Adolf Glaser
Wulfhilde
Adolf Glaser

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Erster Theil.

Erstes Buch.

Am Ufer des kleinen Flusses Unstrut, der eine abwechslungsreiche Gegend zwischen dem Harzgebirge und Thüringer Walde durchfließt und mit seinen Wellen bald den Rand dichter Waldungen, bald Wiesen und Ackerflächen bespült, lagen die Gebäude des Benedictiner-Klosters Memleben, das schon seit Jahrhunderten den Mittelpunkt für die Bewohner der nächsten Gegend bildete. Dem kundigen Reisenden mußte bereits der äußere Anblick der Gebäude zeigen, daß die stattliche Abtei erst nach und nach die umfangreiche Ausdehnung gewonnen hatte, welche nun der Stolz der Mönche und der umwohnenden Bevölkerung, sowie die Bewunderung vorbeiziehender Wanderer war. Da lagen größere und kleinere Abtheilungen dem Hauptgebäude angefügt, bald höhere Häuser von zwei Stockwerken, bald kleinere Räume zum Schutze für das Vieh und zu Dienstwohnungen. Das Auge wurde zuerst durch die Kirche gefesselt, die in einfacher Majestät aufragte und alles Uebrige beherrschte. Sie war ganz aus Stein gemauert, die Rundbogenfenster mit kleinen Säulen verziert. Das Hauptmaterial für die Klostergebäude bestand in Holz, und zwar 2 in ziemlich plump gearbeiteten Balken, die wohl hier und da an vorspringenden Ecken und Enden mit Schnitzwerk verziert, sonst aber fast ganz in ihrer natürlichen Rundung geblieben waren.

Wie überall in jener Zeit, wo die edle Baukunst einen geheiligten Charakter hatte und nur an kaiserlichen Pfalzen, Kirchen und Klöstern Anwendung fand, galt die Memleber Klosterkirche bei den umwohnenden Menschen für ein Weltwunder. Und sie war auch in der That ein mächtiges Bauwerk, ursprünglich ganz im romanischen Style errichtet, später auf Veranlassung der Kaiserin Theophania in byzantinischer Weise bemalt und ausgeschmückt und neuerdings wiederholt mit gothischen Ergänzungen versehen.

Das Kloster hatte eine glanzvolle Vergangenheit. Auf einer Anhöhe in der Nähe hatte Heinrich der Finkler oder Vogelsteller ein Jagdhaus besessen, und hier wurde der Sage nach ihm die Nachricht seiner Wahl zum deutschen Kaiser überbracht. Aus dem Jagdhaus war dann eine kaiserliche Pfalz geworden, wohin Heinrich sich gern von Zeit zu Zeit zurückzog. Auf einer Durchreise, während er aus Italien kam, war der Kaiser hier gestorben und darauf in Quedlinburg begraben worden. Um den Ort, wo ihr Gatte verschieden war, zu heiligen, gründete die fromme Kaiserin Mechthilde die Abtei Memleben. Auch Heinrich's Sohn, Kaiser Otto, liebte den Aufenthalt daselbst und rastete zuweilen Tage lang in dem Kloster, dem er viele Zuwendungen machte und mit welchem er eine Schule für Söhne edler Häuser verband. Das Schicksal wollte es, daß auch er auf der Reise von Merseburg nach Quedlinburg im Kloster Memleben erkrankte und daselbst starb. Sein 3 Leichnam wurde dann in Magdeburg neben seiner ersten Gemahlin Editha bestattet.

Alle diese Erinnerungen lebten und webten noch um die Mauern des nun schon Jahrhunderte alten Klosters. Es war fast, als spräche aus den Steinen das Gedächtniß vergangener Tage, welches wie der Traum einstiger Größe die Fantasie der Bewohner belebte.

Floß doch das Leben dieser Bewohner in der Gegenwart ziemlich eintönig dahin. Die Tagesordnung war in der strengsten Weise geregelt, und die Stunden des Gebetes, der Arbeit und der Erholung folgten in unabänderlicher Gleichmäßigkeit. Zu gewissen Stunden machten die Klosterschüler in Begleitung einiger Mönche ihre Spaziergänge im Klostergarten, und die jungen Leute gesellten sich dann meist paarweise zu einander. Trotz der Heiligkeit ihres Lebens, der Strenge der Aufsicht und der Härte der Strafen, nahmen die Gespräche in den Erholungsstunden in unbewachten Augenblicken häufig eine sehr weltliche Wendung. Die Jugend verlangte eben ihr Recht, und niemals konnte die Ausgelassenheit und Schelmerei einzelner Schüler ganz unterdrückt werden. Auch fanden sich bei den Spaziergängen im Freien vereinzelte Gemüther zusammen und es wurden zuweilen innige Freundschaften geschlossen, die meistens gerade in der Auflehnung gegen den klösterlichen Zwang das stärkste Bindemittel fanden.

In solchen Fällen vereinigen sich scheinbare Gegensätze. So entwickelte sich auch zwischen einem der derbsten und kräftigsten Jünglinge und einem schlanken, etwas melancholisch aussehenden Genossen, der erst kurze Zeit in 4 Memleben Aufnahme gefunden hatte, ein Freundschaftsbund, der sich von Tag zu Tag traulicher gestaltete.

Der kräftige junge Mann nannte sich Dietmar von Kalmburg und war der Sohn eines ehrenfesten Ritters, der außer seinem Stammsitze gar keine Güter besaß. Es kümmerte Dietmar wenig, daß sein neuer Freund keinen sehr bekannten Namen nennen konnte, als er ihn frug, wie er heiße.

»Mein Name ist Heinrich und die Burg Sunnera meine Heimath,« hatte der stille bleiche Jüngling gesagt und den Fragenden dabei mit seinen dunklen und wehmüthigen Augen angesehen.

Dietmar frug nicht weiter. Also doch eines Burgherrn Sohn, dachte er und gab sich zufrieden. Nun hielten sie sich zusammen, und Dietmar schüttete dem neuen Freunde bald sein ganzes Herz aus. Er schalt auf sein feindliches Schicksal, welches ihn als jüngeren Sohn eines unbegüterten Hauses durch den Willen des Vaters in das Kloster geführt habe, und er versicherte dem Genossen, wenn er bei den Mönchen nichts lerne und sich fortwährend den Schulregeln widersetze, so rühre dies allein von seiner Abneigung gegen Memleben her. Wie bedauerte er, daß er auf der Schulbank sitzen und in der Kirche den Meßdienst verrichten müsse, anstatt zu Pferde zu steigen und mit allerlei Waffen schwierige und gefährliche Uebungen anzustellen.

Heinrich stimmte zwar mit Dietmar nicht völlig überein, aber es interessirte ihn lebhaft, Einiges von dem Leben in der Außenwelt zu erfahren, und wenn er auch die Abneigung seines Freundes gegen geistige Ausbildung nicht 5 begriff, verstand er doch sehr wohl dessen Vorliebe für Waffen und ritterliche Uebungen.

Das Gespräch kam also immer wieder auf diese Lieblingsgegenstände, und der rothwangige Dietmar, dessen blondes Haar zwar nach der Regel der Klosterschüler verschnitten war, sich zuweilen aber etwas widerspänstig zeigte, gerieth in förmlichen Eifer, wenn er bemerkte, daß seine Mittheilungen den ihm in anderen Dingen überlegenen Genossen lebhaft anregten. Es kam ihm dabei nicht immer auf die strengste Wahrheitsliebe an, denn er selbst wußte das Meiste doch nur vom Hörensagen.

Aufmerksam horchte Heinrich auf, als Dietmar eines Tages, nachdem er das Kapitel über die Lehrzeit des Edelknaben am Hofe irgend eines tapferen Fürsten beendet hatte, mit wahrem Feuereifer von den Pflichten und Aufgaben eines tapferen und gerechten Ritters sprach. Und als er namentlich von dem Dienste gegen die Frauen redete und dabei bemerkte, daß dieses Kapitel dem Freunde durchaus neu war, kramte er sein ganzes Wissen aus und fügte die Versicherung bei, er gehe längst mit dem Gedanken um, sich eine edle Frau zu wählen, welcher er sein Sinnen und Trachten getreulich widmen wolle.

Als er bemerkte, daß dieser kühne Entschluß dem unerfahrenen Freunde merkwürdig erschien, setzte er eifrig hinzu:

»Ist es nicht einleuchtender Unsinn, daß man hier nur gemalten Bildern und geschnitzten Heiligen Verehrung zollen darf? Draußen in der Welt wählt man sich ein lebendiges Vorbild höchster Tugend und weiht ihm Blut und Leben. Bei aller Andacht zu der heiligen Jungfrau Maria 6 erscheint sie mir doch zu hoch und fern und ich ziehe vor, mir ein irdisches Frauenbild als Ziel inbrünstiger Begeisterung zu küren.«

Bei diesem ritterlichen Entschlusse war nun freilich guter Rath theuer, denn die Klosterschüler bekamen selten ein weibliches Wesen zu Gesicht und die Auswahl blieb jedenfalls eine sehr beschränkte. Als sie wieder einmal darauf zu sprechen kamen, äußerte Dietmar den Gedanken, seine ritterliche Huldigung der Schwester des Memleber Priors, welcher Elicho hieß, zu widmen, einer Frau von vornehmer Geburt, welche die Wittwe eines benachbarten Grafen war und kürzlich einmal das Kloster besichtigt und eine Altardecke für die Kirche gestiftet hatte.

Heinrich war über diese Wahl entsetzt und machte geltend, daß die Dame gewiß bereits über fünfzig Jahre alt und von abschreckender Häßlichkeit sei. Er schlug dafür die Tochter des Mannes vor, der für das Kloster die Schweine hütete. Die Dirne war kürzlich im Auftrage ihres Vaters in den Klosterhof gekommen und hatte ein paar junge Ferkel vor sich hergetrieben, um sie abzuliefern. Die Schüler waren gerade durch den Hof gegangen, und Heinrich wollte bemerkt haben, daß die frischen Wangen und kecken Blicke der Dirne den Augen Dietmar's nicht mißfallen hätten.

»Welch ein Gedanke!« rief Dietmar entrüstet aus. »Solch ein Geschöpf ist gut zur Kurzweil, und ich möchte ihr wohl einmal die frischen Wangen streicheln, aber um in Schimpf und Ernst ihr getreuer Ritter zu sein und ihre Farben im Turniere zu tragen, dazu müßte sie mir ebenbürtig und eine gebietende Frau oder edle Jungfrau 7 sein. Du verstehst die Sache nicht richtig, wenn Du annimmst, daß es sich dabei um etwas Anderes als die gelobte Treue handelt. Mancher Ritter widmet sich einer Dame und schwärmt sein ganzes Leben lang für dieselbe, ohne sie nur gesehen zu haben; er weiht ihr seine Waffen, trägt ihre Farben, vollbringt zu ihrer Ehre die größten Heldenthaten und duldet nicht, daß irgend ein Mann ihren Namen ohne Ehrfurcht nennt – dabei aber kann derselbe Ritter Frau und Kinder zu Hause haben und mit allen hübschen Bauerdirnen seinen Scherz treiben, das ändert nichts an seinen reinen und erhabenen Gefühlen für die Frau, der er seine Waffen gewidmet hat.«

Dietmar wußte diese Ansichten mit mancherlei Beispielen zu belegen, und Heinrich hörte seinen Erklärungen mit der größten Aufmerksamkeit zu. Aber letzterer faßte die Sache in seinem eigenen Sinne auf. Sein Wesen war bedeutend ernster und tiefer angelegt, und er frug nicht weiter, sobald er bemerkte, daß Dietmar seine Fragen doch nicht richtig verstehen werde. Auch erschloß er selbst sich dem Freunde nur bis zu einem gewissen Grade.

Das Gespräch war jedoch unterbrochen worden, und die beiden jungen Leute mußten froh sein, daß der dazu kommende Mönch keine Ahnung von dem Inhalte desselben hatte.

Uebrigens blickten die Bewohner der zu dem Kloster gehörigen Dörfer mit scheuer Ehrfurcht zu den frommen Brüdern, sowie zu den Schülern empor, ja sogar die daselbst dienenden Knechte genossen ein gewisses Ansehen, da immer schon ein höherer Grad von Begriffsfähigkeit dazu gehörte, um im engeren Dienste der Abtei verwendet zu werden.

8 War die Kirche überhaupt der Stolz und die Freude der Klosterbrüder, so wurde sie dies in erhöhtem Maße an den hohen Festtagen, wo ein besonderer Glanz entfaltet werden konnte. Das erstaunte Auge der Besucher ergötzte sich alsdann am Anblick mancher Schätze, welche für gewöhnlich hinter Schloß und Riegel verwahrt gehalten und nur bei feierlichen Gelegenheiten zur Bewunderung andächtiger Beschauer ausgestellt wurden. Diese Schätze bestanden aus verschiedenen Reliquien: dem Schädel und mehreren Knochen vom Schutzheiligen der Abtei, einem Hirtenstabe aus Bethlehem und Theilen von Kleidungsstücken, welche das Gedächtniß an gewisse Heilige und Märtyrer wachriefen und von denen geglaubt wurde, daß sie Wunder zu wirken im Stande seien. Außer diesen Reliquien waren auch kostbare Meßgewänder und reichgestickte Kirchenfahnen von fürstlichen Männern und Frauen als Zeichen dankbarer Rückerinnerung gestiftet worden.

Mit heiliger Scheu wurden diese Dinge von dem gläubigen Volke betrachtet. Nichts wurzelt tiefer im Menschen, als daß er Mißgeschick und körperliche Leiden, deren Ursache er nicht erkennen kann, feindlichen Mächten zuschreibt und die Heilung von solchen Plagen dann selbstverständlich als siegreiche Bekämpfung des unsichtbaren Feindes betrachtet. Das Ansehen der frommen Klosterbrüder stützte sich beim Volke zwar nicht auf körperliche Kraft und Waffengewalt, wie bei den Rittern, aber auf den Besitz von Dingen, deren Anblick und Berührung schon Kraft und Gesundheit verlieh, die also Heil und gelegentlich auch Unheil spenden konnten.

Daß der Besitz der Reliquien übrigens nicht alle Leiden 9 von dem Kloster fern hielt, konnte man an dem jungen Heinrich bemerken, der oft genug durch die Fensteröffnung seiner Zelle trüben Sinnes über den Fluß hinausblickte. Sein Gesicht zeigte deutlich, daß er von Kummer niedergedrückt und wohl auch körperlich leidend war. Wie alle Schüler trug er das schwarze Gewand der Benedictiner. Da auch sein Haar, die Wimpern und Brauen schwarz waren, trat die Blässe seines fein geschnittenen Gesichtes um so deutlicher hervor. Er mochte etwa achtzehn Jahre alt sein, und über seiner Lippe zeigte sich eben der dunkle Flaum eines keimenden Bärtchens. Sein sonst so tiefes graublaues Auge zeigte gegenwärtig, wenn es sinnend in die Ferne schweifte, einen müden unlustigen Ausdruck, der gar nicht zu seiner Jugend paßte.

Was mochte in dem Gemüthe des Jünglings vor sich gehen, das ihn so schmerzlich bewegte und ihm die kindlich heitere Stirne trübte? Die guten Mönche, mit Ausnahme des Priors Elicho, ahnten es nicht. Sie hofften, ihn durch gute Pflege, kräftige Heiltränke und inbrünstiges Gebet gesund zu machen. Theilnehmendes Mitgefühl, das ihm nöthiger als Alles gewesen wäre, konnte er nicht finden, denn die frommen Brüder verstanden wenig von Kämpfen des Gemüthes, wie sie der neue Mitbewohner zu bestehen hatte. Die Meisten hatten längst mit jeder Art weltlicher Beziehungen gebrochen und gingen völlig in den Pflichten und Anforderungen ihres gegenwärtigen Lebens auf. Regte sich einmal in ihnen der Teufel des Ungehorsams oder irdischer Sehnsucht, so bekämpften sie ihn durch scharfe Geißelung, Fasten und Gebet und holten sich dann in der Beichte die Absolution. Wohl empfand Dietmar von Kalmburg so viel 10 Freundschaft für Heinrich, wie sein knabenhaftes Gemüth fähig war, aber trotz der Unzufriedenheit, die er oft genug selbst in bitteren Worten aussprach, würde er für Heinrich's Kummer ebensowenig Verständniß gehabt haben wie die Mönche, welche gegen die Zerstörung aller Lebenshoffnungen kein anderes Mittel kannten, als die Gnade Gottes und die Fürbitte der Heiligen.

