Adolf Glaser
Wulfhilde
Adolf Glaser

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Fünftes Buch.

Wer im Sommer in aller Frühe des Morgens durch Gebirg und Wald schweift, nur weil sein eignes Herz ihn treibt und die thauige Frische ihm wohliger dünkt, als das behagliche Dehnen auf weichem Pfühle, der muß gesund an Leib und Seele sein, denn nichts beweist mehr, daß die Nerven nicht erschlafft und die Muskeln nicht geschwächt sind, als wenn es den Menschen nach kurzer, durch tiefen Schlaf ausgefüllter Ruhe hinaustreibt in die freie Natur, unter das vom Thau der Nacht glänzende Grün, wo die stärkende Luft der Berge die Brust erweitert und Auge und Herz den Athem Gottes von der Quelle trinken. Wie das belebt! Wie das Gefühl der frischen Manneskraft auch die Brust des jugendlichen Wanderers schwellt, der eben zwischen dichtem Waldesgrün auf eine freie Stelle hervortritt, von welcher aus der Blick über ein weites, zwar noch vom leichten Morgennebel wie vom zarten Duft verschleiertes, aber dennoch lachendes und reich geschmücktes Gebiet hinausschweifen und fast bis zu den hohen, schneegekrönten Alpen reichen kann. Der junge Mann bleibt eine Weile stehen und sieht sich um. Fern liegt in seinem Wesen die Art 283 anderer jungen Leute seines Standes und Alters, die nach schwelgerisch verlebten Nächten, von wirren Traumbildern umgaukelt, mit abgespannten Muskeln und umnebeltem Gehirn die kostbaren Morgenstunden verschlafen. Die Kraft und Frische, welche in seinen Adern pulsirt, der offene Blick seiner hellen Augen, der gesunde Athem, der seine breite Brust hebt, alles das giebt den Beweis, daß er glücklich den Gefahren entgangen ist, welche die Jugend entnerven, und daß sein Geist genug in sich befestigt ist, um niemals einem üppigen genußsüchtigen Treiben anheimfallen zu können. Wie der urkräftige Hauch des Morgens, der dort von den fernen, aber doch deutlich sichtbaren Schneegipfeln herabweht, über die waldbedeckten Berge und Hügel in die Thäler und Schluchten eindringt, die Menschen in den Burgen und Hütten neu belebt und die schlechten und verbrauchten Dünste auffängt, so vermag auch ein kernhaftes Menschengemüth, wenn dasselbe hoch genug steht, daß es seine Wirkung weithin tragen kann, mit neuer Kraft und neuem Leben die Welt zu durchdringen und die ungesunden Dünste zu vertreiben.

In dem Kopfe des jungen Mannes, der in einfacher leichter Jagdkleidung, die Armbrust auf dem Rücken, von der väterlichen Habsburg kommend, am Rande des Waldes erscheint, sind in diesem Augenblicke derartige Gedanken nicht vorherrschend. In naiver Unbefangenheit freut er sich des herrlichen erquickenden Morgens, schaut prüfenden Blickes nach den glänzenden Schneegipfeln in der Ferne und überlegt, was er für diesen Tag unternehmen soll. Noch liegt ihm der Ernst des Lebens nicht allzu schwer auf dem Gemüthe, obgleich sein Sinn empfänglich ist für Alles 284 was die Welt und das Herz des Menschen bewegt und obgleich die Erlebnisse seiner Jugend wohl bereits geeignet waren, ihn zum Nachdenken über die Zustände nah und fern anzuregen. Aber die Jugend verlangt ihr Recht, und während der junge Mann das Barett vom Kopfe nimmt, damit die köstliche Morgenluft ihm die Stirne kühle, wendet er den Blick von den großartigen Linien der Alpen, welche geheimnißvoll zu ihm herüberleuchten, auf näher liegende Gegenden. Sein scharfes Auge sucht nach zwei Richtungen die Ferne zu durchdringen.

Dort ist die Richtung nach Zollernburg, wohin nicht nur verwandtschaftliche Gefühle, sondern auch der Zug der Jugendfreundschaft den jungen Grafen von Habsburg lockt. Sein Vetter Friedrich von Hohenzollern, dessen Mutter eine Habsburgerin ist, stand seinem Herzen bis vor kurzer Zeit am nächsten, und die Veränderung, welche inzwischen mit seinen Gefühlen vor sich ging, hat das Freundschaftsband eher noch mehr befestigt als gelockert, denn Rudolf ist eine zu männliche Natur, als daß er sich der Mutter oder der Schwester anvertrauen könnte, und mit den beiden älteren Brüdern hatte er sich nie besonders gut verstanden. Aber dem Jugendfreunde, dem Genossen seiner Knabenspiele, seiner Träume und Hoffnungen, hatte er das zarte Geheimniß anvertraut, welches seit einiger Zeit in seinem Herzen wohnte. Gertrud, die eben erblühende Tochter des wenig begüterten, aber tapferen und strengrechtlichen Herrn von Hohenberg, hatte es dem jüngsten Sohne des im Morgenlande gefallenen Grafen von Habsburg angethan, als sie kürzlich mit ihrer Mutter für mehrere Tage auf der Burg Hohenzollern verweilte. Es war durchaus nichts Seltenes, daß Rudolf seine Tante Clementia besuchte, um 285 mit seinem Vetter Friedrich auf die Jagd zu gehen, denn die beiden jungen Herren waren dieser Liebhaberei leidenschaftlich ergeben, aber in jenen Tagen, während Gertrud mit ihrer Mutter auf der Hohenzollernburg zum Besuche weilte, kam Rudolf täglich dorthin und vergaß merkwürdigerweise gewöhnlich ganz den waidmännischen Zweck seiner Besuche. Gertrud's Mutter und die Gräfin von Hohenzollern lächelten im Stillen darüber, als Rudolf, der früher etwas wild und stürmisch war, jetzt so gern in Gesellschaft der Damen verblieb, und da die jüngeren Schwestern seines Freundes Friedrich sich nicht rühmen konnten, der Vetter habe ihnen sonst viel Aufmerksamkeit geschenkt, so konnte es nicht ausbleiben, daß die Ursache der Veränderung bald Allen kein Geheimniß war. Nur Rudolf selbst hielt an der Ueberzeugung fest, kein Mensch habe eine Ahnung von der Empfindung, die sein Herz mit unbekanntem Zauber erfüllte. Gertrud war inzwischen längst mit ihrer Mutter auf die väterliche Burg zurückgekehrt, und Rudolf hatte das selige Geheimniß seiner ersten Liebe dem Vetter und Freunde in einer Abendstunde anvertraut. Seitdem theilten sich die Wünsche in ihm zwischen Freundschaft und Liebe, denn sein thaufrisches, kraftvolles Gemüth war ganz frei von jeder schwächlichen oder unlauteren Empfindung. Wenn er mit Friedrich wie früher die Wälder durchstreifte, fühlte er sich in dem Gedanken wohl, daß der Freund von seiner Liebe wußte, und wenn er von Zeit zu Zeit die Bewohner der Hohenberger Burg besuchen und in Gertrud's erröthendes Gesicht blicken durfte, fühlte er keinen weiteren Wunsch, als daß sich die Gelegenheit bieten möge, ihr einmal ungestört sagen zu können, wie es ihm um das Herz war.

286 Fast jeden Morgen durchstreifte Rudolf die Umgegend der väterlichen Burg, und die Stunden, welche er so ganz allein in der freien Natur umherstrich, das süße Gefühl ungetrübten Jugendglückes im Herzen, wurden ihm von Tag zu Tage lieber. Oft machte sich der Jubel, der seine Brust erfüllte, in lauten freudigen Ausrufen Luft, öfter noch knüpfte er mit diesem oder jenem Waldarbeiter, Hirten oder Bauern ein Gespräch an, denn er war viel zu glücklich, um hochmüthig zu sein, und der biedere Sinn, welcher alle Bewohner der Schweiz von jeher kennzeichnete, zeigte sich auch bei ihm in einer gewissen Leutseligkeit, welche seiner Würde nicht im Geringsten Eintrag that.

Rudolf war ein schöner junger Mann, wenngleich seine Züge nicht jene glatte Gefälligkeit besaßen, welche rasch einnimmt. Der energische Schnitt des Gesichtes, der helle kluge Blick seiner Augen und eine gewisse freimüthige Herzlichkeit des Wesens gewannen ihm überall das Wohlwollen verständiger Menschen. Seine beiden älteren Brüder, die ihm an Geistesgaben nachstanden, waren verheirathet und pflegten sich als gute Hausväter auf den Besitzungen, die ihnen gehörten. So war der jüngste Sohn eigentlich Herr der Burg, obgleich die Mutter nach dem Tode des Gatten unter der Vormundschaft ihres Bruders, des Grafen von Kiburg, stand.

Bei dem einfachen, geregelten und sich immer gleichbleibenden Leben auf der Burg hatte sich Rudolf in so vortheilhafter Weise entwickeln können, wie es geschehen war. Wohl blitzten ihm durch die Gedanken zuweilen thatkräftige Pläne von Vergrößerung seiner Hausmacht, und manchmal sogar, wenn er sich beim Anhören von 287 Nachrichten über die Zustände des Reiches angewidert fühlte, verstieg sich seine Entrüstung bis zu dem Wunsche, einmal ein ernstes Wort mit darein reden zu dürfen, aber sein jugendliches Herz und sein lebenslustiger Sinn schweiften noch zu leicht ab von solchen gewichtigen Fragen, und im nächsten Augenblicke schien es ihm wieder, als wenn Freundschaft und Liebe die beiden wichtigsten Hebel in seinem Leben bildeten.

Mit kräftigen und doch durch seine innere Stimmung beschwingten Schritten verließ er nun die Lieblingsstelle seiner frühen Wanderungen am Abhang des Berges und ging dem Thale entgegen, wo aus einzelnen Hütten der Rauch emporstieg und die Menschen ihren Geschäften nachzugehen begannen. Rudolf war ein ganz gesunder Mensch, und so machte sich denn auch in der frischen Morgenluft bei ihm das Bedürfniß nach einem Imbiß geltend, den er sonst gewöhnlich in der Jagdtasche bei sich trug. Heute hatte er diese Vorsicht außer Acht gelassen, und es wäre ihm doch verdrießlich gewesen, jetzt schon wieder umzukehren. Aber da gab es Rath. Wo die Landstraße vorüberführte, war eine Herberge, schlicht und einfach, nur für die Bedürfnisse der vorüberziehenden Wanderer eingerichtet. Das schmucklose Häuschen war bis zum Strohdache mit dichtem Weinlaube umzogen, ein Gärtchen mit buntem Blumenflor davor, und dahinter der kleine Hof mit den Stallungen, aus denen es grunzte und blökte, während Tauben und Hühner draußen gravitätisch umherschritten. Der Aufenthalt im Innern der Hütte war nicht besonders einladend, aber im Sommer blieb man draußen, wo sich Tisch und Bank befanden. Rudolf kannte die Herberge, 288 wenngleich er bis jetzt noch nicht die Gastlichkeit des Wirthes erprobt hatte. Er trat nun näher, und da er einen Dominicanermönch vor dem Hause am Tische sitzen sah, sprach er den üblichen Gruß: »Gelobt sei Jesus Christus!« und setzte sich, nachdem jener erwiedert hatte: »In Ewigkeit, Amen!« zu ihm auf die Bank.

In seiner freundlichen Weise begann der junge Graf mit dem Mönche ein Gespräch von ganz allgemeinem Inhalt, aber dasselbe wurde bald unterbrochen, als der Wirth aus dem Hause trat, um dem Mönche einen Napf mit dampfender Speise zu bringen. Sobald der Herbergsvater den jungen Grafen erblickte, war er überrascht und erfreut. Er begrüßte ihn ehrfurchtsvoll und sprach sofort sein Bedauern darüber aus, daß er nichts im Hause habe, was er einem so vornehmen Gaste vorzusetzen wagen dürfe.

»Ei was, Mann,« entgegnete Rudolf, fröhlich lachend, »sehe ich nicht, daß Du dem frommen Bruder hier eine Morgensuppe oder was es sonst ist, gebracht hast? Willst Du mir das verweigern, was Du dem heiligen Manne gewährt, oder glaubst Du, mein hungriger Magen könne warten, bis Du ein Wildpret erjagt oder irgend eine kostbare Speise aus der Ferne herbeigeschafft hast? Mit Nichten! Die frische Morgenluft ist für einen unverdorbenen Gaumen die beste Würze, und ich trage wirklich Verlangen nach der Kost, die Du dem geistlichen Mann vorgesetzt hast.«

»Es ist nur schlechtes Hafermuß,« entgegnete der Wirth, der nicht begreifen konnte, daß der junge Graf so etwas zu sich nehmen wolle.

