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Einleitung.
Wir und die anderen.

Die Kunst der Beeinflussung macht sich im Leben der Menschen untereinander allenthalben geltend. Wo immer Menschen aufeinander angewiesen sind, wird der eine gegenüber dem anderen seinen Willen durchzusetzen suchen und, wo nicht einfacher Befehl, überragende natürliche oder berufliche Stellung, schon allein genügen, alle erlaubten Mittel der Beeinflussung anwenden. Schon das kleine Kind beginnt beizeiten, wenn auch nur halb unbewußt, die Fähigkeit der Beeinflussung zu üben. Es entwickelt bald seine liebenswürdigsten, bald seine garstigsten Eigenschaften, um seinen Willen zur Geltung zu bringen und augenblickliche Wünsche erfüllt zu sehen. Anfangs äußern sich derartige Wünsche nur auf die allerkindlichste Weise; der Wunsch wird einfach ohne jede Einkleidung ausgedrückt. Später merkt man, daß selbst beim kleinen Kinde, wenn sich sachte seine geistige Kraft zu regen beginnt, eine mitunter recht schlaue Berechnung zutage tritt. Es weiß z. B. bereits sein Lächeln, sein Schmeicheln oder seine Tränen auszunutzen, um etwas zu erbitten, ja selbst zu ertrotzen. Und die Befähigung zu solcher Berechnung wächst mit den Jahren. Ihre Eindämmung ist natürlich wieder die Aufgabe einer vernünftigen zielbewußten Erziehung. So kreuzen sich verschiedene Willenskräfte und die stärkeren behalten schließlich die Oberhand. Sieht nun das Kind, daß es ohnmächtig ist, gegenwärtig Wünsche durchzusetzen, die ihm aus mehr oder weniger schwerwiegenden Gründen abgeschlagen werden mußten, so sucht es nur zu häufig durch List und Verschlagenheit, Falschheit und Lüge zu seinem, Ziele zu kommen. Da wird es sich alsdann erst recht zeigen, ob Eltern und Erzieher die Gabe der günstigen Beeinflussung besitzen! Im weiteren Verlaufe des Lebens, wenn das Kind mit Altersgenossen im Verkehr steht, treten seine Eigenschaften immer ausgeprägter zutage. Wer sehen will, wie sehr Energie und Willenskraft die Herrschaft an sich reißen, der betrachte recht aufmerksam das junge Volk bei seinen Spielen. Irgend einer ist gewiß dabei, der das große Wort führt und dessen Wille tonangebend ist. Haben diesen einen die anderen Kinder so lieb, oder halten sie ihn für so klug und vorbildlich, daß sie sich deshalb seinem Willen unterwerfen? Nun, das kann zwar beides in Frage kommen, aber eins ist sicher: das Kind, das die führende Rolle zugewiesen erhält oder an sich reißt, besitzt Energie und ganz gewiß die Gabe der Beeinflussung. So sieht man schon an Kindern, daß es ein unleugbares Etwas gibt, das befähigt, andere Personen zu beherrschen.

Wer mitten im Weltgetriebe steht und die Gabe der Beurteilung und Beobachtung besitzt, muß zu der Einsicht kommen, daß das Wohl und Wehe der meisten Menschen recht wesentlich davon abhängt, wie sie sich zu ihren Mitmenschen stellen, d. h. ob sie die Fähigkeit besitzen, genug eigene Willenskraft zu entwickeln, um stets obenauf zu bleiben und nicht zum Werkzeug und Spielball anderer zu werden.

Viele Menschen verfügen zwar über ganz bedeutende Kräfte, wissen aber damit nichts anzufangen, weil ihnen die Gewandtheit und Weitläufigkeit fehlt, ihr geistiges Kapital zu verwerten, oder weil sie es nicht verstehen, sich maßgebenden Menschen gegenüber bemerkbar zu machen. Andere wieder, die vielleicht nicht hervorragend klug sind, deren Bildung die erheblichsten Lücken aufweist, wissen meisterhaft ihr Nichtwissen durch energisches, lautes, selbstbewußtes Auftreten zu verschleiern. Jeden Brocken Wissen fangen sie geschickt auf, wissen ihn als altererbte Weisheit wieder von sich zu geben. Kurz, solche Menschen vermögen es, allenthalben ihr Licht leuchten zu lassen und sich ihren Mitmenschen nachdrücklichst bemerkbar zu machen.

