Adolf Glaser
Wulfhilde
Adolf Glaser

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Sechstes Buch.

Die Zeit der Hohenstaufenschen Kaiser in der deutschen Geschichte bleibt stets mit einem poetischen Schimmer umgeben. Friedrich Barbarossa und Friedrich II. waren in der That Menschen, die es in wunderbarer Weise verstanden, den Glanz unumschränkter Machtfülle mit dem höchsten Schimmer persönlichen Zaubers zu vereinigen. Wie großartig entfalteten sich Kunst und Wissenschaft unter der Regierung Friedrich II.! Die märchenhafte Wirkung morgenländischer Pracht, verbunden mit dem gewaltigen Aufschwung der bildenden Künste, brachte in den Herzen des staunenden Volkes den Glauben hervor, daß allenthalben übernatürliche Kräfte mitwirkten, und die Neigung zur Symbolik und zum Mysticismus förderten mancherlei geheimnißvolle Sagen und poetische Erfindungen zu Tage, in denen Vergangenes mit Gegenwärtigem verknüpft wurde. Die erhabene Gestalt des Kaisers, der die unglaublichsten Thaten verrichtete und neben dem Papste eine fast göttliche Verehrung genoß, wurde darin mit dem Schimmer höchster irdischer Herrlichkeit umgeben. Aber sie verstanden es auch, diese Hohenstaufen, das staunende Volk in Athem zu halten! Im 339 Anblicke der herrlichen Natur Italiens gereift, und genährt mit der Bewunderung der vollendetsten Kunstschätze alter Zeit schwang sich ihre Fantasie zu einer reichen Thätigkeit empor, und sie mußten den nüchternen Bewohnern der nördlicher gelegenen Gegenden ihres Reiches allerdings wie höher begabte Wesen, wie allmächtige Zauberer erscheinen, die nur durch ihr Erscheinen, durch Wort oder Wink Wunder bewirken können.

Mit kluger Berücksichtigung der im Volke wurzelnden Erinnerungen übersprangen die Hohenstaufen gern die Zeit der sächsischen Kaiser und knüpften an die sagenhaften Ueberlieferungen auf den Tagen Karl's des Großen an. Als der erste Kreuzzug gepredigt wurde und Friedrich I. sich an die Spitze der begeisterten Schaar stellte, glaubte man im Volke, Karl der Große sei wiedergekehrt und führe in der Gestalt des mächtigen Hohenstaufen die Heere zum Siege. Auch Friedrich II. liebte es, an die gewaltige Gestalt Karl's des Großen zu erinnern und die Gedanken wieder aufleben zu lassen, welche zu dessen Zeit die Welt bewegten. Zwar war die Hoffnung, die kühne Idee einer universalen Monarchie verwirklicht zu sehen, durch die Bestrebungen der Kirche, welche dasselbe Ziel auf anderem Wege zu erreichen wünschte, vorläufig in den Hintergrund gedrängt, aber noch hatte der Kaiser den Gedanken nicht aufgegeben, die päpstliche Macht brechen und damit sich selbst die alleinige Herrschaft über die Welt sichern zu können.

Für den Augenblick allerdings sah er ein, daß er der Kirche einige Zugeständnisse machen müsse, und die Gelegenheit seiner Vermählung mit Isabella von England sollte 340 ihm dazu Veranlassung bieten. Mit erstaunlicher Klugheit wurde bei der Anordnung dieses seltenen Festes verfahren. Nach jeder Richtung hin wurde Alles aufgeboten, um im Volke den Begriff der unumschränkten kaiserlichen Machtvollkommenheit zu befestigen, zugleich aber auch die Geistlichkeit zu beruhigen und von Feindseligkeiten gegen die kaiserliche Partei abzuhalten.

Der Kaiser bedurfte Geld und seine junge Gemahlin brachte ihm eine reiche Mitgift. Er mußte die Sinne des Volkes durch glänzende Feste berücken. Da die Kirche mit der Hindeutung auf die himmlische Herrlichkeit zu wirken suchte, mußte er durch Entfaltung weltlichen Glanzes den Eindruck überbieten. Es galt also, das im Volke wurzelnde Gedächtniß an Karl den Großen aufzufrischen und die Menge zugleich durch den Schimmer vermehrter Pracht und unerhörten Glanzes zu gewinnen.

Das Hochzeitsfest wurde in Worms veranstaltet, wo die alte Königsburg mit überschwänglicher Pracht hergerichtet und Alles aufgeboten war, um das Staunen und die Bewunderung des Volkes und der Großen des Reiches hervorzurufen. Die Festlichkeiten dauerten vier Tage, und die Zahl der anwesenden Gäste war eine überaus große. Es befanden sich vier Könige, elf Herzoge, dreizehn Markgrafen und eine außerordentlich große Zahl anderer edler Herren und Ritter darunter. Auch die Geistlichkeit war durch dreizehn Erzbischöfe und Bischöfe vertreten. Die berühmtesten Spielleute und Gaukler hatten sich aus allen Gegenden des Reiches eingefunden und ergötzten mit ihren Leistungen die hohen Herrschaften wie das niedrige Volk.

Die Chronisten hatten viel zu thun, um die Vorgänge 341 alle aufzuzeichnen, durch welche diese Hochzeit verherrlicht wurde. Die kolossale Mitgift der Braut, welche die Schwester König Heinrich III. von England war, brachte es mit sich, daß der Kaiser von seiner Seite Alles aufbot, um ihr gegenüber nicht ärmlich zu erscheinen. Alles, was seine sicilianische Heimath, was die sprüchwörtlich gewordene Pracht des Morgenlandes an Schmuck und Glanz hervorzuzaubern vermochte, wurde dem Hofstaat der neuen Kaiserin dienstbar gemacht. Für die eigenthümlichen Begriffe von Tact und Schicklichkeit, welche damals in den höchsten Ständen herrschten, giebt der seltsame Umstand das beste Zeugniß, daß der kaiserlichen Braut von den Rittern des Reiches eine kunstvoll gearbeitete Wiege als Hochzeitsgeschenk dargebracht wurde, welche ganz aus Elfenbein bestand und nicht nur durch vollendete Schnitzarbeit, sondern auch durch die Verzierungen in Gold, Perlen und Muscheln ein wahres Wunderwerk war.

Nachdem die Hochzeitsfestlichkeiten vorüber waren, verfügte sich der Kaiser mit seiner jungen Gemahlin und dem gesammten Hofstaate nach Mainz, um einen großen Reichstag daselbst abzuhalten. Hier sollte es sich nun zeigen, welche Stellung die Großen des Reiches in dem Streite zwischen Vater und Sohn einnehmen würden. Hatte König Heinrich gehofft, es werde ihm gelingen, die deutschen Fürsten und die lombardischen Städte gegen seinen Vater aufzuwiegeln, so war ihm dabei entgangen, daß Kaiser Friedrich durch die neue Heirath bedeutende Hülfsquellen erhalten hatte und gerade in diesem Augenblicke mächtiger war als je zuvor.

In seinem Kopfe hatte der Kaiser den Plan entworfen, 342 vorläufig in Deutschland die weltliche und geistliche Macht durch seinen zweiten Sohn Konrad fest an sich zu binden, seinen Sohn Heinrich abzusetzen und die unversöhnlichen Gegner niederzuwerfen, dann nach Italien zu ziehen, dort mit Hülfe seiner ehrgeizigen Bundesgenossen den Kampf gegen seinen alten Erzfeind, die päpstliche Herrschaft, zu beginnen, um endlich den gewaltigen Traum einer Weltmonarchie in das Werk zu setzen.

Aber nicht nur die wichtigsten Streitfragen wurden auf dem Reichstage zu Mainz entschieden, sondern auch mancherlei geringere Angelegenheiten geschlichtet, damit jeder Einzelne sein Recht finde. Aus allen deutschen Gauen strömten die Söhne aus adligen Häusern herbei, um den Ritterschlag vom Kaiser zu empfangen und dann im Turnier die Probe der Tapferkeit und feiner höfischer Ausbildung abzulegen. Daß es bei allen diesen Angelegenheiten nicht immer streng nach der Regel ging und die Gnade des Kaisers manche Schwierigkeiten hob, war selbstverständlich.

Dies zeigte sich auch in Bezug auf das Urtheil über die aufständischen Fürsten. Der Herzog Friedrich von Oesterreich, welcher der Theilnahme an König Heinrich's Empörung überwiesen war, wurde in die Reichsacht erklärt, deren Vollstreckung dem Könige von Böhmen und dem Herzoge von Bayern übertragen wurde. König Heinrich selbst wurde seiner Würde entsetzt, auf ein Schloß in Apulien verbannt und sein jüngerer Bruder Konrad zu seinem Nachfolger vorgeschlagen.

Alle diese Anordnungen waren so rasch geschehen, daß die Anhänger des unglücklichen Königs Heinrich nur durch 343 eilige Flucht sich der Gefahr, mit Leib und Leben ihre gefährliche Anhänglichkeit büßen zu müssen, entziehen konnten. Dem Grafen Lupesch gelang es, zu entfliehen, und da er Geld und Kostbarkeiten genug mitgenommen hatte, konnte er irgendwo in einem fernen Lande unter fremdem Namen verborgen weiter leben, aber seine Frau wurde aufgegriffen und auf Befehl des Kaisers in eins der strengsten Frauenklöster geschickt, wo sie zu schweren Bußübungen verurtheilt wurde und Zeit genug hatte, die Sünden ihrer Jugend zu bereuen und die für immer entschwundenen glänzenden Zeiten zu bejammern.

Bei der unerbittlichen Strenge des Kaisers war das Loos derjenigen Anhänger des Königs, die in die kaiserliche Gewalt fielen und welchen die Theilnahme an den Verschwörungen nachgewiesen werden konnte, ein sehr hartes. Es fiel selbst den Verführten und Unschuldigen schwer, sich von der Anklage zu reinigen oder eine mildere Bestrafung zu erwirken. Nach der Sitte der Zeit wurde denjenigen Schuldigen, welche dem Schwerte des Henkers entgingen, wenigstens ein Denkzettel gegeben, und die abgehauenen Hände, abgeschnittenen Nasen und Ohren blieben lebenslang sichtbare Zeichen der öffentlichen Brandmarkung wegen Verraths an der Sache des Kaisers.

Die Stadt Mainz war so überfüllt mit Gästen, daß es ganz unmöglich war, dieselben sämmtlich in geeigneter Weise unterzubringen. Es mußte daher in jeder Weise Sorge getragen werden, die mangelnden Herbergen nach der Sitte der Zeit durch improvisirte Zeltlager und Bretterbuden zu ersetzen.

Die ganze Umgegend der bischöflichen Stadt glich einem 344 großen Heerlager, wie es seit Menschengedenken nicht daselbst gesehen worden war. Nur die vornehmsten Herrschaften konnten eine halbwegs entsprechende Unterkunft finden. Die bischöfliche Pfalz und die kaiserlichen Gebäude waren durch die ersten geistlichen und weltlichen Würdenträger und den Hofstaat der Kaiserin bereits im höchsten Grade überfüllt. Das zahllos aus der Umgegend herbeiströmende Volk lagerte zum großen Theile unter freiem Himmel, und eine Menge von Kähnen und Flößen, die auf dem Rheine schwammen und mit Fahnen und Wimpeln reich geschmückt waren, dienten zu Wohnungen und enthielten häusliche Einrichtungen.

Aber wenn die Unbequemlichkeit auch noch so groß war, Niemand wollte sich abhalten lassen, die ereignißreichen Tage mitzuerleben; Jeder hoffte sich des Anblicks und vielleicht der Ansprache des Kaisers und der Kaiserin zu erfreuen und die Erinnerungen an diese festliche Zeit mit nach Hause zu nehmen. Die Heerstraßen, welche nach der bischöflichen Residenz führten, waren überall belebter als je zuvor, und man konnte große Züge aus allen Himmelsgegenden sich dem gemeinsamen Zielpunkte nähern sehen. Vornehme Rittergeschlechter, die Herren auf stattlichen Rossen, die Damen ebenfalls zu Pferde oder in Sänften, ein stattliches Gefolge geharnischter Knechte und Maulthiere, mit Gepäck beladen, hinterher, zogen überall herbei. Ganze Züge von Handelsleuten mit ihren Waarenballen, Bauern mit Lebensmitteln und Schlachtthieren, alles beeilte sich, rechtzeitig in Mainz einzutreffen, um dort die Feierlichkeit des Ritterschlags, die darauf folgenden großen Turniere für die hohen Herrschaften und die Gaukelspiele und 345 Volksbelustigungen für die niederen Leute nicht zu versäumen. Auf vier Stunden im Umkreise zeigte sich ein buntes, bewegtes Treiben.

Die festliche Stimmung wurde dadurch nicht getrübt, daß bei dieser Gelegenheit auch manche traurige Entscheidung getroffen, manche schreckliche Strafe vollzogen werden sollte.

War doch das Volk daran gewöhnt, an solchen Tagen seine Schaulust nach den verschiedensten Seiten hin befriedigt zu sehen. Man betrachtete es sogar als selbstverständlich, daß auch die Executionen auf derartige Gelegenheiten verspart wurden, um die abschreckende Wirkung auf recht weite Kreise sich erstrecken zu lassen. Namentlich wurden die Gottesurtheile sowohl in hohen wie niederen Regionen mit großer Feierlichkeit ins Werk gesetzt. Man brachte oft aus weiter Ferne angeklagte Personen herbei, um sie vor einer großen Menge von Zuschauern zu richten. Wenn dann die Anwesenheit eines hohen geistlichen oder weltlichen Machthabers die Milderung des Urtheilspruches bewirkte, erhöhte dies im Volke den Begriff von der unumschränkten Machtvollkommenheit dieser erhabenen Persönlichkeiten.

Auch der junge Graf Rudolf von Habsburg schickte sich zur Reise nach Mainz an und hätte gern gesehen, wenn seine Mutter und Gisa dabei gewesen wären, denn auch die Familie von Hohenberg rüstete sich zum Aufbruche. Es war für die jugendlichen Theilnehmer an dem Feste, welche sich leichter über die Schwierigkeiten hinwegsetzten und die Freude mit volleren Zügen genossen, eine ungemein beglückende Aussicht, diese ereignißreichen Tage zusammen zu verleben. Aber die Gräfin von Habsburg konnte sich 346 zu der Reise nicht entschließen. Daß ihre beiden älteren Söhne kränklich waren, verleidete ihr die Lust an großen Festlichkeiten, so gerne sie ihren jüngeren Kindern die Freude daran gönnte.

Glücklicherweise zeigte sich ein Ausweg, der nicht nur eine ungemein geeignete Unterkunft für Gisa, sondern überdies Gelegenheit bot, in besonders günstiger Weise während des Festes den erhabenen Personen nahe zu kommen. Die Aebtissin von Rheinzell, unter deren Obhut Gisa erzogen worden, stand in vertraulichen Beziehungen zu der Aebtissin Hildegard von Bingen, die nicht nur als entfernte Verwandte des Kaisers, sondern auch durch persönliche Eigenschaften im höchsten Ansehen stand. Da Hildegard die Oberaufsicht über mehrere Klöster in der Umgegend von Mainz hatte, war kein Zweifel, daß sie die festlichen Tage daselbst zubringen werde. Sie hatte ihrer Freundin Botschaft nach Rheinzell gesandt und sie zu sich entboten. Da aber Gisa's Tante nicht selbst von dieser Einladung Gebrauch machen wollte, ließ sich die Sache derart einrichten, daß ihre Nichte die Gastfreundschaft der Aebtissin Hildegard von Bingen in Anspruch nahm und auf diese Weise über alle Bedenken hinwegkam.

