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Erster Teil.

1. Kapitel.
Was versteht man unter Hypnose und Suggestion?

Diejenige Wissenschaft, die sich mit der Gesamtheit der mit der bewußten und unbewußten Suggestion zusammenhängenden Erscheinungen befaßt, nennt man Hypnotismus. Man begreift unter diesem Wort also die Lehre von diesen Dingen, nicht die Dinge selbst. Das Wort Hypnose ist auf das aus dem Griechischen stammende Wort Hypnos, d. h. Schlaf, zurückzuführen, weil man die bei der Hypnose in Betracht kommenden Zustände als schlafähnliche bezeichnen kann. Das Wort suggerieren bedeutet seiner Herkunft nach: etwas auf heimliche, auf verborgene Weise herbeibringen. Wir brauchen uns hierbei nicht an die später zu besprechende Unterscheidung zwischen Suggestion im Wachzustände und eigentlichem hypnotischen Schlaf zu halten, denn auch bei der ersteren, also beim äußerlichen Wachsein oder besser gesagt Wach-Erscheinen, ist die Seele, das Geistesleben in einem sozusagen schlafbefangenen Zustand.

Bei der Hypnose handelt es sich, psychologisch genommen, um einen veränderten Seelenzustand; physiologisch gesprochen, um einen veränderten Zustand der Gehirntätigkeit des Menschen. Diese Erklärung betrifft das Objekt, den hypnotisierten Menschen.

Dieser veränderte Seelen- bez. Gehirnzustand wird von dem. diesen Zustand herbeiführenden, dem Subjekt, bei der Vornahme der Hypnose durch psychische Einwirkungen auf einen anderen, auf das Objekt, im Wege der Eingebung von Vorstellungen und Gefühlen hervorgerufen. Vorstellungen und Gefühle jemanden »eingeben«, sie ihm suggerieren (wie der Fachausdruck lautet) heißt, in ihm die Überzeugung von dem tatsächlichen Vorhandensein der eingegebenen Vorstellungen und Gefühle erwecken und die normalen oder unnormalen Folgezustände erzeugen, wie sie beim tatsächlichen, objektiven Vorhandensein der Vorstellungen und Gefühle ebenso tatsächlich eintreten würde. Diese Eingebung nennt man Suggestion. Der Hypnotisierende »gibt«, erzeugt die Suggestion, der Hypnotisierte befindet sich im Zustande der Suggestion, er hat die Suggestion angenommen, sich ihr unterworfen. Die Suggestion geschieht wie oben bemerkt, durch psychische Einwirkung, das heißt, durch die mehr oder minder eindringliche Rede, auch durch schriftliche Weisung. Wir kommen später noch zu weiteren Definitionen der Begriffe Suggestion und Hypnose; für jetzt mag diese knappe Erklärung genügen.

Die in unseren spezielleren Ausführungen später zu erwähnenden Hilfsmittel, nämlich die Mitwirkung lebendiger oder unlebendiger Gegenstände (der scharf fixierende Blick des Auges, Kristall, Scheiben oder dergl.), ebenso die Zuhilfenahme von Magneten, der menschlichen Hand, von in Flaschen eingeschlossenen Medikamenten und ähnlichem mehr – das alles sind eben nur den Vorgang, die Hypnotisierung, unterstützende Beihilfen. Sie sind nicht Träger, Erzeuger der Suggestion, der Hypnose, die immer nur von Seele zu Seele erfolgen kann. Und wo Subjekt und Objekt als zwei getrennte Persönlichkeiten nicht existieren, wo vielmehr ein Mensch allein für sich in den Zustand der Hypnose verfällt – sei es mit oder ohne Mitwirkung der eben erwähnten Beihilfen – da handelt es sich um eine sogenannte Autosuggestion. Auch bei ihr werden Vorstellungen und Gefühle erzeugt.

Wir haben im Vorstehenden die Begriffsbestimmungen für die Worte Hypnose, Suggestion, Autosuggestion so gefaßt, wie sie aus den Forschungsergebnissen der jüngsten Gegenwart hervorgehen. Von weiteren Begriffsbestimmungen werden wir später hören.