Es gibt auch genug Menschen, die sich zum Dienen gewissermaßen geboren fühlen und es gar nicht anders wünschen, als einen Herrn über sich zu haben, dem sie sich dann nur allzugern in allem und jedem unterwerfen. Es sind dies ergebene Beamte des Staates, treue Diener ihrer Herren, Familienanhängsel, ergraute Faktota solider Firmen – alles treue, brave Menschen ohne Herrschbegier, energisch nur in der Durchführung gestellter Aufgaben, in der Erfüllung gebotener Pflichten! Die meisten dieser Braven würden wahrscheinlich rasch Schiffbruch erleiden, wenn man ihnen zumuten wollte, etwas aus sich selbst heraus zu leisten, sich auf eigene Füße zu stellen! Aber auch so viele andere, die vom Schicksal auf sich selbst angewiesen sind, bringen es zu keinen nennenswerten Erfolgen und bleiben in untergeordneter Stellung. Dies nicht allein mangels einer zielbewußten Energie und infolge von allerhand ungünstigen Zufällen, sondern hauptsächlich auch darum, weil sie nicht das wichtige Talent besitzen, die Menschen für ihre Zwecke dienstbar zu machen. Jeder ist mehr oder weniger, sowohl privat als auch geschäftlich, auf andere Menschen angewiesen und die meisten, wenn sie nicht ausgesprochene Eigenbrödler sind, pflegen von selbst bestrebt zu sein, ihr ganzes Tun und Lassen der menschlichen Gesellschaft möglichst anzupassen. Wer nun in Handel und Wandel, in Beruf und Geschäft, in Gesellschaft oder unter guten Freunden es versteht, seine Mitmenschen richtig zu behandeln, wer es nicht unterläßt, ihren Vorzügen und Fehlern, ihrer oft kleinlichen Eitelkeit, ihren Wünschen, Launen, dann ihrer Freude und auch ihrem Schmerz Rechnung zu tragen, der wird bald die Erfahrung machen, daß so bewiesene Lebenskunst manche kleinere oder größere Vorteile, zum mindesten Annehmlichkeiten zu verschaffen pflegt. Wer andere beeinflussen will, muß in erster Linie sich selbst beherrschen können. Nicht nur rein körperlich, sondern auch geistig. Er muß sich selber in Zucht nehmen; das führt zu geistiger Abgeklärtheit, zu weltreifem Betrachten aller Dinge.

Ein so gereister Mensch aber geht unvoreingenommen an alle anderen heran; er lernt die Menschen so zu nehmen, wie sie sind. Von ihm strahlt menschliches Verstehen, Güte, Nachsicht, Unvoreingenommenheit aus, das aber weckt Zutrauen, weckt Sympathie, die wiederum den Untergrund bildet, aus dem das Gebäude einer fortgesetzten Beeinflussung und Beherrschung errichtet werden kann. Es handelt sich da um etwas mehr als nur darum, einen angenehmen Eindruck zu machen. Sympathie erwerben heißt in diesem Zusammenhang bald den Eindruck einer voll vertrauenswürdigen, gefesteten, willensstarken Persönlichkeit erregen, der sich der Anlehnungsbedürftige, der geborene Subalterne nur zu gerne unterwirft. Bald bedeutet es jene Ausstrahlung von Weisheit und Verständnis für alles Menschlich-Allzumenschliche, die auf die Herzen noch mehr als auf den Verstand einen unwiderstehlichen Zwang ausübt. Wie aber erwirbt man so hohen Grad der Vollkommenheit? Wieder müssen wir es betonen: Selbsterziehung! Charakterausbildung! Geistige Durchbildung! Herzensbildung! »Wer immer strebend sich bemüht, den werden sie erlösen«, heißt es bei Goethe. Erlösen von den Banden der Torheit, des menschlichen Irrtums, der Selbstsucht, der Herzenskälte – davon werden die Genien der Menschheit den emsig Strebenden erlösen, zunächst zu seinem eigenen Heile. Ein so Erlöster, aus der Reihe der alltäglichen Menschen Herausgehobener, strahlt dann jene Sympathie aus, von der wir eben sprachen. Er erwirbt sich weiterhin die Fähigkeit, die Menschen allenthalben zu beeinflussen, teils ganz ohne sein Zutun, einzig durch die Macht seiner Persönlichkeit, dann aber auch bewußt, wo er irgendwelche Absichten – mögen es immer nur gute, auch den Mitmenschen heilsame sein! – zweckdienlich verfolgt.

Aber das Leben besteht nicht nur aus der Betätigung eines reinen Idealismus. Praktische Zwecke füllen dieses Dasein aus; sie erfolgreich und mit allen erlaubten Mitteln durchzuführen muß uns gestattet, ja muß uns Pflicht sein. Man soll die Menschen aufsuchen, die uns bei Erstrebung unserer wirtschaftlichen Vorteile dienen können, dann aber soll man suchen, über sie Macht zu gewinnen.