»Hafermuß mag es sein,« erwiederte Rudolf, »aber schlecht ist's gewiß nicht, denn wie ich sehe, schmeckt es dem 289 frommen Bruder ganz vortrefflich. Gieb mir also nur mein Theil davon und überlaß es mir, wie ich darüber denke.«

Inzwischen hatte der Dominicaner zu essen begonnen, nachdem er vorher das Zeichen des Kreuzes gemacht und leise ein kurzes Gebet gesprochen. Der Wirth ging in das Haus und brachte bald darauf einen Napf des dampfenden Mußes nebst einem Löffel für den jungen Grafen. Bald waren die beiden hungrigen Wanderer nur mit dem Essen beschäftigt. Der Wirth ging ab und zu und freute sich der offenbaren Zufriedenheit des vornehmen Gastes.

»Das hat köstlich geschmeckt!« sagte dieser, als er den Napf vollständig geleert hatte, und setzte vergnügt hinzu: »Siehst Du, Mann, Hunger ist der beste Koch. Wer krank ist oder übersättigt von stark gewürzten Gerichten, mag solche einfache Kost verschmähen. Mir aber hat sie vortrefflich gemundet und ich will Deine Gastlichkeit überall rühmen.«

Der Wirth schmunzelte, strich die Münze ein, die ihm der Graf auf den Tisch legte, und ging vorläufig wieder in das Haus. Rudolf blieb noch bei dem Mönche sitzen, denn es dünkte ihm gar behaglich, eine Weile in die Gegend hinauszublicken.

»Wie ich höre,« begann der Dominicaner, »seid Ihr der junge Graf von Habsburg. Ihr werdet Gäste treffen, wenn Ihr nach Hause zurückkehrt.«

»Wie meint Ihr das, ehrwürdiger Bruder?« frug Rudolf.

»Eine Strecke von hier,« versetzte jener, »begegnete ich mehreren Reitern, einem königlichen Boten und seinem 290 Gefolge, welche auf die Habsburg zogen. Es war auf der großen Heerstraße und sie ritten eine Weile im Schritt, so daß ich nebenher gehen und mit ihnen plaudern konnte. Dann bogen sie ab, um auf kürzerem Wege die Burg zu erreichen. In diesem Augenblicke sind sie wohl schon dort angelangt.«

Verwundert entgegnete Rudolf:

»Ihr sagt, daß es ein königlicher Bote gewesen sei? Habt Ihr nicht vernommen, was er bringt?«

»König Heinrich will sich der deutschen Herren versichern,« versetzte der Mönch, »für den Fall, daß es zwischen ihm und dem Kaiser zum Kriege kommt.«

»Zwischen dem Sohne und dem Vater?« rief erschreckt der junge Graf.

»Der Kaiser ist schon unterwegs und soll die Alpen bald überschreiten,« versicherte der Mönch, »denn er ist gewillt, das Regiment im deutschen Reiche selbst zu übernehmen. Es gefällt ihm nicht, daß der Sohn nach Willkür schaltet und waltet, obgleich er selbst sich in seinem sicilianischen Stammlande wenig Schranken auferlegt. Darin sind die weltlichen Großen wenig unterschieden. Der eigentliche Grund, daß der Kaiser gegen seinen Sohn einschreiten will, liegt denn auch tiefer und hängt mit dem Kampfe zusammen, den Friedrich gegen die Macht des heiligen Vaters führt.«

»Soll denn dieser Kampf bis in alle Ewigkeit fortgeführt werden?« rief Rudolf aus. »Friede ernährt, Unfrieden verzehrt! Sehen denn das die beiden Gegner nicht ein? Denken sie denn nicht daran, daß dieser ewige Krieg alle Ordnung in der Welt zerstört? Auch ich liebe den 291 Kampf und nehme gern mein Theil auf mich, aber was Ihr mir da sagt, ruft mir wieder alles Elend in das Gedächtniß, welches diese ewigen Streitigkeiten über das Reich gebracht haben. Kann denn nicht Jeder an seinem Theile dazu beitragen, daß Recht und Gerechtigkeit herrschen und Papst und Kaiser sich vertragen!«

»Das kann geschehen,« entgegnete der Mönch, »wenn die einzelnen Herren zum König Heinrich halten und sich gegen den Kaiser erklären.«

Rudolf schwieg einen Augenblick und sah den Sprecher forschend an. Es wurde ihm klar, daß es fast nur noch Parteigänger in der Welt gab und daß der Dominicaner einen solchen für den Papst abgab. Aber er sah auch ein, daß eben das Streiten der Parteien den Kampf nie zu Ende kommen ließ, und er wollte durch kein Wort sich nach irgend einer Seite verpflichten. Der Mönch fuhr fort:

»Der Kaiser wird sich mit der Schwester des reichen Königs von England vermählen und dann die Mittel haben, um die Großen des Reiches durch glänzende Feste und Auszeichnungen an sich heranzuziehen. Aber er soll nicht vergessen, daß die Kirche ihn schon einmal in den Bann gethan hat und daß ihr die Macht über die Geister gegeben ist, der zuletzt doch nichts widerstehen kann.«

»Armer König Heinrich!« seufzte Rudolf.

»Ihr bedauert den König,« versetzte eifrig der Mönch, »so stellt Euch zu ihm und versucht mit ihm das drohende Unheil abzuwehren. Schon harrt der Bote auf Eurer Burg. Ueberlegt nicht lange und bestimmt Eure Freunde und Brüder, auf die Seite des Königs zu treten. Euer Beispiel wird Nachahmung finden.«

292 »Ihr habt mich mißverstanden, ehrwürdiger Bruder,« antwortete Rudolf. »Ich beklagte den König, weil ich ihn für unrettbar verloren halte. Wohl hat Kaiser Friedrich die furchtbare Macht des Bannes kennen gelernt, und er wird ihre Wirkung zu vermeiden suchen. Aber laßt uns nicht weiter über diese trüben Verhältnisse sprechen. Gerüstet bleibt der Papst, gerüstet der Kaiser, aber jeder von beiden wird dem andern irgend etwas zu Liebe thun, um ihn nicht zum Aeußersten zu treiben. Bei solcher Sachlage hält man sich am besten fern. Meine Brüder werden wenig Lust verspüren, sich an großen Welthändeln zu betheiligen; ich selbst ehre die Kirche und ehre den Kaiser und wünsche nichts sehnlicher, als daß sich beide in Frieden mit einander vertragen mögen. Da seht Ihr wohl ein, daß ich weder für König Heinrich noch für seinen Vater in das Feld ziehen kann.«

Damit erhob sich der junge Mann, grüßte den Mönch ehrerbietig und schlug den nächsten Weg nach der väterlichen Burg ein.

Gleich darauf trat der Wirth aus der Herberge und sagte zu dem Mönche:

»Ist er nicht ein kluger und freundlicher Herr, der junge Graf? Was meint Ihr zu seiner Rede? Ich habe Alles gehört, was er sagte, aber Unsereiner versteht nichts von den Welthändeln und von dem, was Kaiser und Papst untereinander auszumachen haben.«

»Sei froh, guter Freund,« entgegnete der Mönch, »daß Du Dich nicht um Kirche und Reich zu bekümmern hast. Du lebst sorglos Deine Tage dahin und weißt nichts von den Angelegenheiten dieser und jener Welt.«

293 »Aber ich lebe doch auch in dieser Welt und hoffe dereinst auf den Himmel,« meinte der Wirth.

»Wohl, wohl,« entgegnete der Mönch, »aber Deine irdische Sicherheit liegt in den Händen der weltlichen Macht und Deine himmlische Hoffnung in den Händen der Kirche.«

»So heißt es also, fein stille sein und sich gehorsam fügen, die Steuern hier, die Zehnten dort zahlen, Frohndienste thun und fleißig die Messe hören,« seufzte der Wirth; »aber wo soll man Zeit und Kräfte hernehmen, um dies Alles auszuführen, namentlich in Zeiten, wo die Abgaben verdoppelt werden und man kaum soviel übrig behält, um sich und die Seinigen zu nähren und zu kleiden?«

»Man muß auf den Herrn vertrauen, der im Himmel wohnt,« sagte der Mönch, indem er sich erhob, um seinen Weg fortzusetzen; »was ist alles irdische Leid, Noth und Drangsal im Vergleich zu den himmlischen Freuden, die unvergänglich sind? Und die Kirche hat die Macht, Sünden zu vergeben und diese Freuden zu versagen oder zu gewähren, je nachdem der Mensch in der Zeitlichkeit ihren Willen thut. Vergiß das nicht und nimm meinen Segen als Dank für die gereichte Speise.«

Damit erhob er zwei Finger der rechten Hand, machte das Zeichen des Segens gegen den sich tief verneigenden Wirth und schlug den entgegengesetzten Weg ein, den Rudolf gegangen war. Der Wirth sah ihm lange nach.

Rudolf war inzwischen mit eiligen Schritten zur Burg gelangt und erfuhr daselbst sofort, daß Gäste angekommen seien. Er verfügte sich zu seiner Mutter in die Kemenate, um mit ihr Rath zu halten, denn so jung er war, begriff er doch die Wichtigkeit der Angelegenheit, welche durch die 294 Ankunft des königlichen Boten zur Verhandlung kommen sollte. Gleich ihm war die Mutter von einfachen Sitten und schlichter Denkungsart, aber doch auch von starkem Gefühl der Selbstständigkeit. Noch bevor man ihr die Ankunft der Fremden hatte melden können, war sie durch einen Zufall dem Boten selbst begegnet.

Gräfin Luitgard von Habsburg war nämlich eine sehr fromme Frau und hielt streng darauf, daß der Burgkaplan an jedem Morgen in der Kapelle eine Messe las, an welcher sämmtliche Bewohner und Dienstleute der Burg Theil nehmen mußten. Daß ihr Sohn Rudolf es häufig vorzog, die Morgenstunden in Wald und Feld zu verbringen und in der freien Luft umherzuschweifen, war nicht ganz nach ihrem Sinne, aber da er ihren Willen sonst ehrte, auch häufig zur Messezeit wieder zu Hause war, oder erst nach derselben seine Streifereien begann, verzieh sie ihm, und betete, wenn er nicht zugegen war, einige Vaterunser mehr zu seinem Heile. War doch ihre Tochter Gisa ganz nach Art der Mutter, eine fromme züchtige Jungfrau geworden, die ihre Tage in dem gottesfürchtigen Bestreben nach möglichster Heiligung des Gemüthes verbrachte. Beide Frauen theilten sich in die Anforderungen des Haushaltes, und wenn auch Frau Luitgard nicht fortwährend mit den Schlüsseln rasselte und die Knechte und Mägde durch Scheltworte zur Arbeit trieb, so war sie doch mit ihren stillen Augen überall und bewirkte durch sanfte Worte und fromme Ermahnungen mehr, als durch lautes Befehlen und herrischen Ton. Man konnte auf der Habsburg recht deutlich bemerken, wie der Geist, der von der Herrschaft ausging, sich bei allen Untergebenen geltend machte und in wahrhaft patriarchalischem 295 Sinne allen Bewohnern der Burg die Richtschnur für ihr Denken und Handeln gab. Einem schüchternen Rehe gleich war Gisa seit dem Tode des Vaters immer an der Seite der Mutter geblieben, während sie vorher noch ein ganzes Jahr lang bei den Klosterfrauen zu Rheinzell zugebracht hatte. Der Graf hatte nämlich gewünscht, daß seine Tochter eine sorgfältige Ausbildung erhalten solle, und da eine seiner Schwestern Aebtissin zu Rheinzell war, so fand Gisa dort eine sehr liebevolle Aufnahme und wurde von der Strenge des Klosterlebens nicht allzu sehr geplagt. Aus der Zeit ihres Aufenthaltes in der Klosterschule hatte sie mancherlei freundschaftliche Beziehungen zu den Töchtern anderer Burgherren, und auch mit den Nonnen blieb sie in fortwährender Verbindung. Sie hatte von Jugend an mancherlei Fertigkeiten gezeigt und verstand sich namentlich auf die Herstellung kostbarer Stickereien. Auch besaß sie große Fähigkeit im Malen, und ihre bunten Heiligenbilder waren im Kloster berühmt gewesen. Es würde ihr nicht schwer geworden sein, für immer den Schleier zu nehmen, aber als ihr Bruder Hartmann aus dem gelobten Lande zurückkehrte und den Tod des Vaters meldete, verlangte die Mutter ihre Rückkehr, und auch ihr eignes Herz zog sie in die traulichen Gemächer der heimathlichen Burg. Mit der Mutter hatte sie dann das stille Leben getheilt. Die liebgewordenen Beschäftigungen konnte sie beibehalten, und es gab für sie keine glücklicheren Stunden, als wenn sie an ihrem gewohnten Erkerfenster in der Kemenate saß, irgend eine zierliche Stickerei unter den Händen und von Zeit zu Zeit den Blick hinaussendend über Gebirg und Thal, weit, weit in die duftige blaue Ferne. In solchen 296 Augenblicken war es in ihrem Innern so still und feierlich, wie beim Anhören der Messe in der kleinen, durch ihre und der Mutter fleißige Hände schön geschmückten Burgkapelle.