Wie aber erklärte man sich diese Erscheinungen? Nun, man ist da zu den verschiedenartigsten Theorien gelangt. Insbesondere hat sich Professor Dr. August Forel in seinem hochbedeutendem Lehrbuch »Der Hypnotismus oder die Suggestion und die Psychotherapie« mit Energie gegen alle übersinnlichen Erklärungsversuche gewandt. Abzulehnen sind nach Forel alle Versuche, die Erscheinungen der Hypnose mit der Fluidumlehre, dem Spiritismus und dem Okkultismus zu verquicken, sie aus ihnen zu erklären. Man lehrte zum Beispiel, eine äußere unsichtbare Kraft (ein Fluidum, wie man es früher nannte und von Laien heute noch so benannt wird; immaterielle Geister, wie die Spiritisten behaupten) drängen in den Körper, speziell in das Nervensystem hinein, beeinflußten den Organismus und verschafften ihn Kenntnis über die leblose Natur, sowie über andere leblose Wesen. Oder die Gedanken, die Seelenvorgänge eines Menschen kämen durch eine solche wirkende Kraft zur Erkenntnis der Seele eines anderen Menschen, alles ohne Zuhilfenahme von Lauten, Schreib- oder sonstigen Zeichen des einen Menschen und unter Nichtbeteiligung der Sinnesorgane des anderen. Mesmer z. B. nannte diese wirkende Kraft Magnetismus und speziell animalen Magnetismus, wenn er aus dem menschlichen oder tierischen Organismus, selbst (insbesondere aus dem des Magnetiseurs) zu stammen schien. Prof. Dr. Forel lehnt das Vorhandensein eines solchen Magnetismus wie überhaupt angeblich übersinnlicher Tatsachen ab und es ist bezeichnend, daß er nicht so sehr überzeugende Beweise von der Unmöglichkeit sogenannter übersinnlicher Tatsachen bringt, als vielmehr zugesteht, daß, wenn sie erwiesen würden, unsere ganze bisherige wissenschaftliche Erkenntnis bedenklich beeinträchtigt würde. Die fortdauernde Leugnung dieses unbekannten Etwas wirke, wenn das mysterische Etwas, d. h. das Uebersinnliche, doch existiere, so, als wenn man einen wesentlichen Bestandteil menschlicher Erfahrungs-Wissenschaft einfach weggelassen hätte. Dies bedinge natürlich dann auch schwerwiegende Fehler in den Schlußfolgerungen der Wissenschaft. So also meint Dr. Forel. Aber auch die Wissenschaft befindet sich in einem ständigen Flusse, die Erkenntnis des Gestern wird von dem Wissen des Heute verdrängt und überwunden und so beginnt denn auch die exakte Psychologie der jüngsten Zeit ein Fragezeichen hinter die Behauptungen der Physiologen zu setzen, die überhaupt für diese Dinge sich neuerer Erfahrung nach mehr und mehr unzuständig erwiesen.