Hildegard von Bingen genoß ein geradezu unerhörtes Ansehen unter allen Schichten der Bevölkerung des Rheinlandes, und der Ruf ihrer Heiligkeit war sogar bis nach Rom gedrungen. Wie bereits erwähnt, war sie aus Hohenstaufischem Geschlechte und hatte die geistige Begabung und den Schwung der Fantasie mit den meisten Gliedern dieses Hauses gemein. Da sie nicht unter ihrem Range vermählt werden sollte, war sie bereits in früher Jugend durch ein 347 Zusammentreffen zwingender Gründe zum Klosterleben bestimmt worden. Kaum hatte sie ihr Gelübde abgelegt und den Schleier empfangen, als ihr strebsamer Geist sich bemühte, dem neuen Berufe diejenige Seite abzugewinnen, welche ihrem regen Geiste Nahrung bot und ihre Fantasie beschäftigte. Sie gehörte zu jenen Frauennaturen, die seit uralten Zeiten in Deutschland besonders hochgehalten wurden, weil sie, mit besonderem Scharfblick begabt, den Zusammenhang der Dinge und Ereignisse häufig klarer durchschauen als Männer, die mitten in den Ereignissen stehen und daher weniger unbefangen über dieselben urtheilen können.

In Folge ihrer hohen Geburt wurde Hildegard frühzeitig zu der hervorragenden Stellung der Aebtissin berufen, und sie schwang sich außerdem durch ihre bedeutenden Geistesgaben bald zu allgemeiner Geltung empor.

Nachdem sie sich dann als eine der klügsten und einsichtsvollsten Frauen in verschiedenen Fällen bewährt hatte, wurde sie auch die einflußreichste Rathgeberin bei den ihr befreundeten geistlichen und weltlichen Machthabern, denn sie hatte durch fleißige Studien ihre Kenntnisse auf eine für die Zeit erstaunliche Höhe gebracht.

In späteren Jahren behielt sie nicht die volle Kraft ihrer Gesundheit und verfiel zuweilen in krankhaft erregte Zustände. Es stellten sich Visionen bei ihr ein, die sie völlig in den Ruf der Heiligkeit brachten und ihr Ansehen nach allen Seiten hin nur erhöhten. Bei ihrem gottgeweihten heiligen Lebenswandel war es natürlich, daß sie in ihren Visionen nur mit den gepriesensten Vorbildern christlicher Frömmigkeit, den Märtyrern und Heiligen der Kirche, zu verkehren glaubte, und ihre Aussprüche und 348 Rathschläge erhielten dadurch eine besondere Weihe und wurden für unfehlbare Offenbarungen gehalten. Jetzt rüstete sie sich zur Reise in die Bischofstadt.

Etwa eine halbe Stunde vor den Stadtthoren von Mainz befand sich das stattliche Frauenkloster Irmenborn, dem die Auszeichnung zugedacht war, der Aebtissin Hildegard von Bingen während der Anwesenheit des Kaisers zum Aufenthalt zu dienen. Es war bereits vorher bestimmt worden, der Kaiser werde seiner frommen Verwandtin einen Besuch machen, aber man konnte nicht erwarten, daß er darum die Reise bis Bingen ausdehnen werde.

Zum Besuche einer andern frommen Frau mußte der Kaiser sich allerdings auf die Reise begeben, aber diese war bereits gestorben und heilig gesprochen. Sobald der Reichstag vorüber war, wollte nämlich Friedrich mit seinem ganzen Gefolge nach Marburg aufbrechen, um daselbst der Leiche der heiligen Elisabeth besondere Ehren zu erweisen. Sowohl der lebenden Hildegard wie der todten Elisabeth gegenüber folgte er einer staatsklugen Eingebung, da er nicht nur der Kirche mit diesen Besuchen ein gewisses Entgegenkommen zeigte, sondern auch der in Deutschland tief wurzelnden Verehrung für kluge und edle Frauen Anerkennung zollte.

Nach einer sehr vergnügten und an wechselnden Eindrücken reichen Reise, die sie unter einem zahlreichen Troß von Rittern, Damen und Knechten zurückgelegt hatten, waren Rudolf von Habsburg und seine Schwester nach Mainz gekommen. Der junge Graf hatte Gisa sofort nach Bingen geleitet, wo sie von Hildegard mit aufrichtiger Herzlichkeit als Gast empfangen wurde.

349 Da die Aebtissin schon am folgenden Tage nach dem Kloster Irmenborn bei Mainz aufbrechen wollte, war es ihr ganz willkommen, die junge und schöne Gisa von Habsburg als Begleiterin mitzunehmen, denn sie wußte viel zu gut, daß es dem Kaiser angenehm sein würde, in ihrer Umgebung auch einige dem Auge wohlgefällige Erscheinungen zu finden.

Rudolf kehrte sofort nach Mainz zurück, und Gisa nahm nun eifrig an den Vorbereitungen Theil, welche im Kloster zu der Uebersiedelung nach dort getroffen wurden.

In der That gehörte der Zug, der am folgenden Tage die Aebtissin Hildegard von Bingen nach Mainz brachte, nicht zu den kleinsten und unansehnlichsten, welche in diesen Tagen auf den verschiedenen Heerstraßen sich dem ehrwürdigen Bischofsitze näherten. Ihrem Range entsprechend, wurde sie von einer Anzahl bewaffnete Knechte begleitet. Sie selbst, zwei Klosterfrauen und einige Schülerinnen aus vornehmen rheinländischen Geschlechtern, zu denen sich Gisa von Habsburg gesellt hatte, wurden in Sänften getragen, und einige Maulthiere, die das Gepäck trugen, folgten in dem Zuge. Daß derselbe nicht besonders schnell vorwärts kam, war selbstverständlich, und je näher man an das Ziel gelangte, um so mehr häuften sich die Hindernisse, denn die Menschen drängten sich aus der ganzen Umgegend auf der Landstraße zusammen.

Trotzdem mußte es auffallen, daß ganz in der Nähe des Klosters Irmenborn ein besonderer Zusammenfluß von Menschen am Ufer des Rheines sich gebildet hatte. Dort mußte irgend eine Ursache zur Ansammlung des Volkes sein. Man hörte nicht nur allerlei Ausrufe der Neugierde 350 und Verwunderung, vermischt mit Scherzreden und Hohnlachen, sondern man bemerkte auch beim Näherkommen, wie das Volk vom Ufer zurückgedrängt wurde, weil einige mit Lanzen bewaffnete Wächter den Raum frei halten wollten, auf welchem sich etwas zutrug, was offenbar einer Execution ähnlich sah.

Denn nicht nur erkannte man mehrere Gerichtspersonen, sondern es waren auch Mönche und Geistliche gegenwärtig, wodurch die Sache einen ernsten öffentlichen Charakter erhielt.

Nun waren derartige Dinge überhaupt und namentlich bei festlichen Veranlassungen durchaus nichts Seltenes, und die Aebtissin Hildegard würde in Betracht ihrer hohen Würde kaum darauf geachtet haben, aber die jungen Damen in ihrer Begleitung konnten ihre Neugierde nicht ganz unterdrücken und hätten gern gewußt, was da vorging.

Die Aebtissin wollte ihnen gefällig sein und ließ den Zug einen Augenblick halten. Sie schickte dann einen ihrer Leute nach der Stelle am Ufer, wo sich der auffallende Vorgang ereignete.

Bald kam der Bote mit der Nachricht zurück, es habe sich um eine Hexenprobe gehandelt; die Sache sei zwar zu Gunsten der Angeklagten ausgefallen, aber diese befinde sich in einem bejammernswerthen Zustande, und man habe eben davon gesprochen, einige Stärkungsmittel von den Klosterfrauen zu erbitten, um das halbtodte alte Weib ein wenig zu erquicken.

Kaum hatte Hildegard diesen Bericht gehört, als sie rasch das Zeichen gab, damit ihr Zug sich wieder in Bewegung setzte, denn es war in der That eine etwas 351 verdrießliche Begegnung, die ihr da zu Theil geworden war. Eine alte Unholdin, jedenfalls ein gemeines, widerwärtiges Weib hatte die Wasserprobe bestehen müssen, um von dem Verdachte der Zauberei gereinigt zu werden! Man steckte in solchem Falle die Angeklagte in eine Art Sack, an welchem Stricke befestigt waren, und warf sie an einer dazu ausersehenen Stelle in fließendes Wasser. Schwamm der Körper obenauf, so war der Verdacht bestätigt, ging die Angeklagte unter, so wurde sie an das Land gezogen und war freigesprochen. Das letztere war also hier der Fall gewesen und das Volk hatte, ohne zu wissen daß dem Kloster Irmenborn augenblicklich die Ehre des Besuchs der Aebtissin Hildegard bevorstand, den Gedanken gefaßt, das von Schrecken, Angst und der ausgestandenen Todesnoth in tiefe Ohnmacht gefallene Weib durch die Klosterfrauen erquicken zu lassen.

Als man bemerkte, daß sich ein stattlicher Zug nach dem Kloster bewegte, und nach und nach bekannt wurde, die hochangesehene Aebtissin Hildegard von Bingen mit ihrem Gefolge ziehe dort ein, nahm der derbe Volkshumor erst recht Veranlassung, die Hülfe des Klosters in Anspruch zu nehmen, und da das alte Weib noch immer bewegungslos in der sackartigen, triefenden Umhüllung steckte, beluden sich einige Männer mit ihr und schleppten sie bis zur Klosterpforte. Die obrigkeitlichen Personen hatten sich würdevoll bereits entfernt, und die Wächter und Lanzenknechte fanden keine Veranlassung, den Transport zu hindern, da man die Klöster allgemein als Stätten der Barmherzigkeit betrachtete.

So unangenehm die Sache für die Klosterfrauen war, 352 mußten sie sich doch dem Volkswillen fügen. Die alte Frau war durch die Wasserprobe von dem Verdachte gereinigt und man konnte ihr die Aufnahme nicht verweigern. In solchen Fällen gab es leicht stürmische Scenen. Man brachte also die Unglückliche in eine jener Räumlichkeiten, wohin man Kranke oder Verwundete zu legen pflegte, und während im Hofe die Maulthiere abgepackt und die hochangesehene Aebtissin Hildegard von Bingen mit ihren Begleiterinnen im Refectorium mit allerlei wohlzubereiteten Speisen bewirthet wurden, gelang es den Bemühungen einiger erbarmungsvollen Klosterfrauen, die unglückselige alte Frau, welche die Wasserprobe bestanden hatte, in das Leben zurückzurufen und sie vorläufig auf ein kärgliches Lager zu betten.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die fromme Hildegard dies Alles erfuhr, denn sie war kaum aus der Sänfte gestiegen, als der Volkshaufe mit dem alten Weibe anlangte.

Als kluge und energische Frau entschloß sie sich, dem unglücklichen Weibe ihren Schutz angedeihen zu lassen und auf diese Weise das peinliche Zusammentreffen zum Guten zu wenden. Denn obgleich ihrem fein organisirten Wesen die Rohheit der untern Volksschichten im höchsten Grade zuwider war, fühlte sie doch ein gewisses Mitleid und hielt es für nothwendig, christliche Barmherzigkeit zu üben, so wenig passend Zeit und Gelegenheit auch waren. Kaum hatte sie sich von den Strapazen der Reise erholt, als sie die Aebtissin des Klosters um genaue Auskunft über das Schicksal der alten, als Zauberin angeklagten Frau ersuchte.

Die Aebtissin zog Erkundigungen ein, und es stellte sich heraus, daß die Anklage gegen das alte Weib in engstem 353 Zusammenhange mit der wichtigsten Angelegenheit stand, welche auf dem Reichstage verhandelt werden sollte.

Die Anklage behauptete nämlich, die angebliche Zauberin könne ihre Gestalt völlig verwandeln und habe sich durch Anwendung selbst verfertigter Mittel das Ansehen einer wunderschönen Jungfrau verliehen, als welche sie dann auf der Burg Lupesch den König Heinrich in ihre Bande gelockt, mit ihren höllischen Künsten umstrickt und dem Willen derjenigen Partei, die ihn zur Empörung verlockt, geneigt gemacht habe. Sie sei eines Abends ergriffen worden, als sie eben im Begriffe war, sich die Kräuter zu ihren Zaubermitteln zu suchen, und man habe sie hierher gebracht, weil der Fall sehr verwickelt und unklar erschien und jedenfalls schon in Betracht der Beziehungen zu dem Könige dem Bischofe selbst vorgetragen werden mußte. Da aber das alte Weib gar nicht begreifen konnte, was man ihr eigentlich zur Last legte, auch durch ihre Aussagen ziemlich unzweifelhaft bewiesen wurde, daß es sich um eine Verwechslung handle, so hatte man es schließlich auf die Wasserprobe ankommen lassen. Da auch diese günstig ausgefallen war, ließ man die Sache fallen und das Gericht hatte sich nicht weiter um die Delinquentin bekümmert.

Diese wunderbare Mittheilung war natürlich geeignet, die Neugierde der geistvollen und mit den hohenstaufischen Familienverhältnissen genau vertrauten Hildegard zu reizen. Irgend etwas mußte doch der Anklage zu Grunde liegen. Sie verlangte das alte Weib zu sehen und begab sich in die armselige Kammer, um sich von der alten Frau selbst alle Umstände ihrer Gefangennehmung und der weiteren Procedur erzählen zu lassen.

354 Es war ein seltsames Bild, als die hochgewachsene heilige Aebtissin, mit allen Zeichen ihrer Würde angethan, in edler Haltung vor das Lager der alten Gunda trat, die zusammengekrümmt dort lag und mit ihren rothunterlaufenen Augen scheu und ängstlich in das zarte, mit eigenthümlicher Blässe überzogene Gesicht der fürstlichen Frau blickte.

Hildegard war verständig und einsichtsvoll genug, um schon nach kurzer Unterredung zu begreifen, daß es sich hier in der That um eine Verwechslung handle. Die thörichten Menschen wähnten, in der Großmutter die Enkelin gefangen zu haben. Hildegard selbst glaubte nicht, daß es Zaubermittel geben könne, welche einem alten häßlichen Weibe die Gestalt eines reizenden jungen Mädchens zu verleihen im Stande wären, aber sie zweifelte nicht an der Möglichkeit, daß die verführerischen Reize eines jungen Weibes durch allerlei Zaubertränke gehoben und unwiderstehlich gemacht würden. Da ihr Manches in den Geständnissen der Alten unklar blieb, forschte sie weiter und erfuhr nach und nach von den Tränken, welche Gunda für sich selbst in früherer Zeit gebraut hatte und deren Mangel derselben eine große Entbehrung war. Die schonende Art, mit welcher Hildegard ihre Fragen stellte, der milde Blick ihrer großen forschenden Augen wirkten derart auf Gunda, daß sie zum ersten Male seit langer Zeit mittheilsam wurde und das Bedürfniß fühlte, ihr Herz zu erleichtern.

Mit einem Male richtete sich Gunda auf ihrem Lager etwas in die Höhe, schaute aufmerksam in das blasse abgezehrte, aber noch immer die Spuren früherer Schönheit tragende Gesicht und sagte:

355 »Ihr seid wohl am Ende gar die heilige Frau, von der man mir erzählt hat, daß sie das Zukünftige durch Erzengel und heilige Märtyrer erfahre? Dann habt Ihr ja auch Verkehr mit Geistern und wißt, wie es dabei zugeht und wie dem Menschen zu Muthe ist, wenn ein Bewohner von Jenseits sich zu ihm gesellt.«

Hildegard fuhr entsetzt zurück. Ihr ganzes Wesen gerieth in Aufruhr. Das schreckliche Weib hatte die Frechheit, die scheußlichen Begegnungen, welche sie im berauschten Zustande mit höllischen Mächten gehabt, mit den heiligen Begegnungen zu vergleichen, deren sie selbst gewürdigt worden! Wenn auch nur der Gedanke eines Zusammenhangs möglich war, zerfiel ihre ganze Geltung, und ein finsterer Abgrund gähnte, wo sonst der Einblick in die Herrlichkeit des Himmels ihr gestattet war.

