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8. Kapitel.
Die Hypnose in der Medizin und im Strafrecht.

Aus unseren bisherigen Ausführungen ging bereits zur Genüge hervor, daß wir die eigentliche Daseins- und Gebrauchsberechtigung einer Hypnoseherbeiführung aus die ärztliche Praxis oder doch das wissenschaftliche Experiment beschränkt wissen möchten. In der Tat hat sich die Hypnose als Heilmittel bei der Krankenbehandlung und -Heilung im Laufe der Zeit in der Medizin und in der Chirurgie in der Hand der damit Vertrauten schon seit langem bewährt. Es bedarf nur noch innerhalb der Ärztewelt der allgemeinen Verbreitung eines so ausgezeichneten Werkes wie Professor Dr. A. A. Friedlaenders Buch: »Die Hypnose und Hypno-Narkose«, um prophezeihen zu können, daß sich die Hypnose als ein ganz wesentliches Mittel für die Erreichung des Endzweckes aller ärztlichen Tätigkeit, nämlich Kranke zu heilen, durchsetzt. Unser Buch hier ist seiner Natur nach nur für Laien berechnet und geschrieben, und es steht kaum zu erwarten, daß auch ein Arzt zu ihm greifen werde, um sich daraus belehren zu lassen. (Was er in den Quellenwerken, die unseren Darstellungen zugrunde lagen, ja auch weit besser tun könnte.) Aber wir müßten es als einen schönen Erfolg unseres Bemühens, im Sinne bester Volksaufklärung zu wirken, bezeichnen, wenn sich durch diese Zeilen auch dieser oder jener Laie bewogen fühlte, in bestimmten verzweifelten Krankheitsfällen. sich einmal die Frage vorzulegen, ob nicht etwa eine hypnotische Behandlung Platz greifen könnte. Natürlich soll man sich beileibe nicht etwa an einen sogenannten Magnetopathen oder sonst einen Kurpfuscher, Berufshypnotiseur und Nichtarzt wenden, sondern an einen wirklichen Fachmann, an einen Arzt, der sich eingehend mit Hypnose beschäftigt hat. der neben der Fähigkeit, ein Krankheitsbild klar zu beurteilen, auch diejenige hat, abzuwägen, ob etwa eine hypnotische Behandlung angezeigt wäre, und der vor allem auch in der Lage ist, sie im Geiste Professor Friedlaenders anzuwenden. Also können unsere Leser, die es einmal mit einer Behandlung durch Hypnose versuchen wollen, nichts besseres tun, als sich mit dem Inhalt des zwar für Fachärzte geschriebenen, aber auch für gebildete Laien gut verständlichen Buches Professor Friedlaenders »Die Hypnose und die Hypno-Narkose« vertraut zu machen und vor allem dieses Buch ihren Ärzten zur Lektüre zu empfehlen. –

Wir wiesen in früheren Kapiteln nach, daß die Suggestion im Alltagsleben schon seit jeher eine große Rolle gespielt hat. So auch in der Medizin, oder in dem, was sich in früheren Jahrhunderten dafür ausgab. Scharlatane, Priester und Ärzte haben früh die Gewalt der Suggestion als Mittel der Beeinflussung auch in Krankheitsfällen erkannt. Und wenn wir Heutigen an den Zuspruch des Arztes denken, an sein überzeugungsvolles Wort, daß die und die Medizin, diese oder jene Operation bestimmt das Leiden beheben werde, wenn er so unsere sinkende Hoffnung neu belebt, unsere Schmerzen durch tröstenden Zuspruch lindert, unsere Hingabe an Krankheitsvorstellungen durch energisches Wachrufen unseres Gesundheitswillens hemmt, unseren Glauben an das Gesundwerden festigt, dann ist schließlich oft gar nicht so sehr leicht zu unterscheiden, ob wirklich die medizinische Behandlung als solche oder mehr eine seelische Beeinflussung, also eine »Suggestion«, die Heilung bewirkt habe. – Bis freilich die Suggestion und Hypnose sich als anerkannte Heilmethode in den Kulturländern verbreitete, vergingen seit Braids ersten Forschungen doch noch eine ganze Reihe von Jahren. Heute hat die Hypnose für die praktische Medizin hohe Bedeutung gewonnen, aber nur, wenn wirklich kundige und fähige Ärzte, die immer auch Seelenärzte sein müssen, die aufs höchste gesteigerte Macht der Suggestion Heilzwecken dienstbar machen. Wir folgen der Darstellung des Düsseldorfer Nervenarztes Dr. Paul Engelen, die er in seiner Schrift »Suggestion und Hypnose« von dem Ausdehnungsbereiche gibt, auf welches hin sich hypnotische Behandlung erstrecken kann:

