Adolf Glaser
Wulfhilde
Adolf Glaser

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Zweites Buch.

Kaum war die Pforte hinter Heinrich geschlossen, als er sich nach allen Richtungen hin umsah, damit er ganz sicher den Weg finde, welcher ihn nach der von Eulogius bezeichneten Richtung führen mußte. Obgleich er das beengende Gefühl der Besorgniß für seine Zukunft nicht abschütteln konnte, war ihm doch zu Muthe, als athme seine Brust freier, wenn sein Auge in die Weite schweifte und ihm recht klar wurde, daß er nun gehen könne, wohin er Lust habe und so weit ihn seine Kräfte tragen wollten.

Der Frühling machte sich bereits auf den Feldern und Fluren bemerklich, und überall sah man fleißige Arbeiter beschäftigt, die Erde umzugraben und den Samen zu streuen. Mitunter sprach Einer laut zu dem Andern hinüber und die Gegenrede schallte heiter zurück. Waren es Knechte, die im Dienste ihrer Herren sich abmühten, so mußte ihr Loos kein allzu hartes sein, denn sie schafften unverdrossen und waren der Sorgen für die Zukunft enthoben. Alles, was Heinrich sah, brachte er unwillkürlich in Beziehung zu seinem eigenen Leben, und er war sehr geneigt, das Loos 71 anderer Menschen zu überschätzen und sein eignes Schicksal als das trübste zu betrachten.

Vorerst erstieg er einen kleinen Hügel, der in der Nähe aufragte und von welchem er das Kloster und die Umgegend noch einmal genau übersehen konnte. Oben angelangt, schaute er sich um und blickte mit einer gewissen Wehmuth nach den Gebäuden der Abtei und dem großen Garten, der dieselben umschloß. Da ereignete sich etwas Seltsames. Er sah nämlich plötzlich zuerst einen Kopf und dann eine menschliche Gestalt über die Mauer des Gartens hervorragen, dieselbe völlig erklimmen und sich rasch an der Seite, die ins Freie führte, herablassen. Die Entfernung war nicht zu weit, um den ganzen Vorgang genau beobachten zu können. Heinrich erkannte die Kleidung der Klosterschüler, und wie ein Blitz durchfuhr ihn die Vermuthung, daß Dietmar von Kalmburg dem verhaßten Aufenthalte entspringen und nach der heimathlichen Burg entfliehen wolle. Eine eigenthümliche Aufregung bemächtigte sich Heinrich's, und ohne über das, was er im Augenblicke that, weiter nachzudenken, nur der Stimmung des Augenblicks gehorchend und von dem Wunsche beseelt, dem Freunde ein Zeichen zu geben, trat er auf eine etwas vorspringende Stelle, von wo aus er sicher sein durfte, von jenem bemerkt zu werden, und stieß eine Art Lockruf aus, wie er ihm von früher her als Erkennungszeichen auf der Jagd bekannt war. Dietmar, im Begriffe pfeilschnell davon zu laufen, stutzte plötzlich, blickte sich nach allen Seiten um und bemerkte endlich den Kameraden, der ihm von dem Hügel aus abermals zurief und dazu die Mütze schwenkte.

Mit der Behendigkeit eines verfolgten Wildes erklomm 72 Dietmar die Anhöhe und stand bald erhitzt und athemlos vor dem Freunde. Instinctmäßig zogen sie sich sofort von der leicht bemerkbaren Stelle zurück und erreichten mit wenigen Sprüngen ein schützendes Gebüsch, wo sie hoffen durften, nicht entdeckt zu werden. Mit fliegender Hast sprach sich nun Dietmar dem Freunde gegenüber aus. Schon seit dem Tage, an welchem es im Kloster bekannt geworden, daß Heinrich dasselbe verlassen müsse, hatte er den Entschluß gefaßt, mit dem Freunde, oder wenigstens ungefähr zu gleicher Zeit, aus der Abtei zu entfliehen. Vergeblich hatte er Alles aufgeboten, um den Prior so sehr zu reizen, daß er ihn aus dem Kloster jagen werde. Dann erst beschloß er, zu fliehen. Niemand hatte etwas von seinen Vorkehrungen bemerkt, die im Grunde in nichts Anderem bestanden, als daß er mit der größten Sorgfalt diejenige Stelle von der Umfassungsmauer ausspähte, an welcher er den Fluchtversuch wagen konnte, ohne vom Garten oder den Klostergebäuden aus bemerkt zu werden. Eine Gruppe von Bäumen umgab die betreffende Stelle, und es war vorauszusehen, daß Stunden vergehen konnten, bevor man, nach der Durchsuchung aller zum Kloster gehörigen Gebäude und des ganzen Gartens, die Ueberzeugung gewann, daß er die Flucht ergriffen habe.

Heinrich hörte mit nicht geringer Aufregung allen diesen Mittheilungen zu und unterbrach dieselben zuweilen durch eine Frage oder durch die Aeußerung eines Bedenkens. Im Grunde aber freute er sich über die Entschlossenheit und das Selbstvertrauen in Dietmar's Wesen, das ihn selbst in muthigere Stimmung versetzte. Dietmar hatte am Schlusse seiner Mittheilungen die Absicht 73 ausgesprochen, mit dem Gefährten gemeinschaftlich den Weg zur väterlichen Burg einzuschlagen, und er betrachtete Heinrich's Begleitung dorthin als etwas ganz Selbstverständliches. Dieser war zwar über den Vorschlag überrascht, aber da er selbst ohne bestimmten Lebensplan der Zukunft entgegenging und in seiner Lage das Bedürfniß nach Anschluß augenblicklich lebhaft geltend wurde, hatte er dem Vorschlag des Freundes nichts entgegen zu setzen.

Die beiden jungen Leute überlegten, daß es nicht gerathen sei, an der Stelle, wo sie sich gefunden hatten, lange zu verweilen, denn es konnte ein Feldarbeiter Dietmar's Flucht und das Zusammentreffen der Freunde beobachtet haben und den Klosterknechten auf die Spur helfen. Sie vereinigten sich daher zu einem vorsichtigen Plane und schlichen einstweilen etwa eine halbe Stunde lang zwischen Gebüsch und Gestrüpp bis zu einer sehr verdeckten Stelle, wo sie den Anbruch der Nacht abwarten und dann mit aller Kraft den Weg in der Richtung nach Dietmar's väterlicher Burg einschlagen wollten. Die Vorräthe, welche Heinrich in der Tasche bei sich trug, wurden nicht geschont, und wer die beiden jungen Leute einige Zeit darauf am Rande einer Quelle gelagert hätte beobachten können, wie sie sich in heiteren Gesprächen über die Schattenseiten des Klosterlebens und ihre eigenen Hoffnungen für die Zukunft unterhielten, würde gewiß die Ueberzeugung gewonnen haben, daß ihr jugendlicher Sinn sich rasch und leicht über ernste Lebensfragen hinwegsetzte.

Was sie beschlossen hatten, führten sie aus. Ob Dietmar vom Kloster aus verfolgt wurde, konnten sie nicht wissen. Sie warteten, bis die Dunkelheit völlig 74 hereingebrochen war, und machten sich dann auf den Weg, der Dietmar bekannt war. Unermüdet wanderten sie fast die ganze Nacht hindurch, und da sie den anbrechenden Tag abwarten mußten, bevor sie Eingang in die Burg erwarten durften, lagerten sie sich in der Nähe derselben an einer geschützten Stelle im Walde und schliefen dort noch einige Stunden lang so fest und ruhig, wie es in ihrem Alter nach der großen Ermüdung begreiflich war. Als sie dann erwachten, war es heller Tag, und sie hatten sowohl das Horn des Wächters, das zuerst die Dienstleute der Burg erweckte, als auch die übrigen Anzeichen des Lebens in ihrer Nähe verschlafen. Nun aber galt es, sich in den Schutz des Burgfriedens zu begeben und daselbst einen Sturm auf das schwache Herz der Mutter zu wagen.

Selbstverständlich erregte es nicht geringe Verwunderung, als Dietmar mit seinem Begleiter Einlaß begehrte. Von der Stube des Thurmwarts aus verbreitete sich die Kunde der unerwarteten Ankunft des Junkers rasch in allen Räumen, und einige Zeit ruhte alle Arbeit, um das merkwürdige Ereigniß zu besprechen.

Wie alle Frauen auf den Ritterburgen, hatte auch Frau Kunigunde von Kalmburg fortwährend die Hände voll zu thun, und wenn auch die Abwesenheit des Gebieters, seiner Söhne und eines Theils der Knechte in gewisser Beziehung die tägliche Arbeit verminderte, so lag auf der andern Seite eine um so größere Last auf den Schultern der Burgfrau, denn sie mußte ganz allein das Gesinde überwachen und täglich genaue Umschau überall halten.

Frau Kunigunde ließ die schweren Schlüssel aus ihren Händen fallen, als eine Dienerin zu ihr in den Gaden 75 trat und ihr entgegenrief, Junker Dietmar sei soeben in der Burg angelangt. Die Dienerin hob die Schlüssel auf, aber bevor die erschreckte Frau dieselben wieder an sich nehmen konnte, war die Thür aufgeflogen und der Sohn stürmte auf seine Mutter zu, während sein Begleiter Heinrich schüchtern und erwartungsvoll am Eingang des Gemachs stehen blieb.

Dietmar kannte seine Mutter sehr genau. Mit stürmischer Zärtlichkeit umarmte und küßte er sie, und ließ sie nicht früher zu Worte kommen, als bis er ihr in rasch hervorsprudelnden Sätzen Alles gesagt hatte, was er sich für diesen Moment ausgedacht hatte. Seit der Abreise des Vaters und der Brüder habe es ihm keine Ruhe mehr gelassen, Tag und Nacht habe er an sein einsames Mütterlein denken müssen und sei krank vor Sehnsucht nach ihr geworden. Aber die Mönche hätten seine Gedanken für sündhaft erklärt und ihm so übel mitgespielt, daß er endlich entflohen sei. Zur Bekräftigung seiner Worte riß er rasch die Kutte von den Schultern und zeigte der erschreckten Mutter die deutlichen Spuren der letzten derben Geißelhiebe.

Frau Kunigunde war zwar gewöhnt, die Dienstleute beiderlei Geschlechts für mancherlei Vergehen körperlich gezüchtigt zu sehen, aber sie hatte ihren Liebling so manchesmal gegen den Vater und die Brüder geschützt und gerieth nun in nicht geringe Entrüstung, als sie vor Augen sah, wie die Mönche den Jüngling zugerichtet hatten.

Die Burgfrau von Kalmburg besaß, gleich den meisten Damen ihrer Zeit, herzlich wenig Bildung und war nach allen Richtungen hin von tausend Vorurtheilen beherrscht. 76 Sie verstand es vortrefflich, die Arbeiten ihrer Mägde zu überwachen, und übertraf dieselben in allen Fertigkeiten, welche zur Haushaltung gehörten, selbst im hohen Grade. Ueber die Feinheit des Gespinnstes, die Tadellosigkeit der Arbeiten am Webstuhle, die Güte der in der Küche zubereiteten Gerichte und die Trefflichkeit der gebrauten Getränke hatte sie ein entscheidendes Urtheil, welches sich häufig bei Gelegenheiten, wo es zu tadeln gab, nicht nur in zeternden Scheltworten, sondern auch in derben Maulschellen erkennen ließ. Das weibliche Gesinde hatte darum auch einen heillosen Respect vor der häufig sehr ungnädigen gnädigen Frau und sie fand unbedingten Gehorsam. Dagegen befand sie sich selbst fortwährend in der tiefsten Furcht des Herrn oder vielmehr der Herren, denn die erwachsenen Söhne frugen sehr wenig nach ihrer mütterlichen Autorität,. und wenn sie auch zu gut geartet und vom Vater zu streng erzogen waren, um der Mutter unehrerbietig zu begegnen, wie dies in andern Familien häufig genug der Fall war, so lag es doch einmal im Geiste ihrer Zeit, daß sie der Frau eben nur das Regiment in Küche, Keller und Gesindestube zuerkannten, ihr aber jede Einmischung in die weiteren Angelegenheiten untersagten. Nicht wenig wirkte diese Anschauung auch auf die Söldlinge, welche sich ebenfalls nicht sonderlich um den Willen der Burgfrau kümmerten und nur den Männern gehorchen wollten. Es gab dadurch mancherlei Reibereien, die nicht immer zu Gunsten der Frau ausfielen, und wenn auch der Burgherr gutmüthig und weniger roh war, als viele seiner Standesgenossen, so trug doch Frau Kunigunde die Erinnerung an manche ihr zugefügte Ungerechtigkeit im verschwiegenen Busen, ja es war 77 sogar einigemal in ihrer langen Ehe vorgekommen, daß die schwere Hand des gefürchteten und doch geliebten Eheherrn die zarte Wange der trauten Gattin unsanft berührt hatte.

War es da zu verwundern, wenn die edle Frau die größte Freude ihres Herzens an ihren Kindern fand? Und da ihr diese Freude, weil sie nur Söhne besaß, beim Heranwachsen derselben einigermaßen getrübt wurde, indem sich die jungen Herren von ihrer mütterlichen Zärtlichkeit lossagten, war es nicht wieder nur natürlich, daß der jüngste Sohn Dietmar von ihr am zärtlichsten geliebt wurde? Wohl gab es Burgfrauen von feinerer Bildung und energischerem Charakter als Kunigunde, aber im Durchschnitt blieben sie meistens auf dem Standpunkte der Frau von Kalmburg, und gar viele erreichten nicht einmal ihre Höhe, so daß man mit vollem Rechte sagen konnte, sie sei eine tüchtige und pflichtgetreue Frau, die außer der Spindel und dem Kochgeschirr sich gar wohl auch auf die gesellschaftlichen Anforderungen verstand, welche man an eine Edelfrau ihrer Zeit stellen durfte. In ihren Truhen und Schränken befand sich manches kostbare Gewand, und sie besaß viele schöne Schmuckstücke, die bei feierlichen Gelegenheiten zu ihrem Rechte kamen. Wenn sie sich einmal mit Hülfe ihrer Frauen mit diesen ungewöhnlichen Bekleidungsstücken herausgeputzt hatte, war sie wie umgewandelt. Sie fühlte sich dann nicht nur auch zu Pferde ganz sicher, sondern sie erinnerte sich zugleich all der schön gedrechselten und verblümten Redensarten, die bei großen Zusammenkünften zwischen den Herren und Damen gewechselt wurden.

In diesem Augenblicke war sie allerdings ausschließlich 78 zärtliche Mutter. Sie sah ihren Liebling mißhandelt und faßte sofort den Entschluß, ihn nicht nur zu schützen und zu pflegen, sondern auch sich den Umstand zu Nutzen zu machen, daß ihr Eheherr und die älteren Söhne auf lange Zeit in fernen Landen weilten, um den Liebling ihrer Seele einmal um sich zu haben und ihn recht nach Herzenslust zu verhätscheln.

Frau Kunigunde war aber nicht nur eine gediegene Hausfrau, sondern auch eine fromme Christin, die sich unter der Obhut des Burgkaplans streng an die Vorschriften der Kirche hielt und nichts versäumte, was dazu gehörte, um sich das Lob einer gottesfürchtigen Frau zu erwerben. Aber das Leben auf der Burg mit dem Gesinde und dem strengen Gatten ließ keine Gefühlsschwärmerei aufkommen, und sie übte die religiösen Vorschriften mit derselben Pflichttreue wie ihre sonstigen Obliegenheiten. Daß die Mönche von Memleben ihren Sohn hart gezüchtigt hatten, weil er den Aufenthalt bei der Mutter dem eintönigen Klosterleben vorzog, ging ihr über den Spaß, und sie belegte den Prior und die übrigen geistlichen Herren mit nicht sehr ehrerbietigen Bezeichnungen. Als sie sich von den auf sie einstürmenden Gefühlen der überraschenden Freude des Wiedersehens und der darauf folgenden Entrüstung über die allzu strengen Mönche etwas erholt hatte, gewahrte sie nun auch den Begleiter ihres Dietmar, der in seinem verblichenen und verwachsenen Anzuge schüchtern und verwirrt noch immer an der Thüre stand.

Sie frug, wer er sei, und mit derselben Beredsamkeit, mit welcher Dietmar vorhin seine eigne Sache geführt hatte, suchte er nun das wohlwollende Interesse der Mutter 79 auch für den Gefährten wach zu rufen, indem er ihr erzählte, wie Heinrich nach dem Tode seiner Mutter in die Abtei Memleben gebracht und nun wieder daraus entfernt worden, weil sein Vater im gelobten Lande gestorben sei.

Diese Mittheilung rief sofort eine mitleidige Thräne in das Auge der gerührten Burgfrau. Nichts in der Welt hätte sie milder für den Begleiter ihres Dietmar stimmen können, als die Auskunft, daß derselbe eine vater- und mutterlose Waise sei. Sie sorgte sofort für einen tüchtigen Morgenimbiß und sah mit großer Freude, wie sehr derselbe den beiden jungen Freunden willkommen war. Dann ordnete sie an, daß diese zusammen in dem hübschen und geräumigen Gemache schlafen sollten, wo sonst die beiden Brüder Dietmar's ihre Wohnung hatten. Auch suchte sie passende Gewänder für beide hervor. Dietmar war darüber hocherfreut, und Heinrich fühlte die innigste Dankbarkeit für so viele Gastfreundschaft.

Aber die Herrlichkeit dauerte nicht lange. Kaum hatte Dietmar sich behaglich in der Heimath eingerichtet, tüchtig ausgeschlafen und sich an den fetten Bissen aus der mütterlichen Küche gelabt, dem Freunde die Ställe und alle Räumlichkeiten gezeigt und mit ihm ein paar Ausflüge zu Pferde gemacht, als seine Mutter ihn eines Morgens, wenige Tage nach seiner Ankunft, im vertraulichen Gespräch zufällig nach Heinrich's Familienverhältnissen frug, denn sie hätte die Frau nicht sein müssen, die sie war, wenn nicht ein wenig Neugierde bei ihr vorgeherrscht hätte. Dietmar war zu unerfahren, um in diesem Falle die Ansichten der Mutter zu ahnen. Im Gegentheil, er glaubte, das Schicksal seines Freundes sei ein für allemal des Mitgefühls der Frau 80 Kunigunde sicher, und er erzählte arglos, Heinrich sei das Kind des Grafen von Merseburg, aber nicht von dessen ehelicher Hausfrau, und daher verfolge ihn die letztere mit ihrem Hasse und habe seine Entfernung von Memleben bewirkt.

Dietmar erschrak über die Wirkung dieser Eröffnung, denn Frau Kunigunde hatte kaum erfahren, daß es sich um einen Ehebruch handle und Heinrich die Frucht eines unerlaubten Liebesbundes sei, als sie plötzlich wie umgewandelt erschien und rund heraus erklärte, der junge Mensch könne unter ihrem Dache keine Unterkunft länger finden. Sie kannte zwar die Gräfin von Merseburg nur sehr oberflächlich und haßte dieselbe gründlich wegen ihres Geldstolzes und der Kostbarkeiten, mit welchen sie sich bei jeder Gelegenheit behing, aber die Heiligkeit der ehelichen Rechte mußte gewahrt bleiben und Frau Kunigunde würde in dieser Beziehung mit der häßlichsten und widerwärtigsten Frau gegen die schönste und liebenswürdigste Partei genommen haben. War es nicht schon genug, daß der Kaiser ein so böses Beispiel gab, daß die Ritter ihre Frauen Jahre lang im Stiche ließen, um unter dem Vorwande heiliger Christenpflichten in fernen Ländern ein gefährliches und abenteuerliches Leben zu führen, wozu die Frauen nicht nur schweigen, sondern sogar noch scheinbar zustimmen mußten, um sich nicht die fanatische Geistlichkeit auf den Hals zu laden! Wahrhaftig, das Loos der Frauen war hart genug, und wenn die ehelich angetrauten Weiber nicht unter allen Umständen zusammen hielten, blieb ihnen bald kein einziges ihrer Rechte mehr vorbehalten. Dies waren die Gründe, welche Frau Kunigunde sofort bestimmten, die Partei der 81 Gräfin zu nehmen. Sie erklärte ihrem Sohne rund heraus, daß Heinrich die Burg schleunig verlassen müsse.

»Nun wohl,« entgegnete Dietmar mit entschlossener Stimme, »Heinrich ist mein Freund und wir haben uns Treue gelobt. Muß er die Burg verlassen, so folge ich ihm freiwillig, wohin sein Weg ihn führt.«

»Aber Dietmar,« entgegnete die geängstigte Mutter, »Du vergißt, daß Du eingeholt und wieder in das Kloster gesperrt wirst, sobald Du ohne mein Wissen und Wollen Dich von hier entfernst.«

»Es ist mir gleichgültig,« versetzte Dietmar, »wohin ich gebracht werde, wenn Heinrich nicht bei mir bleiben darf. Ich bin aus dem Kloster Memleben entflohen, weil ich es dort nicht mehr aushalten konnte, aber ich lasse nicht von Heinrich, denn ich habe ihm Treue zugesagt. Was ich einmal beschlossen habe, dabei bleibe ich und wenn ihr mich mit glühenden Zangen zerreißen wolltet. Thue also, was Du nicht lassen kannst, aber sei versichert, daß ich es ebenso machen werde.«

Einen Augenblick steigerte sich noch der Zorn der gekränkten Mutter. Sie war ein echtes Kind ihrer Zeit, und es stieg sofort der Verdacht in ihr auf, Dietmar müsse durch eine Zauberkraft an den Bastard gefesselt sein. Wußte man doch, daß solche schändliche Geschöpfe, wie die Mutter des fremden Jünglings eines war, durch allerlei heidnische Tränke und Zaubermittel die Gunst der Ehemänner für sich gewannen; konnte die abscheuliche Mutter nun nicht ihrem Sohne jene Hexenkünste gelehrt haben, durch welche man harmlose Seelen an sich fesselte? Wenn ihr Dietmar auf diese Weise an seinen Gefährten gekettet war, galt es 82 vor allen Dingen, ihn aus dem fluchwürdigen Bann zu retten, was vielleicht nur durch den Tod des unehelichen Burschen geschehen konnte. Vor einem Morde würde Frau Kunigunde denn doch zurückgeschreckt sein, wenigstens vorläufig, bevor die verderbliche und verbrecherische Fähigkeit des jungen Mannes festgestellt war; sie entschloß sich daher zur Vorsicht und nahm sich vor, den Burgkaplan zu Rathe zu ziehen. Einstweilen mußte sie nachgeben und sich mit Dietmar's Anordnungen in Bezug auf seinen Freund einverstanden erklären, sie mußte sogar ihrem Herzen den gewaltigen Stoß versetzen und den verhaßten Jüngling durch freundliche Worte zu täuschen suchen.

Der herzliche Empfang, welchen Heinrich auf der Burg erfahren hatte, war natürlich ganz geeignet gewesen, sein Gemüth zu erheitern, und da er bei seiner frühen Jugend den Ernst des Lebens schwer und drückend empfunden hatte, lebte er hier förmlich auf. Mit der ganzen Lebenslust seiner Jahre gab er sich den Sommer über den Freuden des Reitens und Jagens hin. Dietmar hatte sich nie so frei und übermüthig gefühlt. Des Freundes besonnenes Wesen hielt ihn zwar von eigentlichen Thorheiten zurück, aber sie tummelten sich zusammen in Wald und Feld, auf Bergen und Flüssen umher und genossen in vollen Zügen das Glück der Gegenwart.

Die Wolken, welche diesen heiteren Sonnenschein ungetrübter Freude bedrohten, zogen sich jedoch immer dichter zusammen. Dietmar hatte geglaubt, die Mutter werde ihr Vorurtheil bezwingen, er täuschte sich indessen, denn Frau Kunigunde fand fortwährend Veranlassung, darauf zurückzukommen. Da ihr blondhaariger Sohn in Gesundheit und 83 Frohsinn glänzte, konnte sie an ihm selbst keine üblen Folgen von der Anwesenheit Heinrich's nachweisen, aber jede Unannehmlichkeit in ihrer Nähe und jedes kleine Mißgeschick wurde von ihr auf diese Ursache zurückgeführt. Da sie häufiger als sonst schlecht gelaunt war, gerieth sie öfter in ärgerliche Wallung und fand bald in der Küche, bald auf den Feldern dies oder jenes zu tadeln, da fiel ihr stets ein, daß der unselige Bastard Unheil in das Haus gebracht habe. Zufällig kamen gegen den Herbst einige wirkliche Unfälle vor. Dietmar hatte ein Pferd zu stark angestrengt und das Thier war so gefährlich gestürzt, daß es getödtet werden mußte. Frau Kunigunde konnte es nicht über sich gewinnen zum ersten Male in Heinrich's Gegenwart einige anzügliche Bemerkungen zu machen. Ihr Sohn wurde gereizt und es gab eine heftige Scene, welche Heinrich die Augen öffnete. Er wollte die Burg sofort verlassen, aber da Dietmar der Mutter gegenüber fest bei der Drohung blieb, er werde in solchem Falle gleichfalls in die Welt ziehen, sah sie sich genöthigt, beruhigende Worte zu sagen und den ihr so unwillkommenen Gast selbst zum Bleiben zu nöthigen.

Von nun an war Heinrich's Unbefangenheit dahin. Wenn er daran dachte, daß Menschen ihn verachten konnten, weil ein Makel auf seiner Geburt ruhte, obgleich es doch ebensowenig ihr Verdienst wie seine Schuld war, wenn sie einem gesetzlichen Ehebündnisse ihr Dasein verdankten, so bemächtigte sich eine tiefe Bitterkeit seiner Seele und er flüchtete sich oft in einsamen Stunden zu religiösen Betrachtungen, die ihn darauf führten, daß alle die Unterschiede, welche die Menschen machten, vor Gott keine Geltung hatten. Nach und nach kam ihm noch eine andere 84 Erkenntniß. Wenn er die rührige Frau Kunigunde in allen Räumen umherwirthschaften sah, wenn er ihre scheltende Stimme vernahm und dabei bedachte, daß sie in ihm den Bastard verabscheute, während sie es ruhig mit ansah, wie ihr lieber Sohn die jüngeren Dienerinnen durch derbe Zumuthungen und oft recht unfläthige Scherze belästigte, so stieg das Bild seiner armen Mutter, die ihr Leben in stiller Entsagung, mit der Erziehung ihres Kindes und Werken der Barmherzigkeit ausgefüllt hatte, wie verklärt vor ihm auf. Wohl gab es noch eine Erinnerung, die sich an ein jüngeres weibliches Wesen knüpfte und ihn früher mit noch süßeren Empfindungen erfüllt hatte. Aber nun bereitete ihm der Gedanke an die edle Gisa, die er in seinen Armen gehalten hatte, nur bittere Gefühle, denn auch sie und die Ihrigen dachten wahrscheinlich ebenso wie Frau Kunigunde. Dennoch gelobte er sich, ihr seine Treue zu bewahren und die Hoffnung sie noch einmal wiederzusehen nicht ganz zu verbannen.

Es hatte sich Heinrich's wegen ein kleiner Krieg zwischen Dietmar und dessen Mutter entsponnen. Frau Kunigunde hätte den unwillkommenen Gast gern schlechter gebettet und mit geringerer Kost versorgt, als ihren Liebling, aber kaum bemerkte dies Dietmar, als er darauf bestand, daß sie ihr bestes Leinenzeug für den Freund bestimmte und ihm bei Tische die besten Bissen vorlegte. Dies vermehrte nur den inneren Groll der gekränkten Mutter. Ueberhaupt sorgte Dietmar dafür, daß es ihnen beiden an nichts fehlte. Heinrich konnte alle die Fertigkeiten, die der alte Konrad ihm beigebracht hatte, nach Herzenslust üben. Fast den ganzen Tag brachten sie im Freien zu und jagten und 85 fischten unermüdet. Häufig nahmen sie einen oder mehrere der Diener mit, oft aber auch durchstreiften sie Wald und Feld ohne Begleitung, ruderten selbst im Kahn auf den Teichen umher, und wenn sie zurückkehrten, hielten sie sich in den Ställen auf, sahen nach den Pferden, den Hunden, den Falken, und Dietmar konnte nicht müde werden, immer wieder neue Vorschläge zu machen und allerlei Unterhaltungen zu ersinnen. Es schien, als veredle die Freundschaft für den Jugendgefährten das Gemüth des unbändigen Jünglings, denn Heinrich war der einzige Mensch, der seine derben Sitten etwas zu mildern vermochte und ihn nicht nur von gefährlichen Unternehmungen, sondern auch von rohen Gewaltthätigkeiten gegen Bauern und Knechte zurückhalten konnte.

Vergeblich sah sich übrigens Heinrich nach irgend welcher Gelegenheit zu geistiger Arbeit um.

Die einzige Beschäftigung dieser Art gewährte ihm eine alte Familienchronik des Kalmburger Hauses, welche ein Burgkaplan vor etwa hundert Jahren begonnen hatte und die von seinen Nachfolgern mit mehr oder weniger Geschick fortgesetzt war. Leider fehlte ein Theil der Pergamentblätter. Offenbar waren diese mit Absicht, sogar mit Anwendung von Gewalt entfernt worden. Vielleicht hatten sie irgend eine wichtige oder gefährliche Aufzeichnung enthalten? Vergeblich durchsuchte Heinrich alle Winkel nach den fehlenden Blättern, er erkundigte sich auch bei dem Burgkaplan um die Ursache ihrer Entfernung, aber dieser hatte sich niemals viel um die Chronik des Hauses bekümmert, und obgleich er die neueren Daten ganz mechanisch eingetragen hatte, war ihm alles Vorhergehende so gleichgültig gewesen, daß er 86 nicht einmal das Fehlen jener Blätter bemerkt hatte. Dieser Kaplan, welcher auf der Burg täglich die Messe las, bekümmerte sich nur um dasjenige, was er durchaus wissen mußte, um seines Amtes pflegen zu können. Nebenbei pflegte er weidlich seinen Körper und da die Burgfrau aus Furcht vor den Höllenstrafen es nicht mit ihrem Hausgeistlichen verderben wollte, sah sie ihm Alles durch die Finger und ließ ihn nach seines Herzens Gelüsten gewähren. Da er ihr Beichtvater und geistlicher Berather war, hatte sie ihm die Noth ihrer Seele anvertraut und ihren Verdacht gegen Heinrich ausführlich mitgetheilt. Solche Gelegenheiten ließ der geistliche Herr nicht vorübergehen, ohne sich wichtig zu machen und der Burgfrau seine Bedeutung recht eindringlich vor Augen zu führen. Er rieth von jedem Gewaltschritte ab und erbot sich, den Seelenzustand des jungen Mannes zu erforschen, um darnach zu beurtheilen, welche Mittel zweckmäßig seien. Der schlaue Pfaffe beobachtete dann die beiden jungen Leute und als er erkannte, daß Dietmar nicht von seinem Freunde lassen werde, beschloß er, sich persönlich nicht weiter in die Sache einzumischen und vertröstete die ungeduldige Mutter auf Hülfe von oben.

