Johann Wolfgang Goethe
Wilhelm Meisters Wanderjahre
Johann Wolfgang Goethe

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Sechstes Kapitel

Nach einer langen und gründlichen Ruhe, deren die Wanderer wohl bedürfen mochten, sprang Felix lebhaft aus dem Bette und eilte, sich anzuziehn; der Vater glaubte zu bemerken, mit mehr Sorgfalt als bisher. Nichts saß ihm knapp noch nett genug, auch hätte er alles neuer und frischer gewünscht. Er sprang nach dem Garten und haschte unterwegs nur etwas von der Vorkost, die der Diener für die Gäste brachte, weil erst nach einer Stunde die Frauenzimmer im Garten erscheinen würden.

Der Diener war gewohnt, die Fremden zu unterhalten und manches im Hause vorzuzeigen; so auch führte er unsern Freund in eine Galerie, worin bloß Porträte aufgehangen und gestellt waren, alles Personen, die im achtzehnten Jahrhundert gewirkt hatten, eine große und herrliche Gesellschaft; Gemälde sowie Büsten, wo möglich, von vortrefflichen Meistern. »Sie finden«, sagte der Kustode, »in dem ganzen Schloß kein Bild, das, auch nur von ferne, auf Religion, Überlieferung, Mythologie, Legende oder Fabel hindeutete; unser Herr will, daß die Einbildungskraft nur gefördert werde, um sich das Wahre zu vergegenwärtigen. ›Wir fabeln so genug‹, pflegt er zu sagen, ›als daß wir diese gefährliche Eigenschaft unsers Geistes durch äußere reizende Mittel noch steigern sollten.‹«

Die Frage Wilhelms: wann man ihm aufwarten könne? ward durch die Nachricht beantwortet: der Herr sei, nach seiner Gewohnheit, ganz früh weggeritten. Er pflege zu sagen: »Aufmerksamkeit ist das Leben!« – »Sie werden diesen und andere Sprüche, in denen er sich bespiegelt, in den Feldern über den Türen eingeschrieben sehen, wie wir hier z. B. gleich antreffen: ›Vom Nützlichen durchs Wahre zum Schönen.‹«

Die Frauenzimmer hatten schon unter den Linden das Frühstück bereitet, Felix eulenspiegelte um sie her und trachtete, in allerlei Torheiten und Verwegenheiten sich hervorzutun, die Aufmerksamkeit auf sich zu leiten, eine Abmahnung, einen Verweis von Hersilien zu erhaschen. Nun suchten die Schwestern durch Aufrichtigkeit und Mitteilung das Vertrauen des schweigsamen Gastes, der ihnen gefiel, zu gewinnen; sie erzählten von einem werten Vetter, der, drei Jahre abwesend, zunächst erwartet werde, von einer würdigen Tante, die, unfern in ihrem Schlosse wohnend, als ein Schutzgeist der Familie zu betrachten sei. In krankem Verfall des Körpers, in blühender Gesundheit des Geistes ward sie geschildert, als wenn die Stimme einer unsichtbar gewordenen Ursibylle rein göttliche Worte über die menschlichen Dinge ganz einfach ausspräche.

Der neue Gast lenkte nun Gespräch und Frage auf die Gegenwart. Er wünschte den edlen Oheim in rein entschiedener Tätigkeit gerne näher zu kennen; er gedachte des angedeuteten Wegs vom Nützlichen durchs Wahre zum Schönen und suchte die Worte auf seine Weise auszulegen, das ihm denn ganz gut gelang und Juliettens Beifall zu erwerben das Glück hatte.