»So werden funktionelle Lähmungen, Krampfanfälle, krankhafte Einbildungen, hysterischer Veitstanz, hystero-epileptische Anfälle, Sprachstörungen, hysterische Verrücktheit oft erstaunlich schnell geheilt. Eine Reihe anderer krankhafter Symptome, die oft mit dem Vorstellungsleben zusammenhängen und daher einer psychischen Therapie in geeigneten Fällen weichen, sind: Zwangsvorstellungen, Platzangst, pathologische Krankheitsfurcht, Kleptomanie, Angstzustände, Nachtschrecken, Wahnideen autosuggestiven Ursprungs, Eifersucht, Beschäftigungsneurosen, Schreibkrampf nervöses Asthma, Stottern, nervöser Husten, Nesselsucht, krankhaftes Erröten, Schwindel, Herzklopfen, Kopfschmerzen, abnorme Ermüdbarkeit, Gemütslabilität, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit und nervöse Verdauungsstörungen. Weiter lassen sich schlechte Gewohnheiten aller Art beeinflussen: Nägelkauen, Morphiumsucht, Alkoholismus, Kokainismus, Nikotinmißbrauch. Vermöge der Herrschaft des Nervensystems über alle Körperfunktionen, Herztätigkeit, Gefäßspannung, Atmung, Drüsenfunktion, Verdauung, Stoffwechsel, Wärmehaushalt, automatische Bewegungsvorgänge, reflektorische Funktionen und so weiter gelingt es in einer Reihe von Krankheitszuständen, hemmend oder reizend auf krankhaft veränderte Funktionen einzuwirken und so eine Heilung herbeizuführen. So vermag man z. B. in der Bleichsucht den Appetit zu regeln, die Schmerzen, die Müdigkeit und die Verdauungsstörungen zu beseitigen und dadurch den Körper zur Norm zurückzuführen. Schließlich können wir bei unheilbaren Krankheiten wenigstens einzelne Symptome günstig beeinflussen: die Hypnose vermag Erleichterung, Schmerzlinderung und Schlaf zu bringen. Deshalb gilt für die Hypnose bei richtiger Anwendung Bernheims Lobspruch: »Die Suggestion heilt oft; wenn sie nicht heilt, so erleichtert sie, und wenn sie nicht erleichtern kann, so ist sie unschädlich.« Die Hypnose ist kein Allheilmittel gegen jedes Übel, neben vielen Treffern sind ihr auch viele Nieten beschieden. Niemals lassen sich erbliche oder konstitutionelle Charaktereigenschaften dauernd ändern, dem Wachstum bösartiger Geschwüre vermag sie nicht Einhalt zu gebieten, die verhängnisvolle Tätigkeit der Bakterien nicht zu beeinflussen, vernarbtes Körpergewebe nicht neu zu beleben, die Kandidaten des Irrenhauses nicht zu retten. Manchmal aber heilt die Hypnose, wenn alles andere versagt. Doch wird man aus einer Reihe von Gründen, die ich hier nicht näher ausführen kann, die Hypnose niemals gegen unbedeutende Kleinigkeiten ins Feld führen, sondern sie für schwere und hartnäckige Fälle aufsparen; auch hier wird man stets zunächst versuchen, mit einfacheren, weniger eingreifenden Mitteln auszukommen. Weiter erweist es sich in der Mehrzahl der Fälle als nötig, wenn man Dauererfolge erzielen will, die Hypnose mit medikamentöser oder hygienisch-diätetischer Therapie zu kombinieren, mit Stärkungsmitteln, Bädern, Ernährungskuren, Turnen, Sport, Massage, elektrischer Behandlung usw. Der oberste Grundsatz bei jeder Therapie ist die individuelle Behandlung des einzelnen Kranken« (vgl. Engelen, a. a. O., S. 42/43). In dem ausgezeichneten Werk von Charles Baudouin »Suggestion und Autosuggestion« (siehe Bücherliste) wird ein Fall näher dargestellt, wo der Akt des Gebärens durch hypnotische Suggestion derart beeinflußt worden ist, daß eine Entbindung, die nach allen Anzeichen erst in drei Wochen stattgefunden haben würde, einzig durch die Suggestion an die Schwangere, sie solle an dem und dem Tage gebären, auch tatsächlich drei Wochen vorher zur vorbestimmten Zeit stattfand. Die junge Frau gebar in der Hypnose, sie wußte nicht, daß sie geboren hatte.

