Johann Wolfgang Goethe
Claudine von Villa Bella
Johann Wolfgang Goethe

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Gartenszene

Die Musik kündigt einen Wirrwarr, einen fröhlichen Tumult an, einen Zusammenlauf des Volks zu einem festlichen Pompe. Eine geschmückte Gartenszene stellt sich dar. Unter einem feurigen Marsche naht sich der Zug. Kleine Kinder gehen voran mit Blumenkörben und Kränzen; ihnen folgen Mädchen und Jünglinge mit Früchten; darauf kommen Alte mit allerlei Gaben. Sibylla und Camilla tragen Geschmeide und köstliche Kleider. Sodann gehen die beiden Alten, Don Gonzalo und Don Sebastian. Gleich hinter ihnen erscheint, getragen vier Jünglingen, auf einem mit Blumen geschmückten Sessel, Donna Claudina. Die herabhangenden Kränze tragen vier andere Jünglinge, deren erster, rechter Hand, Don Pedro ist. Während Zugs singt der

Chor.
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!
Gabst uns Claudinen!
Bist uns so glücklich,
Uns wieder erschienen!
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!

Der Zug teilt sich auf beiden Seiten. Die Träger halten in der Mitte, und die Begleiter bringen ihre Gaben an.

Ein Kleines.
Sieh, es erscheinen
Alle die Kleinen;
Mädchen und Bübchen.
Kommen, o Liebchen!
Binden mit Bändern
Und Kränzen dich an!

Chor.
Nimm sie, die herzlichen
Gaben, sie an!

Eine Jungfrau.
Alten und Jungen
Kommen gesungen;
Männer und Greise,
Jeder nach Weise,
Bringet ein jeder
Dir, was er vermag.

Chor.
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!

Pedro reicht ihr einen Strauß.
Blumen der Wiese,
Dürfen auch diese
Hoffen und wähnen?
Ach es sind Tränen –
Noch sind die Tränen
Des Taues daran!

Chor.
Nimm sie, die herzlichen
Gaben, sie an!

Gonzalo auf die Kleider und Kostbarkeiten zeigend.
Tochter, die Gaben
Sollst du heut haben.
Zu den andern.
Teilt ihr die Freude,
Teilet euch heute
Essen und Trinken,
Und was ich vermag!

Chor.
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!

Die Träger lassen den Stuhl herunter; Claudine steigt herab.

Claudine.
Tränen und Schweigen
Mögen euch zeigen,
Wie ich so fröhlich
Fühle, so selig
Alles, was alles
Ihr für mich getan!

Chor.
Nimm sie, die herzlichen
Gaben, sie an!

Claudine ihren Vater umarmend.
Könnt ich mein Leben,
Vater, dir geben!
Zu den übrigen.
Könnt ich, ohn Schranken,
Allen euch danken!
Wendet sich schüchtern zu Pedro.
Könnt ich –

Sie stockt. Die Musik macht eine Pause. Sie sucht ihre Verwirrung zu verbergen, setzt sich auf den Sessel, den die Träger aufheben, und das Chor fällt ein.

Chor.
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag!
Gabst uns Claudinen!
Bist uns so glücklich,
Uns wieder erschienen!
Fröhlicher,
Seliger,
Herrlicher Tag.

Der Zug geht singend ab. Gonzalo und Sebastian bleiben.

Gonzalo.
Bastian, lieber Bastian, verdenke mir's nicht! Sieh das Mädchen an, und du wirst mir nicht verdenken, daß ich einen kleinen Abgott aus ihr mache. So manche Feierlichkeit, bei so manchem Anlaß, scheint mir nicht hinreichend, das Gefühl meines Innersten gegen sie an den Tag zu legen. Wie warm dank ich dem Schicksal, das, da es mir eine männliche Nachkommenschaft versagt hat, da es mit mir den alten herrlichen Stamm von Villa Bella ausgehen läßt, mir diese Tochter gibt. O, ihr Wert entzückt mich mehr als die Aussicht über eine grenzenlose Nachkommenschaft!

Sebastian.
Nein, ich sage dir, mich ergötzt das kleine Fest recht herzlich. Denn ob ich gleich kein Freund von Umständen bin, so bin ich doch den Zeremonien nicht feind. Ein feierlicher Aufzug von geputzten Leuten; ein Zusammenlauf des Volks; gejauchzt, die Glocken geläutet; gejauchzt und geschossen drein: es geht einem das Herz doch immer dabei auf, und ich verdenk's den Leuten nicht, wenn sie dadurch glauben, die Heiligen zu verehren und Gott selbst zu verherrlichen.