Wenn Heinrich auch gern den Anordnungen Dietmar's Folge leistete und dessen Liebhabereien theilte, sehnte er sich doch zuweilen nach ernsthafteren Eindrücken, denn er hatte außer Sunnera, Memleben und Kalmburg bis jetzt nichts von der Welt gesehen. Dietmar that ihm daher den Gefallen, mit ihm zuweilen nach einer der nächstgelegenen Städte zu reiten, um dort die Kirchen zu besichtigen, und obgleich der derbe Junker wenig Gefallen an solchen 87 Ausflügen fand, begleitete er den Freund doch willig. Als aber Heinrich bereits mehrmals das Münster zu Naumburg besehen hatte und sogar vom Pferde gestiegen war, um auch das Innere der Kirche zu betrachten, verlor Dietmar die Geduld. »Wenn Du wieder diese Lust verspürst, magst Du allein reiten,« hatte er ausgerufen, und Heinrich ließ sich dies nicht zweimal sagen. Er ritt nun öfter nach Naumburg in Begleitung eines Knechtes, der das Pferd hielt, während er Stunden lang alle Einzelheiten des Baues der Kirche durchforschte.

Als dann der Winter kam, verschaffte er sich die nöthigen Materialien, um auf Pergament Umrisse von einzelnen Theilen des Domes zu zeichnen. Es ging anfangs recht mühsam, aber er besaß Ausdauer und ließ sich nicht irre machen. Während Dietmar an den langen Abenden mit der Mutter und dem Kaplan plauderte oder halbschlafend und faul auf der Bärenhaut lag, zog Heinrich sorgsam Linien und Kreise und übte sich in Entwürfen, wie er sie in der Bauhütte zu Memleben gesehen hatte. Er überlegte und berechnete dabei so viel, daß schließlich Frau Kunigunde wieder auf schlimme Gedanken kam und ihrem Sohne gegenüber die Furcht äußerte, Heinrich übe sich in Zauberformeln. Dietmar lachte sie aus und meinte, Heinrich halte weniger von solchen Dingen, als er selbst, das habe er bereits damals bemerkt, als sie nach alter Sitte Blutsbrüderschaft im Kloster geschlossen und er den Freund in Allem habe unterrichten müssen.

Das war wieder ein neuer Schreck für die Mutter. Blutsbrüderschaft hatte ihr Sohn mit dem Bastard gemacht! Das brachte sie aufs Neue in Unruhe. Sie 88 bekreuzte sich und nahm dann abermals ihre Zuflucht zu ihrem Beichtvater. Nun blieb dem trägen Geistlichen nichts Anderes übrig, als ihr einen bestimmten Vorschlag zu machen. Da sie durchaus und unter keinen Umständen sich bei der Sache beruhigen wollte, gab der Kaplan den Rath, den Ritter von Brachfeld, den nächsten Verwandten ihres Mannes, der von diesem während seiner Abwesenheit zu ihrem Schutz bestellt war, zu sich zu bescheiden, um mit ihm über die Angelegenheit zu reden.

Obgleich Frau Kunigunde zu diesem Hülfsmittel sehr ungern ihre Zuflucht nahm, weil sie den Vetter als habgierigen und rücksichtslosen Menschen kannte, blieb ihr doch nichts Anderes übrig, denn sie glaubte bereits, an sich selbst die Wirkung des gefürchteten Zaubers zu spüren, der von Heinrich ausging und alle Menschen für ihn einnahm. Daß dies die natürliche Folge seines stillen und anspruchslosen Wesens sei, kam ihr gar nicht in den Sinn; er war in ihren Augen ein Kind der Sünde, und wenn ihn nicht Jedermann haßte, konnte dies nur durch Höllenkünste bewirkt werden.

Dieser thörichte Aberglaube sollte von schlimmen Folgen sein. Frau Kunigunde fand keine Ruhe und da sich nicht selbst zu helfen wußte, faßte sie wirklich den Entschluß, Herrn Udo von Brachfeld, den Vetter ihres Mannes, durch einen Boten zu sich bitten zu lassen. Weshalb sie ihn zu sprechen begehre, ließ sie ihm vorläufig nicht sagen, aber sie machte die Sache möglichst dringend und bewirkte dadurch, daß er ihr seine Ankunft in kürzester Zeit anmelden ließ.

Dem Sohne gegenüber hielt sie den eigentlichen Zweck 89 dieser Berufung geheim, aber der junge Mann war klug genug, sofort einzusehen, um was es sich handle. Mit der ihm eignen Unbeugsamkeit war er entschlossen, die Absicht seiner Mutter zu vereiteln und bei seiner ersten Entscheidung zu verharren: entweder sollte Heinrich auf der väterlichen Burg verbleiben, oder er wollte mit ihm fortziehen. An Nachgiebigkeit, seiner Mutter oder dem aufgezwungenen Vetter gegenüber, war bei ihm nicht zu denken, und so leichtlebig er sich sonst zeigte, in diesem einen Falle blieb er eisenfest. Und gerade dieser Eigensinn bestärkte die Mutter in ihrer Ueberzeugung von dem bösen Zauber, der ihn gefangen halte.

Herr von Brachfeld kam nach einigen Tagen mit zwei Reitknechten an, die er zu seiner persönlichen Bedienung mitbrachte. Frau von Kalmburg sah in der That recht kummervoll aus. Sie bereute beim Anblick ihres Gastes, daß sie denselben zu sich beschieden hatte, aber es war einmal geschehen, und da ein solcher Besuch immer auf einige Wochen berechnet war, hatte sie mancherlei vor und nach der Ankunft des Ritters in der Wirthschaft zu besorgen, was ihre Gedanken etwas zerstreute und wodurch sie gewissermaßen sich selbst über die Lage der Sache täuschte.

Udo von Brachfeld war ein Ritter gewöhnlichen Schlages, der nichts weiter im Auge hatte, als seine persönlichen Lebenszwecke. Bei allen Gelegenheiten, die ihm in den Weg kamen, frug er nur, ob dabei für ihn Vortheil oder Vergnügen herausspringen könne. Unter seinem Vortheil verstand er aber die Aneignung möglichst vielen fremden Gutes, so lange dies ohne Gefahr für Leib und Leben geschehen 90 konnte, und als Vergnügen betrachtete er Alles, wozu ihn seine tolle Laune trieb: wildes Jagen und Reiten, den Kampf mit wehrlosen oder bewehrten Gegnern, unmäßiges Schmausen und noch maßloseres Trinken, welches letztere er am liebsten in Gesellschaft von Genossen seiner Art ausführte, wobei dann Einer den Andern an plumpen Prahlereien zu überbieten suchte, was nicht selten zu Zwistigkeiten und blutigen Händeln führte.

Trotz dieser wenig rühmlichen Eigenschaften gehörte Udo von Brachfeld noch nicht zu den schlimmsten Helden seiner Art. So war es gekommen, daß Herr von Kalmburg ihm während seiner Abwesenheit die Vormundschaft übertragen hatte. Aber solche Menschen wie Udo bedürfen nur der Gelegenheit, um sich in ihrer wahren Natur zu zeigen, und da er trotz seiner martialischen Erscheinung kein besonders muthvolles Herz besaß, entsprach der Kampf mit einem furchtsamen und thörichten Weibe seiner Natur weit mehr, als wenn es sich um einen ebenbürtigen Gegner gehandelt hätte.

Als der große, etwas hagere Mann, geharnischt wie zum Kampfe, über die Zugbrücke in das Burgthor einritt, die beiden Knechte, gleichfalls bewaffnet und mit einigem Gepäck versehen, hinter ihm, überfiel sämmtliche Bewohner der Burg ein Schrecken, denn aus dem verwitterten Gesichte mit dem unbändig großen Schnurrbart blickten drohend und unfreundlich ein Paar kleine stechende Augen, die sich neugierig überall umsahen. Mit angstvollem Herzen und schweren Seufzern hatte Frau Kunigunde ihn begrüßt, aber sie wußte sich in der That keinen bessern Rath, denn die Angst um ihres geliebten jüngsten Sohnes Seelenheil übertraf alle anderen Besorgnisse.

91 Herr Udo ließ sich zuerst ein tüchtiges Mahl auftischen und leerte dazu einen Humpen von stattlicher Größe. Nachdem er sich zuletzt den Mund gewischt hatte, verlangte er von Frau Kunigunde zu wissen, zu welchem Zwecke sie ihn zu sich entboten habe. Sie forderte ihn auf, ihr in das Frauengemach zu folgen, was er bereitwillig that, aber nicht, ohne sich vorher den neu gefüllten Humpen dorthin zu bestellen. Die Rüstung hatte er schon vorher abschnallen lassen und es sich mit Hülfe seiner Knechte in einem Hauswams bequem gemacht.

In der Kemenate angelangt, setzte sich Herr Udo vor einen kleinen Tisch, auf welchen der gefüllte Humpen gestellt war, that daraus zuerst einen kräftigen Schluck, strich den gewaltigen Schnurrbart mit beiden Händen, räusperte sich und blickte dann die ihm gegenüber sitzende Base erwartungsvoll an. Mit zitternder Stimme begann diese möglichst vorsichtig ihr schwer belastetes Herz zu erleichtern und erzählte dem Vetter von der seltsamen Anhänglichkeit ihres Sohnes an den Bastardsohn des Grafen von Merseburg, und daß die beiden jungen Leute sich Blutsbrüderschaft gelobt hätten. Herr Udo war nahe daran, in rohes Lachen auszubrechen; er blickte sie bald verwundert, bald spöttisch an, aber er sagte nichts. Die besorgte Mutter wurde dadurch noch ängstlicher und brachte nun unter Zittern und Zagen ihre Ansicht in Bezug auf die Verzauberung hervor. Da mit einem Male traf, von ihr unbemerkt, ein aufflammend forschender, stechender Blick des Ritters ihr Gesicht. Als sie ausgeredet hatte, schüttelte er bedenklich mit dem Kopfe, strich lange Zeit seinen Schnurrbart und sagte zuletzt:

92 »Das ist eine bedenkliche Geschichte, liebe Frau Base, und ich begreife sehr wohl, daß Euch darob schwerer Kummer drückt. Ihr habt sehr wohl daran gethan, mich hierher kommen zu lassen, denn der Fall fordert allerdings den Kopf und die Hand eines Mannes. Wissen die jungen Leute, daß Ihr mich um dieser Sache willen zu Euch entboten habt?«

»Kein Sterbenswort wissen sie,« entgegnete Frau Kunigunde, indem sie ihr Herz durch einen Seufzer erleichterte; »ich habe weder durch Blick noch Rede angedeutet, was ich im Schilde führe, und Dietmar ist der Meinung, daß Ihr nur zum Besuche hierher gekommen seid.«

»Das habt Ihr sehr gut geordnet,« versetzte der Ritter, während er das Lachen kaum verbeißen konnte. »Das Nöthigste ist nun, daß Ihr den Anschein beibehaltet, als habe meine Anwesenheit ganz andere Gründe. Inzwischen kann ich die jungen Leute beobachten und mir Gewißheit verschaffen, wie die Sache liegt und was darin zu thun ist. Richtet Euch also darauf ein, daß ich für einige Zeit Euer Gast bleibe. Ich werde meinem Weibe Nachricht senden und vielleicht noch ein paar meiner Leute herkommen lassen, um für alle Fälle Menschen zur Hand zu haben, die mir blind gehorchen.«

Nach diesen Worten trank Herr Udo in gewaltigen Zügen den Humpen leer, stand vom Stuhle auf, strich den Schnurrbart und verließ die merklich beruhigte Frau, die in der Ueberzeugung zurückblieb, daß die Angelegenheit in den besten Händen ruhe.

In den nächsten Wochen entwickelte sich nun ein ganz heiteres Leben auf der Burg. Dietmar und Heinrich fanden 93 zwar kein besonderes Wohlgefallen an der Gesellschaft des Herrn von Brachfeld, aber dieser verstand es trefflich, für Abwechslung zu sorgen und bald einen Ritt über Feld, bald einen Jagdzug in den Wald anzuordnen, so daß wenigstens Dietmar immer mehr für ihn eingenommen wurde. Heinrich dagegen blieb scheinbar gleichgültig gegen den Verwandten seines Freundes.

Es war gleichsam eine stille Abneigung, die sich nach und nach in der Art aussprach, wie sich die Parteien zu Dietmar stellten. Heinrich sah mit Verdruß, daß der Freund an dem hohlen und rohen Treiben des Ritters mehr und mehr Gefallen fand, und begann einzusehen, er habe selbst seine Zeit nutzlos auf der Burg vergeudet. Der Ritter dagegen hielt die Gesellschaft Heinrich's für seinen Neffen in jeder Hinsicht durchaus ungeeignet.

Eines Tages machte Herr Udo den Vorschlag, mit einer kleinen Anzahl bewaffneter Knechte sich in der Nähe der großen Landstraße in den Hinterhalt zu legen, um abzuwarten, ob nicht ein Trupp Kaufleute mit Waaren vorüberkämen, die man ein wenig schrecken und schröpfen könne. Heinrich wurde über diesen Plan ungeduldig und bezeichnete ein derartiges Unternehmen als räuberischen Ueberfall, worüber der Ritter anfangs hohnlachte, dann aber, als er bemerkte, daß es dem jungen Manne Ernst sei, sich heftig erboste und ihm mit giftigen Redensarten zusetzte. »Man merke gleich,« sagte er, »daß Heinrich kein Gefühl für die Rechte der Ritterschaft habe, denn sonst müsse es ihm ein Gaudium sein, den Pfeffersäcken aufzulauern, die sich nach und nach immer größere Freiheiten anmaßten und dem Adel die uralten bestehenden Vorrechte 94 verkümmerten. Daß der Kaiser und die Bischöfe den Handelsleuten gestatteten, sich in ihren Städten wie in Burgen zu verschanzen und darum Bürger zu nennen, hielt er für ein himmelschreiendes Unrecht und schimpfte auf den Verfall der guten alten Sitten, die er aufrecht zu erhalten suchen wolle.«

Heinrich war der Ansicht, daß den Besitzern der Burgen an den Heerstraßen zwar das Recht zustehe, von den des Weges durch ihr Gebiet ziehenden Kaufleuten eine Abgabe zu fordern, da sie denselben Schutz gegen Strauchdiebe gewährten, aber die Ritter hätten dann dafür auch die Pflicht, die unbewehrten Handelsleute wirklich zu schützen.

Als Herr Udo dies hörte, schrie er hochroth vor Zorn:

»Da haben wir Eure Weisheit! Wenn Niemand da ist, der die reisenden Kaufleute überfällt, ist der Schutz und damit auch die Abgabe überflüssig! Ebenso gut könnte man den Pfeffersäcken gestatten, selbst Waffen zu tragen oder Bewaffnete zu halten, die sie begleiten, dann würde weder Ueberfall noch Schutz nöthig sein, und die Ritterschaft müßte ihr uraltes Recht auf die Zölle, das Jedem auf seinem Gebiete zusteht, verloren geben. Was das für Zustände sein würden! Man sieht, daß Ihr ein junger Gelbschnabel seid, der nichts von Ordnung und Recht in der Welt versteht. Den Besitzern der Burgen müssen die ihnen zukommenden Abgaben gezahlt werden und damit ihr Recht darauf nicht erlösche, bleibt der Ueberfall eine brave ritterliche That. Wenn Ihr solches Handeln für eine Schande haltet, zeigt Ihr damit nur, daß Ihr selbst Euch nicht zu uns zählt.«

»Zu den Straßenräubern zähle ich mich allerdings nicht!« antwortete Heinrich entrüstet, worauf der Ritter 95 ein rohes Schimpfwort ausstieß und auf den jungen Mann losstürzen wollte. Dietmar warf sich jedoch in das Mittel. Er wendete sich zu Heinrich und sagte, es stehe ihm frei, von dem Ritte zurückzubleiben, er seinerseits sei entschlossen, sich dabei zu betheiligen, und Jeder müsse den Andern gewähren lassen.

Heinrich zog sich grollend zurück, während Herr von Brachfeld wirklich seinen Willen durchsetzte und mit Dietmar und drei handfesten Knechten gegen die Landstraße aufbrach. Man hatte Stricke mitgenommen, um die Kaufleute, wenn sie sich etwa widerspänstig zeigten, zu binden, oder wenigstens ihnen damit zu drohen, wie denn überhaupt an eine ernste Durchführung des Ueberfalls, wenigstens von Dietmar's Seite, nicht gedacht wurde. Wußte man doch, daß reisende Kaufleute für ähnliche Fälle häufig eine Anzahl Schmuckgegenstände und kostbare Stoffe bei sich führten, um sich damit loszukaufen, wenn ein Trupp adliger Wegelagerer sie bedrohte. Für letztere galten diese Ueberfälle als eine besondere Art von Jagdvergnügen, wobei die reisenden Geschäftsleute das gehetzte Wild darstellten. Hatte man sie recht in Furcht gejagt, daß sie jammerten und um Gnade flehten, so gewährte das Gefühl der Ueberlegenheit einen besonderen Hochgenuß, und wenn man dann noch einige schöne Beutestücke mit nach Hause bringen konnte, galt der Scherz als ein gelungener, und man erinnerte sich unter Spott und Lachen der Todesangst, welche die Pfeffersäcke ausstehen mußten.

In dieser Weise schilderte Herr Udo seinem Neffen das bevorstehende Vergnügen, und in Dietmar regte sich der jugendliche Uebermuth bei der Aussicht auf den rohen 96 Scherz. Es war offenbar, daß das böse Beispiel des Ritters ihn bereits von Heinrich's Einfluß entfernte.

Der Weg bis zur großen Heerstraße war übrigens ziemlich weit, und man kam an verschiedenen einzeln liegenden Hütten und Gehöften vorüber, aus denen mitunter der Rauch aufstieg, während ein Theil der Bewohner im Freien beschäftigt war und die Kinder umherspielten, wenn sie groß genug waren und die Mütter sie nicht mehr überall mit sich schleppen mußten. Wo die beiden geharnischten Ritter mit ihren drei Knechten vorbeikamen, blieben die Bauern auf den Feldern stehen und sahen ihnen nach, die Kinder aber liefen furchtsam nach den Hütten und veranlaßten die dort am Herde beschäftigten alten Frauen in die Thüre zu treten und ebenfalls nachzublicken. Die Bauern konnten sich ungefähr denken, auf was es bei dem bewaffneten Auszuge abgesehen sei, aber sie waren weit davon entfernt, in ihren Gedanken irgendwie Partei zu nehmen, denn es war ihnen gleichgültig, ob die Ritter mit den Handelsleuten in Kampf lagen oder nicht.

So kam der kleine Troß in die Nähe einer Hütte, vor welcher gerade eine heftige, aber zugleich etwas lächerliche Kampfscene stattfand. Es lagen sich nämlich ein paar alte und furchtbar häßliche Weiber in den Haaren und zwar mit solcher Wuth und Erbitterung, daß sie sich die schmutzigen Lumpen vom Leibe rissen und in geradezu wahnsinniger Aufregung Alles um sich her vergaßen. Ein junges Mädchen war bemüht, die eine der alten Frauen von der andern zu entfernen, aber sie erhielt für diese Bemühung nur zuweilen selbst einen Schlag oder einen Fußtritt, und es schien in der That, daß der Kampf erst mit der 97 Niederlage einer der Streitenden zu Ende gelangen werde. Auch als die reitenden Herren in der Nähe des Schauplatzes anhielten, änderte sich die Scene in keiner Weise, und es war offenbar, daß die beiden Furien weder Augen noch Ohren für irgend etwas Anderes als ihre eigne Angelegenheit hatten. Das junge Mädchen bemerkte die Ritter, und zu der Angst um den Ausgang des Kampfes der Frauen gesellte sich für das arme Geschöpf noch die Furcht vor möglicher Mißhandlung durch die herannahenden Männer; denn es wäre gar nichts Ungewöhnliches gewesen, wenn diese der Raufscene damit ein Ende gemacht hätten, daß sie nicht nur die beiden streitenden Parteien, sondern auch die vermittelnde dritte Macht – das junge Mädchen – weidlich durchprügelten. Mit weinenden Augen versuchte das Mädchen die rasenden Weiber auf die nahende Gefahr aufmerksam zu machen, aber es half Alles nichts, ja sie ließen nicht einmal von einander los, als Herr Udo seinem Neffen lachend zurief, sie wollten absteigen und den Streit mit einigen wuchtigen Hieben beenden, da sie doch einmal auf Abenteuer ausgezogen seien und sich ihnen hier die Gelegenheit zu einem solchen ganz von selbst biete.

Das Absteigen der geharnischten Herren war eine etwas umständliche Sache, und die beiden alten Weiber wurden denn doch aufmerksam auf die ihnen nahende gemeinsame Gefahr. Für einen unbetheiligten Zuschauer würde es von überwältigend komischem Eindruck gewesen sein, zu sehen, wie die beiden Megären, die sich noch mit den Händen an den zerzausten Haaren und Kleidern festhielten, ihre wüthenden Blicke den beiden nahenden Männergestalten zuwendeten. 98 Rasch trat nun Herr Udo auf sie zu und schrie sie mit zorniger Stimme an:

»Was habt Ihr alten Vetteln mit einander? Sollen wir Euch das Leder einmal tüchtig gerben, daß Euch die Lust zu solchem Satanslärm vergeht? Ihr seid wohl beide des Meister Urian Schätzchen und keine gönnt ihn der andern? Auseinander! Oder ich werde Euch mit ein paar tüchtigen Hieben zur Ruhe bringen!«

Die beiden Weiber schienen sich zuerst in voller Wuth gemeinsam gegen den neuen Feind wenden zu wollen, aber die angeborene Unterwürfigkeit vor den vornehmen Rittern hielt sie zurück, und sie begannen nun gegenseitig auf einander loszuschelten und zwar mit solcher Heftigkeit, daß es unmöglich war, ein Wort zu verstehen. Wie sie so standen und mit ihren kreischenden Stimmen schimpften und tobten, mit den dürren Armen in der Luft umherfochten, waren sie abschreckende Bilder von Häßlichkeit. Die wirren Haare flogen um den Kopf, die zerrissenen Kleider ließen die widerwärtigen welken Körperformen überall zu Tage treten, dazu die mit Blut unterlaufenen Augen, aus denen sie giftige Blicke schossen, die verzerrten Züge und der weit aufgerissene zahnlose Mund, Alles vereinigte sich, ihre Scheußlichkeit zu vervollständigen. Für Herrn von Brachfeld mußte der Eindruck mehr komisch als abstoßend sein, denn er brach endlich in ein wahrhaft wieherndes Gelächter aus, welches er lange Zeit gar nicht bezwingen konnte.

Inzwischen hatte Dietmar das weinende junge Mädchen um die Ursache des Streites gefragt, und es war ihm offenbar anziehender, das jugendliche Gesicht und die blühenden Formen des armen Kindes vor sich zu sehen, als die 99 dürren Leiber und häßlichen Gesichter der alten Zänkerinnen. Das Mädchen schien dem jungen Manne gegenüber, dessen Züge und Gestalt sie erst jetzt betrachten konnte, die Furcht zu verlieren, denn sie erzählte ihm treuherzig und ohne Rückhalt die Ursache des Streites. Sie wohnte allein mit ihrer Großmutter in der Hütte, vor welcher die Scene stattfand. Vorhin war nun die Mutter eines in der Nähe wohnenden Bauern in voller Wuth zu ihnen gekommen und hatte die Großmutter beschuldigt, sie habe ihr die einzige Kuh behext und sei Schuld an deren Tode. Die Großmutter, welche sich ein wenig darauf verstehe, das kranke Vieh zu kuriren, und schon gar vielen Leuten in der Umgegend durch ihren Rath in allerlei Fällen geholfen habe, sei durch die ungerechte Beschuldigung gleichfalls in Zorn gerathen und habe die Vorwürfe zurückgewiesen. Da die alte Frau aber selbst sehr heftig sei, habe sich aus Rede und Gegenrede ein Streit und aus diesem das Handgemenge entwickelt, dessen Zeugen die beiden Herren geworden.

Dietmar hatte dem jungen Mädchen aufmerksam zugehört und sich so sehr in den Anblick der ungewöhnlich hübschen Erscheinung vertieft, daß er die scheltenden Weiber und den lachenden Oheim ganz vergaß. Für gewöhnlich war er durchaus nicht schüchtern, wenn es sich darum handelte, den jüngeren Bewohnerinnen der Umgegend seiner väterlichen Burg seine derbe Huldigung darzubringen, aber das vor ihm stehende Mädchen machte ihn absonderlich befangen; es hatte etwas von dem Reize einer frisch aufgeblühten Feldblume, die plötzlich zwischen wildem Gestrüpp und Feldgestein dem Auge des Wanderers erscheint. War es ihm doch, als habe er ihr Gesicht oft und viel gesehen. 100 Aber wo? Er dachte an die Dirnen aus den Dörfern und Einzelgehöften, aber keine einzige erinnerte an diese ausdrucksvollen Augen, diese goldbraunen Haare. Er gab sich keine Rechenschaft darüber, wodurch sie ihm Zurückhaltung gebot, aber er überließ sich dem Eindruck und fuhr plötzlich wie aus einem Traume auf, als die lebhafte Unterhaltung zwischen den alten Weibern und seinem Oheim eine andere Wendung nahm. Udo von Brachfeld hatte nämlich sein Schwert aus der Scheide gezogen und, des Lachens müde, den beiden Frauen mit flacher Klinge ein paar wuchtige Hiebe versetzt. Darüber waren diese vor Entsetzen außer sich gerathen und wie auf plötzliches Commando jammernd vor dem Ritter auf die Kniee gefallen. Wie sie vorher maßlos in ihrem Schelten und Wüthen gewesen, so waren sie jetzt außer sich vor Todesangst. Als sie des gestrengen Herrn Füße flehend umfaßten, gab er ihnen noch ein paar kräftige Tritte und gebot dann, daß sie aufstehen und auseinander gehen sollten, wenn sie nicht seinen ganzen Zorn fühlen wollten. Rasch erhoben sie sich, und während des jungen Mädchens Großmutter nach ihrer Hütte hinkte, trat die andere Alte den Heimweg an. Sie war jedoch nur wenige Schritte entfernt, als sie sich nochmals umwendete, stehen blieb und nun in Bezug auf die gefallene Kuh ihrem erbitterten Herzen Luft machte. Sie beschuldigte ihre Gegnerin der Hexerei und behauptete, es sei in der ganzen Gegend bekannt, daß die alte Gunda Zaubertränke bereite und Vieh und Menschen damit, je nach ihrem Vortheil, schädige oder heile. Sie stehe im Bündniß mit dem Satan, der oft in Gestalt eines schwarzen Raben zu ihr komme und zu welchem sie selbst zuweilen des Nachts durch den 101 Rauchfang auffliege. Nachdem sie alle diese Beschuldigungen in heftiger Weise ausgestoßen hatte, gab sie Fersengeld und humpelte so eilig, als es ihr möglich war, ihrer eignen Behausung zu.

Herr Udo brach abermals in lautes Gelächter aus, in welches auch die Knechte einstimmten, die inzwischen die Pferde der Herren in Acht genommen hatten. Udo, der das Abenteuer für beendigt ansah, bestieg sein harrendes Roß wieder. Dietmar schien nicht derselben Ansicht in Bezug auf das Abenteuer, aber es half nichts, er mußte wohl oder übel dem Beispiele seines Oheims folgen und ebenfalls sein Pferd besteigen. Er hatte das junge Mädchen vorher noch um ihren Namen gefragt und erfahren, daß sie Wulfhilde heiße, ein Name, der ihm ausnehmend gefiel. Sie blieb stehen und sah zu, wie er zu Pferde stieg. Er nickte, als sie fortritten, und sah sich dann unterwegs mehrmals nach ihr um, wobei er bemerkte, daß Wulfhilde wie angewurzelt stehen blieb, so lange es möglich war, die Reiter zu erblicken. Daß sie dann in die Hütte eilte und, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß die Großmutter wieder ihren gewohnten Geschäften nachging, in eiligem Lauf einen Hügel erklomm, von dessen Gipfel sie mit ihrem ungewöhnlich geschärften Blicke den kleinen Troß noch weiter verfolgen konnte, sah er nicht mehr.

Es war übrigens nur Neugierde, nichts weiter, was Wulfhilde in diesem Augenblick erfüllte. Wohl hatte die Begegnung mit dem Junker einen wohlgefälligen Eindruck auf sie gemacht, aber hauptsächlich deshalb, weil sie mit dem natürlichen weiblichen Instinct, trotz aller Aufregung und zwischen Schrecken und Angst, das angenehme Gefühl 102 empfangen hatte, daß sie einem Jüngling aus adligem Hause gefiel. Wulfhilde war unter seltsamen Verhältnissen groß geworden. Ihre Mutter starb nach ihrer Geburt, ob dem Vater die Sorge um das kleine Mädchen lästig gewesen, wußte sie nicht, die Großmutter hatte oft auf ihn gescholten. Das Kind blieb also bei der alten Frau, die in der Umgegend gefürchtet und gehaßt war, aber zugleich ihrer mancherlei Erfahrungen wegen in vielen Angelegenheiten zu Rathe gezogen wurde. Wie es in allen Zeiten zu geschehen pflegt, hatte sich der Ruf der alten Gunda immer weiter ausgebreitet, und obgleich sie sich selbst dagegen sträubte, kam sie mehr und mehr in den Ruf einer besonders klugen und mit Wunderkräften ausgestatteten Frau. Solche Vorfälle, wie der von diesem Morgen, waren gar nicht selten, denn wo ein plötzlicher Unglücksfall in der Nachbarschaft eintrat, sei es, daß ein werthvolles Stück Vieh plötzlich zu Grunde ging, oder ein unerwartet hereinbrechendes Gewitter die Saat vernichtete, immer fiel der Verdacht auf die alte Gunda, welche Krankheit und Tod bringen, Wetter machen und allen erdenklichen Zauber ausüben sollte, während sie kaum im Stande war, für sich und ihre Enkelin die tägliche Nahrung zu schaffen.