Hersilie, die bisher lächelnd schweigsam geblieben, versetzte dagegen: »Wir Frauen sind in einem besondern Zustande. Die Maximen der Männer hören wir immerfort wiederholen, ja wir müssen sie in goldnen Buchstaben über unsern Häupten sehen, und doch wüßten wir Mädchen im stillen das Umgekehrte zu sagen, das auch gölte, wie es gerade hier der Fall ist. Die Schöne findet Verehrer, auch Freier, und endlich wohl gar einen Mann; dann gelangt sie zum Wahren, das nicht immer höchst erfreulich sein mag, und wenn sie klug ist, widmet sie sich dem Nützlichen, sorgt für Haus und Kinder und verharrt dabei. So habe ich's wenigstens oft gefunden. Wir Mädchen haben Zeit zu beobachten, und da finden wir meist, was wir nicht suchten.«

Ein Bote vom Oheim traf ein mit der Nachricht, daß sämtliche Gesellschaft auf ein nahes Jagdhaus zu Tische geladen sei, man könne hin reiten und fahren. Hersilie erwählte zu reiten. Felix bat inständig, man möge ihm auch ein Pferd geben. Man kam überein, Juliette sollte mit Wilhelm fahren und Felix als Page seinen ersten Ausritt der Dame seines jungen Herzens zu verdanken haben.

Indessen fuhr Juliette mit dem neuen Freunde durch eine Reihe von Anlagen, welche sämtlich auf Nutzen und Genuß hindeuteten, ja die unzähligen Fruchtbäume machten zweifelhaft, ob das Obst alles verzehrt werden könne.

»Sie sind durch ein so wunderliches Vorzimmer in unsere Gesellschaft geraten und fanden manches wirklich Seltsame und Sonderbare, so daß ich vermuten darf, Sie wünschen einen Zusammenhang von allem diesem zu wissen. Alles beruht auf Geist und Sinn meines trefflichen Oheims. Die kräftigen Mannsjahre dieses Edlen fielen in die Zeit der Beccaria und Filangieri; die Maximen einer allgemeinen Menschlichkeit wirkten damals nach allen Seiten. Dies Allgemeine jedoch bildete sich der strebende Geist, der strenge Charakter nach Gesinnungen aus, die sich ganz aufs Praktische bezogen. Er verhehlte uns nicht, wie er jenen liberalen Wahlspruch: ›Den Meisten das Beste!‹ nach seiner Art verwandelt und ›Vielen das Erwünschte‹ zugedacht. Die Meisten lassen sich nicht finden noch kennen, was das Beste sei, noch weniger ausmitteln. Viele jedoch sind immer um uns her; was sie wünschen, erfahren wir, was sie wünschen sollten, überlegen wir, und so läßt sich denn immer Bedeutendes tun und schaffen. In diesem Sinne«, fuhr sie fort, »ist alles, was Sie hier sehen, gepflanzt, gebaut, eingerichtet, und zwar um eines ganz nahen, leicht faßlichen Zweckes willen; alles dies geschah dem großen, nahen Gebirg zuliebe. Der treffliche Mann, Kraft und Vermögen zusammenhaltend, sagte zu sich selbst: ›Keinem Kinde da droben soll es an einer Kirsche, an einem Apfel fehlen, wornach sie mit Recht so lüstern sind; der Hausfrau soll es nicht an Kohl noch an Rüben oder sonst einem Gemüse im Topf ermangeln, damit dem unseligen Kartoffelgenuß nur einigermaßen das Gleichgewicht gehalten werde.‹ In diesem Sinne, auf diese Weise sucht er zu leisten, wozu ihm sein Besitztum Gelegenheit gibt, und so haben sich seit manchen Jahren Träger und Trägerinnen gebildet, welche das Obst in die tiefsten Schluchten des Felsgebirges verkäuflich hintragen.«

»Ich habe selbst davon genossen wie ein Kind«, versetzte Wilhelm; »da, wo ich dergleichen nicht anzutreffen hoffte, zwischen Tannen und Felsen, überraschte mich weniger ein reiner Frommsinn als ein erquicklich frisches Obst. Die Gaben des Geistes sind überall zu Hause, die Geschenke der Natur über den Erdboden sparsam ausgeteilt.«

»Ferner hat unser würdiger Landherr von entfernten Orten manches Notwendige dem Gebirge näher gebracht; in diesen Gebäuden am Fuße hin finden Sie Salz aufgespeichert und Gewürze vorrätig. Für Tabak und Branntwein läßt er andere sorgen; dies seien keine Bedürfnisse, sagt er, sondern Gelüste, und da würden sich schon Unterhändler genug finden.«