So gewiß sich zum Beispiel die reine Gedankenübertragung (vom Subjekt aus gesprochen), die tatsächliche Gedankenübernahme oder das Phänomen der Telepathie (vom Objekt aus genommen) von den Vorgängen bei einem von lauten Worten begleiteten hypnotischen Akt unterscheidet, so gewiß doch findet in der Hypnose ein Hinüberfließen der Gedanken des einen, des Hypnotiseurs, in die Seele des andern, des Hypnotisierten, statt. Es ist also sehr wohl gestattet, die Tatsachen der Telepathie heranzuziehen, wenn wir zu einer theoretischen »Erklärung« des Hypnose-Vorganges gelangen wollen. Wir verweisen da vor allem auf unser »Lehrbuch des Gedankenlesens« (Erwin Wulff ist ein Pseudonym für den Verfasser dieser Zeilen, Erwin Le Mang) und zwar besonders auf die I. Abteilung dieses Werkes »Das Gedankenlesen und die Wissenschaft«. Es ist für unsere Leser unbedingt wichtig, sich mit diesem Abschnitt des oben genannten Werkes vertraut zu machen; wir wollen aber einiges aus dieser Schrift zum besseren Verständnis hierher setzen. Vorausgeschickt sei folgendes: Es gibt Personen, auf die keine Suggestion, keine Hypnose-Vornahme wirkt, das heißt also, wo die sinnlich wahrnehmbaren Ursachen, nämlich Rede und Blick des Hypnotiseurs – von seinem Willen sei hier aus bestimmten Gründen geschwiegen – nicht denselben Erfolg wie bei hypnotisierbaren haben. Wir dürfen auch daraus wieder folgern, was wir schon bei unserer Definition des Begriffs Hypnose gesagt haben, daß es sich nämlich unbeschadet der Zuhilfenahme sinnlich wahrnehmbarer Mittel (z. B. der eindringlichen Rede) in der Hauptsache um einen Vorgang zwischen Seele und Seele handelt. Nun betont aber selbst ein so skeptischer Kritiker wie Dr. R. Hennig, der Verfasser des sehr zu empfehlenden Werkes »Wunder und Wissenschaft, eine Kritik und Erklärung der okkulten Phänomene«, daß die Wissenschaft eine echte Gedankenübertragung ohne jede sinnliche Vermittlung anerkennen müsse. Ohne jede sinnliche Vermittlung, das Wort »sinnlich« bedeutet hier nach dem heutigen Stande der Psychologie und Physiologie mit Sinnen wahrnehmbar. Nun sind zwar bei der Hypnose die eindringliche Rede, der ausdrückliche Befehl, die geflüsterte Suggestion mit Sinnen wahrnehmbar, aber für eine wirkliche Erklärung des hypnotischen Phänomens besagen sie allein noch nichts. Wir können also von ihnen einmal absehen und dann bleibt für uns die Gedankenübermittlung von Hirn zu Hirn übrig, deren Weg wir im Grunde doch noch nicht genau feststellen können. Es handelt sich auch hierum etwas durchaus Geheimnisvolles, das sich von allem, was wir wissen, absolut unterscheidet. Dabei ist zu bedenken, daß auch sonst vieles, was wir zu »wissen« glauben, eigentlich seinem Wesen nach für uns noch nicht als wirklich »erklärt« gelten kann. Wir sprechen von X-Strahlen, die vor anscheinend undurchlässigen Körpern nicht halt machen, wir kennen »magnetische Ströme«, die in der Natur diese und jene Wirkungen ausüben, wir wissen, daß der Mond unserer Erde die Meere beeinflußt, daß gewisse Bakterien auf Mengen von Sauerstoff reagieren, die kleiner sind als der millionste Teil eines Milligramms, wir erfuhren vom Wunder des Radiums, von seiner Emanation und sprechen bei allen diesen Dingen von Ursache und Wirkung, aber ihres Wesens innersten Kern zu erfassen, ist uns noch nicht gelungen. Und wie namhafte Forscher die physiologischen Theorien für durchaus ungeeignet und unzulänglich gegenüber den Rätseln der Telepathie und des Hellsehens halten, so müssen auch wir hinsichtlich des eigentlichen Wesens der Suggestion sagen, daß sie, die Hypnose, die Suggestion nicht an und für sich unerklärlich ist, sondern nur für unsere derzeitige wissenschaftliche Erkenntnisstufe, besonders auch, »weil die heutigen physiologischen Theorien über die spezifische Erregung der Sinnesnerven durchaus nicht als einwandfrei gelten können.«

Ein Forscher aber, Dr. med. Rudolf Tischner, hat in seiner bedeutenden Schrift »Über Telepathie und Hellsehen« Theorien zur Erklärung dieser Phänomene beigebracht, die sehr wohl geeignet sind, auch ein Licht auf die Erscheinungen der Hypnose und Suggestion zu werfen.

Obschon Dr. Tischner der Meinung ist, daß auf dem Gebiete des Hellsehens und der Telepathie eine hinreichende Menge von Tatsachen vorliegen, die die Wissenschaft zu einer kritischen Prüfung auffordern, so hält er doch die Zeit eigentlich noch nicht für gekommen, um jetzt schon sich eine abschließende Erklärungs-Theorie bilden zu können. Aber an Versuchen, zu einer solchen zu gelangen, dürfe man es nicht fehlen lassen.

