Adolf Glaser
Wulfhilde
Adolf Glaser

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Zweiter Theil.

Viertes Buch.

Der biedere Konrad gab sich die erdenklichste Mühe, seinem Herrn die Wanderschaft möglichst wenig beschwerlich zu machen. In treuer Ergebenheit belud er sich mit allen Habseligkeiten, die sie als unentbehrlich bei sich führen mußten, und der rauhe bärtige Kriegsmann legte fast die Sorglichkeit einer Mutter an den Tag. Glücklicherweise waren sie nicht ohne Wegzehrung, und überdies verstand Konrad alle Hülfsquellen, welche die Natur zum Lebensunterhalte bot, klug zu benutzen. Im andern Falle würde Heinrich mehr noch, als es trotzdem geschah, die bittere Erfahrung gemacht haben, daß ein ernster, gesetzter Mensch viel weniger willkommen ist, als ein lustiger Bursche, der den Leuten Schnurren und Schwänke vormacht. Herbergen waren wohl unterwegs anzutreffen, aber man mußte darauf gefaßt sein, daselbst mit Gesindel aller Art zusammen zu campiren. Wer zu Pferde oder mit einem Troß von Dienern angezogen kam, fand überall besondere Gemächer, alle übrigen Gäste mußten fürlieb nehmen und sich die Gesellschaft von Gaunern und unehrlichen Leuten gefallen lassen. Da zog Heinrich den Schatten der Waldbäume 202 vor, und vergaß dabei, daß sein Körper noch nicht stark genug war, um die Nächte unter freiem Himmel vertragen zu können.

Zuweilen that sich eine gastliche Klosterpforte auf, aber die Neuigkeiten, die man dort erfuhr, waren so wenig erfreulicher Art, daß Heinrich solche Gelegenheiten gern vermied. Sprach man doch daselbst mit förmlicher Begeisterung davon, daß aus einigen Gegenden Deutschlands und Frankreichs ganze Schaaren von Kindern auszogen, um sich den Kreuzheeren anzuschließen! Daß diese wahnsinnige Unternehmung nur auf das Verderben der unglückseligen Opfer hinauslaufen konnte, leuchtete jedem nüchtern denkenden Menschen ein, aber Niemand wagte, sie zu verhindern, und es war nicht zu enträthseln, ob wirklicher Fanatismus oder gemeinste Gewinnsucht im Spiele war, ob die Geistlichkeit das Familienleben so gering achtete, daß sie gewissenlosen Eltern die Gelegenheit bot, sich der Sorge um ihre Kinder zu entledigen, oder ob die Veranstalter es darauf abgesehen hatten, die unmündigen Geschöpfe auf den orientalischen Sklavenmärkten zu verkaufen.

War es ein Wunder, wenn Heinrich's Gemüth zuweilen in schwermüthige Stimmung versank und auch seine körperlichen Kräfte unter den Eindrücken litten, welche er fortwährend in sich aufnehmen mußte? Im Vollgefühle männlicher Kraft hätte er es mit einer Welt von Hindernissen aufgenommen und wäre vor den schwierigsten Aufgaben nicht zurückgeschreckt, aber die Anstrengungen der Reise versetzten ihn in einen Zustand körperlicher Ermattung und geistiger Abspannung und nöthigten ihn, die Strecken abzukürzen, die er zurücklegen wollte. Die letzte größere Rast 203 hatten sie in einem Kloster gehalten, und dort waren Heinrich wieder vielerlei Weltereignisse mitgetheilt worden, die seine Stimmung nicht verbessern konnten. So schleppte er sich an diesem Tage noch einige Stunden weit fort, und da die Sonne gerade sehr heiß schien, vermehrten sich die Schwierigkeiten. Er spürte nach und nach ein unbehagliches Gefühl im Kopfe, welches sich bis zu heftigem Schmerz steigerte. Konrad bemerkte, daß sein Herr sich nicht wohl fühlte, und ließ ihn darum nicht aus den Augen. Es entging dem treuen Diener nicht, daß Heinrich's Schritt zuweilen wankend wurde, aber letzterer raffte sich immer wieder auf und glaubte wenigstens bis zur Stadt Eisenach in Thüringen, in deren Nähe sie sich befanden, gelangen zu können. So lange der Weg zwischen den Waldbäumen entlang geführt hatte, wirkte der kühle Schatten wohlthuend auf sein Gehirn, aber nun waren sie wieder längere Zeit der Sonne ausgesetzt, und der rasende Kopfschmerz begann aufs Neue den kaum in der Genesung begriffenen jungen Mann zu quälen. Konrad konnte nicht wissen, wie sehr er litt. Die Pulsadern der Schläfen drohten zu zerspringen und auch der Athem begann bereits langsamer und schwerer zu werden. Als der treue Knecht endlich aufmerksam wurde und eben eine besorgte Frage thun wollte, taumelte Heinrich einige Schritte zur Seite, griff mit den Händen in der Luft umher und sank dann ohne einen Laut besinnungslos zu Boden.

Konrad eilte auf ihn zu und versuchte vergeblich, ihn zu ermuntern. Eine tiefe Ohnmacht umhüllte Heinrich's Sinne, und alles Rufen, Rütteln und sonstige Bemühen des treuen Dieners vermochte nicht, ihm das Bewußtsein 204 wiederzugeben. Besorgt blickte Konrad nach Hülfe umher. Die Stadt Eisenach lag in der Nähe. Er konnte die Mauern mit den Wachtthürmen sehen. Vom Berge oben schaute die stattliche Wartburg weit in das Land hinein. Es galt, nicht viel zu überlegen; Konrad sah ein, daß es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Fall augenblicklicher Bewußtlosigkeit handle, denn die vorhergegangenen Anzeichen ließen unzweifelhaft einen heftigen Krankheitsanfall befürchten. Es mußte also so schnell wie möglich Hülfe geschafft und gesucht werden, unter Menschen zu kommen. Mit unsäglicher Mühe versuchte Konrad den immer noch ohnmächtigen Heinrich vom Boden aufzuheben; die Unbehülflichkeit des willenlosen Körpers gab demselben ein bleiernes Gewicht. Konrad versuchte alle ihm zu Gebote stehenden Mittel, um die starre Ohnmacht zu bekämpfen. Er fand noch etwas stärkendes Getränk in dem umgehängten Krüglein und benutzte die Flüssigkeit, um Stirne und Schläfen des Kranken zu benetzen. Zwar gelangte Heinrich dadurch nicht völlig zum Bewußtsein, aber er kam doch so weit zu sich, daß Konrad seinen rechten Arm sich um den Nacken legen, ihm vom Boden aufhelfen und ihn halb tragen, halb nachschleifen konnte. Das war eine Aufgabe, wie der alte Kriegsmann sie schwieriger selten zu erfüllen gehabt hatte. Der junge Mann konnte zuweilen einige Schritte machen, dann aber wieder verließ ihn die Kraft, und sein Arm würde von Konrad's Nacken herabgeglitten und er selbst zu Boden gesunken sein, hätte der treue Knecht ihn nicht mit dem Aufgebote der größten Selbstverleugnung festgehalten und weitergeschleppt.

Rathlos wie selten in seinem Leben blickte Konrad 205 fortwährend umher, aber nirgends konnte er ein menschliches Wesen erblicken, weil die Mittagsstunde bleischwer auf Feld und Flur lastete. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als seinen kranken Herrn, so gut es gehen wollte, weiter zu tragen, aber bald verzagte er daran, die Mauern von Eisenach zu erreichen.

Schon längere Zeit blickten seine Augen zu einer Umfassungsmauer, welche, etwa eine Viertelstunde von der Stadt entfernt, ein nicht unbeträchtliches Stück Land einschloß. In seiner verzweiflungsvollen Lage dachte er nichts weiter, als daß sich dort vielleicht Menschen finden würden, die ihm Hülfe leisten könnten, und obgleich er wußte, daß man die Aufnahme plötzlich erkrankter Menschen aus Furcht vor Ansteckung ungern gestattete, richtete er doch für den Augenblick seine ganze Hoffnung auf jene menschliche Spur. Er gelangte näher, aber er konnte nichts erkennen, als daß die Mauer einen hohen Garten umgab. Zwischen den Gipfeln hoher Bäume war der obere Theil eines Gebäudes zu bemerken. Wenige Schritte von der Mauer entfernt hatte Heinrich wieder einmal das Bewußtsein völlig verloren und hing nur im Arme des Dieners, der ihn mit dem Aufgebote letzter Kraft bis zur Gartenpforte schleppte. Dort war ein mächtiger Klopfer angebracht, der aus Metall kunstvoll gearbeitet war und mit irgend einer Vorrichtung in Verbindung stehen mußte, welche den Schall bis zu dem Wohnhause fortpflanzte. Konrad klopfte. Es dauerte nur kurze Zeit, so wurde die Pforte geöffnet. Dies geschah durch einen alten Mann in seltsamer Kleidung. Es galt kein langes Besinnen, denn die Lage der Dinge war klar und zweifellos. Der seltsam gekleidete Mann erschrak heftig, 206 als er den Kranken erblickte. In etwas schwer verständlicher Sprache bat er Konrad, einen Augenblick zu warten, und verfügte sich eilig wieder in den Garten zurück, dessen Pforte er vorsichtig hinter sich zumachte.

Es währte nicht lange, so kehrte er in Begleitung eines andern alten Mannes zurück, dessen Anblick Konrad noch mehr überraschte. Ein großer Turban bedeckte den Kopf und verhüllte den Rest schneeweißer Haare, die den ehrwürdigen Scheitel noch schmückten. Silberweiß floß der lange Bart bis zum Gürtel herab. Ein langer Talar mit weiten Aermeln umhüllte die hohe Gestalt bis zu den Füßen. Obgleich in diesem Augenblicke unverkennbar ein ängstlicher Zug aus seinen Mienen sprach, war doch ein mildes Wohlwollen darin nicht zu verkennen. Forschend blickte das große schwarze Auge in das Gesicht des Kranken; er ergriff dessen Puls, schob die Kleider von der Brust zurück und betastete prüfend die Gegend des Herzens. Die Untersuchung schien ihn zu beruhigen. Er ertheilte seinem alten Diener die Weisung, mit Konrad's Hülfe den jungen Mann in das Haus zu tragen. Der Greis ging voraus und blickte sich zuweilen vorsichtig um. Konrad hatte nur Aufmerksamkeit für seinen kranken Herrn und bemerkte kaum, wie sehr die Anlage des Gartens und das Haus, in welches sie endlich eintraten, von allen Gärten und Wohnhäusern verschieden waren, die er bis jetzt gesehen hatte.

Der Kranke wurde in ein Gemach gebettet, in welches durch Vorrichtungen an den Fensteröffnungen nur gedämpftes Licht eindrang und zugleich eine wohlthuende Kühle verbreitet wurde. Nach der Anwendung stärkender Heilmittel gelang es dem Greise, Heinrich nach einiger Zeit zum 207 Bewußtsein zu bringen, aber er verfiel in tiefen Schlaf, und als er aus diesem erwachte, stellten sich die Zeichen eines starken Fiebers ein, so daß er wieder für lange Zeit die Klarheit seiner Gedanken verlor. Da er gar keine Ahnung davon haben konnte, auf welche Weise er an den ihm unbekannten Ort gelangt war, mußte er in einer Traumwelt zu leben glauben. Er betrachtete das ehrwürdige Gesicht des seltsam gekleideten alten Mannes und sah forschend nach dessen Diener, aber dann erblickte er verwundert dazwischen wieder zuweilen die Gestalt des treuen Konrad. Die Augenblicke des Bewußtseins waren jedoch kurz und die Anstrengung des Denkens zu groß für ihn, als daß er einen Zusammenhang in die flüchtigen Eindrücke bringen konnte.

Aber diese Erscheinungen und Alles, was ihn umgab, waren so absonderlicher Art, daß er auch mehrere Tage später, als das Bewußtsein länger wiederkehrte und seine Besserung beträchtlich wuchs, noch immer nicht recht begreifen konnte, daß das, was er sah, kein Traumgebilde sei. Sein ehrwürdiger Pfleger erkannte, wie es um ihn stand, und da er einsah, es werde besser sein, den Kranken aufzuklären, begann er mit sanftem Tone zu ihm zu reden.

»Ich begreife Eure Verwunderung,« sagte er, »da Ihr Euch hier an einem fremden Orte, in ungewohnter Umgebung, unter seltsamen und für Euch räthselhaften Umständen findet. Ihr wurdet auf der Wanderschaft von einem heftigen Unwohlsein befallen und Euer Diener brachte Euch bis zur Pforte meines Besitzthums. Ihr fandet hier nicht nur Aufnahme, sondern auch heilverständige Pflege, denn ich bin Arzt und erkannte sofort die Natur Eurer 208 Krankheit. Ihr bedürft der Ruhe und müßt Eure völlige Genesung der Zeit überlassen. Eure Anwesenheit ist mir durchaus nicht lästig, und ich biete Euch den Aufenthalt in meinem Besitzthume an bis zu Eurer völligen Wiederherstellung.«

Heinrich brachte einige Worte des Dankes hervor, und es schwebten ihm außerdem tausend Fragen nach der Persönlichkeit seines Wirthes auf den Lippen, aber dieser wollte offenbar vorläufig keine weiteren Erklärungen geben und kam den Fragen zuvor, indem er Heinrich versicherte, er werde ihm freiwillig über Alles, was ihm räthselhaft und unerklärlich erscheine, Auskunft ertheilen, sobald er es für angemessen und dem Gesundheitszustande seines Pfleglings entsprechend halte.