Der Raummangel verbietet uns, näher auf die Anwendungsmöglichkeiten der Hypnose und Suggestion in der Medizin einzugehen. Unsere Leser finden in den meisten Werken, die in der anhängenden Bücherliste verzeichnet sind, verstreut eine Menge von Krankheitsgeschichten, wo durch hypnotische Behandlung glänzende Heilerfolge erzielt sind. Als ein empfindlicher Mangel ist es zu bezeichnen, daß sich zur Zeit noch keine Listen von Ärzten aufstellen lassen, die die Hypnotherapie in den Bereich ihres ärztlichen Wirkens gezogen haben. Erste Fachgelehrte in der Hypnotherapie behaupten freilich, daß auch hier nicht jeder Arzt dem andern gleichwertig sei.

Im Strafrecht hat die Hypnose ebenfalls eine vielfältige Bedeutung gewonnen.

Zunächst ist zu bemerken, daß natürlich aus einer mit Einwilligung vorgenommenen Hypnose keinerlei strafrechtliche Folgen abgeleitet werden können, es müsse denn gerade ein erheblicher Kunstfehler im Sinne des § 230 des Strafgesetzbuches vorliegen, der eine dauernde Schädigung nach sich zog. Aber auch dann ist noch zweifelhaft, ob in diesem Falle eine strafrechtliche Ahndung eintreten kann. Eine Hypnose ohne Einwilligung kann zunächst als eine Freiheitsberaubung im Sinne des § 239 des St.-G.-B. betrachtet werden, ist aber, wie auch aus unserer Darlegung hervorgeht, nur in dem sehr seltenen Falle denkbar, wo es sich um eine plötzliche Hypnose, erzielt durch jähe Überraschung, handelt. Mehr schon ins Gebiet des Wirklichen kommen wir, wenn wir die Hypnose in Verbindung mit dem § 176 Abs. 2 erwähnen, der von dem Mißbrauch weiblicher Personen zu geschlechtlichen Zwecken in einem willenlosen Zustande handelt. Vorgekommen sind wohl ganz vereinzelt solche Fälle, aber es bleibt sehr zu bedenken, daß weitüberwiegend die Angaben der betreffenden weiblichen Personen mit Recht nur mit größtem Mißtrauen aufzunehmen sind, weil Hysterie, Sinnestäuschung, Halluzinationen diesen Personen oft Vorgänge als geschehen erscheinen lassen, die in Wirklichkeit gar nicht geschehen sind. Jedenfalls geht aus der Möglichkeit, solchen Beschuldigungen ausgesetzt zu sein, die Verpflichtung hervor, niemals Hypnose an weiblichen Personen ohne das Beisein Dritter vorzunehmen.