Als Heinrich in das Kloster gebracht worden war, hatte seine Traurigkeit und die Unlust zu Speise und Trank den Abt bewogen, um jeder Erklärung aus dem Wege zu gehen, den neuen Schüler als Kranken behandeln zu lassen. Heinrich wurde in einer besonderen Zelle gebettet und sorgfältig behütet, denn er war dem Kloster von einflußreicher Seite zugesandt und anvertraut worden. Die Schonung ging jedoch nicht so weit, daß man ihm die regelmäßigen religiösen Uebungen völlig erlassen hätte; er wohnte täglich der Messe und den Gebetstunden bei und verkehrte nach freier Wahl mit den übrigen Schülern. Die ganz frühen Gebetübungen und die Stunden des Unterrichts blieben ihm vorläufig erspart, und man ließ ihn in seiner besonderen Zelle, damit er besser der Nachtruhe pflegen und dadurch seine geschwächte Gesundheit herstellen könne.

Heinrich's Gedanken konnten sich nur schwer von dem quälenden und immer wiederkehrenden Eindrucke befreien, der wie ein Blitzstrahl aus heiterer Luft alle früheren Vorstellungen seiner jugendlichen Fantasie gewaltsam vernichtet hatte. War es ein Wunder, wenn der junge Mann sich doppelt elend fühlte, da er plötzlich und unerwartet aus dem Zustande ungetrübten Glückes in die Einsamkeit trostloser Klostermauern versetzt wurde? Zwar war diese 11 Einsamkeit nicht im gewöhnlichen Sinne zu verstehen, denn er sah sich hier von mehr Menschen umgeben, als früher, wo er auf der kleinen Burg Sunnera mit seiner Mutter, in Gesellschaft des alten Burgkaplans Eckbrecht, des Burgwarts Konrad und einer kleinen Anzahl von Mägden und Knechten gelebt hatte. Aber damals war er frei und ungebunden gewesen, sicher und sorglos hatte er sich vom Auge der Mutter behütet gewußt, und ob er unter der Aufsicht des ehrwürdigen Kaplans im Winter die Schriftzeichen erlernte, oder im Sommer mit Konrad durch Wald und Feld schweifte und sich im Gebrauche der Waffen übte, immer waren ihm die Tage wie Träume und Märchen vergangen. Eben erst hatte er angefangen, über sich und die Welt nachzudenken, da zertrümmerte ein einziger furchtbarer Schlag das ganze Paradies seiner Kindheit.

Immer und immer wieder sah er die blutige Leiche seiner geliebten Mutter vor sich. Nur wenige Stunden, bevor er die theure Gestalt leblos und mit entstelltem Gesichte erblickte, hatte er fröhlichen und zärtlichen Abschied von der Lebenden genommen, um sich zu einigen Gespielen nach der benachbarten Burg Stanz zu begeben. Von dort hatte ihn der Knecht Konrad eilig zurückgeholt und ihm unterwegs erzählt, daß die Mutter auf einem Gange durch den Wald, den sie mit dem Körbchen am Arm unternommen hatte, um, wie es ihre Art war, im benachbarten Dorfe einer kranken Frau Stärkung zu bringen, überfallen und ermordet worden sei.

Der Vorfall war so grausig, daß Heinrich wie in eine Betäubung verfiel und rath- und hülflos Alles um sich her geschehen ließ, was der alte Kaplan und die Dienerschaft anordneten. War er doch sein ganzes Leben lang nie auf 12 den Gedanken gekommen, daß irgend etwas in seiner Umgebung sich rasch und unerwartet verändern könne. So lange er zurückdenken konnte, wohnte er mit seiner Mutter zu Sunnera, und er hatte lange Zeit geglaubt, daß die ganze Welt aus dem Umkreise von wenigen Stunden bestehe.

Von Zeit zu Zeit war ein stattlicher Herr ohne jedes Gefolge auf der Burg erschienen. Heinrich wußte nur, daß derselbe sein Pathe sei, und er hatte frühzeitig bemerkt, daß der kurze Aufenthalt des Pathen stets eine festliche Stimmung auf dem einsamen Waldschlößchen hervorrief, während die Mutter jedesmal nach solchen Tagen, sobald der Pathe Sunnera verlassen hatte, in verdoppelter Zärtlichkeit gegen ihren Sohn und mit heimlichen Thränen sich über die rasche Trennung zu trösten suchte.

Außer den Kindern des nächstgelegenen Dorfes hatte Heinrich Jahre lang nur das Burggesinde gekannt. Vielleicht ein Jahr vor dem entsetzlichen Morde wurde die benachbarte, ziemlich verfallene Burg Stanz etwas hergerichtet, und einige Zeit darauf, nachdem sie bewohnbar gemacht war, zog eine Familie dort ein, bei welcher sich zwei junge Burschen befanden, die Egon und Erwin hießen und ungefähr mit Heinrich in demselben Alter waren. Es entspann sich ein lebhafter Verkehr zwischen den Knaben, und Heinrich erfuhr gar bald Manches, wovon sein kindliches Herz bisher keine Ahnung hatte. Als er von seinem Pathen sprach, lachten die neuen Freunde und frugen, ob er denn keinen Vater habe. Ueber diese und andere Reden dachte er viel nach, legte auch der Mutter einzelne Fragen vor und gerieth zuweilen über Dinge in Verwirrung, auf die er sonst gar nicht geachtet hatte.

13 An jenem furchtbaren Tage war Heinrich wieder auf die Burg Stanz gegangen, da er mit den beiden Knaben, von denen Egon älter und Erwin jünger war als er, eine Uebung im Bolzenschießen verabredet hatte. Inzwischen war die ruchlose That geschehen. Die Einzelheiten konnte Niemand wissen. Ein Schwert hatte die wehrlose Brust der sanften Frau durchbohrt. Es war ein schändlicher Mord der rohesten Art. Ein vorübergehender Waldarbeiter fand die Leiche in einer Blutlache und brachte laut jammernd die entsetzensvolle Botschaft nach Sunnera. Sofort hatten die Dienstleute den leblosen Körper ihrer edlen Herrin dorthin geholt. Dann eilte der Burgwart Konrad nach Stanz, um dem Sohne die schreckliche Kunde zu bringen. Heinrich war mehr todt als lebendig in der heimischen Burg angelangt. Durch das Gestrüpp des Dickichts hatte Konrad mit ihm den kürzesten Weg eingeschlagen, ohne darauf zu achten, daß die Kleider und Hände überall von Dornen verletzt wurden. In wildem Schmerze hatte sich dann beim Anblick der todten Mutter, deren Gewand überall vom Blute befleckt war, das Gemüth des verwaisten Heinrich Luft gemacht, und der Kaplan sowie die Dienstleute hatten ihren eignen Jammer unterbrochen, um den bedauernswerthen Jüngling aufzurichten und vor Verzweiflung zu schützen.

An demselben Tage noch hatte Konrad sein Pferd gesattelt und war fortgeritten. Am zweiten Tage darauf war er zurückgekommen und hatte Vollmacht für Alles mitgebracht, was dann geschah. Die Leiche wurde in der kleinen Kapelle der Burg beigesetzt, wobei der alte Kaplan Eckbrecht tief bewegt die nöthigen Gebete sprach. Alle 14 Anwesenden weinten und klagten laut. Wenige Tage darauf mußte Heinrich sich zur Reise bereit halten, und Bruder Eckbrecht brachte ihn unter Konrad's Schutz nach der Abtei Memleben, wo er dem Prior übergeben wurde.

Ergreifend war der Abschied, den der verlassene Heinrich von den beiden Hütern seiner Kindheit, dem frommen alten Geistlichen und dem braven Konrad, nehmen mußte. Ersterer hatte früher, bevor er Burgkaplan zu Sunnera wurde, als Klausner lange Jahre in der Gegend zwischen dem Kloster Memleben und der Kalmburg gelebt und war nun entschlossen, wieder in die Einsamkeit des Waldes zurückzukehren und seine frühere Klause aufzusuchen.

Konrad kehrte zu Heinrich's Pathen zurück und konnte sich nicht enthalten, dem jungen Manne vorher zu eröffnen, daß jener stattliche Mann nicht sein Pathe, sondern sein Vater sei. Obgleich Heinrich wie in einem dumpfen Traume sich befand, berührte ihn diese Nachricht doch gleich einem Blitzstrahl. Als er dann von Konrad und dem Geistlichen Abschied nahm, hatte er das Gefühl, als sage er allen Freuden seiner Jugend Lebewohl, denn die Pforte des Klosters schien für ihn der Eingang in eine neue, fremde Welt, welche vorläufig düster und kalt erschien. War es da ein Wunder, wenn tiefer Trübsinn sein Gemüth umschattete und sein Aussehen und Verhalten derart war, daß der Abt und die Mönche ihn für körperlich krank hielten?

Die wenigen Wochen, welche Heinrich nun in der Abtei verlebt hatte, waren nicht geeignet gewesen, sein Gemüth zu erheitern. Seine fromme Mutter hatte ihn Gebete sprechen gelehrt und der alte Kaplan ihm mancherlei Unterricht ertheilt, aber was war dies gegen die 15 fortgesetzte strenge Uebung der religiösen Gebräuche, welche als höchster Zweck des klösterlichen Lebens galt? Mit einer Art von geheimem Grauen fühlte der Jüngling bereits, daß auch er nach und nach dem erstarrenden Einfluß dieser eintönigen, jeden frischen Hauches entbehrenden Lebensweise gleichfalls erliegen und zuletzt in stumpfer Gedankenlosigkeit seine Tage zubringen werde, wenn sein Vater ihn für immer in diese abschließenden Mauern verbannt habe. Vorläufig grübelte er noch Tag und Nacht über die erlebten Vorfälle und die daran sich knüpfenden neuen Erfahrungen, bis endlich die Freundschaft zu Dietmar von Kalmburg seinen Gedanken zuweilen eine andere Wendung gab.

Inzwischen war es Herbst geworden und ein bestimmter Tag brachte für Heinrich eine Veränderung. Der Prior erklärte ihm, daß er von nun an als vollkommen hergestellt betrachtet werden müsse und sich daher streng nach den Regeln zu richten habe, welche den Schülern von Memleben vorgeschrieben waren. Da er sich doch nicht im Freien tummeln durfte, war er damit sehr einverstanden, denn er fühlte selbst, daß nichts ihn besser zerstreuen und trösten konnte, als die Gelegenheit zur geistigen Ausbildung. Darin unterschied er sich wesentlich von Dietmar. Wäre er nur unter männlicher Aufsicht groß geworden und hätte seine fromme und einsichtsvolle Mutter den Einfluß Konrad's nicht gemildert, so würde auch er vielleicht jede geistige Beschäftigung verachtet haben, denn es steckte förmlich im Blute der jungen Männer, nur an der Uebung in den Waffen, am Reiten und Jagen Geschmack finden zu wollen.

Ganz unwissend war Heinrich schon nicht mehr, und da er Lust und Eifer zum Lernen zeigte, zog er bald die 16 Aufmerksamkeit eines Mönches auf sich, der mit seinem Klosternamen Bruder Eulogius hieß und nicht nur für den gelehrtesten unter den Bewohnern der Abtei galt, sondern auch die Chronik desselben führte und die Pergamente und Schriften unter seiner Obhut hatte. So weit es bei der Strenge des klösterlichen Verkehrs möglich war, suchte Eulogius der Wißbegierde des neuen Schülers entgegen zu kommen und ihn in der hebräischen und lateinischen Sprache zu unterrichten.

Dadurch gestaltete sich das Leben Heinrich's nach und nach erträglicher. Die Erinnerung an seine schrecklichen Erlebnisse fing an, zu erblassen und das entsetzliche Bild der ermordeten Mutter machte nach und nach der Erinnerung an die sanfte und stille Frau, wie er sie Jahre lang im Leben gekannt hatte, Raum. Da er im Kloster viel von der Schönheit der heiligen Mutter Gottes hörte und dieselbe bald als demüthige Jungfrau, bald als Himmelskönigin verehren lernte, verschmolz sich nach und nach die Andacht zu der Heiligen mit dem Gedächtniß an die verklärte Mutter. Seiner reinen Seele schwebte das Weib überhaupt nur in der Vereinigung dieser beiden Gestalten vor, und er schuf sich ein Ideal irdischer Vollkommenheit mit allen milden, edlen und zarten Eigenschaften des Geistes und Herzens, und an dieses Ideal dachte er, wenn er zu der von Gott begnadeten Jungfrau betete, die mit keinem irdischen Weibe zu vergleichen war.

So ging der erste Winter im Kloster vorüber. Freilich langsam und unter vielen Entbehrungen. Manche Woche bedeckte der Schnee die Umgegend mit seinem eintönigen Leichentuche. Wohl saß es sich ganz behaglich während der 17 langen Abende im Versammlungssaale, wo große Feuer knisternd brannten und jeder Anwesende seine Beschäftigung hatte; dagegen waren die frühen Morgenstunden in der Kirche schwer zu ertragen. Die festliche Zeit, in welcher die Geburt des Heilandes gefeiert wird, gab Veranlassung zu feierlichen Beleuchtungen, und später brachte die tolle Fastnacht das uralte Eselsfest, an welchem die Schüler nach Herzenslust austoben konnten. Heinrich hatte während der winterlichen Zeit viel gelernt. Des Abends, wenn einzelne Mönche Pergamente abschrieben und bunte Initialen in ihre Abschriften malten, wenn Andere kunstvolle Schnitzereien in Holz oder Bein ausführten, wenn Dietmar von Kalmburg, Lothar von Wendelstein und andere Schüler sich vergeblich die Köpfe bei den Pergamenten zerbrachen, brachte es Heinrich mit Hülfe des Pater Eulogius in der lateinischen Sprache so weit, daß er daraus Uebersetzungen machen konnte. Trotzdem seufzte er mit den Andern nach der Wiederkehr des Frühlings, wenn auch nicht ganz so ungeduldig, wie diejenigen Brüder, welche vorzugsweise für Obstbau und Blumenzucht Vorliebe hatten und die Tage zählten, bis sie ihre zarten Pfleglinge von den winterlichen Strohhüllen befreien konnten.

Es gab diesmal noch besondere Gründe, den Zeichen des wiederkehrenden Lenzes mit Spannung entgegenzusehen. Viel war im Winter davon geredet worden, daß Kaiser Friedrich endlich den Wunsch des Papstes erfüllen und einen neuen Kreuzzug antreten wolle. Das interessirte die Schüler, namentlich ihrer Väter und Brüder wegen. Wenn die Schwalben wieder kamen, konnte man sicher sein, daß die 18 Schaaren der Kreuzfahrer aus allen Gegenden zusammenströmen würden.

Außerdem aber hatte Abt Elicho zum Frühjahr einen berühmten Baukünstler berufen, der einen alten, zerfallenden Kreuzgang abtragen und dafür einen neuen errichten sollte. Davon versprach man sich gleichfalls mancherlei Abwechslung. Die Schüler blickten täglich mit Ungeduld in der Gegend umher und spähten, ob die Störche sich noch nicht sehen ließen. Endlich eines Morgens lief Lothar von Wendelstein mit dem Rufe: »Heilebart! Heilebart!« durch alle Räume des Klosters, und bald stimmte Alt und Jung freudig mit ein, denn seitwärts auf der großen Wiese stolzirte ein Storch gravitätisch umher, während die Störchin das alte Nest oben auf dem Dache sorgsam besichtigte und mit weiser Miene dazu klapperte.