Daß Wulfhilde in solcher Gesellschaft nicht viel von der übrigen Jugend der Umgegend aufgesucht wurde, war nicht zu verwundern, und da ihre Erscheinung überdies nach den Begriffen ihrer Altersgenossen reizlos war, mußte es ganz begreiflich erscheinen, wenn ihr die wohlgefälligen Blicke Dietmar's auffallen mußten. Sie war nicht rothbackig, nicht von derber Gestalt und groben Formen, wie die übrigen Dirnen des Landes, auch ließ sie sich von den tölpelhaften 103 Burschen nichts gefallen und gehörte daher durchaus nicht zu den beliebten Mädchen der Umgegend. Sie hatte nichts davon merken lassen, daß ihr der Eindruck, den sie auf Dietmar bewirkt hatte, nicht entgangen war, aber sobald er sich von ihr entfernte, regte sich in ihr die Neugierde, zu erfahren, wer der Jüngling sei. So viel schien außer Frage, daß die Reiter sämmtlich von der Kalmburg herkamen, und Wulfhilde war begierig, zu erspähen, welches das Ziel ihres Ausfluges sein möge. Sie hielt daher fortwährend die Hand über die Augen und blickte, sich bald rechts bald links wendend, dem kleinen Troß nach, der, Staub aufwirbelnd, nach der Gegend der Heerstraße sprengte, dann aber plötzlich seitwärts bog und sich in einem kleinen Waldgebüsche verlor.

Nach einiger Zeit kehrte Wulfhilde zur Hütte der Großmutter zurück und nahm ihre Beschäftigung wieder auf. So saß sie Stunden lang tief in Gedanken versunken, bis sie plötzlich den Hufschlag eiliger Pferde vernahm. Sie eilte zur Thüre und lugte hinaus. Die beiden Herren kamen mit den Knechten zurück und ritten vorüber, verdrießlich aussehend und ohne Aufenthalt in der Richtung der Kalmburg weitersprengend. Sie hatten vergeblich gelauert. Aber trotzdem beschlossen sie den Versuch zu wiederholen. Einige Tage später führten sie die Absicht aus. Wieder kamen die Reiter an Gunda's Hütte vorüber. Wulfhilde wartete, bis sie entfernt waren, dann erklomm sie den Hügel und sah ihnen nach, bis sie im Walde an der Seite der Landstraße verschwanden. Sie hatte wohl bemerkt, welchen forschenden Blick der junge Edelmann nach der elenden Strohhütte geworfen hatte.

104 Diesmal eilte das Mädchen den Hügel hinab und lief athemlos eine große Strecke weiter, um wieder eine Anhöhe zu ersteigen, von welcher sie deutlich bis über die Heerstraße hinausblicken und jenseits die stattliche Burg Buchenstein sehen konnte. Sie glaubte nämlich mit Sicherheit, diese sei das Ziel, nach welchem die Reiter zu gelangen strebten. Aber zu ihrer Verwunderung sah sie dieselben nicht wieder erscheinen, und sie konnte nicht begreifen, wohin sie gekommen waren.

Während Wulfhilde noch hin und her überlegte, zog ein Trupp reisender Kaufleute, die eben die Heerstraße entlang kamen, ihren Blick auf sich. Mit geschärftem Auge, gleich dem des Falken, erkannte sie einen hoch mit Waaren bepackten Wagen, von zwei kräftigen, aber unbeholfenen Pferden gezogen und begleitet von mehreren stattlichen Männern, unter denen sich offenbar die Besitzer des Fuhrwerks befanden, welche die erhandelten Waaren nach ihrer Stadt bringen wollten, um sie dort vortheilhaft zu verkaufen. Arglos verfolgte das spähende Auge des Mädchens den Zug eine ganze Strecke weit, aber plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch ein Ereigniß angezogen, welches sie lebhaft aufregte.

Aus dem Waldesgebüsch zur Seite der Straße sprengten nämlich die beiden Reiter mit ihren Knechten hervor und überfielen die erschrockenen, wehrlosen Kaufleute. Die Knechte waren abgesprungen, und einer derselben griff den Wagenpferden in die Zügel, um sie zum Stehen zu bringen, während die andern den Kaufleuten geboten, sie sollten ihre Waarenballen abladen, damit man nachsehen könne, ob sie darunter nicht Waffen oder andere verdächtige Dinge 105 verborgen hätten. Die äußeren Vorgänge dabei bemerkten Wulfhildens Späheraugen, aber ihr Ohr vernahm auch, daß einer der Kaufleute sofort durch den Schall eines Hornes ein weithin tönendes Zeichen gegeben hatte und daß dieses Zeichen von einem Wachtthurme der Buchensteiner Burg herab beantwortet wurde. Ob dieses wechselseitige Zeichen von den Raubrittern und ihrem Gefolge in der Hitze des Gefechtes überhört worden war, oder ob sie nicht glaubten, daß man schnell genug den Ueberfallenen zu Hülfe eilen werde, genug, sie waren eben dabei, die werthvollen Waaren auf der Erde umherzuwerfen und rücksichtslos darin zu wühlen, während die Knechte die armen, vor Verdruß und Angst halbtodten Kaufleute mit Stricken banden und bewachten, als ganz unerwartet von der Seite her ein Fähnlein Reiter angesprengt kam, die auf einem verborgenen Wege in größter Eile von der Buchensteiner Burg herabgeeilt waren und nun anlangten, um ohne viel Federlesens ihrerseits über die beiden Ritter und ihre Knechte herzufallen, sie sämmtlich zu überwältigen, bevor sie noch sich zur Wehre setzen konnten, und dann mit den flachen Klingen weidlich darauf loszuschlagen. Darauf machten sie die Kaufleute von den Stricken frei und fesselten die Andern selbst damit.

Es war Alles so rasch gekommen und die acht Mann Buchensteiner hatten sich ihrer Aufgabe mit solcher Sicherheit und Schnelligkeit entledigt, daß die athemlose Wulfhilde, welche in der größten Erregung einen Baum erklettert und von dort Alles mit angesehen hatte, kaum begreifen konnte, wie es zugegangen war, als nun mit einem Male die Kaufleute ihre Waren wieder aufluden, um ihres Weges 106 weiter zu ziehen, während die zwei Ritter und ihre Knechte gefesselt von den Buchensteiner Trabanten zur Burg hinauf getrieben wurden, wobei zwar die Herren etwas geschont, die Knechte aber mit Fußtritten und Schlägen unbarmherzig behandelt wurden.

Jetzt entzog das dichte Gebüsch die zur Burg aufwärts ziehenden Menschen den Blicken Wulfhildens, welche rasch wie ein Eichkätzchen vom Baume herabglitt und, ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen, eilenden Laufes den Weg zur Kalmburg einschlug. Die lebhafte Theilnahme, welche das Schicksal des gefangenen Junkers ihr einflößte, entsprang mehr der Dankbarkeit als irgend einem andern Gefühle. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie bei seinem Blicke gefühlt, daß sie ein Weib sei, und zwar nicht ein Weib, welches die rohe Begierde zu wecken vermochte, sondern ein solches, dem es beschieden war, ernstere Rücksicht hervorzurufen. Sie überließ sich völlig dem Bedürfnisse, dem jungen Manne, der mit oder ohne Schuld in Gefahr gerathen war, Hülfe zu schaffen.

Spornstreichs lief sie daher durch das Feld, überstieg Hecken und Zäune, sprang über Gräben und Bäche und gönnte sich nicht früher Ruhe, bis sie, fast zu Tode erschöpft, mit fliegendem Athem und glühendem Gesichte vor dem Thore der Kalmburg angelangt war.

Es kostete sie nicht wenig Mühe, dort eingelassen zu werden. Da sie ganz außer Athem war und nur keuchend und in abgebrochenen Sätzen den Zweck ihres Kommens dem Wächter entgegen schreien konnte, verstand dieser lange Zeit gar nicht, was sie eigentlich wollte, und sie ihrerseits begriff nicht, daß nicht Alles über ihre Nachricht in Aufruhr 107 gerieth. Fast wäre sie wieder umgekehrt, weil ihr der Gedanke kam, sie müsse sich doch wohl geirrt haben und die beiden Ritter seien am Ende auf der Kalmburg gänzlich unbekannt. Da endlich ließ der Wächter sie ein, und als sie nun im Burghofe ihre Kunde wiederholte und mehrere Dienstleute sich um sie versammelten, kam Licht in die Sache und man führte das immer noch ganz aufgeregte und fast zu Tode gehetzte Mädchen vor die Burgfrau.

Mit Wulfhilde zugleich trat auch Heinrich in Kunigundens Gemach. Er hatte aus einzelnen Worten und abgerissenen Sätzen erfahren, daß Dietmar in Gefahr gerathen sei.

Während er noch auf den Bericht des Mädchens hörte, stand schon der Entschluß in ihm fest, den Freund, der ihm stets so treu zur Seite gestanden, um jeden Preis zu retten. Sofort sprach er diesen Entschluß Frau Kunigunde gegenüber aus, die in der Angst ihres Mutterherzens an nichts weiter dachte, als den Sohn so schnell wie möglich aus der Gefangenschaft zu erlösen.

Aber was sollte geschehen? Mit Gewalt war nichts auszurichten, denn die Kalmburger waren den Buchensteinern in keiner Weise gewachsen. Ein Kampf würde die Lage der Gefangenen nur verschlimmert haben, und das Recht war nicht auf ihrer Seite. Es mußte also in friedlicher Weise ein Ausgleich versucht werden. Frau Kunigunde wußte, was es hieß, bei einem solchen Handel gefangen zu werden. In den finstersten Kellerraum pflegte man die Unglücklichen zu sperren, und hätte das seltsame Mädchen nicht die Nachricht gebracht, so wären vielleicht viele Tage vergangen, bevor man überhaupt erfahren hätte, 108 wohin Udo und Dietmar mit den Knechten gerathen waren. Daß es schließlich auf ein mehr oder minder hohes Lösegeld ankam, war außer allem Zweifel. Die zitternde Mutter hätte gern ihre Habe hingegeben, um den Sohn zu befreien, aber Geld war auf der Kalmburg stets etwas Seltenes gewesen. Da außer dem Burgkaplan nur Heinrich gut zu reden und eine Verhandlung zu führen verstand, blieb keine Wahl. Sie willigte ein, daß für ihn ein Pferd gesattelt werde und er in Begleitung von einigen Knechten in größter Eile nach Buchenstein reite, um dort wenigstens zu bewirken, daß Dietmar in milder Haft gehalten werde, bis die Bedingungen zu seiner gänzlichen Befreiung festgestellt seien.

Das Alles wurde nun in großer Hast ins Werk gesetzt, und es währte kaum eine halbe Stunde, so saß Heinrich wohlgekleidet, aber ohne Rüstung, zu Pferde und ritt in Begleitung von zwei gleichfalls ungewappneten Knechten zum Thore hinaus.

Wulfhilde hatte bei Allem Hand angelegt und fühlte sich durch ihr Eingreifen in der Angelegenheit fast wie zum Hause gehörig. Sie lief nun auch neben Heinrich's Pferde her, als dieser die Burg verließ, denn sie dachte weder an Erquickung noch an Lohn für die That, sondern betrachtete Alles als selbstverständlich. Als nun Heinrich das ärmlich gekleidete, noch immer vor Erregung glühende, brave Mädchen mit bloßen Füßen neben sich herlaufen sah, erbarmte sich sein Herz über sie und er dachte, ob es nicht besser sei, wenn einer der Knechte sie zu sich auf das Pferd nehme. Aber dann überlegte er, daß die Knechte roh und ungeberdig seien, und er wollte das arme Kind nicht gekränkt wissen. 109 So entschloß er sich mit einigem Zagen, Wulfhilde zu sich auf sein Pferd zu nehmen. Er hielt an und forderte das Mädchen auf, ihm die Hand zu reichen, um sich heraufzuschwingen, und da sie eine Weile zögerte und noch mehr erglühte, drängte er sie und schalt, daß die Zeit zu kurz sei, um viele Umschweife zu machen. Er beugte sich darauf nieder, ergriff mit der einen Hand ihre Rechte, faßte sie mit der andern um den Leib und hob sie mit raschem Ruck vor sich auf das Pferd.

Bei dem Ernste der ganzen Angelegenheit und der Eile, welche dazu nöthig war, blieb nicht viel Zeit zu weiteren Ueberlegungen. Der Ritt wurde schleunigst fortgesetzt. Wulfhildens Herz klopfte stark, als sie so vor Heinrich auf dem Pferde saß. Um den Reiter nicht zu belästigen, schmiegte sie sich förmlich in sich selbst zusammen, drückte die Arme fest an den Leib und faltete die Hände im Schooße. Die Augen hatte sie niedergeschlagen, denn es war ihr ängstlich zu Muthe und das Herzklopfen wollte gar nicht nachlassen. Die frische Luft berührte bei dem raschen Ritte kühlend ihr Gesicht und strich durch ihr feines Haar, welches sie auf der Stirne zurückgestrichen und am Hinterkopfe zu einem Knoten zusammengewunden trug. Von jeher hatte sie darauf gehalten, daß Alles, was sie trug, reinlich sein mußte, so ärmlich auch stets ihre Kleidung war. Dennoch schämte sie sich ihres Aussehens, als sie nun auf dem Pferde vor dem schmucken jungen Herrn saß. Nach und nach beruhigte sich ihr erregtes Blut. Das Herz klopfte noch stark, aber es überkam sie ein Gefühl von Müdigkeit. In gleichmäßigem Schritte eilte das Pferd über die Ebene hin. Sie war so viel gelaufen und hatte sich über 110 den ganzen Vorfall derart aufgeregt, daß sie nun kaum mehr die Augen offen halten konnte. Nach und nach überkam sie das Gefühl völliger Ermattung. Da sie überhaupt nicht aufzusehen wagte, schlossen sich die Lider wie von selbst immer fester und sie versank in eine Art Halbschlummer. Ohne recht zu wissen, wie es geschah, lehnte sie nach und nach den Kopf an die Brust des jungen Mannes und versank wirklich in Schlummer, wobei sie träumte, sie ruhe an der Brust ihrer Mutter. Es überwältigte sie ein merkwürdiges Gefühl friedlicher Geborgenheit. Heinrich hatte Alles ruhig geschehen lassen, denn er bedachte, daß das arme Kind zu Tode ermüdet sein mußte. Während er mit der einen Hand den Zügel regierte, stützte er schonend mit dem andern Arme sanft das ruhende Mädchen, damit es nicht vom Pferde glitt.

Anfangs verweilten seine Gedanken nach wie vor bei dem Ziele seines Rittes. Dem rauflustigen Udo von Brachfeld gönnte er ein paar Tage bei spärlicher Kost im Gewahrsam, und sein Freund Dietmar mochte sich aus dem unangenehmen Erlebnisse eine heilsame Lehre ziehen. Wenn keiner von beiden verwundet war, hatte der Vorfall gar nichts Bedenkliches, höchstens wurde ein Lösegeld gefordert, was allerdings für Frau Kunigunde schmerzlich war, aber in Betracht der Verhältnisse als überwindliches Uebel betrachtet werden mußte.

Diese Ueberlegungen beruhigten das Gemüth des jungen Mannes immer mehr, und es war natürlich, daß seine Gedanken auch einmal von dem Zwecke seiner Reise ab und der augenblicklichen Gegenwart zugelenkt wurden. Das Mädchen vor ihm athmete friedlich und schien in der That 111 in festen Schlummer versunken zu sein. Er konnte ihre Züge nicht sehen, nur das goldbraune Haar, das, von der Sonne beschienen, wundersam glänzte und die schöne reine Stirne bot sich seinen Blicken dar. Er bemerkte noch, daß die Augenbrauen scharf und deutlich gezeichnet waren, aber da er die Schlafende durch keine Bewegung stören wollte, forschte er nicht weiter nach ihren Zügen, die er vorhin nur flüchtig und gedankenlos gesehen hatte.

Er mußte sein Pferd einen Augenblick außer Acht gelassen haben, denn es strauchelte plötzlich über einen Stein, der am Wege lag. Der gleichmäßig wiegende Trab wurde durch einen kleinen Sprung unterbrochen; das Mädchen erwachte aus dem Schlafe und Heinrich aus seinen Träumereien. Im ersten Augenblicke schaute sich Wulfhilde verwundert um. Da sah sie die Hütte ihrer Großmutter ganz in der Nähe. Es blieb ihr nicht Zeit, sich ihrer Schläfrigkeit zu schämen. Sie blickte ihrem Beschützer freundlich lächelnd in das Gesicht, um ihn zu bitten, daß er sie absteigen lasse. Heinrich hatte das Pferd angehalten und sah seinerseits forschend auf das Mädchen. Ueberrascht betrachtete er den feinen Schnitt der Züge, den lieblichen Mund, bei dessen Lächeln sich eine Reihe der schönsten Zähne erkennen ließ, und vor allen Dingen die klugen und strahlenden Augen, deren Größe ihn fast erschreckte. Auch Wulfhilde empfand, daß der junge Mann sie mit Wohlgefallen anstaunte, aber vor der Gewalt seiner seltsam forschenden Blicke schlug sie die ihrigen schüchtern nieder und der eben noch strahlend heitere Ausdruck ihres Gesichts machte einem verlegenen Lächeln Platz. Schüchtern gab sie nun aber ihren Wunsch zu erkennen und deutete auf 112 die Hütte ihrer Großmutter. Heinrich hielt einen Augenblick an und reichte ihr die Hand, worauf sie in leichtem Sprung zur Erde gelangte. Ohne aufzusehen, stammelte sie ein Wort des Dankes, eilte gesenkten Kopfes nach der großmütterlichen Behausung und sah sich auch nicht ein einziges Mal nach den davoneilenden Reitern um.

Der Großmutter theilte Wulfhilde in flüchtigen Worten alle ihre Erlebnisse mit. Dann hielt sie sich den Tag über fortwährend in der Nähe der Thüre und schrak bei jedem Geräusche, das nur eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Getrappel herannahender Rosse hatte, heftig zusammen. Endlich gegen Abend kam Heinrich mit den Knechten auf dem Heimwege vorüber. Wulfhilde lauschte hinter der Thüre verborgen und hätte gar gerne gewußt, ob die Verhandlungen auf der Buchensteiner Burg Erfolg gehabt hatten. Aber eine ungewohnte Scheu hielt das sonst so kühne Mädchen zurück, und ihr Herz klopfte fast hörbar, als sie sah, daß Heinrich die Hütte erkannte und einen forschenden Blick nach dem Eingang derselben warf.

Ohne Aufenthalt stürmten die Reiter nach der Kalmburg zurück. Heinrich konnte sich vorstellen, mit welchen ängstlichen Gefühlen Frau Kunigunde nach ihnen ausschaute, und sein mitfühlendes Herz wollte die Sorge der Mutter so schnell als möglich enden. Er hatte zwar weder den Freund noch den Anstifter des ganzen Vorfalls selbst gesehen, aber doch die Versicherung erhalten, daß beide unversehrt seien und gegen ein Lösegeld und die eidliche Zusicherung, in Zukunft ähnliche Ueberfälle nicht mehr zu wagen, aus der Gefangenschaft entlassen werden sollten.

Die Aufregung hatte Frau Kunigunde fast krank 113 gemacht. Mit Thränen, welche ihr Gemüth erleichterten, vernahm sie die Ergebnisse von Heinrich's Verhandlungen. Als sie erfuhr, daß ihr Sohn unbeschädigt sei und jede Stunde zu ihr zurückkehren könne, beruhigte sich ihr ängstliches Mutterherz, und andere Ueberlegungen erhielten wieder die Oberhand. Sie war eine viel zu sparsame Hausfrau, um das geforderte Lösegeld nicht sehr hoch zu finden und über den ganzen Vorfall den lebhaftesten Verdruß zu fühlen. Der Kreuzzug ihres Gatten und ihrer Söhne stand mit dem anhaltenden Geldmangel auf der Burg in Verbindung. Ihr Groll wendete sich nun gegen den Vetter Brachfeld, der die Ursache aller dieser bösen Händel war. Sie bereute nun zehnfach, ihn überhaupt zu sich entboten zu haben, und überlegte fortwährend, ob es nicht möglich sei, ihren Dietmar allein zu befreien und Udo seinem Schicksale in der Gewalt des Buchensteiners zu überlassen. Da sie trotz ihrer zärtlichen Mutterliebe doch von weichlichen Empfindungen frei war, machte ihr die Beschaffung des Lösegeldes und die Beschlußfassung in Bezug auf Udo viel Kopfzerbrechen und verschob die Erledigung der Angelegenheit wirklich um mehrere Tage. Es mußte aus der Stadt Naumburg ein jüdischer Mann geholt werden, der die nöthige Summe Geldes gegen allerlei Verschreibungen und Verpfändungen herbeischaffte. Endlich konnte eines Tages der getreue Heinrich in Begleitung eines Knechtes wieder nach der Buchensteiner Burg aufbrechen, um die beiden Gefangenen zu erlösen.

Wenige Stunden darauf sprengte der ganze Troß in eiligem Ritte an der Hütte der alten Gunda vorüber nach der Kalmburg.

114 Lauschend hatte Wulfhilde sowohl das Hinreiten Heinrich's, als auch die Rückkehr des ganzen Trosses beobachtet. Es war ihr nicht entgangen, daß Niemand mit Ausnahme des Junkers sich nach der Hütte umgesehen hatte, aber obgleich es ihrer Eitelkeit schmeicheln konnte, daß der durch die Erlebnisse der letzten Tage nicht wenig niedergedrückte Dietmar sich ihrer noch erinnerte, achtete sie gar nicht darauf, sondern empfand Schmerz über die Gleichgültigkeit, welche Heinrich an den Tag legte. Sie hatte die ganze Zeit über nur an ihn gedacht. Wer mochte er sein? In welcher Beziehung stand er zu den Kalmburgern? Sie würde ihn kurzweg für Dietmar's Bruder gehalten haben, aber sie erinnerte sich jedes Wortes, das zwischen ihm und der Frau auf der Burg gewechselt worden war, und daraus ging nicht hervor, daß er zu den Verwandten des Hauses gehörte. Ebensowenig ließ sich daraus folgern, daß er etwa der Sohn des alten Herrn sei, der den Ueberfall geleitet hatte. Sie wunderte sich selbst über das lebhafte Interesse, das sie an dem fremden Menschen nahm. Als die Reiter in der Nähe der Hütte vorübergekommen waren, schien Herr Udo, in tiefe Gedanken versunken, auf die Andern gar nicht zu achten, während Dietmar und Heinrich sich lebhaft unterhielten. Auch hatte das Mädchen bemerkt, daß die Knechte verschiedene Farben trugen, und alles dies beschäftigte ihre Gedanken, da sie gar zu gerne gewußt hätte, wer der junge Mann war, der sie zu sich auf das Pferd genommen hatte und an dessen Brust sie eingeschlummert war.

Von den Gedanken, die in Herrn Udo von Brachfeld's Hirn sich kreuzten, während er von Buchenstein nach der 115 Kalmburg ritt, konnte allerdings das unerfahrene Mädchen keine Ahnung haben. Schon während der Tage, die er in dem entsetzlichen Gefängnisse zugebracht hatte, war der Plan nicht von ihm gewichen, daß er nun zwei Zwecke vereinigen und seinen Vortheil mit seiner Rache Hand in Hand gehen lassen müsse. Wer konnte wissen, ob irgend einer von den Kalmburger Herren wieder aus Palästina heimkehren werde? Jedenfalls war es zweifelhaft, und seiner Meinung nach wäre es thöricht gewesen, die sich darbietende Gelegenheit deshalb nicht zu benutzen, weil möglicherweise die Zukunft Gefahr bringen konnte. In Udo's Kopfe begann sich ein Entschluß zu bilden, der immer festere Gestalt gewann und dessen Endziel darauf hinausging, die thörichte Burgfrau von Kalmburg sammt ihrem jüngsten Sohne auf irgend eine Weise zu vertreiben, dann als Verwandter und Vormund nach eignem Gutdünken auf der Burg zu schalten und zu walten und sich an dem Buchensteiner durch tausenderlei Anschläge und feindselige Unternehmungen zu rächen.

Frau Kunigunde empfing ihren wiederkehrenden Sohn mit stürmischer Zärtlichkeit und erging sich dabei in heftigen Scheltworten gegen die unverschämte Forderung des Lösegeldes durch den Buchensteiner. Den Vetter Udo begrüßte sie sehr kühl. Es war offenbar, daß sie kein allzu großes Unrecht in dem Ueberfall der Kaufleute erblickte, wenngleich sie auf der andern Seite nicht wünschte, ihren Sohn öfter in dergleichen gefährliche Unternehmungen verwickelt zu sehen. Keine Rittersfrau ihres Schlages fand sich gedemüthigt, wenn sie mit Stoffen und Schmuck prunkte, die durch Raub in ihren Besitz gelangt waren, denn es schien 116 ihr ganz gleichgültig, wie sie zu den kostbaren Gegenständen gelangte, wenn sie dieselben nur besaß. Kühnheit und Verschlagenheit galten bei Frau Kunigunde wie bei jeder andern Burgfrau für Vorzüge tüchtiger Männer, und sie würde die Beute eines Ueberfalls als Erträgniß ritterlicher Geschicklichkeit betrachtet haben.

Kaum waren mehrere Tage vergangen, so sprach Herr Udo gegen Frau Kunigunde die Absicht aus, noch einige seiner Leute kommen zu lassen, da er ohnehin einen Boten nach Brachfeld schicken müsse, um seine Hausfrau über sein Ausbleiben zu beruhigen. Er sandte denn auch einen der berittenen Knechte, die er mitgebracht hatte, nach seiner Burg und gab demselben sehr geheimnißvolle Aufträge, welche der schlaue und seinem Herrn auf Tod und Leben ergebene Knecht auch ganz genau ausrichtete. Nach einigen Tagen kam er wieder und brachte noch drei seines Gelichters mit, so daß Herr von Brachfeld nun schon eine ganz hübsche Anzahl von Helfershelfern bei der Hand hatte.

Was er plante, verrieth er nicht, aber er lenkte, so oft es sich im Gespräche mit der Base thun ließ, das Wort auf Dietmar und schürte dabei ihre neuerdings wieder auftauchende Abneigung gegen Heinrich immer mehr an. Wieviel dabei auf Kosten der mütterlichen Eifersucht kam, war ihr natürlich unklar, aber Udo besaß jene instinctive Spürkraft, welche fremde Empfindungen zum eignen Vortheil durchschaut. Er bestärkte also die besorgte Mutter in ihren Vermuthungen und gab ihr vorsichtig den Rath, den Einfluß Heinrich's auf Dietmar nicht durch Gewaltmittel zu entkräften, da sie sonst auf Widerstand stoßen könnte, sondern demselben durch geheime Kräfte der Natur zu begegnen. Er erbot sich, ihr zu diesem Zwecke 117 die Hand zu bieten, und versprach ihr, sie mit einer klugen Frau bekannt zu machen, welche sich im Besitze von Zaubermitteln befinde und durch ihre Kenntnisse und Erfahrungen ihr jedenfalls am sichersten zur Erreichung des Zieles verhelfen werde. Das leuchtete Frau Kunigunde außerordentlich ein, denn ihrer nüchternen Denkweise imponirten derartige absonderliche Dinge. Herr Udo ging in seinen Andeutungen und Vorschlägen immer weiter, er sprach von Wulfhildens Großmutter, und es währte nicht lange, so hatte er die thörichte Burgfrau so weit gebracht, daß sie mit der alten Gunda zu verhandeln beschloß.

Nun wußte Udo die Sache so zu drehen, daß er den Besuch der alten Hexe auf der Burg für ganz unthunlich und sehr gefährlich erklärte, während er eine Zusammenkunft mit derselben in ihrer eignen Hütte als durchaus unverdächtig hinstellte. Die Burgfrau ahnte nicht, welche schändliche Falle ihr gestellt wurde, und ging in der Angst ihres Herzens auf den Vorschlag ein. Inzwischen hatte Herr Udo wieder in der früheren Weise sich mit Dietmar und Heinrich in der Umgegend umhergetrieben, und obgleich ihm der letztere innerlich immer mehr zuwider wurde, ließ er nichts von seiner Abneigung bemerken, weil er recht gut wußte, daß Dietmar in allen Fällen zu seinem Freunde hielt. Was lag dem habgierigen und gewissenlosen Udo an der Entfernung dieses vereinzelt stehenden Jünglings! Seine Pläne gingen weiter, und er baute dieselben auf die Beschränktheit und Thorheit von Dietmar's Mutter.

Eines Tages brachte er die Burgfrau dahin, daß sie selbst mit ihm einen Spazierritt unternahm. Ein Vorwand wurde gefunden, und auf allerlei Umwegen lenkte er zu der 118 Hütte der Großmutter Wulfhildens und forderte die Burgfrau auf, sich den Weg dahin genau zu merken, denn er redete ihr ein, sie müsse mit der alten Frau allein und heimlich reden, weil jeglicher Zauber die tiefste Geheimhaltung verlange. Damit schärfte er ihr auch die größte Verschwiegenheit gegen Andere ein.