Gonzalo.
Und ich glaube, für Claudinen niemals genug zu tun. Wie kann ich genug ausdrücken, daß sie Königin ist über alle meine Besitztümer, über meine Untertanen, über mich selbst – Muß ich sie nicht den Vorzug fühlen lassen, den sie vor andern Menschen hat, da sie ihn selbst nicht fühlt, nicht die geringste Ahndung davon zu haben scheint, daß ihresgleichen nicht in der Welt ist? Diese Ruhe des Geistes, dieses innere Gefühl ihrer selbst, diese Teilnehmung an anderer Schicksale, diese Empfindlichkeit gegen alles Schöne und Gute – Sage nicht, ich sei Vater, ich bespiegle mich nur selbst in ihr – Höre! alle meine Leute, alles, was sie umgibt, sogar die neidischen Nichten müssen ihr huldigen.

Sebastian.
Hab ich nicht Augen und ein Herz? Freilich seh ich sie weder als Vater noch als Liebhaber; aber so viel seh' ich doch, daß es eine Gabe vom Himmel ist, Vater oder Liebhaber so eines Mädchens zu sein. Hast du bemerkt, daß all der Triumph, all die Herrlichkeit heute, sie mehr in Verlegenheit setzte als erfreute? Ich hab mein Tage kein rührenders Bild der Demut gesehn als sie in dem Schmuck. Auch war noch jemand dabei, dem ein einsamer Busch weit mehr Wonne gegeben hätte; dessen Empfindung zu dem Rauschen des Wassers und dem Lispeln der Blätter besser stimmte als zu den Trompeten und Freudengesang.

Gonzalo.
Du meinst?

Sebastian.
Pedro!

Gonzalo.
Pedro?

Sebastian.
Du wirst doch darüber nicht staunen? Pedro, der, seitdem er Claudinen zum erstenmal gesehen hat, kein Pfötchen mehr machen kann; den du schon hundertmal auf einem Seitenblick, einem Händereiben, einem Hutkneten mußt ertappt haben.

Gonzalo.
Und wenn auch –

Sebastian.
Gut! Du mußt denken wie ich, daß diese Partie für deine Tochter – Du lächelst?

Gonzalo.
Daß wir Alten gleich verheiraten!

Sebastian.
Ich trag das wachend und träumend herum. Aber alles will reif werden. Unterdessen hast du recht, daß du ein Aug' zutust und mit dem andern neben ausblickst.

Gonzalo.
Wenn ich sie so ansehe, erinnere ich mich der blühenden Tage meiner Jugend; mir wird ganz wohl.

Sebastian.
Ich glaube auch, daß ihnen ganz wohl bei der Sache ist. Wenn Pedro nur unser Hauptgeschäft nicht drüber vergäße!

Gonzalo.
Hat's ihm noch nicht geglückt, was von seinem Bruder auszufragen?

Sebastian.
Ihm? Das ist mir der rechte Spion! Er ist ja so verliebt, daß, wenn du nach der Stunde fragst, er nicht weiß, in welcher Tasche seine Uhr steckt. Bei Gott! wenn ich mich nicht abritte und abarbeitete, wir wären noch auf dem alten Flecke.

Gonzalo.
Unter uns, Bastian: Hast du was heraus?

Sebastian.
Es bleibt bei dir. Wenn nicht alle Umstände lügen, so hab' ich den Vogel, dem wir so sehnlich nachstreben, hier im Städtchen nah bei, wo er lustig und guter Ding ist. Heut früh sagt ich's Pedro so halb und halb; wir wollen aber das Fest nicht verderben, sagt' ich. Ach, Claudine! seufzte der Arme aus tiefer Brust, als wollt' er sagen: Den Bruder zum Teufel und dich mir in Arm!

Gonzalo.
Ich habe das Mädchen bemerkt, ich habe die keimende Leidenschaft in ihrer Seele beobachtet: es ist ein reizendes Schauspiel, das einem wieder ganz jung macht!