Aus der Kemenate konnten die Frauen sowohl durch die Gänge der Burg, wie auch über den Hof zur Kapelle gelangen, und da der letztere Weg der kürzere war, wählten sie ihn häufig bei gutem Wetter. Auch heute wieder waren Frau Luitgard und ihre Tochter Gisa über den Hof zur Kapelle geschritten, und wie immer hatten beide der heiligen Messe mit aufrichtiger Andacht zugehört. Es war nicht nur der Eindruck, welchen die Bedeutung der gottesdienstlichen Handlung auf Gisa bewirkte, was ihre Seele in solchen Morgenstunden ernsthaft stimmte. Der Aufenthalt an einem Orte, wo bei allen feierlichen Anlässen und Familienereignissen der Segen des Himmels erfleht wurde, bewirkte an und für sich ein Gefühl der Sammlung und Erhebung. Hier waren von jeher die Kinder des Hauses Habsburg in der Taufe zu einem höheren Leben geweiht und der Bund mit Gott später durch den Empfang des Abendmahls bestätigt worden, von hier aus nahmen die zum Kampfe ziehenden Streiter für die Rechte und Interessen des Hauses Habsburg den Segen für ihre Waffen mit, hier wurden die Ehebündnisse geschlossen und hier ruhten in Gott die verstorbenen Glieder der Familie, um dereinst gemeinschaftlich ihrer Auferstehung entgegen zu sehen. Kein Ort in der Welt konnte also auf das Herz der sinnigen Gisa einen ernsteren und feierlicheren Eindruck machen, als die Kapelle der väterlichen Burg, und wenn ihre Gedanken oben am Erkerfenster zuweilen in die Ferne 297 schweiften zu den Wohnungen ihrer Freundinnen, wobei sie dann wohl auch an mancherlei Dinge dachte, die mit den großen Angelegenheiten der Welt und mit den geistigen Bestrebungen ihrer Zeit im Zusammenhang standen, die Morgenstunden in der trauten Burgkapelle führten sie immer wieder zurück zu der sichern Heimathsstätte und weckten stets aufs Neue in ihr das Gefühl der Ergebenheit gegen Gott und der Verpflichtung gegen die Ehre und den Namen ihres Hauses.

Es war selbstverständlich, daß ein so in sich abgeschlossenes Wesen wie es Gisa war, ein Abirren von dem Pfade der Pflicht, wie er ihr durch die Erziehung vorgezeichnet war, gar nicht möglich denken konnte. War sie doch von frühester Jugend an belehrt worden, daß der Mensch seine persönlichen Empfindungen unterordnen und den Geboten gehorchen müsse, welche die Kirche und die Würde der Familie vorschrieben. Was sich von stillen Wünschen im Herzen der Jungfrau regte, kam nicht in Betracht. Mit frommer Duldung hätte sie es hinnehmen und ertragen müssen, wären die Blüthen ihrer Hoffnungen geknickt worden, und es war daher natürlich, daß das Jauchzen ihrer Seele zu einem stillen Dankgebete gegen Gott werden mußte, wenn die Gebote der Pflicht mit ihren eignen Herzenswünschen zusammentrafen. War es da zu verwundern, daß die Ergebenheit in Gottes Rathschluß und das Gebet um seine Gnade einen Hauptinhalt ihrer Gedanken bildete? War es ferner zu verwundern, wenn sie das geringste Ueberschreiten der streng vorgezeichneten Grenzlinie ihrer Pflicht schon für Sünde hielt und ängstlich über ihre Gedanken und Gefühle wachte, damit sie dieser Sünde nicht 298 schuldig würde? Auf der heimathlichen Burg, bei der ernsten Andacht in der Kapelle, zwischen den regelmäßigen Arbeiten für das Hauswesen und während der traulichen Stunden am Erkerfenster verlebte sie Stunden zufriedenen Glückes; sie erwartete ruhig, was ihre Zukunft brachte, da nicht ihr eigner Wunsch, sondern der Beschluß der Familie darüber verfügte.

Als Gisa am heutigen Morgen an der Seite ihrer Mutter aus der Kapelle zurückkehrte, hatte gerade der Burgwart nach kurzem Wechsel von Frage und Antwort das Thor geöffnet, und der Bote des Königs war mit seinen Begleitern eingeritten. Da der Bote in so hohem Auftrage kam, hatte sich ihm die Burg ohne weitere Förmlichkeiten geöffnet, und die Reiter stiegen soeben von den Pferden, als die Frauen über den Hof schritten.

Wie ein Blitz freudiger Ueberraschung fuhr es durch Heinrich's Seele, als er die edle Gestalt der schön entwickelten Jungfrau an der Seite ihrer Mutter erblickte. Mit höflichem Gruße war er stehen geblieben, und die Frauen gingen mit sanftem Neigen des Kopfes vorüber, um in die Kemenate einzutreten. Das ungewohnte Ereigniß, daß eine fremde Botschaft überbracht wurde, hatte sie neugierig gemacht, und mit forschenden Blicken hatten sie den schmucken Anführer betrachtet. Aber keine von beiden erinnerte sich seiner. Wie wäre dies auch möglich gewesen, da er damals, als sie ihn in der Nähe des Klosters Memleben gesehen hatten, die Mönchskutte trug und inzwischen viel größer und stärker geworden war! Wenn auch Gisa den Moment des Abschieds vom Vater nie vergessen konnte, so war sie doch damals viel zu sehr von Leid und Kummer 299 erfüllt gewesen, um für irgend etwas Anderes Aufmerksamkeit zu haben, und das Bild des jungen Mannes, der sie unterstützt und in seinen Armen gehalten hatte, war längst aus ihrem Gedächtnisse entschwunden. Als sie nun in seiner Nähe vorüberschritt, bebte sein Herz freudig auf, aber er ahnte nicht, wie ruhig und gleichmäßig das ihre schlug und wie völlig in diesem Augenblicke ihre Stimmung noch unter dem Einflusse stand, den der Aufenthalt in der Kapelle ausgeübt hatte: Demuth gegen Gottes Rathschlüsse und treue Unterordnung den Geboten der Pflicht gegen das Haus, dem sie angehörte.

Rasch gab Frau Luitgard die nöthigen Befehle, und es währte nicht lange, so waren die Pferde in den Ställen, der Bote des Königs in einem wohl ausgestatteten Gemache und seine Begleiter in behaglichen Leutestuben untergebracht. Während nun auf beiden Seiten die Vorbereitungen getroffen wurden, damit Frau Luitgard den Gast nach Gebühr empfange, kam Rudolf zur Beruhigung seiner Mutter von seinem Morgengange zurück und verfügte sich sofort zu ihr. Es wurde dann eine ernsthafte Berathung abgehalten, bei welcher auch Gisa zugegen blieb. In Folge seines Gesprächs mit dem Mönche konnte Rudolf die Mutter bereits vollständig über dasjenige unterrichten, was sie erwartete. Nachdem dies geschehen war, sagte Frau Luitgard:

»Niemand kann uns zwingen, zu einer Partei zu treten, denn wir sind Herren auf unserm Besitzthume. Es wäre unklug gehandelt, wollten wir der Sache des Kaisers beipflichten, aber noch viel thörichter, wollten wir uns auf die Seite des Königs stellen. Besser, wir wagen die Feindschaft des letzteren durch einen ablehnenden Bescheid, als 300 daß wir die Rache des Kaisers herausfordern. Du weißt, daß Dein Bruder Albrecht seit Jahren an das Siechbett gefesselt ist, er sowohl wie Hartmann, dem seit der Rückkehr von Palästina der Gebrauch des rechten Armes versagt ist, können hier nicht in Betracht kommen, und es wäre also nur möglich, daß Du mit unseren Reißigen dem Könige zu Hülfe zögest. Laß mich Deine Jugend vorschützen, damit wir auf diese Weise der peinlichen Nothwendigkeit einer directen Absage entgehen.«

»Nein, Mutter,« entgegnete Rudolf rasch, »nicht meine Jugend soll den Vorwand geben, denn ich bin alt genug, unsere Mannen zu führen und das Schwert in die Wagschale zu werfen. Offen und rückhaltlos werde ich dem Abgesandten erklären, daß die Grafen von Habsburg mit ihren eignen Angelegenheiten genug zu thun haben und nicht gewillt sind, im Kampfe zwischen Vater und Sohn für eine der Parteien einzutreten. Aber wer ist denn dieser Abgesandte?« setzte er plötzlich hinzu. »Gehört er zu den ritterlichen Herren des Reiches, oder wie ist sein Name?«

»Bis jetzt ist mir sein Name unbekannt geblieben,« versetzte die Gräfin, »und ich weiß nicht, welcher Empfang ihm gebührt. Jedenfalls ist er der Abgesandte des Königs, und als solchen müssen wir ihn ehren, mag seine Herkunft sein, welche sie wolle.«

Eine Stunde darauf befand sich die Gräfin mit ihrem Sohne und ihrer Tochter zum Empfang des Gastes im großen Saale der Burg, der mit Rüstungen, Waffen und Jagdtrophäen wohl ausgeschmückt war. Der Bote des Königs trat ein, begrüßte die Glieder der Familie und richtete seinen Auftrag aus, auf welchen der junge Graf, 301 zugleich im Namen seiner Mutter, in der vorher bestimmten Weise ablehnend antwortete.

Heinrich sprach sein Bedauern und zugleich die Hoffnung aus, daß es ihm noch gelingen werde, die Ansicht der Gräfin und ihres Sohnes umzustimmen. Obgleich Frau Luitgard in ihrer Antwort dies stark bezweifelte, gab sie dem jungen Abgesandten doch die Versicherung, daß ihr sein Aufenthalt auf der Burg sehr willkommen sei. Sie bat ihn, sich es daselbst so lange gefallen zu lassen, als es ihm beliebe.

Es war für Heinrich keine sehr angenehme Ueberraschung, daß der erwünschte Erfolg seiner Sendung schon bei diesem ersten Versuche scheitern sollte, aber da er wußte, daß viele Ritter des Reiches in solchen Fällen spröde thaten und am liebsten sich nur um ihre eignen Angelegenheiten bekümmerten, ließ er sich nicht entmuthigen, sondern hoffte auf die Kunst der Ueberredung. Vorläufig schien es ihm gerathen, vorsichtig den Schein der Zudringlichkeit zu vermeiden, und da die Gräfin mit weiblichem Taktgefühl die Unterhaltung auf gleichgültige Dinge lenkte und ihn über den Verlauf seiner Reise befrug, ging er gern auf dieses Gespräch ein, und es währte nicht lange, so war eine gar freundliche Unterhaltung im Gange.

Während all dieser Zeit hatte Gisa an der linken Seite der Mutter auf ihrem Stuhle gesessen und schweigend angehört, was da verhandelt wurde. Nun erhob sich die Gräfin und forderte den Gast auf, mit ihr und ihren Kindern einen Gang durch den Burggarten zu machen, zu welchem vom Saale aus eine Thür führte. Der Garten war nicht groß, aber die sorgsam gepflegten Blumen 302 verriethen sofort, daß er unter der Obhut zartgesinnter Frauen stand. Schon als die Frauen sich erhoben hatten, richtete Heinrich seine Blicke auf Gisa, und er mußte sich gestehen, daß ihre Schönheit zwar eine ungewöhnliche war, aber doch in ganz anderem Sinne, als sie ihm vor seiner Fantasie lebte. Nicht stolz und nicht kalt, aber regungslos und wie nach innen gekehrt erschien der Ausdruck ihrer Augen, das Lächeln ihres Mundes. Ein langes himmelblaues Gewand umfloß ihren schlanken Körper vom Halse bis zu den Füßen, so daß die Schuhe noch davon bedeckt wurden. Es schmiegte sich nicht allzu eng an die Formen, aber es ließ dieselben doch erkennen. Ein ziemlich breiter Gürtel hing lose um die Hüften und fiel mit seinen Enden fast bis zu den Füßen herab. Da der Empfang des königlichen Boten doch immerhin eine feierliche Veranlassung war, hatten die beiden Frauen ihre Mäntel genommen und von Gisa's Schultern floß ein hellgrauer, mit gleichfarbigen, im romanischen Style ausgeführten Borten besetzter Mantel rückwärts herab. Ihre schönen blonden Haare waren rings um den Kopf lose aufgenommen, während ein breiter Reif, der reich mit Gold und edlen Steinen verziert war, den oberen Theil der Stirne und den Hinterkopf umschloß. Frau Luitgard war ganz ähnlich gekleidet, nur hatte sie die Farben anders gewählt, denn sie trug ein graues Kleid mit rothem Mantel.

Nachdem die vier Personen kurze Zeit in gemeinschaftlichem Gespräche auf den reinlichen Kieswegen des Gartens einhergeschritten waren, wollte es der Zufall, daß Rudolf und seine Mutter in dem Wunsche, nochmals über die Vorschläge des Boten sich auszusprechen, an einer Stelle, von welcher man in das Land hinausblicken konnte, stehen 303 blieben und scheinbar die Gegend betrachteten, während sie im Flüstertone mit einander redeten.