In höchster Entrüstung entgegnete sie:

»Wie, schamloses Weib, Du willst die verwerflichen Zusammenkünfte mit dem Fürsten der Hölle, zu denen Du Dich hergegeben hast, mit den erhabenen Erleuchtungen und den gnadenreichen Begegnungen, die mir zu Theil wurden, in Vergleich stellen? Aus dem schwarzen Qualm der Hölle ist der Satan Deiner Träume entstiegen, der sich Dir gesellt hat, während die heiligen Männer und Frauen, die sich mir nähern, aus lichten Wolken heranschweben, umgeben von seligen Engelschaaren.«

»Ist das zu verwundern?« erwiederte mit kicherndem Hohnlachen die alte Gunda, »Ihr seid eine hochgebietende, vornehme Frau und ich bin nur ein verachtetes, häßliches altes Weib. In unsere ärmlichen Hütten verirren sich die vornehmen Herrschaften des Himmels nicht; ein von Gott 356 und der Welt verlassenes Geschöpf, wie ich bin, kann höchstens einen armen Teufel aus der Hölle anlocken, denn die sind ausgestoßen und zu Qualen verdammt wie wir. Wäre ich von vornehmer Herkunft und eine kluge Frau, wie Ihr, wer weiß, ob nicht auch zu mir die himmlischen Herrschaften ihren Weg gefunden hätten.«

Solche lästerliche Redensarten länger anzuhören, war Hildegard außer Stande. Ihr ganzes Wesen empörte sich, und sie fürchtete ihre heilige Ruhe zu verlieren, wenn sie länger blieb. Rasch entfernte sie sich, und sie war im Zweifel, ob es nicht ihre Pflicht sei, die Geständnisse des abscheulichen alten Weibes zu einer neuen Anklage zu benutzen, auf welche hin jedenfalls die Todesstrafe erfolgt wäre.

Uebrigens war es für die fromme Aebtissin Hildegard ein günstiger Umstand, daß ihr die Vorbereitungen zum Empfange des Kaisers wenig Zeit zum Nachdenken ließen. Die außergewöhnlich hohe Ehre, welche dadurch auch dem Kloster Irmenborn zu Theil wurde, bewirkte selbstverständlich, daß der gefeierte Gast sich fast fortwährend wie in einem Weihrauchnebel von anbetender Verehrung befand. Schon wenige Stunden nach der Unterredung mit der unglücklichen alten Gunda hatte sie den Eindruck, welchen dieselbe hervorgerufen, im Drange der Ereignisse wieder vergessen.

Das Gewühl und der Lärm in der erzbischöflichen Stadt und der Umgegend hielten fast ununterbrochen Tag und Nacht an. Das Geläute der Glocken, die bald zu gottesdienstlichen Handlungen einluden, bald die öffentlichen Sitzungen des Reichstags ankündigten, dauerte fort und fort und bildete gleichsam abwechselnd die öffentlichen Signale 357 für Jedermann. Im Innern der kaiserlichen Pfalz und an den Turnierplätzen erschallten die Trompetenfanfaren, um den Beginn der Gastmähler und Ritterspiele zu verkündigen. Ueberall in den Straßen stand das Volk und gaffte und staunte die vorüberziehenden Aufzüge an. Bald war es ein Troß geharnischter Ritter im blanken Küraß, mit buntgestickter Schärpe, hoch zu Roß, neben ihnen die prachtvoll, in kostbare Stoffe gekleideten Frauen, das Barett auf dem stolzen Kopfe und große Schmuckstücke mit Edelsteinen und Perlen an Brust und Hals. Bald wieder durchzog eine fromme Brüderschaft die Straßen, um sich nach irgend einer Kirche zu begeben. Sie gingen paarweise in langen braunen oder schwarzen Kutten, die Hände gefaltet, mit fanatischen Blicken um sich her oder gleichgültig vor sich nieder blickend, immer aber ernst und wie abgewendet von allem Irdischen. Auch fromme Schwestern in der Nonnentracht, begleitet von ihren Schülerinnen, gingen paarweise, mit züchtig zur Erde gesenkten Blicken vorüber. Aber auch die Genossenschaften der städtischen Gewerke hatten sich zusammengethan, und man traf sie in größeren oder kleineren Versammlungen, in ihren Feiertagskleidern, überall auf den Straßen. Galt es einen großen allgemeinen Aufzug, so trugen die Handwerker, nach der Art ihrer Beschäftigung geordnet, ihre Fahnen und Embleme so gut, wie die geistlichen Genossenschaften ihre Fahnen und Heiligenbilder, und es war nicht schwer zu erkennen, daß sich die Vertreter der Zünfte und des Handelsstandes, im Gefühle ihrer Vorrechte als Bürger der Stadt, den Herren gleichachteten und kühnen und freien Blickes einherschritten.

358 Schon bei der Ankunft des kaiserlichen Paares hatte sich die Bürgerschaft hervorgethan. Die gesammte Geistlichkeit, Bischof Siegfried an der Spitze, war bis zum Weichbilde der Stadt dem erhabenen Gaste entgegen gezogen. An dem Thore aber erwarteten die angesehenen Bürger, ihren erwählten Meister an der Spitze, den kaiserlichen Zug.

Um die jugendliche Kaiserin zu begrüßen, waren zwanzig Töchter von Kaufleuten und Gewerbleuten ausgewählt worden, und Käthchen Walpoden, des reichsten Kaufherrn hübsche Tochter, überreichte einen frischen Blumenstrauß. Wohl blickten die edlen Frauen aus Isabella's Gefolge hochmüthig auf die reizenden und in schöne modische Gewänder gekleideten Bürgerkinder herab, aber die junge Kaiserin nickte dem schüchternen Mädchen freundlich zu, und der Kaiser redete absichtlich die liebliche Tochter des Kaufherrn Walpoden freundlich an und lobte laut und vernehmlich die Schönheit und Züchtigkeit der Bürgerinnen des goldenen Mainz.

In solchen Tagen drang selbstverständlich auch in die klösterlichen Zellen ein Hauch freieren Lebens, und namentlich konnte das Kloster Irmenborn unmöglich die strengen Regeln anderer Tage aufrecht erhalten. Der hohe Rang der Aebtissin Hildegard bewirkte schon ein fortwährendes Kommen und Gehen von vornehmen Besuchern geistlichen und weltlichen Standes. Dazu kamen die Botengänger, welche Nachrichten brachten und abholten. Auch die Schülerinnen, die sie mitgebracht hatte, waren ganz in derselben Lage wie Gisa von Habsburg; ihre Väter, Brüder und sonstige Verwandte befanden sich unter den Gästen in der Stadt und kamen nun, bald um die jungen Fräulein zu 359 besuchen, bald um dieselben zum Turniere, zum Bankett oder zum Tanze abzuholen, kurzum, wenn auch die frommen Schwestern des Klosters selbst so viel als möglich ihre gewohnte, streng geordnete Lebensweise innehielten, war doch im Uebrigen so viel Verkehr und Abwechslung, daß man sich leicht in eine große Herberge versetzt glauben könnte.

Ein Hauptgrund, weshalb Gisa sich unter den Schutz der Aebtissin Hildegard gestellt hatte, war ihr Verhältniß zu Ulrich von Rapperswil. Schon seit mehreren Jahren hatte dieser ihr eine treue, aber verschwiegene Neigung zugewendet. Gisa schwankte in der Wahl zwischen einer Verbindung mit ihm und dem Kloster. Sie war eine Natur ohne Leidenschaftlichkeit, aber von ernstem Gefühl und hatte bis jetzt in kluger Weise verstanden, die Erklärung des jungen Rapperswil zu verhindern. Dieser war der Meinung, daß sie überhaupt kalt und ohne Empfindung sei. Dies änderte sich, als er das Interesse bemerkte, welches sie an dem Boten des Königs nahm. Sie sendete diesem eine ganze Sammlung von Pergamenten und Bauplänen, die aus der Nachlassenschaft ihres Verwandten, Werner von Habsburg, des Begründers des Straßburger Münsters, stammten und im Besitze der Familie waren. Ein Gefühl der Eifersucht schlich in Ulrich's Seele und es ließ ihm keine Ruhe, bis er mit Gisa eine Unterredung gehabt und ihr seine Gedanken und Wünsche mitgetheilt hatte. Sie kannte dieselben längst. Ruhig entgegnete sie dem stattlichen und tapferen Grafen, daß sie ihm ihre Hand reichen und ihm eine pflichtgetreue Hausfrau sein werde, wenn er ihr beistehen wolle, den talentvollen Heinrich von Sunnera aus den Gefahren zu retten, 360 in welchen derselbe sich befand. Ulrich gelobte es und betrachtete sich seitdem heimlich als Gisa's Bräutigam.

Die Geschäfte des Reichstages schritten inzwischen ruhig fort, und es verging kein Tag, an welchem nicht irgend eine wichtige Frage erledigt wurde. Außer dem Kaiser und den Reichsfürsten waren auch die höchsten geistlichen Würdenträger versammelt, und es wurden nicht nur politische Fragen verhandelt, sondern auch Pläne zu großen Unternehmungen nach allen Richtungen des öffentlichen Lebens hin durchgesprochen.

Auch war es natürlich, daß die einzelnen großen Rittergeschlechter aus verschiedenen deutschen Gauen sich aus allerlei Gründen näher zu treten suchten und die Gelegenheit ergriffen, um bald diese, bald jene Frage ihrer Erledigung entgegenzuführen.

Zu den Gästen aus dem Thüringerlande gehörte der Herr Biso von Buchenstein und seine Familie, sowie der Junker Dietmar von Kalmburg. Der stattliche Junker mit den kühnen und doch treuherzigen blauen Augen erregte trotz seiner etwas widerspänstigen blonden Haare überall Aufsehen, aber weniger seiner selbst willen, sondern weil er sich fast nur in Gesellschaft von zwei auffallend schönen jungen Frauen zeigte. Man scherzte viel darüber und erinnerte an seinen Landsmann, den Grafen von Gleichen, der zwei Gemahlinnen hatte. Der gute Dietmar war aber nach Mainz gekommen, um sich den Ritterschlag zu holen und dann die einzige Jungfrau heimzuführen, die sein Herz besaß. Bald wußte man denn auch, daß die eine der Frauen die Tochter des Herrn von Buchenstein und Braut des jungen Kalmburg sei, aber über die andere herrschten 361 mancherlei Zweifel, denn die anfängliche Annahme, sie sei die Schwester des Bräutigams, wurde trotz einiger Aehnlichkeit nicht bestätigt, und dafür verbreiteten sich mancherlei Gerüchte, welche der jungen Begleiterin des Kalmburgers die seltsamsten Lebensschicksale andichteten. Böse Zungen hat es zu allen Zeiten gegeben und sie haben es stets verstanden, aus dem geringfügigsten Stoff ein ganzes Gewebe von Lügen und Verleumdungen herzustellen, was Wunder, daß man die berückende Schönheit der fremden Jungfrau mit Neid betrachtete und bald die abenteuerlichsten Gerüchte über sie verbreitete. Von Zauberei mußte natürlich dabei die Rede sein, denn dies war das gebräuchlichste Mittel, eine auffallende Schönheit in üblen Ruf zu bringen. Es bedurfte nur noch der Andeutung irgend eines Menschen von zweifelhafter Herkunft, der sich unter den unehrlichen Spielleuten und Gauklern umher trieb und überall zu Hause war, wo es etwas zu verdienen gab, um die räthselhafte Schönheit in Verbindung mit König Heinrich's üppigem Hofe zu bringen. So schwirrten die Gerüchte in der Luft, und es konnte nicht ausbleiben, daß unter den vornehmen Frauen die auffallende Erscheinung stets mit einem Gemisch von Bewunderung und scheuer Zurückhaltung betrachtet wurde, während lebhaftes Flüstern in ihrer Nähe umherging.

Dietmar von Kalmburg war längst entschlossen gewesen, den Reichstag zu besuchen, um sich vom Kaiser den Ritterschlag zu erbitten, der ihm schon in Rücksicht darauf, daß sein Vater und seine Brüder im Heere des Kaisers zu Grunde gegangen und er der einzig Ueberlebende war, nicht verweigert werden konnte. Der Herr von Wendelstein und der Graf von Northeim hatten die Kunde schon vor längerer 362 Zeit gebracht. Dietmar's zweiter Bruder war im Kampfe geblieben und sein Vater von einer Seuche dahin gerafft worden. Die Ankunft des getreuen Konrad und der verzweiflungsvollen Wulfhilde befestigte den Entschluß. Denn Dietmar war ganz der Alte geblieben und hielt es für seine höchste Pflicht, dem Jugendfreunde, dem er Blutsbrüderschaft geschworen hatte, zu Hülfe zu eilen. In seinem rasch entschlossenen Geiste war der Plan aufgetaucht, die Gnade des Kaisers für Heinrich zu erbitten, und er hielt die Gelegenheit in Mainz für sehr günstig, da der Kaiser ihm jedenfalls gern sein besonderes Wohlwollen beweisen werde.

Selbstverständlich hatte Dietmar seinem zukünftigen Schwiegervater, dem Herrn von Buchenstein, erzählt, welche Gäste auf der Kalmburg angelangt seien. Biso wollte dieselben selbst sprechen, denn er erinnerte sich gern Heinrich's von Sunnera und hoffte überdies, durch Konrad etwas von dem gänzlich verschollenen Spielmann Guntram zu erfahren.

Andern Morgens ritt Dietmar hinüber nach der Buchensteiner Burg, und Nachmittags folgten zu Fuße Konrad und Wulfhilde. Konrad berichtete nochmals Alles, was er wußte. Da ihn Herr Biso nach Guntram fragte, erzählte er auch, wie jammervoll der lustige Sänger zu Tode gekommen war. Dietmar und sein zukünftiger Schwiegervater geriethen in nicht geringe Wuth, als sie erfuhren, daß der schändliche Udo von Brachfeld dem harmlosen Spielmann das Lebenslicht ausgeblasen habe. Sie faßten gemeinschaftlich den Entschluß, dem gewissenlosen Ritter gelegentlich jene That einzutränken. Vorläufig waren allerdings dringlichere Angelegenheiten zu erledigen.

Biso von Buchenstein hatte vom ersten Augenblicke an 363 die schöne Wulfhilde mit forschenden Blicken betrachtet. Durch die Kleidung und die ganz veränderte Haltung war das Aussehen des Mädchens vornehmer als früher, und der erste Blick in ihr Gesicht rief in Biso's Gedächtniß die Erinnerung an die unglückliche Jutta von Kalmburg wach.

Als Jutta entflohen war, hatten sich die Freunde der Familie lange Zeit fern gehalten. Dietmar's Vater, der damals bereits längst verheirathet war, lebte zu jener Zeit auf der Burg Ellenach, die seitdem in fremde Hände übergegangen war. Inzwischen war es durch Todesfälle und Wechsel der Verhältnisse dahin gekommen, daß außer Biso kaum Jemand in der Umgegend sich jenes Vorfalls mehr erinnerte. Aber Biso hatte Jutta sehr gut gekannt, und er vermuthete sofort, daß Wulfhilde deren Kind sei. Er sagte zwar nichts, aber auf seinen Wunsch bot Frau Marianne dem Mädchen an, auf der Burg Buchenstein zu bleiben und Mechthilde Gesellschaft zu leisten.

In Wulfhildens Herzen ging eine große Wandlung vor, sobald sich Dietmar dahin erklärt hatte, daß er den Freund mit dem Aufgebot aller Kraft retten wolle. Die gehobene Stimmung, in welcher das tapfere junge Weib sich bisher befunden und mit deren Hülfe sie alle Strapazen überwunden hatte, machte einer großen Niedergeschlagenheit Platz, da sie nun nichts mehr für Heinrich wirken konnte. Am liebsten wäre sie in die Hütte der Großmutter zurückgekehrt, aber die Hütte war leer und Niemand wußte etwas von der alten Frau. Dieser Umstand gab Wulfhilde einen neuen Zweck. Sie mußte das Schicksal Gunda's erforschen. Sie ging daher auf den Vorschlag des Buchensteiners ein, nachdem ihr Dietmar's Plan mitgetheilt worden und sie 364 die Gewißheit hatte, Mechthilde nach Mainz begleiten zu dürfen. Frau Kunigunde von Kalmburg mußte zurückbleiben, da die Trauer um Mann und Sohn und der Hinblick auf die Geldverhältnisse ihr Zurückhaltung geboten.