Für den Strafrichter kommt auch die Möglichkeit in Betracht, daß ein Geständnis im hypnotischen Zustande (auf Autosuggestion beruhend) abgegeben ist, das gar nicht der Wirklichkeit entspricht. Wir haben da sogar einen Fall eines Justizmordes, wo ein Angeklagter unterm Einfluß solcher Autohypnose einen Mord zugestand, den er in Wirklichkeit nicht begangen hatte. Bei seinem später eintretenden Klarheitszustand nahm man die natürlich erfolgende Ableugnung der Tat als Simulation und so wurde der Unglückliche gehängt. – In einem anderen Falle gestand ein Angeklagter, seine eigene Tochter ermordet, zerstückelt und die Leichenteile gegessen zu haben, bis die vermeintlich ermordete Tochter wohlbehalten später wieder irgendwo auftauchte und dann erst herauskam, daß der Angeschuldigte unter allerhand autosuggestiven Vorstellungen, eine solche Tat gestehen zu müssen, dieses grauenvolle »Geständnis« abgegeben hatte.

Der auf dem Gebiete der Kriminalistik wohlbekannte Dr. A. Hellwig erörtert im Band 67 des »Archives für Strafrecht und Strafprozeß« auch die Möglichkeit, Angeklagte in hypnotischen Schlafzustand zu versetzen, und dann in diesem von ihnen über ihre Straftaten Auskünfte zu erlangen, die sie nie im wachen Zustande erteilt haben würden. Er verkennt nicht die Schwierigkeiten einer solchen Anwendung der hypnotischen Methode, zumal man ja den Angeklagten nur mit seinem Einverständnis hypnotisieren dürfe. Set diese aber erteilt, so stünde nichts im Wege, die in der Hypnose gemachten Bekundungen bei der Wahrheitsermittlung zu verwenden. Vorausgesetzt sei selbstverständlich, daß die Hypnose durch geeignete Sachverständige erfolge. Hellwig verspricht sich selber keine großen Erfolge und wir meinen auch, daß die Bedenken gegen diese Anwendung der Hypnose, so lange nicht umfänglichere wissenschaftliche Feststellungen vorliegen, derartig bedeutend sind, daß man besser von solchen Experimenten absehe. Bei der selbstverständlichen innerlichen Abneigung eines Angeschuldigten, sich selbst dem Strafrichter zu überliefern, werden wohl auch in einem solchen Falle ganz besonders jene inneren Widerstände, jenes Nichtwollen eintreten, wovon wir an anderen Stellen hinreichend gesprochen haben. Den gleichen Standpunkt nahm man erst unlängst (1923) in einer Sitzung der Medizinischen Gesellschaft zu Jena ein, wo Dr. Jacobi über »Forensische Geständnisse in der Hypnose« sprach. Nur eine ganz kleine Gruppe von Somnambulen mag es geben – so wurde dort ausgeführt – wo eine ganz besonders starke Suggestibilität das Herausholen echter, zutreffender Geständnisse ermöglichen mag. – Weiter unten findet der Leser allerdings einen Fall aus neuester Zeit, der davor förmlich warnt, nicht unter allen Umständen von der Durchführung des Hellwig'schen Vorschlags abzusehen. Da aber kam die von verbrecherischer Seite hypnotisierte Angeschuldigte auf halbem Wege entgegen, sie wünschte selbst eine erneute Hypnose, sozusagen als Gegengewicht, und dann freilich war das Ergebnis sehr bedeutsam für die juristische Erledigung des Falles.