Sebastian.
Hätten wir nur erst unser Vorhaben ausgeführt, woran dem ganzen Hause Castelvecchio so viel gelegen, wovon Pedros Schicksal zum Teil mit abhängt! Ich sag ihm so oft: Herr, seid verliebt; wer wehrt's Euch? Seid bei Claudinen; wer hindert Euch? Nur vergeßt nicht ganz, was Ihr Euch und Eurer Familie und der Welt schuldig seid. Das hilft –!

Gonzalo.
Wie eine Arznei! Nicht wahr? Sei ruhig, Bastian! Haben wir's unsern Hofmeistern nicht eben so gemacht?

Sebastian.
Nein, Freund, so ist's nicht gemeint. Sollen wir umsonst die weite Reise von Madrid hierher gemacht haben? sollen wir beschämt nach Hause kehren? Und wer wird alsdenn die Schuld tragen müssen als ich? Ich rede ihm zu wie ein Biedermann. Was! seinen Bruder länger in dem Luderleben verwildern zu lassen, der mit Spielern und Buben im Lande herumschwadroniert, mehr Mädels betrügt, als ein anderer kennt, und öfter Händel anfängt, als ein Trunkenbold sein Wasser abschlägt!

Gonzalo.
Ein toller unbegreiflicher Kopf!

Sebastian.
Du hättest den Buben sehen sollen, wie er so heran wuchs; er war zum Fressen. Kein Tag verging, daß er uns nicht durch die lebhaftesten Streiche zu lachen machte; und wir alten Narren lachten über das, was künftig unser größter Verdruß werden wollte. Der Vater wurd' nicht satt, von seinen Streichen, seinen kindischen Heldentaten erzählen zu hören. Immer hatt' er's mit den Hunden zu tun; keine Scheibe der Nachbarn, keine Taube war vor ihm sicher; er kletterte wie eine Katze auf Bäumen und in der Scheuer herum. Einmal stürzt er herab; er war acht Jahr alt; ich vergesse das nie; er fiel sich ein großes Loch in Kopf, ging ganz gelassen zum Entenpfuhl in Hof, wusch sich's aus und kam mit der Hand vor der Stirn herein und sagte mit so ganz lachendem Gesicht: Papa! – Papa! – ich hab ein Loch in Kopf gefallen! Eben als wollt er uns ein Glück notifizieren, das ihm zugestoßen wäre.

Gonzalo.
Schade für den schönen Mut, den glücklichen Humor des Jungens!

Sebastian.
So ging's freilich fort; je älter er ward, je toller. Statt nun das Zeug zu lassen, statt sich zu fügen, statt seine Kräfte zu Ehren der Familie und seinem Nutz zu verwenden, trieb er einen unsinnigen Streich nach dem andern; belog und betrog alle Mädchen und ging endlich gar auf und davon; begab sich, wie wir Nachricht haben, unter die schlechteste Gesellschaft, wo ich nicht begreife, wie er's aushält; denn er hatte immer einen Grund von Edelmut und Großheit im Herzen.

Gonzalo.
Glück zu, Bastian! und gib ihn seiner Familie zurück.

Sebastian.
Nicht eben das! Umsonst soll er uns nicht genarrt haben. Krieg ich ihn nur einmal beim Kragen, ich will schon in einem Kloster oder irgend einer Festung ein Plätzchen für ihn finden, und Pedro soll mir die Rechte des Erstgebornen genießen. Der König hat schon seine Gesinnung hierüber blicken lassen. Wenn's wahr ist, daß mein Mann sich in der Gegend aufhält, so müßt es arg zugehn, wenn ich ihn nicht, zu Ehren des Fests, heute noch packe. Wir können's vor Gott und der Welt nicht verantworten; der alte Vater würde sich im Grab umwenden!

Gonzalo.
Brav, Bastian! Du bist immer der alte, treue Bastian!

Sebastian.
Und eben deswegen – unter uns – sieh doch ein bißchen nach deiner Tochter!

Gonzalo.
Wie meinst du?

Sebastian.
Der Teufel ist ein Schelm; und Pedro und die Liebe sind auch nicht so da.

Gonzalo.
Auch immer der alte Bastian! Verzeih mir, du weißt keinen Unterschied zu machen. Das Mädchen, die Sorge meiner Seele, der Zweck all dieser achtzehnjährigen Erziehung, das feinste delikateste weibliche Geschöpf, das vor dem geringsten Gedanken – nicht Gedanken, vor der geringsten Ahndung eines Gefühls erzittert, das ihrer unwürdig wäre.