An einem der nächsten Abende machte sich Frau Kunigunde wirklich zu Fuße allein auf den Weg nach der Hütte der alten Gunda. Sie hatte ein ganz einfaches Kleid angezogen und ein großes Tuch über den Kopf geworfen. Es war ihr doch ein wenig unheimlich zu Muthe, nicht allein wegen des einsamen und weiten Weges, sondern hauptsächlich, weil die Zusammenkunft mit der als Hexe verschrieenen alten Frau ihr abergläubisches Gemüth denn doch mit Furcht erfüllte. Je näher sie der Hütte kam, um so ängstlicher klopfte ihr das Herz in der Brust. Sie sah etwas Rauch aus dem Schornsteine aufsteigen, denn die Behausung der alten Gunda enthielt den Luxus eines Kamins, was durchaus nicht bei allen Hütten in der Umgegend der Fall war, wo der Rauch meistens durch Fenster und Thüre seinen Ausweg suchte. Selbst dieser Umstand erregte den Neid vieler alten Weiber und erzeugte die Meinung, der Rauchfang sei der Weg zu den höllischen Festen, welche der Satan auf dem Bloxberge der allgemeinen Meinung nach abhielt.

Mit Zagen pochte die wohlverhüllte Burgfrau an Gunda's Thüre, und da sie keine Antwort vernahm, öffnete sie und sah sich neugierig in dem Gemache um, das sich ihren Blicken zeigte.

Da die Hütte nur einen einzigen Raum ausmachte, 119 war dieser nicht allzu klein, und der gewaltige Rauchfang verhinderte, daß die Luft schlecht oder mit Rauch erfüllt war. Wunderlich genug sah es freilich aus, und es war begreiflich, daß die dummen Nachbarn die alte Frau für eine Hexe hielten.

Mancherlei Geräthschaften aus besseren Zeiten standen größtentheils in etwas defectem Zustande auf rohen Brettern an den Wänden umher, und man konnte sehen, daß sie niemals gebraucht und ihr Zweck vielleicht kaum bekannt war. Fremdartig nahmen sich zwischen diesen Dingen ein paar Töpfe mit frischen Blumen aus, die von Wulfhilde gehegt wurden. In dem Kamine brannten mächtige Stücke Holz, und ein großer Kessel hing an eiserner Kette über dem Feuer. Die alte Gunda saß davor auf einem Holzschemel und kochte irgend etwas, wahrscheinlich eine ärmliche Suppe, die in der Fantasie der geängstigten Burgfrau zu irgend einem Zaubertrank oder einer Hexensalbe wurde. Da die Alte ihren Lebensunterhalt zum Theil durch ihre Heilmittel erwarb und nach Art vieler solcher Frauen Kräuter suchte, Wurzeln grub und dazwischen wohl auch heimlich eine Alraunwurzel für abergläubische Gemüther fand, erhielt sie als Gegenleistungen Lebensmittel und zuweilen allerlei alte Gewandstücke. Daher kam es, daß sowohl sie wie ihre Enkelin oft wunderbar gekleidet gingen, und da die alte Frau sich nach Wärme sehnte und selbst an Sommerabenden zuweilen fror, hüllte sie den Kopf in bunte Tücher. Ihr ganzes Thun und Treiben würde alle Wirkung verloren haben, wenn es nicht unter dem Schleier der Verschwiegenheit verborgen blieb, daher mied sie den Umgang mit andern Menschen und gab auf diese Weise den albernsten 120 Vermuthungen und dem rohesten Aberglauben immer neue Nahrung.

So gab auch jetzt wieder ihre Erscheinung ein groteskes Bild abschreckender Häßlichkeit in bunter Umhüllung; der Schein des Feuers beleuchtete sie und ließ grelle Lichter auf ihre seltsame Gestalt fallen.

Es gewährte Frau Kunigunde eine Erleichterung, als sie noch ein anderes menschliches Wesen in der Hütte wahrnahm. Nicht weit von der Großmutter saß Wulfhilde und zwar in einem uralten hohen Lehnsessel, der vielleicht einmal zu einer kostbaren Einrichtung gehört hatte, nun aber nur noch ein zusammengeflicktes werthloses Stück Hausrath war.

Daß die Großmutter das Pochen an der Thür überhört hatte, war erklärlich, da sie den Kopf mit Tüchern fest umbunden hatte, aber Wulfhilde mußte sehr tief in Gedanken versunken sein, da auch ihr das Geräusch entgangen war. Das Mädchen hatte den Kopf an die Lehne des Sessels zurückgelegt und saß mit geschlossenen Augen. Auf dem Schooße hielt sie eine Katze, die sie mit der rechten Hand streichelte. Nahe bei ihrem Kopfe, auf der Lehne des Sessels, hockte ein Rabe, den sie jung gefunden und aufgezogen hatte. Das Thierchen war damals aus dem Neste gefallen und verdankte der Pflege Wulfhildens sein Leben, denn sie hatte es nicht nur gefüttert, sondern auch keinen Augenblick aus dem Gesichte verloren, bis es vollkommen flügge geworden war. Seitdem hielt sich der Rabe zu ihr, obgleich er sehr gut fliegen konnte und zuweilen Tage lang entfernt blieb. Heute mußte er wohl das Herannahen eines Unwetters gemerkt haben, sonst würde er sich 121 schwerlich in der Hütte eingefunden haben. Eine zweite Katze lag im Schooße der alten Gunda und schlief dort ebenso friedlich, wie die andere in Wulfhildens Schooße.

Kaum war die stattliche Burgfrau in die Thür getreten, als sich mit einem Schlage die Scenerie in der Hütte änderte. Erschreckt fuhr Wulfhilde aus ihrem Nachsinnen auf, die Katze sprang von ihrem Schooße, und in demselben Augenblicke huschte auch ihre Genossin von Gunda's Schooße herunter. Der Rabe flatterte kreischend in die Höhe und ließ sich auf ein Gesims nieder, von wo er zuweilen seine heisere Stimme ertönen ließ. Aber auch Gunda erhob sich rasch; sie sowohl wie ihre Enkelin blickten neugierig auf den unerwarteten vornehmen Besuch.

Die Anwesenheit des Raben hatte in der That einen Wechsel des Wetters bedeutet, und die Burgfrau hatte bereits ihre Schritte beschleunigen müssen, um dem heraufziehenden Gewitter zu entgehen, welches sich durch heftige Windstöße ankündigte. Es kostete sie Mühe, die Thüre zu öffnen, und kaum war sie eingetreten, so schlug dieselbe mit aller Macht hinter ihr zu. In demselben Augenblicke, als der Rabe kreischend von dem Sessel aufflog, fuhr wieder ein heftiger Windstoß mit heulendem Ton über die Ebene hin, daß die Hütte wankte und die darin aufgestapelten Geräthe klirrend an einander stießen.

»Was wollt Ihr?« stieß die alte Gunda rasch hervor, als sie aufstehend sich umwendete und die Burgfrau vor sich erblickte.

Diese war durch den Lärm bei ihrem Eintritt so sehr erschrocken, daß sie zuerst keine Worte finden konnte und nur nach und nach den Wunsch hervorbrachte, die alte 122 Gunda möge ihr in einer wichtigen und geheimnißvollen Angelegenheit mit Rath und That zur Seite stehen – vorläufig aber möge sie ihr gestatten, einen Augenblick auszuruhen, da sie zu Tode ermattet und fast unfähig sei, sich länger auf den Füßen zu halten.

Bald hatte Wulfhilde den Sessel noch mit einem Kissen versehen und die Burgfrau ersucht, darin Platz zu nehmen. Das Mädchen selbst hockte sich in einer Ecke des Raumes nieder, woselbst ihr die beiden Katzen, welche die fremde Erscheinung aus der Ferne mißtrauisch betrachteten und schnurrend um Gunda und Wulfhilde herumstrichen, nach kurzer Zeit Gesellschaft leisteten. Der Rabe behielt seine Stellung in der Nähe der Decke bei, besah sich bald mit dem rechten, bald mit dem linken Auge die Vorgänge in der Hütte, und schrie jedes Mal mit heiserer Stimme auf, wenn ein Luftzug lärmend durch den Schornstein hereinfuhr und die Gluth lebhaft entfachte.

Endlich hatte sich die Burgfrau etwas erholt, und nun entspann sich ein halb geflüstertes Gespräch zwischen ihr und Wulfhildens Großmutter, wobei das Mädchen jedes Wort auffing und aufmerksam lauschend in ihrem entfernten Winkel sitzen blieb.

Es konnte kaum einen größeren Gegensatz geben, als die beiden mit einander redenden Frauen. Obgleich Frau Kunigunde von den Anstrengungen des Weges und mancherlei Aufregungen der letzten Zeit etwas angegriffen war, trugen die einfachen festen Züge ihres Gesichts doch den Ausdruck voller körperlicher Gesundheit und ihr Blick war trotz der reiferen Jahre noch immer ruhig und klar. Die alte Gunda dagegen zeigte scharfe verwitterte Züge, unstät blickende, 123 blutunterlaufene Augen und einen fortwährend zuckenden Mund, der überdies beim gänzlichen Mangel aller Zähne derart eingefallen war, daß das Kinn nicht nur spitz vorstand, sondern nach oben gebogen der herabsinkenden langen Nase entgegenzustreben schien. Da der zahnlose Mund überdies fortwährend in krampfhaft kauender Bewegung war, gewährte das ganze Gesicht in seinem nervös unruhigen Zucken einen wirklich unheimlichen Eindruck. Im Gespräche mit der Burgfrau belebten sich die Züge noch mehr, denn das alte verachtete Weib empfand wieder einmal die Befriedigung des Bewußtseins, daß höher gestellte und mit Glücksgütern gesegnete Menschen ihren Rath begehrten und Hülfe bei ihr suchten. Mußte sie nicht zu der Ueberzeugung kommen, daß die verworrenen Begriffe, welche sie sich gesammelt hatte, wirklich der Ausfluß einer höheren Begabung seien! Klügere und bevorzugte Menschen mußten doch wissen, was sie thaten, wenn sie ihr Glauben schenkten!

Sie ließ sich also Alles mittheilen, was Frau Kunigunde auf dem Herzen hatte, und hörte aufmerksam zu, während sie zugleich langsam im Kessel rührte und zuweilen halb unwillkürlich vor sich hin lachte.

Wulfhilde verstand jedes Wort. Mit der größten Spannung hörte sie, daß die ihr wohlbekannte Burgfrau sich über eine Bezauberung ihres Sohnes beklagte und Rath verlangte, auf welche Weise sie den Junker von dem Einflusse eines falschen Freundes, der ihn mit Teufelskünsten umgarnt habe, befreien könne. Sie nannte den gefürchteten Menschen einen Bastard und schrieb die schlimmen Eigenschaften seiner Natur dem Umstande zu, daß er ein Kind der Sünde sei. Wie lauschte Wulfhilde, als sie diese 124 Worte vernahm. Ihr kluger Kopf fand sich sofort in der Sachlage zurecht. Wußte sie doch, daß der Sohn der Burgfrau derselbe junge Mann war, der kürzlich von dem Buchensteiner gefangen wurde. Sie würde vermuthet haben, der alte Ritter, der sich damals in den Streit ihrer Großmutter mit der Nachbarin eingemischt und dann den unglückseligen Ueberfall geleitet hatte, sei der falsche Freund, welcher den Junker umgarnte, aber sie hatte deutlich verstanden, daß die Burgfrau von einem jungen Kameraden ihres Sohnes sprach, und sie nahm daher an, daß wahrscheinlich von jenem freundlichen Jüngling die Rede war, der sie zu sich auf das Pferd genommen hatte. Die Sache flößte dem Mädchen so viel Theilnahme ein, daß es kaum zu athmen wagte und unbeweglich sitzen blieb. Inzwischen donnerte und blitzte es draußen und der Regen goß in Strömen hernieder, aber das störte die beiden Frauen in ihrem Gespräche nicht, namentlich seitdem Gunda das Wort ergriffen hatte und in schwülstigen, fast ganz unverständlichen Redereien eine Weisheit enthüllte, die nichts weiter als hirnverrückte Faselei war, ohne jeden Zusammenhang, ohne Sinn und Verstand.

Sie sprach von den Kräften der Natur und dem Einfluß der Gestirne, von seltsamen Wurzeln, die man bei Vollmond suchen und unter gewissen Beschwörungsformeln ausgraben müsse. Sie gebrauchte alte, halb vergessene Worte und behauptete ein Alräunchen zu besitzen, welches sie selbst ausgegraben habe und dessen furchtbaren Schrei, als sie es aus der Erde gezogen, sie gehört haben wollte. Mit diesem Fetisch wollte sie Rath pflegen, um die Mittel ausfindig zu machen, welche den Zauber lösen könnten. Es fiel der 125 alten, halb verrückten Frau nicht ein, irgend einen Zweifel an dem Vorhandensein der Bezauberung auszusprechen, denn sie würde gefürchtet haben, sich damit in den Augen der vornehmen Frau herabzusetzen und den Nimbus zu zerstören, dessen Gefährlichkeit ihr zwar nicht unbekannt war, den sie aber doch durchaus nicht entbehren wollte.

Frau Kunigunde ihrerseits empfand schon eine Beruhigung, als sie aus den Reden der Alten entnahm, daß diese sich die Fähigkeit zutraute und zugleich sich auch bereit erklärte, einen Trank zu bereiten, um den bösen Zauber zu verscheuchen. Wohl hatte sie das Bewußtsein, sich bei diesem Handel einer Sünde schuldig zu machen, aber wenn ihr Sohn nur erst von dem gefährlichen Einflusse Heinrich's befreit war, wollte sie es gewiß weder an Bußgebeten noch an Geschenken für die Geistlichkeit mangeln lassen, um ihre Seele wieder rein zu waschen. Sie nahm sich bereits vor, den Altar in der Burgkapelle neu zu bekleiden und ein Meßgewand in einem für solche Arbeiten berühmten Nonnenkloster sticken zu lassen, und sie hoffte auf diese Weise den lieben Gott, die selige Jungfrau und die lieben Heiligen damit zu versöhnen, daß sie sich einmal ausnahmsweise des Teufels bediene, um den Satan zu vertreiben.

Mit einem Seufzer der Erleichterung erhob sich endlich Frau Kunigunde, verabschiedete sich und ging auf die Thür zu, um sich zu entfernen. Aber kaum versuchte sie zu öffnen, als sie erschreckt zurückprallte, denn draußen tobte und wüthete das Wetter mit voller Gewalt und es schien ganz unmöglich, die Hütte zu verlassen. In dem Augenblicke, da sie zur Thür trat, hatte sich auch Wulfhilde rasch erhoben und kam nun in ihre Nähe, um sie aufzufordern, 126 noch kurze Zeit zu verweilen, bis das Wetter sich gelegt habe. In der That blieb auch nichts Anderes übrig. Während Frau Kunigunde das Anerbieten Wulfhildens annahm, blickte sie ihr in das Gesicht und erkannte nun die Züge des armen Mädchens wieder, welches erst vor kurzer Zeit ihr die Nachricht von der Gefangennahme des Sohnes gebracht hatte. Da die Hütte nur spärlich durch den Schein des Kaminfeuers erleuchtet war, hatte sie vorher das Gesicht nicht deutlich sehen können, und sie fühlte sich nun fast beruhigt durch die Anwesenheit des ihr freundlich gesinnten Wesens. Wulfhilde nöthigte die Frau, wieder Platz zu nehmen, und erbot sich zugleich, ihr später bis zur Burg den Weg zu zeigen und nöthigenfalls, wenn der Regen nachgelassen habe, durch eine brennende Fackel den Pfad zu erhellen.

Frau Kunigunde ging darauf ein. Sie setzte sich noch eine Weile nieder, obgleich ihr die Anwesenheit des Raben und der beiden Katzen nicht besonders angenehm war. Die Alte sprach fortwährend verwirrtes Zeug, Wulfhilde dagegen benutzte die günstige Gelegenheit, durch vorsichtige Fragen ziemlich genau zu erfahren, wie die Angelegenheiten auf der Burg standen. Mochte die alte Großmutter in ihrem krankhaft getrübten Geiste vielleicht selbst daran glauben, daß ihren wahnsinnigen Zaubersprüchen oder den seltsam geformten Wurzeln eine Wunderkraft beiwohne, Wulfhildens gesunden Sinnen war es längst kein Räthsel mehr, wie es sich mit allen diesen Dingen verhielt. Namentlich erinnerte sie sich mit geheimem Grauen verschiedener Nächte, in welchen die Großmutter geglaubt hatte, der böse Feind plage sie. Sie hatte geschrieen und behauptet, der Meister Urian sei in 127 der Hütte, und erst, nachdem Wulfhilde ihr wohl hundertmal die Versicherung gegeben, es sei nur der Rabe, den ihre irren Blicke fortwährend verfolgten, hatte sie sich beruhigt und war eingeschlafen. Seitdem wußte Wulfhilde, daß man die Großmutter vorsichtig bewachen mußte und Niemand etwas von ihren Träumen und Einbildungen sagen durfte, weil sonst die bösen Menschen allerlei Schändlichkeiten von der armen alten Frau ausgesagt hätten, deren Harmlosigkeit Niemand besser kannte, als ihre Enkelin. So war Wulfhilde das einzige Wesen, welches nicht an die Hexenkünste der Frau Gunda glaubte. Zwar hatte sie keine völlig genügende Erklärung für deren seltsames und oft unheimliches Wesen, aber sie war weit entfernt, an die Verbindung mit irgend welchen höllischen Mächten zu denken.

Die natürliche Folge davon war, daß Wulfhilde sich über die Thorheit und den Aberglauben anderer Menschen ihre eignen Gedanken machte und oft nahe daran war, an allen himmlischen und höllischen Mächten zu zweifeln. Sehr oft fühlte sie das Bedürfniß, sich einmal über ihre Zweifel auszusprechen; aber wo hätte sie dies thun können? Die Großmutter war gar nicht im Stande, den Gedanken des jungen Mädchens zu folgen; bei ihr vereinigten sich die Reste sinnlosen heidnischen Wunderglaubens mit unbegriffenen Ansichten über die christlichen Lehren vom Gegensatze zwischen Gott und dem Teufel. Da die Priester und Mönche mit ihren Reliquien und wunderthätigen Bildern auf die Leichtgläubigkeit unwissender Menschen speculirten, blieb den alten Frauen, welche noch immer im Volke als heilbringende oder auch todspendende Wunderthäterinnen galten, nichts weiter übrig, als sich der Wurzeln, 128 Kräuter und uralten Amulete aus der Heidenzeit zu ihren Zwecken zu bedienen. Jene kleinen Wurzelmännlein, die zufällig menschliche Form trugen, deren Fasern für Behaarung galten und von denen erzählt wurde, daß sie beim Ausgraben einen schrecklichen Schrei ausstießen – man nannte sie Alraunen – waren überall als wunderthätige Fetische bekannt. Vergeblich suchten die christlichen Priester und Lehrer gegen das Festhalten an solchen heidnischen Ueberlieferungen durch Belehrung und Drohung, ja sogar durch Folterqualen und Martertod zu wirken, es gab immer wieder Fälle, in denen Menschen von dem Aberglauben der Masse Nutzen zogen und die verlockende Gelegenheit zu mancherlei Vortheilen, selbst im Hinblick auf die drohenden Gefahren, nicht verschmähten.

Während Frau Kunigunde mit Wulfhilde und deren Großmutter plauderte, hatte sich das Unwetter gelegt, aber es herrschte draußen nun die vollständigste Finsterniß und der Weg nach der Burg war sicher nicht nur beschwerlich, sondern auch geradezu gefahrdrohend. In ihrer Angst nahm die Burgfrau das Anerbieten des furchtlosen Mädchens an und fügte die Bemerkung bei, daß Wulfhilde einige Zeit bei ihr auf der Burg bleiben und in einem der Mägdezimmer schlafen könne, womit sich die alte Gunda einverstanden erklärte.

Es war wirklich ein beschwerlicher Weg, den die verwöhnte Burgfrau mit ihrer Begleiterin antrat. Aber die Mühseligkeit wurde ihr durch den Umstand erleichtert, daß sie nun endlich glaubte, Hülfe für ihren Sohn gefunden zu haben. In der festen Ueberzeugung, Wulfhilde sei die Vertraute und Gehülfin ihrer Großmutter und gleichfalls 129 in die geheimnißvolle Wirksamkeit der Alten eingeweiht, hielt sie es nicht für nöthig, dem Mädchen gegenüber mit ihrer Angelegenheit allzu ängstlich zurückzuhalten. Wulfhilde hatte wieder ihre ganz besonderen Gesichtspunkte bei dieser Unterhaltung und wußte durch klug gestellte Fragen Mancherlei zu erfahren. Es kam hinzu, daß die Einsamkeit in der stockfinsteren Nacht den Unterschied zwischen den beiden einzelnen Menschenwesen beträchtlich verminderte. Während das arme Kind aus mittellosen und unfreien Verhältnissen zu anderer Zeit kaum gewagt haben würde, an die gebietende Edelfrau das Wort zu richten, wurde Wulfhilde jetzt die Vertraute der tiefsten Geheimnisse, welche das Herz der Burgfrau hegte. Sie erfuhr, daß Heinrich der gefürchtete Freund des Junkers sei und daß Herr Udo von Brachfeld der geängstigten Mutter den Rath gegeben habe, die Hülfe der alten Gunda in Anspruch zu nehmen.

Unter gewöhnlichen Umständen würde Wulfhilde bei der ganzen Angelegenheit nichts weiter im Auge behalten haben, als den Vortheil, der ihrer Großmutter winkte, und allenfalls die Gefahr, welche zu vermeiden war. Aber sie hatte diesmal ein sehr lebhaftes persönliches Interesse bei der Sache, und sie trat daher innerlich sofort auf die Seite des bedrohten und verdächtigten Jünglings, den sie zu schützen oder wenigstens zu warnen beschloß. Da kein Mensch eine Ahnung von ihren Gefühlen haben konnte, durfte sie um so sicherer suchen, ihren Plan zur Ausführung zu bringen, und sie gerieth in eine leidenschaftliche Erregung, wenn sie bedachte, daß sie dem jungen Manne, der ihre Gedanken in der letzten Zeit fortwährend beschäftigt hatte, einen Dienst erzeigen und ihn warnen könne.

130 Als die beiden Frauen noch ziemlich entfernt von der Kalmburg waren, begegnete ihnen ein Knecht mit brennender Fackel. Bei dem heftigen Unwetter waren die Herren von einem Ausfluge rasch nach Hause geritten, und Dietmar hatte dort in Erfahrung gebracht, daß seine Mutter sich nicht in der Burg befinde. Herr von Brachfeld gab sich den Anschein, als habe er keine Ahnung von dem Verbleiben der Gräfin. Es wurden also Leute ausgeschickt, um sie zu suchen, und einer derselben kam ihr jetzt entgegen.

Wahrscheinlich würde sich Niemand weiter in diesem Augenblicke um Wulfhildens Gehen oder Bleiben gekümmert haben, denn die Burgfrau fühlte sich gesichert unter dem Schutze Eines ihrer Leute und dachte kaum mehr an ihre Begleiterin. Aber Wulfhilde wollte nicht umkehren. Gestützt auf das Anerbieten der Burgfrau, blieb sie bei derselben und verließ sie auch nicht, als der Thorwächter die Pforte öffnete, um die heimkehrende Herrin einzulassen. Die Gräfin dachte, das Mädchen wolle die Gelegenheit zu einem tüchtigen Abendbrote nicht versäumen, und hatte nichts dagegen. Sie gab daher die nöthigen Befehle, damit Wulfhilde gut aufgenommen und wohl verköstigt werde, und verfügte sich dann in ihr eigenes Gemach, wo sie sich mit Hülfe ihrer Dienerin umkleidete und dann frühzeitig zur Ruhe begab.

Die Leute auf der Burg fanden es einigermaßen befremdend, als das ziemlich verwahrlost und ärmlich aussehende Mädchen dort verblieb. Und ihr Erstaunen wuchs, als auch am folgenden Morgen die Fremde gar keine Anstalten machte, die Burg wieder zu verlassen, sondern ruhig 131 von Tag zu Tag daselbst verweilte. Manche vermutheten, die Gräfin habe Wulfhilden zu einem Botendienste auf die Buchensteiner Burg verwendet, aber die Sache war doch sehr unklar, und namentlich die Knechte des Herrn von Brachfeld sprachen ganz unverhohlen ihre Verwunderung darüber aus, daß die gestrenge Herrin der Burg bei Nacht und Unwetter geheimnißvolle Gänge besorge und sich von einer Dirne nach Hause begleiten lasse, deren Großmutter in dem Rufe stehe, eine ausgemachte Hexe zu sein. Denn so viel schienen diese Knechte herausgebracht zu haben, daß die alte Gunda allgemein als Zauberin betrachtet werde.

Wulfhilde selbst hatte nur ein Ziel im Auge. Sie wollte mit Heinrich sprechen und ihm Alles sagen, was sie wußte. Aber dies war nicht leicht zu bewerkstelligen, und sie lauerte daher fortwährend auf, um die Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen.

Heinrich befand sich fast immer in Gesellschaft des Junkers, und nur so viel bemerkte das Mädchen, daß er sich auch mit den Büchern und Schriftstücken beschäftigte, welche sich in einem besonderen Raume befanden, der selten von jemand Anderem betreten wurde.

Dies hatte sie schon am ersten oder zweiten Tage ihres Aufenthaltes auf der Burg bemerkt, und da sie fest entschlossen war, dort auszuharren, bis sie den jungen Mann gesprochen habe, so machte sie nun heimlich den weiten Weg bis zur Hütte der Großmutter und zurück, damit diese ihretwegen außer Sorge sei, wenn sie noch länger auf der Burg bleibe. Denn selbst wenn man sie von dort verjagen sollte, war sie fest entschlossen, sich in der Nähe aufzuhalten, bis sie ihr Ziel erreicht habe. Was that es ihr, wenn sie ein paar 132 Nächte unter freiem Himmel im Walde zubringen und sich kümmerlich nähren mußte! Sie war von Jugend an so viel von Menschen geplagt und mißhandelt worden, daß der Aufenthalt in der freien Natur für sie durchaus keine Schrecken hatte.

In der Hütte der Großmutter befanden sich einige Rollen beschriebener Pergamente, die von ihrer Mutter herrühren sollten. Diese nahm sie nun mit, um sie als Vorwand zu gebrauchen, damit sie eine ungestörte Unterredung mit Heinrich herbeiführen könne.

Mit einiger Kühnheit setzte sie ihre Absicht denn auch endlich durch. Sie wartete den Augenblick ab, bis Heinrich sich in der sogenannten Bücherei befand, und da sie den Weg bis dahin bereits ausgekundschaftet hatte, gelangte sie ohne Mühe hinein. In fliegender Hast gab sie zuerst als Grund ihres Kommens den Wunsch an, ihm die mitgebrachten Pergamente zu zeigen, welche noch von ihrer Mutter herstammten und deren Besitz die Großmutter in den Augen der Nachbarn noch mehr in den Ruf einer Zauberin gebracht habe. Heinrich nahm die Pergamente in die Hand, aber noch bevor er Einsicht in dieselben nehmen konnte, begann das Mädchen ihm von den seltsamen Dingen zu erzählen, die sie eigentlich zu ihm geführt hatten, und in welchen er allerdings nicht umhin konnte, eine Gefahr zu entdecken, die sich über seinem Haupte zusammenzog. Er hatte im Kloster Memleben genugsam Gelegenheit gehabt, einige Kenntnisse von Processen gegen Personen, die der Zauberei verdächtig waren, zu erlangen, und er nahm daher die Sache nicht leicht, sondern erkannte sofort, daß hier nach einer oder der andern Seite hin entschlossen 133 gehandelt werden müsse. Aber was war zu thun? Wenn er Dietmar mit in das Geheimniß zog, war zu befürchten, daß dieser seinem Oheim Udo die Freundschaft aufkündigte und denselben geradezu aus der Burg vertrieb, was einen förmlichen Zwist zwischen beiden zur Folge haben konnte. Daß Herr von Brachfeld wirklich an die übernatürlichen Kräfte der alten Gunda glauben sollte, schien ihm unbegreiflich, und er kam daher auf den Gedanken, dieser habe irgend einen andern Zweck im Auge, wobei ihn jedenfalls der eigne Vortheil leite.

Heinrich beschloß, vorläufig genau auf Alles zu achten und sich den Anschein zu geben, als habe er nicht den geringsten Verdacht auf Udo. Er beruhigte daher die aufgeregte Wulfhilde, versprach ihr, mit der größten Vorsicht in der Sache zu verfahren, und sprach ihr seinen Dank für ihre aufopfernde Treue aus.

Es konnte nicht fehlen, daß im Verlaufe des Gesprächs Wulfhilde auch ihre Zweifel in Bezug auf die Zauberkräfte ihrer Großmutter zu erkennen gab. Ein Wort folgte dem andern, und so erfuhr Heinrich nach und nach, welch ein seltsames Gemisch von heidnischen und christlichen Anschauungen in der Fantasie des Mädchens sein Wesen trieb. Sie kannte die kirchlichen Gebräuche und übte dieselben möglichst gewissenhaft, weil sie sich vor dem Zorne der Geistlichen fürchtete, aber im Grunde des Herzens betrachtete sie dies Alles als aufgezwungene Form, die man eben erfüllen müsse wie jedes andere Gebot der mächtigen geistlichen und weltlichen Herren. Heinrich bedauerte das arme Wesen und sprach in mildem Tone mit ihr von dem Evangelium, das den Armen gepredigt worden und aus 134 welchem die Hoffnung auf eine selige Zukunft hervorgehe. Dann sprach er von der Fürbitte der Heiligen und schilderte namentlich in schwärmerischen Worten, wie alle Frauen an der holden Mutter des Jesuskindes eine gnädige Fürsprecherin hätten.

Seine Worte wirkten erschütternd auf Wulfhilde und verbreiteten ein wohlthuendes Licht in die Wirrniß ihrer Gedanken. Mit zurückgehaltenem Athem lauschte sie und vergaß bei dem Tone seiner Stimme alles Uebrige. Was er sagte, war nicht nur trostreich und erhebend, auch der Anblick seiner jugendlichen Gestalt und seine edlen Gesichtszüge, die im Feuer reinster Andacht erglühten, prägten sich unauslöschlich in ihre Seele ein. Während er durch seine Worte sie mit ihrem Schicksale zu versöhnen glaubte, dachte sie nur an die Gefahr, die ihn bedrohte, und betete im Herzen, daß Gott ihn vor jeder Gefahr beschützen möge.