Er weist nun zunächst darauf hin, daß man kaum an irgend einer Strahlen- und Wellenart vorübergegangen sei, ohne sie verantwortlich für die hier in Frage kommenden Phänomene gemacht zu haben. Magnetische, elektrische, elektro-magnetische, odische, ultrarote, ultraviolette, Röntgen-, Radium-, N- und noch einige andere Strahlen hat man zu den Veranlassern, Leitern und Trägern der Gedankenübertragungen ernennen zu dürfen geglaubt. Übrigens sei an dieser Stelle wiederholt, daß Dr. Tischner scharf zwischen Gedankenübertragung und Hellsehen unterscheidet. Sehr richtig bemerkt er, daß es sich bei der ersteren um einen Vorgang zwischen zwei Gehirnen (oder Seelen) handelt, während beim Hellsehen Beziehungen zwischen einem Gehirn und einem Gegenstand in Frage kommen. Wir müssen es uns versagen, alle die feinsinnigen Untersuchungen hier auch nur kurz wiederzugeben, in denen sich Dr. Tischner mit dem Problem der Art der Übertragung von Gedanken zu Gedanken oder von Gegenstand zu Gehirn beschäftigt. Jedenfalls geht aus all den Überlegungen, die Dr. Tischner anstellt, hervor, daß wir in gar keiner Weise irgend eine rein materielle Ursache der Verbindung von Gehirn zu Gehirn annehmen können, sondern – und damit kommen wir zu dem vorläufigen Endergebnis der Tischnerschen Forschungen – gezwungen sind, etwas Psychisches als die letzte Wurzel dieser Dinge anzunehmen. Es ginge nicht an, hier von nur chemisch-physikalischen Vorgängen zu sprechen, ebensowenig käme man mit der rein materialistischen Auffassung weiter, die wohl den Begriff Psychisches gelten lasse, ihn aber wiederum nur für ein Produkt oder eine Bewegung der Materie ansehe. Dr. Tischner erinnert nun an die exakten Versuche und scharfsinnigen Überlegungen, die der Philosoph Erich Becher in seinem Buche »Gehirn und Seele« niedergelegt hat und die sich mit dem Problem des Gedächtnisses abgeben. Becher habe nachgewiesen, daß das Gedächtnis sich nicht mit der Annahme von nur physischen Spuren in den Ganglienzellen erklären lasse. Man sei vielmehr gezwungen anzunehmen, daß es rein seelische Gedächtnisspuren gebe, die nicht irgendwie an das Gehirn gebunden seien oder Gehirnspuren entsprächen, sondern die als selbständig und frei von einer Abhängigkeit vom Gehirn zu denken seien. Was hier Becher vom Gedächtnis, diesem Hauptuntersuchungsgegenstand der physiologischen Psychologie sage, gelte in erhöhtem Maße von den anderen psychischen Fähigkeiten und Vorgängen. Jedenfalls sei auf Grund von exakten Experimenten wenigstens grundsätzlich die Möglichkeit vorhanden, auch ein außerkörperliches Wirken der Seele, also zum Beispiel von Mensch zu Mensch direkt, wie bei der Gedankenübertragung, anzunehmen. Dr. Tischner macht wohlweislich auf gewisse unübersteigliche Schranken aufmerksam, die darin liegen, daß unser Denken, unsere Sprache ganz für das räumlich-sinnliche Gebiet geschaffen sind, daß unser gesamtes Geistesleben eben an unser durchaus menschlich-beschränktes Gehirn gebunden ist. Darum werde man sich eine anschauliche Vorstellung von den Verhältnissen der Seele zu diesen Dingen auch wohl schwerlich machen können. Die Seele als unräumliches Wesen habe jedenfalls ganz besondere Verhältnisse und Beziehungen zum Raum, ja vielleicht sogar zur Zeit. Wenn Vorgänge, die längst in den Schoß der Vergangenheit gesunken zu sein schienen, ihm gewissermaßen wieder entsteigen können, wenn andere, die in weiter Zukunft erst geschehen, vorher empfunden werden, so ist das mit unserer gewöhnlichen Auffassung des Begriffes »Zeit« nicht recht vereinbar. (Wir berühren uns hier mit Gedankengängen, wie sie sich in den jüngsten Forschungen Professor Einsteins widerspiegeln.) Dr. Tischner unterscheidet schließlich noch zwischen einem Oberbewußtsein des gewöhnlichen Lebens und »anderen Schichten des Bewußtseins«; er spricht von einem Unterbewußtsein, das sich als Teil des Seelischen selbständig abspalte. Aus den Tiefen des Unterbewußtseins holten die medial Begabten auf verschiedensten Wegen längst Vergessenes ans Tageslicht empor. Ja, es scheint, so folgert unser tiefgründig forschender Gewährsmann weiter, als ob jene Schichten des Unterbewußtseins, aus dem die Kenntnisse des Verschollenen stammen, ein anderes Verhältnis zu den Dingen hätten als unser Oberbewußtsein. »Es macht den Eindruck, als ob das Unterbewußtsein – um mich bildhaft-räumlich auszudrücken – nicht so scharf gegen die Umgebung abgegrenzt ist, sondern einen seelischen Bereich darstellt, der in Verbindung mit nicht menschlich-individuellem oder mit überindividuellem Seelischem steht. Von unserem Oberbewußtsein hinabsteigend, würden wir allmählich in unterbewußte seelische Regionen kommen, die nicht mehr dem betreffenden Individuum allein angehören, ebenso wie wir eine aus einem Berge herausquellende Wasserader ins Dunkle des Berginnern verfolgend, bald in Gegenden kommen, wo wir die isolierte Wasserader aus den Augen verlieren, wo vielmehr das Wasser alles umgibt und durchtränkt. Diese tiefsten Schichten des Unterbewußtseins würden dann teilhaben an einem nichtindividuellen oder überindividuellen Seelischen und daher ein Wissen um Dinge haben, die dem individuellen Seelenleben unzulänglich, ja unbegreiflich sind. Die Seltenheit dieser Erscheinungen wäre aus der Schwierigkeit zu erklären, dieses Wissen aus den Tiefen des Unbewußten ins Licht des Oberbewußtseins gelangen zu lassen.« (Tischner, a. a. O., Seite 109.)