Während dieser Zeit blieb es Gisa überlassen, den Gast zu unterhalten, und sie that dies, indem sie von ihren Blumen sprach, als dem Nächstliegenden. Als sie eine Weile geredet hatte, glaubte Heinrich den rechten Augenblick gekommen, sie an die Vergangenheit zu erinnern und ihr die Begegnung in der Nähe des Klosters Memleben in das Gedächtniß zurückzurufen. Sie erinnerte sich des Tages und der Umstände, und gedachte mit Wehmuth des Abschiedes vom Vater, aber nichts im Tone ihrer Stimme oder im Blick ihrer Augen verrieth, daß sie des Klosterschülers weiter gedacht hatte. Allerdings hatte sich Heinrich während der vier Jahre sehr verändert. Damals ein blasser, halberwachsener Jüngling, war er jetzt in Gestalt und Zügen von mannhafter Erscheinung. Im Wuchse glich er dem Vater und in dem edel geschnittenen Gesichte verschmolz sich der sanfte Ausdruck der Augen seiner Mutter mit einem schwermüthigen Anfluge, der ganz sein eigen war. Der dunkle Bart, der seine Lippe beschattete, harmonirte mit dem Haupthaare, das voll und weich den schön geformten Kopf umwallte. Mit der größten Unbefangenheit versicherte Gisa, daß sie ihn niemals wiedererkannt haben würde. Sie ging dann mit Lebhaftigkeit auf das Leben in den Klosterschulen ein, wobei sie den jungen Mann veranlaßte, ihr von seinem Aufenthalte in Memleben zu berichten, während sie Mancherlei von dem Treiben in Rheinzell erzählte.

Die Strenge, welche in Memleben geherrscht hatte und oft in grausame Härte übergegangen war, war himmelweit 304 verschieden von dem Leben in Rheinzell, wo die Aebtissin zwar eine fromme, aber dabei gutherzige und milde Frau war. Mit aller Genauigkeit war auf die Befolgung der Vorschriften des Ordens gesehen worden, aber man ließ den Klosterschülerinnen doch mancherlei Freiheiten. Wenn sie in Begleitung der Nonnen in dem großen Klostergarten und auch darüber hinaus spazieren gingen, lateinische Hymnen sangen und dazwischen über diese und jene harmlose Neckerei laut aufjubelten, oder auch, wenn sie an den Winterabenden beisammen saßen, an ihren zierlichen Handarbeiten beschäftigt waren und dabei zuhörten, was eine der Nonnen vorlas, so fühlten sie sich glücklich und zufrieden. Wohl gab es immer Eine oder die Andere, welche die Neckereien übertrieb und sogar im Uebermuth die ehrwürdigen Nonnen nicht verschonte, dafür wurden sie dann zur Strafe für drei Tage oder länger auf halbe Kost gesetzt, oder gar in eine einsame Zelle gesperrt. Wohl kam es auch vor, daß einige der muthwilligen Mädchen an den abendlichen Vorlesungen wenig Geschmack fanden und dabei fest einschliefen, aber alle solche Zwischenfälle dienten nur dazu, etwas Abwechselung zu bringen, und Gisa konnte aus fester Ueberzeugung versichern, daß sie das Leben zu Rheinzell weder eintönig noch langweilig gefunden hatte und jeden Augenblick bereit war, dahin zurückzukehren.

Mit großer Aufmerksamkeit hatte Heinrich dem lieblichen Geplauder zugehört. Er sprach seine Freude darüber aus, daß Gisa es so gut getroffen hatte, denn ihm war bekannt geworden, daß nicht in allen Frauenklöstern die Zucht eine so milde sei und in vielen derselben gleichfalls die harte Geißel regiere. Seine eignen Erinnerungen an 305 den Aufenthalt in Memleben waren nicht so sonniger Art, obgleich er mit Liebe seines Lehrers Eulogius gedachte, dem er das Beste verdankte, was er besaß: die Schätze seines Wissens.

Im weiteren Verlaufe des Gespräches wurde Gisa immer heiterer, während Heinrich sich immer mehr seiner Neigung zu ernsthaften Betrachtungen überließ. Er meinte, das Klosterleben eigne sich überhaupt für junge Männer, weil ihr eigentlicher Lebenslauf sie zur Entfaltung der Kraft im Kampfe mit feindlichen Gewalten bestimmt habe, aber Gisa entgegnete:

»Der Kampf mit den feindlichen Gewalten, welche im Innern des Menschen leben, ist auch eine schwere Aufgabe, aber davon wollen die Männer nichts wissen, und daher mag es wohl auch kommen, daß man von den Mönchsklöstern so gar unerbauliche Dinge hört.«

»Nun,« entgegnete Heinrich, »es soll Frauenklöster geben, in denen nicht nur fortwährend Zank und Streit herrscht, sondern auch das Gesottene und Gebratene höher geachtet wird, als Brevier und Rosenkranz.«

Gisa lachte.

»Zu Rheinzell,« sagte sie, »ging es gar einfach her, doch gab es nur an Festtagen ein besonderes Gericht. Wir Mädchen waren abwechselnd in der Küche beschäftigt, denn wir sollten Alles lernen, was in der Wirthschaft nöthig sei. Aber da gab es einzelne Nonnen, die einen besonders heiligen Lebenswandel führten und nicht mehr als jeden Tag einmal ein kärgliches Gemüse verzehren wollten. Bis zu solcher Frömmigkeit habe ich es allerdings nie gebracht.«

306 Sie sagte das letztere ganz unbefangen, ohne Spott. Heinrich entgegnete:

»Sollte es wirklich ein verdienstliches Werk sein, wenn der Mensch sich solche Entbehrungen auferlegt?«

»Wie könnt Ihr fragen!« entgegnete Gisa. »Ist nicht die Beherrschung aller unserer Wünsche und Begierden die höchste Aufgabe unseres irdischen Lebens? Wenn die guten Frauen im Kloster, die bereits ihr Gelübde abgelegt und der Welt entsagt haben, noch weiter an ihrer Heiligung arbeiten wollen, bleibt ihnen nichts Anderes übrig, als ihren Leib zu kasteien. Uns Weltkindern treten genug Versuchungen anderer Art entgegen, und wohl uns, wenn wir dann unsern eignen Willen bezwingen und ihn dem Willen Gottes in allen Stücken unterwerfen.«

»Zuvor aber muß man doch die Erkenntniß erlangen, ob der Wille Gottes nicht durch unsere eignen Wünsche sich uns offenbart,« meinte Heinrich.

»Das ist ein gefährlich Ding,« versetzte Gisa, »und wenn es dem Manne auch zuweilen anstehen mag, seinen eignen Willen durchzusetzen, wir Mädchen sind an die Pflicht gebunden, die uns von Jugend auf eingeprägt wird. Darum giebt es für uns auch keine Kämpfe mit äußeren Gewalten, als da sind Schwierigkeiten und Hindernisse, sondern nur Uebung der Geduld und Unterwerfung. Aber unser Gespräch wird sehr ernst,« sagte sie, indem sie sich nach der Mutter umsah und auf diese zuging.

Frau Luitgard beendete eben das Gespräch mit ihrem Sohne, und sie kehrten alle Vier in den Saal zurück. Dort wiederholte die Gräfin ihre Aufforderung an Heinrich, so 307 lange es ihm gefalle, auf der Burg zu verweilen und ihnen, so oft er wolle, Gesellschaft zu leisten.

Heinrich verabschiedete sich dann und begab sich nach dem ihm angewiesenen Gemach.

Die Gräfin und ihre Kinder kamen überein, daß der Gast ihnen besser zusage, als seine Botschaft. Gisa erzählte, sie seien dem Fremden bereits vor Jahren begegnet, und erinnerte an den Vorfall bei Memleben. Sie wurden darüber einig, daß er doch wohl aus einem edlen Hause stammen müsse, wenn er Klosterschüler in Memleben gewesen sei. Hatte der Graf von Merseburg nicht damals gesagt, der junge Mensch sei ein naher Anverwandter von ihm? Aber seltsam blieb es immer, daß er seine Herkunft verschwieg und nur als Botschafter des Königs gelten wollte.

Es währte kaum einige Tage, so hatte der junge Graf Rudolf großes Wohlgefallen an dem Gaste gefunden. Seine leidenschaftliche Liebhaberei für die Jagd fand in ihm einen Genossen. Da Heinrich im königlichen Auftrage auch die benachbarten Burgen besucht hatte, trat er mit dem jungen Friedrich von Zollern, dessen Vater abwesend war, gleichfalls in angenehme Beziehungen, so daß die drei jungen Männer mit einander die Gegend durchstreiften, wobei die beiden Grafen sich weiter keine Sorgen mehr darüber machten, ob ihr Geselle von ritterbürtiger Geburt sei oder nicht. Auch Heinrich vergaß während des lauten Tages, in Wald und Feld, bei der Tafel und am Zechtische Alles, was sein Herz bedrückte, aber in der Stille der Nacht lag er doch oft Stunden lang und dachte darüber nach, was aus ihm werden solle, wenn seine Sendung erfolglos blieb und 308 König Heinrich die Bestimmung seines Vaters nicht bestätigte.

Oft auch umschwebte ihn in solchen Stunden das Bild der edlen Gisa, und wenn er an seine früheren Träume dachte, in welchen er sie mit der gebenedeiten Jungfrau Maria verglichen, wurde ihm klar, daß sie seitdem mehr der hoheitsvollen und unnahbaren Königin des Himmels ähnlich geworden war, in deren Zügen zwar noch immer die göttliche Milde und unschuldsvolle Reinheit thronen, die aber doch mehr zur Verehrung und Anbetung, als zur Liebe auffordert. Er begriff, daß ein solches Frauenbild zu den muthigsten und ritterlichsten Thaten begeistern kann, aber er fühlte mehr als früher den Abstand zwischen seiner Geburt und der ihrigen. Es war nicht nöthig, sie zu fragen, er wußte, daß sie niemals einem Gefühle ihre Begriffe von Würde und Ehre opfern werde, und nur wenn ein Mann vor sie hintreten und frei und offen um sie werben konnte, hatte er auf Erwiederung und Gewährung zu hoffen.

Es geschah eines Morgens, daß er in der Kapelle nach der Messe mit der Gräfin, ihren Kindern und dem Burgkaplan zurückblieb, um die Denkmale und Erinnerungszeichen an die Verblichenen des Hauses zu betrachten. Wieder traf es sich, daß er mit Gisa zusammen stand, und sie erzählte ihm, einige der Frauen des Hauses Habsburg, die als Aebtissinnen des Klosters Rheinzell gestorben seien, ruhten nicht hier, sondern in der Gruft jener Abtei.

»Ob diese Frauen nicht in der letzten Stunde gewünscht haben mögen, hier in der Gruft, auf der Stammburg des 309 Hauses, ihre Ruhestätte zu finden?« meinte Heinrich, aber Gisa sah ihn verwundert an und erwiederte ruhig:

»Die Töchter unseres Hauses müssen alle darauf gefaßt sein, ihr Grab nicht hier zu finden, denn entweder führt der väterliche Wille sie auf die Burg eines Gatten, der einem gleich edlen Geschlechte angehört, und alsdann finden sie ihre Ruhestätte bei den Ahnen ihrer Kinder, oder ihre eigne Wahl ruft sie in das Kloster, wo ihnen dann ebenfalls die letzte Ruhestätte bereitet ist. Einen dritten Weg gehen die Töchter des Hauses Habsburg nicht.«

Als sie dies gesagt hatte, sah Heinrich ihr mit einem schmerzlichen Blicke in die Augen, und er konnte es nicht verhüten, daß ein schwerer Seufzer sich seiner Brust entrang. Gisa stand vor ihm in der ganzen Holdseligkeit, aber auch in der ganzen Unnahbarkeit ihres Wesens. Sie erröthete kaum merklich und richtete kurze Zeit den Blick zu Boden, aber sie fand gleich darauf ihre ruhige Fassung wieder und sagte mit fast unhörbarem Beben der Stimme:

»Den Männern steht überall die Welt offen. Wer nicht mit dem Schwerte in der Hand große und edle Thaten verrichten will, dem bietet sich auf andern Gebieten reichlicher Ersatz für das Opfer stiller Hoffnungen, welches ihm vielleicht das Leben auferlegt. Ich denke es mir schön und herrlich, in den heiligen Schriften zu forschen und die Werke der alten Dichter weiter zu verbreiten. Wer sich der Kenntniß der Schrift erfreut und mit den Geistern aus längst vergangenen Tagen dadurch gleichsam unmittelbar in Verkehr tritt, dem muß alles gegenwärtige Leid und alles an den Augenblick gebundene Glück nichtig erscheinen. So auch bietet die erhabene Kunst schöne und edle 310 Aufgaben, und wenn ich an die großen Bauwerke unserer Zeit denke, könnte ich bedauern, daß ich eine Frau bin.«

»Ich verstehe den Sinn Eurer Worte, edle Jungfrau,« versetzte Heinrich, »und wenn auch ich süße Hoffnungen begraben soll, will ich ihrem Gedächtniß Denkmale und Erinnerungszeichen widmen, damit die Welt sieht und erkennt, wie hoch ich sie im Herzen getragen und wie unauslöschlich sie darin eingegraben sind.«

»Ich an Eurer Stelle,« entgegnete Gisa, »würde den Blick aufwärts wenden und vom Irdischen und Vergänglichen absehen, um dem Ewigen meine Kräfte zu weihen. Wenn ich ein Dichter wäre, würde ich das Lob unsers Erlösers singen und die gnadenreiche Jungfrau Maria preisen, wäre ich ein Baukünstler, so würde ich Werke schaffen, durch welche sich die Menschen emporgehoben fühlen vom irdischen Staube in die seligen Regionen des ewigen Friedens. Dort ist unsere eigentliche Heimath und dahin müssen wir unsere Blicke richten, wollen wir hier auf Erden das Rechte wählen.«

Sie wendete sich gewaltsam von ihm ab, näherte sich ihrer Mutter und richtete eine Frage an dieselbe. Dann sprach sie mit Rudolf, während sich die Gräfin und der Burgkaplan zu Heinrich wendeten, der in tiefes Sinnen versunken war und kaum vernahm, was man ihm sagte. Gisa's kühle und ablehnende Haltung empörte sein leidenschaftliches Gefühl, und er empfand zum ersten Male, daß sein Herz sich Jahre lang einer Täuschung überlassen hatte, da sein heißer Schlag mehr verlangte, als die stille Verehrung, die man Heiligen zollt.