Große Bewegung rief unter den Klosterbrüdern bald darauf die Nachricht hervor, daß eine Abtheilung Kreuzfahrer sich ganz in der Nähe von Memleben zusammenfinden würde. Es war nämlich Gebrauch, daß einzelne Grafen oder Herren mit ihren Gefolgschaften an gewissen Orten sich mit andern ihres Gleichen vereinigten, um die Reise gemeinschaftlich fortzusetzen und zuletzt mit dem kaiserlichen Heere zusammenzutreffen. An gewissen Stellen wurden große Zeltlager aufgeschlagen, und die Herren campirten dort mit ihren Mannen längere und kürzere Zeit. Da nun diesmal der Landgraf Ludwig von Thüringen mit andern sächsischen und thüringischen Herren gemeinschaftlich aufbrechen wollte, so war ein Zusammentreffen der letzteren in der Nähe von Memleben verabredet worden und es sollte dort ein großes Zeltlager errichtet werden. Der Landgraf 19 selbst wollte sich nicht daselbst einfinden. Wenn seine Verbündeten vollzählig waren, sollte Tag und Ort verabredet werden, damit das bei Memleben versammelte Heer zu ihm stoßen könne. Die rechte Begeisterung, wie sie bei den ersten Kreuzzügen geherrscht hatte, war diesmal nicht zu finden, und Alles ging langsam vorwärts. Man erfuhr bereits, daß der Herr von Kalmburg mit Dietmar's beiden älteren Brüdern, der Graf von Merseburg und andere Herren aus der sächsischen Umgegend sich anschließen würden, aber es verlautete auch von vielen fränkischen und schwäbischen Rittern, welche mit dem Landgrafen von Thüringen ziehen wollten und zu diesem Zwecke ebenfalls dem allgemeinen Sammelplatze zueilten.

Selbstverständlich bewirkte die Aussicht auf den Besuch vieler edler Herren und Ritter einige Aufregung unter den Insassen des Klosters. Der Prior war selbst aus hohem Hause und hatte die Gebräuche der Welt nicht vergessen. Es wurde daher rechtzeitig Rath gehalten, auf welche Weise die erwarteten Gäste würdig empfangen und bewirthet werden könnten. Außer den Grafen von Merseburg und Meißen, den Herren von Kalmburg und Wendelstein wurden von fränkischen und schwäbischen Rittern besonders der Graf von Habsburg und dessen Schwager, der Graf von Kyburg, genannt, die mit vielen andern edlen Herren dem Rufe des Kaisers Folge leisten wollten.

Man erzählte sich im Kloster, daß der Entschluß des Landgrafen von Thüringen hauptsächlich durch das Zureden seiner frommen Gattin Elisabeth entstanden war. Das Leben der jungen Landgräfin weckte Heinrich's größte Theilnahme, als es ihm von Eulogius erzählt wurde, denn er 20 fand darin mancherlei Uebereinstimmung mit seinem eigenen Schicksale. Oft und viel hatte der gelehrte Mönch seinem aufmerksamen Schüler von dem Musenhofe auf der Wartburg erzählt. Wenn er dabei auch die deutschen Minnesänger seinen klassischen Lieblingsdichtern gegenüber sehr gering achtete und nicht viel von Wolfram von Eschenbach's Nachahmungen hielt, rühmte er doch die süßen Weisen Walther's von der Vogelweide. Als Kind schon wurde die ungarische Königstochter Elisabeth in einer silbernen Wiege auf die Wartburg gebracht, um mit ihrem späteren Gemahl erzogen zu werden. Wie eine Waare war das Kind dorthin geschafft worden, und Niemand fiel es ein, zu fragen, ob ihre Zukunft eine glückliche oder unglückliche sein werde. Kaum war sie zwei Jahre auf der Wartburg, als ihre Mutter das Opfer eines entsetzlichen Ereignisses wurde, dessen letzter Grund darin zu suchen war, daß ihr Vater, der König Andreas, nach Jerusalem zog und während dem, wie dies so häufig in den Jahren der Kreuzzüge geschah, sein Reich und seine Familie des natürlichen Schützers beraubte. Den genauen Zusammenhang jenes Ereignisses hat man nie erfahren, das Wahrscheinlichste ist Folgendes: Der König hatte seiner gutmüthigen Gemahlin Gertrude die Regentschaft übertragen und gegen ihren Willen den Banus Bank zum Reichsverweser an ihrer Seite ernannt. Die Königin hatte einen ausschweifenden Bruder, welcher auf die Gutmüthigkeit der Schwester sündigte und mancherlei Unfug am ungarischen Königshofe ausführte. Er entbrannte in Liebe für die schöne Gemahlin des Banus, und als seine Neigung auf Widerstand stieß, brauchte er Gewalt. Gertrud verhalf dem Bruder zur Flucht, und da er auf 21 diese Weise der Rache des Banus entrückt wurde, richtete sich dessen Wuth gegen die Königin selbst und er hieb sie unter einem Zelte in Stücke. Die Sache blieb in geheimnißvolles Dunkel gehüllt, und wo die eigentliche Wurzel des entsetzlichen Mordes zu suchen ist, wird wohl nie an den Tag kommen. Man wußte nur, daß der Banus die Gunst des Königs Andreas nicht verlor und daß letzterer den Verlust seiner ersten Gemahlin bald in den Armen einer zweiten vergaß. Welchen entsetzlichen Eindruck aber mußten diese gräßlichen und niemals aufgeklärten Vorfälle auf das Gemüth der heranwachsenden Tochter machen! War es zu verwundern, wenn ihre zarte Seele, die in frühester Jugend die heiligsten Empfindungen zertrümmert sehen mußte, die Welt nur von der verächtlichen Seite betrachten lernte? Ob sie für fremde Sünden zu büßen glaubte, ob sie in der völligen Abtödtung aller irdischen Neigungen und Gefühle allein noch Ruhe und Frieden fand, wer vermag es zu ergründen? Als das Kind damals mit dem ebenfalls noch im Knabenalter stehenden Sohne des Landgrafen Hermann verlobt wurde, fanden jene Festlichkeiten auf der Wartburg statt, bei welchen die ausgezeichnetsten Dichter, die zugleich bei ihrem Umherziehen an den Fürstenhöfen als Vermittler mancher hohen Familienangelegenheit eine Rolle spielten, ihre Künste versuchten, und der Ungar Klingsor, den das thörichte Volk für einen Zauberer hielt, war damals wohl nicht allein zu Spiel und Gesang am landgräflichen Hofe erschienen.

Eulogius hatte diese Mittheilungen gemacht, ohne zu beachten, daß Heinrich's Züge nicht nur die größte Aufmerksamkeit verriethen, sondern auch wechselnde Stimmungen 22 ausdrückten. Das Schicksal der durch ihre Sanftmuth und Frömmigkeit weit und breit bekannten Landgräfin hatte ihn tief ergriffen, aber wenn er auch einsah, daß ein weibliches Gemüth durch solche Prüfungen zur Entsagung und Weltverachtung getrieben werden könne, regte sich in seiner eignen Seele doch der männliche Drang zum Widerstande und zum Kampfe gegen die feindlichen Mächte des Lebens.

Die ersten Gäste, welche sich in der Abtei einfanden, um das Herannahen der Kreuzritter anzukündigen, waren die Herren von Kalmburg, Dietmar's Vater und dessen beide Brüder, Wilfried und Kurt. Ihr Besuch war das Zeichen, daß bereits ein großer Theil der zum Kreuzzuge entschlossenen und das Lager bei Memleben beziehenden Herren dort anwesend war. Es galt nun keine Zeit zu verlieren, und der Abt Elicho ließ in der üblichen Weise die sämmtlichen Ritter zum Besuche des Klosters und zu einem Gastmahle daselbst einladen. Zwei Tage vorher berief er sämmtliche Klosterbrüder in den Versammlungssaal, um ihnen mitzutheilen, welche Anordnungen er getroffen habe. Es verstand sich von selbst, daß die Klosterkirche den Gästen im höchsten Glanze gezeigt werden sollte. Der Prior selbst wollte das Hochamt celebriren, und die besten Stimmen sollten die Chöre ausführen. Die kostbarsten Meßgewänder und Altardecken wurden aus den Truhen in der Sakristei ausgewählt, und sämmtliche Reliquien sollten in größter Feierlichkeit ausgestellt werden. Aber noch etwas schien dem Abte Elicho unumgänglich nothwendig, um der Feierlichkeit die rechte Weihe zu geben. Die edlen Herren sollten im Kloster durch eine poetische Ansprache, ein lateinisches Gedicht, bewillkommnet werden.

23 »Wir dürfen unser Licht nicht unter den Scheffel stellen,« sagte der Abt. »Gute Speise und kräftigen Wein kann man aller Orten bieten, aber eine Begrüßung in lateinischen Versen ist nicht überall zu finden und erhöht die gute Meinung, welche die edlen Herren in Bezug auf Memleben mit in das gelobte Land nehmen.«

Die Berathung über diesen Gegenstand währte nicht sehr lange, denn es verstand sich beinahe von selbst, daß der Bruder Eulogius die Ansprache dichten müsse, da er sowohl in der lateinischen Sprache wie in der Verskunst am besten bewandert war und schon manches Sprüchlein zur Verherrlichung festlicher Gelegenheiten in die Chronik eingetragen hatte.

Eulogius erklärte sich bereit dazu, und es wurde dann weiter beschlossen, daß das Gedicht durch einen der Schüler vorgetragen werde solle. Der Abt wollte die Wahl auf Dietmar von Kalmburg oder Lothar von Wendelstein lenken, aber Eulogius erklärte, keiner dieser beiden sei im Stande, etwas Derartiges zu vollbringen. Dagegen wollte er die Bürgschaft übernehmen, daß der neue Klosterschüler Heinrich von Sunnera sich der Aufgabe zur vollen Zufriedenheit aller Theile entledigen werde. Obgleich der Prior aus nur ihm bekannten Gründen etwas zögerte und allerlei Einwendungen machte, wurde doch schließlich der Vorschlag des gelehrten Bruders angenommen und Heinrich dazu auserlesen, das Begrüßungsgedicht vor den edlen Gästen zu sprechen.

Es war übrigens keine Kleinigkeit, weder für Pater Eulogius noch für Heinrich, sie mußten beide die Nachtruhe opfern, um ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. 24 Da vorauszusehen war, daß kaum einer der tapfern Ritter etwas von der poetischen Ansprache verstehen werde, so war es zweckmäßiger, wenn dieselbe keine allzu große Ausdehnung erhielt, und außerdem konnte Eulogius auf manches früher von ihm gedichtete Verslein zurückgreifen. Immerhin kostete es Fleiß und Mühe genug, die Ansprache in so kurzer Zeit fertig zu dichten, und Heinrich mußte seinen gelehrigen Kopf nicht wenig anstrengen, um die Worte auswendig zu lernen.

Aber die Sache ging über Erwarten gut. Am bestimmten Tage wurde Alles in Bereitschaft gesetzt; der Prior, von sämmtlichen Mönchen umgeben, empfing die Herren feierlich an der Pforte des Klosters und geleitete sie in das Refectorium, wo die Klosterschüler bereits ihrer warteten und Heinrich dann das Begrüßungsgedicht vortrug. Er entledigte sich der Aufgabe muthvoller, als er selbst gehofft hatte. In schwungvollen Worten hatte Eulogius den Ruhm geschildert, welcher auf die Kreuzfahrer in fernen Landen warte, und darauf hingedeutet, daß ihnen im Himmel noch höherer Lohn zugedacht sei. Heinrich's Auge strahlte und seine Wange glühte, als er die kunstvoll gesetzten Worte mit erhobener Stimme vortrug.

Schon beim Eintritt der Herren hatte er den Mann erkannt, den er lange Jahre als seinen Pathen verehrt hatte, bis er erfuhr, daß er sein Vater sei. Wie sehr ihn der Anblick desselben ergriff, er mußte sich bezwingen. Aber er frug doch einen der Mönche, wie der Ritter sich nenne, und erfuhr, daß jener der Graf von Merseburg sei. Weit mehr als die Anwesenheit der fremden edlen Herren, des Priors, der Mönche und seiner Mitschüler begeisterte ihn 25 die Gegenwart desselben, und er blickte fortwährend in das bekannte, ihm so viel bedeutende Gesicht.

Als Heinrich geendet hatte, sprachen die edlen Herren ihr Erstaunen und ihre Freude darüber aus, daß das Kloster ihnen einen so ungewöhnlichen Empfang bereitet habe. Alle lobten den Sprecher; an den Dichter dachte keiner der Herren, was Heinrich über und über erröthen machte, da es ihm schien, als habe er die Lobsprüche sich widerrechtlich angeeignet. Der Graf von Habsburg sagte, er begreife gar nicht, wie ein so junger Mensch schon derartige Proben von Gelehrsamkeit ablegen könne. Auch ein anderer Ritter, der sich mit seinem Gefolge dem Habsburger angeschlossen hatte, Graf Gerhard von Erbach, unterhielt sich freundlich mit Heinrich und munterte ihn auf, sich der Studien mit rechtem Eifer zu befleißigen. Mit gespannter Erwartung und klopfendem Herzen hoffte der junge Schüler auch auf ein freundliches Wort aus dem Munde seines Vaters, aber dieser war zu dem Prior getreten und hatte sich mit demselben in ein langes und ernsthaftes Gespräch eingelassen, dessen Gegenstand sich wohl auf Heinrich beziehen mußte, denn das Auge des Ritters, der den Knaben Heinrich in früherer Zeit nicht selten gestreichelt und auf den Knieen gewiegt hatte, ruhte dabei zuweilen mit traurigem Ausdruck auf dem Jüngling. Heinrich kannte das menschliche Herz zu wenig, um begreifen zu können, welche seltsame Mischung von Gefühlen sein Anblick in dem tapferen Herzen des Grafen wachrief; er ahnte nicht, daß dieser gewaltsam die weicheren Empfindungen zurückdrängte, um Niemand bemerken zu lassen, wie schwer es ihm um das Herz war. Als aber die andern Herren 26 in Begleitung des Priors und der Mönche nach der Kirche gingen, um dort die ausgestellten Kostbarkeiten und Reliquien zu betrachten, richtete es der Graf ein, daß er noch im Refectorium zurückblieb, und Heinrich, der kein Auge von ihm verwendet hatte, hielt sich gleichfalls wie auf Verabredung etwas länger auf. Als beide endlich sich nur noch allein befanden, trat der Graf auf Heinrich zu, legte die rechte Hand auf dessen Schulter und hob mit der linken seinen Kopf in die Höhe, um ihm gerade in das Gesicht sehen zu können. Schweigend blickte er ihn lange an, und je mehr er des jungen Mannes Züge prüfte, um so mehr verlor sich der strenge Ausdruck seines eignen Gesichts. Es war, als ob er eine ganze Geschichte voll Wonne und Leid an seinen Gedanken vorüberziehen lasse, und zuletzt trat ihm eine Thräne in das sonst drohend blickende Auge. Damit fand er aber gleichsam wieder seine Fassung, und sofort erwachte das Gefühl des Unwillens über die eigne Schwäche. Er zog die Hand von dem Kinn des jungen Mannes fort, strich damit sich selbst über beide Augen und machte dann eine ärgerliche Bewegung. Dann klopfte er mit der andern Hand kräftig auf Heinrich's Schulter und sagte zu ihm:

»Bewahre das Geheimniß unsrer gegenseitigen Beziehung treu und fest, bis ich wiederkehre aus dem heiligen Kriege. Dann soll für Dich gesorgt werden. Der alte Konrad begleitet mich und hätte Dich gern einmal begrüßt. Der Prior will gestatten, daß Du zu uns hinauskommst in das Zeltlager. Inzwischen gehab Dich wohl!«

Damit reichte er ihm die Hand und schüttelte sie mit derbem Drucke. Dann verließ er mit kräftigem Schritte 27 das Refectorium und holte bald die übrigen Herren wieder ein. Heinrich blieb noch eine Weile verwirrt und sprachlos stehen. Es fehlte ihm die klare Einsicht in die Verhältnisse und er begriff nicht recht, wie es möglich sei, daß der Mann, der sein Vater war, nicht dafür gelten durfte, aber er hatte ein Gefühl aufrichtiger Verehrung und Zuneigung für denselben, denn seit dem Tode seiner Mutter hatte er das nicht wieder empfunden, was die unwillkürliche Thräne des Grafen ihm zu verstehen gegeben. Es sprach daraus eine Zusammenhörigkeit durch die Bande des Blutes, die noch über den Zug des Herzens ging.