Sebastian.
Eben deswegen!

Gonzalo.
Ich setze mein Vermögen an sie, meinen Kopf.

Sebastian.
Da kommt sie eben die Allee herauf. Sie hat sich von der Menge losgewunden, sie ist allein; und sieh den Gang, sieh das Köpfchen, wie sie's hängt! Komm, komm ihr aus dem Wege; Sünde wär's, durch unsere kalte Gegenwart die angenehmen Träume zu verjagen, in deren Gesellschaft sie daherwandelt!
Beide ab.

Claudine mit Pedros Strauß.

Claudine.
Alle Freuden, alle Gaben,
Die mir heut gehuldigt haben,
Sind nicht dieser Blumen wert.
Ehr und Lieb von allen Seiten,
Kleider, Schmuck und Kostbarkeiten,
Alles, was mein Herz begehrt!
Aber alle diese Gaben
Sind nicht dieser Blumen wert.
Liebes Herz, ich wollte dich noch einmal so lieb haben, wenn du nur nicht immer so pochtest. Sei ruhig, ich bitte dich, sei ruhig!
Pedro von ferne.
Pedro? Auch der? Ach, da soll ich nun gar verbergen, daß ich empfinde!

Pedro kommt.

Pedro.
Fräulein!

Claudine.
Mein Herr!
Schweigen einige Augenblicke.

Pedro auf sie schnell losgehend.
Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne!

Claudine zurückweichend.
Wie ist Ihnen?

Pedro.
Wohl! wohl! als wie im Himmel in dieser englischen Gesellschaft! Ach! daß Sie meine armen Blumen so ehren, ihnen einen Platz an Ihrem Herzen gegönnt haben!

Claudine.
Weniger konnt ich nicht tun. Sie verwelken bis an den Abend, und jedes Geschenk hat mir heut eine Herzensfreude gemacht.

Pedro.
Jedes?

Claudine.
Wann reiten Sie weg?

Pedro.
Die Pferde sind gesattelt. Sebastian will mich mit aller Gewalt bei sich haben; er glaubt, mein Bruder sei in der Nähe, und denkt ihn noch heute zu fangen.

Claudine.
Der Bruder macht Ihnen viel Verdruß.

Pedro.
Er macht das Glück meines Lebens. Ohne ihn kennte ich Sie nicht. Ohne ihn –

Claudine.
Und wenn Sie ihn erwischen, ihn wieder durch Liebe und Beispiel dem rechten Weg zuführen, wenn Sie ihn seiner Familie zurückbringen, Pedro, wie werden Sie empfangen werden, mit welchen Freuden!

Pedro.
Nichts davon, um Gottes willen! Ich kenne mich selbst nicht; ich weiß nicht, wo ich bin; ich sehe kaum, wohin ich trete. Zurück nach Hause! zurück! Von Ihnen weg, mein Fräulein!

Claudine.
Der König, der Sie liebt, der so ein trefflicher Herr sein soll; der Hof, der Sie mit aller Herrlichkeit erwartet –

Pedro.
Ist das ein Leben? Und doch, sonst war mir's nicht ganz zuwider. Wenn ich meine Tage den Geschäften des Vaterlands gewidmet hatte, konnt' ich wohl meine Abende und Nächte in dem Schwarme zubringen, der um die Majestät wie Mücken ums Licht summt. Jetzt würde mir das eine Hölle sein! Ich weiß nicht, wo meine Arbeitsamkeit, meine Geschäftigkeit hin ist. Es ekelt mir, einen Brief zu schreiben, der ich sonst allein zwei, drei Sekretäre beschäftigen konnte. Ich gehe aus und ein, träumend und wähnend; aber selig, selig ist mein Herz!

Claudine
Ja, Pedro; je näher wir der Natur sind, je näher fühlen wir uns der Gottheit, und unser Herz fließt unaussprechlich in Freuden über.

Pedro.
Ach, diesen Morgen, als ich die Blümchen brach am Bach herauf, der hinter dem Wald herfließt, und die Morgennebel um mich dufteten, und die Spitze des Bergs drüben mir den Aufgang der Sonne verkündigte, und ich ihr entgegenrief: Das ist der Tag! – das ist ihr Tag! – Claudine! – Ich bin ein Tor, daß ich auszusprechen wage, was ich empfinde!