Damit würde sich Heinrich begnügt haben, da seine Genesung einen günstigen Verlauf nahm. Aber der biedere Konrad, der auf seinem Kreuzzuge zwar nur bis zu den Ufern des Mittelländischen Meeres gelangt war, aber doch mancherlei Erinnerungen mitgebracht hatte, flüsterte seinem Herrn von Zeit zu Zeit ängstliche Vermuthungen zu, welche darauf hinausgingen, daß der Besitzer des Hauses und sein Diener zu den Ungläubigen gehören müßten und entweder Juden oder Türken seien. Das Erstere schien ihm allerdings zweifelhaft, denn die im Reiche wohnenden Hebräer hielten sich gewöhnlich eng zusammen, und in der Kleidung zeigten sie sich nicht so völlig absonderlich. Jedenfalls fühlte Konrad sich sehr unbehaglich und wünschte von Herzen, sein Herr möge recht bald in der Lage sein, den unheimlichen Aufenthalt verlassen zu können.

Heinrich's Genesung machte wirklich in den nächsten 209 Tagen so rasche Fortschritte, daß sein Pfleger ihm gestatten konnte, das Lager längere Zeit zu verlassen und in das Freie zu gehen. Er forderte ihn auf, sich im Garten umzusehen, und versprach, dort zu ihm zu kommen.

Heinrich glaubte in den letzten Wochen mancherlei Neues erlebt zu haben, aber der Eindruck, den er jetzt empfing, als er sich in dem Garten umsah, war ein so überraschender und für sein empfängliches Gemüth geradezu überwältigender, wie er ihm bisher nicht einmal in seinen Träumen zu Theil geworden war. Wohl hegte man in den Burggärten, die er bisher gesehen hatte, mancherlei Gewächse und Blumen, und es gab daselbst verschwiegene Lauben und Irrgänge, aber im Ganzen ließ man doch der Natur freien Lauf und that ihr allenfalls nur insofern Einhalt, als man hier und da den Nutzen für die Küche berücksichtigte, Gemüsefelder ohne besondere Rücksicht auf die Wirkung für das Auge anlegte und überhaupt wenig Sinn für geschmackvolle Eintheilung bewies. Was Heinrich jetzt erblickte, zeigte das entschiedene Gegentheil von alledem. Mit der größten Regelmäßigkeit, jedoch weit entfernt von steifer Pedanterie, war der Garten durch reinliche Kieswege, die überall geschwungene Linien bildeten, in eine Menge von Feldern eingetheilt und diese mit zierlichen, Heinrich unbekannten Bäumen, Sträuchern und Blumen bepflanzt. Alles dies bot einen erfreulichen Anblick und führte in wohlthuender Weise die Herrschaft des menschlichen Geistes über die Natur vor Augen. In der Mitte des Gartens befand sich ein plätschernder Springbrunnen, und das Becken, in welches derselbe sich ergoß, war mit seltsamen großen Muscheln umgeben, die ebenso gefällig in der Form 210 erschienen, wie Alles umher. Heinrich konnte sich nicht satt sehen; er hatte das Gefühl, als sei er in ein Märchenland versetzt. Er blickte um sich und über sich, bewunderte das saftige Grün, die bunten Blumen und das funkelnde Wasser und freute sich darüber, als der würdige alte Mann auf ihn zutrat und ihn mit besonderer Freundlichkeit ersuchte, ihm in das Haus zu folgen.

Neue Ueberraschungen waren dem unerfahrenen Heinrich nun vorbehalten. Er hätte seine Natur verleugnet, wäre er nicht zuerst mit einigem Mißtrauen den neuen Eindrücken, welche ihn überwältigend berührten, entgegen getreten, aber er war ein Mensch von rascher Empfänglichkeit für höhere Geistesbildung, und gerade der Sinn für geschmackvolle architektonische Ordnung und künstlerische Vereinigung des Schönen mit dem Zweckmäßigen konnte nicht verfehlen, ihn wohlthuend zu berühren. Er hatte von seinem jetzigen Aufenthalte noch nichts gesehen als das Gemach, worin er krank gelegen. Das Gebäude, welches er nun von außen erblickte, war im Verhältniß zu den Burgen und Schlössern der umwohnenden Edelleute von geringer Ausdehnung, aber man empfand sofort beim Eintritt in die von Säulen getragene Vorhalle, daß die inneren Räume nichts gemein haben konnten mit dem gedrückten und beengenden Charakter, den selbst die Prachtsäle in den einheimischen Herrenburgen an sich trugen. In plumper Form ragten jene gleich großen Scheunen empor, während hier der Geist des richtigen Maßes, das Gefühl für zweckmäßige Eintheilung und Anordnung den Eintretenden wohlthuend berührte und wie in eine andere Welt versetzte.

Der Eindruck war zu neu und zu mächtig, als daß 211 Heinrich sich über Einzelheiten hätte Rechenschaft geben können. Auch drängten immer neue Bilder die vorhergehenden rasch wieder in den Hintergrund, so daß er Mühe hatte, seine Fassung zu bewahren. Jetzt stand er in dem mittleren Gemache des Hauses dem Herrn desselben gegenüber. Heinrich betrachtete diesen aufmerksam. Er war ein hochgewachsener Greis, den das Alter nur wenig gebeugt hatte und der durch seine ganze Erscheinung jeden Menschen, der für den edlen Ausdruck menschlicher Würde empfänglich war, sofort für sich einnehmen mußte.

Bisher hatte derselbe nur allgemeine Bemerkungen als Antworten auf Heinrich's einzelne Fragen ausgesprochen. Nun sagte er mit freundlicher Stimme:

»Laßt uns nicht länger feierlich stehen und gehen, sondern nehmt neben mir Platz, damit wir traulich mit einander plaudern können.«

Hierauf ließ sich der ehrwürdige Greis in orientalischer Weise auf einen runden Divan nieder, welcher in der Mitte des Raumes stand. Heinrich setzte sich neben ihn. Als er in die weichen Polster einsank, regte sich für eine Weile sein nordisches Gewissen und flüsterte ihm etwas von den Gefahren der Verweichlichung zu. Seine Verlegenheit wuchs hierdurch und er konnte keine Worte finden, um die Freundlichkeit des alten Mannes zu erwiedern.

Dieser kannte jedoch die deutsche Art und Weise und blieb gleichmäßig freundlich gegen seinen Gast.

»Da Ihr ohne jede Vorbereitung zu mir gekommen seid, ist es begreiflich, wenn Euch die Art und Weise, wie ich mich hier eingerichtet habe, befremdet. Eure Züge verkünden, daß Ihr empfänglich seid für das 212 Verständniß fremder Eigenthümlichkeiten, und es bedarf daher jedenfalls nur einer kurzen Erklärung meinerseits, um Euch über den ersten Eindruck hinweg zu helfen, und ich brauche nicht zu befürchten –« bei diesen Worten umspielte ein feines Lächeln die edel gebildeten Lippen des Greises – »daß Ihr mich für einen bösen Zauberer halten werdet. Mein Name ist Jehuda ben Gabirol; ich bin ein Mann jüdischen Stammes, aus Spanien gebürtig, woher mich vor länger als vierzig Jahren der damals regierende Landgraf Hermann hierher berief, als seine erste Gemahlin Beatrix schwer erkrankt war und alle Heiltränke und Kräutersäfte der alten Frauen ihr nichts helfen konnten. Der Landgraf war ein aufgeklärter Mann, und er besaß den Muth, allen Vorurtheilen seiner Zeit zu trotzen. Zwar gelang es mir nicht, durch meine Wissenschaft in der Heilkunde die Gesundheit seiner Gemahlin völlig wieder herzustellen, aber Gräfin Beatrix empfand mindestens die wohlthätige Wirkung einer richtigen Behandlung, und sie bewahrte mir bis zu ihrem Tode volles Vertrauen und aufrichtigste Dankbarkeit. Der Landgraf wünschte dann, daß ich seinen Hof nicht wieder verlassen solle, und da ich meinerseits weder den Glauben meiner Väter abschwören, noch die Gewohnheiten meiner Heimath entbehren mochte, erbot er sich, mir behülflich zu sein, daß ich ganz nach meinen Wünschen auf seinem Gebiete leben könne. Eigentlich ist es unsern Leuten verboten, irgend ein liegendes Eigenthum im Reiche zu besitzen, aber die Gnade des Landgrafen machte bei mir eine Ausnahme. Und so seht Ihr denn hier eine Nachbildung meines Heimwesens, wie ich es in Spanien besaß, mit den geringen Abänderungen, welche das Klima fordert. 213 Als mein edler Beschützer, der Landgraf Hermann, das Zeitliche segnete, war ich zu alt, um den Wunsch hegen zu können, noch einmal nach meiner Heimath zurückzukehren. Mein gutes Weib war kurz nach unserer Uebersiedelung hierher gestorben, obgleich sie nie ein Wort der Klage oder der Sehnsucht nach der Heimath geäußert hatte. Meine einzige Tochter ist an einen angesehenen Handelsmann in der Stadt Mainz verheirathet, und ich selbst sehe hier mit Ruhe und Fassung dem Ende meiner Tage entgegen. Der alte Diener, der Euch einließ, und seine brave Frau sorgen für meine leiblichen Bedürfnisse, und was mein Geist verlangt, wird ihm in den Schätzen geboten, welche die weisen Männer alter und neuer Zeit in ihren Schriften hinterlassen haben. Wenn Ihr länger hier bleibt und Gefallen daran findet, sind sie Eurer Einsicht gern bewilligt.«

Es war natürlich, daß diese Mittheilungen Heinrich überraschten, denn er war gewohnt, die Juden als verachtete und in der öffentlichen Meinung geradezu verworfene Menschen zu betrachten. Die ruhigen Worte des Arztes hatten seine widerstrebende Verlegenheit jedoch einigermaßen besiegt, und es gelang ihm, lebhaftes Interesse an dessen Mittheilungen auszusprechen. Dann theilte er demselben seine Absicht mit, den Prinzen Heinrich auf der Burg Lupesch aufzusuchen, um durch ihn die Anerkennung der ihm vom Vater zugedachten Rechte und Vortheile zu erlangen.

Das Gespräch kam hierdurch auf die allgemeine politische Lage, und Heinrich bemerkte gar bald, wie gewaltig der Unterschied war, der sich zwischen den Kenntnissen und Urtheilen Ben Gabirol's und den Wünschen und 214 Anschauungen der Edlen des deutschen Reiches zu erkennen gab. Der ehrwürdige Jude betrachtete die Verhältnisse mit dem klaren Auge eines vorurtheilsfreien Mannes, der für sich selbst nichts mehr von der Welt erwartet und sich eine völlig unbefangene Meinung gebildet hat. Er richtete nicht und verdammte nicht, aber er spürte den Ursachen der Ereignisse nach, und was Heinrich in der kurzen Zeit des Beisammenseins mit ihm für seine eigne Ansicht gewann, war geradezu unermeßlich. Daß der Kaiser den Aufenthalt in dem südlichen Lande seiner Geburt dem Leben in Deutschland vorzog und bei der unumschränkten Machtfülle, die ihm eigen war, in Verbindung mit körperlicher Schönheit und hoher geistiger Begabung, ein Dasein führte, welches getheilt war zwischen dem verlockenden Kampfe gegen die wachsende Uebermacht der päpstlichen Gewalt und poetisch verklärten Genüssen im Kreise schöner und geistvoller Frauen und in Gesellschaft von Dichtern und Künstlern, die seinen Ruhm verherrlichten und den Weihrauch der Schmeichelei ihm in verführerischer Weise darbrachten, fand Ben Gabirol ebenso erklärlich, wie er es begreiflich, wenn auch bedauerlich fand, daß König Heinrich in Deutschland nur eine verkrüppelte Nachahmung von des Vaters Bestrebungen hervorrief. Auch der König wollte sich als mächtiger Herr und Beschützer der Künste zeigen, aber sein oberflächlicher Sinn und der ungeeignete Boden brachten mißgeformte Früchte hervor. Wenn Kaiser Friedrich in Palermo die vollendetste Schönheit und Anmuth der Frauen, die geistsprühende Wirkung künstlerischer Begabung um sich schaarte, blieb seinem Sohne in Deutschland nur die Gesellschaft derbsinnlicher Weiber, niedriger Gaukler 215 und umherziehender Hungerleider von zweifelhafter Begabung. Ben Gabirol verkannte nicht, daß die innere Kraft des germanischen Stammes im Grunde eine bessere Gewähr für eine große segensreiche Zukunft bot, als die Sucht nach üppigem Lebensgenuß, wie sie im Süden immer mehr um sich griff, aber für den Augenblick lag im deutschen Reiche Alles im Argen und kein Mensch konnte voraussehen, auf welchem Wege eine Besserung der Zustände herbeigeführt werden könne.

Die Darlegung dieser Anschauungen gab Heinrich viel zu denken, und je länger die Unterredung dauerte, um so mehr schwand sein Vorurtheil, um so größer wurde seine Hochachtung vor dem umfassenden Geiste des jüdischen Greises. Er gelobte sich innerlich, die Bekanntschaft mit demselben möglichst nutzbar zu machen, und wenn auch die Eiligkeit seines Anliegens jetzt nicht gestattete, seinen Aufenthalt zu verlängern, nahm er sich doch fest vor, sofort nach Erledigung seiner Angelegenheit vom Hoflager des Königs zu Ben Gabirol zurückzukehren und sich an dessen mündlichen Belehrungen, sowie an der Benutzung seiner schriftlichen Schätze geistig zu bereichern.