Inzwischen hatte Gisa mit ihrem Bruder sich etwas von den Uebrigen entfernt und sagte nun zu diesem:

311 »Ich habe eine Bitte an Dich, Rudolf, eine recht dringende, herzliche Bitte, die Du mir erfüllen sollst.«

»Was ist es, sprich?« entgegnete Rudolf. »Wenn ich es ausführen kann, so gebe ich meinem Schwesterchen das Ritterwort, dem Wunsche zu willfahren.«

»Du kannst es,« erwiederte sie, und es entstand darauf eine kleine Pause, bis sie sich gesammelt hatte. »Unser Gast,« sagte sie dann, »scheint ein edler, vortrefflicher Mensch zu sein, und wenn er auch, wie es den Anschein hat, uns nicht ebenbürtig gegenübersteht, verdient er doch unser Wohlwollen und unsere Freundschaft. Habe ich recht?«

»Gewiß!« entgegnete Rudolf, der nicht ahnte, wo seine Schwester hinauswollte, und darum ihren Worten mit Spannung lauschte.

»Wir müssen ihn retten,« sagte sie rasch. »Wir Alle wissen, daß die Sache des Königs schlecht steht und daß der Kaiser ein furchtbares Strafgericht halten wird, wie er es angedroht hat. Seinen Sohn wird er vielleicht schonen und in die Verbannung schicken, aber diejenigen, welche demselben beigestanden, sehen einem schrecklichen Schicksale entgegen. Mir schaudert, wenn ich bedenke, daß dieser hochbegabte und von Herzen edle junge Mann vielleicht unter grausamen Qualen sterben soll. Wir müssen ihn retten, und Du, Rudolf, wirst mir dazu behülflich sein.«

»Gern will ich das,« versetzte der Bruder, »aber wie? das verstehe ich noch nicht.«

»Ich habe einen Plan,« erwiederte Gisa, »der sicher zum erwünschten Ziele führen muß. Unser Gast muß vorläufig verschwinden. Auf diese Weise wird die Gefahr von ihm abgewendet. Er hat dem Könige Gehorsam gelobt, 312 und wie ich ihn beurtheile, wird er sein Gelöbniß nicht freiwillig brechen. Aber wenn man ihn mit Gewalt zurückhält, bis der Kaiser, was ja doch nicht ausbleiben kann, seinen Sohn entsetzt und ihn aller Rechte und Würden beraubt hat, geht die Gefahr an unserem Gaste vorüber. Der Kaiser wird seiner später nicht achten, oder wird Gnade walten lassen, wenn man ihn darum bittet. Willst Du meinen Plan zur Ausführung bringen?«

»Ich bin bereit dazu,« versetzte Rudolf, »und wenn ich Dich recht verstehe, meinst Du, daß ich den Boten des Königs gefangen nehmen und in Gewahrsam halten soll. Es thut mir leid, gegen den muntern Burschen, der ein guter Kamerad ist, Gewalt zu brauchen, aber ich halte Dir mein Wort. Hast Du aber auch bedacht, was die Mutter dazu sagen wird? Der Mann ist Gast auf der Habsburg, und es ist ein übles Verfahren, das wir da gegen ihn aussinnen.«

»Mein Plan geht auch nicht dahin, daß wir den Gast betrügen sollen,« versetzte Gisa. »Nicht Du sollst ihn in Gewahrsam nehmen, denn das stünde uns freilich übel an. Einer Deiner Freunde muß die Sache übernehmen. So viel ich weiß, reitet der Bote morgen mit seinem Knechte Konrad zum Grafen von Rapperswil, um auch diesen für des Königs Sache zu gewinnen. Wenn Du rasch ein Pferd satteln läßt, kommst Du ihm einen Tag zuvor, und der Rapperswiler wird auf meinen Plan gewißlich eingehen, denn er ist nicht nur kaiserlich gesinnt wie wir, sondern auch –« hier kräuselte ein schelmisches Lächeln ihren Mund – »gut habsburgisch und überdies zu kecken Streichen aufgelegt wie Keiner. Reite nur hin und bringe ihm meinen 313 Gruß, und Du sollst sehen, daß der Abgesandte des Königs morgen nicht zu uns zurückkehren wird.«

Rudolf versprach seiner Schwester, ihren Willen zu vollführen; er schützte vor, daß er eilige Geschäfte auf der Zollernburg habe, ließ satteln und machte sich sofort auf den Weg nach Rapperswil.

Im Grunde war ihm der schwesterliche Plan ganz erwünscht gekommen, denn in seinem Wesen lag ein Zug vorsichtiger Klugheit. Obgleich er in den letzen Tagen, wenn er mit Heinrich und einem oder dem andern seiner Genossen in den Wald geritten war, den Falken auf der Faust und die Jagdlust im Herzen, die Vorsicht zu Hause gelassen hatte, vergaß er sie doch nicht ganz und wünschte manchmal, der verdächtige Gast möge die Habsburg bald wieder verlassen. Wurde derselbe nun von einem Mitgliede der ihm benachbarten und befreundeten Ritterschaft in Gewahrsam gehalten, so konnte Niemand an seiner eignen Gesinnung zweifeln.

Ohne jede Ahnung des Schicksals, das ihn erwartete, machte sich Heinrich am folgenden Morgen in Begleitung seines treuen Konrad auf den Weg nach Rapperswil. Da er bald zurückzukehren hoffte, hatte er sich schon am Abend vorher von den Frauen verabschiedet, und er ahnte nicht, daß von einem Fenster der Kemenate aus zwei schöne Augen sorgenvoll ihm nachblickten, als er fortritt. Wenn der Anschlag zu einem Kampfe führte, wenn Heinrich seine Freiheit gegen den Rapperswiler mit dem Schwerte vertheidigte – ein tiefer Seufzer hob die zarte Brust der jungen Habsburgerin, und sie zog sich mit dem Bewußtsein 314 zurück, daß dieser Tag einer der angstvollsten ihres Lebens sein werde.

Gisa erwartete mit Sicherheit, daß der Graf Rapperswil sofort durch einen Knecht Botschaft senden werde, und sie hatte sich in dieser Voraussetzung nicht getäuscht. Die Nachricht, welche schon am folgenden Tage in aller Frühe anlangte, lautete dahin, der Bote des Königs sei mehr mit List als mit Gewalt gefangen genommen worden und werde in anständigem Gewahrsam gehalten. Er habe sich männlich und würdig dabei benommen. Seinem Knechte Konrad sei es gelungen, zu Fuße aus der Burg zu entweichen, und wenn derselbe nicht bereits auf der Habsburg angelangt sei, werde er wohl den Weg nach dem Hoflager des Königs eingeschlagen haben, um die Kunde von der Gefangennehmung seines Herrn dorthin zu bringen.

Diese letztere Nachricht machte den Grafen Rudolf darauf aufmerksam, daß er in Bezug auf den andern Begleiter des königlichen Boten einen Entschluß fassen mußte. Er gab Befehl, derselbe solle seinen Burgfrieden nicht verlassen, dort aber wohl gehalten werden, bis das Schicksal des Anführers entschieden sei.


Während Heinrich in bitterer Entrüstung wohlverwahrt in einem Gemache auf der Burg Rapperswil saß und seine Gedanken nach den verschiedensten Richtungen hin schweifen ließ, seine Blicke aber an dem wunderbaren Naturschauspiel weidete, welches die Umgebung des Züricher Sees bot, wanderte der gute Konrad Tag und Nacht, durch Gebirg und Thal, über Feld und Wiesen immer der Gegend zu, wo die Burg Lupesch lag. Es wurde ihm schwer, sich 315 zurecht zu finden, aber der Umstand, daß des Königs Hoflager sich daselbst befand, half ihm bei den Erkundigungen, und er ließ sich weder Mühe noch Entbehrungen verdrießen, um zu seinem Ziele zu gelangen. Die Menschen hielten ihn für einen versprengten Kriegsmann und standen ihm mit Auskunft und Nahrungsmitteln bei. An den Flüssen wanderte er auf und ab, bis eine Brücke ihn an das jenseitige Ufer führte oder ein Fährmann ihn um Gottes willen übersetzte. Oft gerieth er in die Irre und mußte Tage lang kreuz und quer die zurückgelegten Wege noch einmal gehen, um die Richtung wieder zu erlangen.

Es vergingen lange, schwere Tage und Wochen, bis er endlich zur Burg Lupesch kam, und als er daselbst eintraf, fand er Alles anders als zu der Zeit, da er mit seinem Herrn von dort fortgeritten war.

Von allen Fürsten des Reiches, die der König angerufen hatte, war nur der Herzog Friedrich von Oesterreich bereit gewesen, ihm thatkräftigen Beistand zu gewähren. Dieser rüstete sofort, aber trotz aller Eile kam seine Hülfe zu spät.

Von den andern Großen des Reiches, an welche König Heinrich seine Boten gesandt hatte, waren die wenigsten geneigt, sich auf seine Seite zu stellen. Man erinnerte sich viel zu gut, daß er vor Jahren schon einmal einen Aufstand gegen seinen Vater versucht hatte und damals nur gegen das feste Versprechen unverbrüchlichen Gehorsams dem Zorne des Kaisers entgangen war. So war denn diesmal das Vertrauen auf seine Ausdauer nicht besonders groß, und den meisten seiner Boten erging es ebenso wie Heinrich: sie wurden freundlich aufgenommen, gastlich bewirthet und mit ausweichenden Redensarten und höflichen Versprechungen 316 wieder entlassen. Wie konnte auch ein gemeinsamer Zweck die Großen des deutschen Reiches vereinigen, da sie sich seit Jahren daran gewöhnt hatten, nur ihre eignen egoistischen Interessen zu verfolgen und dabei immer den Schein selbstloser Hingebung an irgend eine große Sache zu wahren? So war es in Bezug auf die Kreuzzüge nach dem gelobten Lande, wie gegen die heidnischen Preußen, gegen die Juden und Ketzer gewesen. War doch namentlich der deutsche Orden ein Beispiel dafür, wie sich aufopfernde Tapferkeit und Frömmigkeit als Schild gebrauchen ließen, um der Habsucht und Grausamkeit Spielraum zu verschaffen. Ohne Zweifel war der größte Theil dieser deutschen Ordensritter überzeugt, daß ihr Kreuzzug nach Preußen ein gottgefälliges Werk sei, und sie hielten sich vollkommen berechtigt, die hartnäckigen Heiden mit grausamer Gewalt zum Heile zu zwingen. Mochte vielleicht auch in Zukunft durch die Einwanderung deutscher Colonisten in jenen Provinzen eine neue Blüthe entstehen, für den Augenblick war das Verfahren der deutschen Ritterschaft barbarisch. In ähnlicher Weise zeigten die Judenverfolgungen, die gerade in dieser Zeit überall in Deutschland wütheten, daß unter dem Vorgeben religiöser Zwecke sich Habsucht und Grausamkeit durch Plünderungen, Mord und Brand hervorthaten. Ganz neuerdings waren nun die Ketzerverfolgungen dazu gekommen, deren oberster Anstifter der Mönch Konrad von Marburg war.

