Johann Wolfgang Goethe
Claudine von Villa Bella
Johann Wolfgang Goethe

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Eine Stube in einer schlechten Dorfherberge

Drei Vagabunden stehen um einen Tisch und würfeln. Crugantino, den Degen an der Seite, eine Zither mit einem blauen Band in der Hand. Er stimmt, auf und ab gehend, und singt:

Mit Mädeln sich vertragen,
Mit Männern 'rumgeschlagen,
Und mehr Kredit als Geld –
So kommt man durch die Welt.
Ein Lied, am Abend warm gesungen,
Hat mir schon manches Herz errungen,
Und steht der Neider an der Wand,
Hervor, den Degen in der Hand!
'raus, feurig, frisch,
Den Flederwisch!
Kling! Kling! Klang! Klang!
Dik! Dik! Dak! Dak!
Krik! Krak!
Mit Mädeln sich vertragen,
Mit Männern 'rumgeschlagen
Und mehr Kredit als Geld –
So kommt man durch die Welt.

Erster Vagabund.
Komm doch, Crugantino! Halt eins!

Crugantino.
Mir ist heut gar nicht drum zu tun.

Zweiter Vagabund.
Er ist heut wieder nicht zu brauchen.

Crugantino.
Servitor! Wenn ich mich wollte brauchen lassen, ging ich in honette Gesellschaft und gäb mich mit Lumpen nicht ab, wie ihr seid.

Erster Vagabund.
Laßt ihn! Er ist guten Humors.

Dritter Vagabund.
Ich wette, er harrt auf die Stunde zum Rendezvous. Wohin geht's heut? zur Almeria hinüber?

Crugantino.
Wie du meinst.

Zweiter Vagabund.
Nein, der Roman ist gewiß zu Ende. Er dauert schon drei Wochen.

Erster Vagabund.
Wett', ich rat's! Zur Camilla, die auf'm letzten Jahrmarkt ihm mit ihren schwarzen Augen stracks durch die Leber geschossen hat.

Crugantino.
Ich dächte, du gingst mit und sähst zu; wärst du doch deiner Sache ganz gewiß.

Erster Vagabund.
Viel Ehr. Wenn sie nur so eine lange Nas nicht hätt. Sonst ist sie nicht übel, außer – fürcht ich –

Crugantino.
Ich glaub, du fängst an, delikat zu werden.

Zweiter Vagabund.
Mag nicht mehr spielen.

Dritter Vagabund.
Ich auch nit.

Zweiter Vagabund.
Unter ein paaren ist's nicht der Mühe wert. Man gewinnt einander das Geld ab, das ist fatal.

Crugantino.
Besonders, wo keins ist.

Zweiter Vagabund.
Bliebst du bei uns, hättst du auch was zu lachen.

Crugantino.
Was treibt ihr denn?

Zweiter Vagabund.
Der Pfarrer hat heut ein Hirschkalb geschenkt gekriegt; das hängt hunten in der Küchenkammer. Das wird ihm weggeputzt.

Dritter Vagabund.
Und die Hörner ihm auf den Perückenstock genagelt. Sein Perückenstock mit der Festperücke steht in der Ecke; verlaßt euch auf mich! – Ich hätte sie neulich bald übern Haufen geworfen, als mich die Köchin in dem Kämmerchen konsultierte.

Zweiter Vagabund.
Du steigst hinein, reichst mir den Bock heraus. Wir lösen die Hörner ab und geben sie dir.

Dritter Vagabund.
Für das übrige laßt mich sorgen! Auf der Perücke muß das herrlich stehn, und ein Zettelchen dran: – Der neue Moses! –

Alle.
Bravo, bravo!

Erster Vagabund.
Hat keiner den Basko gesehn?

Crugantino.
Wollt ihr einen Augenblick warten? er wird gleich zur Hand sein.

Zweiter Vagabund.
Ich glaub's nicht; er ist bös auf mich, ich hab ihn gestern ein bißchen übergezogen.

Crugantino.
Bös über dich? bild dir's nit ein! Basko ist kein Kerl, das nachzutragen. Er hätt dir ins Gesicht geschmissen und ein Schrämmchen über die Nase gehauen, und da wär's gut gewest.

Man hört eine Nachtigall draußen.

Erster Vagabund.
Da ist er! Hört ihr ihn? Da ist er!

Basko.
Guten Abend!

Crugantino.
Du kommst eben recht. Sylvio meint, du wärst bös über ihn.

Basko.
Was der Mensch sich vor Streiche einbildt! Crugantino, ein Wort! –

Erster Vagabund.
Scheniert euch nicht. Wir machen euch Platz.

