen Körpern also, welcher auf den Menschen mit der meisten Macht zu wirken vermag, ist sein Nebenmensch. Es reicht schon hin, daß ein Mensch sich neben einem anderen Menschen befindet, um auf ihn zu wirken, indem die Spannung seiner Eigenschaften hervorgerufen wird.‹ Der tierische Magnetismus ist für Mesmer nur eine Teilerscheinung dessen, was er den ›natürlichen Magnetismus‹ nennt, über den er folgendes sagt: ›Der natürliche Magnetismus ist also jenes allumfassende Gesetz, wonach alles, was da ist, sich im Verhältnis gegenseitigen und allgemeinen Einflusses befindet. Dieser Einfluß bewirkt sich mittels eingehender und ausgehender Ströme einer feinen, ebenso vervielfältigten Flut, als es organisierte Ur-Teilchen gibt, welche ich Materien nenne.‹ Mesmers Ansichten kann man der Übersichtlichkeit wegen in die folgenden Sätze kurz zusammenfassen: 1. Die Menschen üben aufeinander einen Einfluß aus. 2. Die menschliche Beeinflussung ist eine Teilerscheinung der allgemein-kosmologischen Wechselwirkung. 3. Die Beeinflussung geschieht mittels der Ausströmung eines feinen Fluidums. Mesmers Verfahren bestand in Streichen des zu Magnetisierenden vom Kopf bis zu den Füßen, anfangs auch in unmittelbarer Berührung des Körpers. ›Um sich mit den zu magnetisierenden Kranken in Übereinstimmung zu setzen,‹ sagt Mesmer, ›muß man gleich anfangs die Hände auf die Schultern legen, sie der Länge des Armes nach bis zu den Fingerspitzen herunterführen und den Daumen des Kranken einen Augenblick lang halten; wenn dies 2-3 mal wiederholt worden, so richte man Ströme vom Kopf bis zu den Füßen ...‹ Anfänglich entstanden dadurch bei den Kranken verschiedene Krämpfe, die Mesmer ›Krisen‹ nannte, danach erfolgte die Genesung. Schließlich ging Mesmer dazu über, seine ›magnetische Kraft‹ mit Hilfe von durch ihn magnetisierten Gegenständen auf seine Patienten einwirken zu lassen. Er glaubte, verschiedene Dinge, wie Bäume, Wasser usw. magnetisieren zu können. Die Berührung solcher magnetisierter Sachen sollte heilbringend wirken. Insbesondere gebrauchte Mesmer das sogenannte Baquet. Das war ein Zuber aus Holz, gefüllt mit zerbrochenen Flaschen und Wasser; aus dem Zuber gingen gebogene eiserne Stäbe als Leiter der magnetischen Kraft. Die Patienten setzten sich in diesen Baquet, bildeten eine geschlossene Kette und ließen den im Baquet sozusagen verdichteten Magnetismus auf sich einwirken.

Es würde zu weit führen, meine Herren, hier Ihnen auseinandersetzen, wie ich persönlich mir den ganzen persönlichen Magnetismus eben durch Suggestion und Hypnose erkläre. Immerhin ist nicht von der Hand zu weisen, daß sehr viel bei besonders bedeutenden praktischen Erfolgen auf die Persönlichkeit der Hypnotisierenden zurückzuführen ist. Was z. B. Charles Baudouin über die Erfolge seines Lehrers Coué berichtet, läßt sehr wohl den Schluß zu, daß hier eine besondere Begabung obgewaltet habe. Ich empfehle Ihnen näheres über das ganze Thema in der wertvollen Studie von Leo Kaplan »Hypnotismus, Animismus und Psychoanalyse« nachzulesen. Aber der Vorwärtsstrebende darf nicht bei einem einmal angenommenen Standpunkte stehen bleiben. So können wir sehr wohl nachsinnen, ob nicht doch vielleicht etwas Außersinnliches, Übersinnliches, sowohl mit dem Einzelwesen wie mit dem Erdganzen, ja selbst mit dem Weltall zu verknüpfen sei. Es ist möglich, daß unsere mechanistische und rein kausale Weltbetrachtung falsch ist. Vielleicht existieren doch uns bisher nicht näher bekannte transzendentale Kräfte, die womöglich die hauptsächlich wirksamen sind. So hat z. B. eine neue Atomenlehre altüberkommene Begriffe über den Haufen geworfen. Und allenthalben hören wir von Umwälzungen in der Auffassung über das Sein, über die Seele, über das Vergehen, über den Tod. Vielleicht müssen wir später einmal auch unseren bisher innegehabten Standpunkt gegenüber den Phänomenen der Hypnose erweitern oder ändern. Noch sind zwar die Forschungen, die beispielsweise Herr v Schrenck-Notzing über das Heraustreten und Sichtbarwerden der sensitiven Seele aus dem Körper angestellt hat, nicht abgeschlossen, und von weiteren wissenschaftlichen Kreisen noch nicht überprüft worden. Aber wenn diese Dinge dereinst noch mehr erforscht sein werden, ist vielleicht nicht nur die Meinung über Hypnose und Suggestion, sondern auch die ganze Fluidumslehre nochmals nachzuprüfen. Neigt doch auch der große Arzt und Psychologe, Carl Ludwig Schleich einer metaphysischen Betrachtung der Dinge zu und so noch Manche mit ihm. Alle diese Tatsachen belehren uns, daß auch in der Wissenschaft sich alles in einem beständigen Fließen befindet und die Wahrheiten von heute leicht zu Irrtümern von morgen werden. Und umgekehrt.