Nachdem die Gäste des Klosters das Hochamt gehört und die Sehenswürdigkeiten nach Gebühr bewundert hatten, kehrten sie wieder in das Refectorium zurück, wo inzwischen durch einige geschäftige, dienende Brüder unter Aufsicht eines erfahrenen Mönches Bänke und Tische zurecht gerückt und Krüge und Humpen aufgestellt waren. Es darf nicht verschwiegen werden, daß die Blicke der Gäste und selbst die des Priors und einzelner Mönche zwar vielleicht mit weniger Ehrfurcht, aber jedenfalls mit größerer Freudigkeit auf den Vorbereitungen zu dem bevorstehenden Gelage haften blieben, als vorher auf den heiligen Reliquien und Kirchenschätzen. Es gab einige Förmlichkeiten, bevor man sich zu Tische setzte, aber endlich hatte der Prior zwischen dem Grafen von Habsburg und dem Grafen von Northeim Platz genommen, und die übrigen Herren schlossen sich mit den Mönchen der Reihenfolge nach an. Der Küchenmeister hatte Alles aufgeboten, um seinem Amte Ehre zu machen. Nach der Sitte der Zeit waren die Braten und sonstigen Gerichte, welche in großen Schüsseln, Näpfen und 28 Metalltellern auf den geschnitzten Eichentisch niedergesetzt wurden, von ansehnlicher Größe und in Menge vorhanden. Es mangelte auch nicht an Meth und Wein, der immer wieder aufs Neue aus dem Keller heraufgeholt wurde. Man zechte tapfer, und da bei solchen Gelegenheiten selbst strenge Vorsätze wankend zu werden pflegen, geschah es, daß auch in Küche und Keller, ja sogar in mancher verschwiegenen Zelle dem Gotte Bachus geopfert wurde. Nur einzelne von den Mönchen, darunter Eulogius, blieben ihren Grundsätzen treu und tranken nur mäßig, wie es ihnen die Regel des Klosters gestattete.

Es war ganz selbstverständlich, daß das Gespräch bald auf die Welthändel und die großen Begebenheiten des Tages kam. Der Prior war in diesen Dingen sehr erfahren und es blieb außer allem Zweifel, daß sein Gesichtskreis weit über die engen Mauern des Klosters hinausging. Er klagte ganz besonders über die Umtriebe der von Gott verfluchten waldensischen Ketzer, von denen er überzeugt war, daß ihre Anschläge direct aus der Hölle stammten.

»Ja, ja, hochwürdigster Herr,« lachte der Graf von Merseburg, »der Teufel hat es darauf abgesehen, die heiligen Klöster aus der Welt zu schaffen, denn wie man hört, sollen diese Ketzer ganz besonders gegen das beschauliche Mönchsleben eifern und darauf bestehen, daß die Klostergüter fortgenommen werden sollen.«

»Und wer soll sie erhalten?« eiferte der Prior. »Den Bewohnern der Städte sollen sie wohl zu Gute kommen, den anmaßenden Bürgern, die der Kaiser so besonders gegen die Ritter in Schutz nimmt.«

»Gott verzeihe es ihm,« meinte der Herr von 29 Wendelstein, »daß er der Ritterschaft zum Nachtheil die Pfeffersäcke bevorzugt. Uns nöthigt er dadurch, die Zölle mit Gewalt zu erheben und den Vortheil, der uns früher friedlich gewährt wurde, durch Ueberfall und Raub zu holen.«

Auch der Herr von Kalmburg wußte ein Lied von den schlechten Zeiten zu singen und schalt ganz besonders auf die Juden, welche überall Wucher trieben und, wie er sagte, im gemeinen Volke neue Bedürfnisse erweckten, um dabei ihr Schäfchen sicher zu scheeren.

So klagten die Herren eine Weile über die schlechten Zeiten. Heftig schalt der Prior, daß der Kaiser die Macht des Papstes zu beschränken suche und für den segensreichen Einfluß der Klöster kein Verständniß habe. Die Ritter dagegen schmähten über die Neuerungen im Reiche und tadelten den Eigennutz, der überall herrsche. Sie thaten dies, ohne zu bemerken, daß sie alle selbst im höchsten Grade an diesem Fehler litten.

Mit Begeisterung sprachen sie von dem bevorstehenden Kreuzzuge. Wer unbefangen zuhörte, hätte glauben können, es handle sich dabei um die höchsten Güter der Menschheit oder um religiöse Schwärmerei. Wer jedoch aufmerksamer gelauscht hätte, würde bald entdeckt haben, daß die hier um den Klostertisch versammelten Anführer, denen die köstlichen Fische, die saftigen Braten und der starke Wein trefflich mundeten, zum größten Theile doch auch sehr weltliche Gesichtspunkte im Auge behielten und daß jeder Einzelne von ihnen die stille Hoffnung hegte, er werde im günstigen Falle ein großes Stück des gelobten Landes als Siegespreis erringen, wenn nicht gar König von Jerusalem oder Kaiser von Konstantinopel werden. Darin schienen Alle 30 einig, daß es eine Schande für die ganze Christenheit sei, die heiligen Länder in den Händen von Heiden und Türken zu wissen, sie betrachteten überhaupt die Vertilgung und Beraubung der Ungläubigen für eine höchst ruhmreiche, nebenbei freilich auch sehr gewinnbringende Aufgabe.

Das Gespräch wurde übrigens im Laufe des Abends mehrmals ziemlich aufgeregt. Der junge Herr Wilfried von Kalmburg ließ sich die Bemerkung entschlüpfen, es sei weltbekannt, daß der Papst ein großer Säufer sei und die ganze Klerisei getreulich seinem heiligen Beispiele folge, worauf der Prior entgegnete, Kaiser Friedrich sei nicht viel besser als der Antichrist, denn er habe offen erklärt, er halte Moses, Christus und Mohamed für die drei Hauptbetrüger der Welt; dabei habe er aber vergessen, sich selbst als den vierten dazu zu rechnen. Fast hätten diese gegenseitigen Lobeserhebungen der beiden Häupter der Christenheit den Anlaß zu ernsthaftem Streite gegeben, aber der Graf Erbach wendete das Gespräch auf Heinrich, den ältesten Sohn des Kaisers, der zum römischen König ernannt war und während der Abwesenheit seines Vaters im deutschen Reiche herrschen sollte. Da waren sie bald Alle im gemeinsamen Tadel des leichtsinnigen Prinzen einig. Jeder wußte irgend etwas Unrühmliches von ihm zu berichten. Man sah ihn fast nur in Gesellschaft von herumziehendem Gesindel: Minnesänger, Gaukler, Tänzerinnen und andere unehrliche Wichte waren sein steter Umgang; mit solchen Menschen verpraßte er sein Geld und suchte dann durch die unwürdigsten Mittel seine geleerte Kasse wieder zu füllen. Fast jeder der Ritter hatte über seine Rücksichtslosigkeit zu klagen, die Mönche aber schwiegen dazu.

31 Als es Abend wurde und das laute Gespräch in noch lauteres Singen und Schreien überging, flehten die wenigen nüchtern gebliebenen Mönche im Stillen zu ihren Heiligen, daß sie Schlimmeres verhüten und keinen ernsthaften Streit entstehen lassen möchten, wie dies bei solchen Gelagen leicht der Fall war.

Endlich erhoben sich die Gäste und verließen theils ausgelassen heiter, theils wankend und unsicher die Abtei, begleitet von den Klosterschülern, welche Fackeln trugen und ihnen damit bis zu ihrem Lagerplatze leuchteten. Der Prior und die Mönche verfügten sich nach einiger Zeit auf ihre Lagerstätten und verfielen bald in festen Schlaf. Was schadete es, daß in den nächsten Tagen die Geißel eifrig gerührt und reichliche Bußgebete gesprochen werden mußten, man hatte doch einmal eine Abwechslung gehabt und die Eintönigkeit des frommen Klosterlebens in derber Weise unterbrochen.

Mit Sehnsucht erwartete Heinrich in den nächsten Tagen den Augenblick, wo er in Gesellschaft seiner beiden Genossen, Dietmar von Kalmburg und Lothar von Wendelstein, die Klostermauern verlassen und das Lager der Kreuzfahrer besuchen durfte. Für ihn, der die Einsamkeit des Waldschlößchens mit der Stille des Klosters vertauscht hatte, war die Aussicht auf ein neues Erlebniß an und für sich schon aufregend genug. Dazu kam noch die Hoffnung auf das Wiedersehen des braven Konrad, der ihm gewissermaßen alle Erinnerungen an die Kinderzeit vergegenwärtigte. Und nicht weniger machte der Gedanke an seinen Vater ihm das Herz stärker klopfen, obgleich er wußte, daß er sich bezwingen müsse und seinen wahren Gefühle nicht verrathen dürfe.

32 In der That gewährte das Zeltlager einen sehr merkwürdigen Anblick, der an dem betreffenden Tage bei besonders günstigem Wetter den heitersten Eindruck hervorbrachte. Bei Regen und Sturm mochte dies wohl anders sein, nun aber boten sich dem erstaunten Auge die mannigfaltigsten Gruppen buntbewegten Lebens und Treibens. Die größte Anzahl der Menschen, welche sich hier geschaart hatten, waren Kriegsknechte, kräftige Jünglinge und bärtige Männer, doch trieben sich auch viele Pilger, sowie halbwüchsige Knaben und Greise umher, und an Weibern war gleichfalls kein Mangel. Diese letzteren waren theils aus der Heimath ihren Männern, Vätern oder Geliebten gefolgt, theils hatten sie sich unterwegs angeschlossen und begleiteten die abziehenden Krieger kürzere und längere Strecken. Da es sich um einen Zug nach dem gelobten Lande handelte, hatte Alles einen ungemein herzlichen und gemüthvollen Anstrich. Das Gefühl, daß ein gemeinsamer, geheiligter Zweck die Männer fortzog, bereitete den Rittern, Söldlingen und Pilgern überall wohlwollenden Empfang, und wenn sie auch zuweilen im Vorüberziehen bei den Bauern auf dem Felde und in den Ställen ein wenig plünderten, wurde dies weniger streng genommen, als wenn es von feindlicher Seite geschehen wäre, denn Niemand hätte gewagt, einem Kreuzfahrer, der unter dem Schutze des Glaubens die geheiligte Fahne einer märchenhaften Zukunft entgegentrug, unfreundlich zu begegnen.

Die drei Klosterschüler waren nicht wenig überrascht beim Anblick dieses bunten Gewimmels, und es währte eine ganze Weile, bis sie sich daran satt gesehen hatten. Auch die vielen Ochsenwagen, die dem Zuge folgten und die jetzt 33 leer zusammengestellt waren, die Pferde, Hunde und ganze Heerden anderer Thiere, welche als Proviant mitgenommen wurden, mußten besichtigt werden. Nachdem dies geschehen, trennten sich die jungen Leute, da Jeder seine eigenen Angehörigen und Landsleute aufsuchen wollte. Sobald sich Heinrich dem Kriegshaufen näherte, welcher dem Grafen von Merseburg folgte, kam ihm Konrad bereits entgegen, denn derselbe hatte von seinem Herrn erfahren, daß der Jüngling ihr Lager aufsuchen werde.

Mit kräftigem Händedrucke begrüßte der biedere Kriegsknecht den tief ergriffenen Jüngling. Konrad hatte von Kindheit an den Herrendienst als Lebensaufgabe angesehen und wußte nicht anders, als daß es seine höchste Pflicht sei, die Gebote des Grafen treulich zu erfüllen. In diesem Sinne hatte er siebenzehn Jahre lang auf dem einsamen Waldschlößchen Sunnera als Hauswart über Heinrich's Mutter gewacht und das Geheimniß seines Herrn bewahrt. Mit derselben opferwilligen Treue begleitete er den Grafen jetzt in das gelobte Land und dachte nicht darüber nach, ob ein anderes Loos ihm glücklichere Tage hätte bringen können. Er hatte nie ein Weib gehabt und war eben darum zu diesen besonderen Dienstleistungen auserwählt worden. Der alte Haudegen fühlte eine Art väterlicher Zuneigung zu Heinrich, der unter seinen Augen aufgewachsen war, und er gab ihm diese Vorliebe auch sofort zu erkennen, indem er laut sein Bedauern darüber aussprach, den jungen Herrn, der sonst so schmuck und zierlich in den Kleidern aussah, welche die Mutter ihm gemacht hatte, in der Kutte des Klosterschülers vor sich zu sehen. Es war ein großer Unterschied zwischen dem Heinrich von 34 sonst und jetzt. Die Haare trug er zwar wie früher, denn auch damals hatte sie ihm die Mutter auf der Stirne in gerader Linie abgeschnitten, während sie am Hinterkopf ziemlich lang herabhingen. Aber während sonst die großen dunklen Augen fröhlich blickten und frisch blühende Wangen die heitere Jugendlust des kräftigen Knaben in seiner grünen Jägerkleidung verkündeten, blickte er jetzt wehmüthig und mit bleichen Zügen auf den Pfleger seiner Kindheit, der offenbar an dem schwarzen Mönchsgewande durchaus keine Freude hatte, so groß auch seine Ehrfurcht vor dem Stande war, den dieses Kleid zu erkennen gab.

Konrad nöthigte den jungen Mann zuerst, mit ihm unter ein Zelt zu treten, wo sie an einem Tische Platz nahmen.

»Erst müßt Ihr einen Schluck Meth trinken,« sagte der Kriegsknecht, und als er Heinrich's schüchternes und bedenkliches Wesen gewahrte, nöthigte er ihn dringender und ruhte nicht, bis jener einen Zug aus dem Becher gethan hatte. Dann begann der Alte zu erzählen, wie es zum Kreuzzuge gekommen sei. Aber es dauerte nur sehr kurze Zeit, so kehrte er im Gespräche zur gemeinsamen Vergangenheit zurück und rief eine Menge Erinnerungen an ihr früheres Leben auf Sunnera wach. Heinrich's Züge erheiterten sich und er nahm lebhaft an dem Gespräche Theil, dessen Inhalt Dinge berührte, welche sein ganzes Herz erfüllten.

Noch rechtzeitig fiel ihm jedoch ein, daß der Zweck seines Kommens nicht durch das Zusammensein mit Konrad allein erfüllt wurde, und er bat denselben, ihn dahin zu begleiten, wo er den Grafen von Merseburg treffen könne. Dies war 35 augenblicklich nicht ganz leicht, denn die Herren hielten sich bald hier, bald dort auf. Es traf sich diesmal, daß der Graf sich im Zelte des Grafen von Habsburg befand. Schüchtern blieb Heinrich vor dem Eingange desselben stehen, während Konrad sich stille zurückzog.