Kaiser Friedrich hatte vorausgesehen, daß Heinrich Raspe von Thüringen, Elisabeth's Schwager, nach der deutschen Königskrone strebte, und dies war wohl damals einer der Hauptgründe zu seinem Heirathsantrage gewesen, denn mit 317 Elisabeth's Hand hätte er die Macht erworben, ihren ehrgeizigen Schwager unschädlich zu machen. Dann aber wendete Heinrich Raspe das Blatt um. Er hatte sich mit Elisabeth versöhnt und ihr ein beträchtliches Einkommen zur Verfügung gestellt. Dem Einflusse des Mönches Konrad war es gelungen, die lebensmüde junge Frau ganz nach seinem Willen zu lenken. Er hatte sie überredet, sich nach seinem eignen Geburtsorte Marburg, einem bis dahin ganz unbekannten Flecken, zurückzuziehen und dort den Werken der Barmherzigkeit und Abtödtung zu leben. Die arme Frau, welche gleichsam ihr ganzes Leben lang ein Spielball politischer Zwecke gewesen, gab sich nun mit einem solchen Eifer der Pflege der Kranken und Armen und daneben der eignen Abtödtung durch Entbehrungen aller Art, ja selbst durch Mißhandlungen des eignen Körpers hin, daß sie bald starb. Wie sie in ihren letzten Lebensjahren gewissermaßen der Zankapfel gewesen war, um dessen Besitz sich der Kaiser und die Kirche stritten, so wurde sie auch nach ihrem Tode der Gegenstand eifriger Bewerbung von beiden Seiten. Konrad von Marburg betrieb ihre Heiligsprechung und verfolgte dabei nicht nur den Zweck, seine Vaterstadt Marburg zu einem der berühmtesten Mittelpunkte des kirchlichen Lebens jener Zeit zu erheben, sondern überhaupt den Einfluß der Geistlichkeit durch das Beispiel der heilig gesprochenen und Wunder wirkenden Landgräfin zu steigern. Der rauhe Landgraf Heinrich, Elisabeth's Schwager, sah denn auch bald genug ein, daß die Auflehnung gegen die Kirche gefährlicher sei, als er gedacht hatte, und er, wie sein Bruder Konrad, suchten sich von nun an mit den Geistlichen zu befreunden. Konrad von Marburg aber setzte 318 seine Ketzerverfolgungen fort und griff immer dreister unter der hohen Ritterschaft des Reiches die ihm mißliebigen Elemente als Ketzer an.

So war Eigennutz und Parteisucht an allen Ecken und Enden, und als sich die Kunde im deutschen Reiche verbreitete, der Kaiser habe einen Reichstag nach Mainz ausgeschrieben und wolle dort mit seiner jungen Braut Hochzeit halten, wobei man die Vermuthung aussprach, er werde auch seinen Frieden mit dem Papste schließen, verbreitete sich ein panischer Schrecken unter den Anhängern des Königs Heinrich, und namentlich auf der Burg Lupesch erreichte die Aufregung den höchsten Grad.

Zwar der König selbst war nach Art leichtsinniger Menschen nicht allzu sehr besorgt. Von jeher hatte er sich als Spielball seiner Rathgeber durch deren Einfluß leiten lassen. Er hoffte auch diesmal, daß der Kaiser nicht allzu strenge gegen den Sohn verfahren werde, und fand sich bereits in seine Niederlage. In einer Art apathischer Stimmung wartete er auf die weitere Entwicklung der Dinge.

In der ersten Zeit, nachdem die Kunde von des Kaisers Reise auf die Burg Lupesch gelangte, betrieb der König wirklich mit lebhaftem Eifer die Organisirung eines Aufstandes zur Vertheidigung seiner Stellung. Er hatte mit seinen getreuen Räthen, den Grafen Lupesch an der Spitze, die Boten abgesandt und alle Pläne entworfen. Dann harrte er auf die Antworten aus dem Reiche. Aber seine Aufforderungen fanden nur schwachen Wiederhall, die Boten kamen und gingen, und je weiter die Zeit vorrückte, um so muthloser wurde der König, um so verzweiflungsvoller 319 seine Umgebung. Zuletzt hielt es Graf Lupesch für das Beste, auf eigne Faust die Versuche zum Aufstande der Feinde des Kaisers fortzusetzen, und es wäre ihm ganz willkommen gewesen, wenn der König wieder zu seinen früheren Zerstreuungen zurückgekehrt wäre. Allerdings boten sich Schwierigkeiten, denn Niemand aus der Umgebung des hohen Herrn war zu Jagdausflügen und rauschenden Festlichkeiten gestimmt. Die üble Laune des Königs stieg von Tag zu Tage, und da Graf Lupesch nur mit der größten Ueberwindung sich selbst beherrschte, war das Verhältniß ein derartig gespanntes, daß ein Bruch fast unvermeidlich bevorstand.

Eines Tages saß der König auf seinem Lehnstuhle an der Seite des großen Tisches, auf welchem Pergamentblätter und andere Scripturen in großer Menge von dem Grafen Lupesch und einigen Schreibern durchgesehen und geordnet wurden. Zu seinen Füßen kauerte ein Geschöpf, das kaum menschliche Form besaß, schielend, verwachsen, krummbeinig und dabei offenbar blödsinnig, aber in bunte Tracht gekleidet und mit klingenden Schellen behängt. Es war der Narr. Der König belustigte sich damit, dieses Ungethüm zu necken und ihm bald mit der Hand, bald mit dem Fuße zu drohen, worüber der Narr jedesmal eine furchtsame Grimasse schnitt, welche sein Herr dann belachte. Blickte der Narr grinsend auf, so begann das Spiel stets wieder von Neuem.

Verdrießlich unterbrach der König diese läppische Unterhaltung, so oft Graf Lupesch ihm eine Angelegenheit ernster Art vortrug.

320 Des Königs Gesichtszüge waren schlaff geworden und das Haar hing wirr auf seiner Stirn.

Der Graf sprach nun von Heinrich von Sunnera. Schon seit vielen Wochen war keine Nachricht von dem Boten Heinrich, der an die schwäbische Ritterschaft gesandt war, eingegangen. In den ersten Wochen hatte derselbe regelmäßig durch einen Reitknecht Bericht erstatten lassen und neue Aufträge entgegen genommen. Nun aber war weder von ihm noch von einem seiner Begleiter irgend eine Nachricht angelangt, und es mußte ihm entweder ein Unfall zugestoßen sein, oder er hatte sich einer Treulosigkeit schuldig gemacht.

Es gab einen Beweis für die Zerfahrenheit in den Gedanken des Königs, daß das Gespräch über das Schicksal dieses wichtigen Boten ihn zwar erbitterte, zugleich aber auch vor seiner Erinnerung blitzschnell das Bild des schönen Weibes auftauchen ließ, welches gerade damals seine Sinne gefangen genommen hatte, als Heinrich von Sunnera auf der Burg erschien, bei den fortwährenden Geschäften und wichtigen Obliegenheiten aber die letzte Zeit über aus seinem Gedächtniß verdrängt worden war.

»Wo ist Wulfhilde hingekommen?« frug er plötzlich, wie aus tiefem Sinnen erwachend.

Graf Lupesch würde ihm gern eine derb verweisende Antwort gegeben haben, aber es fiel ihm rechtzeitig ein, daß damit doch nichts gewonnen und es vielmehr gerathener sei, der Schwäche des Königs Nahrung zu geben, um ihn völlig wieder in den Hintergrund zu drängen und dadurch selbst freie Hand zu gewinnen.

Er entgegnete daher, er habe selbst nicht Zeit gehabt, 321 sich um das Mädchen zu bekümmern, wolle aber bei seiner Frau Erkundigungen nach demselben einziehen.

Der König erklärte sich einverstanden und gab damit das Signal, welches die unglückselige Wulfhilde wieder auf den Schauplatz rief.

Bisher war dieselbe auf Befehl der Gräfin Lupesch in einer abgelegenen und fast ganz finstern Kammer gefangen gehalten und nur nothdürftig mit Speise und Trank versehen worden. In der ersten Zeit hatte die Unglückliche zuweilen förmliche Anfälle von wahnsinniger Verzweiflung gehabt und den Versuch gemacht, auf irgend welche Art ihrem Kerker zu entspringen. Aber dies war unmöglich, da die Gräfin sie streng bewachen ließ. So war sie nach und nach in dumpfes Hinbrüten versunken und es hatte sich eine Art abwartender Gleichgültigkeit ihrer bemächtigt. Sie war von Jugend an gewöhnt, Entbehrungen aller Art zu ertragen, und da sie sich jung und kräftig fühlte, verlor sie die Hoffnung nicht und erwartete von Tag zu Tag, daß ihr Schicksal sich ändern könne.

Zwar zermarterte sie ihr Gehirn mit der Frage über das Loos ihrer Großmutter und mehr noch mit dem Gedanken an Heinrich, der sie verachtete, weil sie in seinen Augen für die Buhlerin des Königs galt. Im Gefühl ihrer Unschuld weinte sie oft bittere Thränen über diesen Verdacht und nahm sich vor, Alles aufzubieten, um sich davon zu reinigen, aber sie dachte nie daran, daß Heinrich ein lebhafteres Interesse für sie fassen könne, denn in ihren Augen war die Kluft zwischen dem gelehrten und angesehenen Manne und ihr, der armen Enkelin eines verrufenen Weibes, 322 so groß, daß in Ehren kein Sprung und keine Brücke hinüberführen konnte.

Wulfhilde hatte sich zuletzt einigermaßen in ihr Schicksal gefunden und lag ganze Tage in stummer Ergebenheit auf ihrem Lager. Sie hoffte noch immer täglich auf Erlösung, aber sie war doch im höchsten Grade überrascht, als eines Tages die Riegel zu ungewöhnlicher Stunde klirrten und die Gräfin Lupesch sich ihren Blicken zeigte.

Zwar wußte die Gefangene nicht, ob diese Erscheinung Heil oder Unglück verkünde, und die scharfen Züge der Gräfin hatten einen nichts weniger als tröstlichen Ausdruck, aber dennoch stieß Wulfhilde einen lauten Schrei aus, der wie der Freudenruf über die bevorstehende unerwartete Befreiung klang.

Das harte, erbarmungslose Gesicht der Gräfin veränderte sich keinen Augenblick. Mit einer Geberde des Widerwillens forderte sie Wulfhilde auf, ihr zu folgen, und ging dann in ihr eignes Zimmer.

»Bist Du zahm geworden, mein Täubchen?« begann sie dort höhnisch. »Hast Du einsehen gelernt, daß ein Geschöpf Deiner Art froh sein muß, wenn ein großer Herr sich herabläßt, mit ihm sein Spiel zu treiben? Du wirst nun wohl vor mir knieen und mir aus Dankbarkeit die Füße küssen, wenn ich Dir dazu verhelfe, daß der König wieder gnädig auf Dich herabblickt.«

Ein Gefühl der tiefsten Verachtung erfüllte Wulfhildens Herz beim Anhören dieser Worte. Sie war keineswegs nachgiebiger geworden, aber sie hatte Zeit gehabt, über die Erfahrungen aus dem Umgange mit der erlesenen Gesellschaft in der Nähe des Königs nachzudenken und daraus 323 den Schluß zu ziehen, daß ein einzelnes schwaches Weib nur durch die Waffen der List und Schlauheit zu irgend einem Ziele gelangen könne. Aber freilich, vor der Gräfin niederzuknieen und ihr zu danken, vermochte sie nicht, höchstens brachte sie es über das Herz, schweigend zu hören, was diese weiter vorbrachte.

Der König verlange Unterhaltung und Zerstreuung, sagte sie, er sei von unangenehmen Staatsgeschäften abgespannt und ermüdet, man dürfe ihn nicht weiter anstrengen und müsse ihn schonen; er bedürfe der aufheiternden Gesellschaft, und da er sich der Person Wulfhildens erinnert habe, wolle die Gräfin Gnade für Recht ergehen lassen und ihr noch einmal Gelegenheit geben, durch kluge Benutzung der Verhältnisse ihr Glück zu machen.

Wulfhilde sah ein, daß sie durch offene Widersetzlichkeit Alles verderben und sich vielleicht der Gelegenheit berauben werde, aus der Burg zu entrinnen. Zwar konnte sie es nicht über sich gewinnen, der Gräfin eine zustimmende Antwort zu geben, aber sie weigerte sich auch nicht, als diese sie aufforderte, sich in ein Gemach zu begeben, wo ein Bad für sie bereitet war und Gewänder zu ihrem Gebrauche hingelegt waren.

Mit schlauer Berechnung hatte die Gräfin ein weißes Morgengewand von weichem Stoffe, der sich faltenreich um den Körper schmiegte, ausgewählt. Eine Zofe stand bereit, um Wulfhilde anzukleiden. Als sie dem Bad entstieg, legte ihr diese Zofe die neuen Gewänder an und sorgte dafür, daß das prachtvolle goldbraune Haar in schönen Wellen herniederhing. Nicht nur die bleichere Gesichtsfarbe, welche die Folge der langen Einkerkerung war, sondern auch der 324 tiefe Ernst ihrer großen schönen Augen erhöhte den Reiz ihrer Erscheinung, und als die Gräfin sie erblickte, mußte sie dem aufwallenden Gefühle des Neides Gewalt anthun, um der verachteten Dirne, deren vollendete Formen sie lieber in der Gewalt des Büttels als in den Armen des Königs gewußt hätte, nicht unfreundlich zu begegnen.

