Johann Wolfgang Goethe
Claudine von Villa Bella
Johann Wolfgang Goethe

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Ein enges Gefängnis

Pedro und Claudine.
Sie kniet auf der Erde, ihre Hände und den Kopf trostlos auf eine Erhöhung an der Wand legend.

Pedro.
O quäle
Deine liebe Seele,
Quäle deine liebe Seele nicht!

Claudine sich abwendend.
Mein Herze
In bangem Schmerze,
Mein Herz in bangem Schmerze bricht.

Pedro.
O quäle
Deine liebe Seele,
Quäle deine liebe Seele nicht!

Claudine sich aufrichtend, doch auf den Knien.
Himmel, höre meine Klage!
Ich vergeh in meiner Plage;
Erd und Tag sind mir verhaßt.

Pedro.
Vor dir schwindet alle Plage,
Wird die Finsternis zum Tage,
Dieser Kerker ein Palast!

Er will sie aufrichten; sie springt auf und macht sich los.

Claudine.
Grausamer! Feindlicher!
Kürzest mein Leben.

Pedro.
Himmel, o freundlicher!
Hilf mir erstreben!

Claudine.
Vater! – Ich Arme! –
Stirbest für Schmerz!

Pedro.
Himmel, erbarme,
Tröste das Herz!

Man hört Schlüssel rasseln.
Sebastian. Der Kerkermeister.

Kerkermeister.
Seht, ob hier Euer Mann ist? Sonst hab ich drüben noch ein Paar!

Sebastian.
Pedro!

Pedro ihn umhalsend.
Mein Freund!

Sebastian.
Was ist das? Und dein Geselle?

Claudine.
Erde, verbirg mich!

Sebastian.
Bin ich verhext? Claudine?

Claudine.
Weh mir!

Pedro.
Bester Engel!

Sebastian.
Du siehst so bleich! Claudine, bist du's? – Claudine –

Claudine.
Überlassen Sie mich meinem Elend! Ich will des Tages Licht, will euch alle nicht wiedersehn.

Sebastian.
Nur ein Wort; nur ein gescheit Wort, Pedro! Wie kommt ihr daher? Mir schwimmt alles im Kopfe.

Pedro.
Ich hatte eine kleine Rencontre, ward in dem Arm verwundt und hierher gebracht. Gegen Tag ging's. Ich lag in der Herberge auf einem Bette und schlummerte; da hört ich Claudinens Stimme, hörte sie um Hilfe rufen; sprang herunter und fande sie mit einem Wagehals ringen; ich wollte sie befreien und ward mit ihr eingesperrt.

Sebastian.
Item, und du, Liebchen?

Claudine.
Können Sie fragen?

Sebastian.
Du hörtest Pedros Unfall, und dein gutes Herzchen –

Pedro.
Schone sie! Ihr Herz ist in fürchterlichem Aufruhr.

Sebastian.
Dich sucht ich nicht; ich suchte deinen Bruder, den ich die ganze Nacht verfolgte; und nun hör ich, er sei hier eingesperrt.

Pedro.
Hier? Welcher Gedanke schießt mir durch die Seele!

Sebastian.
Es muß ein Irrtum sein!

Pedro.
Der mich verwundete; der Claudinen drohte! – Es ist einer und der!

Sebastian.
Wir wollen sehen.
Ruft.
Kerkermeister!

Kerkermeister.
Gnädiger Herr!

Sebastian.
Du sagtest noch von zweien; bring sie her!

Kerkermeister.
Gleich, Señor!

Pedro.
O wenn er's wäre!

Sebastian.
Er hat dich verwundet, sagtest du?

Pedro.
Verwundet, und diesen Engel geängstet! – Wenn's mein Bruder wäre!

Claudine.
Wir wollten ihm verzeihen. Ach Pedro; wenn ich was anders fühlen könnte als meinen Schmerz! –

Sebastian.
Sei ruhig, Geckchen! Die Sache sieht bunt aus. Nur Geduld!

Die Vorigen. Der Kerkermeister. Crugantino. Basko.
Man bringt einen Stuhl für Claudinen.

Kerkermeister.
Señor, hier ist das edle Paar.

Sebastian.
Señor Crugantino, treffen wir einander da ? Vor kurzem fand ich Euch wo anders.

Crugantino.
Keinen Spott! Eure Tapferkeit ist's nicht, daß ich hier bin.

Sebastian.
So? Unterdessen ist mir's immer viel Ehre, Señor Crugantino hier zu sehn. Darf man fragen, ist das der einzige Name, den Sie führen?

Crugantino.
Darauf will ich Euch antworten, wenn Ihr mein Richter sein werdet und mir's gelegen sein wird.

Sebastian.
Auch gut! Und Euer Name ist Basko, wie man sagt?

Basko.
Für diesmal; Euer Gnaden zu dienen.

Sebastian.
Geselle dieses edlen Ritters hier?

Crugantino.
Ha, alter Schwätzer!

Sebastian.
Mir das?