Freilich, wer sich ruhig hinsetzt und warten will, bis die Menschen zu ihm kommen, versäumt die beste Gelegenheit und gleicht dem Angler, der seine Rute auswirft, ohne einen Köder daran zu haben. Wer sich scheu verbirgt, findet keine Beachtung. Wer es aber versteht, die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu lenken, ist auf dem besten Wege, die anderen zu beeinflussen, sie je nach Bedarf seinen eigenen Interessen nutzbar zu machen. Diesem Hergange begegnen wir überall im Leben, denn sowohl gesellschaftlich als auch geschäftlich bewegt sich alles, was mit Erfolg, Beachtung und Vorteil zusammenhängt, lediglich um die Beeinflussung der Umgebung. Ein Arzt, der viele Patienten hat, ein Kaufmann oder Händler, der sich eines großen Zuspruches erfreut, oder ein Lehrer, der viele ergebene und anhängliche Schüler hat, sie alle haben ihre Erfolge nicht nur ihren Fähigkeiten, sondern auch der entsprechenden Ausnutzung ihres persönlichen Einflusses zu verdanken. Ein Kaufmann, der es versteht, . geschickt Reklame zu machen, tut nichts anderes, als dem kauflustigen Publikum zu suggerieren, nur gerade seine Ware zu bevorzugen. Er übt Beeinflussung aus der Ferne aus, er spricht im Inserat gleichsam persönlich zu den Lesern. Je stärker sein Wille zur Beeinflussung des Publikums war, desto deutlicher spricht sich das im Wortlaute und in der Form des Inserats aus.

Denken wir ferner an den menschlichen Verkehr im nichtgeschäftlichen Leben, wo wir so oft beobachten, daß dieser oder jener auch ohne irgendwelche berufliche Abhängigkeit der treue Gefolgsmann einer bestimmten Persönlichkeit ist, erinnern wir uns der Hörigkeit, der sklavischen Unterwürfigkeit, wie sie in so manchen Liebesverhältnissen obwalten und wo sich diese Erscheinungen durchaus nicht immer allein durch das Wörtlein »Liebe« – das wieder nur ein neues Rätsel aufgibt – erklären lassen. Wir stoßen da aus Abhängigkeiten, wo der eine Part eine tyrannische Herrschaft auf den andern ausübt, wo diese Herrschaft mit Brutalität und Gewissenlosigkeit ausgeübt wird; wo für den Fernerstehenden keinerlei wertvolle seelische Eigenschaft bei dem Tyrannen zu entdecken ist – und trotzalledem dieser bedingungslose Gehorsam, diese unausrottbare Unterwürfigkeit. Hier haben oft alle schlechten Eigenschaften sich in einem Menschen zusammengefunden, der außerdem über eine dämonische Gabe fortgesetzter Suggestion: »Du sollst und mußt mir gehorchen!« verfügt und sie zu seinen häufig unlauteren Zwecken mißbraucht. –

Hier tritt schon das zutage, was der berühmte Forscher Prof. Dr. Forel meint, wenn er sagt, eine scharfe Grenze zwischen der Beeinflussung der Menschen durch andere Menschen – durch Affekte, Gedanken, Logik, Zurede, Lektüre usw. – und zwischen der ausgesprochenen Suggestion (wie wir sie zum Gegenstand unseres ganzen Werkes machen) gebe es nicht. Tatsächlich mag es sich schon in vielen Fällen der alltäglichen Beeinflussung, wie wir sie vorstehend dargelegt haben, um eine wirkliche Suggestion (Eingebung) handeln, die zu einem hypnoseartigen Zustand führt. Immerhin ist das, was wir später als Suggestion kennen lernen werden, etwas anderes als die Alltags-Beeinflussung.

Es ist nur begreiflich, daß jeder lernen möchte, sich Einfluß zu verschaffen zur Verfolgung guter, sittlich berechtigter Ziele. Das ist der Wunsch – wir wissen es – Unzähliger, die jetzt noch auf den unteren Sprossen ihrer Lebensleiter stehen, die voll wohlverständlichem Neid auf die Erfolgreichen, die Daseinssieger blicken. Solche dürfen und sollen einen festen Willen, ein zielbewußtes Streben in sich entwickeln, vorwärts zu kommen, und als Beihilfe dazu mögen sie sich der zu erlernenden Fähigkeit der Suggestion bedienen, von der wir im weiteren Verlauf unseres Buches reden werden. Freilich muß stets auseinandergehalten werden die allgemeine Suggestion, wie sie im täglichen Leben erlaubter Weise anwendbar ist, und die experimentelle Suggestion. Die erstere wurzelt in beständiger Arbeit an sich selbst, in zielbewußter Durchbildung des Geistes und des Gemütes und dadurch gewonnener Überlegenheit über die Mitmenschen, auf die man so unwillkürlich (durch sein ganzes Auftreten und Verhalten) und willkürlich (durch respektvoll angehörte und befolgte Wort- und Vorbild-Suggestionen) bedeutenden Einfluß gewinnt. Die letztere grenzen wir nach Art und Anwendung besonders im zweiten und im siebenten Kapitel genauer ab.


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