Als Wulfhilde angekleidet und für den Empfang des Königs genügend vorbereitet war, wurde sie in das früher von ihr bewohnte, reich ausgestattete Gemach geführt. Noch trug dasselbe den sonstigen Charakter üppiger Behaglichkeit, und es machte auf Wulfhilde einen eigenthümlichen Eindruck, als sie nach den langen Wochen, die sie einsam in einem dunklen Gewahrsam verbringen mußte, sich plötzlich wieder in den ihr bekannten Raum versetzt sah, wo sie manche Stunde unter Scherz und Lachen zugebracht und die Huldigungen des Königs entgegen genommen hatte. Dort neben dem Divan stand noch der kunstvoll geschnitzte Tisch, und auf diesem lag die Laute, zu welcher der König selbsterfundene Verse ihr zu Ehren gesungen hatte. Am Boden breiteten sich die Tigerfelle aus, auf welchen der hohe Verehrer so manche Stunde vor ihr ruhend verbracht hatte. Wie schon so oft in ihrem Leben, war es ihr auch jetzt wieder, als sei Alles nur ein flüchtig wechselnder Traum. Was sie in den letzten Jahren erfahren, bildete in der That eine Reihenfolge von Bildern buntschillernder Art, wie sie ein Traum nicht wechselvoller schaffen konnte.

Sie ließ sich auf den Divan nieder, stützte den Kopf in die Hand und suchte ihre Gedanken zu ordnen. Dabei versank sie so sehr in tiefes Sinnen, daß sie es überhörte, als ein rascher Tritt im Vorzimmer über die Bärenfelle 325 huschte und eine eilige Hand den Vorhang an der Thüröffnung zurückschlug.

Es war König Heinrich, der gekommen war, um seine Bewerbungen um ihre Huld wieder zu beginnen. Er blieb in der Thür stehen und betrachtete das reizende Schauspiel, welches sich ihm bot. Seine Fantasie gerieth rasch in Feuer, und er vergaß in diesem Augenblicke die gefahrvolle Schwierigkeit seiner Lage. Leise schlich er zu ihr hin, und bevor sie sich erheben konnte, nachdem sie ihn bemerkt hatte, hielt er die Laute in der Hand und ließ sich auf das Tigerfell zu ihren Füßen gleiten, um mit trunkenen Blicken in ihre Augen zu schauen und aus diesen die Begeisterung für ein schwungvolles Liebeslied zu holen.

»Welch ein böser Dämon,« so ungefähr lauteten seine Worte, »hielt mich diese ganze Zeit über fern von der holden Lichtgestalt, die mein Herz mit Wonne füllt und mich Alles vergessen macht, was mich feindlich umdroht? In der Welt draußen ist Kampf und Noth, da heben feindliche Gewalten ihr gifterfülltes Haupt gegen mich, und wer weiß, ob die nächste Zukunft mir nicht Qualen und Tod bringen wird. Aber wozu an alles das denken? Hier weilt süße Wonne, hier will ich Alles vergessen und nichts sehen, als diese bezaubernden Augen, nichts wissen, als daß ich wieder zu den Füßen meiner holdseligen Gebieterin weile.«

Wulfhilde lächelte zu dieser überschwänglichen poetischen Huldigung. Um ihren Mund spielte ein Zug des Hohnes, denn sie verachtete im Herzen den weichlichen Schwärmer, der zu ihren Füßen lag und um ein Lächeln ihrer Lippen bettelte, während das ganze Reich seinetwegen in Aufruhr war und das Schicksal seiner Anhänger auf dem Spiele 326 stand. Aber sie bezwang sich und gab sich Mühe, den König freundlich anzusehen.

»Es ist lange her, gnädigster Herr,« sagte sie, »daß ich Euer Antlitz nicht sah. Wißt Ihr, wo ich unterdessen weilte und womit ich meine Tage hinbrachte?«

»Ich denke, süßes Mädchen,« versetzte der König, »daß Du in Gesellschaft der Gräfin Lupesch, Deiner Gönnerin, diese Zeit in den stillen Frauengemächern der Burg verlebt hast. Und mit was ihr die Tage hingebracht? Nun, ich hoffe, daß die Gräfin Dir zuweilen ein Wörtchen von mir zugeflüstert haben wird, und wenn die Hoffnung nicht gar zu kühn wäre, würde ich annehmen, Du habest der verschwiegenen Laute zuweilen einen sehnsüchtigen Gruß an mich anvertraut. Dein Antlitz ist noch schöner geworden, aber Du siehst nicht so heiter aus als sonst. Darf ich die Blässe Deiner Wangen günstig für mich deuten? Kommt Deine Sehnsucht endlich der meinigen entgegen und läßt mich Erhörung hoffen?«

Wulfhilde sah ihn lächelnd an und überließ es ihm, sich ihren Blick zu deuten, wie er wolle. Dann sagte sie:

»Als ich Euch das letzte Mal sah, war ein fremder Mann hier angelangt, der mir von meiner Heimath her bekannt war. Verzeiht, erhabener Herr, wenn ich Euch frage, was aus Heinrich von Sunnera geworden ist.«

»Erinnere mich nicht an ihn,« erwiederte der König heftig, »denn ich fürchte, er hat mein Vertrauen bestohlen und ist flüchtig geworden. Sprich nicht von ihm, denn der Gedanke, daß er treulos an mir gehandelt haben könne, verjagt die frohe Laune aus meinem Herzen.«

»Wißt Ihr denn sicher, daß er Euch hintergangen?« 327 entgegnete Wulfhilde. »Eure Worte drücken nur einen Zweifel aus. Erzählt doch, was mit ihm geschehen, bitte, bitte!«

Der schmelzende Ton ihrer Stimme wirkte wie früher auf den König. Er willfahrte ihrem Wunsche und erzählte, daß Heinrich in der Hoffnung, der König werde die Bestimmungen seines Vaters, des Grafen von Merseburg, bestätigen, sich seinem Dienste geweiht habe. Dann sei er mit wichtiger Botschaft über Land geritten und habe nun seit Wochen nichts von sich hören lassen. Es bleibe nur die Wahl, entweder anzunehmen, daß er verunglückt, oder daß er dem Auftrage des Königs untreu geworden sei. Merkwürdig bleibe, daß auch keiner seiner Begleiter bis jetzt sich wieder eingefunden habe.

Wulfhilde hatte aufmerksam zugehört. Ihre forschenden Augen schienen die Worte von den Lippen des Königs zu lesen, aber was sie dabei dachte, verrieth sie nicht.

»Und habt Ihr jene Bestimmungen, um deretwillen er zu Euch gekommen, bereits bestätigt?« frug sie.

»Noch nicht,« antwortete der König, »denn die Bestätigung sollte der Lohn für seine treuen Dienste sein. Wären meine falschen Freunde zu mir gestanden und ich hätte den Kaiser zur Anerkennung meiner Unabhängigkeit gezwungen, so würde ich alle Diejenigen, die in dieser schweren Zeit ausgeharrt, mit Ehren und Gütern reich belohnt haben. Mißlingt mein Anschlag, und ich fürchte nun, daß dies geschieht, so hat meine Bestätigung jener Urkunde nicht den geringsten Werth, denn schwerlich dürfte der Kaiser diejenigen Männer, die mir jetzt ihre Dienste weihen, mit seiner Gnade belohnen. Im Gegentheil wartet ihrer ein schlimmes Loos.«

328 Wulfhilde strich liebkosend die wirren Haare aus der Stirne des Königs. Sie hatte früher etwas Derartiges nie gethan, und es war natürlich, daß er dadurch noch mehr bezaubert wurde.

»Man nennt uns Weiber neugierig,« sagte sie schmeichelnd, »und in der That, zuweilen plagt uns die Begierde, etwas zu wissen oder zu sehen, das eigentlich gar keinen besonderen Werth für uns besitzt. So geht es mir in Bezug auf die Urkunde, die der Vater meines Heimathgenossen zu dessen Gunsten ausgestellt hat. Ich möchte wohl das Siegel sehen, womit der alte Herr seine Schrift beglaubigte. Es wird mich an meine Heimath erinnern, und Ihr wißt, wie lieb uns Alles ist, was uns von dort vor Augen kommt. Habt Ihr die Urkunde noch, so laßt mich sie sehen, ich bitte Euch darum.«

Der König wollte Einwendungen machen, aber Wulfhilde blieb bei ihrem Begehren und ließ nicht nach, bis er sich erhob und ihr das Versprechen gab, die Urkunde, welche noch mit anderen Schriften auf dem Tische in seinem Gemach sich befinden müsse, von dort zu holen.

Wulfhilde frug, ob sie ihn begleiten dürfe, und da der König nichts dawider hatte, ging sie mit ihm bis in sein Gemach. Dieses war leer. Wulfhilde forschte nun mit dem Könige zwischen dem Durcheinander von Schriftstücken und Pergamenten, die auf seinem Tische lagen, bis ihr Falkenauge das Document entdeckt hatte. Sie hielt es empor und bat den König, ihr zu gestatten, daß sie es genau besehe. Gern willigte König Heinrich ein. Die schlaue Wulfhilde ließ sich auf einen Sitz nieder und gab 329 sich den Anschein, als sei sie forschend in den Anblick des Siegels versunken. Plötzlich sagte sie:

»Aber wo blieb denn die Laute? Wie gerne hörte ich noch einmal das Lied, das Ihr vorhin gedichtet und gesungen. Es war so schön, und wenn ich hier, versunken in den Anblick dieses Erinnerungszeichens an die Heimath, Eure schmeichelnden Worte noch einmal hören könnte, wahrhaftig, gnädigster Herr, ich wüßte nicht, was mich mehr erfreuen und mein Herz zu größerem Danke stimmen könnte.«

Der König blickte umher. War denn keine Laute in seinem Gemach? Hatte man wirklich alle derartigen Dinge, die an den Zeitvertreib seiner müßigen Stunden erinnerten, von hier entfernt und nur die Waffen und die Pergamente ihm gelassen? Sollte er nur immer an den Ernst seiner Lage erinnert werden und nicht einen Augenblick sich in den Traum wiegen können, die Gefahr sei nicht gar so dringend und sein Gemüth dürfe sich den gewohnten Zerstreuungen noch immer hingeben. Deshalb hatte man wohl auch die schöne Wulfhilde von ihm fern gehalten, damit der Zauber ihrer Reize ihn den gefährlichen Plänen nicht untreu mache, die Andere für ihn ausgedacht und als deren Opfer er nun fallen sollte. Er wollte den Augenblick benutzen und wenigstens für kurze Zeit sich in vergangene Tage zurückversetzen.

Wulfhilde beobachtete ihn genau. Eben wollte er die metallene Glocke berühren, um einen dienstbaren Menschen herbeizurufen, da legte sie ihre zarte Hand auf die seinige und sagte bittend:

»Keinen Diener! Wozu einen Zeugen dieses Augenblicks!«

330 Der König lächelte. »Ich hole die Laute!« sagte er rasch, und da ein dankbarer Blick aus Wulfhildens Augen ihn in diesem Entschluß bestärkte, verließ er sein Gemach, um sich eilenden Fußes nach dem Raume zu begeben, wo er Wulfhilden vorhin angetroffen hatte. Ganz erfüllt von dem Wunsche, der schönen Schwärmerin zu willfahren, durchschritt er mehrere Gemächer und Gänge, bis er das gesuchte Zimmer fand.

Er kehrte dann voll süßer Hoffnung auf demselben Wege zurück und war nicht wenig erstaunt, als er sein eignes Gemach, in welchem er Wulfhilde wiederzutreffen und seinen Wünschen geneigter zu finden hoffte, leer sah. Vergeblich forschte er im Vorzimmer nach ihr. Ein unbeschreiblicher Aerger ergriff ihn. Sollte die Schöne sich zur Gräfin Lupesch verfügt haben, oder von dieser abgerufen worden sein? Da er Grund zu haben glaubte, mit der Haltung des Grafen und seiner Gemahlin, ihm gegenüber, ungehalten zu sein, so stieg sein Groll bis zur Wuth, und er warf die Laute zu Boden, daß sie mit einem wehklagenden Ton der Saiten krachend in Stücke sprang. Dann stampfte er zornig mit dem Fuße, knirschte mit den Zähnen und überließ sich dem Ausbruch einer ungezügelten Heftigkeit, ohne zu ahnen, was aus Wulfhilde geworden war.