Für jetzt begleitete ihn dieser öfter durch den Garten, und als Heinrich seine Bewunderung über die schönen Anlagen äußerte, regte sich in dem alten Manne doch die nie ersterbende Liebe zu seiner Heimath, und er erging sich in einer wahrhaft poetischen Schilderung der Schönheiten seiner Vaterstadt Cordova. Bei der Beschreibung der prachtvollen Moschee mit ihren wunderbaren Säulenhallen gerieth er in wahre Begeisterung. Ein unterirdisches Gewölbe sammelte im Hofe daselbst das Wasser, welches durch 216 die für die Waschungen der Gläubigen bestimmten Fontainen emporsprudelte. Und aus der Erde, welche dieses Gewölbe bedeckte, wuchsen die herrlichsten Cypressen, Palmen und Orangen empor, Pflanzen, von deren Schönheit und Pracht Ben Gabirol seinem neuen Freunde nur einen annähernden Begriff geben konnte, indem er ihm einige sorgfältig gehütete und gepflegte Exemplare zeigte, welche im Sommer in großen Kübeln in freier Luft, im Winter aber in einem geheizten Raume des Hauses gehalten wurden.

»Auch in Spanien,« sagte der Greis, als er seinen Gast eines Abends langsam zum Hause zurück geleitete, »sind wir Fremdlinge und werden von dem herrschenden Volke der Mauren nur geduldet, aber mit ihnen verbindet uns die Gemeinsamkeit der Abstammung und die Uebereinstimmung in vielen Sitten und Gebräuchen. Dort sind wir nicht ein Gegenstand blinden Hasses, und deshalb können die begabten Geister unseres Volkes sich ihrer Menschenwürde bewußt werden und sich zu hoher Geltung aufschwingen. Was Ihr von unseren jüdischen Leuten in den germanischen Städten findet, ist größtentheils der Ausschuß unseres Stammes, der sich auf nichts weiter versteht, als auf niederen Gelderwerb, und die Mittel zu seinen Zwecken keiner Wahl unterwirft. Mit dem Eigensinn beschränkter Naturen halten sie die äußere Form unserer Gebräuche aufrecht und dünken sich das auserwählte Volk, wenn sie nicht mit den Andern essen und trinken, während sie auf die geistigen Errungenschaften unseres Stammes wenig Gewicht legen. Wer einem Stamme angehört, der überhaupt keinen festen Wohnsitz mehr hat und leider in jedem Augenblicke durch die Rohheit und den Haß der Menschen 217 geschädigt werden kann, geht leicht in gemeiner Selbstsucht auf. Ihr Germanen seid im Besitze eines Kleinods, das als Samenkorn einer mächtigen Zukunft gelten kann, denn euch entnervt nicht die Liebe zum Weibe, weil sie bei euch auf einer andern Grundlage beruht, als bei den Völkern orientalischen Ursprungs. Euch gilt das Weib dem Manne gleichberechtigt, euch ist sie nicht ein Spielzeug sinnlicher Lüste, wie den Anhängern Mohamed's, noch gilt sie euch nur als Mittel zum Zwecke, wie dies bei unserem Volke der Fall war, wo die Frau nur als Mutter hoch gehalten wurde. Ihr ehrt in ihr die freie Genossin des Mannes, die nicht allein als Hüterin des Hauses, sondern auch als Schützerin jedes rein menschlichen Gefühls an der sittlichen Entwicklung der Menschheit ihren Antheil hat.«

Dem Verlangen seines greisen Pflegers mußte Heinrich oft früher, als er es selbst bei diesen Gesprächen wünschte, nachkommen und wieder in das Haus und auf sein Lager zurückkehren. Aber er schritt von Stunde zu Stunde in der Genesung vorwärts. Dabei übte er sich in der hebräischen Sprache, und da Ben Gabirol seine Lernbegierde bemerkte, holte er Pergamente, Pläne und Zeichnungen hervor, um sie ihm zu zeigen. Der junge Mann vertiefte sich in alle diese Schätze und konnte nicht müde werden, die Schriften, Baupläne und Zeichnungen zu durchstöbern und mit dem Alten darüber zu reden.

Seine Freude wurde jedoch bald durch die Thorheit des treuen Konrad arg gestört. Dieser hatte die Stille nicht länger ertragen und war in der Stadt Eisenach gewesen, wo er einen Herbergswirth kennen lernte. Von diesem hatte er erfahren, wer der Mann eigentlich sei, bei dem sein 218 junger Herr Pflege gefunden. Ein vom verstorbenen Landgrafen Hermann hierher berufener und mit einem Besitzthum und reichen Einkünften bis an sein Lebensende versorgter Jude. Der Mann lebte in seinem abgeschlossenen Eigenthum wie ein Einsiedler und blieb in Bezug auf Wohlthätigkeit nur wenig hinter der seligen Landgräfin Elisabeth zurück, aber er war und blieb ein Jude, und was man sich sonst noch von ihm erzählte, darüber wollte der biedere Wirth nicht weiter reden. Es mußten dem alten Ben Gabirol merkwürdige Kräfte zur Verfügung stehen, denn er wurde noch immer von vornehmen Fürsten und Grafen bei schweren Krankheiten zu Rathe gezogen und bald auf diese, bald auf jene Burg als helfender Arzt entboten. Aber – so meinte der kluge Herbergsvater – die großen Herren erlaubten sich Manches, was der einfache Mann nicht über das Gewissen bringen würde. Wußte man doch recht gut, daß der Landgraf Hermann dem Umgang mit Zauberern überhaupt nicht abgeneigt war, und die älteren Leute in Eisenach erinnerten sich noch sehr wohl, daß bei dem großen Sängerstreit, zu welchem der Landgraf die berühmtesten Dichter und Spielleute aus allen Ländern eingeladen hatte, auch ein Zauberer aus Ungarland bei Nacht und Nebel durch die Luft gefahren kam, um den Streit zu entscheiden. Damals war Pracht und Glanz bei Hofe an der Tagesordnung. Und auf den üppigen Hof Hermann's, an welchem Sang und Saitenspiel den Vorrang hatten, folgten dann fromme Gebete und Kasteiungen. Aber auch diese Mode hatte nun ihr Ende erreicht und auf die übermäßig sanfte Elisabeth war der rauhe Heinrich gekommen, dessen erster Machtspruch die 219 gottesfürchtige Schwägerin von der Burg vertrieben hatte. Der alte Ben Gabirol, so meinte der Herbergsvater, habe es verstanden, sich im Ansehen bis auf diesen Tag zu erhalten. Während der Zeit Hermann's habe er ruhig und still in seinem Hause gelebt und die fromme Elisabeth sei vergeblich bemüht gewesen, einen Christen aus ihm zu machen. Für den Herbergswirth unterlag es daher keinem Zweifel, daß er sich im Besitze besonderer Zauberkräfte befinde, und man müsse abwarten, ob er dieselben auch gegen den rauhen Heinrich erfolgreich anwenden werde. Möge man nun gesinnt sein, wie man wolle, jedenfalls bleibe es eine Sünde und Schande, daß ein gottverfluchter Jude in solchem Ansehen unter ehrlichen Christenmenschen wohnen dürfe. Aber es sei noch nicht aller Tage Abend, und Jedermann würde gut thun, sich nicht allzu vertraut mit dem unheimlichen alten Gabirol zu machen.

Es war nicht zu verwundern, daß diese Mittheilungen des sonst sehr gemüthlichen Wirthes den alten Konrad in Angst und Sorge versetzten. Am Ende war es doch nicht so ganz richtig mit Heinrich's Christenthum, denn die Bekanntschaft mit der heidnischen Hexendirne und nun wieder mit einem jüdischen Zauberer gaben zu mancherlei seltsamen Vermuthungen Anlaß. Konrad hätte gern Blut und Leben im offenen Kampfe für seinen jungen Herrn geopfert, aber vor Hexen und Zauberern hatte er ein Grauen und hielt sich am liebsten von solchen Dingen fern. Er erzählte daher mit höchst bedenklichem Gesichte, was er erfahren, und um Heinrich ganz gewiß ein für alle Mal von der Verbindung mit dem alten Hebräer abzuschrecken, machte er einen Bericht zurecht, worin er das, was der Wirth ihm 220 mitgetheilt hatte, in bester Absicht durcheinander mischte. So versicherte er, die alten Leute in Eisenach erinnerten sich noch, wie der Landgraf Hermann den jüdischen Zauberer Gabirol zu sich beschieden habe und dieser durch die Luft auf die Wartburg geflogen sei. Er warnte seinen Herrn auf das eindringlichste vor dem längeren Umgang mit einem so gefährlichen Menschen und beschwor ihn, sich nicht mehr zu verweilen und das eigentliche Ziel seiner Reise im Auge zu behalten.

Dieser letzte Theil der Warnung des treuen alten Knechtes verfehlte seine Wirkung nicht, denn Heinrich sah in der That ein, daß er seine Zeit zu Rathe halten müsse, wenn er die wichtigste Angelegenheit seines Lebens nicht leichtsinnig versäumen wollte. Er versprach daher dem treuen Konrad, die Wanderung bald fortzusetzen. Inzwischen benutzte er die Zeit reichlich für seine Studien. Hatte er im Kloster Memleben die Schriften der Kirchenväter und vereinzelte römische Dichter kennen gelernt, so fand er hier in hebräischen Uebersetzungen die Werke der Griechen und dazu die philosophischen Schriftsteller der Mauren. Was ihn aber ganz besonders fesselte, waren die architektonischen Pläne und Zeichnungen, welche Ben Gabirol besaß. Zum ersten Male that sich ein großartiger Einblick in das künstlerische Schaffen der arabischen Baumeister vor ihm auf, und seine Seele ergriff mit Feuereifer die Gelegenheit, sich in diese fremdartige, ihn mächtig ergreifende Welt schöpferischer Wirksamkeit zu versenken.

Viel zu frühe war ihm endlich der Tag erschienen, der ihn von diesen Beschäftigungen fortführte. Mit tausendfachem Danke verabschiedete er sich von dem alten Jehuda, 221 der ihm als letzten Segen den Spruch mitgab: »Suche den Frieden in Dir und verbreite Heil nach außen!«

Nach wenigen Tagen der Wanderschaft gelangten Heinrich und Konrad nun eines Abends in die Nähe der Burg Lupesch, die das Ziel ihrer Reise war. Dichte Waldungen umgaben stundenweit die stattlichen Gebäude, welche die Spitze eines sanft aufsteigenden Hügels krönten. Schon von Weitem konnte man erkennen, daß die Baulichkeiten im besten Stande waren und sich durch schmucke und sorgfältige Ausführung von den meisten andern verwahrlosten Burgen unterschieden. Auch die Wege im Gehölze zeigten, daß nichts gespart wurde, um Bequemlichkeit nach allen Richtungen mit Geschmack zu verbinden. Nicht ohne gespannte Erwartung begann Heinrich einen Weg einzuschlagen, der aller Wahrscheinlichkeit nach auf das Haupteingangsthor führen mußte. Konrad war etwas zurückgeblieben. Heinrich wurde durch ein nahendes Geräusch hinter ihm, welches sich wie der Hufschlag von Pferden anhörte, aus seinem Nachdenken aufgeschreckt. Er sah sich forschend nach der Ursache und zugleich nach seinem Begleiter um. In demselben Augenblicke kam Konrad eilig herbeigestürzt, und mit dem Ausdruck höchster Aufregung im Gesichte rief er seinem Herrn entgegen:

»Flieht, Herr Heinrich, entfernt Euch um Gottes willen von diesem Wege und verbergt Euch im tiefsten Dickicht, damit sie Euch nicht erblicken kann. Es ist um das Heil Eurer Seele geschehen, wenn Ihr hier auf dem Wege verweilt, denn ohne Zweifel will Euch der Satan in seiner sichersten Schlinge fangen.«

Bevor Heinrich noch ein Wort des Erstaunens oder 222 Zweifels äußern konnte, hatte der treue Diener seinen Arm gefaßt und ihn seitwärts vom Wege ab in das Dickicht, zwischen Bäumen und Gestrüpp, eine Strecke weit fortgezogen. Heinrich war darüber so verblüfft, daß er keine Worte finden konnte, aber es blieb ihm dazu auch schon deshalb keine Zeit, weil er sich erstaunt umsah nach dem Wege, wo sein Auge nun durch einen herannahenden prächtigen Jagdzug gefesselt wurde. Konrad hatte ihn noch tiefer in das Dickicht ziehen und dadurch verhindern wollen, daß er überhaupt die herannahenden Theilnehmer des Zuges erblicken könne, aber Heinrich schob den Arm des entsetzten Knechtes bei Seite und suchte sich selbst eine geschützte Stelle, von welcher aus er den Jagdzug genau sehen konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Dort war er trotz allen Zuredens des vor Aufregung und Angst ganz umgewandelten Konrad stehen geblieben. Wollte er doch mit eignen Augen sehen, vor wessen Anblick er sich hüten solle und welche Erscheinung den muthigen Kriegsmann so in Furcht gejagt hatte.