Außer den beiden älteren Herren befand sich noch der junge Graf Hartmann von Habsburg, sowie die Gräfin mit ihrer eben erblühenden Tochter und dem jüngsten Knaben von etwa vierzehn Jahren im Zelte. Die Gräfin war eine stattliche Frau, aber ihre jugendliche Tochter erschien wie die aufbrechende Knospe neben der schon etwas abgeblühten Rose, wie das Bild frischer Hoffnung neben der reichen Erfüllung. Heinrich's Schüchternheit steigerte sich, als er die beiden Frauen erblickte, denn der Umgang mit dem weiblichen Geschlechte war für ihn noch ein versiegeltes Buch. Der Anblick der Gräfin erinnerte ihn an seine Mutter, aber er fand keinen Vergleich, um sich den Eindruck zu erklären, den das liebreizende Gesicht und die holde Gestalt der Tochter des gräflichen Paares auf ihn ausübte.

Der Graf von Habsburg bemerkte ihn zuerst.

»Irre ich nicht,« rief er aus, »so ist dies unser gelehrter Freund vom Kloster Memleben, der uns mit lateinischen Versen begrüßt hat. Tritt herein, junger Scolar, wenn Du Dich nicht vor uns Männern vom Waffenhandwerk fürchtest.«

Der Graf von Merseburg erhob sich rasch und trat auf Heinrich zu, dem er die Hand entgegenstreckte. Heinrich war über und über roth geworden, denn die Worte des Habsburgers erschienen ihm wie Spott auf seine Klostertracht. 36 Er bezwang daher seine Verlegenheit, erwiederte den kräftigen Händedruck des Merseburgers und trat mit diesem in das geräumige und wohlausgestattete Zelt.

»Ihr seid zu gütig, Herr Graf,« sagte er, sich zusammennehmend, »denn Ihr schreibt mir ein Verdienst zu, das ich nicht besitze. Jenes Gedicht hat einen Klosterbruder zum Verfasser, der ein gelehrter Mann ist, und dessen kunstvolles Werk ich nur auswendig gelernt hatte.«

»Immerhin,« entgegnete der Graf von Habsburg, »hast Du damit gezeigt, daß Du ein gelehriger und kluger Mensch bist. Sage uns das Gedicht noch einmal auf, damit es die Frauen hören, wenn sie auch, gleich uns, wenig davon verstehen werden.« Er wendete sich hierauf lächelnd zu seiner Tochter und sagte, sich scherzhaft entschuldigend, zu ihr: »Sei nicht böse, Gisa, ich weiß ja, daß unser Kaplan Dir eine Menge lateinische Worte beigebracht hat, aber das waren Gebete, der Inhalt der Messe, die Du nicht gleich einem Staaren sinnlos nachplappern wolltest.«

Die junge Gräfin erwiederte nichts, sie sah überhaupt traurig und nachdenklich aus. Der Graf von Merseburg wiederholte die Aufforderung seines Freundes, und Heinrich mußte das Begrüßungsgedicht noch einmal recitiren, worauf ihm von allen Seiten Lobsprüche ertheilt wurden.

Während er sprach, hatte er mehrmals in das aufmerksame Gesicht des jungen Mädchens geblickt, und fast hatten ihn ihre schönen blauen Augen in Verwirrung gebracht.

Die Unterhaltung drehte sich noch eine Weile um die Pflege der Gelehrsamkeit in den Klöstern. Auch Gisa ergriff einmal das Wort, indem sie meinte, sie wolle sich die Abwesenheit des Vaters zu Nutzen machen und recht viel 37 lernen; ihr scheine die Beschäftigung mit gelehrten Dingen gar wohl für Frauen sich zu eignen.

»Ihr denkt wohl, edles Jungfräulein,« warf lachend der Graf von Merseburg ein, »daß ein Schwert besser in die Hand eines Mannes paßt als die Bibel?«

»Ich bin es vom Vater und den Brüdern so gewöhnt,« erwiederte Gisa tief erröthend, »aber ich kann nicht leugnen, daß mir das Wissen der gelehrten Männer und die Kunst der Sänger wohl des Lobes werth erscheint, wenn ich mir auch nicht denken kann, daß mein Vater oder einer der Brüder sich im Ernste mit solchen Dingen beschäftigen könnte.«

»Recht so,« entgegnete der Graf von Habsburg, »als Scherz für müßige Stunden, als Tändelei für verliebtes Volk oder als Lebenszweck für Schwächlinge, die mit den Waffen nichts anzufangen wissen, mag solche Beschäftigung gut sein, aber so lange wir noch mit dem Schwerte in der Hand auf Kämpfe und Abenteuer ausziehen können, halten wir uns an den wahren Beruf des ritterlichen Standes.«

»Wer weiß, wie lange dieser Beruf noch seinen Werth behält,« warf nun Herr Hartmann von Habsburg ein. »Mir will es scheinen, als drohe ihm von allen Seiten Gefahr. Seitdem es aufgekommen ist, daß der Papst fromme Männer und Frauen, die sich in Klöstern den Zwecken der Kirche gehorsam zeigen, heilig spricht und sich damit die Schlüsselgewalt für das Himmelreich zugeeignet hat, ist der Ritterschaft fast nur noch die Wahl gelassen, unheilig zu sterben oder den Winken des Papstes Folge zu leisten.«

»Sprich nicht gottlos, mein Sohn,« bat die fromme Gräfin; »spricht der Papst nicht auch edle Kämpfer für die 38 Rechte der Kirche heilig und ziehst Du nicht selbst mit dem Vater einem geheiligten Kampfe entgegen, der euch das Himmelreich in Aussicht stellt?«

»Freilich ist es so,« lachte Hartmann; »aber hat man denn die Wahl? Wer nicht mitzieht, hat den Bann zu befürchten, wer sich dem Willen des Papstes gefügig zeigt, hat die Aussicht ein Heiliger zu werden. Es ist, wie ich sage.«

»Du bist ein Lästerer,« entgegnete zürnend die Gräfin.

»Bruder Hartmann schilt stets auf die neue Zeit,« sagte nun Gisa, »aber er übersieht dabei, was sie Großes und Schönes geschaffen hat. Sind wir nicht in Staunen versetzt worden, wenn wir auf der Reise hierher die mächtigen Münsterbauten erblickten, bei deren Anschauen das Herz von Andacht und Bewunderung ergriffen wird? Wie oft dachte ich früher, wenn ich von unserer Stammburg aus die Gletscher und Alpen betrachtete, solchen Eindruck könne kein Menschenwerk bewirken, aber seit ich in Straßburg, in Freiburg und in andern Städten die mächtigen Kirchenbauten gesehen habe, bin ich andrer Meinung geworden, und ich halte es für ein staunenswerthes Werk menschlicher Hände, etwas zu schaffen, wobei uns das Herz stille steht, wie bei einem überwältigenden Anblick in Gottes Natur. Ist das nicht auch durch frommen Sinn bewirkt?«

Mit Staunen hatte Heinrich diesen Worten zugehört. Es schien ihm ein Wunder, daß ein junges Frauenbild so kluge Worte zu sagen wußte und er empfand eine inbrünstige Verehrung für die Sprecherin. Es fiel ihm wieder ein, was sein Freund Dietmar einmal davon gesagt hatte, daß ein rechter Ritter Blut und Leben einer edlen Dame widmen müsse, und er gelobte sich im Stillen, alle seine Gedanken 39 und Empfindungen der jungen edlen Gräfin von Habsburg zu weihen.

Seine Betrachtungen wurden unterbrochen durch den Grafen von Merseburg, der ihn aufforderte, mit ihm nach seinem eigenen Zelte zu gehen, da er ihm noch Mancherlei zu sagen habe. Beim Abschiede grüßten ihn die Gräfin und ihre Tochter so freundlich, daß sein jugendliches Gemüth ganz bezaubert wurde.

Vorläufig wurde der Eindruck etwas zurückgedrängt durch die ernsten Worte, welche der Graf in seinem eignen Zelte an ihn richtete. Er ermahnte ihn, seine Zeit im Kloster gut anzuwenden und sich so viele Kenntnisse zu verschaffen, als möglich. Wenn der Kreuzzug vorüber sei, wolle er Sorge tragen, daß auch seine ritterliche Ausbildung gefördert werde und dann bei dem Könige Heinrich den Ritterschlag für ihn und seine Anerkennung als edlen Herrn von Sunnera bewirken. Der Graf theilte ihm noch mit, daß das Heer am folgenden Morgen aufbrechen und aus der Gegend fortziehen werde, um sich mit den Leuten des Landgrafen Ludwig zu vereinigen. Er erwähnte nebenbei, die Gräfin von Habsburg gedächte mit ihrer Tochter und dem Knaben Rudolf von hier aus in die Heimath zurückzukehren, da ihr zweiter Sohn Albrecht in der väterlichen Burg krank liege und der Pflege der Mutter bedürftig sei. Zuletzt verfügte der Graf, daß Heinrich bis morgen bleiben und in seinem Zelte übernachten sollte, um den Abzug des Heeres zu sehen.

Noch manches Andere besprach der Graf mit dem jungen Manne, dann reichte er ihm zum Abschiede wiederum die Hand und entließ ihn. Draußen erwartete der alte Konrad 40 seinen Pflegling und nahm ihn wieder mit in jenes Zelt, wo er vorher mit ihm gewesen und wo neugefüllte Becher ihrer warteten. Das Gespräch kam bald wieder auf die alten Zeiten. Beide vertieften sich immer mehr, und da der Meth des alten Konrad Zunge löste, vergaß er ein wenig die gebotene Vorsicht und erzählte dem lauschenden Heinrich die Geschichte seiner Mutter.

Nach dem in vornehmen Häusern üblichen Gebrauche war der Graf Heinrich von Merseburg als zehnjähriger Knabe mit Walburg, dem Töchterchen eines weitläufigen Verwandten, des Grafen von Meißen, der sehr begütert war, verlobt worden, aber er hatte seine Braut erst zu Gesichte bekommen, als sie bereits erwachsen war. Er war inzwischen ein stattlicher Mann geworden, aber im Gegensatze zu vielen seiner Standesgenossen hatte er sich einen reinen Sinn bewahrt und war von wüsten Ausschweifungen und rohen Lebensgenüssen fern geblieben. In seiner Fantasie hatte er sich die jugendliche Braut stets als ein liebliches Wesen vorgestellt und derselben alle Reize unschuldsvoller Jungfräulichkeit angedichtet. Endlich kam der Tag, an welchem er mit seinem damals noch lebenden Vater und einem kleinen Gefolge die Reise zu den zukünftigen Schwiegereltern antrat. Mit hochklopfendem Herzen erwartete er den Augenblick, wo ihm Walburg als seine bestimmte Hausfrau entgegengeführt wurde. Aber wer beschreibt seine Ueberraschung, seinen Schrecken und seine Beschämung, als er ein unscheinbares, häßliches und verwachsenes Geschöpf vor sich sah, dessen gänzlich reizlose Gestalt in kostbare Stoffe gehüllt und mit Gold und Juwelen bedeckt war, aber dadurch nur noch abstoßender erschien. Wäre ihr Gemüth 41 bescheiden und edel gewesen, hätte ihr erster Blick ihn gleichsam um Mitleid angefleht, um Vergebung dafür, daß Andere ihn um ihretwillen getäuscht, so würde sein gutmüthiges Herz sich mit ihrer Erscheinung versöhnt und ihr dennoch wohlwollende Neigung zugewendet haben, aber ihr ganzes Gebahren trug den Stempel rücksichtslosen Dünkels, und man sah ihr sofort an, daß von Kindheit an in ihr das Bewußtsein der reichen Erbin genährt worden, und daß sie sich für eine höchst begehrenswerthe Persönlichkeit hielt. Dies entfremdete ihr völlig das Herz des ihr zugedachten Bräutigams, der jedoch einsah, daß ein Rücktritt von seiner Seite das Verderben seines ganzen Hauses herbeiführen, ja sogar seine sofortige Gefangennehmung bewirken werde, denn der Vater der mißgestalteten Braut war dem seinigen an Macht und Reichthum bedeutend überlegen und an rohe Gewaltthaten gewöhnt.

Er schwieg also und ergab sich in sein Schicksal, aber er konnte nicht verhüten, daß seine zukünftige Gattin etwas von seiner Stimmung bemerkte und von diesem Augenblicke an eine Art kampfbereite Stellung einnahm.

Glücklicherweise entging es Walburg's Scharfblick, daß des Verlobten getäuschtes Auge sofort durch eine andere Erscheinung in ihrer nächsten Nähe gefesselt wurde. Ueberzeugt, daß sie als die Tochter des mächtigen und reichen Herrn von Meißen keine Nebenbuhlerin zu scheuen habe, hatte sie sich thörichterweise mit einigen Gespielinnen umgeben, welche von armer Herkunft, aber ihr an Schönheit bedeutend überlegen waren. Namentlich war dies bei Clara von Eichberg der Fall, die eine vater- und mutterlose Waise war und das Amt eines Hoffräuleins bei Walburg versah. 42 Der junge Graf von Merseburg war gewiß nicht leichtsinnig oder gewissenlos, aber die Prüfung, welche der Himmel über ihn verhängte, überstieg seine Kräfte. Er empfand bald die heftigste Leidenschaft zu Clara. Nach kurzer Zeit wurde die unselige Vermählung gefeiert und Walburg war verblendet genug, die schöne Clara mit auf die Burg ihres Gatten zu nehmen, wo dieselbe an allen Zusammenkünften, bei Gastmählern und Jagdausflügen Theil nehmen mußte und auf diese Weise viel zu häufig in der Nähe des Grafen verweilte.

Konrad erzählte, daß er damals als Leibjäger des Grafen fast immer dessen Begleiter war und überdies sein ganz besonderes Vertrauen besaß. Er setzte hinzu, daß die junge Gräfin durch launenhaftes und herrisches Wesen die Zuneigung aller Dienstleute verscherzt habe, während Clara von Eichberg durch Sanftmuth und Herzensgüte allgemein gefiel. Konrad hatte wiederholt bemerkt, wie der Graf, wenn er dem Leibjäger auf der Jagd den Falken abnahm, um ihn der schönen Clara zu reichen, dieser tief in die Augen blickte, worauf beide lebhaft errötheten, aber er hatte nie gewagt, seinen Herrn merken zu lassen, daß er ihn beobachte, auch später nicht, als er gar nicht mehr daran zweifeln konnte, daß zwischen dem Grafen und dem Fräulein ein vollkommenes Einverständniß bestand. Dagegen brach er sein Schweigen und redete ganz offen mit seinem Herrn, als er von den Dienerinnen der Gräfin erfuhr, diese habe Argwohn geschöpft und trachte ihrer Nebenbuhlerin nach dem Leben. Der Graf war ihm durch diesen Beweis von Ergebenheit dankbar. Auf Konrad's Betreiben wurde ein diesem bekannter Klausner, Bruder 43 Eckbrecht, der ein verschwiegener Mann war, in das Geheimniß gezogen und dann ein Plan entworfen, um allem Unheil vorzubeugen. Der fromme Klausner versprach seinen Beistand nur unter der Bedingung, daß der Graf und seine Geliebte auf die Hostie Enthaltsamkeit gelobten, und wie die Lage der Dinge war, blieb ihnen nichts Anderes übrig. Die Gräfin brütete Unheil, und es gelang dem schlauen Konrad, von ihr den Auftrag zur Beseitigung der armen Clara zu erhalten. Bald hieß es, Clara von Eichberg sei eines plötzlichen Todes verstorben, und die Gräfin frohlockte innerlich, weil sie glaubte, sie habe die Nebenbuhlerin durch Gift aus dem Leben geschafft. Man begrub einen Sarg, in welchem sich ein wohlverhülltes, aus Holz geschnitztes Bild befand. Die Gräfin glaubte an die Reue ihres Gatten, als er ihr den Vorschlag machte, Konrad für lange Zeit von der Burg zu verbannen. Mit hämischer Freude willigte sie ein, aber sie wußte nicht, daß Clara längst im einsamen Walde auf dem fern gelegenen Jagdschlößchen Sunnera, das dem Grafen gehörte, in Sicherheit war, wohin der Klausner Eckbrecht und Konrad ihr folgten. Dort gebar sie einen Sohn, dem sie dann ihr stilles, weltabgeschiedenes Leben in mütterlicher Treue widmete. Jahre gingen dahin. Clara's einziger Trost waren die spärlichen Besuche des Grafen. Heinrich wuchs auf als der Stolz und die Freude seiner Mutter, während Konrad und Eckbrecht ebenfalls einen großen Theil ihrer Lebensaufgabe in der Erziehung des Knaben fanden, wobei allerdings der erstere mit nicht geringem Verdruß bemerkte, daß Heinrich ebensogern lesen und schreiben lernte, 44 wie er sich im Reiten, Jagen und Fischen, sowie in der Führung jeglicher Art von Waffen übte.