Diese hatte vorhin mit der gespanntesten Erwartung so lange gelauscht, bis sie die Tritte des sich entfernenden Königs nicht mehr vernehmen konnte. Dann hatte sie rasch die Urkunde von Heinrich's Vater unter dem Kleide an ihrer Brust sorgfältig versteckt, war an den Ausgang des Gemaches geeilt und hatte dort, die rechte Hand auf das heftig klopfende Herz gepreßt, umhergespäht, auf welche 331 Weise sie aus der Burg gelangen könne. Aus ihrem eignen Zimmer würde dies unmöglich gewesen sein, denn die Gräfin hatte für Aufpasser gesorgt, aus den Gemächern des Königs dagegen konnte sie leichter entschlüpfen, da Niemand auf den Gedanken kam, die Ausgänge dort zu bewachen. Zwar trieben sich Pagen und Diener in den Vorzimmern umher, aber diese hatten keine Ahnung vom Zusammenhang, und wenn sie auch erstaunt waren, ein weißgekleidetes Weib rasch durch die Räume huschen zu sehen, fanden sie doch keine Veranlassung, der Flüchtigen in den Weg zu treten, und blickten nur erstaunt nach, als sie mit hochgerötheten Wangen und entschlossenen Blicken vorwärts eilte.

Dem Burgwart war kein besonderer Auftrag ertheilt worden und eine vereinzelte Frau erweckte keinen Verdacht. Wer konnte wissen, was sie draußen suchte? Ueberdies ging sie so entschlossenen Schrittes, ohne jedes Zeichen von Besorgniß oder Furcht und blickte die dienenden Personen, welche ihr begegneten, mit so herrischen Blicken an, daß kein Mensch außer der Gräfin gewagt haben würde, ihr etwas zu sagen. Jetzt war sie draußen. Noch ein paar Schritte, und sie wußte sich hinter Bäumen und Gebüsch vorläufig geborgen, obgleich sie einsah, daß sie sich beeilen mußte, die Gegend zu verlassen.

Einen Augenblick hielt sie an, preßte abermals die Hand auf das Herz und holte tief erleichtert Athem. Sie war sich bewußt, daß außer dem alten Konrad Niemand so treu und zuverlässig zu Heinrich hielt wie sie, darum hatte sie das wichtige Pergament in Verwahrung genommen und war nun fest entschlossen, Alles aufzubieten, Mühe und Gefahren zu ertragen, ja selbst den Tod nicht zu scheuen, um 332 dasselbe unversehrt in die Hände desjenigen gelangen zu lassen, dessen Eigenthum es war. Sie wußte nichts Genaues von den politischen Vorfällen der letzten Zeit und verstand sich auch nicht auf Einzelheiten in dem Kampfe zwischen dem Reiche und der Kirche, aber sie hatte die Ueberzeugung, daß ein Mann wie König Heinrich unmöglich als Sieger aus einem großen Kampfe hervorgehen könne, und darum hielt sie das Pergament in ihrer eignen Obhut sicherer, als in den Händen des wankelmüthigen und weichlichen Kaisersohnes.

Aber was nun thun? Es mußte rasch gehandelt werden. Sie wand sich zwischen den Bäumen des Waldes hindurch, um einen Theil des Weges abzuschneiden und dann, diesen überschreitend, auf der andern Seite im Dickicht weiter vorwärts zu gelangen. Obgleich vom Drange des Augenblicks in Anspruch genommen, sog ihre Brust, die seit langen Wochen nur an dumpfe Kerkerluft gewöhnt war, doch begierig den belebenden Hauch des Waldes in sich. So gelangte sie an einen Weg, der durch den Forst führte und ihr nicht unbekannt war. Sie wollte ihn rasch überschreiten und auf der andern Seite wieder unter dem Schutze des Dickichts weiter vorwärts dringen. Plötzlich heraustretend, blieb sie jedoch wie angewurzelt stehen, denn sie sah einen Mann des Weges daherwanken. Noch einen Blick, und sie mußte sich gestehen, daß der Mann ihr nicht ganz unbekannt schien, obgleich sie sich nicht sofort entsinnen konnte, wo sie ihn gesehen hatte.

Der Arme schien im höchsten Grade erschöpft. Ob es die Wirkung ihres unerwarteten Anblicks war, oder ob der letzte Rest seiner Kräfte ihn gerade in diesem Augenblicke 333 verließ? Als er sie sah, machte er eine Bewegung, als ob er wie im Taumel sich rückwärts wenden wolle, gerieth aber zur Seite des Weges an eine abfallende Stelle und sank nach kurzem Wanken mit einem stöhnenden Laute kraftlos in das welke Laub, welches den Boden des Waldes hoch bedeckte.

In Wulfhilde siegte das weibliche Mitleid. Sie eilte zu der Stelle hin. Obgleich sie noch immer nicht sich entsinnen konnte, wo sie dem Manne begegnet war, dämmerte doch die Erinnerung in ihr auf, er müsse ein befreundeter Mensch sein. Rasch entschlossen, wendete sie alle ihre Kraft an, um ihn zu stützen, und es gelang ihr, halb führend, halb ihn fortschleifend, den immer noch in Betäubung verharrenden Mann einige Schritte weit in den Wald zu geleiten, wo sie ihn dann unter einem Baume niederließ, so daß er mit Kopf und Rücken gegen den Stamm gelehnt sitzen konnte. Nachdem dies geschehen war, fand sie Ruhe genug, um ihr Gedächtniß etwas mehr anzustrengen, und nun wurde ihr zu ihrer freudigen Ueberraschung klar, daß der erschöpfte Wanderer niemand Anders war als Konrad, der treue Knecht des von ihr so hochverehrten Heinrich.

Woher er kam und wie er in den kraftlosen Zustand gerathen war, in welchem sie ihn gefunden, daran dachte sie in diesem Augenblicke nicht. Nur die Hoffnung, daß er ihr Kunde von Heinrich geben werde, erfüllte ihr Herz mit Verlangen.

War es eine wunderbare Fügung der Vorsehung, daß diese beiden treuen Menschen so unverhofft hier zusammengeführt wurden, so würde der Zweck der Begegnung doch 334 verfehlt gewesen sein, wäre nicht Konrad in Folge der furchtbaren Anstrengungen, deren er sich seit Wochen unterzogen hatte, in eine so vollständige Erschöpfung verfallen, daß er halb willenlos sich Wulfhildens Anordnungen fügen mußte. Er hatte vorläufig noch keine Ahnung davon, wie unglücklich die Sache des Königs stand, denn die Nachrichten und Andeutungen, welche er unterwegs erhalten hatte, erfüllten ihn zwar mit Besorgniß, aber sie waren doch nicht gerade geeignet, in der Seele des biederen Kriegsknechtes alle Hoffnung zu ersticken. Noch hoffte er, sich bis zur Burg Lupesch schleppen zu können und dort dann vorläufig Ziel und Zweck seiner mühevollen Wanderung erreicht zu haben.

Als nun aber urplötzlich aus der Tiefe des Waldes die sofort von ihm erkannte Gestalt Wulfhildens in weißem flatternden Gewande heraustrat und scheinbar auf ihn zuschreiten wollte, packte ihn jenes unheimliche Grauen, welches noch immer als Ueberrest heidnischer Begriffe in ihm steckte. Ueberzeugt, daß Wulfhilde eine Zauberin sei, die auf das Schicksal seines Herrn unheilvollen Einfluß ausübe, fürchtete er, ihr plötzliches Auftauchen so nahe vor seinem Ziele verkünde wieder Unglück, und so hatte ihr unverhoffter Anblick die letzte Kraft ihm entzogen, und vergeblich hatte er versucht, sich zur Flucht zu wenden.

Auf diese Weise war der gute Konrad nun genöthigt, dem Feinde Stand zu halten, und es geschah zum ersten Male in seinem Leben, daß er sich wehrlos und unfähig zur Flucht in der Gewalt eines Gegners sah, den zu bekämpfen er weder den Muth noch die Waffen besaß. Scheu blickte er das schöne Weib an seiner Seite an, und 335 argwöhnisch lauschte er auf die Mittheilungen, die sie ihm machte. Obgleich Wulfhilde von der seltsamen Stimmung des alten Kriegmannes keine Ahnung hatte, fühlte sie doch die Nothwendigkeit, sich ihm gegenüber voll und ganz auszusprechen und ihn zum Vertrauten aller ihrer Erlebnisse seit der letzten Begegnung mit ihm zu machen.

Konrad konnte nicht davon laufen, und er mußte wohl oder übel anhören, was die gefürchtete Hexenbrut ihm zu sagen hatte. Anfangs war ihm übel dabei zu Muthe, denn er glaubte sich völlig in der Gewalt ihres bösen Zaubers und erwartete davon das Schlimmste für sich und seinen Herrn. Je weiter sie jedoch in ihren Mittheilungen kam, um so aufmerksamer achtete er auf ihre Worte und um so mehr schien es ihm, als könne doch nicht Alles Lug und Trug sein. Es stimmte gar zu Vieles mit dem, was ihm Heinrich bereits gesagt hatte, und als sie endlich auch auf das Verschwinden ihrer Großmutter, auf das Wiedersehen mit Heinrich und auf ihre eigne Einkerkerung durch die Gräfin Lupesch zu sprechen kam, war er schon fast besiegt. Was ihn aber völlig überzeugte und seine Zweifel gänzlich niederschlug, war die Mittheilung ihrer heutigen Erlebnisse. Er erkannte darin eine Bestätigung all der ungünstigen Gerüchte, die ihm über den König bereits zu Ohren gekommen waren, und er sah ein, daß von dieser Seite keine Hülfe für seinen Herrn zu erwarten sei.

Als aber Wulfhilde nun das ihm so wohlbekannte Pergament hervorzog und es triumphirend ihm vor Augen hielt, da erkannte er deutlich, daß sie nicht nur keine Hexe, sondern ein treues, tapferes junges Weib war, welches muthig der Gefahr getrotzt und den kostbarsten Schatz 336 seines Herrn vor Verlust geborgen hatte. Zugleich aber auch hatte sie einen Beweis entfernt, der im Falle der bevorstehenden Unterwerfung des Königs gegen Heinrich von Sunnera hätte benutzt werden können. Denn das Vorfinden dieses Pergaments in der Kanzlei des Königs war ein unwiderleglicher Beweis für Heinrich's Parteistellung, während es jetzt noch immer möglich war, dem Verdachte einer solchen zu entgehen.

Obgleich weder Konrad noch Wulfhilde auf den Gedanken kamen, die Gefangennahme Heinrich's zu Rapperswil sei in guter Absicht geschehen, ahnten sie doch, daß er durch dieselbe der ersten Gefahr, im Falle der Niederlage der königlichen Partei, entzogen wurde. Allerdings mußten sie dagegen befürchten, daß der Graf Rapperswil ihn dem Kaiser ausliefern und ihn damit gleichfalls dem Verderben anheim geben werde. Die beiden treuen Seelen vertieften sich so sehr in das Gespräch über Heinrich's Schicksal, daß sie ihre eigne Noth darüber vergaßen. So erschöpft Konrad auch war, dachte er doch in dieser Stunde nur an die Mittel zur Rettung seines Herrn. Er hatte bisher noch immer einiges Vertrauen auf die Sache des Königs gehabt, aber dies war völlig verschwunden, seitdem Wulfhilde ihn über die Verhältnisse auf der Burg Lupesch aufgeklärt und den Charakter des Kaisersohnes ihm geschildert hatte.

So saßen die beiden treuen Menschen in dem Dickicht des Waldes und überlegten und fanden nicht Rath, was zu beginnen sei. Da plötzlich tauchte in Wulfhildens Seele ein Gedanke auf, den sie Konrad mittheilte und der von diesem eifrig ergriffen wurde. Hatte nicht Dietmar von Kalmburg mit Heinrich von Sunnera Blutsbrüderschaft 337 geschlossen? Und wurde ein solches Bündniß nicht noch immer nach dem Brauche der Urväter heilig gehalten? Nach kurzer Ueberlegung kamen sie überein, daß nur Dietmar im Stande sei, zu rathen und zu helfen. Sie entschlossen sich, diesen einzigen Retter in der Noth aufzusuchen, mochte der Weg auch noch so weit und das Unternehmen noch so schwierig sein. Sie hatten beide den Weg von dort hierher zurückgelegt, freilich auf sehr verschiedenen Pfaden und unter ganz abweichenden Umständen. Sie hofften, daß es ihnen gelingen werde, die Richtung zu finden und einzuhalten, und sie ermuthigten sich schon jetzt gegenseitig, indem sie sich ausmalten, auf welche Weise ihnen die Ausführung ihres Planes gelingen werde. Konrad versprach, Wulfhilde zu beschützen, wenn man sie von der Burg aus verfolgen sollte, und Wulfhilde erbot sich, den ermatteten Kriegsknecht zu stützen und zu führen, bis sie ein Dorf, einen Hof oder eine Einsiedelei erreichen würden, wo ihnen mildthätige Menschen Nahrung verabreichen und ihnen Auskunft geben könnten, wie sie am sichersten und schnellsten nach der Kalmburg im Lande Thüringen gelangen konnten. 338

 


 


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