Sehr zu bedenken hat der Strafrichter, ob nicht auch bei Zeugenaussagen fremde oder eigene Suggestionen mitbestimmend in Frage kommen. Man hat in der juristischen Literatur neuerdings davon unter dem Stichwort »rückwirkende Halluzinationen« als Fehlerquelle bei Zeugenaussagen gesprochen. Unter rückwirkender Halluzination versteht man jenen seelischen Vorgang, der bei einer seinerzeit beobachtenden und später ihre Aussage über die Beobachtung angebenden Person – also z. B. bei einem Zeugen – infolge der Gedankenbeeinflussung durch den Vernehmenden sich dahin einstellt, daß der Zeuge manches erlebt, gesehen, wahrgenommen zu haben glaubt, was sich in Wirklichkeit nicht zugetragen hat, und was nur der Halluzination seine Entstehung verdankt. Bei der großen Ähnlichkeit, die zwischen Autosuggestion und einer Halluzination besteht, wollen wir auch noch für die letztere eine genauere Erklärung hersetzen. Unter Halluzination, auf deutsch Sinnestäuschung, versteht die Psychologie einen seelischen Vorgang, in welchem eine Wahrnehmungsvorstellung, die einen rein subjektiven, psychischen, der idealen Welt entstammenden Vorgang darstellt, als aktuelle, tatsächliche, sich in Wirklichkeit abspielende Sinneswahrnehmung beurteilt wird. Wird die so aufzufassende Halluzination auf die Vorgänge der Vergangenheit bezogen, dann spricht man von einer retroaktiven (rückwirkenden) Halluzination. Ihren physiologischen Grund finden Halluzinationen in der großen Empfindlichkeit und Überreizbarkeit des Nervenzentrums sowie der Empfindungszellen. Sie lassen Vorgänge in der Außenwelt sich abspielen, obwohl sich solche Vorgänge in der Wirklichkeit nie zugetragen haben. Sie beziehen Vorgänge des Seelenlebens irrtümlich auf Vorgänge in der Materienwelt.

Die Öffentlichkeit hat in größtem Maße aber vor allem die Frage beschäftigt, inwieweit die Hypnose selbst zu Verbrechen und Verbrechenanstiftungen mißbraucht werden könnte. Auch hier können wir auf die schon geschilderten Vorgänge beim Zustandekommen einer Suggestion zurückgreifen. Wir müssen da immer an die inneren Hemmungen denken, die trotz aller Willfährigkeit sich bei dem Suggestionierten einzustellen pflegen, sobald etwas allzu sehr ihm Widerstrebendes verlangt wird. Ein normaler Mensch von normaler ethischer Erziehung ist auch in der Hypnose nicht zur Ausführung eines Verbrechens zu zwingen. Selbst bei Experimenten versagt die Versuchsperson oft im entscheidenden Augenblicke und wenn das nicht der Fall ist, so dann nur, weil sie eben weiß, d. h. weil es ihrem Unterbewußtsein dunkel, doch genügend lebendig klar ist, daß es sich hier doch nur um ein Spiel, um ein Experiment handelt. Daß ein derartiges Experiment leichter gelang, wenn die Versuchsperson gegen denjenigen, auf den sie eine Waffe richten oder abfeuern sollte, eine Abneigung oder gar Haß hatte, versteht sich von selbst. Da fielen eben die Hemmungen weg. War aber Zuneigung, Liebe vorhanden, so mißlang der Versuch meistenteils. Für das wirkliche Leben kommen Verbrechen unmittelbar während einer hypnotischen Auftragerteilung wegen der damit verbundenen Schwierigkeit, wegen der Notwendigkeit, daß der Hypnotisierende selbst dabei anwesend sein muß, überhaupt kaum in Frage. Die Öffentlichkeit hat sich auch mehr den Befürchtungen hingegeben, die aus der anzunehmenden Möglichkeit herrühren, daß jemand durch posthypnotische Eingebung zeitlich später ein Verbrechen begeht, das ihm früher suggeriert wurde. Völlig abzuweisen vermögen wir eine solche Möglichkeit nicht, wenn eine Person gegen jemanden einen starken Haß hat, selbst vielleicht zu einer Rachetat aus eigenem Entschluß unfähig ist, und nun denjenigen trifft, der mit der Fähigkeit des Hypnotisierens die Geneigtheit verbindet, ihm einen Verbrechensauftrag gerade gegen die gehaßte Person zu erteilen. Dann fallen die oft erwähnten inneren Hemmungen weg und die Tat kann wirklich vollzogen werden. Dabei handelt es sich aber eben doch nur um ein ganz seltenes Zusammentreffen von Umständen und von Disponiertheit des Suggestionierten. Bei einem normalen Menschen ohne ethischen Defekt sind durch die Erziehung mit der Vorstellung eines Verbrechens von vornherein so viele kontrastierende Vorstellungen (Gewissensangst, Strafvorstellung, Menschlichkeitsempfinden, Schuldgefühl, Furcht vor Schande, Abneigung gegen Gewalttaten) untrennbar zu einem einheitlichen Vorstellungskomplex verknüpft, daß auch dieser immer wieder gleichzeitig mit erweckt wird, wenn die Vorstellung eines zu begehenden Verbrechens entsteht. Mit anderen Worten: Die inneren Hemmungen sind im normalen Menschen bei der ernstgemeinten Suggerierung eines zu begehenden Verbrechens lebendig, und sie sind zu groß, um diejenige Willensübereinstimmung hervorzubringen, die zur Durchführung eines suggerierten Befehls in der Richtung einer Tathandlung nun einmal nötig ist. Anders freilich liegt die Sache, wenn Sexualabhängigkeiten zwischen zwei Menschen eine Atmosphäre schaffen, die das Geben und Empfangen ungewollter wie gewußter Suggestionen nur zu sehr unterstützt. Wenn mit anderem Worte jene Hörigkeit eines Menschen unter einen anderen besteht, die selbst schon eine einzige große dauernde Suggestioniertheit darstellt. Man kennt in der Literatur den Fall Czynski, über den eine besondere Broschüre geschrieben worden ist, und noch manche andere. Unlängst erst hat sich das Wiener Landgericht mit folgendem Fall beschäftigen müssen. Ein hübsches, blutjunges Mädchen, die Tochter eines hohen Staatsbeamten, hatte eines Tages die Bekanntschaft eines Herrn gemacht und war von diesem Tage an wie umgewandelt. Sie knüpfte Straßenbekanntschaften an, sank von Stufe zu Stufe und mußte schließlich sogar unter Polizeiaufsicht gestellt werden. Den ganzen Schandlohn aber ließ sie in die Tasche des erwähnten Bekannten fließen, der direkt von ihren Einnahmen lebte. Eines Tages wurde das Mädchen verhaftet, nachdem es einen Herrn bei einer galanten Zusammenkunft im Hotel bestohlen hatte und den Erlös des gestohlenen Gegenstandes ihrem Bekannten zuwenden wollte.