Endlich wollte Wulfhilde sich entfernen. Heinrich versprach ihr noch, die Pergamentblätter, die sie ihm gebracht hatte, zu prüfen und vor allen Dingen auf seine Sicherheit bedacht zu sein. Er reichte ihr zum Abschiede die Hand, und sie blickte ihm dankbar und mit schmerzlicher Ergebung in die ernsten Augen, dann öffnete sie die Thüre, um nun so schnell als möglich die Burg zu verlassen, wo ihr Aufenthalt keinen Zweck mehr hatte.

Da plötzlich sah sie sich dem Herrn Udo von Brachfeld gegenüber, der in Gesellschaft des Burgkaplans auf sie gewartet hatte. Mit roher Faust ergriff er sie am Handgelenk und schrie sie unsanft an:

»Haben wir die Hexenbrut auf frischer That ertappt? Glaubst Du, daß man nicht wisse, was hier vorgeht? Eine 135 ganze Verschwörung hat sich zusammen gethan, und es wird Zeit, daß man der Sache ernsthaft zu Leibe geht.«

Mit diesen Worten schleuderte er das vor Schreck und Wuth halb ohnmächtige Mädchen zur Seite, worauf sie dem Kaplan Aug' in Auge zu stehen kam.

»Leugnest Du,« donnerte Udo sie weiter an, »daß Du soeben geheimnißvolle Schriftstücke hier in die Bücherei zu dem jungen Manne, von dem Du weißt, daß er im Verdachte der Zauberei steht, gebracht hast? Hast Du diese Schriftstücke nicht aus der Hütte Deiner Großmutter hierher geholt, obgleich Du weißt, daß die Alte Hexenkünste treibt und in der ganzen Gegend als Zauberin bekannt ist?«

Wulfhilde war noch immer so verblüfft, daß sie kein Wort hervorbringen konnte. Was hätte sie auch sagen sollen? Höchstens konnte sie zustimmend antworten, denn was der feindselige Mann frug, stimmte äußerlich mit der Wahrheit überein.

Mit drohenden Blicken fuhr dieser nun fort: »Willst Du es in Abrede stellen, daß die Burgfrau vor wenigen Tagen bei Sturm und Gewitter zu Deiner Großmutter gekommen ist, um mit ihr ein teuflisches Hexenwerk zu verabreden? Hast Du nicht selbst die Gräfin hierher zurückgeleitet, weil sie ganz allein war und Niemand wissen sollte, wo und zu welchem Zwecke sie von der Burg entfernt geweilt hatte? Und endlich: Ist es Dir etwa nicht bekannt, daß der junge Mann, von dem Du eben kommst, in dem Verdachte steht, höllische Zauberkraft zu besitzen und durch dieselbe den Junker von Kalmburg zu Allem zwingen zu können, was ihm beliebt?«

Als er dies gesagt hatte, schob er sie abermals mit 136 derbem Ruck ein paar Schritte zur Seite, daß sie fast zu Boden fiel, und wendete sich dann zu dem Kaplan:

»Ehrwürdiger Vater,« sagte er mit starker Stimme, »Ihr habt gehört und gesehen, was hier vorgeht. Ich verlange von Euch, daß Ihr bei Eurem vorgesetzten Gerichte die sofortige Anzeige macht, damit dem abscheulichen Unwesen hier mit aller Kraft gesteuert werde. Es gilt ohne Ansehen der Person zu verfahren, und so schwer ich selbst bei dieser Angelegenheit betroffen werde, stehe ich doch keinen Augenblick an, selbst als Ankläger aufzutreten und sowohl den Junker als seinen Freund und die Burgfrau eines höllischen Complottes zu bezichtigen, zu dessen Ausführung die alte Hexe Gunda auserwählt wurde, deren Enkelkind wir hier als Geschäftsträgerin des Teufels auf frischer That ertappt haben.«

Nach diesen Worten ließ er die Hand des Mädchens los, und Wulfhilde, noch immer halb betäubt vor Ueberraschung und Entsetzen, schlug beide Hände vor das Gesicht, als wolle sie sich überzeugen, daß sie recht gehört habe.

»O, welche Schändlichkeit!« rief sie voller Entrüstung aus, dann aber forschte sie mit schlauem Blicke nach einem Auswege, wendete sich, schlüpfte eilig hinweg und lief so schnell sie konnte durch die bekannten Gänge und über Treppen unaufhaltsam weiter aus dem Burghof und durch das Pförtchen an der Seite des Burgthores hinaus ins Freie. Bevor der verblüffte Ritter es bemerkte, war sie ihm aus dem Gesichte entschwunden, und er hielt es vorläufig nicht der Mühe werth, sie verfolgen zu lassen.

Während diese Scene sich in dem Gange der Burg ereignete, war Heinrich in Gedanken vor dem Tische in der 137 Bücherei sitzen geblieben und hatte mechanisch die Pergamentblätter, welche Wulfhilde dort niedergelegt hatte, an sich herangezogen. Er war so sehr mit der Erinnerung an die Mittheilungen des treuen und muthigen Mädchens beschäftigt, daß er achtlos die Schriftzüge anblickte und gar nicht auf den Sinn derselben aufmerksam geworden wäre, hätte sich nicht plötzlich eine Reihe von Namen so aufdringlich ihm entgegengestellt, daß er sie endlich bemerken mußte. Und nun war seine Ueberraschung so groß, daß er darüber für den Augenblick alles Vorhergehende vergaß, selbst den Lärm draußen völlig überhörte und sich nur in die Prüfung der vor ihm liegenden Pergamentstücke versenkte.

Es konnte kein Zweifel sein, daß er vor sich die in der Familienchronik des Kalmburger Hauses fehlenden Blätter sah. Bevor er noch darüber nachdenken konnte, auf welche Weise diese Blätter in die Hütte der alten Gunda gelangt sein konnten, wurde er durch den Inhalt selbst derart gefesselt, daß er nicht davon loskommen konnte, bis er Alles durchgelesen hatte.

Die mit festen gleichmäßigen Zügen niedergeschriebenen Sätze enthielten die Kundgebung der Schicksale einer Schwester von Dietmar's Vater. Die damals jugendliche Kalmburgerin hatte sich der verhaßten Verbindung mit dem ihr bestimmten Bräutigam Lambrecht von Pockelsheim widersetzt und sollte vom Vater durch Anwendung der grausamsten Strafmittel zur Einwilligung gezwungen werden. Was den Vater zu dieser unerbittlichen Härte bestimmte, war die Entdeckung eines Liebesbündnisses, welches seine Tochter mit dem Sohne eines Vasallen angeknüpft hatte. Der Name des jungen Mannes stand auf den Blättern 138 verzeichnet. Er hieß Fulco und war als ein Mann von schöner Erscheinung und trefflichen Geistesanlagen geschildert. Als Kind hatte er mit der jungen Herrentochter spielen und sich umhertummeln dürfen. Zu spät bemerkte dann der stolze Vater des Jungfräuleins, daß Fulco ihr Herz besaß. Während der Verlobung mit Albrecht, die ohne Einwilligung der Braut zwischen den beiderseitigen Eltern besprochen worden, war Fulco in die nahe gelegenen Wälder geflüchtet, denn er fürchtete für sein Leben. Jungfrau Jutta wurde durch die Mißhandlungen des Vaters zur Verzweiflung getrieben und hatte ebenfalls Gelegenheit zur Flucht aus der Burg gefunden. Außer den Kleidern, die sie trug, hatte sie nichts mitgenommen, als einige Juwelen und die gewaltsam herausgerissenen Blätter der Chronik, durch welche sie ihre Abkunft beweisen konnte. Eine Ahnung hatte sie nach einer Stelle des Waldes geführt, wo sie früher oft heimlich mit dem Geliebten zusammengetroffen war. Sie weilte nicht sehr lange dort, als er kam, denn auch ihn hatte die gleiche Sehnsucht und Erwartung an die traute Stelle getrieben. Sie suchten nun vom Gebiete des Vaters der unglücklichen Jutta fortzukommen und bauten sich im Walde, an einem ganz abgelegenen Orte, eine Hütte, wo sie vorläufig ihr Zusammenleben vor der Welt verborgen hielten. Der junge Mann sorgte für alle Lebensbedürfnisse, und abgesehen von der fortdauernden Gefahr verlebten sie eine Zeit wahren Liebesglückes. Ein Klausner, dessen Name Eckbrecht hieß, hatte ihren Bund gesegnet. Aber die Zeit kam, daß Jutta Mutter werden sollte, und in ihrer Noth suchten die jungen Gatten die 139 Hülfe einer alten Frau, in deren Hütte ein Töchterchen geboren wurde.

Die Aufzeichnungen brachen hier ab, und wenn auch die Vermuthung nahe lag, daß dieselben mit Wulfhilde in Zusammenhang standen, fehlte dafür doch der Beweis, und nur die alte Gunda oder Bruder Eckbrecht wären im Stande gewesen, die wichtigen Mittheilungen zu ergänzen und die Erklärung beizufügen, was aus Jutta von Kalmburg und dem Kinde geworden war.

Heinrich nahm sich vor, die alte Gunda und den Klausner aufzusuchen, um sich Aufklärung geben zu lassen. Bis dahin wollte er weder seinem Freunde Dietmar, noch sonst irgend Jemand etwas von der Angelegenheit mittheilen, aber er hielt es nicht für gefährlich, die Pergamentblätter wieder an die Stelle in der Chronik, wo sie herausgerissen waren, einzuschieben. Dann kehrten seine Gedanken in die Gegenwart zurück, und er überlegte, auf welche Weise den feindlichen Absichten des Herrn von Brachfeld, die er in ihrem vollen Umfange noch nicht durchschauen konnte, zu begegnen sei. Nachdenklich verließ er die Bücherei und suchte seinen Freund Dietmar auf, der in höchster Entrüstung über das Betragen Udo's von Brachfeld schalt und tobte.

Inzwischen war Wulfhilde auf einem Waldwege weiter gelaufen und hielt erhitzt und athemlos an, als sie an einen Kreuzweg gelangte, wo sich ein hölzerner Pfahl mit einem plump geschnitzten Bilde der heiligen Jungfrau befand. Dort brach sie fast besinnungslos in die Kniee, blickte vorwurfsvoll zu dem Bilde empor und rief wie wahnsinnig: »Das duldest Du! Du, die er so treu im 140 Herzen trägt, die er verehrt, wie kein anderer Mensch Dich verehren kann! Ist es denn möglich, daß ein so schändlicher Plan erdacht werden darf! Sie wollen ihn, uns Alle ergreifen, foltern, vielleicht tödten! Und das Alles läßt Du geschehen! O, heilige Mutter Gottes, stehe mir bei in dieser entsetzlichen Gefahr. Ist die Schlinge erst zugezogen, so giebt es kein Entrinnen und keine Rettung mehr. Erleuchte mich mit Deiner Gnade, um ihn und uns Alle zu retten!«

Sie hatte diese Worte halblaut mit voller Inbrunst hervorgestoßen und dabei unverwandt zu dem armseligen Bilde der Mutter Gottes emporgeblickt.

Bei der Aufregung, in welcher Wulfhilde sich befand, war es natürlich, daß jedes Geräusch sie in Angst versetzte. So auch nun, da sie plötzlich Schritte hörte und aufblickend von der einen Seite aus dem Walde einen ältlichen Mann heranschreiten sah, der, am Kreuzweg angekommen, unschlüssig nach allen vier Seiten spähte, als wisse er nicht, welchen Pfad er einschlagen solle. Wulfhilde wollte sich eilig entfernen, aber der Wanderer, der seine ganze Habe in einem Bündel an einem Stocke bei sich zu führen schien, trat zutraulich grüßend näher, legte sein Bündel auf die Bank vor dem Marienbilde nieder und sagte freundlich:

»Gelobt sei Jesus Christus!«

»In Ewigkeit. Amen!« antwortete das Mädchen und blickte nun schon zuversichtlicher in des Mannes wettergebräuntes und von einer großen Narbe entstelltes, aber ehrliches und gutmüthiges Gesicht.

»Wenn Du Deine Andacht beendet hast, frommes Kind,« begann nun der Wanderer, »wirst Du mir vielleicht 141 Auskunft geben können, welchen Weg ich einschlagen muß, um zur Kalmburg zu gelangen. Unten vom Thale aus konnte ich sie deutlich liegen sehen und dachte, es sei gar nicht möglich, den Weg zu verfehlen. Das ging auch beim Ersteigen der Anhöhe eine gute Weile so fort, und ich überließ mich meiner frohen Stimmung im Betrachten der herrlichen Gottesnatur, bewunderte fortschreitend die kräftigen Baumriesen, erfreute mich des frischen Buchengrüns und verweilte endlich bei einer frisch klingenden Quelle, wo ich mich durch einen Trunk erlabte. Als ich darauf weiter schreiten wollte, sah ich mich vergeblich auf allen Seiten nach der Burg um. Ich konnte nichts entdecken, als die hervorragenden Baumwipfel, welche mir den Ausblick auf die Thürme völlig verdeckten. Frischen Muthes bin ich dann vorwärts geschritten, in der festen Zuversicht, daß der liebliche Waldespfad mich bis dicht vor das Burgthor führen werde, aber nun stehe ich hier am Kreuzwege und weiß nicht, wohin ich mich wenden soll, um zu meinem Ziele zu gelangen.«

Wulfhilde hatte alle Scheu vor dem fremden Manne verloren. Sein treuherziges Wesen flößte ihr volles Zutrauen ein, denn sie sah, daß sie es mit einem einfachen Menschen von biederer Gemüthsart zu thun hatte.

»Dort,« sagte sie, »führt der Weg nach der Burg, aber Du hast wohl noch eine halbe Stunde zu gehen, bevor Du am Thore anlangst.«

»Nun denn,« versetzte der Wanderer, »da ich das Ziel nicht mehr verlieren kann, will ich hier einen Augenblick rasten.« Er nahm sein Bündel von der Bank und legte es auf den Boden, während er sich selbst niedersetzte. »Setze 142 Dich zu mir, Kind,« sagte er dann, »und laß uns ein wenig plaudern, denn wie ich sehe, bist Du erhitzt und ermattet vom Wege.«

Das Mädchen hätte der Aufforderung gerne Folge geleistet, aber sie fürchtete, es könnten ihr Verfolger auf der Spur sein, und rasch erwiederte sie:

»Ich kann nicht rasten, sondern muß weiter fort, und zwar so schnell als möglich.«

Nun fiel ihr seltsam erregtes Wesen dem fremden Wanderer auf. Forschend blickte er einen Augenblick in ihr Gesicht und frug dann:

»Du gehörst wohl kaum zum Gesinde der Burg? Bist Du vielleicht daselbst bekannt und weißt über die Bewohner Auskunft zu geben? Gerne möchte ich wissen, ob ich nicht vergeblich den Weg hierher eingeschlagen habe und ob ein fremder junger Mann, den ich suche, sich dort noch bei seinem Freunde, dem Junker, aufhält.«

Trotz der ängstlichen Eile vergaß Wulfhilde ihre Flucht gänzlich. Der Wandersmann suchte einen jungen Mann, der nur vorübergehend auf der Burg weilte. Ihre Gedanken kehrten sofort zu demjenigen zurück, den sie überhaupt nur selten auf kurze Zeit verließen, und von diesem Augenblicke an flößte ihr der Fremde lebhaftes Interesse ein.

»Wen suchst Du auf der Burg?« sagte sie rasch und ohne viel Ueberlegung.

Der Wanderer trug nicht das geringste Bedenken, ihr zu sagen, was er auf dem Herzen hatte. Und so erzählte er denn, daß es ihm nach vieler Mühe gelungen sei, den vermuthlichen Aufenthalt eines jungen Mannes auszukundschaften, den er vergeblich in der Abtei Memleben 143 gesucht, wo derselbe früher als Klosterschüler geweilt habe. Die Mönche hatten keine Ahnung von seinem jetzigen Aufenthalte, aber es war die Rede davon gewesen, daß der Junker Dietmar von Kalmburg an demselben Tag aus dem Kloster entsprungen sei, an welchem der Gesuchte von dort entlassen worden. Vergeblich, so erzählte der Mann weiter, hatte er darauf die Spur des Gesuchten in der Umgegend zu entdecken gehofft, bis ihn endlich ein Zufall auf die Buchensteiner Burg führte, wo er im Laufe der Tage durch die Knechte von einem fremden schriftgelehrten Jüngling, der auf der Kalmburg weile, Kunde erhielt. Und nun war er auf dem Wege dahin, in der Hoffnung, den Gesuchten dort endlich anzutreffen.

Wulfhilde hatte mit steigender Theilnahme zugehört. »Darüber kann ich Gewißheit geben!« fiel sie nun rasch ein, »denn ich komme geraden Weges von der Burg und habe noch vor kurzer Zeit mit ihm, den Du suchest, über vielerlei Dinge gesprochen.«

Bei diesen letzten Worten nahm ihr Gesicht einen schwärmerischen Ausdruck an, was dem frommen Manne derart gefiel, daß er freudig überrascht frug: »Also Du kennst ihn, liebes Kind? Hast sogar mit ihm gesprochen und kannst mir also die Versicherung geben, daß ich ihn wohlbehalten antreffen werde?«

Diese fast jubelnd gesprochenen Worte überzeugten Wulfhilde völlig, daß der Mann ein aufrichtiger Freund des bedrohten Jünglings sei. Eilig entgegnete sie: »Du wirst ihn von einer großen Gefahr bedroht finden, und wenn Du ihm zugethan bist und irgend etwas zu seiner Rettung thun willst, so werde ich Dir Alles mittheilen, was ich von 144 der Sache weiß. Aber Du bist nur ein einfacher Mann,« setzte sie niedergeschlagen hinzu, »und die Gefahr, welche ihm droht, kommt von mächtiger Seite.«

»Laß hören, Kind,« sagte ganz erschreckt der Wanderer, »sage mir, was ihn bedroht, und sei versichert, daß es keinen Menschen auf der Welt giebt, der ihm mehr zugethan sein kann, als ich.«

Er bemerkte nicht, wie das Mädchen bei diesen Worten verwirrt zu Boden blickte und verstohlen die Hand auf das Herz drückte. Es währte nur einen Augenblick, dann sah sie ihm mit dem Ausdrucke unendlicher Dankbarkeit in das feste, wettergehärtete Gesicht und stieß die Worte hervor:

»Du kennst seine Herkunft, bist vielleicht selbst mit ihm verwandt? Gott sei Dank, daß sich ein Freund findet, der ihm treu zur Seite steht. O, wie wahr hat er gesprochen! Wie wunderbar bewährt sich die Gnade der heiligen Jungfrau, die mich hier vor ihrem Bilde mit Dir zusammenführt.«

»Ich bin nur ein Diener seines erlauchten Vaters, der leider auf der Fahrt zu den gottverfluchten Türken den Tod gefunden hat, bevor er die Zukunft des Jünglings, der zwar nicht nach dem Gesetze, wohl aber dem Herzen und dem Blute nach sein Kind ist, sichern konnte. Er hatte es gut mit ihm vor, und Heinrich war zu einer glanzvollen Stellung ausersehen. Aber so geht es in dieser seltsamen Zeit, in welcher die Menschen Gott zu gefallen glauben, wenn sie in fernen Ländern mit ganzen Schaaren tüchtiger Kriegsmannen zu Grunde gehen. Unsereins versteht das nicht, und Jeder muß sich in die Zeit fügen und getreulich thun, was seines Amtes ist. Ich wäre auch vielleicht noch 145 im fremden Lande und hätte abgewartet, ob der Tod auf dem Schlachtfelde oder im Pestlazareth mein Loos, oder ob mir Besitz an Land und Gut und reiche Beute zu Theil geworden, aber meines unglücklichen verstorbenen Herrn Gebot trieb mich wieder in die Heimath, und ich bin im Begriffe, in seinem Auftrage den jungen Heinrich aufzusuchen, der auf der Kalmburg weilt und der Dir, mein hübsches Kind, nicht übel zu gefallen scheint. Du brauchst nicht roth zu werden,« setzte er lachend hinzu, als er bemerkte, daß Wulfhilde bis an den Hals erröthete, »ich weiß ja, daß er ein schmucker junger Herr ist, und es gefällt mir von Dir, daß Du nicht frech, wie andere Dirnen, sondern schämig dabei thust. Nun denn, des Herrn Grafen von Merseburg Auftrag führt mich zu seinem Sohne, aber ich kann wohl sagen, daß auch mein Herz bei der Ausführung seines Gebotes mitredet, denn ich habe ihn von seiner Kindheit an lieb gehabt, den herzigen Knaben, und seine Mutter war eine Heilige, obgleich sie in den Augen der Welt als Sünderin gelten mußte. Ich bin doch neugierig, ob er sich freut, den alten Konrad wiederzusehen, der ihn zuerst aufs Pferd hob und reiten lehrte, der ihm den ersten Bogen schnitzte und der Freud und Leid bis zum schrecklichen Ende seiner Mutter redlich mit ihm theilte.«

Gerührt hörte Wulfhilde den Worten des biederen Mannes zu. Dieser forderte sie nun auf, sich zu ihm zu setzen und ihm ausführlich zu erzählen, was sie von dem Sohne seines Herrn wisse und welcher Art die Gefahr sei, die diesen bedrohe.

Wulfhilde kam seiner Aufforderung gerne nach und 146 setzte sich zu ihm unter das Muttergottesbild. Sie theilte ihm dort Alles mit, was ihr auf dem Herzen lag. Wer hätte besser als der alte Konrad begriffen, daß sein Liebling Heinrich die unbeschränkte Gunst und Freundschaft des Junkers von Kalmburg ohne die Mitwirkung irgend welcher Zauberkräfte errungen hatte! Bei den Mittheilungen in Bezug hierauf war er nicht wenig entrüstet über den thörichten Verdacht der Frau Kunigunde. Weniger unbefangen faßte er die Mittheilungen auf, welche ihm das Mädchen in Bezug auf die Rolle machte, die ihre Großmutter in der Sache spielte. Dem derben Kriegsmanne war nichts widerwärtiger, als das unheimliche Treiben der alten Weiber, denn er selbst steckte noch tief in dem aus uralten Zeiten ererbten Aberglauben. Glücklicherweise schützte die wahre Theilnahme, welche Wulfhilde an Heinrich's Schicksal nahm, das junge Mädchen in den Augen Konrad's vor dem Verdachte der Hexerei und er verschwieg ihr, daß er fest überzeugt war, ihre alte Großmutter habe ein Bündniß mit dem Satan. Ihm wäre es schon ganz recht gewesen, wenn man die Alte mit sammt der Frau Kunigunde von Kalmburg zum Scheiterhaufen verurtheilt hätte, aber er unterdrückte vorläufig derartige Herzenswünsche und behielt die Hauptsache im Auge.

Am liebsten hätte er den Junker von Kalmburg aufgefordert, das Schwert zu ergreifen und in Verbindung mit ihm und Heinrich an der Spitze seiner Knechte den schändlichen Udo gefangen zu nehmen und ihn lebenslang im Kerker zu halten oder Urfehde schwören zu lassen und gegen genügende Bürgschaft heimzuschicken. Aber es war seltsam. Sobald es sich um Dinge handelte, die in das 147 Gebiet finsterer Zauberkräfte oder in das Reich der Kirche hineinragten, blieb der unerschrockenste Mannesmuth nicht frei von ängstlicher Besorgniß. Darum stand Konrad von dem Gedanken an offene Bekämpfung der drohenden Gefahr sofort ab und begann zu überlegen, was in dem vorliegenden Falle die Klugheit wohl gebieten möge. Auf diesem Felde war er allerdings so wenig bewandert, daß ihn das jugendliche Mädchen im Entwerfen von Plänen übertraf, aber sie konnten sich nicht recht verständigen, da Wulfhilde auch die Großmutter gerettet wissen wollte, während es dem derben Haudegen ein Gaudium gewesen wäre, wenn die alte Hexe hätte brennen müssen.

Sie waren noch tief in ihr ernstes Gespräch versunken, als ein überraschender Laut ihre Ohren berührte und ihre Aufmerksamkeit ablenkte. Man hätte glauben können, es sei das Zwitschern eines Vogels, aber da es immer näher kam und immer lauter wurde, mußten die Hörer zuletzt zu der Ueberzeugung kommen, irgend ein Mensch komme durch den Wald geschritten, der lustig und laut ein Lied pfiff und zuweilen inne hielt, um sich mit einem Vogel zu necken, dessen Ton er eine Weile nachahmte. Konrad und Wulfhilde blickten sich um und gewahrten nun auf dem Wege, der weder von der Burg noch zu derselben führte, einen jungen Mann von schlanker Gestalt, frischem, blühendem Aussehen und langgelockten blonden Haaren, mit einem Ränzlein auf dem Rücken, der rüstig und wohlgemuth ausschritt und erst mit seinem heiteren Neckspiele aufhörte, als er die beiden Menschen unter dem Marienbilde gewahrte.

Näher kommend, rief er ihnen den üblichen Gruß zu, und als er dicht bei ihnen stand, nahm er die leichte Mütze 148 vom Kopfe und wischte mit der Hand den Schweiß von der Stirne, indem er sagte:

»Es ist so wonnig frisch im Walde, und doch wird Einem warm, wenn man rüstig schreitet.«

Konrad und Wulfhilde betrachteten den Wanderer und wußten zuerst nicht recht, was sie aus ihm machen sollten. Daß er nicht zum Volke gehöre, war sofort ersichtlich und hörbar, aber die Kleidung und das leichte Gepäck ließen auch wieder nicht auf vornehmen Stand schließen. In den bewegten, unruhigen Zeiten erblickte man so viele seltsame und oft räthselhafte Erscheinungen, daß schon eine höhere Bildung dazu gehörte, um sofort ein Urtheil zu haben. Der junge Mann ging in der Tracht eines einfachen Wanderers, das leichte Ränzel auf dem Rücken und oben darauf einen langen schmalen Kasten, der den beiden Leutchen auf der Bank seinen Stand wohl verrathen konnte.

»Solch ein junges Blut wie Ihr wird leicht warm,« sagte Konrad, »namentlich wenn man nicht nur die Beine anstrengt, sondern auch mit den Waldvögelein um die Wette pfeift und jubilirt. Ihr versteht wohl die Vogelsprache?«

Der junge Mann lachte und setzte die Mütze wieder auf, an deren Rand eine blaue Blume prangte. Wulfhilde betrachtete die Blume, und als der Wanderer dies bemerkte, sagte er:

»Gefällt Dir das Blümlein an meiner Mütze, schönes Kind? Kennst Du seine Bedeutung?«

Wulfhilde schüttelte mit dem Kopfe.

»Nun sieh,« fuhr der Fremde fort, »und merke auf, damit Du mich recht verstehst, denn ich kenne zwar nicht die 149 Vogelsprache, wie der Kriegsmann meint, aber ich rede zuweilen in seltsamen Zungen. Ist nicht der weite, unendliche Himmel blau und blicken wir nicht in aller Noth unseres Lebens sehnsuchtsvoll zu ihm empor? So ist die blaue Blume das Zeichen der Sehnsucht, die uns von der Erde und ihren Freuden hinwegzieht zu unbekannten Fernen. Auch Du, schönes Kind, scheinst mir nicht aus gemeinem Stoff gemacht und auch in Deinem Herzen wird früher oder später die Sehnsucht erwachen, die Dich von den irdischen Wünschen hinwegführt. Vorher wird aber hoffentlich ein Kränzlein von rothen Rosen Dein liebliches Köpfchen zieren. Freilich, die Rosen welken schnell. Dann heißt es:

Von allen Blümlein auf den Auen,
Die wonnig rings umher zu schauen,
Lob' ich mir die lieblichen blauen,
Die sagen: mußt auf Gott vertrauen!

Dann wird auch für Dich die blaue Blume ihre Bedeutung erhalten und Du wirst einsehen, daß das irrende Menschenherz nur im festen Glauben an ein Land der Verheißung Frieden finden kann.«

Diese Worte wurden viel leichter hingesprochen, als man ihrem Sinne nach hätte denken sollen. Dennoch wurde Wulfhilde davon ergriffen, während Konrad den Wanderer neugierig betrachtete und die Frage an ihn richtete:

»Ihr seid wohl einer von den wandernden Sängern oder Spielleuten und zieht mit Euren schönen Sprüchen und Märlein von Burg zu Burg? Es ist eine herrliche Gabe, so schöne Worte setzen zu können, wofür man Euch überall hegt und pflegt, wo Ihr mit Eurem Singen und Sagen Freude bereitet.«

150 »Ihr habt recht gerathen, biederer Kriegsmann,« versetzte der Fremde, »und Ihr konntet schon aus dem Gepäck, das ich führe, auf meinen Stand schließen, denn der Kasten hier oben birgt mein theuerstes Gut, die Fiedel, deren Ton mir überall freudigen Empfang bereitet.«

Konrad und Wulfhilde blickten nun mit einer Art von Ehrfurcht auf den unscheinbaren Kasten, und wären ihre Herzen nicht gar zu sehr von Sorge erfüllt gewesen, so hätten sie gewünscht, einmal eine Probe von der Kunst des wandernden Spielmanns zu hören, der am Ende ihrer Bitte willfahrt haben würde, denn ihm war das liebliche Gesicht des jungen Mädchens aufgefallen.

»Wo geht Euer Weg hin?« fragte nun Konrad, der gern wissen wollte, ob der Wanderer auf der Kalmburg einzukehren gedenke.

»Ich habe noch einen weiten Marsch vor mir,« entgegnete der Spielmann, »denn ich steure auf die lustigste und prächtigste Burg zu, die es gegenwärtig in deutschen Landen giebt. Ueberall herrscht unlustiges Gebahren, aber auf Schloß Lupesch, wo König Heinrich sein Hoflager aufzuschlagen gedenkt, wird es froh hergehen; dort sind Leute meines Schlages gern gesehen.«

»Ihr wollt zum römischen König ziehen?« frug rasch der biedere Konrad.