Basko.
Lernst du noch Lebensart, alter Bock! Gelt, du spürst in allen Gliedern, daß dich ehstens der Teufel holen wird, und da wirst du kirre?

Die Vagabunden.
Viel Glück auf die Expedition! Wir wollen eine Bouteille drauf ausleeren.
Mit vielem hält man haus,
Mit wenig kommt man auch aus:
Heisa! Heisa! so geht's doch hinaus.
Ab.

Crugantino.
Die ich doch am Ende wieder bezahlen muß – O Basko, das Leben wird mir unter den Kerls unerträglich! Eine Langeweile, ein ewig Einerlei. Wenn unsere Streiche nicht wären. – Was bringst du, Basko? Was bringst du von Villa Bella?

Basko.
Viel, gar viel.

Crugantino.
Hab ich Hoffnung, mich Claudinen zu nähern? Ein Engel, ein ganzer Engel!

Basko.
Camillchen, das liebe Camillchen hat mir Winke gegeben, hat mir zugeflüstert: Dem edlen Crugantino meinen Gruß!

Crugantino.
Laß sie zum Teufel gehn! Red mir von Claudinen.

Basko.
Herr! Wir, oder unser Genius, oder allzusammen sind ausgemachte Esel.

Crugantino.
Was gibt's?

Basko.
Ich, der ich sonst herumschwärme den ganzen Tag und plane wie ein Raubvogel, muß heut den ganzen Nachmittag hier auf der Bärenhaut liegen.

Crugantino.
Nun.

Basko.
Und drüben – ich hätte mir die Augen ausschlagen mögen – drüben in Villa Bella – Ich hab in Gonzalos Hofe bei Claudinen gestanden, von hier an den Tisch, und wer's eh' gewußt hätte –

Crugantino.
Schwerenot! Wie ging das?

Basko.
Heut ist Claudinens Geburtstag. Ihr Vater, der sie wie ein Narr liebt, hat ein Fest angestellt. Sie haben einen Umgang gehalten, sie im Triumph getragen –

Crugantino.
Das hast du gesehn?

Basko.
Ich kam zu spät. Aber im Hof unter den großen Linden waren fürs ganze Dorf Tische gedeckt. Alt und Junge, alles geputzt! Und heisa oben aus! Fässer mit Bier, ungeheure Töpfe mit Brei, und ein Gesumm und Gedräng! da kam ich eben auch hinein.

Crugantino.
Und holtest mich nicht?

Basko.
Kaum hatt ich mich umgesehn, verloren sich die Herrschaften.

Crugantino.
Hast sie gesehn?

Basko.
Narr, ich möcht dir sagen können, wie schön sie war. In einer gewissen Verlegenheit.

Crugantino.
Was ist nun das alles?

Basko.
Geduld! Geduld! Eins hab ich erfahren. Sie pflegt alle Nacht, besonders bei so schönem Mondenscheine, allein im Garten zu spazieren. Du kennst die Kastanienbäume, die davorstehen auf dem Wege nach Salanka?

Crugantino.
Lehr mich das! Die Terrasse geht da heraus und die eiserne Türe. O, ich will hin, gleich hin, und dort sein, eh der Mond noch aufgeht. Komm, Basko!

Basko.
Noch eins! Nimm dich doch in acht. Serpillo, der Häscher, der mein Herzensfreund ist, hat mir vertraut: man frage nach dir, erkundige sich nach dir.

Crugantino.
Possen! Ich wüßte jetzt nichts!

Basko.
Wenn's nur nicht über etwas geht, das du schon vor abgetan hältst!

Crugantino.
Das wär dumm.

Basko.
Unsere Landsleute tragen gar lange nach.

Crugantino.
Ist mir nit bang. Und nach Villa Bella muß ich. Komm, wir wollen unsern Operationsplan so einrichten: Ich steck mich in die Allee; hör ich sie, bin ich gleich am Garten; überm Gitter; im Garten. Und du, klettre auf einen Kastanienbaum. Wenn jemand kommt, so mach deine Nachtigall.

Basko.
Gut, gut! Zwar ziemlich außer der Zeit –

Crugantino.
Und vergiß die Maske nicht. Und wie ich dir sage, schlag und zwitschere und kümmere dich um nichts, bis ich dich rufe. Ich zieh mich schon heraus. Zwei verderben immer so einen Handel. Komm! Ich halt dich doch von nichts ab die Nacht, Basko?

Basko.
Ich bring's gegen Tag wieder ein.

Crugantino.
Du hast doch auch was auf'm Korn?

Basko abgehend.
A!
Eine Blond und eine Braune
Schlagen sich jetzt um mein Herz;
Eine mit immer schlimmen Laune,
Eine mit immer Lust und Scherz.


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