Angelangt am bestimmten Orte, einem geräumigen Försterhause im Walde, fand sich die Gesellschaft zusammen und bereits eine kleine Tafel gedeckt. »Setzen wir uns«, sagte Hersilie; »hier steht zwar der Stuhl des Oheims, aber gewiß wird er nicht kommen, wie gewöhnlich. Es ist mir gewissermaßen lieb, daß unser neuer Gast, wie ich höre, nicht lange bei uns verweilen wird: denn es müßte ihm verdrießlich sein, unser Personal kennen zu lernen, es ist das ewig in Romanen und Schauspielen wiederholte: ein wunderlicher Oheim, eine sanfte und eine muntere Nichte, eine kluge Tante, Hausgenossen nach bekannter Art; und käme nun gar der Vetter wieder, so lernte er einen phantastischen Reisenden kennen, der vielleicht einen noch sonderbarern Gesellen mitbrächte, und so wäre das leidige Stück erfunden und in Wirklichkeit gesetzt.«

»Die Eigenheiten des Oheims haben wir zu ehren«, versetzte Juliette; »sie sind niemanden zur Last, gereichen vielmehr jedermann zur Bequemlichkeit. Eine bestimmte Tafelstunde ist ihm nun einmal verdrießlich, selten, daß er sie einhält, wie er denn versichert: eine der schönsten Erfindungen neuerer Zeit sei das Speisen nach der Karte.«

Unter manchen andern Gesprächen kamen sie auf die Neigung des werten Mannes, überall Inschriften zu belieben. »Meine Schwester«, sagte Hersilie, »weiß sie sämtlich auszulegen, mit dem Kustode versteht sie's um die Wette; ich aber finde, daß man sie alle umkehren kann und daß sie alsdann ebenso wahr sind, und vielleicht noch mehr.« – »Ich leugne nicht«, versetzte Wilhelm, »es sind Sprüche darunter, die sich in sich selbst zu vernichten scheinen; so sah ich z. B. sehr auffallend angeschrieben: ›Besitz und Gemeingut‹; heben sich diese beiden Begriffe nicht auf?«

Hersilie fiel ein: »Dergleichen Inschriften, scheint es, hat der Oheim von den Orientalen genommen, die an allen Wänden die Sprüche des Korans mehr verehren als verstehen.« Juliette, ohne sich irren zu lassen, erwiderte auf obige Frage: »Umschreiben Sie die wenigen Worte, so wird der Sinn alsobald hervorleuchten.«

Nach einigen Zwischenreden fuhr Juliette fort, weiter aufzuklären, wie es gemeint sei: »Jeder suche den Besitz, der ihm von der Natur, von dem Schicksal gegönnt ward, zu würdigen, zu erhalten, zu steigern, er greife mit allen seinen Fertigkeiten so weit umher, als er zu reichen fähig ist; immer aber denke er dabei, wie er andere daran will teilnehmen lassen: denn nur insofern werden die Vermögenden geschätzt, als andere durch sie genießen.«

Indem man sich nun nach Beispielen umsah, fand sich der Freund erst in seinem Fache; man wetteiferte, man überbot sich, um jene lakonischen Worte recht wahr zu finden. Warum, hieß es, verehrt man den Fürsten, als weil er einen jeden in Tätigkeit setzen, fördern, begünstigen und seiner absoluten Gewalt gleichsam teilhaft machen kann? Warum schaut alles nach dem Reichen, als weil er, der Bedürftigste, überall Teilnehmer an seinem Überflusse wünscht? Warum beneiden alle Menschen den Dichter? weil seine Natur die Mitteilung nötig macht, ja die Mitteilung selbst ist. Der Musiker ist glücklicher als der Maler, er spendet willkommene Gaben aus, persönlich unmittelbar, anstatt daß der letzte nur gibt, wenn die Gabe sich von ihm absonderte.

Nun hieß es ferner im allgemeinen: Jede Art von Besitz soll der Mensch festhalten, er soll sich zum Mittelpunkt machen, von dem das Gemeingut ausgehen kann; er muß Egoist sein, um nicht Egoist zu werden, zusammenhalten, damit er spenden könne. Was soll es heißen, Besitz und Gut an die Armen zu geben? Löblicher ist, sich für sie als Verwalter betragen. Dies ist der Sinn der Worte »Besitz und Gemeingut«; das Kapital soll niemand angreifen, die Interessen werden ohnehin im Weltlaufe schon jedermann angehören.