»Das will ich,« versetzte jener, »aber zuvor geht es nach der Burg des Buchensteiners, wo ich freundlicher Aufnahme gewärtig sein darf. An der Kalmburg, die nicht weit von hier gelegen sein muß, zieht Unsereins vorüber, denn die Burgfrau ist nüchternen Sinnes und hält nichts von unseren freien Künsten, deren Sinn sie nicht versteht. 151 Da müßte schon ein Possenreißer oder Zotensänger kommen, um sie zu belustigen, wie es bei den Frauen der Rathsherren in den Städten üblich ist. Wir Meister von der fahrenden Zunft des edlen Sanges wissen ganz genau, wo man uns gerne sieht, und spenden nur dort die Gaben unserer Kunst, wo man sie zu schätzen weiß.«

»Was Ihr da von der blauen Blume sagtet,« mischte sich nun Wulfhilde schüchtern in das Gespräch, »klang gar wunderbar und herzergreifend, und ich möchte wohl wissen, was es damit für eine Bewandtniß hat. Ist das irdische Leben denn gar so freudlos und ohne Werth, daß man nur nach dem unbekannten Lande des Jenseits Sehnsucht tragen soll?«

»Ihr redet ebenso klug, wie Ihr schön seid, aber diesmal habt Ihr mich doch mißverstanden,« entgegnete der Wanderer. »Die blaue Blume bedeutet die Sehnsucht in jeder Gestalt. In unserer Zeit tritt dieselbe gar mächtig auf und treibt die Menschen von Haus und Herd, von Weib, Kind und Gesinde fort. Die Einen lockt sie in stille Klostermauern, um dort, von allen irdischen Gedanken abgewendet, nur der Vorbereitung auf den Himmel zu leben. Die Anderen treibt sie in weite Fernen, zu gefahrvollen Unternehmungen, in Krieg und Entbehrung, um auf diese Weise entweder auf Erden zu Ruhm und Ansehen zu gelangen, oder vor Gottes Thron die Märtyrerkrone zu empfangen. Und sind wir Gesellen und Meister von der fahrenden Zunft nicht auch der ruhelosen Sehnsucht anheim gegeben, die uns von Ort zu Ort führt, mit der blauen Blume am Hut und ungestillten Wünschen im Herzen? Darum sage ich, die 152 Sehnsucht ist der Geist unserer Zeit, die uns ruhelos treibt. Wohin? Wer kann es wissen!«

Wulfhilde hatte mit großer Andacht zugehört, aber der alte Konrad schüttelte bedächtig den grauen Kopf und sagte:

»Wahr ist's, was Ihr da sagt, aber ob es gut ist, kann ich nicht einsehen. Ihr seid ein gelehrter Mann, der die Dinge in der Welt anders ansieht, als wir einfachen, gemeinen Menschen. Wohl drängt gegenwärtig Alles in die Ferne, und die Verachtung dessen, was wir wirklich besitzen, schwindet vor der Sehnsucht nach unbekannten Gütern, aber ich weiß nicht, ob der himmlische Vater an solchem Treiben seine Freude haben kann. Auch mein edler Herr ist von Eurer blauen Farbe berückt worden und hat in der Ferne Trost zu finden gehofft, der ihm in der Heimath fehlte, aber er hat nur Gram und Tod gefunden, was er auch zu Hause hätte haben können. Da ist der Graf von Kalmburg, ein biederer, ehrenhafter Herr, der mit seinen ältesten Söhnen, von denen der eine schon den Tod fand, auch auf ungewisse Hoffnungen in die Ferne zog. Und laßt Euch einmal hier von der Jungfrau erzählen, was sich inzwischen auf seinem Stammsitze begiebt und welche Noth über die Seinigen hereinzubrechen droht. Kann das der Wille Gottes sein? Ich bin ein einfältiger Mann und liebe das Waffenhandwerk, aber ich denke doch, daß auch die Heimath etwas werth ist und daß der Mensch nicht blos auf der Erde lebt, um sich für den Himmel vorzubereiten.«

»Ihr seid ja ein richtiger Ketzer,« erwiederte lachend der Spielmann, »und könnt von Glück sagen, daß nicht ein Pfaff, sondern ein freier Spielmann Eure Worte hört. Es mag 153 sein, daß Ihr ein tapferer Kämpe und biederer Mann seid, aber ein richtiger Christenmensch seid Ihr mit solchen Ansichten nicht.«

»Was?« rief auffahrend Konrad, indem er entrüstet sich von der Bank erhoben hatte, »ich wäre kein richtiger Christenmensch?«

Der Spielmann legte heiter lächelnd die Hand auf seine Schulter und drückte ihn sanft auf den Sitz nieder. »Ereifert Euch nicht,« sagte er freundlich, »und versteht meine Worte recht, denn ich will Euch gewiß nicht kränken. Habt Ihr jemals von unseren Vorfahren, den alten Deutschen, die Jahrhunderte lang an ihrer Scholle klebten und sich um nichts weiter kümmerten als ihre eignen Angelegenheiten, reden gehört? Nun seht, das ist anders geworden, seitdem die blaue Blume bei uns gepflegt und die Sehnsucht geweckt wird. Der heilige Vater in Rom gab uns lange Zeit zu schaffen, und das schöne Land Italia zeigte der Sehnsucht ein herrliches Ziel, aber seitdem nun gar das heilige Grab in Aufnahme gekommen ist und die Menschen schaarenweise zu seiner Befreiung aufgeboten werden, blüht und duftet die blaue Blume im vollsten Glanze, und das Alles verdanken wir doch der christlichen Lehre, denn ohne diese würden wir uns weder um Rom noch um Palästina kümmern, sondern hübsch zu Hause bleiben und unsern deutschen Kohl bauen, wie es die Väter gethan.«

»Wenn Ihr es so meint,« versetzte Konrad, »mag es recht sein, aber ein richtiger Christenmensch bin ich doch und ziehe nach Italien oder ins heilige Land lieber, als daß ich hier Kohl baue, wenngleich ich zuweilen die Welt nicht recht verstehe. Ihr aber möcht wohl selbst ein seltsames 154 Christenthum haben, da Ihr so frei über den Papst und die Kreuzherren redet. Freilich, Ihr versteht Eure Worte zu wählen, und da müßten wohl Klügere kommen als ich, um Euch der Ketzerei zu überführen. Aber laßt uns von etwas Anderem reden. Ihr sagtet, daß Ihr zu König Heinrich wandern wollt, und nanntet auch den Ort, wo er zu treffen ist. Gewiß seid Ihr auch ein Schriftgelehrter und versteht Euch auf die wunderlichen Zeichen, aus denen man die Meinung anderer Menschen herausliest. Ich habe solch ein Schriftstück bei mir, ein Pergament, das den Willen meines seligen Herrn enthält und das ich sorglich vor der Menschen Augen verborgen halte, um es unbeschadet in die Hände desjenigen gelangen zu lassen, den es angeht. Da ihm nun aber Gefahr droht und Ihr demselben Ort zuwandert, wohin das Pergament meinen jungen Herrn weist, möchte ich wohl wissen, was darin steht. Ihr scheint mir eine brave Haut, und von Euch möchte ich einen Blick hineinwerfen lassen. Aber merkt Euch wohl, daß ich das Schriftstück mit meinem Leben vertheidige, bis ich es in die rechten Hände gelegt habe.«

»Ihr könnt es mir ruhig anvertrauen,« antwortete der Spielmann, »denn wenn es auch die größten Geheimnisse enthielte, würden sie bei mir gut aufgehoben sein. Wohl giebt es fahrende Spielleute, die auf Hinterlist und Betrug ausgehen, aber diesmal hat Euch Euer Blick nicht getäuscht, und wenn der Inhalt des Pergamentes auch Schätze werth wäre, ich würde Euch darum nicht täuschen oder belügen.«

Mit vieler Vorsicht zog nun Konrad ein Pergament hervor, das er wohl verwahrt auf der Brust trug. Er überreichte es dem Fremden und stellte sich in gespannter 155 Erwartung vor denselben hin, wobei er ihn mit den Augen anblickte, als wolle er die Gedanken aus seiner Seele lesen.

Der Spielmann warf einen aufmerksamen Blick in das Schriftstück und sagte dann:

»Dieser Brief weist den Inhaber, oder vielmehr denjenigen, dem Ihr ihn übergeben werdet, auf denselben Weg, den ich eben gehe, freilich nicht in derselben Absicht, denn ich suche den Hof des Prinzen Heinrich als lustiger Spielmann auf, Eures Herrn Sohn aber soll als Bittsteller vor ihm erscheinen, damit der König ihm das gewähre, was der Graf in diesem Schreiben wünscht.«

»Und was ist das, was der König ihm gewähren soll?« fragte nun der Kriegsmann.

»Anerkennung gewisser Geburtsrechte und den Besitz von Gütern, über welche dem Grafen freie Verfügung zustand.«

Konrad stieß beim Anhören dieser Worte einen langanhaltenden Jubelruf aus, nahm das Pergament wieder an sich und sagte:

»Habt Dank, werther Spielmann; ich wollte mich nur überzeugen, ob Alles noch in Ordnung ist, denn solch Pergament ist doch immer ein gefährlich Ding, das Einem einen Possen spielen und heute so, morgen anders lauten könnte. Aber was Ihr da sagt, steht darin, das hat mir der Bruder Eckbrecht schon versichert, den ich in seiner Klause aufgesucht habe. Nun aber bin ich seelenfroh, daß ich Euch angetroffen habe. denn Ihr könnt uns den rechten Weg zum Könige beschreiben. Somit sage ich, zieht freudig Eures Weges zur Buchensteiner Burg, wozu ich Euch nicht nur ein ›Glückauf!‹ sondern auch ›auf Wiedersehen!‹ zurufe, 156 denn wenn mich nicht Alles trügt, werde ich mit dem Sohne meines seligen Herrn bald wieder mit Euch zusammentreffen. Aber halt, da fällt mir eben ein, daß Ihr mir den Weg näher beschreiben könntet und den Ort genau angeben, wo sich der Kaisersohn gegenwärtig aufhält. Wie freue ich mich auf die Fahrt zu seinem Hoflager! Das ist doch wieder einmal eine Veränderung und hoffentlich eine recht freudige.«

»Binnen der nächsten acht Tage,« versetzte der Spielmann, »trefft Ihr mich auf der Burg des Buchensteiners, von wo ich nach der Burg Lupesch aufbreche, um mich dort dem Gefolge des Prinzen Heinrich anzuschließen. Wenn es dem Sohne Eures Herrn genehm ist, können wir die Wanderschaft zusammen antreten, denn es reist sich immer besser zu Zweien als allein. Zu schämen braucht Ihr Euch meiner nicht, denn ich trage hier im Ränzel noch ein höfisches Gewand, und die Burgfrau von Buchenstein wird auch nicht geizen und noch ergänzen, was etwa fehlen sollte.«

»Ich nehme Euch beim Worte,« erwiederte Konrad, »und sage also: Auf Wiedersehen bei dem Buchensteiner! Nun aber muß ich meinen Weg fortsetzen, denn mich treibt das Herz und ich bin lange genug in Zweifel und Ungewißheit umhergewandert. Was wird denn aus Dir, gutes Kind?« wendete er sich zu Wulfhilde. »Glaubst Du Dich sicher bei Deiner Großmutter?«

»Seid meinetwegen unbesorgt,« versetzte das Mädchen aufschreckend, wie aus träumerischem Nachsinnen, und setzte hinzu: »Die Hütte meiner Großmutter liegt am Wege, der von hier zur Buchensteiner Burg führt, und ich könnte mich bis dahin dem Schutze des Spielmanns anvertrauen; aber was 157 kann er mir helfen, wenn ich wirklich verfolgt und eingeholt werde? Laßt mich also meinen Weg allein suchen und rettet Euren jungen Herrn aus der Gefahr, die ihm droht. An mir ist nichts gelegen, und ich bin zufrieden, wenn ich ihn nun in guter Hand weiß.«

»Nicht doch,« warf hier der Spielmann ein, »Du sollst nicht ohne Schutz den Wald durchschreiten, und wenn Du Dich meiner Obhut anvertrauen willst, brauchst Du nicht zu fürchten, daß ich wehrlos bin. Wenn Du auch niederen Standes bist, spricht aus Deinen Zügen und dem Blicke dieser Augen doch gar ein sittsames Wesen, und ich müßte keinen Sinn für solchen Ausdruck haben, würde ich Dir nicht freudig mein Geleite anbieten. Hier ist meine Hand –« bei diesen Worten streckte er ihr die rechte Hand entgegen – »lege die Deine hinein und so wandern wir durch den herrlichen grünen Buchenwald, abwärts ins Thal, bis zu der Stelle, wo Du im Schutze des heimischen Daches meiner Obhut nicht mehr bedarfst.«

Willig legte das erröthende Mädchen die linke Hand in die dargebotene Rechte des Spielmanns. Dann wurden herzliche Grüße mit dem alten Konrad gewechselt, der seinen Weg zur Kalmburg sofort einschlug.

Rüstig schritten die beiden jugendlichen Gestalten auf dem Waldwege dahin. Als der Spielmann bemerkte, daß seine Begleiterin sich ihren Gedanken überließ und ernsten Blickes vor sich hinsah, begann er wieder das Spiel mit dem Nachahmen der Vogelstimmen, die er nicht nur genau zu treffen, sondern auch in mannigfaltiger Art auszuschmücken und zu einer Art von Melodie zu gestalten wußte. Auch fügte er zuweilen Worte und Reime ein, welche vom Sang 158 der Waldvögelein und dem prangenden Grün der Bäume handelten. Zu jeder andern Zeit würde Wulfhilde sich dem Eindruck des Augenblicks hingegeben und fröhlich mit dem Spielmann gelacht und geplaudert haben, aber ihr Herz war zu voll von traurigen Gedanken. Sie fühlte den Schmerz der Trennung von Heinrich, und der Gedanke, ihn vielleicht niemals wiederzusehen, trieb ihr das Wasser in die Augen. Die Besorgniß um ihr eigenes Schicksal, wie um das der Großmutter, trat augenblicklich völlig bei ihr zurück.

Endlich bemerkte der heitere Spielmann, daß das Mädchen an seiner Seite wenig aufgelegt war, sich durch seine Munterkeit zerstreuen zu lassen. Er schwieg daher einige Zeit. Da aber begann Wulfhilde ein Gespräch, indem sie den Begleiter nach dem Ziele seiner Wanderschaft frug. Er gab ihr Bescheid und schlug einen ernsten Ton an, indem er mancherlei von dem wunderlichen Leben erzählte, welches der König Heinrich während der Abwesenheit seines Vaters in Gesellschaft von Spielleuten, Gauklern und lebenslustigen Frauen führe. In der That schien dies Gespräch des Mädchens Aufmerksamkeit lebhaft zu wecken. Sie frug nach Diesem und Jenem und hörte mit immer größerer Aufmerksamkeit zu, als der Spielmann ihr ein Bild von dem merkwürdigen Charakter des Königs entwarf. Seiner Ansicht nach war dieser ein hochbegabter, aber unselbstständiger Herr, dessen persönliche Neigungen getheilt waren zwischen den schönen und edlen Künsten und lockeren Zerstreuungen. Schon als Knabe hatte er die Hoffnungen seines Erziehers Walther von der Vogelweide getäuscht. Leider, so erzählte der Spielmann, war es einem vornehmen Manne, der des 159 Kaisers Gunst längst verscherzt hatte, in letzterer Zeit gelungen, Herrschaft über des Königs Gemüth zu gewinnen, indem er seinen sinnlichen Neigungen schmeichelte.

Der Spielmann zog eben jetzt nach der Burg dieses Herrn, weil der König augenblicklich dort erwartet wurde. Als Wulfhilde sich wunderte, daß ihr Begleiter sich gerade dorthin begeben wollte, schlug er wieder seinen leichtfertigen Ton an, sang und jubilirte, und meinte, wer es gar zu genau nehmen wollte, fände gegenwärtig nirgends eine frohe Stätte im Reich.

Mit wachsendem Interesse erkundigte Wulfhilde sich nach dem Orte, wo man den König gegenwärtig erwarte, und ließ sich den Weg dahin genau beschreiben, dazu auch die Burgen und Städte bezeichnen, welche dabei berührt wurden.

So kamen sie unter lebhaften Gesprächen Hand in Hand den sanft abfallenden Waldweg herab und dann zwischen Feldern, welche den steileren Bergesabhang schmückten, weiter bis in die Nähe von Gunda's Hütte. Dort verabschiedete sich Wulfhilde mit dankenden Worten. Bevor des Spielmanns Rechte die in ihr ruhende linke Hand des Mädchens losließ, drückte er dieselbe noch einmal mit kräftiger Herzlichkeit und schlug dann allein den Weg nach der Buchensteiner Burg ein. 160

 


 

Drittes Buch.

Auf der Kalmburg gestalteten sich die Verhältnisse in kurzer Zeit völlig anders. Die Ankunft Konrad's wirkte mächtig auf Heinrich ein. Alle Erinnerungen und Enttäuschungen früherer Zeit wurden nochmals in dem jungen Manne wach, aber zugleich schlich die Hoffnung wieder mit Gewalt in sein Herz. Konrad gab ihm von Allem Kunde, was ihn betraf, und diese Mittheilungen bewirkten einen Umschwung in den Gedanken des alleinstehenden Heinrich. Gerade in dem Augenblicke, wo sich Udo von Brachfeld zu einem vernichtenden Schachzuge gegen die Burgfrau, ihren Sohn und dessen Freund vorbereitete, brachten die neuen Lebensaussichten des Gastes den ganzen unsauberen Plan zum Scheitern. Udo hatte weiter keine Anstalten gemacht, die flüchtige Wulfhilde verfolgen zu lassen, denn seiner Ansicht nach entging sie ihm doch nicht. Vorläufig hatte er den Kaplan in die Angelegenheit hereingezogen und hoffte nun die Sache so drehen zu können, daß er das geistliche Gericht der schutzlosen Frau Kunigunde auf den Hals hetzte und dann die Fäden zu ihrem Verderben weiter spann. Die ganze Verwicklung löste sich nun aber auf die einfachste 161 und natürlichste Weise, denn nachdem Konrad dem Sohne seines Herrn Alles, was er an mündlichen und schriftlichen Aufträgen für ihn besaß, übermittelt hatte, war der gefürchtete Zauber gebrochen.

Schon das Wiedersehen übte auf die beiden Menschen den Eindruck aus, daß sie das Gefühl hatten, sie gehörten von nun an als Herr und Diener zusammen und jeder werde an dem andern einen treuen Halt haben.

Heinrich besprach sich mit Dietmar und erklärte demselben, daß sein Geschick ihn nun von der Burg fortrufe. Dietmar, dessen jugendlich kräftiger Sinn dem Freunde alles Glück der Erde gönnte, fügte sich ohne Widerstreben, sobald er erfuhr, um was es sich handle. Allerdings war er sehr niedergeschlagen darüber, daß er den Gefährten verlieren sollte, und er trug sich allen Ernstes mit dem Gedanken, denselben nach dem Hoflager des Königs zu begleiten. Nach kurzer Zeit gab er diesen Plan jedoch auf und behielt nur den Entschluß bei, den Freund und Jugendgenossen wenigstens bis zur Burg des Buchensteiners zu geleiten. Konrad hatte nämlich sofort mit Heinrich verabredet, daß sie den Spielmann dort abholen und mit ihm, der die Wege und Stege im Lande genau kannte, die Reise gemeinschaftlich antreten wollten. Dietmar's Meinung über seinen Verwandten Udo hatte sich völlig geändert, und er wurde durch Heinrich und Konrad in der Absicht bestärkt, sich mit dem Herrn Biso von Buchenstein in freundnachbarlichen Verkehr zu setzen, um an ihm eine kräftige Stütze gegen die feindseligen Pläne des Oheims zu haben.

Frau Kunigunde war ganz glücklich, als sie erfuhr, der Gast, der ihr so viele Sorgen bereitet hatte, wolle nun 162 freiwillig die Burg verlassen. Zwar verlebte sie noch immer angstvolle Stunden, weil sie fürchtete, Dietmar wolle am Ende doch nicht von Heinrich lassen und folge ihm in fremde Lande. Mehrmals war sie sogar nahe daran, die alte Gunda aufzusuchen, um sich gerade jetzt ein wirksames Mittel gegen den Einfluß Heinrich's zu verschaffen, aber es kam nicht dazu. So nahte der Tag, an welchem Heinrich und Konrad Abschied nahmen, um die Burg zu verlassen. Dietmar ließ es sich nicht nehmen, den Freund, wie es verabredet war, nach der Buchensteinburg zu begleiten. Seine Mutter sah ihn mit angsterfülltem Herzen davon reiten, denn sie fürchtete abermals, er möge die Rückkehr vergessen und der geheimnißvollen Macht verfallen, die ihrer Ansicht nach nun einmal durch Heinrich auf ihn ausgeübt wurde.

Fröhlichen Gemüthes ritten die beiden jungen Männer, gefolgt von Konrad und einem Reitknechte, auf dem Waldwege dahin. So ungewiß auch die Aussichten waren, welche sich vor Heinrich eröffneten, seine Seele fühlte sich doch wie erlöst von drückenden Banden. So sehr er dem guten Dietmar zugethan war, hatte er doch während der letzten Zeit seines Aufenthaltes auf der Kalmburg fortwährend das Gefühl gehabt, daß er nicht an seinem Platze sei und geistig zu Grunde gehen müsse, wenn er sein Bedürfniß nach Thätigkeit aufgeben und in den engen Schranken der dortigen Verhältnisse weiter leben solle.

Für Dietmar genügte ein solches Leben. Wenn derselbe später die Bewirthschaftung seines Erbtheils übernahm und an den geselligen Freuden, wie sie Zeit und Umstände boten, sich betheiligte, hatte er seinen Lebenszweck gefunden. 163 Ein braves Weib und die Freuden und Leiden des Familienlebens gaben seinen Wünschen den Abschluß. Er war eben ein gesund entwickelter, einfach angelegter Mann seiner Zeit, nicht allzu roh und im Grunde gutmüthig genug, um seine Umgebung nicht nutzlos zu peinigen.

Anders verhielt es sich mit Heinrich, den schon frühzeitig seine unsichere Lebensstellung auf einen ungewöhnlichen Weg verwiesen hatte, wo der in ihm wohnende Trieb zu geistiger Thätigkeit und einem bedeutsameren Wirken zur Entfaltung kommen mußte.

Das Gespräch der jungen Leute war nicht allzu lebhaft, denn der bevorstehende Abschied versetzte sie in ernsthafte Stimmung, und zugleich machte sich jetzt mehr wie früher der Unterschied in ihrem Wesen geltend. Heinrich's Fantasie war von Bildern einer ereignißreichen und wechselvollen Zukunft erfüllt, während Dietmar mit einiger Mißstimmung darüber nachdachte, auf welche Weise er sich den unbequemen Udo vom Halse schaffen und bis zur Rückkehr des Vaters selbstständig der Mutter zur Seite stehen könne. Konnte man doch nicht wissen, wie lange Zeit der Vater noch ferne blieb! Dietmar war zweiundzwanzig Jahre alt und fühlte gewissermaßen das Recht und die Pflicht, die Stelle des abwesenden Burgherrn mit aller Energie zu vertreten und sich nach Mitteln umzuschauen, durch welche er jede unwillkommene Einmischung zurückweisen könne.

Inzwischen waren die Reiter in die Ebene gelangt und sprengten gleichmäßig dahin, bis sich ihren Blicken die strohgedeckte Hütte der alten Gunda zeigte, welche sowohl bei Dietmar wie bei Heinrich die Erinnerung an das treue und muthige Mädchen, das sie zuerst dort erblickt hatten, wach 164 rief. Als sie dicht dabei angelangt waren, hielten sie wie auf Verabredung ihre Pferde an, sprangen herab, übergaben die Zügel den Knechten und schritten auf die Hütte zu.

Zu ihrem Erstaunen fanden sie die Thüre halb offen, und als sie eintraten, bemerkten sie eine Art von Verwüstung, welche den Gedanken hervorrufen mußte, die Bewohner seien schon seit längerer Zeit abwesend. Als sie noch standen und in sprachlosem Erstaunen bald sich, bald die Gegenstände umher betrachteten, flog kreischend der zahme Rabe auf das Dach, und da sie wieder an die Thüre traten, kamen auch die beiden Katzen in mächtigen Sätzen von verschiedenen Seiten aus den Feldern herangesprungen. Als die Thiere jedoch bemerkten, daß es fremde Menschen waren, welche die Hütte betreten hatten, entfernten sie sich wieder; der Rabe erhob sich schwerfällig fliegend in die Luft, und die Katzen schlichen in das Feld zurück, wo sie sich wohl der unterbrochenen Jagd aufs Neue überließen.

Dietmar und Heinrich sprachen nun ihre Vermuthungen gegenseitig aus. Bei der Gefahr, welche über Gunda's Haupte geschwebt hatte, war die Flucht der beiden Frauen begreiflich, und es änderte nichts daran, daß Dietmar sich hoch und theuer verschwor, er würde sie gegen jede Feindseligkeit beschützt haben. Sie waren fort, spurlos verschwunden und hatten entweder allen beweglichen Hausrath mitgenommen oder zu Gelde gemacht; oder aber, was gar nicht unwahrscheinlich war, die umwohnenden Nachbarn hatten bereits die leerstehende Hütte geplündert. Was aus den beiden Frauen geworden und wohin sie sich gewendet hatten, blieb räthselhaft. Dietmar sprach die Hoffnung aus, ihre Spur zu entdecken und sich dann als Wulfhildens 165 Beschützer bewähren zu können. Unter Scherben und Gerümpel entdeckte Heinrich halbvertrocknet einige Blumen, die Wulfhilde gehegt hatte. Mitleidig brach er sie von den Stengeln und steckte sie ins Wams.

Nach diesem Zwischenfall setzten die beiden jungen Männer ihren Ritt fort und gelangten zur Burg Buchenstein, wo sie nach Beobachtung der üblichen Formen sofort eingelassen wurden. Dem Burgherrn wurde alsdann gemeldet, daß der Junker von Kalmburg bei ihm angelangt sei.

Herr von Buchenstein war ein Ritter von ächtem Schrot und Korn. Wie alle seine Standesgenossen, nahm er nicht nur, was ihm zukam, sondern auch Manches, was er durch List oder Gewalt in seinen Besitz bringen konnte. Da er jedoch nicht zu den Wegelagerern gehörte, welche offenen Straßenraub trieben, da er ferner seine Untergebenen zwar mit Strenge, aber doch ohne Grausamkeit behandelte, und da er endlich, wenn auch mit einigem Widerstreben, die Vorschriften der Kirche in Acht nahm und den kaiserlichen Verordnungen streng gehorsam war, so durfte man ihm das Zeugniß eines braven und ehrenhaften Ritters nicht versagen. Seine Ehefrau eignete sich vortrefflich zu seiner Lebensgenossin, denn sie hatte den unbedingtesten Respect vor ihrem Herrn Gemahl und verwaltete das Hauswesen ebenso getreulich wie die Kalmburgerin, obgleich sie von dieser sehr verschieden war. Frau Marianne von Buchenstein war von Haus aus reich und von Jugend an im Wohlleben aufgewachsen, wodurch ihre Erziehung eine ganz andere gewesen, als die der Frau Kunigunde. Während letztere in der Anschauung befangen war, daß jede rein geistige Beschäftigung dem Hauswesen nachtheilig sei und nur in 166 den Klöstern getrieben werden dürfe, huldigte Frau Marianne der gegentheiligen Ansicht und liebte es gar sehr, wenn das tägliche Einerlei nicht nur durch wilde und gefährliche, oder glänzende und rauschende Vergnügungen unterbrochen wurde, sondern auch einmal zur Abwechslung einem poetischen oder musikalischen Genuß den Platz räumte. Das wußten die fahrenden Sänger und Spielleute gar wohl, und wenn sie auch nicht alle auf der Burg freundliche Aufnahme fanden, so geschah es doch häufig genug, daß bereits bekannte oder gut empfohlene Sänger und Poeten Tage lang dort verweilten und die Abende durch Scherz und Ernst verkürzten. Der Burgherr gestattete dies gern und machte sich nicht selten den Spaß, wenn die Frauen sich zurückgezogen hatten, mit den wandernden Gästen um die Wette zu trinken, wobei er fast regelmäßig zu seinem großen Gaudium als Sieger aus dem Kampfe hervorging und die Sänger unter den Tisch trank. Daß es dabei nicht immer sehr säuberlich zuging, vermehrte nur das Gelächter, und gar oft mußten die Diener die schwer bezechten Vertreter der schönen Künste aus der Halle tragen, wobei noch mancherlei Schabernack mit ihnen getrieben wurde.

Aus der Ehe des Herrn Biso von Buchenstein und seiner Hausfrau Marianne waren zwei Töchter und ein Sohn hervorgegangen. Letzterer hatte als Knabe einen bösen Sturz gethan und war daran gestorben; die älteste Tochter war an den Sohn eines benachbarten Ritters seit kurzer Zeit verheirathet und die jüngste, Jungfrau Mechthilde, schaltete und waltete an der Seite der Mutter auf der väterlichen Burg. Sie war natürlich der Liebling der Eltern 167 und ganz das Ebenbild ihrer Mutter, die noch heute ein hübsche, blühend aussehende Frau genannt werden konnte.

Mechthilde war nicht nur in der Wirthschaft sehr erfahren, sondern sie galt auch für ein sehr gelehrtes Mädchen, da sie ohne Schwierigkeit lesen und ihren Namen schreiben konnte. Die Mutter hatte es nur nothdürftig bis zum Lesen gebracht und der Vater verstand weder das Eine noch das Andere. Dazu hatte er seinen Kaplan, und es fiel ihm nicht ein, sich solcher Dinge wegen Mühe zu geben. Auch blieb einem rechten Ritter, wenn er als Edelknabe und Knappe sich tüchtig ausbildete, keine Zeit zum Stillsitzen. Alles was mit Geduld und geistiger Anstrengung erlernt werden mußte, war den Rittern von Haus aus zuwider.

Als vor einigen Tagen der heitere Spielmann eingetroffen war, hatten sich Frau Marianne und ihre Tochter über sein Kommen sehr gefreut.