Konrad würde über die traurige Katastrophe, welche endlich dem idyllischen Zusammenleben ein Ziel setzte, hinweg gegangen sein, um nicht aufs Neue den Schmerz des Jünglings wach zu rufen, aber er hatte in Bezug auf den Tod der Mutter noch einige Aufklärungen zu geben und mußte daher die schmerzende Wunde in Heinrich's Gemüth berühren. Jene Familie, welche kurz vor Clara's Ermordung in der Nähe des einsamen Waldschlößchens sich niedergelassen hatte, waren Kundschafter der Gräfin Walburg gewesen, welche dazu ausersehen waren, den Zweck der öfteren Besuche des Grafen zu erforschen. Der ahnungslose Heinrich selbst gab Gelegenheit, die wahre Sachlage an den Tag zu bringen. In seiner kindlichen Arglosigkeit verkehrte er ungezwungen mit den Söhnen jener Kundschafter und verrieth unwissentlich, theils durch die Antworten, die er auf die an ihn gerichteten Fragen gab, theils auch durch den Ausdruck seiner Züge das gefährliche Geheimniß seiner armen Mutter. Ihr grauenhafter Tod war die Folge der Entdeckungen, die Walburg auf diese Weise machte, und es waren gedungene Mordgesellen gewesen, welche die Aermste auf einem Wege der Barmherzigkeit überfallen und getödtet hatten.

So weit hatte Konrad seine Mittheilungen beendigt, und trotz seiner einfach derben Denkungsweise entging ihm nicht, welch einen Sturm furchtbar schmerzlicher Empfindungen er in des Jünglings Brust wach gerufen. Hatte Heinrich vor wenigen Stunden zum ersten Male kennen gelernt, welchen mächtigen Eindruck Frauenschönheit auf sein Herz 45 auszuüben vermochte; nun erfuhr er auch die Gewalt des Hasses, und wie er beim Anblick Gisa's den Entschluß gefaßt hatte, ihr die Empfindung unwandelbarer Treue zu widmen, so durchströmte ihn jetzt der Wunsch nach Rache, und er gelobte blutige Vergeltung dem Andenken seiner Mutter. Als ob er mit diesem Entschlusse erst zum Manne geworden, hob ihn der Gedanke an die doppelte Pflicht zu starkem Selbstgefühl und gab seinem Wesen Mark und Richtung.

Konrad war noch nicht zu Ende. Es erübrigte noch, beizufügen, daß Eckbrecht, der priesterliche Vertraute Clara's, der Gräfin Walburg scharf in das Gewissen geredet und ihr auseinander gesetzt habe, welcher großen Sünde sie sich durch die Ermordung einer Frau schuldig gemacht habe, deren Leben nur noch stillen Bußübungen und Werken der Frömmigkeit gewidmet war. Aber Frau Walburg, welche sich durch lange Jahre getäuscht wußte, war für solche Vorstellungen wenig zugänglich und weidete sich an ihrer Rache, die sich jedoch nicht auf die Dienstleute erstreckte, weil sie recht gut wußte, daß diese blindlings dem Herrn zu gehorchen hatten. Des Grafen selbst hatte sich ein tiefer Schmerz bemächtigt; er betrauerte nicht nur aufrichtig den Tod der Geliebten, sondern es war ihm auch unerträglich, mit seinem angetrauten Weibe weiter zu leben. Mit wahrer Begier ergriff er daher die sich darbietende Gelegenheit zum Kreuzzuge. Gab es doch so vielerlei Beweggründe, welche die Fürsten und Ritter aus ihrer Heimath nach dem gelobten Lande trieben; nur bei wenigen, so meinte Konrad, mochte es wirklich die Schwärmerei für 46 die Befreiung der heiligen Stätten aus den Händen der Ungläubigen sein.

Während dieser Mittheilungen war es Heinrich in der That, als ob ihm Schuppen von den Augen fielen, denn die Enthüllungen waren so gräßlicher und erschütternder Art, daß ihm die Menschen und das ganze Erdenleben mit einem Schlage verändert vorkamen und seine Gedanken mehrere Augenblicke förmlich stille standen. Er sah sich einer Verwickelung gegenüber, bei welcher man nicht sofort über die Schuld der Einzelnen klar werden konnte. Wohl fühlte er eine tiefe Abneigung gegen das Weib seines Vaters, dessen rachsüchtigem Streben seine geliebte Mutter zum Opfer gefallen war, aber noch widerwärtiger erschienen ihm jene heimtückischen Menschen, welche das Geheimniß aus ihm herausgelockt und sich somit seiner Arglosigkeit zum Verderben seiner Mutter bedient hatten. An ihnen seine Rache zu kühlen und sie seinen Haß kennen zu lehren, war in dieser Stunde sein sehnlichstes Verlangen.

Um jede Weitläufigkeit zu vermeiden, hatte der Graf inzwischen einen Boten zum Prior in das Kloster geschickt und ließ diesem sagen, daß Heinrich bis zum nächsten Tage im Lager bleiben werde, um dem dann erfolgenden Aufbruch des Heeres beizuwohnen. Der Graf wußte, daß bei einer vorherigen Anfrage und Verhandlung der geistliche Herr allerlei Schwierigkeiten machen werde, und er ergriff daher das seinem Stande entsprechendere Mittel selbstständiger Entscheidung.

Heinrich blieb also im Zelte des Grafen über Nacht. Hatte der vergangene Tag ihm eine Menge unbekannter Eindrücke und Erlebnisse gebracht, so bot der anbrechende 47 Morgen dafür wieder eine Fülle abwechselnder und zerstreuender Bilder. Kaum war die Dämmerung angebrochen, so ließen die ausgestellten Wachen des Lagers die Alarmhörner ertönen, und nun begann ein wunderbares Leben, scheinbar ein wirres Durcheinander, in welches jedoch nach und nach die richtige Eintheilung kam. Die Rottenführer und Hegemannen sammelten ihre Leute um sich und es begann eine eifrige Thätigkeit. Die Zelte wurden abgebrochen, die Stangen, Pflöcke, das Leinen und die Geräthschaften auf die Wagen geladen, die Pferde von den umliegenden Wiesen eingefangen und angeschirrt, der vorhandene Proviant sorgfältig aufgepackt, und was an lebendem Vieh, namentlich an Schafen und Schweinen, mitgenommen wurde, zusammen getrieben. Anfangs schien das Gewühl ein wahres Chaos, und die Verwirrung wurde durch das mitziehende Gesindel der Weiber und Kinder bis zum höchsten Durcheinander gesteigert, aber die Söldlinge waren genug an Gehorsam gewöhnt und wurden durch die Furcht vor empfindlichen Körperstrafen in strenger Zucht gehalten, so daß die Vorbereitungen zwar mit vielem Geschrei und unter mancherlei Zwischenfällen, aber schließlich doch in richtiger Ordnung zu Stande kamen.

Als sich die Züge alle geordnet hatten, die Männer in Reih' und Glied standen, die Wagen bespannt und mit Bedeckung versehen waren, die Weiber und Kinder auf den letzten Fuhrwerken Platz genommen hatten, und die mitziehenden Pilger, von denen einzelne geweihte Fahnen trugen, sich zwischen den Söldnerhaufen vertheilt hatten, setzte sich die ganze Schaar unter dem dumpfen Dröhnen der Hörner und dem ohrzerreißenden Geschrei des 48 einstimmigen: »Deus lo volt!« in Bewegung, um vorläufig für längere Zeit keine eigentliche Rast außer der Nachtruhe wieder zu halten.

Die Anführer hatten sich bei dem Zuge vertheilt. Der Graf von Merseburg befehligte den Vortrab und mußte daher mit den ersten Reihen aufbrechen. Im Getümmel und in der Eile des Aufbruchs war weder Zeit noch Stimmung für einen besonders zärtlichen Abschied übrig geblieben, aber Heinrich hatte doch bemerkt, daß das Auge des Grafen sich umflorte, als es wehmüthig zum Abschied auf ihm geruht und er mit festem Handdruck ihm nochmals die Mahnung zugeflüstert hatte, still auszuharren im Kloster bis zu seiner Rückkehr, wo er dann väterlich sich seiner annehmen wolle. Auch Konrad hatte ihm zwei-, dreimal die Hand geschüttelt und war mit einem lauten »Deus lo volt!« weiter marschirt. Halb wie im Traume hatte der Jüngling Reihe auf Reihe und Zug um Zug an sich vorüber schreiten sehen. Wie blinkten die Rüstungen der Ritter im Glanze der Sonne, wie glänzten die Hellebarden und Lanzen, und wie flatterten die Fahnen, wenn der immer und immer wiederkehrende Ruf »Deus lo volt!« durch die Luft drang! Vor Heinrich's Augen flimmerte und schwirrte das endlose Gewimmel, und es schien ihm fast, als solle es kein Ende nehmen, obgleich die Söldnerschaar, die er hier vorüberziehen sah, nur gering an Zahl war im Vergleich zu dem Heere, das sich an der Donau zusammenfinden sollte, um unter der Anführung Leopold's von Oesterreich zum Hauptheer des Kaisers zu stoßen.

Schon waren die Grafen von Weddin, Northeim und Wendelstein und viele Andere vorübergezogen, auch der 49 Graf von Erbach mit seinem Häuflein und einige schwäbische Herren hatten sich angeschlossen, und nun fehlte noch der Habsburger, der erst hinter den zahllosen Wagen, deren Insassen gleichfalls das allgemeine Feldgeschrei ausstießen, den Nachtrapp führte. Halb ohne Absicht war Heinrich ihm entgegen gegangen und kam gerade in dem Augenblicke in die Nähe des Grafen Hartmann, als dieser von seiner Familie Abschied nahm.

Abwechselnd umschlangen die Gräfin und ihre Tochter Gisa den Hals des geliebten Vaters und verbargen die von Thränen überströmten Gesichter an seiner Brust, um dann auch den Bruder zum Abschiede zu herzen. Auch der Knabe Rudolf drängte sich an die Seite des Vaters und umschlang ihn mit seinen Armen. Man hörte lautes Schluchzen, und der Graf selbst bewahrte nur mit Mühe seine Fassung. Ach! in diesem Augenblicke schwand alle Schwärmerei und das »Gott will es« trat zurück vor dem unsäglichen Schmerze des Abschieds. So frommen Gemüthes die Gräfin sonst auch war, in diesem Augenblicke hegte sie den lästerlichen Gedanken, daß es unmöglich Gottes Wille sein könne, die Bande der Familie zu zerreißen, um in einem fremden Lande unbekannten Gefahren gegenüber zu treten. »Das kann Gott nicht wollen!« hauchte sie tonlos vor sich hin, aber es war nur der momentane Ausdruck ihres verzweifelten Herzens, und sie erschrak selbst, als die Worte leise ihren Lippen entflohen waren. Der Graf achtete nicht darauf. Er küßte noch einmal den kräftigen Knaben, dann die in Thränen zerfließende Tochter, und die beiden Kinder zärtlich aber entschieden von sich abwehrend, wendete er sich 50 zum letzten Male zu seiner Gattin, die fast besinnungslos an seinem Halse hing.

Der Klosterschüler Heinrich war unwillkürlich Zeuge dieser ergreifenden Scene geworden. Mit inniger Rührung blickte er auf die zarte Gestalt der jungen Gräfin, welche, dem Winke ihres Vaters gehorchend, sich von ihm zurückziehen wollte. Aber in demselben Augenblicke überfiel sie ein Zittern, ihr liebliches Gesicht wurde leichenblaß, sie schwankte und würde bewußtlos zu Boden gefallen sein, wenn Heinrich nicht hinzugesprungen wäre, um die Sinkende zu stützen. Der junge Herr Hartmann war bereits dem Zuge nachgeritten. Der Graf, seine Gemahlin, der Knabe Rudolf und selbst die etwas abseits stehenden Damen des Gefolges waren in diesem Augenblicke so ausschließlich mit ihren eigenen schmerzlichen Gefühlen beschäftigt, daß sie zuerst gar nicht bemerkten, was mit der jungen Gräfin geschah. Sinnlos vor Schmerz war diese ohnmächtig in Heinrich's Arm zu Boden gesunken. Der Jüngling blickte voll Schrecken, Angst und Verlegenheit und doch auch voll Bewunderung in das bleiche Gesicht der Jungfrau, über welches die blonden Haare flutheten, und je länger er dies that, um so mehr kam es ihm vor, als berühre er mit seinen Blicken liebkosend die zarten erblaßten Züge. Nachdem wiederholt schwere Seufzer ihren zarten Busen gehoben, ihre Wimpern kaum merklich gezuckt hatten, schlug die Ohnmächtige die Augen wieder auf. Da Heinrich noch immer das Gesicht über sie gebeugt hielt, mußte ihr erster Blick dem seinigen begegnen, aber während sie ihre Augen abwendete und auf die Eltern und die übrigen Umstehenden richtete, welche angsterfüllt näher getreten waren, blieb 51 Heinrich in traumhafter Stimmung wie gebannt in derselben Stellung und verwendete den Blick nicht von dem blassen Gesichte, das ihn mit immer stärkerem Zauber umstrickte. Endlich beugten sich Vater und Mutter nieder, um dem jungen Mädchen aufzuhelfen. Wäre der Augenblick nicht so unendlich traurig gewesen, so würde es vielleicht mit Lächeln bemerkt worden sein, daß der junge Klosterschüler in seinem schwarzen Mönchskleide am Boden knieen blieb, die Arme in derselben Haltung, als stütze er noch immer die liebliche Gestalt, während sein Gesicht mit dem Ausdrucke einer Mischung von Rührung und Entzücken jeder ihrer Bewegungen folgte.

Der Graf hatte den jungen Menschen erkannt. Er legte die Tochter in die Arme der Mutter, stieg rasch zu Pferde und winkte Allen, auch dem jungen Klosterschüler, nochmals grüßend zu. Dann streckte er, nachdem er einige Schritte fortgeritten war, die Hände wie segnend über die Seinigen und sprengte in fester Haltung dem bereits eine Strecke vorausgeeilten Zuge nach.

Heinrich war bei den Frauen zurückgeblieben. Diese waren so sehr mit ihrem herzzerreißenden Jammer beschäftigt, daß der junge Mann einsah, seines Bleibens dürfe länger nicht sein. Die Frauen der Gräfin geleiteten ihre Gebieterin, das Fräulein und den Knaben zur Seite, damit sie ihre Fassung wiederfinden könnten, um die Rückreise anzutreten. Einige erprobte Diener befanden sich in Bereitschaft, um ihnen sicheres Geleite zu geben. Trotz ihrer tiefen Niedergeschlagenheit vergaß die Gräfin nicht, sich nach Heinrich umzusehen, der vorhin ihrer Tochter Beistand geleistet hatte. Sie streckte ihm dankbar die Hand entgegen 52 und forderte auch die Tochter auf, dem Jüngling zu danken. Noch einmal trat Heinrich in die Nähe des holden Geschöpfes und berührte nur eben ihre zarten Fingerspitzen, aber dennoch durchrieselte ihn ein wonniges und dabei so reines Gefühl inneren Glückes, daß er sich in der Nähe eines Engels und an den Pforten des Reiches der Seligen wähnte. Er stand wieder wie im Traume versunken da und erwachte erst aus der Betäubung, als die Frauen längst sich von ihm entfernt hatten und zwei jugendfrische Männerstimmen ihn in die Wirklichkeit zurückriefen.