Sie wurde zu 8 Monaten Kerker verurteilt, nachdem sie jede Mitschuld ihres Bekannten energisch bestritten hatte. Erst eine nachträgliche hypnotische Befragung ermittelte, daß sie durch fortgesetzte hypnotische Beeinflussung jenes Mannes zu ihrem unmoralischen Lebenswandel, zu ihrem verbrecherischen Vorgehen, und durch besondere Suggestion dazu veranlaßt worden war, die ganze Schuld auf sich zu nehmen und nichts von der hypnotischen Beeinflussung zu sagen. – Man braucht nun durchaus nicht anzunehmen, daß in dem Mädchen die verbrecherischen und unmoralischen Instinkte schon gelegen haben müßten, weil sie sonst mehr Widerstand gegen die fortgesetzte schändliche Suggestionierung geleistet haben würde. Sie kann eben tatsächlich so stark von der faszinierenden Persönlichkeit jenes Mannes beeindruckt worden sein, daß die besseren Instinkte in ihr unterdrückt wurden. (Auch ist schwer festzustellen, ob nicht doch irgend eine Erblichkeit von entfernterer Seite her mitspielt. Eltern und Großeltern können hochachtbare Leute sein, ein Ahne aber kann ihr eine gewisse Disposition zu unsozialem Tun dennoch vererbt haben. Jedenfalls spricht das Erwachen besserer Instinkte für sie, insofern sie selbst dem Gefängnisarzt gegenüber den Wunsch geäußert hatte, auf ihre Suggestibilität hin untersucht und ausgefragt zu werden. Bei dieser hypnotischen Befragung kam nun alles heraus und so stark war der Einfluß des Gefängnisarztes, daß er dem jungen Mädchen einen posthypnotischen Auftrag derart geben konnte, sie solle sich Nachmittags 5 Uhr am selben Tage freiwillig vor den Richter führen lassen und diesem im Wachzustands alles genau wiederholen, was sie jetzt in der Hypnose gesagt habe. Und so geschah es. Punkt 5 Uhr begehrte sie, die in ihrer Zelle keine Uhr hatte, vor den Richter geführt zu werden und vor diesem sagte sie anderthalb Stunden lang, wie erlöst von unerträglichem Drucke, hintereinander die ganze Geschichte ihrer Suggestionierung durch jenen Verbrecher her. Dieser verfiel nun der verdienten Bestrafung, des Mädchens Ehre war wiederhergestellt, denn alles, was sie getan hatte, war ja in willenlosem Zustande geschehen und dafür kennt das Gesetz keine Strafe.