Aber seine Verwunderung erreichte auch wirklich den höchsten Grad, und er mußte beinahe auf den Gedanken kommen, daß er von einem Traume befangen sei oder unter dem Einfluß einer Zaubermacht sich befinde. Von der sanft abfallenden Anhöhe herab zeigte sich seinen erstaunten Blicken eine Gesellschaft von etwa zwanzig Herren und Damen in äußerst prächtigen Jagdanzügen, gefolgt von einer Anzahl gleichfalls reichgekleideter Edelknaben und Diener, welche die Falken auf der Faust trugen und mit Jagdgeräthe mancherlei Art, sowie mit erlegtem Wilde, der Ausbeute des heutigen Jagdzuges, beladen waren.

223 Die Gesellschaft ritt nachlässig paarweise in lautem, oft von lustigem Lachen unterbrochenem Gespräche dahin. Man ließ die Pferde in gemächlichem Schritte gehen, und es war offenbar, daß man nach den aufregenden Stunden der Jagd sich nun der Heimkehr und der wartenden Erholung und Erquickung freute.

Wie festgewurzelt stand Heinrich und betrachtete mit ungläubigen Augen das erste Paar des Zuges. Vergeblich machte Konrad noch einmal den Versuch, ihn warnend tiefer in den Wald zu locken, der junge Mann wies ihn unwillig flüsternd ab, und es blieb dem treuen Knechte nichts Anderes übrig, als aus seinem angsterfüllten Herzen ein Stoßgebet für das Seelenheil seines Herrn zum Himmel zu senden. Auf reichgeschirrtem, edlem Pferde saß eine stattliche Männergestalt, deren Kleidung und Haltung sofort den Herrn aus dem vornehmsten Stande verrieth. Sorglose Heiterkeit und nachlässige Sicherheit, wie sie die Gewohnheit des Herrschens und des ungetrübten Lebensgenusses giebt, sprachen aus seinen Zügen, sowie aus der Haltung und den elastischen Bewegungen des kräftigen Körpers. Mit frohen Scherzen wandte er sich unausgesetzt seitwärts zu seiner Nachbarin, die mit ziemlich gleichgültigem Gesichte auf einem weißen langmähnigen Pferde saß, dessen zierlicher Gang neben dem braunen Rosse des vornehmen Begleiters einen überaus eleganten Eindruck machte. Von feinem grünen Stoffe gearbeitet, floß das Kleid der Dame in schönen Falten hernieder. Die wenigen Verzierungen an Brust und Aermeln, die in Gold ausgeführt waren, harmonirten mit der Ausschmückung des Baretts, welches ungemein kühn sich auf dem üppigen goldbraunen Haare 224 wiegte. Kein Zweifel! dieses Gesicht und diese Haare waren Heinrich bekannt, und so unglaublich, räthselhaft und unbegreiflich es war, er mußte sich zugestehen, daß er die Enkelin der alten Gunda, das Hexenkind Wulfhilde, in ganz verwandelter Gestalt vor sich sah. Für Konrad war es in diesem Augenblicke kein Zweifel mehr, daß eine solche Umänderung nur durch schändliche Teufelskünste möglich gewesen, und er glaubte sicher, der Satan habe es darauf abgesehen, seinen Herrn zu verführen und zu verderben. Heinrich selbst wußte nicht, wie er über den Zusammenhang denken sollte. Daß der Herr an Wulfhildens Seite König Heinrich sein müsse, schien ihm außer allem Zweifel, aber wie war das Mädchen in diese Umgebung und an die Seite des Kaisersohns gekommen? Er fühlte sich wirklich selbst einen Augenblick geneigt, an Zauberei und Teufelsspuk zu glauben, aber bevor er noch seine Gedanken sammeln konnte, war der prächtige Jagdzug plaudernd und lachend vorübergeritten, und da auf der andern Seite der Weg wieder aufwärts ging, verschwand die ganze Gesellschaft wieder hinter Bäumen und Gebüsch. Kurze Zeit hörte man noch das Geräusch der Hufe, einen lauten Ausruf, ein helles Lachen, dann war Alles still, und Heinrich glaubte in der That, er habe vielleicht mit offenen Augen geträumt oder eine Sinnestäuschung erlebt. Dunkel war ihm noch in der Erinnerung, daß hinter dem vermeintlichen Prinzen und seiner Begleiterin ein älteres Paar geritten und daß die betreffende Dame einen stolzen und herrischen Zug in ihrem verblühten Gesichte hatte erkennen lassen.

Eine Weile standen Heinrich und Konrad noch immer sprachlos bei einander. Ersterer versuchte eiligen Schrittes 225 zwischen den Bäumen hindurch wieder auf den Weg zu gelangen, während Konrad ihn zurück zu halten strebte und ängstlich zu ihm sagte:

»Ihr wollt doch nicht diesem Teufelsspuk nachlaufen? Betrachtet es als eine Warnung des Himmels, daß Ihr rechtzeitig gesehen habt, was Euch auf der Burg erwartet. Mir zittern alle Glieder, wenn ich nur daran denke, daß Ihr in Eurer Unschuld einer so großen Gefahr entgegen ginget. Laßt uns keinen Augenblick verlieren und sofort einen andern Weg einschlagen.«

»Du bist nicht klug!« versetzte Heinrich. »Was sollte mir auf der Burg drohen? Wäre es nicht die lächerlichste Feigheit, wenn wir jetzt, so nahe am Ziel, vor einer eingebildeten Gefahr umkehren wollten? Ich begreife nicht, wie ein tüchtiger Kriegsmann solchen Vorschlag machen kann. Und was sollen wir beginnen, wenn ich das einzige Mittel aus der Hand gebe, welches mir zu den Vortheilen und Rechten verhelfen kann, die mein Vater mir zugedacht hat?«

»O, lieber Herr Heinrich,« entgegnete Konrad, »laßt Euch doch durch mich warnen. Mich schreckt keine Gefahr, wenn es sich um Gegner von Fleisch und Blut, oder um den Kampf mit natürlichen Gewalten handelt, aber wir stehen hier den höllischen Mächten gegenüber, und mit denen ist mit Muth und Kraft nichts auszurichten. Macht Euch wegen der Zukunft keine Sorgen! Seid Ihr nicht jung und kräftig und wohlgeübt in der Führung der Waffen, wie auch erfahren in gelehrten Dingen? Da kann es Euch doch nicht fehlen! Rennt nicht mit offenen Augen in diese Schlinge, die Euch der Satan zu zeitlichem und ewigem 226 Verderben gelegt hat. Wir wollen Dienste nehmen und nach Italien oder Palästina oder sonst wohin ziehen. Ueberall will ich Euch als Gefährte und treuer Knecht folgen, nur bleibt von dieser Gesellschaft fern, die wir hier vorüberziehen sahen und die Euch geradeswegs in das ewige Höllenfeuer liefern würde.«

Heinrich hatte mit vielen Zeichen der Ungeduld diese Worte angehört. So unbegreiflich ihm Wulfhildens Aufenthalt an diesem Orte auch war, sagte er sich doch, daß möglicherweise eine Verwechslung vorliege, oder das Zusammentreffen ungeahnter Umstände das Mädchen in die Nähe des Königs geführt habe. Vielleicht war ihre Abstammung plötzlich an den Tag gekommen. Jedenfalls empfand Heinrich in diesem Falle anders, als der treue Konrad. Letzterer wäre seinem jungen Herrn an tollkühner Unerschrockenheit einem Feinde gegenüber überlegen gewesen, aber hier handelte es sich um moralischen Muth, und darin übertraf der geistig höher stehende Heinrich den derben Pfleger seiner Kindheit bedeutend.

»Es steht Dir frei,« sagte Heinrich, »mich zu verlassen oder bei mir zu bleiben, aber jedenfalls werde ich, so nahe am Ziele meiner Wanderschaft, nicht umkehren, bevor ich den Zweck derselben erfüllt habe. Ich verfüge mich in die Burg und übergebe das Schreiben meines Vaters, mag kommen, was da wolle.«

Konrad gerieth in nicht geringe Unruhe über diesen mit solcher Bestimmtheit ausgesprochenen Entschluß seines Herrn. Was sollte er thun? Wie bei allen Menschen seiner Art überstieg die Macht des Aberglaubens alle seine übrigen Eigenschaften, und wenn es nicht gelang, ihm seine thörichten 227 Einbildungen auszureden, war nichts mit ihm anzufangen. Als er abermals versuchen wollte, Heinrich zu warnen, verbot ihm dieser allen Ernstes jedes Wort dieser Art. Aber der junge Mann erkannte mit aufrichtiger Betrübniß, daß er auf einen Ausweg denken und den alten treuen Knecht nicht ganz von seiner Seite treiben dürfe. Er schlug ihm daher vor, in dem Dorfe Lupesch, welches am Fuße des Abhanges lag und dem Burgfrieden angehörte, Unterkunft zu suchen, während er selbst seiner Absicht folgte und eine Zusammenkunft mit dem Prinzen Heinrich zu erlangen suchte. Mit schwerem Herzen willigte Konrad ein. Es war ihm ohne Zweifel mehr um das Wohl seines Herrn als um sein eignes zu thun, aber diese treue Ergebenheit bewährte sich doch nur so weit, als es sich mit der Furcht vor ewigen Höllenstrafen vereinigen ließ. Wollte Herr Heinrich sich durchaus mit dem Teufel in einen Kampf einlassen, so mußte er ihn allein durchfechten, Konrad hatte gewarnt und Alles aufgeboten, was die rechte Mannestreue in solchem Falle befiehlt.

Somit trennten sie sich denn, und während Heinrich zur Burg hinaufschritt, verfügte sich Konrad in das Dorf, wo er ein Unterkommen fand und den Dingen, die sich ereignen sollten, mit Bangen entgegensah.

Seine Ansicht, daß die schöne Wulfhilde ein richtiges Hexenkind und teuflischer Zauberkünste mächtig sei, wurde durch die Leute des Dorfes, mit welchen er bald Freundschaft schloß, in jeder Weise bestärkt. Die Bewohner der Umgegend waren gar nicht erbaut über das Leben und Treiben auf der Burg. Oben ging es täglich und stündlich hoch her und man erzählte sich Wunderdinge von den 228 Festen und Lustbarkeiten, die dort abgehalten wurden. Die Dienerschaft mochte in ihren Mittheilungen auf die Leichtgläubigkeit der Bauern bauen und diesen die übertriebensten Dinge erzählen; so viel war gewiß, daß die Tage und die halben Nächte in Jubel und Freuden zugebracht wurden, daß täglich große Gastmähler stattfanden und bei den wilden Jagden das Eigenthum und die Arbeit der Landleute in keiner Weise geschont wurde. Wenn sie einmal daran waren, ein Wild zu hetzen, frugen sie nicht darnach, ob sie die Saaten zerstörten, und oft raste der ganze Troß durch die hoffnungsvoll prangenden Aecker und Gärten, ohne auch nur daran zu denken, daß die Frucht der ganzen Jahresarbeit unter den Hufen ihrer Pferde zu Grunde ging. Wagten es die Bauern, sich ihnen flehend in den Weg zu stellen, so lachten die schönen Reiterinnen höhnisch auf und die Herren hieben mit ihren Reitgerten unter Scheltworten unbarmherzig auf Männer, Weiber und Kinder ein. Ein Gefühl für die Leiden der armen Menschen kannten sie nicht, und es war natürlich, daß diese dagegen in ohnmächtig dumpfem Haß auf die allmächtigen Burgbewohner blickten.

Dies waren die Ansichten der Landbewohner und Hörigen. Hätte Konrad Gelegenheit gehabt, zu erfahren, was man in den Kreisen der Bürger in den nahgelegenen Städten über die Lebensweise des Königs Heinrich sprach, so würde er aufs Neue eingesehen haben, welche üblen Folgen die gegenwärtigen Zustände im Reiche hatten. Während Kaiser Friedrich seine eignen ehrgeizigen Pläne verfolgte und nun wirklich nicht nur den geplanten Kreuzzug ausführte, sondern sich in Jerusalem zum Kaiser von Palästina 229 erheben ließ, schaltete sein Sohn Heinrich nach Gutdünken und verschaffte sich die Mittel zu seinem ausschweifenden Leben durch wenig ehrenhafte Anordnungen. Er verpfändete und verkaufte Land und Leute, theils aus eigner Machtvollkommenheit, theils unter Vorbehalt der Genehmigung seines Vaters, und er war darin bereits so weit gegangen, daß schwere Anklagen gegen ihn endlich den Weg bis zu des Kaisers Ohren fanden. Die bösen Rathgeber des Königs verleiteten ihn zu den unerhörtesten Mißbräuchen, bei welchen seine erhabene Stellung nur so lange als Deckmantel dienen konnte, bis der Kaiser selbst die Geduld verlor.

Inzwischen war Heinrich von Sunnera auf der Burg Lupesch eingetroffen, und da er bewies, daß er einen Brief von sehr vornehmer Hand an den König selbst zu übergeben hatte, wurde er vorläufig von dem Burgherrn, dem Grafen Lupesch, empfangen. Als dieser fand, daß er es mit einem vortheilhaft aussehenden und geistig hochgebildeten jungen Manne zu thun hatte, bat er denselben, sich als Gast der Burg zu betrachten, und setzte mit wohlwollendem Lächeln hinzu, der hohe Herr, der seinem Hause gegenwärtig die Ehre erzeige, darin zu verweilen, habe für Geschäftsangelegenheiten nicht viel Zeit übrig, namentlich jetzt nicht, wo eine schöne Zauberin sein Herz ganz in Anspruch nehme. Heinrich müsse daher Geduld haben, bis ihm die Gelegenheit günstig sei.

Der Graf hatte die Bezeichnung »Zauberin« in bildlichem Sinne gebraucht, aber das Wort durchfuhr den Hörer wie ein Blitzstrahl, da es seine Vermuthung, daß Wulfhilde des Prinzen Leidenschaft beherrsche, zu bestätigen schien.