Es waren die beiden Junker von Kalmburg und Wendelstein, die gleichfalls von dem Prior heute früh die Erlaubniß erhalten, den Abzug der Kreuzfahrer mit anzusehen, und welche nun ihren Freund aufgesucht hatten, um mit ihm in das Kloster zurückzukehren. Beide waren Feuer und Flamme für den Beruf der Ritter, der wunderbare Abenteuer versprach und ihnen in diesem Augenblicke als das höchste Ziel irdischer Wünsche erschien. Sie bemerkten im Eifer gar nicht, daß Heinrich nicht recht einstimmte und träumerisch vor sich hinsah. Nur als sie beide schließlich darin übereinkamen, daß der Aufenthalt im Kloster unerträglich sei, und sie den Tag herbeisehnten, an welchem sie daraus befreit würden, lauschte Heinrich aufmerksamer und schüttelte gleichsam seine sinnenden Gedanken von sich ab.

Als senkte sich ein schwerer Druck auf seine Seele, war ihm zu Muthe, sobald er die Pforte des Klostergartens hinter sich verschließen sah, und als er gar in das düstere Gebäude selbst wieder eintrat, hatte er das Gefühl, wie wenn ein Kerker ihn von der Welt absondere. Der Gegensatz zwischen dem geräuschvollen und buntbewegten Treiben, 53 das er soeben kennen gelernt hatte, und dem schweigsamen, aller frischen Luft entfremdeten Klosterleben war zu auffallend und wirkte so mächtig auf sein ganzes Wesen, daß er Mühe hatte, sich wieder in die regelmäßigen Pflichten zu finden. Das währte einige Tage. Aber wenn es Heinrich auch gelang, die alte Ordnung wieder zu halten, damit ihn kein Tadel treffen konnte, Dietmar war nicht so rasch in das gewöhnliche Geleise zurückgekehrt und zog sich empfindliche Strafen zu, welche ihm jedenfalls den Aufenthalt in dem verhaßten Kloster nicht angenehmer machen konnten.

Vergeblich hoffte jedoch Heinrich darauf, daß sich nach und nach jene dumpfe Gleichgültigkeit bei ihm einfinden werde, welche er schon früher empfunden hatte. Es war diesmal zu viel des Neuen mit ihm in das Kloster eingezogen, was seinem Gemüthsleben eine andere Richtung gab und ihn verhinderte, die Außenwelt nach und nach ganz in Vergessenheit sinken zu lassen. Einmal war es die Erinnerung an ein holdes Gesicht, dessen kindliche Züge sich ihm unverwischbar eingeprägt hatten. Tag und Nacht, im Wachen und im Traume, tauchte diese Erinnerung oft plötzlich in seiner Seele auf. Stunden lang konnte er sich mit dem Gedanken quälen, ob die wehmüthige Trauer nun wieder aus jenem lieblichen Antlitz verschwunden, ob die zarte Wange wieder von frischer Röthe überhaucht sein möge. Mitunter war es ihm, als habe er sich die Einzelheiten nicht genügend eingeprägt, als sei ihm die Farbe ihrer Augen, ihrer Haare oder die Linien ihrer Augenbrauen zweifelhaft, und er konnte sich dann ganz in dem Wunsche verlieren, nur noch einmal den Zauber ihres Wesens auf sich wirken zu lassen und ihre Züge, ihre Augen, ihren 54 Wuchs, die Anmuth ihrer ganzen Erscheinung und den unsäglichen Liebreiz, der sie umfloß, ganz und für immer in sich aufzunehmen, so daß ihr Sinn und Wesen gleichsam sein geistiges Eigenthum geworden und unzertrennlich mit ihm verbunden bliebe.

Aber nicht nur die Erinnerung an Gisa von Habsburg bewegte sein Herz. Zuweilen traten auch andere Bilder vor seine Seele und statt zarter Sehnsucht erfüllte der Trieb nach Rache sein Gemüth. Zwar wußte er nicht, wo er den Gegenstand dieser Rache finden sollte, aber so viel war ihm klar, daß er den schändlichen Mord an der liebevollsten Mutter nicht ohne Sühnung lassen dürfe, und der Gedanke, einen Feind zu haben, den sein Haß verfolgen und aufsuchen müsse, stählte seinen Muth und reifte sein ganzes Wesen.

Zuweilen hatte Heinrich den lebhaften Wunsch, sich irgend Jemand mitzutheilen und die wunderbaren Empfindungen, welche seinem Gemüthe einen ungekannten Aufschwung gaben, gegen einen befreundeten Menschen auszusprechen, aber dann wieder erschien es ihm völlig undenkbar, daß seine Lippe jemals dasjenige in Worten wiedergeben könne, was seine Seele bewegte und sein unruhig klopfendes Herz erfüllte.

Häufig kam er wieder mit Dietmar in den Erholungsstunden zusammen. Was die beiden jungen Leute zu einander zog, war gerade die Verschiedenheit ihres Temperamentes. Der besonnene und geistig überlegene Heinrich übte große Gewalt auf Dietmar aus, und letzterer hätte Blut und Leben für den Freund gelassen. Es wurde zwar nicht gern gesehen, wenn die Klosterschüler in besonders 55 vertraulichen Verkehr zu einander traten, aber Dietmar wußte es möglich zu machen, mit seinem Freunde öfter geheime Gespräche halten zu können. Bei solchen Gelegenheiten hatte der struppige Blondkopf dann immer irgend etwas recht Absonderliches vorzubringen. Dies geschah auch einmal eines schönen Sommerabends an einer abgelegenen Stelle des Klostergartens. Dietmar lief dabei Gefahr, sich einer Züchtigung auszusetzen, weil er eine ihm übertragene Beschäftigung vernachlässigte. Hieran anknüpfend, sagte er zu dem Freunde:

»Nichts ist mir so verhaßt, als dieser ewige Zwang, diese Scheinheiligkeit und Hinterlist. Allenthalben wird spionirt, und wo Einer den Andern verrathen und ihm zu einer schweren Buße verhelfen kann, ist er gleich bereit dazu. Hätte ich nur erst den Ritterschlag erhalten, bei dem es heißt: ›Nach diesem keiner mehr‹, ich wollte es ihnen eintränken. Gegen diese Klostertyrannen muß man zusammenhalten. Ich bin wahrhaftig ein guter Christ, aber die alten Gebräuche stehen mir höher, als die sämmtlichen Sakramente der Kirche. Wenn es Dir recht ist, wollen wir Blutsbrüderschaft machen und uns Treue geloben nach alter Sitte.«

Heinrich erschrak ein wenig, aber er war neugierig, zu erfahren, was Dietmar eigentlich mit diesen Worten meinte. Letzterer fuhr fort:

»Eigentlich gehört Ort und Zeit mit dazu, denn das Gelöbniß muß beim Lichte des Vollmondes unter einer mächtigen Eiche gegeben werden, aber wir nehmen es nicht so genau und führen die Sache hier gleich an Ort und Stelle aus. Mache Alles ebenso, wie ich es thue.«

56 Dabei schob er den rechten Aermel des Gewandes zurück, brach von einem Busch einen starken Dorn ab, und mit feierlichem Ernste im Gesicht ritzte er damit die Haut seines rechten Armes so tief, daß Tropfen Blutes hervorquollen.

Heinrich war ein wenig betreten, und obgleich ihn die treue Gesinnung des Freundes innerlich erfreute, konnte er doch den feierlichen Ernst desselben nicht recht begreifen. Da er aber fürchtete, der rasch entschlossene Dietmar möchte ihn für feige halten und am Ende gar glauben, er scheue die kleine Wunde, so besann er sich nicht viel, ergriff gleichfalls einen Dorn und brachte sich damit einen tüchtigen Riß bei, aus dem das rothe Blut sofort hervorquoll. Auf Dietmar's Anordnung reichten sie sich hierauf die Hände zu festem Drucke, und während nun das Blut auf die Erde tropfte, sich dort vermischte und vom Erdreich aufgesaugt wurde, sprach jener mit dumpfem Tone die Worte:

Wie eine Hand
Der andern hilft,
So bleib dem Trauten
Blutverbunden;
Tod soll treffen,
Der Treue bricht!

Dietmar hatte diese Ceremonie so ernsthaft genommen, daß er ganz erregt davon war. Er versicherte dem Freunde, dies sei der feierlichste Augenblick seines Lebens, und um ihn nicht zu betrüben, gab sich Heinrich den Anschein, als fasse er die Sache ebenso wichtig auf. Für ihn hätte es dieser ganzen Feierlichkeit nicht bedurft, um seine treue Gesinnung zu befestigen, aber da er wußte, daß Dietmar 57 ihm wirklich aufrichtig zugethan war, und nicht das Symbol für die Sache nahm, sondern nur seiner Natur gemäß erst jetzt sich recht fest und unwandelbar an ihn gebunden fühlte, so duldete er auch die äußere Ceremonie. Als sie auseinander gingen, sagte Dietmar noch:

»Von jetzt an kann nichts mehr zwischen uns treten; wir sind Eins in Leid und Freud', verbunden in Noth und Tod, wie es in alter Zeit gehalten wurde.« Heinrich drückte ihm nochmals dankbar die Hand. –

Mehr als in langen Jahren war in diesem Frühling bald eine lebhafte Verbindung zwischen den Klosterherren und den Bewohnern der Umgegend eingetreten, denn die Renovation des Kreuzganges war bald in vollem Gange. Es standen viele Arbeitskräfte zur Verfügung und die Mönche selbst griffen überall mit an. Männer, Frauen und Kinder aus den zu dem Kloster gehörigen Dörfern und Niederlassungen waren theils vom frühen Morgen bis in die späte Nacht, theils auch nur zu gewissen Stunden des Tages, an denen sie ihre eigenen Arbeiten liegen lassen mußten, zur Hülfe verpflichtet. Da wurden Steine herbeigeschafft und nach der Angabe des Metzen zurechtgehauen, Mörtel bereitet und die einzelnen Theile zusammengefügt. Ueberall standen die Ordner und überwachten mit Zirkelmaß und sonstigen Geräthschaften die richtige Anordnung. In der Küche wurde für die Arbeiter das Essen bereitet, und allenthalben war Leben und Bewegung in und außerhalb des Klosters.

Es gewährte Heinrich viel Unterhaltung, dem bunten und belebten Treiben Aufmerksamkeit zu schenken und zu beobachten, wie sich durch das Zusammenwirken vieler 58 fleißiger Hände ein Werk entwickelte, das der Ausdruck einer vorgezeichneten Idee war. Was er sah, erschien ihm neu, aber es regte seine Aufmerksamkeit im höchsten Grade an und gab ihm viel zu denken. Oft gedachte er an Gisa's Worte über die neuen großen Kirchenbauten. Am meisten interessirte ihn die Bauhütte der Werkmeister, welche für Jeden streng verschlossen war, der nicht zu den Leitern des Unternehmens gehörte. Häufig konnte man den Abt sich dorthin begeben sehen, und dann geschah es wohl, daß er mit einem der ersten Werkführer am Eingang der Hütte stand, ein großes Pergamentblatt in der Hand hielt und bald nach dem Kreuzgange hinzeigte, bald wieder auf das Blatt deutete, welches offenbar mit der Entwicklung des Baues im Zusammenhang stand. Gar zu gern hätte der junge Mann einmal einen Blick gethan in das geheimnißvolle Walten und Wirken, das er da aus der Ferne beobachten konnte, denn sein geistiges Auge blickte weiter, als der größte Theil seiner Genossen. Oft wurde in der Nacht bei Fackelschein gearbeitet, weil der neue Kreuzgang an einem bestimmten Festtage fertig sein sollte. Wenn dann zwischen den wunderbar durchbrochenen und aus Steinen gemeißelten Zacken und Verzierungen der Lichtschein schimmerte und das Geräusch der Werkzeuge durch die Nacht tönte, prägte sich ein seltsamer, an das Wunderbare grenzender Eindruck in das Gemüth des fantasiereichen Beschauers.

Inzwischen hatte das Erscheinen des Kreuzheeres mancherlei Folgen gehabt und viele Aufregungen im Kloster hervorgerufen. Dazu trug auch die ganz veränderte Haltung des Junkers von Kalmburg bei, der seit jener Zeit 59 mit Allem, was im Kloster vorging, unzufrieden war und sich bei jeder Gelegenheit störrig und unbändig zeigte. Die meisten Mönche waren zu abgestumpft, um darüber nachzugrübeln, was den lebenskräftigen Jüngling gegen die strenge und eintönige Klosterzucht empörte, und der Prior begnügte sich damit, die üblichen Strafen zu verhängen; er ließ den widerspänstigen Schüler Stunden lang in der Kirche knieen, legte ihm strenges Fasten auf, verurtheilte ihn zu mehrtägiger Einsamkeit in einer finsteren Zelle, und nahm endlich auch die Geißel zu Hülfe, welche der zu solchen Strafmitteln erwählte Bruder unsanft auf den kräftigen Körper des Jünglings niederfallen ließ. Aber es wollte Alles nichts helfen. Es war nicht nur die plötzlich durch den Anblick des in die lockende Ferne ziehenden Kriegsheeres geweckte Abenteurerlust, sondern vielmehr noch der Gedanke, welch ein freies genußreiches Leben ihm jetzt, während der Abwesenheit des Vaters und der Brüder, auf der heimathlichen Burg beschieden sein würde, was den Unmuth Dietmar's zur eisenfesten Hartnäckigkeit steigerte.

»Mögen sie mich zu Tode prügeln,« sagte er eines Tages zu Heinrich, »ich füge mich nicht mehr diesem entsetzlichen Leben hier. Ich hasse einmal die barbarische Zucht des Klosters und mache mich aus dem Staube, sobald sich die Gelegenheit bietet. Ich könnte heucheln, mich fromm und zufrieden stellen, aber ich will es einmal nicht, und wenn sie mich in der dunklen Zelle verhungern lassen. Es mag schon Vielen vor mir so ergangen sein, und kein Mensch hat es erfahren, aber ich füge mich nun einmal nicht, und wenn sie mich mit glühenden Zangen in Stücken reißen.«

60 Heinrich erschrak fast vor der wilden Entschlossenheit in den Worten und Mienen seines jugendlichen Freundes. Er konnte demselben schon deshalb nicht beistimmen, weil der Gedanke an die Welt außerhalb des Klosters bei beiden ganz verschiedene Empfindungen erwecken mußte. In Heinrich's Herzen lebten vorzugsweise unklare Hoffnungen, die ihn mehr zum Ausharren, als zur Widersetzlichkeit und dem Wunsche gewaltsamer Aenderung anspornten. Die Worte, welche der fortziehende Graf von Merseburg zu ihm gesprochen hatte, tönten unaufhörlich vor seinen Ohren. Vor seinen Augen aber schwebte im Geiste das Bild der holden Habsburgerin, die er wenige Augenblicke in den Armen gehalten hatte. Diese beiden Erinnerungen beseligten ihn innerlich und gaben ihm Geduld, um auf die Zukunft zu warten. Dietmar dagegen wußte, daß er der verzogene Liebling seiner nachgiebigen Mutter war, und vor seiner Seele schwebten weder milde Worte noch beseligende Züge, sondern viel derbere Bilder von greifbaren Genüssen, die theils in Küche und Keller ihren Ursprung hatten, theils auf frohes Schweifen durch Wald und Feld und ungezügelte Jagdlust sich bezogen. Wie lange hatte er nun schon kein Pferd mehr bestiegen! Er fürchtete fast, daß er die Kunst des Reitens und die Führung der Waffen ganz verlernt haben könne. Welch ein armseliger Ersatz war es, wenn einige gleichgesinnte Klosterschüler sich zusammenthaten, um heimlich im Garten den Vögeln oder einer Katze nachzustellen, wobei sie gewöhnlich ertappt und mit langweiligen Vorwürfen oder derben Schlägen bestraft wurden. Der Drang nach Freiheit und Genuß des Lebens war in dem jungen Menschen durch die neuen Erlebnisse 61 so kräftig erwacht, daß er in der That entschlossen war, die äußerste Widerstandskraft aufzubieten, um aus dem Kloster vertrieben zu werden, oder aus demselben zu entfliehen. Letzteres war allerdings gefährlicher, denn wenn er ergriffen und zurückgebracht wurde, konnte er der strengsten Einschließung und Bewachung für lange Zeit versichert sein.