Nach und nach hatte sich ein ziemlich vertrauliches Verhältniß zwischen Mechthilde und Wulfhilde herausgebildet. Namentlich während der Reise theilte Wulfhilde ihrer neuen Gönnerin alle ihre Erlebnisse mit. Mechthilde würde vielleicht an manchen Einzelheiten dieses Bekenntnisses Anstoß genommen haben, hätte nicht ein besonderer Umstand ihr die Gewähr für Wulfhildens Herzensreinheit geliefert. Es blieb der feiner empfindenden Jungfrau nämlich kein Geheimniß, daß Wulfhildens ganzes Empfinden in der treuen und selbstlosen Liebe zu Heinrich aufging. Wulfhilde knüpfte selbst an diese Empfindung niemals irgend eine Hoffnung für sich. So einfach Mechthilde in ihrem ganzen Wesen auch war, und obgleich sie bereits in die Fußtapfen ihrer hausmütterlichen Schwiegermutter trat, fühlte sie doch instinctiv, daß nur eine reine, jungfräuliche Seele so unbewußt in der Liebe zu einem Manne aufgehen konnte, wie dies bei Wulfhilde der Fall war, und sie glaubte ihr daher Alles, was sie in Bezug auf ihre Erlebnisse auf Burg Lupesch erzählte.

Es konnte nicht ausbleiben, daß Dietmar in Mainz bald Kenntniß von der Anwesenheit der schwäbischen Ritter erhielt. Durch Konrad erfuhr er, daß die Grafen Habsburg und Rapperswil, also gerade diejenigen, in deren Händen das Schicksal seines Freundes lag, sich in der Bischofstadt befanden. Dietmar war ganz in der Stimmung, mit rücksichtsloser Kühnheit von den genannten Herren 365 Auskunft über das Verbleiben seines Freundes zu fordern, aber seine Begleiterinnen machten ihn auf die Gefährlichkeit eines solchen Unternehmens aufmerksam, indem sie namentlich darauf hinwiesen, daß sein Freund Heinrich eben doch unter allen Umständen im Dienste des Königs gegen den Kaiser gestanden habe, und nur durch die Gnade des letzteren dem Verderben entgehen könne. Dietmar sah ein, daß die Sache nach allen Seiten hin mit der größten Vorsicht behandelt werden mußte und daß nur ein einheitliches Zusammenwirken zu einem erwünschten Ziele führen konnte. Er hielt sich daher zurück und beschloß, nichts zu übereilen. War doch ohnehin Zeit genug. Die Ceremonie des Ritterschlags sollte an mehr als hundert Rittern, und zwar erst bei der Rückkehr des Kaisers von Marburg vor sich gehen.

Vorsichtig wurde zuerst Konrad auf Kundschaft ausgeschickt. Dieser wußte es einzurichten, daß der junge Graf von Habsburg ihn bemerkte. In seiner leutseligen Art sprach derselbe mit ihm über seinen Herrn, von dem er ihm erzählte, daß er nirgends sicherer als auf der Burg Rapperswil sein könne, wo er sich mit gelehrten Arbeiten und kunstvollen Entwürfen zu großartigen Bauwerken beschäftige, auch solle er daselbst bleiben, bis alle Gefahr vorüber sei und er unbesorgt wieder in Freiheit gesetzt werden könne. Dietmar sah nun weiter keinen Grund, sich dem Grafen von Habsburg nicht freundschaftlich zu nähern, und in seiner gutmüthigen Art übersprang er alle Bedenklichkeiten und schloß sich den schwäbischen Rittern mit aufrichtiger Herzlichkeit an. Seine gute Meinung steigerte sich zur wärmsten Freundschaft, als er erfuhr, in welcher Weise die drei jungen schwäbischen Grafen für die Sicherheit 366 Heinrich's gesorgt hatten, und daß letzterer dem Grafen von Rapperswil sogar die Entwürfe und Zeichnungen mitgetheilt habe, die er in der Gefangenschaft angefertigt. Mit Bewunderung sprach der Graf von dem großartigen Plan zu einem Münsterbau, den ihm Heinrich anvertraut habe. Dietmar überlegte nun mit ihnen, auf welche Weise die Gnade des Kaisers zu erringen sei.

Der junge Graf von Habsburg hatte Gelegenheit gehabt, auch den Burgherrn von Buchenstein und dessen Damen zu begrüßen, und Mechthilde war bald darauf mit den Damen, welche in Begleitung des Ritters von Hohenberg angelangt waren, gleichfalls freundschaftlich bekannt geworden. Auch hatte sie die liebliche Gisa kennen gelernt und sich von dieser erzählen lassen, in welchem Verhältnisse sie zu der berühmten Aebtissin Hildegard stehe und wie sie mit dieser in das Kloster Irmenborn gekommen war. Ein Wort gab das andere. Gisa erzählte auch von dem seltsamen Zusammentreffen, welches bei ihrem Einzuge in das Kloster stattgefunden hatte, und berichtete, daß die alte unglückliche Frau, die dem Verdachte der Zauberei zum Opfer gefallen war, und von der man angenommen hatte, sie habe den König Heinrich in ihre Schlinge gelockt, zum heimlichen Grauen der jungen Schülerinnen noch immer sich im Kloster befinde und dort wahrscheinlich sterben werde, da sie lebensgefährlich erkrankt sei und deshalb nicht fortgeschafft werden könne.

Die jungen Damen unterhielten sich über diesen Gegenstand ohne irgend welche Nebengedanken, und sie bemerkten daher nicht, wie die schöne Begleiterin der Jungfrau Mechthilde mit höchster Spannung zugehört hatte und durch 367 die Blässe ihrer Gesichtsfarbe, die weitgeöffneten Augen und bebenden Lippen die innere Erregung kundthat, welche sich ihrer bemächtigt hatte. Diesen einzigen Umstand hatte sie ihrer neuen Gönnerin verschwiegen, daß die Großmutter an ihrer Stelle gefangen genommen und, wie sie von Konrad erfahren hatte, durch den thörichten Abt von Heiligenbaum an das Bisthum Mainz abgeliefert worden war. Sie hatte in der That das Schicksal der unglücklichen alten Frau vor den Bemühungen um Heinrich's Rettung fast vergessen und wurde nun erst an diese schwere Sünde gemahnt.

Wulfhilde konnte sich nicht zurückhalten. Sie bat ihre Herrin dringend um kurzes Gehör, und als Mechthilde mit ihr zur Seite getreten war, vermochte sie die Thränen nicht zu bezwingen und erklärte ihr mit schluchzender Stimme, die alte unglückliche Frau sei wahrscheinlich ihre Großmutter.

Diese Eröffnung konnte Mechthilde unmöglich angenehm berühren, aber ihr mildes Herz veranlaßte sie, nach einem Ausweg zu suchen, und sie gestattete daher vor allen Dingen, daß Wulfhilde sich zurückziehen und ihren strömenden Thränen freien Lauf lassen konnte. Dann wendete sich Mechthilde zu Gisa von Habsburg, theilte ihr rasch den Sachverhalt mit und bat sie um ihre Vermittelung in der unerfreulichen Angelegenheit.

Sie erwähnte dabei der treuen Aufopferung, welche Wulfhilde dem gefangenen Heinrich gegenüber bewiesen hatte, und unwillkürlich steigerte sie dadurch die Theilnahme der Habsburgerin aufs Höchste. Die sonst so kühle und hellblickende Gisa vergaß alle Bedenken und erbot sich, die Vermittlerin zu machen, damit Wulfhilde in der 368 Krankenzelle des Klosters ihre Großmutter sehen und sprechen könne. Wulfhilde solle sich nur an sie wenden, sie werde die Begegnung in das Werk setzen.

Am folgenden Tage geschah Alles, wie Gisa sich ausgedacht hatte, und Wulfhilde begab sich zu ihr.

Wohl blieb mancher der vorübergehenden Männer stehen, und selbst viele Frauen blickten bewundernd der schönen Erscheinung nach, als Wulfhilde durch die Straßen der Stadt Mainz und zum Thore hinausschritt, um zu der jungen Gräfin von Habsburg zu gelangen. Sie ahnte nicht, daß bereits viele Menschen in der Stadt sich die seltsamen Gerüchte über ihre Vergangenheit zugeflüstert hatten, und sie war so erfüllt von dem Zwecke ihres Ganges, daß sie auf nichts um sich her achtete. So wurde sie auch die spöttischen und zuweilen ingrimmigen Mienen nicht gewahr, welche hier und da bei ihrem Anblick auftauchten. Zu wörtlicher oder thätiger Ungebühr wagte Niemand zu schreiten, denn der schweigend neben ihr gehende Konrad, der mit gewichtigen Schritten und bärbeißiger Miene an ihrer Seite blieb, bis sie an das Thor des Klosters Irmenborn kam, schreckte jede dreiste Annäherung zurück.

Seitdem er erfahren, daß die alte Gunda die Wasserprobe glücklich bestanden hatte, war er in seinem Innern völlig überzeugt, Alles, was die schöne Wulfhilde und Herr Heinrich ihm erzählt hatten, habe seine directe Bestätigung durch den Himmel selbst erhalten. Darum postirte er sich nun auch mit noch viel wichtigerem Gesichtsausdrucke als sonst ganz in die Nähe der Klosterpforte, um Wulfhilde wieder sicher zurück zu geleiten, und er würde von seinem 369 Posten nicht gewichen sein, wenn auch die ganze Welt gegen ihn herangezogen wäre.

In der That waren es aber auch lange Stunden der Erwartung, die der treue Wächter dort verbringen mußte, und in dieser Zeit ereigneten sich in dem stillen Kloster merkwürdige Dinge, welche für die Betheiligten von großer Wichtigkeit waren. Gräfin Gisa von Habsburg hatte die aufrichtigste Theilnahme für Wulfhildens Geschick und würde auch ohne das, was sie noch erfahren sollte, Alles aufgeboten haben, um dieselbe mit Heinrich zu versöhnen. Ihre entschlossene Natur hegte für den talentvollen Kunstjünger jene aufrichtige Freundschaft, wie sie im Herzen edler Frauen in nicht seltenen Fallen wohnt. Die Ueberzeugung, daß sie selbst Heinrich's Liebe nicht erwiedern könne und dürfe, erfüllte sie mit so tiefem und schmerzlichem Mitleid, daß sie entschlossen war, Alles aufzubieten, was in ihren Kräften stand, um sein Glück auf anderem Wege zu begründen. Die Andeutungen, welche ihr durch Mechthilde zu Theil geworden waren, genügten vollkommen, um die Hoffnung bei ihr zu erwecken, daß sie doch noch Frieden und Glück für Heinrich herbeiführen könne.

Sie empfing das junge Mädchen mit der liebenswürdigsten Freundlichkeit und hatte sich bereits durch Hildegard bei der Aebtissin des Klosters die Erlaubniß erwirken lassen, Wulfhilde an das Lager der kranken Gunda führen zu dürfen.

Letztere war von Tag zu Tag schwächer geworden und hatte nur noch selten lichte Augenblicke. Ihr Körper war längst durch den Gebrauch der starken Betäubungsmittel derart entkräftet, daß die letzten Erlebnisse und namentlich 370 die Wirkung der Wasserprobe den Rest von Lebenskraft aufgezehrt hatten. So verbrachte sie die Stunden in bewußtlosem Zustande und fand nur in vereinzelten Momenten die Besinnung wieder.

Es war ein ergreifender Augenblick, als Wulfhilde an das Lager der Kranken trat. Oft ist es in solchen Fällen weniger das Gefühl der persönlichen Theilnahme, als vielmehr die Rückerinnerung an bittere und schmerzliche Erlebnisse, was das Menschenherz in seinen tiefsten Empfindungen aufwühlt. So geschah es mit Wulfhilde. Eine Menge heftiger und gewaltsamer Gefühle bestürmten sie, als sie die alte Pflegerin ihrer Kindheit auf dem Todeslager erblickte.

Laut schluchzend und das von Thränen überströmte Gesicht in den Händen verbergend, sank sie an der Seite Gunda's zu Boden. Diese vernahm die schmerzlichen Laute und wurde einen Augenblick durch dieselben aus ihrer Betäubung gerissen. Ueberrascht wendete sie den Kopf zu Wulfhilde, und es war offenbar, daß beim Anblick der bekannten Gestalt nach und nach ihr Gedächtniß zurückkehrte. Die kärgliche Lebensflamme, welche vielleicht noch Tage lang von Zeit zu Zeit leise aufgeflackert wäre, sammelte sich nun auf einmal zum hellen Schein und belebte die dämmernde Seele zum letzten klaren Blick in Vergangenheit und Gegenwart. Und wie es in gleichem Fall fast immer zu geschehen pflegt, grübelte sie nicht weiter darüber nach, wie das Alles zusammenhänge und auf welche Weise Wulfhilde in ihre Nähe gekommen sei; sie erkannte nur das vertraute, langentbehrte Gesicht und ergriff den Augenblick, um die Jahre lang verschlossen gehaltenen 371 Geheimnisse ihrer Brust zu enthüllen und ihre belastete Seele zu erleichtern.

»Du bist hier?« sagte sie, und nachdem ihre kranken Augen die Züge des Mädchens genau geprüft hatten, fuhr sie fort: »Es ist gut, daß Du da bist, denn sonst hätte ich Alles, was ich weiß, mit mir genommen und kein Mensch würde jemals eine Ahnung davon haben, was ich Dir nun anvertrauen will.«

Sie bemerkte die Anwesenheit der stumm dastehenden Gisa, deren Gemüth von dem Vorgang zwar ergriffen, aber doch vom Anblick der alten Frau angewidert war, die aber keineswegs ahnte, von welcher Wichtigkeit die Geständnisse des alten und kranken Weibes für Wulfhilde sein konnten. Denn außer Heinrich wußte Niemand vorläufig etwas Genaueres über den Zusammenhang zwischen Wulfhildens Geburt und der Familiengeschichte des Hauses Kalmburg.

Mit schwacher Stimme und zuweilen unterbrochen durch Anfälle von Ohnmacht, denen Wulfhilde und die junge Gräfin mit Unterstützung und allerlei Stärkungsmittel zu Hülfe zu kommen suchten, theilte die Sterbende der lauschenden Wulfhilde nun die Geschichte ihrer Herkunft mit.

»Die Pergamentblätter,« sagte sie, »welche von Deiner Mutter herrühren – Du kennst sie und hast sie gewiß gut verwahrt – enthalten die Bestätigung Deiner nahen Verwandtschaft mit den Kalmburgern. Du kannst davon Gebrauch machen, wenn Du willst. Ich habe die Geschichte geheim gehalten, weil wir armen Leute nie wissen, ob es in solchem Falle an Hals und Kragen geht. Hätte ich gewußt, daß die Frau sterben würde, so wäre ihr meine 372 Thüre verschlossen geblieben, aber ich hoffte auf reichlichen Gewinn und bin am Ende auch gut belohnt worden. Der Bruder Eckbrecht, der im Walde wohnt, wird das Uebrige erzählen können; ich bin dazu nicht mehr im Stande.«

Nachdem die Alte so viel geredet hatte, sank sie zurück, und die Kräfte schienen sie wieder völlig zu verlassen. Nur noch undeutlich murmelte sie vor sich hin:

»Die Geister des Windes und der Berge sind verachtet, seitdem der große Gott mit seinen Heiligen an ihre Stelle getreten. Wer verachtet ist, hält zu den Verachteten. Wäre ich ein Weib von hoher Geburt, so hätte mich wohl auch einer der neuen Götter belehrt, und die Wunder, die man als arge Zauberei verschrieen, hätten mir Ehre und Ansehen gebracht. Aber so geht es, wenn man vom Volke stammt und nichts weiter von der Welt weiß, als was sich von Mund zu Mund forterbt.«

Nachdem sie diese Reden in abgebrochenen Sätzen halb stammelnd hervorgestoßen hatte, athmete sie noch einmal tief auf und schwieg dann gänzlich still.