Claudine.
Ach ja, Pedro, ich wüßte nichts für mein Herz, so volle warme Fülle, als die Herrlichkeit der Natur um uns her.

Pedro.
O wer dafür keine Seele hätte, zu fühlen, wie um diese himmlische Güte, um diesen heiligen Reiz alles, alles schöner, herrlicher wird; wer nicht in dieser Gegend lieber sein Leben in einer stillen Hütte verbärge, um nur Zeuge sein zu dürfen!

Claudine.
So ganz ungleich Ihrem Bruder, den ich doch auch kennen möchte! Es muß ein wunderlicher Mensch sein, der allen Stand, Güter, Freund verläßt und in tollen Streichen, schwärmender Abwechselung seine schönsten Tage verdirbt.

Pedro.
Der Unglückliche! Ich erschrecke über seine Verhärtung. Nicht zu fühlen, daß das unstete flüchtige Leben ein Fluch ist, der auf dem Verbrecher ruht, verbannt er sich selbst aus der menschlichen Gesellschaft. Es ist unglaublich! Und dann – mit Zittern sag ich's – wie manche Träne von ihm verführter verlassener Mädchen hab ich fließen sehn! O, das war's, was uns am meisten aufbrachte, seiner Freiheit nachzustellen. Ich hätte mit den armen Geschöpfen vergehen mögen! Wie wird ihm sein, wenn er, von seiner Verblendung dereinst geheilt, mit Zittern sehn muß, daß er das innerste Heiligtum der Menschheit entweihte, da er Liebe und Treue so schändlich mit Füßen trat?

Claudine.
Liebe und Treue! Glauben Sie dran, Pedro?

Pedro.
Sie können scherzen und fragen?

Claudine.
Treue Herzen!
Männer scherzen
Über treue Liebe nur.

Pedro.
Drüber scherzen
Schlechte Herzen
Nur, verderbte Männer nur.

Claudine.
Aber sag, wo sind die Rechten,
Und wie kennt man sie von Schlechten?
Sieht man's 'en an den Augen an?

Pedro.
Zwar verstellen sich die Schlechten,
Blicken, seufzen wie die Rechten;
Doch das geht so lang nicht an.

Claudine.
Ach, des Betrugs ist viel;
Wir Arme sind ihr Spiel!

Pedro.
Wer findt ein treues Blut,
Findt drum ein edel Gut.

Claudine.
Ach, nur zu viel
Ein Sonntagsspiel!

Pedro.
Ein treues Blut
Ein edel Gut!

In dem Schluß des Duetts hört man schon von weitem singen Camillen und Sibyllen, die singend näher kommen.

Beide.
Vom hohen Sternenrund
Bis 'nunter in tiefen Erdengrund
Muß nichts so schön, so Liebes sein
Als nur mein Schätzel allein!

Sie treten herein.

Camille.
Er ist der Stärkst im ganzen Land,
Ist kühn und sittsam und gewandt,
Und bitten kann er, betteln, fein;
Es sag einmal eins: Nein!

Sibylle.
Guten Abend! Wie treffen wir einander hier? Allons, Chorus!

Alle Vier.
Vom hohen hohen Sternenrund
Bis 'nunter in tiefen Erdengrund
Muß nichts so schön, so Liebes sein
Als nur mein Schätzel allein!

Sibylle.
Und das, was über alles geht,
Ihn über Kön'g und Herrn erhöht:
Er ist und bleibet mein,
Er ist mein Schätzel allein.
Chorus!

Alle Vier.
Vom hohen hohen Sternenrund
Bis 'nunter in tiefen Erdengrund
Muß nichts so schön, so Liebes sein
Als nur mein Schätzel allein!

Claudine.
Habt ihr meinen Vater nicht gesehn? Ach, ich muß zu ihm; seit unserer Feierlichkeit hab ich ihn nicht allein gesprochen. Auch euch dank ich, lieben Kinder, daß ihr den Tag habt wollen verherrlichen helfen, an dem das Geschöpf zur Welt kam, das – Ihr kennt mich ja? Leben Sie wohl, Pedro!

Pedro.
Darf ich Sie begleiten?

Claudine.
Bleiben Sie, ich bitte, bleiben Sie!

Pedro.
Wir gehen zusammen. Sebastian wartet auf mich; die Pferde sind gesattelt.