Crugantino.
Ich bin ein Gefangner; also laßt Euer Point d'honneur stecken.
Zu Pedro.
Mit Euch, Herr, bin ich übler dran. Erst verwund ich Euch um nichts und wieder nichts, dann bin ich an Eurer Haft schuld. Vergebt mir!

Pedro.
Gern, gern! Und für mich warum nicht tausendmal, da dieser Engel dir vergibt, den du geängstet? Ich will dir's vergeben; denn büßen könntst du's nie.

Crugantino.
Vergrößert meine Schuld nicht; ich will sie tragen, wie sie ist. Aber gesteht mir: ein Mensch, der halbwege Abenteuer zu bestehen weiß, soll der eine Schöne, eine gewünschte, geliebte Schöne, die sich allein nachts dem Schutze des Himmels anvertraut, um so wohlfeilen Preis aus seinen Händen lassen?

Claudine.
Wie erniedrigt er mich! Er hat recht! O Liebe! Liebe!

Pedro.
Ich bin der Glücklichste unter der Sonne!

Sebastian.
Und glaubt Ihr dann, das putzte man alles so ab, wie ein Bauer die Nase am Ärmel? Ihr müßt ein Gewissen haben.

Crugantino.
Erst Richter; und dann Beichtvater.

Sebastian.
Stünd's bei mir, ich machte auch den Medikus, und ließ Euch ein bißchen zur Ader; nur aus Kuriosität, das edle Blut zu sehn.

Crugantino.
Edles Blut, Herr? Edles Blut? Eure Habichtsnase sieht freilich in eine alte Familie; aber mein Blut darf sich gegen dem Eurigen nicht schämen. Edles Blut?

Sebastian.
Reiß dem die Zunge aus, der gegen Castelvecchio was redet.

Crugantino.
Castelvecchio? Ich bin verraten!

Sebastian.
Und was soll man dir tun, der du dies edle Haus so entehrst?

Crugantino.
Zu allen Teufeln!

Sebastian.
Kennst du Sebastian von Rovero nicht? Bist du nicht der Alonzo mehr, der auf meinen Knien saß; der die Hoffnung seines Vaters, seines Hauses war? Kennst du mich nicht mehr?

Crugantino.
Sebastian?

Sebastian.
Ich bin's! Versinke, ehe du hörst, was vor ein Ungeheuer du bist!

Crugantino.
Seid großmütig! ich bin ein Mensch.

Sebastian.
Nichts vom Vergangenen, Elender! was vor dir steht! Hast du nicht diesen Edlen verwundet; seine Liebste, seine Braut aus den Armen ihres Vaters gesprengt, der ihr diesen Schritt nie verzeihen wird? Und nun bringst du sie als Mitgenossen deiner Bosheit in diesen Kerker! Ihn, den Besten, Freisten, Gütigsten! – deinen Bruder!

Crugantino.
Bruder?

Pedro ihn umhalsend.
Bruder! mein Bruder!

Sebastian.
Pedro von Castelvecchio!

Crugantino.
Laßt mich, ich bitt euch; laßt mich! Ich hab ein Herz, das empfindet; und was euch bestürmt, greift mich auch an. – Mein Bruder! der unerträglichste Gedanke! Weg! Ich will nur fühlen, daß ich dich habe, daß du mein Bruder bist. Hier – Pedro? mein Bruder hier?

Sebastian.
Auch um deinetwillen! Als wir endlich dir ohngefähr auf die Spur gekommen und er hörte, daß ich Anstalten machte, dich zu kapern, verließ er Madrid.

Pedro.
Ich fürchtete seine Strenge. Sebastian ist gut, wenn man ihn gut läßt.

Crugantino.
Ihr seid ausgezogen, mich zu fangen? Nun was hättet ihr an mir? was habt ihr an mir? Wollt ihr mich in Turm sperren, um der Welt den unbedeutenden Ärger und meiner Familie die eingebildete Schande zu sparen? Nehmt mich! – Und was habt ihr getan? und seid ihr mir nichts schuldig?

Sebastian.
Führt Euch besser auf!

Crugantino.
Mit Eurer Erlaubnis, mein Herr! davon versteht Ihr nichts! Was heißt das: aufführen? Wißt Ihr die Bedürfnisse eines jungen Herzens, wie meins ist? Ein junger toller Kopf? Wo habt Ihr einen Schauplatz des Lebens für mich? Eure bürgerliche Gesellschaft ist mir unerträglich! Will ich arbeiten, muß ich Knecht sein; will ich mich lustig machen, muß ich Knecht sein. Muß nicht einer, der halbweg was wert ist, lieber in die weite Welt gehn? Verzeiht! Ich höre nicht gern anderer Leute Meinung; verzeiht, daß ich Euch die meinige sage. Dafür will ich Euch auch zugeben, daß, wer sich einmal ins Vagieren einläßt, dann kein Ziel mehr hat und keine Grenzen; denn unser Herz – ach! das ist unendlich, solang ihm Kräfte zureichen!

Pedro.
Lieber Bruder, sollte dir's in dem Kreise unsrer Liebe zu enge werden?