Wulfhilde stieß einen Schrei aus, denn sie fürchtete, der Tod sei eingetreten. Ein unbesiegliches Grauen packte die beiden jungen Wesen, und sie eilten hinaus, um Hülfe zu holen. Zwei Nonnen, die in der Krankenpflege bewandert waren, kamen an das Bett der Sterbenden, die nicht mehr zum Bewußtsein kam und nur noch eine Weile leise athmete. Unter den Gebeten der frommen Schwestern hauchte sie endlich ihren letzten Athemzug aus. Als dies geschah, befand sich Wulfhilde bereits oben in einer freundlich eingerichteten Zelle an der Seite Gisa's, welche liebreich bemüht war, dem tief erschütterten Mädchen Trost einzusprechen.

373 Frauen haben in Bezug auf die Beurtheilung anderer Frauen einen instinctiven Scharfblick, der sie selten täuscht. So erkannte auch Gisa, daß Wulfhilde im Grunde ihres Herzens unverdorben und feinfühlend war. Namentlich war dies an der Art und Weise zu bemerken, wie sie sich nun dem Schmerze über ihre gänzliche Verlassenheit hingab. Es war darin weder Verstellung noch Uebertreibung, denn sie täuschte sich durchaus nicht über den geringen Grad von Liebe, der zwischen ihr und der Großmutter geherrscht hatte. Es war nicht nur der Tod der alten Gunda, was dieses Gefühl der Vereinsamung in ihr hervorrief, sondern auch der Gedanke, daß Heinrich's Schicksal nun in weit besseren Händen liege als in den ihrigen, und daß sie gar nichts weiter für ihn thun könne.

Das Geheimniß, welches die sterbende Großmutter ihr anvertraut hatte, schien ihr nicht besonders wichtig, denn was kümmerte sie Herkunft und Familie, wenn sie dem entsagen sollte, was bisher ihr Leben ausfüllte. Sie versank in tiefe Traurigkeit, und Gisa wurde von aufrichtigem Mitgefühl durchdrungen.

»Wozu bin ich noch auf der Welt?« klagte Wulfhilde. »Ohne Angehörige und ohne Zweck stehe ich da, verachtet von denen, an deren Meinung mir am meisten gelegen ist, und mit Recht zurückgestoßen, wo ich mich anschließen möchte. Ich bin unwürdig der Freundschaft, die Ihr, edle Gräfin, mir erweist, denn ich habe durch Leichtsinn den Glauben an meine Tugend verscherzt. O, läge ich doch an Stelle der Großmutter todt unten in der Zelle! Für mich giebt es keine Liebe und keine Hoffnung, und ich bin das überflüssigste Geschöpf auf Gottes weiter Erde.«

374 Nach diesen Worten überfluthete ein Strom von Thränen Wulfhildens schönes Gesicht. Mit mildem Worte suchte Gisa das tiefbetrübte Mädchen zu beruhigen.

»Weshalb willst Du verzweifeln,« sagte sie, »da noch Alles gut werden kann? Laß uns nur sorgen, daß Heinrich's Angelegenheit durch des Kaisers Gnade geordnet wird, und Du wirst Dir dann nicht mehr so überflüssig vorkommen wie jetzt.«

»Ueberflüssiger noch,« jammerte Wulfhilde, »denn bisher war es mein Glück und mein Stolz, für ihn wirken und an ihn denken zu können. Wenn Ihr Euch seiner annehmt, wird er in Ehre und Ansehn leben, dann bleibt für mich nichts mehr zu thun übrig, und ich weiß nicht, wofür ich dann noch leben soll.«

»Liebes, thörichtes Kind!« versetzte Gisa. »Wofür Du leben sollst? Für ihn sollst Du leben, ihn lieben, beglücken und selbst glücklich werden als sein Weib vor Gott und den Menschen.«

Wulfhilde saß, in ihren Jammer versunken, den Kopf vorgebeugt, ein Bild des tiefsten Kummers. Sobald Gisa diese Worte gesprochen hatte, sprang sie empor, als wolle sie einer drohenden Gefahr entfliehen. Sie starrte die Sprecherin zuerst mit sprachloser Verwunderung an, dann bewegten sich ihre Lippen, als ob sie lebhaft etwas erwiedern wolle, aber sie fand den Ton nicht und die Worte blieben ungesprochen. Dann überfiel sie ein heftiges Zittern, und endlich brachte sie mühsam mit flehendem Ton die Worte hervor:

»O, redet nicht so, habt Erbarmen mit mir, Ihr wißt nicht, wie gewaltig Eure Worte mein Herz bestürmen. Laßt 375 mich in das Elend zurückkehren, aus dem die Liebe zu ihm mich zuerst emporzog. Es giebt für mich keine Hoffnung, und wenn ich solche hegte, würde die Täuschung mich tödten.«

Gisa ergriff die Hand des zitternden Mädchens.

»Sei doch besonnen,« sagte sie, »und laß uns ruhig die Dinge besprechen. Weshalb willst Du Deinem Glücke entfliehen? Weshalb willst Du nicht sein Weib werden, da Du ihn doch liebst?«

»Niemals habe ich früher daran gedacht, daß ich in ihm den Mann lieben und sein Weib werden könne,« versetzte Wulfhilde, »aber Eure Worte haben mich aufgeklärt, und ich weiß jetzt, daß es so ist, wie Ihr sagt. Ja, ich liebe ihn, habe ihn geliebt von dem ersten Augenblicke an, als er sich hülfreich zu mir herabneigte und mich zu sich auf sein Pferd hob. Ich wußte es nicht, was meine Gedanken zu ihm zog, was mich zwang, ihm zu folgen und ihm zu gehorchen und zu vertrauen. Und als ich fürchtete, ihn niemals wiederzusehen, war es mir gleichgültig, was mit mir geschah. Ich suchte mich zu betäuben und den Jammer meines Herzens zu ersticken, indem ich die Huldigungen des Königs anhörte und mich den rauschenden Belustigungen auf der Burg Lupesch in die Arme warf. Aber ich konnte ihn doch nicht vergessen, und kein anderer Mann würde mein Herz und meine Liebe errungen haben. Ich duldete des Königs Werben, weil er gutmüthig war und nicht stürmisch und gewaltsam forderte, was ich ihm versagen mußte. Aber als ich den Mann wiedersah, dem mein Herz gehörte, war Alles in mir umgewandelt. Wie früher beherrschte mich nur noch der eine Gedanke, ihm zu folgen, ihn zu ehren und ihm zu dienen. Daß ich ihn liebte, 376 wußte ich damals noch gar nicht, und niemals war mir der Gedanke gekommen, daß er mich seiner Liebe werth achten könne.«

»Aber nun weißt Du, daß Du ihn liebst,« entgegnete Gisa gerührt, indem ihre Stimme unmerklich bebte, »und nun soll Alles zum guten Ende kommen und Du sollst glücklich werden, wie Dein Herz es ersehnt.«

»Aber er verachtet mich ja!« rief plötzlich Wulfhilde aus, und es klang wie der Schmerzensschrei einer tief leidenden Seele. »Er hält mich für eine Verworfene, für die Buhlerin des Königs! Er hat sich von mir abgewendet und mich von sich gestoßen. Niemals wird sein Blick wieder freundlich auf mir ruhen, und ich bin eine Verworfene, so lange er mich verwirft. Redet mir nicht von Glück, nicht von Liebe, so lange ich in seinen Augen nicht gerechtfertigt bin.«

»Das wirst Du,« sagte Gisa mit ernsthaftem Nachdruck, »ich werde ihm für Dein Herz und Deine Tugend Bürgschaft leisten, und mir wird er glauben. Aber gehe jetzt,« setzte sie hinzu, indem sie ein Tüchlein hervorzog und damit die Thränen von Wulfhildens Wangen trocknete, »vertraue auf mich und meine Fürsorge. Wenn mich nicht Alles trügt, ist der Tod der alten Frau, die sich Deine Großmutter nannte, für Dich der Schlüssel zu dem Himmel des schönsten irdischen Glückes.«

Damit drückte die edle Jungfrau einen Kuß auf Wulfhildens Stirne und geleitete das tiefbewegte Mädchen an den Ausgang des Klosters, ihr zum Abschied die Zusicherung gebend, daß sie Alles aufbieten werde, um ihre Trauer für immer zu verscheuchen.

Draußen wartete der treue Konrad. Er näherte sich 377 der ihm zum Schutze anvertrauten Wulfhilde, und da er sah, daß ihr Gesicht vom Weinen geröthet war, glaubte er, Gunda's Tod sei die Ursache ihrer Thränen. Er beruhigte sich mit der Ueberzeugung, daß die Seele der alten Frau durch die Gebete der frommen Klosterfrauen in den Himmel befördert worden sei. Darum richtete er weiter keine Frage an die betrübte Wulfhilde, da er sich auf Trost in solchen Fällen doch schlecht verstanden hätte. Noch gravitätischer als vorher schritt er an ihrer Seite hin, und noch bärbeißiger war seine Miene, so daß die Vorübergehenden fast scheu zur Seite wichen und verwundert das schöne tiefbetrübte Weib und den grimmig dreinschauenden Kriegsmann betrachteten.

Der folgende Tag war für die Geschichte des Klosters Irmenborn vielleicht der ereignißreichste, den es überhaupt in seiner Chronik zu verzeichnen hatte.

Kaiser Friedrich stattete seiner Base Hildegard den zugesagten Besuch ab. Er war dabei nicht nur von seiner schönen jungen Gemahlin Isabella, sondern auch von vielen weltlichen, namentlich aber von den hervorragendsten geistlichen Würdenträgern des Reiches begleitet.

Man hatte die Leiche der alten Gunda nicht sofort beerdigen können, und so geschah es, daß das verachtete, durch die Verfolgungen eines wahnbethörten Volkes in den Tod getriebene alte Weib, dessen Zaubereien nur in dem Aberglauben der Menge vorhanden, und dessen Visionen nichts weiter als die Ausgeburten eines zerrütteten Nervensystems waren, in einer abgelegenen Zelle einsam und vergessen lag, während nahebei die weltberühmte und hochangesehene heilige Seherin Hildegard, deren Visionen als 378 himmlische Eingebungen betrachtet wurden, und welcher man den Beinamen der »christlichen Veleda« gab, durch den Besuch des höchsten Herrn des Reiches geehrt wurde, einen Besuch, den der Kaiser hauptsächlich deshalb in das Programm seiner Reichstagsobliegenheiten aufgenommen hatte, weil er die ihm mißgünstige Partei in Deutschland für sich zu gewinnen suchte, indem er den religiösen Neigungen, die im Volke wurzelten, einige Zugeständnisse machte.

Hildegard empfing ihren erhabenen Verwandten an der Pforte des Klosters. Um sie her waren die Klosterfrauen und Schülerinnen geschaart, die Aebtissin von Irmenborn an der Spitze, und die Uebrigen nach dem Range ihrer Familie geordnet.

Selbstverständlich schritt darauf Hildegard an der Seite des kaiserlichen Gastes, während der Erzbischof von Mainz an der Seite der jungen Kaiserin das Innere des Klosters betrat und die übrigen Herren des Gefolges sich mit den Frauen dem Zuge anordneten. Wie es bei solchen Besuchen Sitte war, wurden zuerst die Einrichtungen des Klosters und die dazu gehörige Kirche nebst den Kreuzgängen einer prüfenden Besichtigung unterzogen, wobei des Kaisers Majestät die Gnade hatte, sich sehr anerkennend über Alles auszusprechen; dann wurde ein Imbiß im Refectorium gereicht, und die anfangs ernste und würdevolle Haltung auf beiden Seiten fand dort durch heitere und scherzhafte Gespräche eine Unterbrechung.

Der Zufall hatte es gewollt, daß der Erzbischof Engelbert von Köln während der ganzen Wanderung durch die Klosterräumlichkeiten an der Seite der jungen Gräfin Gisa von Habsburg einherschritt, die im Range den andern 379 Jungfrauen vorging. Gisa war ganz weiß gekleidet und sah überaus lieblich aus. Der Erzbischof Engelbert war aus einem edlen Geschlechte und ein kunstliebender, geistreicher alter Mann, dem es vortrefflich gelang, die edle Jungfrau an seiner Seite gut zu unterhalten.

Sie verstanden sich ganz besonders auf einem Gebiete, welches dem Erzbischof aus rein künstlerischer Neigung, der jungen Gräfin aber heute noch aus andern Gründen zusagend war.

Das Gespräch hatte zuerst beim Durchschreiten eines wirklich außerordentlich schön ausgeführten romantischen Kreuzganges diese Wendung genommen. Da Gisa einige sachverständige Bemerkungen geäußert hatte, welche den kunstliebenden Erzbischof bei einem so jungen weiblichen Wesen angenehm überraschten, entspann sich bald ein von beiden Seiten mit großer Lebhaftigkeit geführtes eingehendes Gespräch über den wunderbaren Aufschwung, den die Kunst des Kirchenbaues in der letzten Zeit am Rheine genommen hatte. Gerade der Aufenthalt in Mainz, wo der Bischof Siegfried den neuen prachtvollen Dom erbaut hatte, in welchen das Grabmal der Fastrada, der Gemahlin Karl des Großen, aus der Klosterkirche von St. Alban übertragen worden war, bot die beste Gelegenheit, um das Gespräch zu beleben. Der Erzbischof Engelbert redete davon, daß auch er gesonnen sei, an Stelle des alten, schon längere Zeit in Verfall gerathenen Domes zu Köln ein neues Bauwerk errichten zu lassen, und er sprach mit förmlicher Begeisterung davon, dieser Kirchenbau solle ein Prachtwerk werden, wie es der ersten Stadt des deutschen Reiches und ihrer heiligen Reliquienschätze würdig sei.

380 »Als Habsburgerin werdet Ihr, edles Jungfräulein diese Worte mit einigem Zweifel aufnehmen,« sagte er lächelnd, »denn Euer Haus blickt mit Stolz auf das Münster von Straßburg, welches bisher unübertroffen blieb und dessen Begründer ein Habsburger ist.«

Gisa begriff sofort, daß sich für ihre Absichten hier ein günstiger Augenblick bot.

»Erst kürzlich,« sagte sie, »habe ich in unserem Hausarchive die Pläne und Schriften herausgesucht, die sich auf den Bau des Straßburger Münsters bezogen. Ich fand Alles noch in großer Vollständigkeit vor, da Herr Werner diese Schätze wohl geordnet den Seinigen hinterlassen hatte.«

Diese Worte weckten die Aufmerksamkeit des Erzbischofs Engelbert in hohem Grade. »Welch ein kostbarer Besitz!« sagte er. »Und darf man fragen, zu welchem Zwecke Ihr diese Pergamente herausgesucht habt?«

Als Gisa diese Worte hörte, ergriff das sonst so beherzte Mädchen doch ein etwas zaghaftes Gefühl, wie vor einer wichtigen Entscheidung. Ihr Herz klopfte fühlbar, aber sie begann schüchtern dem Erzbischof von einem jungen Künstler zu erzählen, der ihrer Ansicht nach ein gottbegnadigtes Talent besitze, und dem sie jene Pläne übergeben habe, damit er sie durchforsche. Sie setzte hinzu, der Graf von Rapperswil habe ihr erzählt, daß jener Künstler bereits selbst einen Entwurf gezeichnet habe, den der Graf – nach seinem unmaßgeblichen Urtheil, wie sie lächelnd hinzufügte – für das Bewunderungswürdigste halte, was überhaupt jemals in dieser Richtung ausgedacht sei.

Diese Mittheilung interessirte den Erzbischof höchlichst. 381 Die mächtigen Kirchenfürsten, welche in den aufblühenden rheinischen Städten residirten, setzten ihren größten Ehrgeiz in die Gründung gewaltiger Kirchenbauten, und was Engelbert soeben vernahm, klang ihm wie die Verheißung eines seltenen Glückes. Daß die junge Gräfin nicht voreilig und oberflächlich urtheilen werde, davon war er überzeugt, und wenn er auch vorläufig noch keine Ahnung von der Ueberraschung hatte, die ihm bevorstand, so zweifelte er doch nicht, daß Gisa's Mittheilung eine Berechtigung haben werde, und er faßte sofort den Entschluß, die Gelegenheit nicht aus den Händen zu lassen.