Sibylle.
Gehen Sie nur! Er hat lang nach Ihnen gefragt.
Gehen ab.

Sibylle. Camille.

Sibylle.
Ich möchte bersten vor Bosheit! »Bleiben Sie! Bleiben Sie!« Ich glaub, sie tat's, uns zu spotten. Sie ist übermütig, daß ihr der Mensch nachläuft wie ein Hündchen. »Bleiben Sie! Bleiben Sie!« Ich komm schier aus der Fassung. Und er! macht er nicht ein Hängmaul wie ein Schulknabe? Der Affe!

Camille.
Sie meint, weil sie ein rund Köpfchen hat, ein Stumpfnäschen, und über ein Gräschen und Gänsblümchen gleich weinen kann, so wär was mit ihr.

Sibylle.
Und weil man uns auch heute an den Triumphwagen gespannt hat. Ich war so im Grimm –

Camille.
Unsereins ist auch keine Katz, und den Pedro möcht ich nit einmal. Es ist ein langweiliger träumiger Mensch. Übel ist er nicht gemacht.

Sibylle.
Und war auch artig, eh ihn die Närrin verwirrt hat. Denn meinetwegen eigentlich hat er hier ins Haus Bekanntschaft gesucht und dem Don Sebastian in den Ohren gelegen, ihn hereinzubringen. Seit ich ihn drüben beim Gouverneur auf Salanka kennen lernte, da war er galant, freundlich und artig. Ich weiß wohl noch, wie mich Sebastian vexierte. Jetzt ist er unerträglich.

Camille.
Unausstehlich! Ja, aber ich hab einen Fang getan, wenn du mich nicht verraten willst.

Sibylle.
Ich dachte, du weißt, daß du dich auf mich verlassen kannst; und wahrhaftig, ich weiß auch, du hilfst mir Rache an Pedro nehmen und an seiner zärtlichen Dulzinee.

Camille.
Hör nur, in der Nachbarschaft hält sich ein Kavalier auf. Siehst du, ich sage nichts; aber es ist der Ausbund vom ganzen Geschlecht. Reich muß er sein und vornehm; das sieht man ihm an. Und ein Bürschchen wie ein Hirschchen!

Sibylle.
Wie heißt er? Wo ist er?

Camille.
Er verbirgt seinen Stand und Namen. Sie heißen ihn Don Crugantino. Heiß er, wie er will, es gibt nicht seinesgleichen.

Sibylle.
Das hast du gewiß ehegestern auf'm Jahrmarkt gekapert?

Camille.
St!

Sibylle.
Noch eins, Camille! Du weißt, wenn Don Pedro des Abends fort muß, wie sie da einander mit langen Atemzügen und Blicken eine gute Nacht geben, als sollten sie auf ewig getrennt werden, und wie's bei Tisch so still hergeht, und wie bald abgessen ist, und wie mein Claudinchen, sobald der Vater im Lehnsessel zu nicken anfängt, weg und in Garten schleicht und dem Mond was vorsingt. Camille, ich wollt schwören, es ist nicht der Mond! Wenn nicht hinter der Sach was stickt!

Camille.
Meinst du?

Sibylle.
Närrchen! dahinten die Terrasse mit dem eisernen Gatter kennst du. Das müßt ein schlechter Liebhaber sein, der nicht da herüber wollte wie ein Steinwurf, um seiner, Charmanten die Tränen abzutrocknen, die ihr der keusche Mond abgelockt hat.

Camille.
Wahrhaftig! und sie kann nicht leiden, daß eins mitgeht.

Sibylle.
Und ich stell mich auch immer so schläfrig, um sie sicher zu machen. Nun aber muß es heraus. Pedro reit't schon jetzt weg; dahinter stickt was. Das Nachtessen ist so früh bestellt! Ganz gewiß!

Camille.
Wann wir sie beschlichen?

Sibylle.
Das ist nichts. Säh auch unfreundlich aus. Nein, dem Alten wollen wir's erzählen, der wird rasend; wie er auf seine Tochter und Ehre hält. Der soll sich hinten hin schleichen.

Camille.
Fangen wir's nur klug an, daß es nicht aussieht –

Sibylle.
Ist das das erste Mal, daß wir Leute aneinanderhetzen? Komm, eh es zu Tisch geht, komm!

Beide ab.


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