Wir wollen unsere Experimentiervorträge mit einem Überblicke über eine Erscheinung schließen, von der wir bei der Betrachtung der Einzelfälle noch nicht gesprochen haben. Ich meine die Tatsache der Massensuggestion, die sich von den ältesten Zeiten her nachweisen läßt. Wir verstehen darunter, daß eine Masse, d. h. eine Ansammlung von Menschen unter dem Eindruck eines bestimmten gemeinsamen Reizes steht, und von diesem in ihrem Tun und Unterlassen bestimmt wird. Und zwar eben unter dem Einflusse einer Massensuggestion anders, als wie der Einzelne vom gleichen Reize zu seinem Handeln angeregt wird. Ich erinnere an die Massensuggestion ganzer Völker und Länder in den Zeiten der Kreuzzüge, an die geistige Epidemie, die zu verschiedenen Malen die Menschheit ergriff, als ihr das Nahen des Weltunterganges, das Erscheinen des Antichrist oder auch nur der Zusammenprall mit einem Planeten oder auch Kometen in nächste Aussicht gestellt wurde. Im geschichtlichen Dasein der Völker haben wir Massensuggestion erlebt bei Ausbruch von Kriegen, bei Religionsverfolgungen, beim Überfluten durch große Seuchen, und – in einem engeren Bezirke – bei Sensationsprozessen, bei starken Wirkungen irgendwelcher Druckschriften, oder beim Herumziehen von allerhand Rednern, zumal wenn sich deren Vorträge auf das religiöse oder soziale Gebiet erstrecken. In all diesen Fällen kam eine Suggestion zustande, die zwar ihre Hauptquelle in der faszinierenden Redekraft der eigentlichen Urheber, also z. B. der Mönche, Ärzte, Wahrsager, Redner, hatte, die aber nebenher noch aus dem hypnotisierenden Einfluß gespeist war, der vom gleichfalls mitergriffenen Nebenmenschen ausging. Der eine steckte den anderen an; wenn der Redner wirklich den Einzelnen noch nicht ganz überzeugt hatte, so ließ sich dieser letztere nun von der Überzeugung aller anderen suggestionieren. Von einer Massensuggestion, meine Herren, können wir auch sprechen, wenn eigentümliche Lähmungserscheinungen in Schulklassen sich epidemisch verbreiten, wenn gewisse kriminelle Vergehungen, wie Dachbodenbrandstiftungen, Überfälle, Erpressungen auffällig überhand nehmen. Hier vertilgte ein Beispiel bei vielen anderen den bis dahin festgehaltenen inneren Widerstand, und Nachahmungssucht wurde bei meist krankhaft veranlagten Personen zur Ursache der Wiederholung einer solchen Tat, von der man in der Zeitung gelesen hatte. Etwas anders liegt der Fall bei der Art von Massensuggestionierungen, die wir den s. g. Wundertaten indischer Fakire zugrunde zu legen genötigt sind. Wenn uns, meine Herren, da berichtet wird, und zwar von unverdächtigen Zeugen, daß vor den Augen eines ganzen Kreises von Zuschauern die haarsträubendsten Dinge geschehen sind, wie z. B. das Hinaufklettern an einem Bambusstabe, wo schließlich dann der Fakir in der Luft verschwindet, oder das Töten und das Zerstückeln eines jungen Hinduknaben, dessen Schreie man zu hören, dessen Blut man fließen zu sehen glaubt, und was solcher Gauklerkünste noch mehr sind – dann liegt eben eine Hypnotisierung einer Menge durch einen Einzelnen vor. Eine andere Erklärung können wir für solche Dinge nicht finden. Wunderbar bleibt freilich eine solche Hypnose, der ja die Haupteigenschaft einer Suggestion, nämlich der suggestive Befehl fehlt. Auch hier sind vielleicht Kräfte im Spiele, die wir gegenwärtig ebensowenig nach ihrer ganzen Art wie nach ihrer Herkunft schon recht zu deuten wissen. Nur die unbestechliche photographische Platte hat sich in solchen Fällen natürlich unsuggestibel gezeigt, indem sie nachwies, daß der Fakir während all solcher Vorgänge unbeweglich mit untergeschlagenen Beinen sitzen geblieben war. –

Zum Schlusse, meine Herren, nochmals die Mahnung: das, was Sie aus meinen theoretischen Ausführungen und aus unseren praktischen Versuchen gelernt haben, wenden Sie ja immer nur nach reiflicher Überlegung mit aller gebotenen Vorsicht an, zum Heile der Kranken und zur Ehre wie zum Ruhme der Wissenschaft.«


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