Es war ein seltsames Zusammentreffen, daß der Erzbischof von Köln und Gisa von Habsburg durch gegenseitig sich berührende Zwecke sich vereinigten und geneigt waren, alle Kräfte einzusetzen, um das zu erreichen, was Jedes vom Andern hoffte. Ihr Gespräch nahm einen geheimnißvollen Charakter an, weil beide wünschten, daß Niemand ihre Absicht errathe.

Der Erzbischof bat dringend um die Mittheilung des Namens desjenigen, dem Gisa so viel Vertrauen geschenkt und den sie so hoch gepriesen hatte. Diese dagegen erklärte, daß der betreffende Mann durch ein unverschuldetes Zusammentreffen von Umständen sich in gefährlicher Lage befinde, und daß sie einen Verrath begehen würde, wenn sie über seine Persönlichkeit weitere Aufschlüsse geben wollte, bevor ihr des Kaisers Gnade für den Künstler zugesichert sei.

»Wie Jedermann weiß,« setzte sie hinzu, »seid Ihr, hochwürdiger Herr, der Vertraute des Kaisers, und Euer Wort gilt bei Seiner Majestät mehr als jedes andere. Wollt Ihr mir die feste Zusage ertheilen, daß Ihr unter keinen 382 Umständen etwas gegen den jungen Künstler unternehmen werdet, so will ich Euch das Geheimniß enthüllen und Euch mit seinem Schicksale bekannt machen. Ich lege damit das Schicksal des Künstlers völlig in Eure Hand und gebe Euch damit einen Beweis meines unbedingten Vertrauens.«

»Wofür ich Euch mein Wort verpfände,« versetzte der Erzbischof, »daß ich in keinem Falle etwas zum Nachtheile Eures Schützlings sagen oder thun werde. Theilt mir also nur unbesorgt die ganze Wahrheit mit und seid versichert, daß ich Eure Fürbitte gleich derjenigen einer Heiligen achten werde.«

Während des Aufenthalts im Refectorium berichtete nun Gisa dem Erzbischofe Alles, was sie in Bezug auf Heinrich wußte. Sie erzählte, aus welchen Gründen er den König Heinrich auf der Burg Lupesch aufgesucht und wie dieser den unerfahrenen Jüngling sofort zu seinen Geschäften verwendet habe. »Gewiß,« sagte sie zum Schlusse, »könnte als Hochverrath betrachtet werden, was der junge, unerfahrene Mann im Auftrage des Königs unternommen hat, aber da seine Bemühungen gänzlich ohne Erfolg geblieben und der Graf Rapperswil ihn durch die Festnahme unschädlich gemacht hat, sind Gründe genug vorhanden, um die Gnade des Kaisers zu erflehen und die Strafe mindestens zu mildern.«

Der Erzbischof war bedenklich. Er erinnerte daran, daß gerade die Helfershelfer des Königs am schwersten durch den Zorn des Kaisers betroffen wurden und daß Beil und Rad bereits eifrig an der Vernichtung derselben arbeiteten. Uebrigens war er der Ansicht, es werde wohl kein Ankläger gegen Heinrich auftreten und also auch kein 383 Gericht über ihn gehalten. Sollte dies dennoch geschehen, so versprach er Alles aufzubieten, um den Kaiser milde zu stimmen und auf irgend eine Weise dem jungen Manne das Leben zu retten. Es werde sich vielleicht schon in den nächsten Tagen Gelegenheit geben, ein gewichtiges Wort in dieser Sache einzulegen, namentlich wenn zugleich die Beweise für des jungen Mannes künstlerischen Beruf beigefügt werden könnten, denn es liege in des Kaisers Wesen, daß er tüchtige, brauchbare Menschen der Welt zu erhalten wünsche.

Damit war vorläufig das Gespräch beendet, und Gisa befand sich in so freudiger und erwartungsvoller Stimmung, daß sie dem Erzbischof versprach, ihm Zeichnungen und Pläne zu übersenden, aus welchen er sich von dem Talente ihres Schützlings ein Bild machen könne.

Das Kaiserpaar verabschiedete sich auf die herrlichste Weise von Hildegard und ehrte auch die Aebtissin von Irmenborn und die übrigen Frauen mit freundlichen Abschiedsworten. Man konnte deutlich bemerken, daß die stolze und reiche Königstochter aus England ein Gefühl demüthiger Hochachtung gegenüber einer Frau wie Hildegard empfand, von welcher man überzeugt war, daß sie Wunder wirken könne.

Selbstverständlich wurde Hildegard's Ruf im Volke durch diese Auszeichnung noch mehr befestigt. Sie verblieb vorläufig im Kloster Irmenborn, da sie die Abreise des Kaisers abwarten wollte.

Hatte Friedrich von Hohenstaufen schon durch den Besuch, den er der Aebtissin Hildegard abstattete, gleichsam seine Achtung vor wirklich volksthümlicher Frömmigkeit, im 384 Gegensatz zu dem Streben nach weltlicher Macht unter dem Vorwande religiöser Zwecke, zu erkennen gegeben, so entging seinem hellblickenden Geiste eine andere Gelegenheit nicht, durch welche er diese Achtung in weit auffallenderer und großartiger wirkender Weise bethätigen konnte. Dem Betreiben des Franciscanermönches und Ketzerrichters Konrad von Marburg war der Papst Gregor der IX. nachgekommen und hatte auf einem feierlichen Convente der Franciscaner zu Perugia die verstorbene Landgräfin Elisabeth von Thüringen heilig gesprochen. Zwar hatte der Papst diese noch neue und seltene Auszeichnung nicht ohne gewichtige politische Gründe ertheilt. Konrad von Marburg hatte von Wundern nach Rom berichtet, die am Sarge Elisabeth's geschehen waren, aber dieser Grund genügte dem Papste nicht. Inzwischen hatten die Brüder des Gemahls der Elisabeth den Plan gefaßt, sich durch das Andenken der von ihnen im Leben gehaßten und verfolgten Schwägerin im Volke großen Anhang zu schaffen. Der jüngste dieser Herren, Namens Konrad, war Ritter des deutschen Ordens, der die heidnischen Preußen bekämpfte, und hoffte Hochmeister desselben zu werden. Er reiste nach Rom, versprach dem Papste treue Anhänglichkeit und bewirkte auf diese Weise die Heiligsprechung der armen Elisabeth, die im Leben und im Tode der Spielball ehrgeiziger Unternehmungen blieb. Da die wandernden Franciscaner am besten geeignet waren, den Ruhm der neuen Heiligen im Volke zu verbreiten, so kamen bald zahlreiche Pilgerschaaren nicht nur aus Deutschland, sondern aus allen christlichen Ländern der Erde zu Elisabeth's Grabe gewallfahrtet.

Die kleine Franciscuskapelle zu Marburg faßte die 385 zuströmende Menge nicht mehr, und der Mönch Konrad, welcher seine Zwecke in Bezug auf die Kirche, seinen Orden und seine Vaterstadt mit seltener Energie zu verbinden gewußt hatte, entwarf den Plan zu einer prachtvollen Grabkirche. Er wußte es dann durch die Fürsprache des Erzbischofs Siegfried von Mainz dem Kaiser Friedrich nahe zu legen, daß er mit seiner Gemahlin und einem großen Theil seines Gefolges nach Marburg kommen möge, um die Gebeine Elisabeth's aus ihrem bisherigen Grabe in einen kostbaren Sarkophag in der neuen, im Bau begriffenen Kirche zu übertragen.

Es war ein wundervoller Frühlingstag, als die eben erst aus unbedeutenden Anfängen sich emporringende Stadt Marburg eine so große und glänzende Versammlung beherbergte, wie sie nie wieder dort zusammenkam. Das thüringsche Fürstenhaus war selbstverständlich zahlreich vertreten, und die Kinder der heiligen Elisabeth, Prinz Hermann und die beiden Prinzessinnen Sophie und Gertrude, erstere vom Kaiser, letztere von der Kaiserin geführt, waren zugegen. Es machte einen ergreifenden Eindruck, als die zarten Mädchen sich dem Sarge ihrer Mutter näherten. Die hohe Gestalt des Kaisers war im grauen Büßerkleide, die edle Kaiserin dagegen erschien gekleidet in kostbare Stoffe, die mit Hermelin verbrämt waren, und das anmuthige Haupt mit der kleineren Reichskrone geschmückt. Sie hielten die schlanken Händchen der kindlichen Prinzessinnen und näherten sich mit ihnen der zum Heiligthum für die ganze Christenheit geweihten Leiche ihrer Mutter. Von geistlichen Fürsten hatten sich eingefunden: die Erzbischöfe von Mainz, Trier, Köln und Bremen, sowie die 386 Bischöfe von Bamberg, Halberstadt, Hildesheim, Merseburg, Naumburg, Paderborn, Speyer und Worms. Die Menge des zusammengeströmten Volkes schätzte man weit über hunderttausend, »also daß Alle sich verwunderten und behaupteten, seit Jahrhunderten habe man so viele Menschen nicht beisammen gesehen«.

Elisabeth, die im Leben die höchste fürstliche Ehre verschmäht hatte, ward nun im Tode vom Kaiser und den Fürsten getragen. Mit goldenen und silbernen Instrumenten hob man ihre Gebeine aus dem Grabe und legte sie in den höchst kunstreich gearbeiteten, in der Sakristei der Kirche verwahrten Sarkophag. Kaiser Friedrich krönte eigenhändig Elisabeth's Haupt mit einer goldenen Krone, indem er dabei sprach: »Da mir nicht vergönnt war, Elisabeth im Leben zur Kaiserin krönen zu dürfen, will ich sie jetzt mit der Krone ehren, als eine ewige Königin im Reiche Gottes.« –

Während der Kaiser zu dieser Feier mit seinem Gefolge in Marburg weilte, hatte Gisa von Habsburg ihre Zwecke in Bezug auf Heinrich von Sunnera weiter verfolgt. Graf Ulrich von Rapperswil hatte Alles gethan, was sie von ihm verlangte. Er hatte einen Eilboten nach seiner väterlichen Burg gesandt und sich von dort nicht nur die Pläne kommen lassen, welche Gisa dem gefangen gehaltenen Heinrich zugestellt hatte, sondern auch diesen selbst um den Entwurf bitten lassen, von welchem Ulrich bereits Kenntniß hatte. So erbittert Heinrich auch über seine Gefangenschaft war, konnte er doch die rücksichtsvolle, ja freundschaftliche Haltung des Grafen von Rapperswil nicht verkennen und willfahrte seinem Wunsche. Gisa hatte also Gelegenheit, 387 dem Erzbischof Engelbert bei dessen Rückkehr von Marburg die Pläne vorzulegen, welche der Graf Rapperswil erhalten hatte, und der Erzbischof war von der Durchsicht derselben so begeistert, daß er den Künstler um jeden Preis zu retten und für sich zu gewinnen trachtete. Da wirklich gar keine Beschuldigung gegen Heinrich vorlag und kein Ankläger gegen ihn auftrat, wurde es dem klugen und in Staatsgeschäften erfahrenen Kirchenfürsten nicht schwer, dem Kaiser die Schuld des jungen Mannes höchst geringfügig darzustellen. Auf diese Weise erwirkte er einen Geleitsbrief des Kaisers, kraft dessen Heinrich dem Erzbischof Engelbert von Köln zur Verfügung gestellt und unter Bürgschaft und Verantwortung dieses geistlichen Herrn durch den Grafen Rapperswil aus der Haft entlassen wurde.

Mit diesem sichern Geleitsbrief versehen, wurde der alte treue Konrad auf einem tüchtigen Pferde nach der Burg Rapperswil abgesandt, und es verstand sich von selbst, daß sein ungeduldiges Herz ihn keine Zeit verlieren ließ, um seinen geliebten Herrn von der erfreulichen Wendung seines Schicksals in Kenntniß zu setzen.

Der alte Konrad war etwas enttäuscht, als er bemerkte, daß seine Mittheilungen nicht ganz die gehoffte Wirkung ausübten.

Heinrich war in tiefster Seele erbittert und verstimmt. Man hatte ihn gewaltsam von der Erfüllung seiner Verpflichtungen gegen den König abgehalten, und er wollte Niemand das Recht zugestehen, auf diese Weise in die Gestaltung seines Lebens einzugreifen. Namentlich als er erfuhr, daß Wulfhilde im Spiele sei, war er heftig ergrimmt und nahe daran, einen Entschluß zu fassen, der alle 388 Vorkehrungen zu seiner Rettung vereitelt haben würde. Sein Gefühl empörte sich gegen die Annahme, daß Wulfhilde, deren Schuld in seinen Augen unzweifelhaft war, sich für ihn verwendet habe. In der Einfalt seines Herzens versuchte Konrad, Wulfhilde zu vertheidigen, aber Heinrich achtete nicht darauf. Nur zuletzt, als der biedere Alte berichtete, mit welcher Aufopferung das Mädchen die testamentarische Verfügung des Grafen von Merseburg gerettet habe, wendete er ihm größere Aufmerksamkeit zu. Namentlich aber der Gedanke an Gisa, die er wie eine Heilige verehrte, und die Hoffnung auf das Wiedersehen seines Jugendfreundes Dietmar, an dessen unverbrüchlicher Treue er nicht zweifeln konnte, weckten in ihm doch zuletzt den Wunsch, sich nach Mainz zu begeben. Mußte er nicht das Geheimniß von Wulfhildens Herkunft enthüllen, um das verirrte Geschöpf vielleicht doch noch zu retten und dem Schutze Dietmar's anzuvertrauen? Er konnte nicht ahnen, was in dieser Angelegenheit inzwischen geschehen war, und Konrad wußte gar nichts in Bezug darauf. Nur der Tod der alten Gunda war diesem bekannt, und somit glaubte sich Heinrich ganz allein im Besitze eines Familiengeheimnisses, welches ihm keine Ruhe ließ, wenn er es nicht an den Tag brachte.

Er trat also die Reise an, und obgleich sein Gemüth fortwährend mit widerwilligen Empfindungen kämpfte, konnten doch die Pferde seinem Wunsch kaum Genüge thun, denn seine Ungeduld wuchs, je näher sie dem Ziele kamen.

Kaum war der Kaiser nach Mainz zurückgekehrt, so wurden die Vorbereitungen zur Ertheilung des Ritterschlags an eine große Anzahl junger Edelleute getroffen. Bei der kriegerischen Unruhe der Zeit geschah es zuweilen, daß die 389 Bedingungen der Vorbereitung durch den Dienst als Edelknabe und Knappe nicht genau erfüllt werden konnten, und der Kaiser ertheilte alsdann den Dispens. Dies war bereits in Bezug auf Dietmar von Kalmburg geschehen, und der noch immer etwas struppige Blondkopf war Feuer und Flamme für die bevorstehende Weihe. Da plötzlich wurden er und die Seinigen unsanft aus der freudigen Laune aufgeschreckt, indem Frau Kunigunde durch einen Boten, der nur mit Lebensgefahr aus der Burg hatte entkommen können, um sofortige Rückkehr und Hülfe flehte gegen Udo von Brachfeld, der in Verbindung mit gleichem Gelichter, darunter einige Vasallen der Gräfin von Merseburg, die zu seinen Freunden gehörten, die Kalmburg belagerte und gedroht hatte, von dort aus auch nach Buchenstein zu ziehen, um Rache zu nehmen für alle ihm angethane Beleidigung.