230 Der Gast wurde darauf durch den Grafen an einen der höheren Burgdiener empfohlen, und dieser nahm sich seiner freundlich an und sorgte für sein Unterkommen in einem Gastzimmer der Burg.

Man sagt oft, es bestehe ein geheimnißvoller Zusammenhang zwischen den wirklichen Ereignissen und der inneren Stimmung der Menschen, die mit ersteren bewußt oder unbewußt verbunden sind, derart, daß eine scheinbar grundlose frohe oder üble Laune zurückzuführen sei auf irgend ein Ereigniß, welches zu derselben Zeit mit der Stimmung des betreffenden Menschen in innerer Beziehung stehe. Was wissen wir überhaupt von den Ursachen und Wirkungen im menschlichen Seelenleben! Zu derselben Zeit, als Heinrich in der Burg Lupesch als Gast aufgenommen wurde, empfand eine Bewohnerin desselben die unerklärlichste Mißstimmung, eine Art von Wuth und Reue über sich selbst, obgleich augenblicklich kein besonderer Grund dafür vorhanden war. Der erste Anfall von Ueberdruß und Ekel vor dem fortwährenden Genußleben, das unaufhörlich auf der Burg herrschte und schließlich die Nerven in einen Zustand der Abspannung versetzen mußte, ergriff Wulfhilde mit voller Macht, ohne daß sie von Heinrich's Ankunft eine Ahnung hatte.

Während letzterer in dem kleinen aber ganz behaglichen Gemach, welches man ihm angewiesen hatte, sich allein befand und, auf die Lagerstatt hingestreckt, in Nachdenken versank, schritt in einem andern, viel kostbarer ausgestatteten Raume die schöne Wulfhilde unmuthig auf und ab. Sie hatte ihre Anwesenheit bei dem heutigen Gastmahle mit der Angabe verweigert, daß sie endlich einmal der Ruhe 231 bedürfe und erst nach einigen Tagen wieder an den Lustbarkeiten Theil nehmen werde. Das Gemach, in welchem sie sich befand, war mit jenem etwas barbarischen Luxus ausgestattet, wie er bei dem Zusammenfluß von orientalischer Ueppigkeit und nordischer Unbeholfenheit sich auf den großen deutschen Burgen überall damals zeigte. Die Geräthschaften, Draperien und Teppiche, welche aus dem griechischen Kaiserreiche oder aus Italien eingeführt wurden, waren auf ganz andere klimatische Verhältnisse berechnet und nahmen sich neben den Bärenfellen theilweise recht fremdartig und ungeschickt in den Burggemächern aus. Trotzdem ließ sich nicht leugnen, daß auf Burg Lupesch Alles geschehen war, um die widersprechendsten Elemente zu einer gewissen Harmonie zu vereinigen. Die offenen Hallen und Laubengänge nach den Höfen und Gärten boten in ihrer Ausstattung mit Schlingpflanzen einen ganz malerischen Anblick, und wenn Epheu und Gaisblatt auch noch zu den seltenen Ziergewächsen gehörten, wucherten sie doch hier bereits in großer Ueppigkeit. Daß man sich in den harten Wintermonaten einschränken und oft Wochen lang auf größere gesellige Zusammenkünfte verzichten mußte, war einmal nicht zu ändern. Kam doch gerade deshalb fortwährend die ewige Sehnsucht nach dem Süden wieder zum Ausbruche, weil der rauhe Charakter der Natur in den nördlichen Gegenden gar zu tyrannisch in das Leben eingriff. Anstatt darüber zu sinnen, wie man durch Erfindungsgeist und Klugheit der rauhen Macht des Klimas begegnen könne, trachtete man darnach, mit den Waffen in der Hand ein von der Natur begünstigteres Land für sich zu erobern.

Wulfhilde hatte sich eben des kostbaren Jagdkleides 232 entledigt und nicht nur das Barett nachlässig auf einen Stuhl geworfen, sondern auch das seidene Band gelöst, welches ihre prachtvollen Haare zusammenhielt. Auch ohne Schmuck, im Unterkleide von feinem Linnen, die langen glänzenden Haare über den Nacken und den fast ganz entblößten Busen herabhängend, die schön geformten Arme gekreuzt, sah sie im Vergleiche zu früherer Zeit noch immer wie eine Fürstin oder vielmehr wie eine Gestalt aus der Märchenwelt aus. Wenn der rohe Neger Afrikas an den eben erblühten Reizen der unbekleideten Schönen seiner Heimath wenig Wohlgefallen findet und der für ein gebildetes Auge widerwärtig entwickelten Ueberfülle seinen Beifall schenkt, so verräth er damit eben den untergeordneten Standpunkt seiner geistigen Entwicklung. Ungefähr in gleicher Weise hatte sich die Verschiedenartigkeit des Geschmackes Wulfhilden gegenüber bewährt. Auf die rohen Sinne der jungen Bauern ihrer Heimath hatte ihre eigenartige Schönheit niemals Eindruck gemacht, aber überall, wo der Zufall sie vor die Augen feiner empfindender Männer führte, war sie des unbedingten Sieges gewiß. Seitdem ein wunderbares Zusammentreffen sie mitten in die Welt verfeinerten Genusses versetzt hatte, wo ihre Schönheit durch prachtvolle Gewänder, Schmuck und sorgsame Pflege gehoben wurde, strahlte sie in so blendender Vollendung, daß es gar kein Wunder war, wenn der Sohn des Kaisers, der vornehmste Kenner weiblicher Anziehungskraft, ihr seine volle Huldigung gewidmet hatte.

Das Jagdkleid lag gänzlich unbeachtet auf irgend einem Möbel, gleich dem Barett und den sonstigen Schmuckgegenständen. Neben dem Wohngemache befand sich ein 233 größerer Schlafraum, und von dort her vernahm man die unangenehm lauten Athemzüge eines in tiefem Schlafe befindlichen Menschen. Wulfhilde hatte sich von Anfang an jede besondere Bedienung verbeten, weil sie dabei den Zweck verfolgte, die Anwesenheit ihrer Großmutter möglichst vor Aller Augen geheim zu halten. Aus diesem Grunde begnügte sie sich mit der Hülfe, welche die alte Frau selbst ihr gewähren konnte.

Diese aber hatte auch ihre Lieblingsgewohnheiten, und obgleich ihr aus der Burgküche reichlich Speise und Trank zugestellt wurde, vermochte sie nicht auf den Gebrauch gewisser Getränke und Genußmittel zu verzichten, welche sie sich, gleich anderen alten Frauen ihrer Art, aus selbst gesuchten Kräutern mit eigner Hand bereitete, und durch die sie sich von Zeit zu Zeit in einen Zustand wollüstiger Betäubung versetzte. Auch jetzt wieder lag sie auf einem Bärenfelle in dem Schlafraume, und es war sehr möglich, daß während sie das äußerst widerwärtige Bild eines berauschten, häßlichen alten Weibes bot und dabei das Ohr durch ihre lauten und unmelodischen Athemzüge belästigte, ihre Seele in wirren Traumgebilden sich am wüsten Treiben der Walpurgisnacht ergötzte und ihre krankhafte Fantasie allerlei unlautere Vorgänge durchlebte.

Vielleicht war es der Anblick der Großmutter, was Wulfhilde in so unzufriedene Stimmung versetzt hatte? Jedenfalls trug derselbe nicht wenig dazu bei, ihre Mißlaune zu verstärken und ihre Gedanken von der lustbelebten Gegenwart zurückzuführen zu Bildern aus trüber Vergangenheit.

Wulfhilde hatte von jeher unter dem Zusammenleben mit der alten Frau zu leiden gehabt, aber sie wußte nicht 234 anders, als daß sie die Stütze und der einzige Trost derselben sei und daß Gunda nicht ohne sie leben könne. Wohl war es dem lebhaften klugen Kinde seit langer Zeit klar, daß seine Jugendgespielen ihm nicht wohl wollten und seine Ueberlegenheit mit Haß vergalten. Sie nährte lange den Wunsch, sich dem immer unerträglicher werdenden Leben in der Hütte der alten Gunda zu entziehen, aber wie sollte dies geschehen? Erst als sie zuweilen bemerkte, daß sie nicht überall mißfalle, war für sie der erste Lichtblick in ihr wüstes und verfinstertes Leben gedrungen.

Dann aber hatte sie eine gewaltige und auf ihr ganzes Wesen bestimmend einwirkende Erfahrung gemacht, als sie den geistig überlegenen Heinrich kennen lernte. Sie war nun ein tief und stark empfindendes Weib geworden, und als die drohende Gefahr sie nöthigte, mit der Großmutter aus der heimathlichen Hütte zu entfliehen, schlug sie denjenigen Weg ein, von dem sie wußte, daß auch der Mann ihrer Träume ihn ziehen werde. Sie hoffte sicher, ihm wieder zu begegnen. Konnte sie ahnen, daß das unglückliche Zusammentreffen mit Udo von Brachfeld alle Berechnungen über den Haufen werfen werde! Mit der Großmutter hielt sie sich im Walde, nahe bei der Burg Lupesch, verborgen und spähte Tag und Nacht, ob Heinrich nicht endlich am Ziele seiner Wanderschaft eintreffen werde. Aber mit jedem Tage sank ihre Hoffnung mehr, und zugleich stieg die Noth um des Lebens Unterhalt immer höher, denn die Mildthätigkeit der Landbewohner hatte enge Grenzen, und was man an Beeren und Wurzeln im Walde fand, war auch nicht genügend für längere Zeit.

235 Alles dies ging ihr in diesem Augenblicke durch den Kopf. Erregt hemmte sie plötzlich ihren Schritt und ließ sich auf eine kostbare Ottomane niederfallen, um ihren Gedanken weiter nachzuhängen. Sie gedachte Dietmar's von Kalmburg und seiner Mutter, und ihre Züge nahmen einen heiteren Ausdruck an, sie dachte an Heinrich, und ihr Gesicht überflog ein beseligter Zug, aber plötzlich wurden ihre Mienen ernst und finster, obgleich ihre Gedanken sich dem Zeitpunkte näherten, in welchem sie die höchste Stufe ihrer Triumphe und damit das üppigste Genußleben erreicht hatte. Das schöne Auge blickte düster zu Boden und den holden Mund, dessen freundliches Lächeln den Sohn des Kaisers in Fesseln geschlagen hatte, umzuckte ein bitterer Zug, der halb Verachtung, halb Schmerz bedeutete.

Vor ihrer Fantasie entwickelte sich das Bild jenes Tages, wo eine zufällige Begegnung unter ganz absonderlichen Umständen ihre Lage plötzlich verändert hatte. Abgemattet und muthlos war sie in der Nähe der Felsenhöhle, in welcher sie mit der Großmutter die Nächte zubrachte, zu einer Stelle gelangt, wo ein starker Quell frischen Wassers zwischen schroff überhängendem Gestein hervorsprudelte und weiter fließend einen klar durchsichtigen, ziemlich tiefen Bach bildete. Sie hatte so viel geweint, daß sie keine Thräne mehr hatte und in stumpfe Gleichgültigkeit versunken war. Um sich zu erfrischen, setzte sie sich an den Rand des Wassers und senkte die kleinen nackten Füße in das kühlende Naß. Die Felsen bildeten an dieser Stelle eine förmliche Mulde, in welcher das klare Wasser sich sammelte, bevor es weiter floß. Auf dem Boden sah man den Sand und die reinlichen Kieselsteine, aber von dem Rande des Steines, auf 236 welchem Wulfhilde saß, konnte sie sitzend nur eben mit den Füßen die Oberfläche des Wassers erreichen. Wie gerne hätte sie sich einmal recht erfrischt und in einem Bade ihre ermatteten Glieder erquickt. Sie sah sich nach allen Seiten um. Es war so einsam und still und der Wald trug so sehr das Gepräge der Weltabgeschiedenheit, daß man glauben konnte, niemals sei eines Menschen Fuß bis hierher gelangt. Noch im Umsehen löste sie die Flechten, welche ziemlich ungeordnet geblieben im Kummer der letzten Tage und lose ihr reizendes Köpfchen umgaben. Einem weichen dichten Mantel gleich flossen die langen Haare über ihre Gestalt herab. Nun sprang sie auf die Füße, mit wenig raschen Griffen entledigte sie sich ihrer einfachen Kleidungsstücke und stieg dann in die aufspritzende klare Fluth hinunter. Obgleich sie sicher war, daß keines Menschen Auge ihr Treiben bemerken konnte, klopfte doch ihr Herz, als sie bemerkte, wie das durchsichtige Wasser keinen Ersatz für die abgelegten Hüllen bot. Es war gar zu herrlich und verlockend, ein wenig zu plätschern und zu tauchen. Nach und nach wurde sie sicherer. Sie trieb allerlei Kurzweil, indem sie ihr Bild im Wasser betrachtete und dann mit der flachen Hand darauf schlug, daß es sich in wunderlichen Kreisen und Wellenlinien bewegte.