Crugantino.
Ich bitte dich, laß mich! Es ist das erste Mal, daß ich dich so zu sagen sehe, und –

Pedro.
Laß uns Brüder sein!

Crugantino.
Ich bin dein Gefangener.

Pedro.
Nichts davon!

Crugantino.
Ich bin's willig; nur überlaßt mich mir selbst. – Wenn ich je euch zur Freude leben kann, so müßt ihr mir das schuldig sein.

Pedro.
In diesen edlen zärtlichen Empfindungen find ich das Ungeheuer nicht mehr, das Claudinens Blut zu vergießen drohte.

Crugantino lächelnd.
Claudinens Blut zu vergießen? Du hättest mir den Degen durch den Leib rennen können, ohne daß ich mich unterstanden hätte, dem Engel ein Haar zu krümmen.

Sebastian.
Umarme mich; edler Junge! Hier erkenne ich im Vagabunden das Blut von Castelvecchio.

Pedro.
Und doch ängstigtest du –?

Crugantino.
Gut! Weil ich weiß, daß man euch Verliebte mit Zwirnsfäden binden kann.

Sebastian.
Guter Junge!

Crugantino.
Und habt Ihr nicht gehört, daß alle brave Leute in ihrer Jugend gute Jungens waren; auch wohl etwas mehr sogar?

Sebastian.
Topp!

Crugantino.
Und sogar Ihr selbst.
Könnt Ihr mir vergeben?
Laßt uns Brüder sein!

Claudine mit schwacher Stimme.
Ändre dein Leben!
Sollst mein Bruder sein.

Pedro.
Ich hab dir vergeben;
Wollen Brüder sein.

Zu drei.

Crugantino.
Laßt uns Brüder sein!

Claudine.
Sollst mein Bruder sein!

Pedro.
Wollen Brüder sein!

Sebastian.
Nun, allons, auf! daß wir aus dem Rauchloch kommen. Claudine, Mädchen, wo bist du? Armes Kind, was für Freud und Schmerz hast du ausgestanden! Du sollst dich erholen, sollst Ruhe haben, sollst – alles haben; komm! Wir kriegen hier wohl einen Tragsessel; und so auf Villa Bella!

Claudine.
Nimmer, nimmermehr! In ein Kloster, Bastian! oder ich sterbe hier. Meinem Vater unter die Augen treten? das Licht der Sonne sehn?

Sie will aufstehn und fällt zurück.

Sebastian.
Sei ruhig, Mädchen! du bist zerrüttet. Auf, meine Herrn! sorgt für einen Sessel; wir müssen fort.

Gonzalo tritt auf.

Gonzalo.
Wo sind sie? – Wo ist Bastian? Bastian! –

Claudine.
Mein Vater!

Sie fällt in Ohnmacht.

Gonzalo.
Die Stimme meiner Tochter? – Pedro! Bastian! Wie? Wo?
Sich auf sie werfend.
Claudine! meine Tochter!

Sebastian.
Ärzte! Hilfe! Schnell von hinnen!

Crugantino.
Götter! ach! ich atme kaum!

Pedro.
Wehe! mir vergehn die Sinnen!

Gonzalo.
Seid ihr alle? Ist's ein Traum?

Sebastian. Crugantino den Gonzalo und Pedro von Claudinen wegziehend.
Weg von hier!

Pedro. Gonzalo den Sebastian und Crugantino von sich stoßend.
Weg mit dir!

Sebastian.
Herr, ach, seht nach Eurer Wunde!

Pedro.
Laßt mich sterben! sie ist tot!

Gonzalo.
Gott, ich gehe dir zu Grunde!

Crugantino.
Ich vergeh in ihrer Not!

Sebastian. Crugantino wie oben.
Weg von hier!

Pedro. Gonzalo wie oben.
Weg mit dir!

Pedro.
Uns so fürchterlich verderben!
Sieht denn Gott nicht unsre Not?

Gonzalo.
Nein, du kannst, du kannst nicht sterben, Mädchen, nein du bist nicht tot!

Zu vier.

Sebastian.
Wie erbärmlich unsre Not!

Crugantino.
Ich vergeh in ihrer Not.

Pedro.
Laßt mich sterben! sie ist tot!

Gonzalo.
Mädchen, nein, du bist nicht tot.

Sebastian.
Sie richtet sich.

Crugantino.
Sie lebt.

Pedro. Gonzalo.
Claudine!

Claudine. Sie sieht starr ihren Vater und Pedro an.
Mein Vater! Pedro!

Gonzalo.
Meine Tochter!

Sebastian.
Schont sie.

Claudine.
Pedro! Mein Vater!

Gonzalo.
Sei unser! Lebe! lebe! um meinetwillen; um des Edlen willen!

Pedro wirft sich vor ihr nieder.

Sebastian.
Schont sie! Schone sie! sie ist dein!

Pedro.
Mein Vater!

Gonzalo.
Sie ist dein!

Chor.
Brüllt nicht der Donner mehr,
Ruhet der Sturm im Meer;
Leuchtet die Sonne
Über euch gar.
Ewige Wonne!
Seliges Paar!


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