»Seid herzlich gegrüßt, Meister Guntram,« hatte ihm die Burgfrau entgegengerufen, und ihr Beispiel bewirkte, daß er überall wohlwollenden Mienen begegnete. Er wußte denn auch die Menschen ausgezeichnet zu nehmen und sich sowohl in den Herrengemächern wie in den Gesindestuben bei Jung und Alt beliebt zu machen. Dem Herrn erzählte er allerlei Schnurren oder auch Neuigkeiten von den Angelegenheiten des Reichs und der Kirche, der Frau und dem Fräulein versprach er neue Lieder und beschrieb ihnen die Gewänder verschiedener hoher Damen, die er unterwegs gesehen hatte. Wo er einem der Knechte in den Weg kam, warf er ein derbes Scherzwort hin, und den Mägden sagte er gelegentlich eine plumpe Schmeichelei, so daß sie alle in gute Laune geriethen und sich der 168 Anwesenheit des muntern Guntram erfreuten. Ja, selbst die Hunde des Herrn und den Staar der Frau wußte er sich zu Freunden zu machen.

Für gewöhnlich war das Leben der Frauen auf den Burgen überall herzlich eintönig. Die Herren konnten sich schon freier bewegen, und wenn die Nachbarn auch vielfach unter einander in Fehde lebten, hielten sie doch wieder zusammen, wenn es galt, sich durch Trinkgelage, Spiel und Jagd die Zeit zu vertreiben. Da ritt Herr von Buchenstein zu seinem Schwiegersohne, dem Herrn von Maltheim, wo er noch diesen oder jenen Ritter aus der Umgegend traf, und es ging selten ohne tüchtige Räusche ab, in Folge deren die Reitknechte auf der Heimkehr oft ihre Last hatten und dazu noch obendarein mit Scheltworten und Schlägen tractirt wurden.

Unterdessen saßen die Frauen daheim im Kreise der Mägde und drehten die Spindel, oder saßen am Webstuhle, oder führten die Nadel in kunstgerechter Weise. Was die Unterhaltung betraf, so hing es gar sehr davon ab, weß Geistes Kind die Burgfrau eben war. Bei der Einen drehte sich das Gespräch ausschließlich um den großen Haushalt, das Backen, Schlachten, Kochen und Waschen, bei Anderen wurden fromme Reden eingeflochten, Heiligenlegenden und Wundergeschichten vorgebracht, sowie über die Sündhaftigkeit und Gottlosigkeit anderer Menschen der Stab gebrochen, wieder bei Anderen wurde dem Hochmuthsteufel gefröhnt und bei jeder Gelegenheit hervorgehoben, was für vornehme Freunde und Verwandte die Frau besäße und wie sie eigentlich ihrer Geburt nach viel größere Ansprüche an das Leben zu machen habe; kurzum, die 169 menschliche Natur schaffte sich überall Luft und kam gar häufig in ihrer Einseitigkeit und Beschränktheit zum Durchbruch. Natürlich gab es größere und kleinere Familienfeste, zu denen Verwandte und Freunde geladen und reichlich bewirthet wurden; dann fand wohl auch in größeren Zwischenräumen irgendwo in der Nähe bei Gelegenheit des Ritterschlages oder eines großen politischen oder religiösen Ereignisses, einer fürstlichen Hochzeit oder Taufe, eine feierliche Zusammenkunft statt, wobei die Damen sich in ihrem höchsten Glanze zeigen und die Herren ihre gegenseitige Kraft und Gewandtheit beim Turniere erproben konnten. Solche Vorgänge boten dann Gelegenheit zu Bündnissen, Verlobungen und Verabredungen aller Art, die meistens in gar nicht sehr romantischer, sondern sehr nüchterner und geschäftsmäßiger Weise getroffen wurden.

Guntram war noch jung und liebte das Wandern, weil es ihm Anregungen gewährte. Wohl hatte er bereits längere Zeit an diesem oder jenem größeren Hofe geweilt, aber immer wieder war der Trieb zum freien Schweifen von Ort zu Ort in ihm mächtig geworden und hatte ihn weiter geführt. Wußte er doch, daß er sicher sein durfte, jede Nacht unter einem gastlichen Dache schlafen zu dürfen und Tage und Wochen lang als gerngesehener Gast auf den schön gelegenen und mit allen Lebensbedürfnissen reich versehenen Burgen zubringen zu können. Da gab es nicht nur schwelgerische Bewirthung, sondern auch reichliche Gewandung, huldreiche Blicke, süßes Lächeln und manche verstohlene Gunstbezeigung von schönen Frauen. Diejenigen Burgfrauen, denen der Geist des Minnegesangs aufgeschlossen war, zeigten sich größtentheils mehr oder minder 170 zugänglich für die Huldigungen der wandernden Sänger, und selbst mancher junge Ritter von höherer Geistesanlage versuchte sich nur darum in der Kunst der Poesie, weil es bereits bei vielen Frauen Gebrauch geworden war, den zierlichen Spielereien mit geistreichen Wendungen und höfischen Reimereien den Vorzug vor der körperlichen Kraft und Gewandtheit zu geben.

Die Burgfrau von Buchenstein gehörte nun zwar zu denjenigen Damen, welche schlicht und einfach an der Seite ihres tapferen Mannes ihre Pflicht erfüllten, aber sie wußte doch, daß sich eine tugendhafte Frau von Zeit zu Zeit einen kleinen Ausflug auf das Gebiet höfischer Kunst und Galanterie gestatten dürfe, schon aus dem Grunde, weil man mitsprechen mußte, wenn man gelegentlich einmal mit den großen Weltdamen und Beschützerinnen der schönen Künste zusammentraf. Da ihr Mann den zarten Liebhabereien seiner Frau nicht schroff entgegentrat, gestattete sie sich zuweilen diese kleinen Zerstreuungen, wie sie die Anwesenheit des Herrn Guntram jetzt wieder bot.

Der Besuch des Junkers von Kalmburg mit seinem bereits vortheilhaft bekannten Freunde wurde freundlich aufgenommen, denn Herr von Buchenstein hatte aus den Vorfällen und Verhandlungen wegen des Ueberfalls hinlänglich ersehen, daß der junge Dietmar von seinem tölpelhaften Verwandten Udo damals verleitet worden war. Der Buchensteiner war überdies ein Jugendfreund von Dietmar's Vater, mit welchem er als Edelknabe am Hofe des Landgrafen von Thüringen gedient hatte. Er kannte genau die Familienverhältnisse, und der ewige Geldmangel auf Kalmburg war ihm kein Geheimniß, aber bei der 171 Angelegenheit des Ueberfalls hatte er nach ritterlichem Brauche handeln müssen. Jetzt drückte er Dietmar kräftig die Hand. Die Sache wurde zwischen ihnen nicht weiter erwähnt, und der Junker erklärte dem Burgherrn die Veranlassung zu seinem Besuche, indem er demselben Alles mittheilte, was sich auf seinen Freund Heinrich und das Anerbieten bezog, welches der heitere Guntram dem alten Konrad gemacht hatte.

Nun galt es, die beiden jungen Männer, welche die Reise nach der Burg des Grafen Lupesch zusammen antreten wollten, mit einander bekannt zu machen. Dies geschah im Gemache des Burgherrn mit allen üblichen Förmlichkeiten; aber während es sonst gewöhnlich längerer Zeit bedurfte, bevor solche neue Bekanntschaften einen etwas vertraulicheren Charakter annahmen, entwickelte sich zwischen Guntram und Heinrich sofort ein herzliches Verständniß, und der gutmüthige Junker Dietmar bemerkte mit einiger Betrübniß, daß zwischen jenen beiden sich rasch ein anderes Band geistiger Zusammenhörigkeit entwickelte, als zwischen ihm und Heinrich. Aus Dankbarkeit für die wohlgemeinte Brüderlichkeit des biederen Junkers hatte Heinrich an dessen Liebhabereien Theil genommen und ihn nie fühlen lassen, wie wenig er bei ihm Verständniß für seine eigne Natur fand; dies Alles wurde dem einfachen Dietmar nun plötzlich klar, und so sehr sich Herr von Buchenstein bemühte, den Sohn des Nachbarn gut zu unterhalten, blieb dieser doch zuerst einsylbig, denn es that ihm leid, daß er dem Freunde seiner Jugend nicht nur räumlich ferne gerückt werden sollte, sondern daß er ihm eigentlich, wie er nun einsah, geistig stets fern gestanden hatte.

172 Dietmar's Stimmung schlug jedoch in kurzer Zeit um, als die Herren zum Abendbrote gerufen wurden und in der Halle mit der Burgfrau und Jungfrau Mechthilde zusammentrafen.

Als damals Dietmar mit Herrn von Brachfeld gefangen eingebracht wurde, hatte Mechthilde ihn von einem verborgenen Fenster der Kemenate aus gesehen und sich ganz heimlich bekennen müssen, daß er ein blühend hübscher Junker von kraftvoll gedrungener Gestalt war. Nun trat er ihr als Gast des Hauses entgegen, und die Sitte verlangte, daß sie ihm nach dem Beispiele der Mutter freundlich entgegenkam und einige begrüßende Worte sprach. Sie wollte dies mit möglichster Unbefangenheit ausführen, aber als sie ihm in die treuherzigen blauen Augen sah, gerieth sie in Verwirrung und schlug tieferröthend ihre Blicke zu Boden. Wie hätte es ihr aber auch entgehen können, daß der lebenskräftige junge Mann, dessen Herz so unverhohlen aus den Augen sprach, ganz entzückt von ihrer Erscheinung war, und wenn sie es nicht wußte, daß ihr anmuthiges Köpfchen mit den sanften Rehaugen, dem lieblichen Munde und den schweren braunen Flechten blumenhaft auf dem zarten, von weißer Krause umschlossenen Halse ruhte, so mußte sie wenigstens aus den leuchtenden Blicken und dem lächelnden Munde des vor ihr stehenden Jünglings erkennen, wie versunken und begeistert er vor ihr stand. Frau Marianne war viel zu eifrig mit der Begrüßung des geistreichen Heinrich beschäftigt, und der Burgherr hatte viel zu viel mit den Dienern über die Weinkrüge und Humpen zu reden, als daß eins von beiden die Ueberraschung und Verlegenheit der jungen Leute bemerkt hätte. Bei Tische 173 saß selbstverständlich Junker Dietmar zwischen der Frau und der Tochter des Hauses, während an Mariannens anderer Seite der Burgherr saß. Heinrich und Guntram saßen den Herrschaften am nächsten, und das Burggesinde, der Kaplan an der Spitze, reihte sich zu beiden Seiten der Gäste an.

Nichts lag der Natur des guten Dietmar ferner als Gefühlsseligkeit. Während er innerlich überzeugt war, daß Mechthilde das reizendste und liebenswertheste Wesen auf Erden sei, brachte er doch nur eine nothdürftige Unterhaltung zu Stande. Die Burgfrau dagegen war sehr gesprächig und ließ es sich angelegen sein, Dietmar's Ansichten über die verschiedensten Dinge zu erforschen. Nach kurzer Zeit wußte sie, daß er nicht viel anders war wie die meisten jungen adligen Herren, aber sie erkannte zugleich die Lenksamkeit und Treue seines Gemüths. Inzwischen hatte der muntere Guntram sich zum Mittelpunkte der Unterhaltung gemacht, und da er an Heinrich und den Frauen Unterstützung fand, bewegte sich das Gespräch fast ausschließlich auf den Gebieten des höfischen Lebens. Namentlich pries der Sänger die herrlichen Tage, welche er am Hofe des Herzogs von Oesterreich verlebt hatte, und die Frauen lauschten nach und nach mit der größten Aufmerksamkeit den Schilderungen, welche er von dem dortigen Treiben gab. Ein ruhiger Beobachter würde allerdings bemerkt haben, daß die holdselige Mechthilde zuweilen etwas zerstreut war und manchmal ganze Sätze des redseligen Sängers überhörte. Frau Marianne warf wiederholt Fragen ein über die neuesten Kleidermoden der vornehmen Damen. Auch erkundigte sie sich, ob noch nichts gegen den 174 frechen Luxus der Bürgerweiber und ihrer Dirnen in den Städten von Seiten der Obrigkeiten geschehen sei. Sie hielt das Einschreiten für höchst nothwendig und gerieth in sehr unedlen Zorn, als sie davon redete, daß die Edelfrauen in vieler Hinsicht nichts mehr vor den gemeinen Weibern der Kaufleute voraus hätten.

Als das Mahl beendet war, zogen sich die Frauen mit dem Burggesinde zurück und die Herren blieben wie gewöhnlich beim Weine sitzen. Es machte sich nun ganz von selbst, daß Guntram und Heinrich sich in ein gelehrtes Gespräch vertieften, während der Burgherr und Dietmar auf die Verhältnisse in der Kalmburg zu reden kamen. Durch den Eindruck, welchen Mechthilde auf den Junker hervorgebracht hatte, befand sich derselbe bereits in erregter Stimmung, der Genuß des Weines trug noch dazu bei, ihn mittheilsamer zu machen, und so schüttete er denn sein Herz aus und erzählte dem Ritter Alles, was sich auf der Burg zugetragen und welchen schändlichen Plan Herr von Brachfeld ausgedacht hatte. Das war Wasser auf des Ritters Mühle und zugleich dauerhafter Kitt, um die Freundschaft zwischen ihm und dem Junker zu befestigen. Letzterer fühlte bald, daß es ihm ebenso erging, wie seinem Freunde Heinrich mit Guntram. Der Ritter von Buchenstein trat ihm rasch näher, weil sie gegenseitig das richtige Verständniß für die eigne Natur fanden. Noch an demselben Abend wurde ein Racheplan entworfen. Am folgenden Tage wollte der Buchensteiner mit Dietmar zu einigen benachbarten Burgherren, namentlich zu seinem Schwiegersohne, dem Herrn von Maltheim, reiten und mit ihnen gemeinschaftlich Verabredung treffen. An demselben Tage, an 175 welchem Guntram und Heinrich aufbrachen, sollte dann ein Zug von etwa drei oder vier Herren und einem Dutzend Knechten nach der Kalmburg hinüberreiten. Große Schwierigkeiten konnten nicht entstehen, da Dietmar's Anwesenheit den sofortigen Einlaß und den Gehorsam der Kalmburger Burgknechte bewirken mußte. Dann wollte man den sauberen Herrn Udo mit seinem Anhang festnehmen. Die Knechte sollten die Knechte, die Herren den Herrn gehörig durchprügeln, wie es ihnen standesgemäß zukam, dann wollte man sie eine Nacht festsetzen und am frühen Morgen einfach davon jagen. Wenn Dietmar darauf in Zukunft sich zu den befreundeten Nachbarn hielt, war er mit seiner Mutter außer Gefahr, und der Buchensteiner wollte die Verantwortung bei dem Vater schon übernehmen, den ungetreuen Vormund gezüchtigt und davon gejagt zu haben. Dietmar war nicht nur mit Allem einverstanden, sondern förmlich begeistert für den kühnen Plan des ihm so wohl gewogenen neuen Freundes.

Dieser ärgerte sich inzwischen darüber, daß die beiden Schreiberseelen nicht recht Bescheid thun wollten und seiner Ansicht nach lächerlich wenig tranken, wogegen er dem Junker das Lob ertheilen mußte, daß er seinem Stande auch in Bezug auf das Trinken Ehre mache. In Dietmar's Kopf begannen übrigens die Begriffe sich bedenklich zu verwirren; zuweilen wußte er nicht mehr recht, ob nicht hier und da das lächelnde Gesicht der lieblichen Mechthilde durch eine Thürspalte oder zwischen einer Gardine hervorluge. Zuletzt gestand er diese Vermuthung dem alten Ritter ein und knüpfte daran eine unzweifelhafte Darlegung seiner Herzensangelegenheit in Bezug auf die Jungfrau.

176 Der Burgherr gestand ganz offen, daß er seine Tochter zwar viel besser versorgen könne, aber da er selbst reich, der Junker von Kalmburg überdies der Sohn des nächsten Nachbarn und Jugendfreundes sei, so habe er nichts gegen die Sache einzuwenden, vorausgesetzt, daß Dietmar zuvor den Ritterschlag erhalte. Die Stimmung war bei beiden Herren bereits derart gehoben, daß sie sich im Voraus als Schwiegervater und Schwiegersohn die Hände drückten. Das war aber auch das Letzte, dessen sich Dietmar am andern Morgen entsinnen konnte, und er erfuhr nur durch seinen Freund Heinrich, daß er noch mancherlei wirre Reden geführt und zuletzt gejubelt und gesungen habe, bis der Freund, vom Burgherrn aufgefordert, den schwer Bezechten zur Ruhe brachte, um ihn in den hellen Morgen hinein ungestört schlafen zu lassen.

Während zwischen Biso von Buchenstein und Dietmar von Kalmburg an diesem denkwürdigen Abend die wichtigsten Lebensfragen besprochen wurden, fand auch zwischen dem ehemaligen Klosterschüler Heinrich und dem wandernden Minnesänger Guntram ein Gespräch statt, dessen Inhalt für die geistige Anschauung des ersteren von Einfluß war. Heinrich hatte durch den Mönch Eulogius mancherlei Aufschlüsse und Belehrungen in Bezug auf die Sprachwissenschaft und die poetischen Schätze alter und neuer Völker erhalten, aber in Guntram trat ihm nun zum ersten Male ein lebender Dichter entgegen. Oft hatte ihm Eulogius von den deutschen Minnesängern erzählt, aber geringschätzig ihres lockeren Lebens und ihrer oberflächlichen Kenntnisse gedacht. Dem gelehrten Mönche galt nur eine schulgerechte, auf die alten Sprachschätze begründete Bildung, das Andere 177 erschien ihm als Tand. Der frische lebenslustige Sänger, der die blaue Blume der Sehnsucht hoch hielt, ohne sich in finstere Klostermauern zu verschließen, sondern frei wie der Vogel in der Luft und ledig aller irdischen Sorgen durch die Welt streifte, überall gern gesehen und gastlich aufgenommen, kein frohes Abenteuer verschmähend, dabei aber dem Gemeinen abhold, brachte Heinrich nun ein ganz neues farbenreiches, schillerndes Bild vor die Seele. Er fühlte sich zu dem neuen Bekannten aufrichtig hingezogen, und wenngleich er das Gefühl hatte, daß die tiefernste Grundlage seines eignen Wesens sich niemals jene leichte Auffassung der Dinge zu eigen machen werde, war er doch kein derart abgesagter Feind heiterer Lebensanschauung, um sich der Einwirkung absichtlich zu entziehen, welche die neue Bekanntschaft auf ihn ausübte.

Mit größter Aufmerksamkeit hörte er die Schilderungen von dem Leben am Hofe des Herzogs Leopold von Oesterreich, der sich zum neuen Kreuzzuge mit dem Kaiser bereits gerüstet hatte, sowie von anderen süddeutschen Höfen, an welchen man die schöne Kunst des Gesanges hegte und pflegte. Seine lebhafte Fantasie folgte den ausführlichen Schilderungen überall hin und er malte sich das bunte Treiben an den großen Fürstenhöfen recht anschaulich aus. Aber er konnte nicht umhin, aus allen diesen Mittheilungen sich die Ueberzeugung zu bilden, daß dies Leben und Treiben der umherziehenden Sänger ebenso wie die ritterlichen Bestrebungen an einer gewissen Zerfahrenheit litten, und daß all das Turnieren, Sagen und Singen im Grunde nichts weiter sei, als eitle Spielerei, um die Zeit ergötzlich zu 178 vertreiben und die Tage in vornehmem Müßiggang hinwegzuscherzen.

Lachend mußte Guntram diesen Einwand gelten lassen, und als Heinrich fortfuhr, daß es eine Vergeudung sei, wenn so viel körperliche und geistige Mittel nur zu tändelndem Spiel angewendet würden, kam der Spielmann auf die Bedeutung der blauen Blume zurück. In schönen Worten sprach er davon, wie sich überall eine tiefe Sehnsucht, ein Ringen geltend mache, in dem Streben nach der Vergrößerung des Reiches, welches die Kaiser nach Italien gezogen, wie in dem gewaltigen und großartigen Trachten der Kreuzfahrer, die das heilige Grab den Händen der Ungläubigen entreißen und einem christlichen Herrscher überliefern wollten.

Aber Heinrich schüttelte den Kopf. »Alles dies,« sagte er, »sind doch nur äußerliche Errungenschaften, denen man den Mantel einer tiefen Bedeutung umhängt. Während der Kaiser in Italien kämpft und die Kreuzfahrer nach Palästina ziehen, geht es hier im Reiche kunterbunt zu. Die besten Kräfte werden für fantastische Zwecke geopfert, ohne daß irgend ein wirklicher Erfolg für das allgemeine Wohl erzielt wird. Glaubt nicht, daß ich die Bedeutung der Sehnsucht nach großen Thaten oder nach neuen, die Bildung mächtig befruchtenden, wenn auch nur in der Einbildung bestehenden Gütern verkenne, aber mir scheint, daß die Sehnsucht näher liegende Ziele haben könnte, und daß die Bewohner eines großen und reich gesegneten Landes andere Zwecke ins Auge fassen müßten, als abenteuerliche Züge in ferne Länder, oder gänzliche Entsagung und schwärmerische Hingabe an das Jenseits.«

179 »Nun, nun,« entgegnete lächelnd der Minnesänger, »Ihr wißt so gut wie ich, daß es mit der Entsagung nicht allzu ernst genommen wird. Es kommt eben auf das Kloster an, oder vielmehr auf den Abt, der demselben vorsteht.«

»Das ist eben das Seltsame in unserer Zeit,« erwiederte Heinrich ernsthaft, »daß überall nur auf die Vornehmen und Mächtigen Rücksicht genommen wird. Für wen ist der Erlöser am Kreuze gestorben? Doch, um der Welt zu zeigen, daß auch der arme und niedrig geborene Mensch ein Sohn Gottes ist. Aber seine erhabene Lehre wird durch die geistig höher stehenden Menschen immer wieder zum Vortheil der bevorzugten Stände verdreht. Seht, lieber Guntram, das ist es, was mir Eure Kunst verleidet. Ihr habt die provenzalischen Dichter studirt und ahmt sie nach, aber diese hochgepriesenen Männer haben unser reines Christenthum mit allerlei maurischen Märchen vermischt und für den höfischen Gebrauch zurecht gemacht. Während der unerreichbar gewaltige Kaiser Karl der Große das Licht des neuen Evangeliums überall zu verbreiten suchte, haben die Schmeichler der herrschenden Partei ihn selbst zum Mittelpunkte einer Sage gemacht, die dem eigentlichen Sinne der christlichen Lehre geradezu widerspricht. Der Gottmensch, der in einem Stalle geboren wurde, sein ganzes Leben unter armen Fischern und verachteten Menschen zubrachte und zuletzt denjenigen Tod erlitt, der zu seiner Zeit nur den gemeinsten Verbrechern zuerkannt wurde, soll nun plötzlich durch eine wunderbare poetische Erfindung zum Protector der auserlesensten Paladine gemacht werden. Das Blut, das er am Kreuze vergossen hat, soll von Engeln in einer Schale aufgefangen worden sein, und dieses kostbare Gefäß, 180 der heilige Gral genannt, soll einer Schaar der vornehmsten Ritter, welche der große Kaiser Karl zu seiner Tafelrunde erwählt hatte, ausschließlich zum Symbol dienen. So hat man das kostbare Blut, das zur Erlösung der in Knechtschaft und Sklaverei schmachtenden Menschen vergossen wurde, gewissermaßen denen, für die es bestimmt war, entwendet und den hochgestellten Herren zu allen ihren bereits bestehenden Vortheilen zugewendet. Damit steht es denn auch in Zusammenhang, daß die Früchte der göttlichen Lehre in Rom und Palästina gesucht werden, während sie doch überall in nächster Nähe reifen sollten.«

Mit großem Erstaunen hatte Guntram dieser langen Rede seines neuen Bekannten zugehört. »Fürwahr,« sagte er dann, »Ihr flößt mir große Achtung ein, aber Ihr müßt eigenthümliche Erfahrungen gemacht haben, und habt doch noch so wenig von der Welt gesehen. Man könnte fast glauben, Ihr gehörtet zu einem der ketzerischen Verbände, wie die Waldenser, die ähnliche Ansichten verbreiten, wie Ihr sie hier ausgesprochen habt. Ich bin der Letzte, der Euch übel will, und darum rathe ich zur Vorsicht, denn gerade weil Eure Meinung nicht vereinzelt steht und sich gegenwärtig überall ähnliche Ansichten Bahn brechen, muß man auf der Hut sein, will man sich nicht zwecklos zum Märtyrer einer Sache machen, die vorläufig keine Aussicht auf Erfolg hat. Darum thut Ihr besser, wenn Ihr solche Gedanken in Euer Inneres verschließt.«

Damit endete das Gespräch, oder vielmehr es wurde gerade in diesem Augenblicke dadurch beendet, daß der Herr von Buchenstein mit etwas lallender Zunge den tief in Gedanken versunkenen Heinrich aufforderte, seinen stark 181 bezechten Freund Dietmar zur Ruhe zu bringen. Der Ritter lachte dabei unbändig, schlug mit den Fäusten auf den schweren Eichentisch, daß die Humpen klirrten, und schwur dabei, das müsse anders werden, wenn der Junker erst sein Schwiegersohn sei, denn das Trinken gehöre mit zu den nothwendigen Fähigkeiten eines tüchtigen Ritters.

Die Sitzung wurde also aufgehoben. Dietmar schlief bereits fest, bevor ihn Heinrich mit Konrad's Hülfe entkleidet und zu Bette gebracht hatte. Heinrich dagegen fand erst nach längerer Zeit den Schlaf. Das Gespräch mit Guntram hatte sein ganzes Wesen mächtig aufgeregt, und seine Fantasie war in so ungewöhnlichem Grade thätig, daß er Gestalten aus vergangenen Tagen leibhaftig vor sich zu sehen glaubte. Zuerst war es ihm, als erblicke er seine Mutter, wie er sie so oft gesehen hatte. Das milde schöne Antlitz mit den sanften Augen ihm zugewendet und den Ausdruck innigster und reinster Mutterliebe in den Blicken. Vor der Seele des Sohnes konnte ihr Bild nur wie das einer keuschen Frauenseele erscheinen. Dann sah er statt der Mutter vor seinem Geiste das Bild der kindlichen Jungfrau Gisa, die er einen Augenblick, als sie bewußtlos niedersank, in den Armen gehalten hatte. War es nicht wunderbar, daß diese Erinnerung so lange Zeit in ihm lebendig blieb? Er war doch nicht blind gegen die verlockenden Reize anderer Frauen, und das liebliche Köpfchen der schlafenden Wulfhilde hatte seine Fantasie nicht wenig beschäftigt, aber das Bild der milden und reinen Gisa überstrahlte sie alle. Wie seine Mutter für ihn den Inbegriff des im Leiden verklärten Weibes bildete, so zeigte ihm Gisa das Ideal reinster unberührter Weiblichkeit, und 182 während er sich in die Betrachtung dieser gegensätzlichen und doch im inneren Wesen so nahe verwandten Begriffe höchster Weiblichkeit vertiefte, verschmolzen sich die Bilder, wie er dies früher in träumerischen Visionen öfter erfahren hatte, zu dem hehren Bilde der jungfräulichen Gottesmutter, in welcher alle Freuden und Schmerzen des Weibes vereinigt sind, ohne daß die unberührte Jungfräulichkeit der Seele auch nur durch einen Hauch getrübt ist. Ave Maria! sagte Heinrich unwillkürlich vor sich hin. Bei dem Tone seiner eignen Stimme fuhr er aus dem halbwachen Traume empor und es war ihm, als ginge ein Licht in seiner Seele auf, das ihm die Sehnsucht, von welcher Guntram geredet und die auch sein eignes Inneres erfüllte, anders erklärte. Nicht in fernen Landen, noch in geheimnißvollem Trachten nach bunten Abenteuern konnte sie gestillt werden, sondern in männlichem Streben und Ringen zum Heil der Menschheit. Den Lohn gewährte dann der Besitz einer reinen unentweihten Frauenseele, welche allein im Stande ist, die Sehnsucht des Mannes wach zu erhalten und sie doch fortwährend zu stillen, so daß aus ihr kein brennendes Verlangen nach unbekannten Gütern, sondern ein sanft erwärmendes, stetig fortdauerndes Feuer entsteht, das seine Strahlen sendet in die freundlichen Räume des Hauses und darüber hinaus über das Vaterland, auf die ganze Welt.

Nachdem Heinrich diese Erkenntniß gewonnen hatte, empfand er einen wunderbaren Frieden in seinem Gemüthe, und er schlummerte mit dem festen Entschlusse ein, dem gefundenen Ideale nicht nur für sich nachzustreben, sondern es auch anderen Menschen zu verkündigen in irgend einer 183 Form, die geeignet war, die größten Kreise am mächtigsten zu erfassen.

Herr Biso von Buchenstein befand sich am folgenden Morgen ganz wohl, denn sein Körper war gegen die Einwirkung großer Trinkgelage völlig abgehärtet. Dietmar dagegen empfand die Nachwirkungen des heiteren Abends sehr deutlich, obschon er sich Mühe gab, seine Stimmung zu unterdrücken und möglichst aufgeräumt zu erscheinen. Es war ihm erwünscht, daß für diesen Tag die Besuche in der Nachbarschaft in Aussicht genommen waren, wozu die Pferde bereits gesattelt standen, als er von Heinrich geweckt wurde.

Rasch nahmen die beiden Herren einen Imbiß mit dazu gehörigem Frühtrunk und bestiegen dann die Rosse. Heinrich und Guntram blieben zurück und verabschiedeten sich bis zum Abend von den beiden Reitern. Dietmar's Auge ging suchend von einem Fenster der Kemenate zum andern, bis er wirklich das schüchterne Antlitz der schönen Mechthilde entdeckte. Ein freudiger Strahl überflog seine jugendlichen Züge, während er verstohlen und innerlich beseligt hinaufgrüßte.