Solche und ähnliche Fälle mögen immerhin etwas häufiger vorkommen, als man denkt. Besonders auch in Liebesbeziehungen, die an sich schon mehr krimineller Natur sind, wie beispielsweise bei homosexuellen Verhältnissen. Da mag mancher Bursche, der wider alle Veranlagung auf eine schiefe Ebene geraten ist, von seinem verbrecherischen Partner suggestioniert worden sein und gleicherweise von Hypnose, Liebe, Furcht auf seinem üblen Pfad festgehalten werden. Nicht immer denken Richter und Ärzte an solche Beziehungsmöglichkeiten.

Immerhin: das sind dennoch Ausnahmen. Die hypnotische Kraft, die zu solch verbrecherischer Betätigung gehört, auf der einen, die hemmungslose Hörigkeit auf der anderen Seite und vor allem, daß sich zwei so gegenpolare Naturen begegnen – das dürfte immerhin selten vorkommen.

Nach der Natur dieser Dinge erfährt man freilich so gut wie nichts von mißlungenen Versuchen dieser Art, die im privaten menschlichen Verkehr vorgekommen wären. Doch lassen, wie schon angedeutet, gewisse Laboratoriums-Versuche den Schluß zu, daß selbst der bestimmteste Befehl des Hypnotiseurs eine sonst allen hypnotischen Befehlen vollkommen gehorsame Person nicht dazu bringen kann, ein Verbrechen zu begehen, sobald die hypnotisierte Persönlichkeit aus den Umständen entnehmen kann oder befürchten muß, es könne sich um etwas ernstlicheres als um eine bloße Demonstrierung handeln. So hat z. B. eine Hausangestellte eines Arztes, die sonst allen Suggestionierungen gegenüber sehr willfährig war und dabei schon mehrfach auf entsprechende Suggestionierung hin irgend einen Gegenstand als »Revolver« ergriffen und auf einen Anwesenden »abgedrückt« hatte, in einem ernsthaft erscheinenden Falle sofort versagt. Denn als man sie sich eines wirklichen Revolvers bedienen ließ, der sonst geladen zu sein pflegte, was sie wußte, der aber im betreffenden Falle entladen war, da mißlang die Suggestion. Der Befehl, mit einer möglicher oder wahrscheinlicher Weise tatsächlich geladenen Schießwaffe wirklich ernstlich zu schießen, prallte an der stärkeren Autosuggestion, wenn man sie hier so nennen will, ab: »Nein, das darfst du nicht tun, da könntest du wirklich Schaden anrichten!« Gerade dieser Überwille beweist so recht die unerläßliche Mitarbeit des Suggestionierten, er stellt die Notwendigkeit der Umwandlung aller Hypnose in eine Autosuggestion ins hellste Licht. –

So können wir demnach dieses Kapitel mit der beruhigenden Versicherung schließen, daß die Öffentlichkeit kaum allzuviel von sogenannten »Verbrechen mittels hypnotisch erteilter Befehle« zu befürchten hat, daß sie in Wahrheit nur ganz selten vorkommen können, so selten, daß sie kriminalstatistisch überhaupt kaum in Betracht kommen.


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