Man hatte, wie sich im Gefolg des Gesprächs ergab, dem Oheim vorgeworfen, daß ihm seine Güter nicht eintrügen, was sie sollten. Er versetzte dagegen: »Das Mindere der Einnahme betracht' ich als Ausgabe, die mir Vergnügen macht, indem ich andern dadurch das Leben erleichtere; ich habe nicht einmal die Mühe, daß diese Spende durch mich durchgeht, und so setzt sich alles wieder ins gleiche.«

Dergestalt unterhielten sich die Frauenzimmer mit dem neuen Freunde gar vielseitig, und bei immer wachsendem gegenseitigem Vertrauen sprachen sie über den zunächst erwarteten Vetter.

»Wir halten sein wunderliches Betragen für abgeredet mit dem Oheim. Er läßt seit einigen Jahren nichts von sich hören, sendet anmutige, seinen Aufenthalt verblümt andeutende Geschenke, schreibt nun auf einmal ganz aus der Nähe, will aber nicht eher zu uns kommen, bis wir ihm von unsern Zuständen Nachricht geben. Dies Betragen ist nicht natürlich; was auch dahinterstecke, wir müssen es vor seiner Rückkehr erfahren. Heute abend geben wir Ihnen einen Heft Briefe, woraus das Weitere zu ersehen ist.« Hersilie setzte hinzu: »Gestern machte ich Sie mit einer törigen Landläuferin bekannt, heute sollen Sie von einem verrückten Reisenden vernehmen.« – »Gestehe es nur«, fügte Juliette hinzu, »diese Mitteilung ist nicht ohne Absicht.«

Hersilie fragte soeben etwas ungeduldig, wo der Nachtisch bleibe, als die Meldung geschah, der Oheim erwarte die Gesellschaft, mit ihm die Nachkost in der großen Laube zu genießen. Auf dem Hinwege bemerkte man eine Feldküche, die sehr emsig ihre blank gereinigten Kasserollen, Schüsseln und Teller klappernd einzupacken beschäftigt war. In einer geräumigen Laube fand man den alten Herrn an einem runden, großen, frischgedeckten Tisch, auf welchem soeben die schönsten Früchte, willkommenes Backwerk und die besten Süßigkeiten, indem sich jene niedersetzten, reichlich aufgetragen wurden. Auf die Frage des Oheims, was bisher begegnet, womit man sich unterhalten, fiel Hersilie vorschnell ein: »Unser guter Gast hätte wohl über Ihre lakonischen Inschriften verwirrt werden können, wäre ihm Juliette nicht durch einen fortlaufenden Kommentar zu Hülfe gekommen.« – »Du hast es immer mit Julietten zu tun«, versetzte der Oheim, »sie ist ein wackres Mädchen, das noch etwas lernen und begreifen mag.« – »Ich möchte vieles gern vergessen, was ich weiß, und was ich begriffen habe, ist auch nicht viel wert«, versetzte Hersilie in Heiterkeit.

Hierauf nahm Wilhelm das Wort und sagte bedächtig: »Kurzgefaßte Sprüche jeder Art weiß ich zu ehren, besonders wenn sie mich anregen, das Entgegengesetzte zu überschauen und in Übereinstimmung zu bringen.« – »Ganz richtig«, erwiderte der Oheim, »hat doch der vernünftige Mann in seinem ganzen Leben noch keine andere Beschäftigung gehabt.«

Indessen besetzte sich die Tafelrunde nach und nach, so daß Spätere kaum Platz fanden. Die beiden Amtleute waren gekommen, Jäger, Pferdebändiger, Gärtner, Förster und andere, denen man nicht gleich ihren Beruf ansehen konnte. Jeder hatte etwas von dem letzten Augenblick zu erzählen und mitzuteilen, das sich der alte Herr gefallen ließ, auch wohl durch teilnehmende Fragen hervorrief, zuletzt aber aufstand und, die Gesellschaft, die sich nicht rühren sollte, begrüßend, mit den beiden Amtleuten sich entfernte. Das Obst hatten sich alle, das Zuckerwerk die jungen Leute, wenn sie auch ein wenig wild aussahen, gar wohl schmecken lassen. Einer nach dem andern stand auf, begrüßte die Bleibenden und ging davon.