Sofort brachte Dietmar in Verbindung mit seinem zukünftigen Schwiegervater die Klage bei des Kaisers Majestät vor und bat um Urlaub, um die Gefahr von seiner väterlichen Burg abwehren zu können. Der Kaiser war entrüstet, daß ein so frecher Friedensbruch während seiner Anwesenheit im Reiche vorkam. Es sei endlich an der Zeit, sagte er, daß diesem rohen Treiben Einhalt gethan werde. Er versprach ganz außer der Reihe und ohne die übliche Ceremonie dem Junker von Kalmburg den Ritterschlag zu ertheilen, versprach auch, dasselbe zu thun, wenn sich noch andere junge Edelleute diesem Rachezug anschließen wollten, und wünschte ihm und dem Buchensteiner Glück auf die Fahrt in die heimische Gegend.

Gerade um diese Zeit langte Heinrich von Sunnera 390 mit seinem getreuen Konrad in Mainz an. Das Wiedersehen mit Dietmar bereitete ihm eine wahrhafte Herzensfreude, denn der erste Händedruck, den sie wechselten, besiegelte auf's Neue das alte Bündniß, und es bestand kein Zweifel, daß zwischen ihnen nichts geändert war. Herzlich freute sich Heinrich über das Glück, welches Dietmar in der Verbindung mit Mechthilde hoffen durfte. Selbstverständlich erfuhr er sofort, daß Dietmar sich zur Heimreise rüste, und hörte auch, daß Udo in Verbindung mit Merseburger Vasallen den Ausfall gewagt habe. Begierig zu erfahren, ob eine Ahnung, die ihn beschlich, begründet sei, wendete sich Heinrich an den Boten von Kalmburg. Er erkundete nun die Namen jener Vasallen und erfuhr, daß sie sich Egon und Erwin nannten und Brüder waren.

Als er diese Namen vernahm, entrang sich ein Schrei des Zornes und doch zugleich der Erleichterung seiner Brust. Rache für den Tod seiner Mutter und Rache für den Tod des heiteren Guntram waren die Gedanken, die für den Augenblick jedes andere Gefühl in ihm austilgten. Er fühlte sich wieder stark und gesund und schüttelte gleichsam die Bitterkeit über die letzten Erlebnisse von sich ab. Der neue Zweck füllte ihn so völlig aus, daß er alles Uebrige vergaß. Die Gefahr nicht achtend, eröffnete er dem Erzbischof Engelbert von Köln die ganze Sachlage und bat ihn um Urlaub, damit er der heiligsten Pflicht genügen könne.

Engelbert verstand die Empfindung des jungen Mannes und wagte das Aeußerste. Im Vertrauen auf Kaiser Friedrich's Entrüstung über den frechen Udo und dessen Helfershelfer suchte er die Gelegenheit, um dem erhabenen Herrn vorsichtig die Geschichte Heinrich's und Wulfhildens 391 zu erzählen, und bat um Gnade für diese Kinder zweier unglücklicher Frauen, die in Liebe gesündigt und schwer dafür gebüßt hatten. Clara von Eichberg und Jutta von Kalmburg waren die Opfer unseliger Leidenschaft geworden, aber der Sohn der ersteren zeigte ein seltenes gottbegnadetes Talent und die Tochter Jutta's hatte eine Treue bewiesen, wie sie selten gefunden wird.

Der Erzbischof wußte, daß er eine Saite im Herzen des Kaisers berührte, die nicht ohne Wiederklang blieb. Manfred's Mutter und die schöne Mutter Enzio's kamen ihm in die Erinnerung und er fühlte sich zur Milde geneigt. Aber es reizte ihn, das junge Weib zu sehen, die seinen Sohn bezaubert und dann verschmäht haben sollte, und er ließ Wulfhilde vor sich kommen.

Heinrich hatte von Wulfhilde nichts wissen wollen. In der Voraussicht, daß es so kommen werde, hatte die Aermste selbst die Erklärung abgegeben, sie wolle nur dann von ihm gesehen werden, wenn er selbst erklärt habe, nicht länger an ihr zweifeln zu wollen. Vergeblich verwendete sich Mechthilde für das verkannte Mädchen, Heinrich blieb bei seiner Weigerung. Aber er klärte seinen Freund Dietmar über die Beziehungen auf, in welchen Wulfhilde zu dessen Familie stehe, und äußerte dabei seine lebhafte Freude, daß sich bereits ein freundschaftliches Verhältniß zwischen den Frauen gebildet hatte, woraus sich die Hoffnung auf eine zufriedene Zukunft für Wulfhilde abnehmen ließ.

Dem Grafen von Habsburg hatte Heinrich einen Besuch gemacht, und es handelte sich um eine Zusammenkunft mit Gisa, die selbst gewünscht hatte, ihn zu sehen. Eine Zusammenkunft im Kloster war jedoch nicht gut statthaft, darum 392 wurde das Zusammentreffen bei Mechthilde veranstaltet, und da Gisa bereits von Heinrich's Haltung Wulfhilde gegenüber unterrichtet war, hatte sie einen Plan ausgedacht, von dem sie hoffte, daß er die Angelegenheit auf die eine oder die andere Weise zur Entscheidung bringen werde.

Sie trat dem jungen Manne unverändert mit jener wohlwollenden Milde entgegen, durch welche sie bereits früher seine Empfindung zur richtigen Klarheit zu bringen bestrebt war. Die Unnahbarkeit ihres Wesens ließ ihn sofort wieder einsehen, daß seine Schwärmerei für sie niemals auf sein Lebensglück einen günstigen Einfluß haben werde. Aber er klammerte sich immer noch an diese unfruchtbare Verehrung, weil er dem wahren Zuge seines Herzens, der stets deutlicher sprach, nicht nachgeben wollte, jetzt allerdings aus andern Gründen als früher, aber immerhin aus der Ueberzeugung, daß seine Liebe nur einem edlen, reinen Frauenwesen gehören dürfe.

Nachdem Gisa seinen Dank für ihre Verwendung bei dem Erzbischof mit huldvoller Freundlichkeit entgegen genommen hatte, lehnte sie einen Theil des Verdienstes von sich ab, indem sie bemerkte, auch andere Personen hätten für ihn gewirkt und dabei eine größere Aufopferung bewiesen als sie. Sie ging dann sofort auf Wulfhilde über und theilte ihm mit, daß dieselbe entschlossen sei, den Schleier zu nehmen, und zwar unter Obhut der Aebtissin Hildegard, welche in diesem Falle von dem Makel der Geburt absehen wolle, weil die unzweifelhafte Unschuld und Tugend Wulfhildens dieselbe berechtigten, zu den Töchtern aus edlen Familien gesellt zu werden. Auch stehe derselben die Gunst des Kaisers selbst zur Seite, der sie gnädig empfangen habe.

393 »Ich weiß,« fuhr Gisa fort, »daß Ihr diese Ueberzeugung nicht theilt, und ich muß gestehen, es betrübt mich aufrichtig, Euch so ungläubig zu sehen, wo ich selbst auf der Seite der von Euch fälschlich Verurtheilten stehe. Ich kenne Wulfhildens Leben und habe in die geheimsten Falten ihres Herzens geblickt. Mag sie in Folge ihrer mangelhaften Erziehung Vieles gethan haben, was sie verdächtigen muß, so ist sie doch stets rein geblieben in ihrem Fühlen und Denken, und ich halte sie nicht nur meiner Freundschaft für würdig, sondern ich zögere nicht, Euch gegenüber auch die Bürgschaft für ihre fleckenlose Tugend zu übernehmen. Und somit fordere ich von Euch, freundlich von ihr Abschied zu nehmen und ihr nicht das bittere Gefühl in der Abgeschiedenheit des Klosters aufzubürden, daß derjenige Mann, für den sie Alles gewagt und gelitten hat, der einzige Mensch ist, der sie verachtet und ihrer mit Groll gedenkt.«

Beim Anhören dieser Worte ging doch eine Umänderung in Heinrich's Empfindung vor sich. Er fühlte aufs Neue, daß er seine Hoffnungen auf ein Phantom gesetzt hatte und seine Sehnsucht ewig eine unstillbar ins Blaue hinein gerichtete sein werde, wenn er nicht fest das Ziel seines Lebens ins Auge fasse. Es wurde ihm klar, daß er mit der ganzen Vergangenheit brechen und ein frisches, neues Dasein beginnen müsse. Nicht auf ererbte Vortheile, die er der Gnade eines mächtigen Herrn verdanken sollte, sondern nur auf die ihm innewohnende künstlerische Kraft, welche sich als das Ergebniß der eigensten Persönlichkeit thätig hervordrängte, wollte er seine Zukunft begründen. Aber das fühlte er auch, daß nach all den Kämpfen und Mühen, durch 394 welche er sich hindurch gerungen, sein Herz nun einen sicheren Ruhepunkt haben müsse, damit in den größeren Zwecken sein vergängliches Ich nicht völlig untergehe und er auch für sich Antheil gewinne an den Freuden und Leiden der Menschheit.

Während er dies Alles in seiner Seele erwog und mit Blitzesschnelle vor seinen Gedanken vorüberziehen ließ, hatte Gisa einen Thürvorhang zurückgeschoben und die im andern Raume harrende Wulfhilde durch einen Wink zum Eintritt aufgefordert. Sie selbst schritt dann leise hinaus.

So sah sich Heinrich überrascht und befand sich unerwartet dem Wesen gegenüber, das er zu meiden entschlossen gewesen. Es war Wulfhilde, und doch war sie so verändert, daß sie gar nicht dieselbe schien. Weder das arme, verwahrlost aufgewachsene Kind, dessen fremdartige Schönheit zu seiner Umgebung im Widerspruch gestanden, noch die glänzende Gefährtin des ausschweifenden Königs Heinrich sah er in schimmernden Gewändern vor sich, sondern ein tief erröthetes, von den widerstreitendsten Gefühlen schmerzlich bewegtes Weib, dessen ganze Haltung deutlich den ernsten Entschluß verrieth, allen Wandlungen des äußeren und allen Kämpfen des inneren Lebens zu entsagen.

Und wie er sie so vor sich erblickte, kam es über ihn gleich einer Offenbarung voll Leid und Wonne. Sie wollte der Welt entsagen, sich in ein Kloster begraben; ihre wunderbare Schönheit sollte einsam verwelken, weil er sie verschmähte und ihrer Rechtfertigung keinen Glauben schenkte. Er sah noch einmal nach ihr hin, und beim Anblick ihrer rührenden Erscheinung schmolz das Eis seiner Brust. Er breitete seine Arme aus, und mit jenem Tone, 395 in welchem für diejenige, an die er gerichtet wird, Alles ausgedrückt ist, was das spätere Leben zwar fortsetzen und erklären, aber nie überbieten kann, rief er den Namen »Wulfhilde«.

Wie ein Blitz durchzuckte es das bangende Herz, als sie diesen Laut vernahm. Aengstlich und mit niedergeschlagenen Augen war sie eingetreten, aber nun blickte sie rasch empor, und mit einem Aufschrei des Entzückens eilte sie ihm entgegen und lag überwältigt von höchster Wonne an seiner Brust.

Was sie sich Alles zu sagen hatten! Es blieb später Zeit genug dazu, aber sie bedurften derselben auch, denn sie konnten nicht fertig werden, jeden einzelnen Augenblick sich in das Gedächtniß zurückzurufen, in welchem sie ihre Liebe entstehen und wachsen gefühlt hatten, ohne zu wissen, zu welchem Ziele dieselbe führen sollte. Anfangs blieb es bei kurzen Versicherungen, stummen Blicken und Händedrücken. Wulfhilde unterbrach zuerst die wonnevolle Tändelei gegenseitiger Betheuerungen, indem sie aus der Tasche ihres Kleides das Pergament hervorholte, welches die Bestimmung des Grafen Merseburg enthielt und vom Kaiser bestätigt war. Mit leuchtenden Blicken berichtete sie dem staunenden Heinrich, daß der Kaiser und die Kaiserin gnädig mit ihr gesprochen, und daß ersterer ihr Gesuch um Bestätigung des Testaments gewährt hatte. Huldvoll hatte der Kaiser ihr die volle Begnadigung des neuen Besitzers von Sunnera zugesagt. Sie war nur hierher gekommen, um diesen Erfolg ihrer Bitte ihm durch Gisa von Habsburg mittheilen zu lassen und sich dann selbst aus der Welt zurückzuziehen.

396 Heinrich war tief beschämt. So viele Liebe hatte er verkannt, und er selbst, der die Vorurtheile der Zeit tief beklagte und hart verdammte, war einem persönlichen Vorurtheil, einer kurzsichtigen Grille wegen ungerecht gewesen gegen dasjenige Herz, das ihm am meisten zugethan war!

Er hielt die Urkunde in der Hand, um welche er Jahre lang gelitten, bald gehofft und bald gebangt hatte! Was bedeutete sie ihm jetzt? Vor ihm lag die Aussicht auf eine hohe künstlerische Thätigkeit, die seine geistigen Kräfte in Anspruch nahm, und an seiner Brust ruhte das Weib, dessen Liebe sein Herz mit Frieden und Glückseligkeit erfüllte – wozu bedurfte er nun noch des Ranges und der äußeren Vorzüge? Aber er wollte nicht undankbar sein, und überdies sagte ihm eine heimliche Stimme, daß Stunden wiederkommen könnten, in welchen er anders urtheilen werde als in diesem Augenblicke. So nahm er denn den Beweis der kaiserlichen Gnade freudig und dankbar aus Wulfhildens Händen entgegen und neckte sie, indem er sie »edle Frau von Sunnera« nannte.

Als Gisa in Begleitung von Mechthilde wieder in das Gemach trat, hatte sich der Sturm der Freude etwas gelegt. Das Gespräch kam nun auf die bevorstehende Abreise Dietmar's. Die Sache war in aller Eile durch die Vermittlung des Erzbischofs Engelbert so geordnet worden, daß noch am heutigen Tage vor einem kleinen, aber ausgewählten Kreise von edlen Zeugen sowohl Dietmar als Heinrich den Ritterschlag empfangen sollten. Dann wollten beide mit Biso von Buchenstein aufbrechen. Mechthilde sollte langsam nachkommen. Wulfhilde blieb bei Gisa von Habsburg 397 zurück und begleitete diese in die Heimath, wo Heinrich seine Braut später, wenn Alles geordnet war, abholen sollte.

So geschah es. Schneller, als der schändliche Udo von Brachfeld und seine rohen Genossen ahnen konnten, kam das Strafgericht über sie. Die Freundschaft zwischen Udo und den beiden jungen Vasallen der Merseburgerin war auf folgende Weise entstanden. Als ersterer damals voller Wuth von der Kalmburg auf sein eignes Besitzthum zurückgekehrt war, hatte er Tag und Nacht auf Rache gesonnen. Er wohnte nicht weit vom Merseburger Gebiet und traf öfter mit Leuten von dort zusammen. In der Hoffnung, irgend einen Anhalt für seine Rache zu finden, zog er Erkundigungen über die ihm bekannt gewordenen Ereignisse auf der Burg Sunnera ein. Ohne Scheu hatte man ihm den ganzen Hergang des Mordes mitgetheilt. So war er mit dem Vater der beiden Brüder Erwin und Egon zusammen gekommen, und da er stets Kumpane zu seinen Raubzügen und im Winter zu Trinkgelagen und Würfelspiel bedurfte, bildete sich ein fortwährender Verkehr, und die schlimmen Gesellen würfelten oft ganze Nächte und setzten Leib und Leben dabei auf das Spiel. So wurde es Udo ein Leichtes, sie zu seinem Unternehmen gegen die Kalmburgerin aufzufordern.

Ohne Aufenthalt ritten nun Biso, Dietmar und Heinrich mit ihrem Gefolge, unter dem sich natürlicherweise auch Konrad befand, nach den heimathlichen Burgen. Sie kehrten zuerst bei dem Herrn von Maltheim ein, der sofort bereit war, sich ihnen anzuschließen. Es fanden sich noch einige Freunde, und so konnte der Kampf mit den frechen Raubrittern begonnen werden. Frau Kunigunde hatte Tage 398 unsäglicher Angst verlebt. Die arme Frau war in ihrer Burg eingeschlossen und sah mit Schrecken dem Augenblicke entgegen, wo dieselbe mit Sturm genommen werden sollte. Sie vertheilte täglich die Vorräthe und vertröstete ihre Leute auf die Ankunft Dietmar's.