So hatte sie es eine Weile getrieben, als ihr plötzlich das Herz vor Schrecken fast stille stand, denn sie vermeinte in der Nähe Geräusch zu hören. Was konnte es sein? Gewiß irgend ein friedliches Thier des Waldes, das auf dem dürren Laube vorüberlief, oder ein Vogel, der zwischen den Aesten und Zweigen der Bäume umherflatterte. Sie lauschte noch einmal, aber nun vernahm sie menschliche 237 Laute, und es ergriff sie plötzlich eine so sinnverwirrende Angst, daß sie, ohne viel zu überlegen, rasch nach dem Ausfluß der Quelle hineilte, um sich dort zwischen den überhängenden Felsen zu verstecken. Sie kauerte nieder, hüllte sich in ihre langen Haare und blickte mit den großen Augen ängstlich forschend nach der Gegend hin, von woher das Geräusch gekommen war.

Zu ihrem Schrecken gewahrte sie zwei Männer in Jagdkleidern, die ihre Pferde an den Zügeln führten und sich dem Bache näherten. Anfänglich konnte sie nicht verstehen, was die Herren zusammen sprachen, aber sie sah deutlich, daß dieselben forschend umherblickten.

Es war Graf Lupesch und König Heinrich. Letzterer war vor einigen Tagen auf der Burg eingetroffen. Die beiden Herren durchstreiften die Gegend und hatten sich etwas weit in den Wald gewagt. Sie spähten nun nach Wasser umher und überließen es halb und halb den durstigen Pferden, das ersehnte Naß zu finden. Der König hatte eben scherzhaft die Bemerkung gemacht, daß die rieselnde Quelle in der Waldeinsamkeit an den Aufenthalt einer Nixe gemahne, die vielleicht durch Zauberkraft sie herbei gezogen habe.

Plötzlich rief der Graf: »Wahrhaftig, mein hoher Herr, hier sehe ich den Beweis, daß wirklich eine Nixe uns hierher gelockt hat. Da liegen die Kleider der Spukerscheinung. Aber darin wird ja wohl Fleisch und Blut gesteckt haben,« setzte er lachend hinzu. »Wohin mag sie gerathen sein, die kleine Undine?«

Der König hatte bereits das erschrockene Gesicht Wulfhildens aus dem Hintergrund der Felsen hervorblicken sehen 238 und deutete erstaunt und stumm nach der Stelle hin. Sein Begleiter rief dem Mädchen zu und forderte es auf, aus seinem Versteck hervorzukommen.

Wulfhilde rührte sich nicht. Eine ganze Weile standen die Herren und wußten nicht, was sie von dem ebenso reizenden wie räthselhaften Abenteuer denken sollten.

Endlich machte der Graf Miene, das Wasser zu durchwaten, um die unbekleidete Schönheit gewaltsam aus ihrem Versteck zu holen, ein Versuch, der jedenfalls für seine Augen von schlimmen Folgen gewesen wäre, denn Wulfhilde war sprungbereit wie eine gereizte Tigerin und ihre Blicke funkelten in der Erwartung eines Angriffs.

»Nicht doch, Herr Graf,« sagte nun der König, indem er den Graf am Arme zurückhielt, »keinen übereilten Schritt! Das reizende Abenteuer wird sich wohl in friedlicher Weise zu Ende bringen lassen.«

Darauf rief er dem Mädchen zu: »Komm hervor, schönes Kind, und fürchte Dich nicht vor uns. Waldnymphen und Undinen sind ja immer den verirrten Menschensöhnen liebreich zu Hülfe gekommen, und so kannst Du uns vielleicht auch den rechten Weg aus dem Dickicht zeigen und zugleich –« setzte er lachend hinzu, »dieses heimlich abgelegene Plätzchen als Tempel der Schönheit in unsere Erinnerung einprägen, wenn Du uns den Anblick Deiner Reize gestatten willst.«

Wulfhilde rührte sich nicht, und die beiden Herren mußten sich endlich entschließen, entweder jeden Versuch, mit dem räthselhaften Wesen ein Gespräch anzuknüpfen, gänzlich aufzugeben, oder Gewalt anzuwenden, denn daß sie sich darauf einlassen würde, ihr sicheres Versteck gutwillig 239 zu verlassen, bevor die beiden Männer sich gänzlich von dem Orte entfernt hatten, war nach dem deutlich wahrnehmbaren Ausdrucke ihres entrüsteten Gesichts nicht anzunehmen. Endlich kam der König auf ein Auskunftsmittel. Er nestelte von der Schulter das Band seines Mantels los, stieg dann, ohne weiter ein Wort zu sagen, in das Wasser und watete, den Mantel vor sich ausgebreitet tragend, durch dasselbe bis zu dem Mädchen hin. Zwei Schritte von ihr entfernt, hielt er ihr den ausgebreiteten Mantel entgegen und sagte:

»Hülle Dich hier hinein, ich werde den Blick unterdessen abwenden.«

Bei dieser Gelegenheit hatten sich die beiden in die Augen gesehen, und Wulfhilde war durch den Blick und den Klang der Stimme des jungen Mannes zutraulicher geworden.

Rasch entschlossen nahm sie sein Anerbieten an und wickelte sich blitzschnell in den goldgestickten Sammetmantel ein, der ihr bis an die Kniee reichte. Der Ritter wurde seinerseits nun auch kühner. Er faßte die vor Aufregung über das Erlebniß bebende Gestalt und trug sie wie ein Kind auf den Armen durch das Wasser, wobei er Gelegenheit hatte, die bezaubernde Schönheit ihres errötheten Gesichtes zu betrachten.

König Heinrich war ein leichtsinniger Lebemann, aber kein roher Genußmensch. Der poetische Zauber dieses zufälligen Erlebnisses drängte für den Augenblick jede unlautere Begierde zurück.

Wulfhilde empfand die ganze Hülflosigkeit ihrer Lage, aber während sie der rohen Gewalt sich mit der äußersten 240 Wuth widersetzt haben würde, gewann die Art und Weise, wie der junge, ihr unbekannte Ritter sich gegen sie verhielt, ihr volles Vertrauen. Er wiederholte ihr nämlich die Versicherung, daß sie nichts zu befürchten habe, aber er setzte zugleich hinzu, er werde sich glücklich schätzen, wenn sie ihm freiwillig nach der Burg Lupesch folgen wolle, zu welcher sie vielleicht von dieser abgelegenen Stelle aus den Weg zeigen könne.

Nun erst gewann Wulfhilde einige Fassung. Es entging ihr nicht, daß die beiden Herren sehr kostbar gekleidet waren, und zugleich bemerkte sie die ehrerbietige Haltung des Grafen gegen seinen jüngeren Gefährten. Sollte dieser der Sohn des Kaisers sein? In ihrer Seele stritten sich die seltsamsten Gefühle. Daß sie dem jungen Manne gefiel und daß er wie gebannt an ihren Blicken hing, fühlte sie nur zu gut. Ohne selbst darüber klar zu sein, handelte sie, wie es geeignet war, den leicht erregten Fürstensohn ernsthafter zu fesseln. Sie versicherte, daß sie den Weg aus dem Walde bis zur Lupescher Burg zu finden sich getraue, aber sie werde sich nur unter der Bedingung zur Führerin hergeben, wenn man ihr gestatte, ihre Kleider wieder anzulegen, während die Herren abgewendet bei ihren Pferden blieben, bis sie sich zu ihnen gesellen werde.

Der gutmüthige König war damit einverstanden. Er und der Graf begaben sich zu ihren Pferden. Unterdessen warf Wulfhilde in größter Eile sich wieder in ihre Kleider. Lächelnd näherte sie sich dann dem Könige, der inzwischen mit seinem Begleiter Rath gehalten hatte, und überreichte ihm den ziemlich durchnäßten Mantel. Als der Graf dies bemerkte, löste er die Schnüren des eignen Mantels und 241 bot denselben dem Könige als Ersatz. König Heinrich aber, von einem besorgt zärtlichen Gefühle ergriffen, legte den prächtigen Mantel des Grafen um Wulfhildens Schultern und hob das Mädchen auf sein eignes Pferd, das er selbst am Zügel führte. Der Graf folgte, indem er sein Pferd führte. Wie in einem Märchen bewegte sich der Zug nun durch die Pfade des Dickichts. Voran das schöne Roß des Königs mit Wulfhilde, die in den kostbaren Mantel gehüllt war, während der hohe Herr die Zügel in der Hand hielt und bewundernd in das Gesicht der Reiterin blickte. Darauf der Graf, der den Mantel des Königs auf sein Pferd gelegt hatte, damit er trockne. So gelangten sie langsam vorwärts. Wulfhilde bezeichnete die Pfade, und bald waren sie an einem Hauptwege angelangt, von welchem die Richtung auf die Burg leicht zu finden war.

Wulfhilde hatte unterwegs die an sie gerichteten Fragen kurz beantwortet und verlangte nun abzusteigen, aber der König bat sie, ihm zuvor die Stelle zu zeigen, wo sie selbst wohne. Der Graf schloß sich seiner Bitte an, und Wulfhilde gewährte dieselbe, indem sie ihre Angaben machte. Der Graf lachte herzlich darüber, daß ihn auf seinem eignen Gebiete ein fremdes Mädchen zurechtwies. Er erkundigte sich scherzend nach Wulfhildens Herkunft, wenn sie nicht, wie er noch immer vermuthe, am Ende doch eine verlockende Wasserfee sei. Das Mädchen gestand nun, sie sei aus ferner Gegend hierher gewandert und halte sich mit der Großmutter im Walde verborgen, da sie Niemand in der Gegend kenne und von Niemand Hülfe zu hoffen hätte.

Der Graf würde wahrscheinlich nicht so herablassend freundlich mit der armen Dirne geredet haben, hätte er 242 nicht längst deutlich bemerkt, daß der kaiserliche Prinz ganz bezaubert von ihren Reizen war. Es zeigte sich also hier vielleicht endlich das Mittel, um den wankelmüthigen Sinn des genußsüchtigen Kaisersohnes in Banden zu schlagen und auf diese Weise auf der Burg Lupesch für längere Zeit festzuhalten.

»Armes Kind,« sagte der Graf in mitleidigem Tone, »Du sollst nicht länger dem Elende preisgegeben sein. Meine Gemahlin wird Dich in ihren Schutz nehmen und Dir Alles geben, was Du für Dich und Deine Großmutter bedarfst. Am besten wird es sein, ich sende Dir sofort einen zuverlässigen Knecht, der Euch beide in die Burg heraufholt, wo sich dann die Gräfin Eurer annehmen kann.«

Der König warf seinem Begleiter einen dankbaren Blick zu, aber so wenig er sich sonst um die Meinung seiner Umgebung kümmerte, diesmal schien ihm doch das Wagniß, eine arme Betteldirne in seine Umgebung aufzunehmen, unausführbar, und es wurde daher ein anderer Plan entworfen, der besser im Stande war, den Wünschen des hohen Herren zu genügen. Die Gräfin sollte in das Geheimniß gezogen und dann Alles derart angeordnet werden, daß Wulfhilde als fremde vornehme Jungfrau unter dem Schutze der Gräfin in die Burg gelange. Ihre Großmutter konnte als Begleiterin gelten.

Wulfhilde hatte mit großer Spannung den Berathungen zugehört. Die Hoffnung, Heinrich wiederzusehen, war gänzlich bei ihr geschwunden, und sie wußte nicht, in welcher Weise sie sich aus eigener Kraft dem Elende entreißen sollte. Hier winkte ihr Glanz und Genuß. Sollte sie zögern? Es konnte kaum die Frage sein, wohin ihre 243 Wahl fiel. Da sie den Wald nach allen Richtungen hin oft und viel durchstreift hatte, war sie im Stande, dem Grafen genau die Wege zu der Felsengegend zu beschreiben, in welcher sie sich mit ihrer Großmutter die letzten Tage über verborgen gehalten hatte. Denselben Abend noch sollte sie abgeholt und in das Schloß gebracht werden, sagte ihr der Graf; sie möge daher den Ort nicht verlassen, alles Uebrige aber abwarten.

Wohl war der König überzeugt, daß Wulfhilde nicht zu den losen Dirnen gehörte, die ein gelegentliches Abenteuer willkommen hießen, und eben deshalb war er über ihre Zusage so entzückt, daß er sie, als er ihr die Hand reichte, um ihr beim Absteigen behülflich zu sein, an seine Brust zog und einen Kuß auf ihre frischen Lippen drückte. Aber zornig wehrte sie ihn ab und versicherte, sie werde davon laufen, sobald er sich einfallen lasse, sie wie ein verächtliches Geschöpf zu behandeln. Der Graf habe ihr versprochen, sie unter den Schutz seiner Gemahlin zu stellen, und nur unter dieser Bedingung folge sie seinem Anerbieten.

Sie glitt dann auf den Boden herab und überließ es den beiden Männern, sich die Gegend genau einzuprägen. Ohne sich weiter umzusehen, huschte sie zwischen den Waldbäumen hindurch nach der Richtung des Ortes, wo sie die Großmutter zurückgelassen hatte.


– – Soweit war Wulfhilde in ihren Erinnerungen gekommen.

Nun wurde sie in ihrem Gedankengange unterbrochen. Die gurgelnden Laute in dem Raume nebenan hörten auf, 244 aber dafür begann die alte Gunda im Schlafe zu reden. Glücklicherweise drangen nur einzelne abgerissene Worte an das Ohr ihrer Enkelin, die an derartige Vorfälle gewöhnt war, aber den Ekel und das Grauen dabei niemals überwunden hatte. Welcher Art die Träume und Visionen der alten Frau sein mußten, ging aus den bald lächerlich zärtlichen, bald widerlich schmeichlerischen Ausrufen und Bezeichnungen hervor, die sie hören ließ. Seit ihrer Kindheit war Wulfhilde solchen Eindrücken ausgesetzt, aber dieselben hatten nicht vermocht, ihre Seele in Schlamm unterzutauchen; im Gegentheil, sie haßte und verabscheute die Gemeinheit und wurde durch die krankhaften Zufälle ihrer Großmutter immer empfindlicher gegen unlautere Aeußerungen oder Zumuthungen. Die Alte beruhigte sich wieder, wälzte sich einige Male auf dem Lager hin und her, und bald verkündeten aufs Neue ihre lauten Athemzüge, daß sie fest schlief.