Soweit sei hier die psychistische Theorie Dr. Tischners wiedergegeben, die uns der wahrscheinlichen Wahrheit am nächsten zu bringen scheint, die aber auch in der Tat, wie ihr Urheber schon voraussieht, in materialistisch und positivistisch gerichteten Kreisen auf scharfe Ablehnung stoßen dürfte. –

Gleichwohl gaben und geben uns die mit strengster Wissenschaftlichkeit und Ernsthaftigkeit angestellten Forschungen der Physiologen höchst wertvolle Aufschlüsse über die Struktur des Gehirns, über die physiologischen Vorgänge bei der Denktätigkeit beim Erinnern, Wiedergeben, Schlafen, in der Betäubung usw. Aber mit jenem skeptischen Kliniker, der auf die Frage nach der Seele kühl antwortete, » ich habe bei meinen Sezierungen noch nie eine zu Gesicht bekommen«, begnügen sie sich insgesamt mit einer durchaus materialistischen Auffassung des menschlichen Sinnes und verweisen alles Übersinnliche, alles Transzendentale in das Reich des Unbewiesenen, mehr noch in das des Unbeweisbaren und somit in das Gebiet der Fabel. Sollten wir aber nicht vielmehr eingedenk sein der atomkleinen Wesenhaftigkeit des Menschen auf dem Staubkorn Erde im ungeheuren Weltall, der sekundenkurzen Dauer seiner gesamten Entwicklungsgeschichte im Vergleich zum unfaßlichen Zeitmaß der Geschichte der von Menschen unbelebten Erde, zum noch unfaßlicheren Begriff der Ewigkeit! Und sollten wir dann nicht besser von vornherein dem unbedingten Glauben anhängen, daß doch wohl uns Bakterienstäbchen auf einem stecknadelkopfgroßen Schlammklümpchen (denn so ungefähr, aber noch übertrieben groß, stellen wir uns im Verhältnis zum Weltall dar) die wahre Erkenntnis der Dinge verschlossen bleiben muß!? Wir brauchen uns noch lange nicht einem ungehemmten Mystizismus hinzugeben, brauchen auch die ebenfalls nur von menschlicher Vernunft geschauten angeblichen »Tatsachen« des Okkultismus und des Spiritismus noch nicht für letzte Wahrheit zu halten und dürfen, ja müssen gleichwohl annehmen, daß es mit den rein physiologischen Erklärungen von Dingen des menschlichen Seelenlebens noch nicht getan ist. Den Klüglingen rief unser großer Dichter und Seher Goethe zu:

»Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band

Und unbeschadet der abweichenden Auffassung Goethes behält der große Naturforscher und Dichter des 18. Jahrhunderts, Albrecht von Haller mit seinen Worten Recht: »Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist.«


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