Endlich vernahm sie Trompetensignale und sah vom Thurm herab die befreundeten Farben. Nun galt es noch kurze Zeit angstvoller Erwartung, dann konnte sie, von Noth und Sorge erlöst, den Sohn in die Arme schließen.

Der Kampf hatte nicht sehr lange gewährt. Udo und seine Helfershelfer waren thöricht genug gewesen, sich auf diesen Fall gar nicht vorzubereiten, und wurden daher von der Ueberzahl der Gegner sofort bewältigt. Es hatte einige schwere und mehrere leichtere Verwundungen gegeben. Heinrich hatte sich ausgebeten, daß ihm die beiden Brüder Egon und Erwin überlassen blieben. Mit Konrad's Hülfe hatte er sie bezwungen und gefangen genommen.

Unter den Knechten, die ihnen folgten, befand sich einer, der bei einer Wendung dem redlichen Konrad unversehens den Garaus machen wollte. Heinrich hatte es bemerkt und trat plötzlich dem hinterlistigen Gesellen mit geschwungenem Schwerte entgegen. Sein Anblick erschreckte diesen derart, daß er mit angsterfülltem Gesichte fliehen wollte. Aber Heinrich's wuchtiger Streich streckte ihn zu Boden. Er war zu Tode getroffen. Sterbend wendete er seinen entsetzten Blick noch einmal auf Heinrich und stieß die Worte hervor: »Das sind die Augen der Frau im Walde! Ich sah ihren Blick deutlich, als ich sie erschlug!«

Es war der Mörder der armen Clara, der hier von ihrem Sohne den Todesstreich empfangen hatte.

399 Udo von Brachfeld, Egon und Erwin wurden auf Befehl des Kaisers gehängt, denn Friedrich wollte dem ewigen Unfrieden und den rohen Raufereien ein Ende machen, aber da er bereits in der nächsten Zeit wieder nach Italien ging, blieben die Zustände in Deutschland einstweilen doch wie vorher und wurden sogar noch schlimmer.

Frau Kunigunde von Kalmburg hatte eingesehen, daß sie dem Freunde ihres Dietmar Unrecht gethan, wenn sie ihn für einen Zauberer hielt, aber daß er ein Kind der Sünde sei, wollte ihr nicht aus dem Kopfe, und sie betete noch manches Stoßgebet zu der Mutter Gottes, um ihr Haus vor seinem Einfluß zu schützen. Heinrich blieb bis nach der Hochzeit seines Freundes auf der Kalmburg und mußte bei dieser Gelegenheit Zeuge eines Zechgelages sein, welches Alles übertraf, was er in dieser Beziehung erlebt hatte.

Als er wieder in Begleitung Konrad's die Gegend verlassen hatte, athmete Frau Kunigunde frei auf. Mechthilde verstand es in der Folge ganz gut, mit der Schwiegermutter zu leben, aber Frau Marianne blieb der Mutter ihres Schwiegersohnes fern. Nach und nach stellte sich Kunigunde ganz unter den Einfluß des trägen Burgkaplans, dem sie die besten Bissen zusteckte und der sie so umstrickte, daß sie nur noch im Gebete Trost und Unterhaltung fand.

Da Heinrich vorläufig andere Angelegenheiten zu ordnen hatte, schickte er den getreuen Konrad nach dem Waldschlosse Sunnera und gab ihm Vollmacht, dort als Verwalter Alles in Stand zu setzen und wohnlich herzurichten. Er selbst trat die Rückreise an, um den Erzbischof zu Köln aufzusuchen. Bevor er jedoch bei diesem eintraf, erfuhr er 400 noch ein schauderhaftes Ereigniß, welches ihn doppelt ergriff, weil der alte ehrwürdige Jehuda Ben Gabirol dabei seinen Tod gefunden hatte.

Die vornehmen Gäste hatten Mainz verlassen, noch bevor die Zeit vorüber war, welche für den Aufenthalt dort bestimmt worden. Bei dem großen Zusammenfluß von Menschen, die zum Theil unter freiem Himmel campirten, zum Theil armselig zusammengedrängt hausten, zeigten sich allerlei Krankheitsfälle. Alles fahrende herrenlose Gesindel aus dem Reiche und fremden Landen trieb sich in der Gegend umher, und man sprach bald von ansteckenden Seuchen. Zufällig hatte die Kaiserin einen leichten Krankheitsanfall, und da man auf die Kunst der maurischen Aerzte in den hohen Kreisen das größte Vertrauen setzte, wurde der berühmte Ben Gabirol durch Eilboten eingeladen, der erkrankten kaiserlichen Frau seinen Rath zu ertheilen. Die Familie des gelehrten Arztes war durch diese Berufung nicht wenig geschmeichelt und ahnte nicht, welche schreckliche Folgen dieselbe haben sollte. Der Greis hielt seinen Einzug zu Pferde unter dem Geleite kaiserlicher Dienstleute und ertheilte bald darauf der Kaiserin den Rath, die Gegend zu verlassen, da die Luft mit Miasmen erfüllt sei. Mit aller Sorgfalt erfolgte hierauf die schleunige Abreise des kaiserlichen Hofes. Bald darauf verschwanden auch die übrigen hohen Herrschaften nach und nach, so daß es für Jedermann den Anschein hatte, als wollten sie sich durch die Flucht retten.

Trotzdem war noch eine Menge Volkes zurückgeblieben, denn die Menschen waren seit Wochen von Nah und Fern zusammen geströmt, weil Jeder gehofft hatte, sein Schäfchen 401 scheeren zu können. Was da Alles an unsauberen und verwahrlosten Gesellen sich eingefunden hatte, kann man sich denken. Ben Gabirol hatte Recht gehabt. Es war hohe Zeit gewesen, daß sich die Menschenmassen zerstreuten. Aber das einsichtslose Volk kehrte die Sache um. Anstatt die Weisheit des gelehrten Juden anzuerkennen, wendete sich die rohe Menge gegen sämmtliche Juden in Mainz, die man als Urheber der Seuche bezeichnete. Fanatische Feinde der fleißigen und klugen hebräischen Handelsleute traten mit den lächerlichsten Anschuldigungen hervor und verlangten laut, daß diese entweder vertrieben oder wenigstens in bestimmte Straßen gesperrt und durch Abzeichen kenntlich gemacht werden sollten.

Als die Krankheitsfälle sich mehrten, steigerte sich das Wuthgeschrei, und eines Tages rottete sich der Pöbel zusammen, um die Juden zu überfallen. Der Erzbischof Siegfried von Mainz kannte und schätzte den alten Ben Gabirol. Dieser bat um Schutz und veranlaßte die Juden, sich in die bischöfliche Pfalz zu flüchten. Aber dies erhöhte nur die Entrüstung und brachte einen Aufstand in der Stadt hervor, durch welchen selbst der Bischof genöthigt wurde, die unglücklichen Juden der Wuth des blinden Haufens Preis zu geben. Es erfolgte eine jener Scenen, welche der Menschheit zur ewigen Schande gereichen. In seiner maurischen Tracht wagte der ehrwürdige Ben Gabirol an der Spitze seiner Volksgenossen den in die bischöfliche Pfalz eindringenden Aufrührern entgegenzutreten, aber diese hatten kein Gefühl für den Eindruck des Alters und der Würde. Ein Axthieb streckte den edlen Greis zu Boden, und seinem 402 sofortigen Tode folgte ein Gemetzel der scheußlichsten, grauenerregendsten Art.

Heinrich von Sunnera hatte absichtlich seinen Weg über Eisenach genommen, um dem alten Freunde und Wohlthäter die glückliche Wendung seiner Angelegenheiten zu erzählen. Wie schmerzlich war er erstaunt, als er die Gartenpforte offen, die schönen Anlagen verwüstet und das Haus von rohen Menschen geschändet und ausgeraubt fand.

Die Kunde von der Judenhetze zu Mainz war rasch in Eisenach bekannt geworden, und das treue Dienerpaar hatte nur eben Zeit gefunden, sich durch schleunige Flucht zu retten. In wenigen Tagen war dann durch ruchlose Hände die schöne Schöpfung eines edlen Menschengeistes zerstört worden. Trauernd betrachtete Heinrich die Trümmer des herrlichen Gartens und die Ruine des geschmackvollen Hauses. Ach! er empfand wieder einmal recht schmerzlich, wie tief in seinem Vaterlande unter Vorurtheilen und Rohheit die Keime edler Gesittung schlummerten und wie gefährlich es erschien, den Haß unverständiger Menschen zu wecken, indem man ihnen die Früchte besserer Zustände als Ziel des Strebens vorhielt.

Aber er durfte solchen Gedanken nicht nachhängen! Gerade in wüster Zeit, bei gährenden Zuständen ist es nöthig, daß die besser Gesinnten Muth und Thatkraft bewahren, um ohne Rast und Ruhe wirken und schaffen zu können. Er hatte jetzt einen Zweck, einen Stützpunkt für das Gemüth, ein Asyl des Friedens und der Ruhe, und er gedachte gerührt des Segensspruches, den der hebräische Greis ihm als letztes Wort auf den Lebensweg mitgegeben hatte. Mit doppelter Sehnsucht trieb es ihn nach dem Ziele. Als 403 er in Köln, an der neuen Stätte seiner Wirksamkeit anlangte, erwartete ihn die ehrenvollste und erhabenste Anerkennung seines Talentes und seines ernsten Strebens. Feierlich wurde er vom Erzbischof in die Bauhütte eingeführt, mit allen Gebräuchen und der geheimnißvollen Symbolik der Baukunst bekannt gemacht und in die Pflichten und Rechte eines Ordners und Meisters eingeführt. Dann wurde ihm die ganze Leitung des neuen Dombaues übertragen. Er waltete seines Amtes mit voller Hingebung und echter Begeisterung für die hohe Bedeutung seiner stummen und doch die erhabenste menschliche Sprache redenden Kunst. In den großen rheinischen Bauhütten wurde übrigens nicht nur die edle Kunst, nach welcher sie benannt waren, getrieben, sondern ganz besonders auch die Bildnerei zu großer Vollkommenheit gebracht. Es wurden Thüren mit erhabenem Erzwerk gegossen, in Stein gemeißelt, in Holz geschnitzt, und auf diese Weise waren sie die Pflegestätten eines mächtigen Aufschwungs der bildenden Künste.

Der edle Herr von Sunnera, der im Gegensatz zu seinen Standesgenossen, die ihren ererbten Vorrechten meistens sehr wenig rühmliche Eigenschaften beifügten, seinem Namen den Glanz geistiger und künstlerischer Bedeutung verlieh, zögerte nicht lange, bis er seine treue Wulfhilde zu sich holte. Auf der Burg Rapperswil vereinte der Spruch des Priesters das schöne Paar, und es hatte sich zu dieser freudigen Feier eine glänzende Reihe von theilnehmenden Freunden eingefunden. Der Graf Ulrich von Rapperswil und seine junge Gattin Gisa vertraten die Stelle der nächsten Verwandten, aber auch der greise Vater des Grafen und die würdige Mutter der Gräfin rechneten es 404 sich zur Ehre, dem jungen Paare zur Seite zu stehen. Rudolf von Habsburg fühlte vielleicht keine so unbedingte, aber eine ebenso treue und ihrer Gründe sich klarer bewußte Anhänglichkeit an Heinrich, wie Dietmar, der Vetter der Braut. Auch der junge Graf von Hohenzollern und Frau von Hohenberg mit ihrer lieblichen Tochter Gertrude wohnten der Hochzeitsfeier bei, denn Wulfhilde hatte die Herzen der Freunde des Hauses Habsburg alle gewonnen. So oft Rudolf's Blick das Antlitz der holden kindlichen Gertrude von Hohenberg traf, erröthete sie, weil sie seine Gedanken errieth, und als später beim Bankett der Wein die Zungen zu scherzhaften Neckereien löste, fand der liebende Jüngling auch ein kühnes Wort für seine Wünsche. Wäre der fröhliche Guntram noch am Leben gewesen, wie heiter würde er diesem Feste beigewohnt und alle Herzen durch die holden Weisen seiner Fiedel erfreut haben! Und viel hätte er zu singen und zu sagen gefunden von den kühnen Blicken der edlen Ritter, den hellen Augen und rothen Lippen der schönen Frauen. Zwar gehörten die Familien Habsburg und Kalmburg nicht zu den reichen Rittergeschlechtern, aber es glänzte doch manche goldene Spange an den zarten Armen und mancher kostbare Edelstein blinkte an den Gewändern sowohl der holdseligen Braut wie auch der andern minniglichen Frauen.

Als darauf Heinrich mit seiner jungen Gattin den Rhein abwärts zog und jene paradiesischen Gefilde mit den hohen Burgen, freundlichen Städten und hochragenden Domen zwischen den blühenden Ufern an Wulfhildens Seite bewunderte, durchlebte er wieder einmal eine Zeit so ungetrübten und wahrhaft beseligenden Glückes, daß er 405 dankbar die Güte des Schöpfers erkannte und im Herzen das Gefühl tiefer Ergebenheit in Gottes Rathschlüsse unwandelbar empfand.

Mancherlei erfuhren die Reisenden unterwegs von den Welthändeln und den Vorgängen im Reiche. In der Gegend von Coblenz sprachen die Menschen von einem Ereigniß, das sehr gemischte Empfindungen im Volke hervorrief. Der berühmte Mönch Konrad von Marburg war im Eifer seiner Ketzerverfolgungen so weit gegangen, daß er einen der vornehmsten Ritter, den Grafen von Sayn, hatte gefangen nehmen und ihm wie einem gemeinen Verbrecher den Kopf kahl scheeren lassen. Da aber hatten sich Freunde und Verwandte des Grafen zusammengethan, hatten dem übermüthigen Mönch aufgelauert, ihn von einem Hinterhalte aus überfallen und wie einen tollen Hund erschlagen.

Auch während Heinrich's Anwesenheit in Köln war bald hier bald dort Aufruhr und Gewaltthat an der Tagesordnung. Kaum hatte er sich zu Hause eingelebt und seine Thätigkeit an der Seite der klugen Wulfhilde, mit der er alle seine Pläne besprach, lieb gewonnen, als der edle Erzbischof Engelbert eines Tages von einem Trupp mißgünstiger Ritter auf der Landstraße überfallen und erschlagen wurde. Es war eben immer Einer gegen den Andern. Die Ritter befehdeten die Städte oder die Geistlichkeit und lebten dabei selbst untereinander in anhaltendem Kriege, so daß kein Mensch seines Lebens sicher war.

Durch Engelbert's Tod gerieth der großartig entworfene und kühn begonnene Dombau zu Köln in Stockung, und es war vorläufig für Heinrich daselbst nichts weiter auszurichten.

406 Auch uns verschwindet sein Bild seit dieser Zeit aus den Augen. Wohl zeigen die Ruinen der Burg Sunnera, daß das einfache Waldschlößchen zu einem stattlichen Bau erweitert wurde, und zwischen den Trümmern des Kreuzganges, der einst die Burgkapelle schmückte, erblickt der aufmerksame Wanderer unter Gras und Blumen die Reste von Grabsteinen mit Figuren und Inschriften, welche bestätigen, daß hier eine Reihe von edlen Herren von Sunnera ihre Ruhestätte fanden, deren getreue Hausfrauen, die bei ihnen bestattet sind, aus den edelsten Familien der Gegend stammten. Den Grabstein des ersten Herrn von Sunnera hat man allerdings bis jetzt nicht entdecken können, und somit bleibt es auch unentschieden, ob es ihm vergönnt war, die Wahl Rudolf's von Habsburg zum deutschen Kaiser und damit das Ende der schrecklichen rechtlosen Zeit zu erleben. Dafür aber findet man seinen Namen in den Chroniken der heiligen Stadt am Rheine, und da das machtvolle Denkmal deutschen Kunstfleißes daselbst nun vollendet ist, fällt auch auf sein Gedächtniß ein Schimmer dankbarer Rückerinnerung.

 


 


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