Wulfhilde kehrte zu ihrem träumerischen Nachsinnen zurück. Der Graf und die Gräfin hatten an jenem Abend Alles vortrefflich angeordnet. Ein paar alte Diener brachten eine Sänfte bis in die Nähe des Zufluchtsortes der alten Gunda. Die Gräfin hatte mehrere weite Umhüllungen mitgebracht, welche sie selbst den beiden Frauengestalten überwarf. Sie wurden dann in die Sänfte gepackt und auf dem kürzesten Wege nach der Burg getragen. Was Graf Lupesch und seine Gemahlin ihren Dienern und Gästen in Bezug auf die neuen Ankömmlinge gesagt haben mochten, wußte Wulfhilde nicht, aber sie bemerkte wohl, daß man ihre Persönlichkeit in ein märchenhaftes Dunkel gehüllt hatte und Niemand von ihrer wahren Herkunft etwas ahnte. Man behandelte sie mit größter Höflichkeit und gab ihr 245 die Bezeichnung »Gräfin Wulfhilde«, unter welchem Namen sie allen Herren und Damen vorgestellt wurde.

Selbst die gebildetsten Menschen waren damals unwissend und abergläubisch, und da bei allen diesen Mittheilungen und Anordnungen das Gewicht der Persönlichkeit des Burgherrn und seiner Gattin in die Wagschale fiel, hatte sich bald ein förmlicher Mythenkreis um die neue Bewohnerin der Burg Lupesch gebildet, und es blieb nur unentschieden, ob sie eine verkappte Fürstentochter oder ein Elementarwesen sei. Die Gestalt der alten Gunda blieb dabei völlig im Hintergrunde und erweckte so wenig Interesse, daß man ihre Anwesenheit gar nicht beachtete.

Um so unangenehmer machte sich die alte Frau der Enkelin gegenüber bemerklich. Da sie nun aller Noth und Sorge überhoben war, wachten die schlimmen Gewohnheiten, denen sie sich seit Jahren ergeben hatte, mit verdoppelter Gewalt wieder auf und um so stärker, je weniger sie Gelegenheit hatte, sich im Guten oder Schlimmen mit andern Menschen und deren Angelegenheiten zu beschäftigen. Gleich vielen alten Frauen konnte sie auf den Genuß der noch aus heidnischer Zeit im Gebrauch stehenden aufregenden und betäubenden Mittel nicht verzichten. Sie war gewohnt, sich dieselben eigenhändig aus der Frucht des Stechapfels, aus dem Safte der Tollkirschen und ähnlichen Pflanzensubstanzen zu mischen. Schon wenige Tage nach der Ankunft auf der Burg ließ sie nicht nach, bis Wulfhilde es durch Vermittlung der Gräfin Lupesch möglich gemacht hatte, die alte Frau, wohl verhüllt und gänzlich unkenntlich gemacht, an einem hellen Mondscheinabend für mehrere Stunden aus der Burg zu lassen, damit sie auf einer nahe 246 gelegenen Waldwiese sich die verschiedenen Beeren und Kräuter suchen konnte, deren sie zu ihren Sudelkochereien bedurfte. Alles ging glücklich vorüber und die Alte war für die nächsten Wochen bis zur wiederkehrenden Mondfülle versorgt, aber sie bediente sich nun auch sehr eifrig ihrer Lieblingsmittel. Gerade jetzt lag sie in einem Rausche, den sie sich, während Wulfhilde auf der Jagd war, mit dem letzten Reste ihres Getränkes heimlich zugezogen hatte.

Es war ein seltsames Schicksal, daß die gefeierte Schönheit an die alte Unholdin gefesselt war. An jenem ersten Abend, als Gunda ihre Kräuter und Beeren gesucht hatte, war im Bankettsaale der Burg ein großer Mummenschanz veranstaltet worden, bei welchem Wulfhilde als Undine figurirte. Die Gräfin hatte sie dazu ausstaffirt und mit dem Raffinement einer vollendeten Kupplerin Alles gethan, um den König an die erste Begegnung mit dem schönen Mädchen zu erinnern. Niemand von den übrigen Gästen konnte die Anspielung verstehen, und gerade in dem geheimnißvollen Einverständniß zwischen den Betheiligten lag der größte Reiz. So nonnenhaft verhüllt die Mode der damaligen Zeit die Frauen auch im gewöhnlichen Leben erscheinen ließ, gestattete die besondere Gelegenheit des Mummenschanzes doch die möglichst denkbare Freiheit, und als zwischen andern seltsamen und abenteuerlichen Gestalten die fast unbekleidete Undine mit dem prachtvollen langen Haar und den großen schwermüthigen Augen erschien, wurde Jedermann geblendet, so daß der König sich nicht nur aufs Neue durch ihre märchenhafte Schönheit bezaubert, sondern auch der Gräfin Lupesch und deren Gemahl zu unbegrenztem Danke verpflichtet fühlte.

247 Von nun an folgte eine Lustbarkeit der andern. Die Gräfin Lupesch hatte sich Mühe gegeben, dem jungen Mädchen, das ihr als Mittel zu ihren Zwecken diente, die schwierigen Formen des höfischen Lebens beizubringen, und Wulfhilde zeigte sich als gelehrige Schülerin und konnte sich in kurzer Zeit frei und sicher zwischen den vielen vornehmen Gästen bewegen. Es war mit großer Vorsicht darauf geachtet worden, daß Niemand eine Ahnung von ihrer eigentlichen Herkunft hatte, und dies gelang auch völlig.

Das Einzige, worüber der Graf und die Gräfin nach und nach unzufrieden wurden, war die strenge Zurückhaltung, welche Wulfhilde noch immer gegen den König bewahrte. Vor der Hand mochte dies den hohen Herrn um so fester an das gräfliche Paar fesseln, aber es war zu befürchten, er werde zuletzt ungeduldig und könne dann seinem Unmuthe dadurch Ausdruck verleihen, daß er die Burg verließ und seine Gunst anderen Großen zuwendete. Die Gräfin war zwar schlau genug, einzusehen, daß Wulfhilde sich zu nichts zwingen lasse, aber sie hoffte, durch Schmeichelei und Ueberredung zu wirken, und es kostete die stolze Dame nicht wenig Ueberwindung, die Rolle der Freundin einem Geschöpfe gegenüber zu spielen, dem in ihren Augen kein eigner Wille zugestanden werden durfte und dessen Eigensinn sie am liebsten durch den Stock des Büttels bezwungen hätte. Davon wußte nun allerdings Wulfhilde nichts. So wunderbar es ihr schien, daß der Graf und die Gräfin sie nur ihrer Schönheit wegen in Schutz genommen hatten, und so kindisch die Annahme war, daß der üppige Kaisersohn sich damit begnügen werde, ihre Reize zu bewundern und sich an ihrem Umgang und der Unterhaltung mit ihr 248 genügen zu lassen, lag es eben doch in ihrem gänzlichen Mangel an Kenntniß der Welt und der Leidenschaften, wie sie sich in den höheren Kreisen zu erkennen gaben, daß sie in einem solchen Irrthume beharrte und sich arglos demselben überließ. Seitdem sie die Hoffnung aufgegeben hatte, Heinrich wiederzusehen, lebte sie von einem Tag zum andern, ohne sich über das, was die Zukunft bringen konnte, Gedanken zu machen. Die Festlichkeiten und fortwährenden Aufregungen erfüllten gewissermaßen bei ihr den gleichen Zweck, wie die berauschenden Mittel bei der alten Gunda, sie täuschte sich über das Elend ihres Lebens hinweg und machte sich weder Hoffnungen noch Pläne für die Zukunft.


So lagen die Dinge auf Burg Lupesch an jenem Abend, als Heinrich dort eintraf und Wulfhilde ihre Theilnahme am Bankett verweigert hatte. Es konnte bei einer so großartigen Hofhaltung auf eine Anzahl Gäste mehr oder weniger nicht ankommen. Denn da der Prinz in Abwesenheit seines Vaters die Geschäfte der Regierung in Deutschland führte, verstand es sich von selbst, daß täglich und stündlich Abgesandte aus allen deutschen Landen anlangten und abreisten, daß Boten von geistlichen und weltlichen Obrigkeiten Gehör verlangten und fortwährend vielerlei Gäste mit ihrem Gefolge auf den Burgen einsprachen, wo er sich aufhielt. Die Neigungen des Königs waren bekannt; man wußte, daß er Frauenschönheit über Alles schätzte, und wer daher etwas von ihm zu erlangen wünschte, suchte vor allen Dingen dieser Neigung zu huldigen. So kam es, daß die Großen des Reiches, wenn sie schöne Frauen oder üppige Töchter hatten, sich von diesen begleiten ließen, und 249 die Burg beherbergte oftmals einen Kranz der auserlesensten weiblichen Blüthen aus den ersten Familien des Landes. Aber sie wurden alle übertroffen von der schönen Wulfhilde, die den Neid so mancher gefeierten Schönheit hervorrief und mühelos im Besitz der Gunst des hohen Herrn blieb.

Inzwischen bereitete sich von anderer Seite her eine Gefahr für Wulfhilde, welche auf dem seltsamsten, durch rohen Aberglauben hervorgerufenen Mißverständnisse beruhte. Es konnte nicht ausbleiben, daß Konrad schon am nächsten Tage mit den Leuten, bei denen er Unterkommen gefunden hatte, über seinen Herrn gesprochen hatte und auf diese Weise die Vorgänge auf der Burg unten im Dorfe zur Sprache kamen. Bei der gehässigen Stimmung, welche unter dem niederen Volke herrschte, konnte es nicht ausbleiben, daß alle nachtheiligen Ansichten und Mittheilungen günstigen Boden fanden, und die Ansicht Konrad's, es befinde sich eine wunderbar schöne Teufelin, eine richtige Hexenbrut auf der Burg, schlug überall Wurzel und wurde fortwährend durch die Erzählungen anderer Menschen ergänzt. Eine Tochter der Leute, bei welchen Konrad sich gegenwärtig aufhielt, bewirkte ganz besondere Aufregung, indem sie die Kunde brachte, die schöne Zauberin, von der kein Mensch wisse, woher sie komme und wer sie eigentlich sei, besitze als echte und rechte Hexe die Gabe, sich in jede beliebige Gestalt zu verwandeln, während sie in Wahrheit ein altes häßliches Weiblein sei. Das Mädchen, welches diese Kunde brachte, verdankte dieselbe der Frau des Thorwächters, welche den Skandal mit eignen Augen gesehen haben wollte. Regelmäßig, so lautete die Mittheilung, wenn der Vollmond am Himmel stehe, verlasse die 250 abscheuliche Hexe heimlich in verschwiegener Nacht die geräuschvolle Burg und wandere gebückten Leibes, leise Zaubersprüche murmelnd, im Walde, auf dem Anger und am Bache umher, Kräuter und Wurzeln suchend, die sie zu ihren schändlichen Tränken und Mixturen verwende. Mit Hülfe dieser Mittel bringe sie dann die Verwandlung aufs Neue hervor und könne wieder bis zum nächsten Mondwechsel als vollendete Schönheit ihre Macht bei den Herren zur Geltung bringen.

Nichts wurde bei den einfachen Leuten leichter geglaubt, als eine derartige Fabel, und nachdem noch Dies und Jenes als muthmaßliche Ergänzung hinzugefügt war, hielt man sich allgemein steif und fest überzeugt, die Sache habe ihre volle Richtigkeit. Zweifel wurden gar nicht geäußert, denn wenn sich dergleichen auch hier und da aufdrängten, ging man denselben absichtlich aus dem Wege.

»Der Sache ist leicht ein Ende zu machen,« meinte einer der Dorfburschen, »man darf die alte Hexe nur einmal gerade in dem Augenblicke abfassen, wenn sie ihre teuflischen Kräuter und Wurzeln sucht. Sie würde dann nicht im Stande sein, sich wieder in die verführerische Schönheit zu verwandeln, und ihre Absichten wären ein für alle Mal vereitelt.«

Dieser Plan fand den ungetheiltesten Beifall, und da die Zeit des Vollmondes gerade anbrach, war nichts natürlicher, als daß man sofort an die Ausführung dachte. Namentlich gab Konrad seine volle Zustimmung und erbot sich selbst zur Ergreifung der Hexe, was nach der Ansicht aller Betheiligten der gefährlichste Schritt bei dem ganzen 251 Unternehmen war, da sie sich in einen Wolf, eine wilde Katze oder sonst ein reißendes Thier verwandeln konnte.

Gesagt, gethan. Schon in der nächsten Nacht versammelte sich eine kleine Zahl von Burschen und Männern, die in der Nähe eines Seitenpförtchens, durch welches man heimlich aus der Burg gelangen konnte, Stunden lang harrten, ob die Hexe herauskommen werde. Man hatte sich genau nach allen Umständen erkundigt, und es war keine Möglichkeit, daß sie ihren Feinden entging, nur konnte man nicht wissen, an welchem Abende sie die Ausfahrt unternehmen werde. Aber die Männer hatten in diesem Falle Geduld und Ausdauer genug und ließen es sich nicht verdrießen, eines so wichtigen und interessanten Wildes wegen mehrere Nächte auf der Lauer zu liegen.