Die Frauenzimmer, welche bemerkten, daß der Gast auf das, was vorging, mit einiger Verwunderung achtgab, erklärten sich folgendermaßen: »Sie sehen hier abermals die Wirkung der Eigenheiten unsers trefflichen Oheims; er behauptet: keine Erfindung des Jahrhunderts verdiene mehr Bewunderung, als daß man in Gasthäusern, an besonderen kleinen Tischchen, nach der Karte speisen könne; sobald er dies gewahr worden, habe er für sich und andere dies auch in seiner Familie einzuführen gesucht. Wenn er vom besten Humor ist, mag er gern die Schrecknisse eines Familientisches lebhaft schildern, wo jedes Glied mit fremden Gedanken beschäftigt sich niedersetzt, ungern hört, in Zerstreuung spricht, muffig schweigt und, wenn gar das Unglück kleine Kinder heranführt, mit augenblicklicher Pädagogik die unzeitigste Mißstimmung hervorbringt. ›So manches Übel‹, sagt er, ›muß man tragen, von diesem habe ich mich zu befreien gewußt.‹ Selten erscheint er an unserm Tische und besetzt den Stuhl nur augenblicklich, der für ihn leer steht. Seine Feldküche führt er mit sich umher, speist gewöhnlich allein, andere mögen für sich sorgen. Wenn er aber einmal Frühstück, Nachtisch oder sonst Erfrischung anbietet, dann versammeln sich alle zerstreuten Angehörigen, genießen das Bescherte, wie Sie gesehen haben. Das macht ihm Vergnügen; aber niemand darf kommen, der nicht Appetit mitbringt, jeder muß aufstehen, der sich gelabt hat, und nur so ist er gewiß, immer von Genießenden umgeben zu sein. ›Will man die Menschen ergötzen‹, hörte ich ihn sagen, ›so muß man ihnen das zu verleihen suchen, was sie selten oder nie zu erlangen im Falle sind.‹«

Auf dem Rückwege brachte ein unerwarteter Schlag die Gesellschaft in einige Gemütsbewegung. Hersilie sagte zu dem neben ihr reitenden Felix: »Sieh dort, was mögen das für Blumen sein? sie decken die ganze Sommerseite des Hügels, ich hab' sie noch nie gesehen.« Sogleich regte Felix sein Pferd an, sprengte auf die Stelle los und war im Zurückkommen mit einem ganzen Büschel blühender Kronen, die er von weitem schüttelte, als er auf einmal mit dem Pferde verschwand. Er war in einen Graben gestürzt. Sogleich lösten sich zwei Reiter von der Gesellschaft, nach dem Punkte hinsprengend.

Wilhelm wollte aus dem Wagen, Juliette verbat es: »Hülfe ist schon bei ihm, und unser Gesetz ist in solchen Fällen, daß nur der Helfende sich von der Stelle regen darf; der Chirurg ist schon dorten.« Hersilie hielt ihr Pferd an: »Jawohl«, sagte sie, »Leibärzte braucht man nur selten, Wundärzte jeden Augenblick.« Schon sprengte Felix mit verbundenem Kopfe wieder heran, die blühende Beute festhaltend und hoch emporzeigend. Mit Selbstgefälligkeit reichte er den Strauß seiner Herrin zu, dagegen gab ihm Hersilie ein buntes, leichtes Halstuch. »Die weiße Binde kleidet dich nicht«, sagte sie, »diese wird schon lustiger aussehen.« Und so kamen sie zwar beruhigt, aber teilnehmender gestimmt nach Hause.

Es war spät geworden, man trennte sich in freundlicher Hoffnung morgenden Wiedersehens; der hier folgende Briefwechsel aber erhielt unsern Freund noch einige Stunden nachdenklich und wach.


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