Bald hatte ihn die frische Luft von den üblen Nachwirkungen des vergangenen Abends geheilt, und er ging mit fröhlichem Muthe auf die Gespräche und Pläne des Buchensteiners ein. Letzterer besaß mehrere Burgen, und selbst wenn das Erbtheil Dietmar's bei der Rückkehr des Vaters und des Bruders kein beträchtliches war, brauchte er dennoch nicht für die Zukunft zu sorgen. Daß Herr Biso nicht recht an die Rückkehr eines der Verwandten Dietmar's glaubte, sprach er natürlich nicht aus.

184 Ueberall, wohin die Herren zum Besuche kamen, wurden sie sehr gastfreundlich aufgenommen, und der Plan eines gemeinsamen Strafgerichts gegen Udo von Brachfeld fand großen Beifall, denn sämmtliche Ritter sahen darin eine willkommene Abwechslung, ohne sonderlich durch ihr Gerechtigkeitsgefühl bestimmt zu werden. Der ihnen befreundete Buchensteiner war mit Dietmar zu ihnen gekommen, sie um ihre Hülfe zu bitten, das genügte ihnen vollkommen, sie für die Sache zu gewinnen. Selbstverständlich mußte bei jedem Besuche tüchtig getrunken werden, und so war auch dieser Tag wieder dazu ausersehen, den ziemlich unerfahrenen Dietmar in die übliche Lebensweise seiner Standesgenossen einzuweihen.

Inzwischen hatte Heinrich Gelegenheit gehabt, sich mit seinem neuen Freunde Guntram eingehend über Alles zu unterhalten, was sie gemeinschaftlich interessirte. Die häuslichen Geschäfte nahmen die Frauen den Tag über in Anspruch, so daß die beiden Männer auf sich angewiesen waren. Den größten Theil der Zeit verbrachten sie lustwandelnd im Garten der Burg. Da die beiden Naturen vollständig verschieden und doch für dieselben Gegenstände eingenommen waren, mangelte es nicht an Stoff zur Unterhaltung. Der heitere Guntram konnte nicht müde werden, von seinen Erlebnissen zu erzählen. Zwar gehörte er nicht zu den hochgefeierten ritterlichen Minnesängern, die an den großen Höfen gepriesen wurden, aber sein heiterer Sinn und die holden Weisen, die er auf der Fiedel spielte, verschafften ihm viele Freunde. Der ernste Heinrich hörte mit großer Aufmerksamkeit zu und machte bei sich mancherlei Betrachtungen. Daß die fahrenden Minnesänger überall 185 dort, wo sie gut aufgenommen wurden, den ritterlichen Sinn der Herren und die Schönheit und Lieblichkeit der Frauen priesen, während sie die ungastlichen Herrschaften des Geizes und sonstiger Untugenden wegen schmähten, wußte er bereits, und es wurde ihm aus den Mittheilungen seines neuen Freundes aufs Neue klar. Guntram war mit den Lebensschicksalen seiner berühmtesten Kunstgenossen sehr vertraut und berichtete eine Menge Züge, aus welchen hervorging, daß kein Einziger darunter von dem Verdachte des Eigennutzes frei zu sprechen war. Hatte doch selbst Walther von der Vogelweide bei gar vielen Gelegenheiten bewiesen, daß die reichen Geschenke, welche er an verschiedenen Höfen erhielt, seinem poetischen Talente erst den richtigen Schwung verliehen.

Allerdings vergaß Heinrich am Abend, als die beiden Herren in frohem Muthe zurückgekehrt waren und die Frauen sich in der Halle zu ihnen gesellten, alle Bedenken gegen den Stand der Minnesänger wieder und ergötzte sich an der heiteren und bezaubernden Laune seines neuen Freundes. Dieser verstand es meisterhaft, die Stunden rasch verfliegen zu machen, indem er bald heitere, bald wehmüthige Weisen auf der Fiedel strich, bald Lieder hersagte, bald Räthselfragen stellte, welche von den Damen gelöst werden mußten, und die nicht selten Gelegenheit zum Ausbruche lauten Gelächters gaben. Die reizende Mechthilde strahlte in übermüthiger Munterkeit, und der gutmüthige Dietmar, der übrigens von den Anstrengungen und Trinkproben des Tages etwas verwirrt war, konnte seine zärtlichen Blicke fast nicht von den lieblichen Zügen und schelmischen Augen des ausgelassenen Mädchens abwenden.

186 Noch zwei Tage verflossen in gleicher Heiterkeit auf der Buchensteiner Burg. Auch der alte Konrad befand sich wohl dabei, denn er wurde unter dem Gesinde, der vielen Abenteuer wegen, die er zu erzählen wußte, hoch gehalten. Wenn er es mit der Wahrheit nicht sehr genau nahm, entschuldigte er sich damit, daß die Zuhörer es ja nicht anders wollten, denn wenn er ihnen nicht die unglaublichsten, wunderbarsten und schrecklichsten Dinge erzählte, waren sie nicht überzeugt, daß er den Kreuzzug überhaupt mitgemacht habe. Die weit aufgerissenen Augen und offenen Mäuler seiner Zuhörer überzeugten ihn, daß seine Berichte großen Beifall fanden und den Respect vor ihm bedeutend vermehrten. Was kam es also darauf an, da Niemand Schaden damit geschah, wenn er die Wahrheit ein wenig bei Seite ließ?

Der Abschied zwischen Heinrich und Dietmar war aufrichtig und herzlich, denn gerade weil jeder von ihnen gleichsam an der Schwelle eines neuen Lebens stand, das ihn weit von dem Freunde entfernen konnte, blickten sie noch einmal mit wehmüthigem Gefühl auf die Zeit zurück, die sie mit einander durchlebt hatten.

Am frühen Morgen verließen Guntram, Heinrich und Konrad die Burg, da sie den ankommenden Rittern nebst deren Gefolge das Feld räumen wollten. Daß der jugendliche Minnesänger durch seine unverwüstliche Laune die wehmüthige Abschiedsstimmung verscheuchte, war ganz selbstverständlich. Die Damen nickten den Abziehenden von der Laube der Kemenate lachend und scherzend freundlichen Abschied zu. Dann beeilten sie sich, in Küche und Keller die Vorbereitungen für den Empfang der ritterlichen Gäste zu 187 treffen, welche sich zu dem Strafgerichte gegen Udo zusammenfinden wollten.

Wohlgemuth schritten inzwischen die drei Wanderer ihres Weges dahin. Sie hatten Glück, denn ein wunderschöner Tag leuchtete über die Gefilde. Bald ging es an frischgrünen Wiesen vorbei, die von bunten Blumen übersät waren, bald zwischen reifenden Aehrenfeldern und bald über waldige Hügel, aber ob sie munteren Schrittes dahinzogen, oder an frischen Quellen rasteten und die Vorräthe verzehrten, welche die Schaffnerin der Burg Buchenstein dem guten Konrad aufgepackt hatte, immer behielt Guntram seine fröhliche Stimmung und pfiff und sang, oder erzählte und plauderte, daß keine Müdigkeit und Abspannung aufkommen konnte. Sie gelangten Mittags in einen dichten Wald, und da Konrad daran erinnerte, daß sie nicht gar weit von der Klause des Eremiten Eckbrecht entfernt waren, regte sich in Heinrich das Verlangen, diesen treuen Freund seiner Kindheit aufzusuchen. Als Guntram vernahm, um was es sich handle, war er sofort bereit, den Umweg mitzumachen.

Konrad fand auch wirklich den Pfad zu der Einsiedelei. Man erkannte sofort, daß der ehrwürdige Eckbrecht sich wohl in seiner Einsamkeit fühlte, denn er hielt nicht nur die Klause, sondern auch das Gärtchen und ein Stück Ackerland in musterhafter Ordnung. Seine Freude, als er den Sohn der unglücklichen Clara wiedersah, war aufrichtig und herzlich. Er brachte herbei, was er an Speisen und Getränken auftreiben konnte, um die lieben Gäste zu bewirthen. Da Heinrich jedoch das Verlangen trug, ihn einige Zeit ungestört zu sprechen, ging er mit ihm in das 188 Gärtchen, in welchem ein wahrer Blumenflor prangte, und sie setzten sich zusammen auf eine von dichtem Gebüsch umrankte Bank.

Nach Art der Einsiedler, die in jeder Beziehung sich auf die nothwendigsten Lebensbedürfnisse beschränken mußten, hatte Eckbrecht Haare und Bart wachsen lassen und trug eine braune Kutte als einziges Kleidungsstück. Wie wenig der Mensch zum Leben braucht, wenn er sich auf die einfachsten Anforderungen beschränkt, konnte man bei ihm beobachten, und dabei fühlte er sich zufrieden, hegte und pflegte seine Gemüse und Obstbäume, trug Sorge für seine Bienenstöcke, und hatte nicht nur unter den Bauern, die in der Umgegend lebten, sondern auch unter den Thieren des Waldes Freunde, die ihn kannten und aufsuchten. Seine größte Freude waren die Blumen, die er mit großer Sorgfalt zog. Er gehörte nicht zu den Einsiedlern, welche die Einsamkeit erwählten, um sich von jeder Thätigkeit frei zu machen und ein faules Leben zu führen, oder die sich zu Aufwieglern und Verführern des Landvolkes hergaben, um selbstsüchtig die Dummheit und den Aberglauben auszubeuten; in beschaulicher Stille wirkte er zum Segen der umwohnenden einfachen Menschen, während er ein weltabgeschiedenes Leben dem wüsten und aufreibenden Verkehr draußen vorzog. Eckbrecht kannte Menschen und Welt genau, aber weil sein Gemüth unter den vielen Verkehrtheiten, Rohheiten, Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten draußen schwer gelitten hatte, zog er das Leben in und mit der Natur vor. Ihm waren die Genüsse, welche die Welt bietet, nicht die Schmerzen werth, die sie einem zartfühlenden Herzen bereitet. Aber er entzog sich keiner Anforderung, 189 wenn sie als Pflicht der Menschenliebe an ihn herantrat, das hatte er die langen Jahre auf Schloß Sunnera, das hatte er wiederholt in anderer Weise bewiesen. Wie in dem biederen thatkräftigen Konrad, der in treuer Ergebenheit seinem Herrn folgte und nicht hätte leben können, wäre ihm diese Richtschnur für sein Handeln genommen worden, eine Gattung Menschen aus einer Zeit vertreten war, in welcher Recht und Gesetz der Willkür wich, so zeigte Bruder Eckbrecht in der weltverlorenen Hingabe an das Wohl seiner Mitmenschen eine andere Gattung der besseren volksthümlichen Erscheinungen.

Viel und lebhaft redeten die beiden mit einander. Wehmüthige Erinnerungen wurden heraufbeschworen, und der alte Eckbrecht sprach manches kräftige Wort der Ermuthigung. Weder Heinrich noch Konrad hatten von den Bewohnern der Burg Stanz zur Zeit des grauenhaften Mordes mehr gewußt, als die Vornamen der beiden Knaben. Dem Eremiten aber war bekannt, daß Erwin und Egon die Söhne eines Vasallen der Gräfin von Merseburg waren, und er schilderte nun dem Sohne den unerträglichen Zustand des Vaters, als dieser dem abscheulichen Mord nicht nachspüren und ihn rächen durfte, und doch die Urheber und Thäter um sich dulden sollte. Der Zug nach dem heiligen Lande galt dem Grafen als Befreiung von der Qual eines Lebens voll Gram und unlösbarer Widersprüche. Mit einem tiefen Seufzer mußte Heinrich eingestehen, daß der Tod seines Vaters für diesen eine Erlösung gewesen. Noch einmal wallte bei diesem Gespräche das Blut des Jünglings von wildem Hasse auf. Er wollte sofort an das Werk gehen und nicht eher ruhen, bis er die 190 Pflicht der Rache erfüllt habe. Aber der besonnene Greis redete besänftigende Worte und wies darauf hin, daß die Rache in Gottes Hand ruhe und Heinrich vorläufig andere Pflichten zu erfüllen habe. Zwar vermochte er damit nicht, die Gesinnung im Herzen des Jünglings zu ändern, aber er beruhigte ihn doch für den Augenblick, und Heinrich verlegte seine Rachepläne auf gelegenere Zeiten.

Im Verlaufe des Gespräches erkundigte sich Heinrich auch nach dem Zusammenhang zwischen Wulfhilde und dem Hause Kalmburg. Eckbrecht bestätigte die Vermuthung, daß Wulfhilde nicht die Enkelin der alten Gunda, sondern die Tochter einer Schwester von Dietmar's Vater sei. Nach der Geburt des Kindes, welche den Tod der Mutter bewirkt hatte, war der bedauernswerthe Vater dem Wahnsinn verfallen und hatte sein Leben in einer wilden Felsschlucht geendet. Eckbrecht hatte Wulfhildens Mutter begraben und das Kind getauft. Er war der Ansicht gewesen, Gunda habe kein Geheimniß aus der Herkunft des Mädchens gemacht, und war überrascht, zu erfahren, daß das alte Weib ihre besonderen Absichten bei der Verheimlichung befolgt und das Mädchen bei sich behalten habe.

So war diese Zusammenkunft eine neue Quelle von düsteren Erfahrungen und bitteren Gefühlen für Heinrich. Er blickte sich eine Weile um. Er betrachtete die stille, trauliche Klause, die bunten Blumen und reifenden Früchte, er sog den süßen Blumenduft und den frischen Hauch des Waldes ein, er hörte die Stimmen der Vögelschaaren umher und er begriff, daß Eckbrecht den Frieden der Einsamkeit der Welt vorgezogen hatte.

Bald waren die Wanderer wieder unterwegs. Sie 191 legten ein tüchtiges Stück Weges an diesem Tage zurück und langten gegen Abend, wie es Guntram vorhergesagt hatte, bei einer Burg an, wo sie auf des Spielmanns Begehr bereitwillig Aufnahme fanden. Offenbar war auch hier der heitere Sänger ein gern gesehener Gast, und sowohl der Herr der Burg wie dessen Hausfrau freuten sich aufrichtig, ihn nach langer Zeit wiederzusehen, und hießen um seinetwillen auch seine Begleiter herzlich willkommen.

Wie es schien, war Guntram seit mehreren Jahren nicht auf der Burg, welche Dresenau hieß, gewesen; trotzdem versicherte er die schon ziemlich bejahrte Hausfrau und ihre gleichfalls nicht mehr jugendliche und dabei hinkende Tochter, sie erschienen ihm frischer und lieblicher als damals.

Auf Dresenau war Guntram nun in der That bei dem Burgherrn ebenso willkommen wie bei den Frauen, denn der alte Herr Gotthold war seit langer Zeit durch Gicht und allerlei Gebresten an das Haus gefesselt, und da er nicht mehr selbst an Kampf und Abenteuern Theil nehmen konnte, war ihm nichts lieber, als wenn irgend Jemand ihn mit Neuigkeiten aus fremden Ländern unterhalten konnte. Dies kam im Ganzen sehr selten vor, und Guntram bemerkte gar bald, daß er dem gesprächigen alten Herrn eine Menge Ereignisse als Neuigkeiten mittheilen konnte, die anderwärts längst nicht mehr dafür galten.

Dagegen erfuhren die Wanderer selbst eine Neuigkeit, die wiederum die ruchlosen und willkürlichen Ausschreitungen des höchsten Adels im Reiche kennzeichnete. Die Burgfrau war nämlich aus der Umgegend von Eisenach gebürtig und hatte dort vor einiger Zeit mehrere Tage geweilt. Wie bei drückender Schwüle an einem gewitterdrohenden Tage 192 waren die Straßen entvölkert gewesen und die Menschen hatten sich nicht vor ihre Häuser gewagt, weil der Bruder des verstorbenen Landgrafen Ludwig, der rauhe Heinrich, die fromme Wittwe Elisabeth von der Wartburg vertrieben hatte. Als Vorwand gab er an, daß sie durch ihre Neigung zur religiösen Schwärmerei nicht nur ihren Gatten zum Kreuzzuge veranlaßt, sondern auch ihrem Beichtvater, Konrad von Marburg, zu viel Einfluß auf die Angelegenheiten ihres Landes gestattet habe. Elisabeth sah in dem Verfahren des rauhen Schwagers nur eine neue Prüfung von Gott. Die junge einundzwanzigjährige Frau verließ mit ihrem noch nicht ganz vierjährigen Sohne Hermann und zwei noch kleineren Töchterchen die Wartburg. Den Knaben an der Hand, das eine Mädchen auf dem Arm, während eine Wärterin das andere trug, durcheilte sie die Straßen Eisenachs, wo dieselben Bürger, denen sie so viele wohlthätige Stiftungen zugewendet hatte, ihr aus Furcht vor dem Schwager ihre Häuser verschlossen. Zuletzt wurde sie in einem Frauenkloster aufgenommen, wo sie so lange verweilte, bis der Bruder ihrer Mutter, der zu Bamberg Bischof war, sie auf ein sicheres Schloß bringen ließ.

»Und weilt sie noch daselbst?« frug Guntram.

»Der rauhe Landgraf Heinrich sah bald ein, daß er in Elisabeth die ganze kirchliche Partei gekränkt hatte, und rief sie zurück,« ergänzte die Burgfrau ihre Mittheilung; »sie aber hat es vorgezogen, nach dem Geburtsorte ihres Beichtvaters zu ziehen und sich dort ganz frommen Werken der Selbstabtödtung und Menschenliebe zu widmen. So lebt die gottesfürchtige Frau zu Marburg als Musterbild 193 christlichen Wandels, und ihr zarter Leib soll den Kasteiungen und Mühen fast erliegen.«

Nachdem die Burgfrau dies gesagt hatte, ging das Gespräch wieder auf andere Gegenstände über. Auch Heinrich konnte mancherlei Nachrichten über den letzten Kreuzzug einflechten, und da die Burgfrau und ihre Tochter erfreut waren, den sonst ziemlich grämlichen Hausherrn in ungewöhnlich heiterer Laune zu sehen, blieb man den ganzen Abend bei der Unterhaltung über Kriegsereignisse aus der Nähe und Ferne, die allerdings mancherlei Ausschmückungen durch Guntram's Fantasie erlitten, aber den Zuhörern außerordentlich zusagten. Die Wanderer hatten die Absicht, schon am andern Morgen in der Frühe wieder aufzubrechen, um die einige Stunden entfernte Burg Galenberg noch zu erreichen. Die Burgbewohner baten jedoch, noch einen Tag länger zu verweilen und mindestens erst am nächsten Abend die Abreise anzutreten.

So geschah es denn auch. Der Herr und die Frauen auf Dresenau ehrten die Gäste fast wie ihres Gleichen, und auch Konrad wurde bei den Knechten gut gehalten.

Fröhlichen Muthes zogen die drei Wanderer am nächsten Tag gegen Abend von Dresenau ab. Offenbar war es Guntram nicht darum zu thun, noch einen Abend in der Gesellschaft des gelähmten Herrn zu verbringen, was die Bewohner der Burg sehr erfreut hätte.

Zugleich wäre dadurch einer Begegnung vorgebeugt worden, die sich bald darauf ereignete. Kaum waren sie nämlich eine gute halbe Stunde von der Burg entfernt, als sie auf einem Seitenwege mehrere Reiter herankommen 194 sahen. Ganz unbefangen blickten die Wanderer den berittenen Männern entgegen, aber wenn ein unerwarteter Blitzstrahl aus heiterem Himmel herniederfährt, kann die Ueberraschung nicht größer sein, als nun, da Heinrich und Konrad den Ritter Udo von Brachfeld mit seinem Gefolge erkannten. In demselben Augenblicke erkannte auch dieser in den ahnungslosen Wanderern zwei seiner gehaßtesten Feinde. Die Lage der Wanderer, die nur nothdürftig bewaffnet waren, gestaltete sich sofort höchst bedenklich. Mit einem rohen Aufschrei der Wuth spornte der Ritter das Pferd, und seine Knechte thaten es ihm nach. Noch bevor sich Heinrich oder Konrad gehörig zur Wehre setzen konnten, waren sie von den dahersprengenden Rossen zu Boden gerissen.

Im höchsten Grade überrascht und den Zusammenhang gar nicht begreifend, hatte Guntram sein Schwert gezogen und stürzte auf die Angreifer zu. Aber was konnte der schlecht bewaffnete Fußgänger gegen die vor Zorn und Wuth sinnlos um sich hauenden Reiter ausrichten! Dabei schrie Udo fortwährend seinen Leuten zu: »Schlagt sie todt, die Hunde, sie sollen die ersten sein, die uns die Schmach bezahlen!«

Heinrich hatte sich rasch aufgerafft und sein Schwert gezogen, aber bevor er noch um sich hauen konnte, war er selbst getroffen. Die Unholde hatten blindlings dreingeschlagen. Einer der Knechte führte sofort einen so furchtbaren Streich gegen Guntram, daß dieser aus einer schweren Kopfwunde blutend, tödtlich getroffen zu Boden sank. Die Streiche fielen von den Pferden herab weniger sicher, und Heinrich trug nur eine Verletzung davon, die großen 195 Blutverlust verursachte, aber ihm doch die Besinnung nicht raubte, Konrad war nur leicht getroffen worden.

Scheltend und tobend ritten die Bösewichter davon und waren schon weit entfernt, als Konrad seinem zusammengesunkenen Herrn behülflich war, sich ein wenig zu erheben. Glücklicherweise hatte der alte Kriegsmann mancherlei Erfahrungen bei Verwundeten gesammelt und konnte die erworbenen Kenntnisse anwenden, um Heinrich und dem unglücklichen bewußtlosen Guntram Nothverbände zu machen. Nachdem dies geschehen war und er sich selbst einen Lappen um die Wunde gewickelt hatte, eilte er so schnell wie möglich zur Burg Dresenau zurück, um daselbst von dem Vorfall Kunde zu geben und Hülfe zu erbitten. Man war dort nicht wenig erstaunt, den biederen Konrad athemlos, mit Blut bedeckt und mit zerfetztem Rocke, denn er hatte Stücke davon abgerissen, um die Verbände zu machen, anlangen zu sehen. In fliegender Hast berichtete er, was vorgefallen war, und es währte nicht lange, so befand er sich wieder mit einigen Knechten unterwegs, um zu der Unglücksstätte zurückzukehren.

Dort war inzwischen der auf den Tod verwundete Spielmann noch einmal zum Bewußtsein gekommen, aber nur mit einer unklaren Vorstellung von dem stattgehabten Ereigniß. Er murmelte einige Worte, und nachdem Heinrich sich mühsam zu ihm hingeschleppt hatte, sah er ihn groß an und sagte leise, aber doch deutlich vernehmbar:

»Das ist ein Stück, wie sie jetzt im Reiche überall gespielt werden. Wenn das Schwert des alten Kaisers Karl nicht Ordnung schafft, haben wir bald keine Gerechtigkeit mehr!«

196 Es folgten noch unverständliche Worte, krampfhafte Bewegungen des Körpers, weites Oeffnen der Augen, ein tiefer schmerzlicher Seufzer, und dann war Alles still. Der lustige Vogel hatte sein Leben ausgehaucht.

Als Konrad mit den Dresenauer Knechten an der Stelle anlangte, fanden sie einen todten und einen bewußtlosen Menschen. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß Guntram in der That keine Spur von Leben mehr in sich trug, machten sie rasch aus ein paar jungen Stämmen und Aesten eine Tragbahre, auf welcher sie den ohnmächtigen, aber noch lebenden Heinrich zur Burg hinauftrugen. Die Leiche des armen Sängers konnte später abgeholt werden; vor allen Dingen galt es, dem schwer verwundeten Heinrich rasch Hülfe zu bringen.

In der Burg war inzwischen Alles in Bereitschaft gesetzt, um zwei Verwundete aufzunehmen. Die Nachricht, daß gerade der heitere, lebensfrohe Guntram todt sei, rief nicht geringe Betrübniß hervor. Aber die Herrschaft widmete auch dem fremden jungen Manne die sorgsamste Pflege, und selbst Konrad wurde mit Allem versorgt, was zur Behandlung seiner eignen Wunde rathsam war. Durch das jahrelange Siechthum des alten Burgherrn war man auf Dresenau mit Allem wohl versorgt, was zur Krankenpflege gehörte, und auf die Heilung von Wunden war man auf allen Burgen eingeübt. Nachdem daher gute Verbände angelegt und der Kranke in Ruhe gelassen war, durfte man sich der Hoffnung hingeben, jede ernsthafte Gefahr beseitigt zu sehen, wenngleich es immerhin einige Wochen dauern konnte, bevor an die Abreise gedacht werden durfte.

Die Leiche des getödteten Spielmanns wurde unter den 197 Gebeten des Burgkaplans auf dem kleinen Friedhofe der Burg beigesetzt, und die Frauen wußten es zu ermöglichen, daß ihm später ein hübscher Denkstein mit einer Inschrift gewidmet wurde. Auch der lebende Gast lernte inzwischen die milde Gesinnung der Burgbewohner auf Dresenau kennen. Seine Besserung machte die erfreulichsten Fortschritte.

Schon nach wenigen Tagen war die Wunde des alten Konrad so gut in der Heilung begriffen, daß er viele Stunden am Lager seines Herrn zubringen konnte, und der biedere Kriegsmann hielt mit den Ausdrücken seiner Entrüstung über den schändlichen Udo nicht zurück. In seinen Fieberträumen redete Heinrich gar oft von dem Aufenthalte auf der Kalmburg und von Dietmar, der keine Ahnung davon hatte, daß der Freund von den Folgen des Racheactes, welchen die vereinigten Nachbarn richtig ausgeführt hatten, so schwer betroffen worden war.

Hätte Dietmar, der seit dem Besuche auf Buchenstein fast täglich mit den Bewohnern der Burg dort verkehrte und sich dem Zauber, welchen Mechthildens sanfte Rehaugen auf ihn ausübten und gegen den die Burgfrau von Kalmburg nichts einzuwenden hatte, überließ, des Freundes Lage geahnt, wie rasch wäre er zur Hülfe bereit gewesen!

Manchmal schien es Konrad, als rede sein Herr im Fieber, denn oft wiederholte derselbe die Worte:

»Es ist wahr; nur das Schwert des großen Kaisers Karl kann solchem Unfug steuern, und da er todt ist, sollten Andere an seiner Stelle es schwingen.«

»Was redet Ihr da?« entgegnete Konrad. »Das Schwert des großen Karl soll dem Unfug steuern, der in 198 den deutschen Landen herrscht? Ist er denn wirklich wieder auferstanden, wie Viele sagen?«

Heinrich besann sich. Dann sagte er: »Ich wiederhole nur die Worte, welche der Sterbende zu mir sprach, aber mir ist, als hätte auch ich schon gehört, der große Karl sei wiedergekehrt, um die gestörte Ordnung im Reiche herzustellen. Nöthig wäre es, denn nur ein strenges Regiment vermag die schrecklichen Zustände zu bessern.«

Auch der alte Burgherr hatte es mehrmals fertig gebracht, sich trotz seines Siechthums am Lager des Kranken einzufinden. Seitdem Herr Gotthold von Dresenau genöthigt war, still auf seiner Burg zu bleiben und Frieden mit aller Welt zu halten, dachte er zuweilen über dieses und jenes nach, was ihm früher wenig Kopfzerbrechen gemacht hatte. Nicht als ob er die Stürme seines eignen Lebens besonders bereut hätte, aber er urtheilte ruhiger und gab zu, daß die Selbstsucht im Reiche alle Gerechtigkeit zerstöre. Auch mit ihm, der jetzt das Reiten und Streiten lassen mußte, redete Heinrich über die Wirrnisse der Zeit und wiederholte ihm die Worte des sterbenden Guntram.

»Damit hat er das heimliche Gericht der Fehme gemeint,« erwiederte der Burgherr, »die sich im Besitze des Schwertes befinden soll, das Karl der Große einst im Kriege gegen die heidnischen Sachsen gebrauchte. Auf dieses Schwert leisten die Richter den Schwur unerbittlicher Gerechtigkeit, aber das heimliche Gericht kann seinen rächenden Arm nicht weit ausstrecken, und die Gesetzlosigkeit nimmt allenthalben überhand.«

»Also muß die Gerechtigkeit sich verbergen und unter 199 dem Schleier des Geheimnisses ihren Arm ausstrecken, um die Schuldigen zu erreichen?« seufzte Heinrich.

»Nicht nur die Gerechtigkeit,« entgegnete Herr Gotthold, »sondern Zucht und Sitte müssen sich vorsichtig zurückhalten, da nur die Zügellosigkeit und Frechheit zu Ehren kommt. Die ehrlichen Leute scheuen sich, als solche erkannt zu werden, denn die Scham der Frauen und der Rechtssinn der Männer sind zum Hohne geworden in der Welt.«

Heinrich seufzte abermals; er fühlte, daß der Alte leider Recht hatte.

Wenige Tage darauf konnte Heinrich das Lager verlassen und wollte sich nun sofort mit Dank von den Burgbewohnern verabschieden, aber sie riethen ihm, sich noch kurze Zeit zu gedulden, da eine längere Wanderschaft leicht Gefahr bringen konnte. Er fügte sich, aber er sehnte doch mit Ungeduld den Tag herbei, an welchem er aufbrechen und seinem Ziele näher gelangen könne, denn er wollte gerade in solcher Zeit das ihm vom Vater zugedachte sichere Erbtheil nicht verloren geben.

Die herzliche Theilnahme, die ihm auf Dresenau zu Theil geworden, hatte ihn überzeugt, daß die Frauen dort zwar nicht glänzen und die Fantasie bestechen konnten, aber die seltene Gabe menschenfreundlicher Gesinnung hegten. Fast nur bei den Unglücklichen, den Armen, Häßlichen und Gebrechlichen entwickelt sich in arger Zeit der Schatz edlerer Empfindung, das erkannte er immer deutlicher, und sein eignes Herz wurde mehr und mehr frei von Bitterkeit über sein Schicksal.

Bevor er Abschied nahm, besuchte er die Stelle, wo der einst so fröhliche und lebensfrische Guntram zur Ruhe 200 bestattet war. Welch eine Fülle ernster Gedanken bestürmte ihn dort! Er gelobte sich, ein hohes Ziel zu verfolgen, unbeirrt und festen Muthes, denn er empfand, daß nur im Ringen und Streben nach großen allgemeinen Zwecken für die Zukunft der Einzelne seine Zeit überwindet. 201

 


 


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