Ganz anders war die Stimmung, in welcher sich Heinrich befand. Wenn der Vater zurückkehrte und sein Versprechen wahr machte, wenn der König ihn anerkannte und zum Ritter schlug, durfte er frei und kühn mit den Söhnen der edelsten Geschlechter in die Schranken treten und seine Augen bis zu der edlen Jungfrau erheben, welcher er seine Treue gelobt hatte. Wenn er diesen Gedanken nachhing, vergaß er die Gegenwart völlig und malte sich eine glückliche Zukunft aus, bei welcher der stille Frieden enger Häuslichkeit das letzte Ziel war.

Diesen lieblichen Bildern gesellten sich neuerdings andere Pläne, in welche er sich zuweilen versenkte, wenn sein Weg ihn zu der Bauhütte führte, wo sich ein gar wunderbares Reich künstlerischen Strebens gleich einer neuen Welt vor ihm erschloß. Durch Vermittelung des Pater Eulogius hatte er die Erlaubniß erhalten, sich etwas näher um die baulichen Veränderungen zu bekümmern, durch welche der Abtei eine neue Zierde geschaffen werden sollte. Der Prior hatte seine Zustimmung ertheilt, und der junge lernbegierige Klosterschüler war mit dem Baumeister Burghard bekannt geworden, welcher nach wenigen Tagen die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß in Heinrich nicht nur ein lebhafter Sinn für die Kunst, sondern die 62 ungewöhnlichste Empfänglichkeit für das Verständniß derselben wohnte. Dies flößte dem wackern Baukünstler lebhaften Antheil für den begabten jungen Mann ein, und da es in der Natur geistiger Bestrebungen liegt, daß ihnen nicht nur der Trieb zur Ausübung, sondern auch zur lehrenden Weiterbildung beigegeben ist, so entwickelte sich zwischen Meister Burghard und Heinrich bald ein inniges Einverständniß, welches dem ersteren manche frohe Stunde gewährte, da er die Wirkung seiner belehrenden Worte sich in rascher Weise entwickeln sah.

Das nächste Ergebniß dieses Verkehrs war die Einführung Heinrich's in die Bauhütte, welche sonst für Jedermann, der nicht in die Geheimnisse des Bauwesens eingeweiht war, fest verschlossen blieb. Dieser Gebrauch mochte wohl seinen Grund in dem Umstande haben, daß bei der Errichtung großer Bauwerke ein Zusammenwirken von geistigen Ordnern mit gewöhnlichen Arbeitern unumgänglich war. Das niedere Volk war aber sehr geneigt, überall dem Aberglauben nachzuhängen, wo es den einfachen Zusammenhang der Dinge nicht erkannte. Daß kluge Männer auf einem Pergamente mit Zirkel und Winkelmaß Pläne entwarfen, nach welchen dann die gewöhnlichen Arbeiter in den Stand gesetzt wurden, großartige Bauwerke kunstvoll auszuführen, dieser Zusammenhang von Ursache und Wirkung blieb den Begriffen jener Tage räthselhaft, und wenn die Bauführer ihr Ansehen wahren und ihre Arbeiten ungestört verrichten wollten, mußten sie mit Vorsicht verfahren, ihre Pläne und Werkzeuge sorgfältig verschließen und in ihrem Verhalten Alles vermeiden, was den Verdacht erwecken konnte, als seien sie im Besitze 63 übernatürlicher Kräfte. Auf diese Weise entwickelte sich der Unterschied zwischen den sogenannten Wissenden, welche in die Geheimnisse der Bauhütte eingeweiht waren, und den gewöhnlichen Arbeitern. Die ersteren vereinigte ein geistiges Band; aus den Lehrlingen wurden Gehülfen und Meister, und wer aufgenommen zu werden wünschte, mußte nicht nur Verschwiegenheit in Bezug auf die Zeichen der Verständigung geloben, sondern auch einen reinen Lebenswandel führen, um der Verleumdung in Hinsicht auf das Treiben in den Bauhütten die Spitze abzubrechen. Bei so ungewöhnlicher Begabung, wie sie Heinrich an den Tag legte, konnte Burghard es wagen, ihm Mancherlei von den üblichen Gebräuchen mitzutheilen und ihm zugleich einen Einblick in seine eigenen Zeichnungen und Pläne zu gewähren. Da der junge Klosterschüler sich stets durch musterhaftes Betragen und rasche Fortschritte ausgezeichnet hatte, wurde ihm manche Freiheit gestattet, und er benutzte dieselbe klüglich nur zu ernsten Zwecken. Seine Genossen, mit Ausnahme des gutmüthigen Dietmar, der sich freiwillig ihm geistig unterordnete, sahen dies mit scheuem Mißtrauen und beobachteten eine gewisse Zurückhaltung gegen ihn.

Es schien jedoch, als wolle das Schicksal den jungen Mann durch schwere Prüfungen auf der ihm bestimmten Bahn vorwärts geleiten. Im Herbste langte die entsetzliche Kunde an, daß unter dem Kreuzheere noch vor der Einschiffung nach Palästina in Otranto am adriatischen Meere eine schreckliche Seuche ausgebrochen sei. Der Kaiser und ein großer Theil der ihm verbündeten Grafen und Ritter waren von der furchtbaren Krankheit ergriffen worden 64 und der Landgraf Ludwig von Thüringen als eins der ersten Opfer daran gestorben. Bestürzung, Schrecken und Sorge bemächtigte sich der zurückgebliebenen Angehörigen, und es verging kaum ein Tag, an dem nicht neue Trauerkunden verbreitet wurden. Daß auch Heinrich sich lebhaft von diesem Ereignisse betroffen fühlte, war selbstverständlich; in tödtlicher Unruhe schlich die Zeit dahin, denn jeder Tag konnte das Ende aller seiner Hoffnungen bringen. Zwar suchte er sich durch vermehrten Fleiß zu zerstreuen; er schloß sich noch enger an Eulogius und Burghard an, erfüllte seine klösterlichen Pflichten mit strengster Gewissenhaftigkeit und übte sich nicht nur im Zeichnen, sondern verwendete alle seine freie Zeit auf das Studium der lateinischen und hebräischen Sprache, aber eine tiefe Schwermuth, welche sein Gemüth belastete, wollte nicht weichen. Es bedrückten ihn düstere Ahnungen, und sein Wesen erweckte das Mitgefühl seiner wohlwollenden Gönner.

Inzwischen war die Leiche des Landgrafen Ludwig von Otranto nach dem Kloster Reinhardsbrunn geschafft worden. Wo der Zug unterwegs an einer Kirche vorübergekommen war, hatte man den Sarg vor dem Altar niedergesetzt und eine Messe für das Seelenheil des Verstorbenen gelesen. Ebenso wurde die Leiche des Nachts in den Klosterkirchen, welche der Zug berührte, aufgebahrt, bis sie endlich in Reinhardsbrunn anlangte, wo die trauernde Wittwe mit ihren Kindern der Begräbnißfeierlichkeit beiwohnte.

Daß der Kaiser den Kreuzzug aufgegeben habe und trotz des erneuerten päpstlichen Bannfluches nach Sicilien zurückgekehrt war, vermehrte die Unruhe und Besorgniß des armen Heinrich. Man erfuhr, daß manche der Ritter nach 65 Hause zurückkehrten, während andere in der festen Ueberzeugung, der Kreuzzug werde doch noch zu Stande kommen, am Hoflager des Kaisers verblieben. Viele hatte die entsetzliche Seuche hinweggerafft, und die Verwirrung bei dem Heere war so groß, daß man vorläufig gar keine bestimmten Nachrichten erhalten konnte.

Heinrich's Gemüth schwankte noch zwischen Furcht und Hoffnung, als der Schlag längst gefallen war, der alle seine Aussichten für die Zukunft zertrümmerte. Ein Eilbote hatte der Gräfin von Merseburg die Nachricht von dem Tode ihres Gemahls gebracht; was von den Knappen und Knechten seines Gefolges am Leben geblieben war, sollte später nachkommen, und es konnten viele Wochen und Monate vergehen, bevor diese zersprengten Reste in der Heimath anlangten.

Die trauernde Wittwe zeigte sofort, in welchem Sinne sie das Andenken ihres Gatten zu ehren gedachte. Sie entzog dem Kloster Memleben diejenigen Zuwendungen, welche für Heinrich's Unterhalt gewährt worden waren, und da das Kloster keine Freistellen zu vergeben hatte, war der Prior genöthigt, dem jungen Manne die Lage der Dinge zu eröffnen. Um die Gewalt des Schlages etwas zu mildern, machte Elicho dem rathlosen Heinrich das Anerbieten, das Kloster für den Winter noch als Zufluchtsort zu betrachten. In der Woche nach Ostern sollte er dann Abschied nehmen und sein Heil in der Welt versuchen.

Es giebt Lebenslagen, die Niemand richtig verstehen kann als derjenige, welcher sich darin befindet. Wenn auch Eulogius und Burghard das Schicksal ihres jugendlichen Freundes 66 beklagten, wenn auch Dietmar in seiner Entrüstung den Prior einen herzlosen Heuchler schalt, konnte doch Niemand die ganze Trostlosigkeit von Heinrich's augenblicklicher Lage ermessen. Er wußte auf der ganzen Welt keinen einzigen Menschen, mit Ausnahme des ehemaligen Burgkaplans von Sunnera, an den er außerhalb des Klosters sich hätte wenden können. Und dazu kam noch, daß gar nichts darüber festgestellt war, in welcher Stellung er sich seiner schlimmsten Feindin, der Gemahlin seines Vaters, gegenüber befand; denn streng genommen konnte sie ihn als ihr Eigenthum betrachten und über sein Schicksal nach freier Laune verfügen. Der letzte Ausweg wäre gewesen, daß er sich dem Heerhaufen irgend eines Kriegsherrn angeschlossen hätte, aber daß ein solcher Entschluß ihm in höchstem Grade widerstrebte, war bei seiner Natur, die dem Edlen zuneigte und allem Rohen abhold war, ganz selbstverständlich.

Um ihn zu trösten, sagte Meister Burghard eines Tages zu ihm: »Wenn Du bis an den Rheinstrom gelangen könntest, wo die Bischöfe von Köln, Mainz und Straßburg Hunderte von Bauschülern beschäftigen, wäre Dein Glück gemacht. Die Städte des Rheinbundes und die Städte der Hansa entfalten gegenwärtig ein wunderbares Leben in großartigen Unternehmungen. Sieh zu, daß Du dorthin kommst! Bei Deiner Liebe zur erhabenen Baukunst kann es Dir da nicht fehlen.«

Heinrich prägte sich diese Worte wohl ein und sprach mit Eulogius darüber. Der gute Mönch wollte ihn aufrichten in seinem Kummer und beschrieb ihm Weg und Steg, um das ersehnte Ziel zu erreichen. Mehr konnte er nicht für ihn thun.

67 Während Heinrich trostlos in die Zukunft blickte, wurde von einer Seite Hülfe für ihn vorbereitet, von welcher er es nicht erwartete. Dietmar von Kalmburg, der zufällig die Nachricht erhalten hatte, daß der eine seiner Brüder gestorben, der andere aber mit dem Vater am Hoflager des Kaisers verblieben sei, war den ganzen Winter hindurch so widerspänstig und unbeugsam gewesen wie nie zuvor, und es wurde immer offenbarer, daß er es darauf anlegte, aus dem Kloster verwiesen zu werden. Aber er täuschte sich in seiner Voraussetzung, denn sein Verhalten brachte ihm zwar die härtesten Strafen ein, aber niemals würde er seinen eigentlichen Wunsch erreicht haben. Als die Feier der Fastnacht herannahte und das übliche Eselsfest in der Klosterkirche abgehalten wurde, geberdete sich der starrköpfige Klosterschüler ganz unsinnig und legte es förmlich darauf an, den Prior zur höchsten Wuth zu reizen. Wie üblich, wurde unter ungeheuerem Zudrang von Bewohnern aus der Umgegend das Narren- oder Eselsfest dadurch begangen, daß die Schüler einen Esel mit Meßgewändern behingen und am Altare allerlei Narrheiten mit ihm trieben, durch welche scherzweise das Meßopfer verhöhnt wurde. Dietmar benannte den Esel fortwährend mit dem Namen des Abtes Elicho und rief diesen Namen wiederholt so laut, daß die übrigen Schüler, sowie die anwesenden Bauern, und selbst die Mönche sich vor Lachen kaum zu lassen wußten. Die Folge war, daß er während der ganzen Fastenzeit auf die Hälfte der ohnehin verminderten Kost gesetzt wurde. Aber die Mittel änderte seinen Sinn nicht. Am ersten Ostertage, als ein Mönch von der Kanzel herab die Auferstehung des Herrn verkündigte und dabei nach damaliger Sitte in 68 das fröhliche Ostergelächter ausbrach, worauf die andächtigen Anwesenden gleichfalls laut einstimmten, erhob Dietmar ein so unbändiges und schallendes Lachen, daß die ganze Feier gestört wurde und ein förmlicher Tumult entstand. Diesmal sollte er mit schwerer körperlicher Züchtigung gestraft werden, und die Geißel des Profosen fiel unbarmherzig in einsamer Zelle auf seinen Rücken nieder. Es schien aber, als sei dies sein Wunsch gewesen, denn er verbiß seinen Schmerz und zeigte den übrigen Klosterbewohnern dasselbe trotzige Gesicht wie sonst.

So brach der für Heinrich's Abschied festgesetzte Tag an. Die Kleider, welche er bei seinem Eintritt in das Kloster getragen hatte, waren noch vorhanden, und wenngleich sie etwas kurz und eng geworden waren, konnte er sie doch noch benutzen. Eine Tasche, welche ihm, mit reichlichem Proviant gefüllt, umgehängt wurde, war Alles, was er mit in die Welt nahm. Im Refectorium hatte der Prior ihm den Segen ertheilt, und dort hatte er sich auch von den Mönchen verabschiedet. Die Klosterschüler begleiteten ihn bis an die Pforte der äußeren Umfassungsmauer, und als sie ihm einzeln zum Abschiede die Hand reichten, war er erstaunt, daß Dietmar von Kalmburg so ganz ruhig dabei blieb und die Gelegenheit vorübergehen ließ, ohne durch irgend eine Bemerkung seine Abneigung gegen das Klosterleben und seinen Zorn über die schlimme Behandlung auszusprechen, noch auch der Sehnsucht nach Freiheit Ausdruck zu geben. War sein wilder Sinn durch die harten Strafen gebändigt worden, oder schien ihm das Schicksal, das seinen Mitschüler draußen in der Welt erwartete, nicht beneidenswerth? Ach, alle die jungen Leute, 69 welche im Kloster zurückblieben, stammten aus angesehenen Familien und würden mit ganz anderen Aussichten die Schwelle überschritten haben, welche sie von den Ihrigen trennte, aber sie alle mußten an dem Orte bleiben, wo keiner von ihnen mit frohem Herzen weilte, und nur der Einzige, der keine Heimath und keine Angehörigen hatte, wurde hinausgestoßen in die unbekannte kalte Welt. 70

 


 


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