Johann Wolfgang von Goethe
Propyläen und Umkreis
Johann Wolfgang von Goethe

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(Gutachten über die Ausbildung eines jungen Malers)

Der junge Jagemann zeigt in den Zeichnungen, welche er von Wien eingesandt und auf der diesjährigen Ausstellung hiesiger fürstl: Zeichenschule zu sehen waren, eine sehr glückliche Anlage zur Kunst überhaupt und besonders zum gefälligen und zarten in der Ausführung. Ein großes Blatt mit vier Kindern, auf grau Papier, mit weißer und brauner Kreide, gezeichnet, nach Maurer, und ein anderes mit Sepia getuscht nach einem Gemälde von Dominichino, nehmen sich vorzüglich gut aus, in der letztern ist sogar der Charakter des Meisters glücklich erhalten worden und man darf darum mit Grund hoffen daß Jagemann bei fortgesetztem Fleiß und Eifer einst ein vortrefflicher Künstler werde.

Um zu diesem Zwecke zu gelangen ist der beste Rat den man ihm geben kann, dieser, daß er sich nunmehr zu den ernstern Studien wende, sich Kenntnisse in der Anatomie und Perspektive erwerbe, um mit ihrer Hülfe zur Richtigkeit des Umrisses und zur Schönheit in den Formen zu gelangen. Es ist ihm daher wesentlich notwendig, viel nach antiken Statuen, oder guten Abgüssen derselben zu zeichnen; diese Zeichnungen sind als bloße Übungsstücke zu betrachten, man fordert nicht von denselben daß sie große Wirkung tun, oder durch glatte Ausführung dem Auge schmeicheln. Genug wenn nur der Umriß verstanden, Form und Proportion genau in acht genommen sind. Zu dergleichen Zeichnungen möchte es wohl besser sein den Kontur, bedächtlich, mit der Feder, zu ziehen und leicht zu tuschen, als mit weißer und schwarzer Kreide auf graues Papier zu zeichnen; denn die erste Manier läßt nichts unbestimmtes zu, alles muß verstanden und deutlich gemacht werden, da hingegen bei der letzten manches ohnbemerkt, zweideutig bleiben kann. Sollte zur Abwechslung in eben der Rücksicht auch manchmal nach Gemälden gezeichnet werden, so sind dazu Vorbilder von Meistern zu wählen die besonders wegen der Reinheit, Schönheit und Deutlichkeit der Formen bekannt sind. Ohne Zweifel enthält die kaiserliche Galerie gute alte Gemälde aus der florentinischen und römischen Schule welche Jagemann hiezu benutzen kann.

Ein junger Künstler, der des mechanischen Teils der Ausführung im Zeichnen schon mächtig ist (und Jagemann scheint in diesem Falle zu sein) würde sich nicht ohne Nutzen auch einige Zeit mit plastischen Arbeiten beschäftigen. Die Verschlingungen der Muskeln, ihre Gestalt das heraus und hereintreten derselben, wird dadurch deutlicher und leichter gefaßt, ein Maler muß ohnehin seine Figuren, wenn er sie richtig zeichnen will als rund denken, und je bekannter er mit dem Verfahren des Bildhauers ist, je leichter wird ihm solches werden. Überdem erwirbt er sich dadurch die Bequemlichkeit die nötigen Modelle in Ton oder Wachs, welche allenfalls für seine Bilder erforderlich sind, selbst verfertigen zu können. Ein verständiger Maler wird gewiß mancherlei Vorteile daraus zu ziehen wissen, denn er findet nicht überall einen geschickten und dienstfertigen Bildhauer, der ihm aushilft und oft ist es auch einem solchen nicht leicht sich ganz in den Sinn und das Bedürfnis des andern zu fügen, und doch kommt, wegen dem Wurf der Gewänder und wegen dem akzidentellen in der Beleuchtung, gar viel auf die genau passende Richtung dieser Modelle an. Wer sie selbst zu machen weiß wird sich ihrer auch zur Anordnung mit Nutzen bedienen.

Um die Behandlung der Farben zu erlernen wird der praktische Unterricht eines geübten guten Malers erforderlich. Es sind dabei so manche Handgriffe zu beobachten, deren man, sich selbst überlassen, entweder erst spät oder gar niemals kundig wird.

In allen Dingen, welche in das Fach der Behandlung einschlagen, ist es ratsam, ja notwendig, daß der junge Künstler seiner Neigung entgegen arbeite; führt ihn diese zum leichten, weichen und sanften; bemühe er sich aus allen Kräften um Genauigkeit und Strenge; zeigt er einen Hang zum harten und bestimmten und mühsamen, so muß er, um nicht in Härte und Ängstlichkeit zu verfallen, Vorbilder von leichter, gefälliger, sanfter Manier aufsuchen. Es wäre zwar irrig gehandelt wenn man die Natur und Neigung überwältigen wollte, aber es ist wohl getan, wenn man sie zügelt und weislich beschränkt.

Im Kolorit muß sich der junge studierende Künstler bemühen die Grundsätze zu erforschen nach welchen die größten Meister gehandelt haben und muß zu diesem Endzweck einige ihrer besten und wohl erhaltensten Werke mit Aufmerksamkeit kopiren und alsdann das was er gefaßt hat in seinen eignen Arbeiten wieder anzuwenden suchen; denn bloß durch kopieren und nachahmen, sei es auch selbst Tizian und Paul Veronese, ist noch keiner ein guter Coloriste geworden; man muß aber ihrer Spur folgen, sich ihrer Methode nähern, die Natur studieren und nachahmen, wie diese großen Meister sie studiert und nachgeahmt haben. Dieses ist ohngefähr der Inbegriff dessen was einem jungen Künstler von schönen Talenten, in Jagemanns Lage, in Absicht seiner Studien zu raten ist. Dieser Rat leidet auch selbst dann keine Abänderung, wenn er entschlossen sein sollte sich ausschließlich aufs Bildnismalen zu legen. Man irrt sich gewaltig wenn man glaubt Geschicht und Bildnismalerei seien verschiedene Künste, und machten daher auch ein verschiedenes Studium notwendig. Dem Bildnismaler liegen zwar weniger Pflichten ob, indem er eingeschränktere Bilder malt; aber er übernimmt es den Menschen und seinen Charakter abzubilden und deswegen muß er die menschliche Figur und was zur Darstellung derselben gehört, ernst und gründlich studieren. Die größten Maler im historischen Fache haben Bildnisse gemalt, und diese muß man sich in allen ihren Teilen zum Muster nehmen. Wer sich nicht vorsetzt das Höchste zu erstreben, sondern sich zur Nachahmung des bloß Guten bequemt, wird Mittelmäßig bleiben, denn der Nachahmer bleibt immer eine Stufe unter seinem Vorbild stehen; aber das höchste Ziel ist die Nachahmung der Natur, nach Zwecken der Kunst, und dazu muß man sich durch das Studium der Werke der großen Meister geschickt machen.


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