Endlich in der dritten Nacht, als die Mondscheibe voll und klar an dem von Wolken völlig freien Nachthimmel prangte, so daß die ganze Gegend von magischem Lichte übergossen war, öffnete sich das abgelegene Pförtchen und die alte Hexe erschien genau so, wie sie ihre Feinde sich gedacht hatten. Es waren lauter beherzte Männer, aber einige davon überfiel beim Anblick des alten Weibleins ein derart unbezwingliches Grauen, daß sie gern fortgelaufen wären, wenn sie sich nicht den Anderen gegenüber gescheut hätten. Selbst Konrad hatte das Gefühl, als wenn ihm die Haare ein wenig zu Berge stiegen. So standen sie alle ängstlich zusammengedrängt, während das altersschwache, gebückte und dabei auf einen Stock gestützte Weiblein mit wackelndem Kopfe, ohne jene zu bemerken, in deren Nähe vorbeiging. Vorsichtig und mit immer steigender Angst folgten die Männer den Schritten der Alten, bis diese eine 252 kleine Waldstrecke hinter sich hatte und auf einer frei liegenden Wiese nun mit dem Suchen und Sammeln ihrer Kräuter begann. An dem Stocke sich haltend, fast bis zur Erde gebückt, forschte sie mit den halberblindeten Augen auf dem vom Mondlichte mit bleichem Schimmer übergossenen Anger umher, bald hier ein Kräutlein abpflückend, bald dort eine Wurzel aus der Erde ziehend und dabei häufig Worte der Freude oder der Ungeduld vor sich hin murmelnd. Sie legte die gefundenen Pflanzen in ein altes Körbchen, das sie am linken Arme trug, und flüsterte auch hierbei ihrer Gewohnheit gemäß jedes Mal einige wohlgefällige Worte. Am Saume des Waldes, hinter den ersten Bäumen verborgen, lauschten und lauerten die Männer und sahen mit gespannter Erwartung dem Augenblicke entgegen, in welchem Konrad sich hervorwagen und die Alte ergreifen würde. Diesem klopfte das Herz angstvoll, und er zögerte ziemlich lange, bevor er sich zu dem gewagten Angriffe entschließen konnte. Er hatte in seinem Leben wahrhaftig oft genug gezeigt, daß es ihm an Muth nicht fehlte, aber er würde sich in diesem Augenblicke lieber einer ganzen Schaar wüthender Janitscharen gegenüber gewußt haben, als diesem alten kraftlosen Weibe, das in seiner Fantasie eine Genossin des Teufels war.

Endlich überwog die Liebe zu seinem jungen Herrn alle weiteren Bedenken. Nach einem raschen Stoßgebete sprang er aus dem Gebüsche hervor, eilte auf die nichts ahnende alte Frau zu und ergriff sie mit derben Händen. Sie stieß einen jammernden Schreckensschrei aus und verlor aus Angst für einen Augenblick die Besinnung. Als nun die Begleiter Konrad's bemerkten, daß dieser mit heiler Haut 253 davon gekommen war und daß die Alte sich weder in ein feuersprühendes Ungeheuer, noch in einen Wolf oder sonst ein Verderben bringendes Wesen verwandelte, faßten sie gleichfalls Muth und kamen Konrad zu Hülfe. Die Alte war inzwischen zu sich gekommen, aber nun half ihr Sträuben und Schreien nichts mehr, sie wurde unter Schlägen und Stößen geknebelt, der Mund wurde ihr derart verstopft, daß sie fast erstickte, und da die Bauernburschen nach und nach einsahen, daß sie es nur mit einem ganz wehrlosen alten Weibe zu thun hatten, trugen sie dieselbe unter Hieben und Schmähungen bis in das Dorf und sperrten sie für die Nacht in einen alten, aber wohl verwahrten Stall, aus welchem sie in der That nur durch überirdische Zauberkräfte hätte entfliehen können.

Trotzdem glaubten die meisten Leute des Dorfes steif und fest, sie würden die Hexe am nächsten Morgen nicht mehr in dem Gewahrsam finden, und einige alte Frauen hatten sich bereits ausgedacht, die Gelegenheit zu benutzen, um sich durch die Mittheilung, sie hätten die Alte auf einer feurigen Gabel davon fliegen sehen, in ein interessantes Licht zu setzen.

Aber die unglückliche alte Gunda befand sich am andern Morgen nach wie vor in sehr bedauerlichem Zustande an dem Orte, wohin man sie gebracht hatte. Der größte Theil der Dorfbewohner würde es gern gesehen haben, wenn man sofort die Wasser- oder Feuerprobe mit ihr angestellt hätte, aber dazu gehörte eine rechtskräftige Entscheidung, und diese konnte nur von einer geistlichen oder weltlichen Behörde ertheilt werden.

Das Nächstliegende wäre nun gewesen, auf der Burg 254 Anzeige zu machen und von dort das Urtheil abzuwarten, aber es zeigte sich, wie unklar und verworren die gemeinen Leute über solche Dinge dachten, denn sie hielten es für sehr gefährlich, den hohen Herrschaften auf der Burg mitzutheilen, daß sie die ganze Zeit über mit einer Zauberin Umgang gepflogen, die unter der Gestalt eines schönen Weibes sie betrogen habe, im Grunde aber eine ganz gewöhnliche alte Hexe sei. Mit der Gefangenen selbst ließ man sich auf keine näheren Verhandlungen ein, und da Gunda gar keine Ahnung haben konnte, daß man sie mit Wulfhilde für ein und dieselbe Person hielt, machte sie auch gar keinen Versuch, diesen Irrthum aufzuklären, sondern blieb in ihren Behauptungen fortwährend dabei, sie habe die Kräuter und Wurzeln zu ganz harmlosem Gebrauche gesucht. Damit rief sie nur Hohn und Spottreden hervor und bestärkte die Menschen in der Ueberzeugung, daß man in ihr eine echte und rechte Hexe entdeckt und festgenommen habe.

Die Bauern glaubten die Sache recht klug einzurichten, indem sie einen Abgesandten nach dem einige Stunden entfernten Kloster Heiligenbaum schickten und dem Prior die Sache vorstellten.

Auch zu diesem waren bereits Gerüchte gedrungen, welche davon erzählt hatten, daß ein wunderschönes Weib ganz plötzlich, und ohne daß man wisse woher sie gekommen, auf der Lupescher Burg erschienen sei und sich vollständig der Neigung des Königs Heinrich bemächtigt habe. Von sehr untergeordneten Geistesgaben, war der Prior von Heiligenbaum nur in Folge der Abstammung aus hohem Hause zu seiner Stellung gelangt. Er glaubte, hier 255 biete sich ihm eine Gelegenheit, um dem Kaiser, dessen Zorn über das ausschweifende Leben seines Sohnes allgemein bekannt war, einen besonderen Dienst zu erzeigen.

Mit salbungsvoller Würde nahm er die Angelegenheit sofort völlig in seine eigne Hand, gebot allen Betheiligten das tiefste Stillschweigen, ließ aus Klostermitteln einen Wagen herrichten, der mit Ochsen bespannt wurde und auf welchem in Begleitung zweier vertrauter Männer die an Händen und Füßen gefesselte Hexe ganz heimlich aus dem Gebiete der Burg Lupesch geschafft und in einem Dorfe, welches direct dem Bisthum Mainz angehörte, aufbewahrt wurde. Dann ließ der Prior, der selbst des Schreibens nicht kundig war, einen Brief an den Erzbischof Siegfried von Mainz richten, worin er diesem den außerordentlich wichtigen Fang meldete und weitere Verhaltungsmaßregeln erbat. Dieser Brief wurde durch einen directen Boten sofort abgesandt, und der Prior von Heiligenbaum ließ an demselben Tage von seinen Mönchen ein besonderes Te Deum singen, in Anbetracht des für die Kirche und das Reich so überaus wichtigen Ereignisses der Gefangennehmung einer Unholdin, welche den römischen König, den Verwalter des kaiserlichen Regimentes im deutschen Reiche, mit teuflischen Schlingen umgarnt hatte.

Mittlerweile hatte das Verschwinden Gunda's sehr beunruhigend auf Wulfhilde gewirkt. Die schöne Enkelin des alten Weibes hatte sich von dem Anfalle übler Laune noch nicht erholt, und es hatte ihr beliebt, sich mehrere Tage lang ganz in ihre Gemächer zurückzuziehen. Um so mehr ängstigte sie Gunda's Verschwinden. Sie konnte sich durchaus nichts Anderes denken, als daß die alte Frau 256 einem plötzlichen Krankheitsanfall erlegen sei, und sie fürchtete, dieselbe möge noch lebend oder als Leiche irgendwo im Walde liegen. Da die Anwesenheit Gunda's bisher in der Burg möglichst geheim gehalten war und man in jedem Fall vermeiden mußte, irgend einen Zusammenhang zwischen der jungen Dame aus vornehmem Hause und dem Kräuter suchenden alten Weiblein zu verrathen, überlegte Wulfhilde sorglich, was sie thun solle. Sie kam endlich auf den Gedanken, daß ihr nichts Anderes übrig bleibe, als den Grafen und die Gräfin Lupesch, welche in die Verhältnisse eingeweiht waren, um Hülfe zu bitten. Aus diesem Grunde entschloß sie sich, die Gräfin selbst aufzusuchen.

Es waren aber gerade am Morgen dieses Tages Ereignisse eingetreten, welche alle Pläne und Combinationen des Grafen Lupesch mit einem Schlage veränderten. Noch am frühen Morgen hatte er sich mit Heinrich von Sunnera über dessen Angelegenheit unterhalten. Der schlaue Höfling hatte den jungen Mann zu sich entbieten lassen und bald bemerkt, daß er es hier mit einem sehr brauchbaren und für gewisse Zwecke ungemein geeigneten Menschen zu thun hatte. Leute, die mit dem Schwerte dreinschlugen und vor keiner Gefahr zurückbebten, gab es genug, und sie waren zum großen Theil durch die Aussicht auf Beute oder sonstige materielle Vortheile zu gewinnen, aber kluge und dabei unterrichtete Menschen fanden sich nicht allzu häufig, und man that immer wohl daran, solche heranzuziehen, um sich ihrer Fähigkeiten gelegentlich bedienen zu können.

Die Angelegenheit, welche Heinrich an das derzeitige Hoflager des Königs geführt hatte, war ganz geeignet, das 257 Interesse des jungen Mannes mit den Absichten der Partei des Kaisersohnes zu verschmelzen. Der Graf von Merseburg bestimmte seinem illegitimen Sohne ein nicht unbedeutendes Besitzthum und erbat für ihn vom Könige nicht nur die Belehnung mit der Herrschaft Sunnera, sondern damit auch die Bestätigung des adligen Namens und der mit diesem verbundenen Rechte. Der König konnte dies gewähren und verweigern, und Graf Lupesch hielt es für angemessen, die Gewährung in Aussicht zu stellen, wenn der junge Mann sich mit allen Kräften der Partei des Königs anschließen werde.

So weit waren die Unterhandlungen gediehen, als das Horn des Burgwarts die Ankunft neuer Gäste verkündigte. Dies war ein so gewöhnliches Vorkommniß, daß die Unterredung kaum dadurch gestört worden wäre. Es trat aber dennoch eine Störung ein, und zwar in Gestalt eines vertrauten Kanzlers des Grafen Lupesch, welcher seinem Herrn in fliegender Hast meldete, daß Abgesandte des Bischofs von Bamberg eingetroffen seien, welche höchst dringende und ganz unaufschiebbare Nachrichten für den König zu überbringen hatten.

Da Graf Lupesch in letzter Zeit alle Botschaften, die für den König bestimmt waren, vor diesem in Empfang nahm, so gab er auch jetzt Befehl, die Abgesandten vor ihn zu führen. Es stellte sich nun heraus, daß die Gesandtschaft nur aus einem einzelnen Mönche bestand, der von vier Bambergischen Reitern begleitet war und allerdings vom Bischofe, der zugleich Herzog von Meran und Oheim mütterlicherseits der Landgräfin Elisabeth von Thüringen war, Aufträge von der allergrößten Wichtigkeit überbrachte. 258 Der Bote war kein Anderer als der Mönch Konrad, der ehemalige Beichtvater und Vertraute der Landgräfin. Diese tugendhafte Frau hatte das harte Büßerleben, welches Konrad sie zu Marburg führen ließ, nicht lange ertragen und war durch den Tod davon erlöst worden. Kurz vor ihrem Hinscheiden hatte Kaiser Friedrich um ihre Hand angehalten, und sie hatte diese höchste irdische Würde in frommer Selbsterniedrigung ausgeschlagen. Der Papst wußte, welchem Einfluß er diesen Entschluß, der ihm sehr willkommen war, verdankte, und der unscheinbare Mönch Konrad wurde von nun an mit den wichtigsten Aufträgen betraut. In ihm verkörperte sich das ganze zukünftige Kirchenregiment. Jedes Mittel war ihm geheiligt, wenn er die Zwecke des Oberhauptes der Geistlichkeit damit förderte. So war es gekommen, daß der Beichtvater der Landgräfin Elisabeth nun als Sendbote des Bischofs von Bamberg an den König Heinrich auf der Burg Lupesch erschien und zuerst vor den Burgherrn geführt wurde, der für den Augenblick, wie man allgemein im Reiche wußte, die Entschlüsse des Königs völlig beherrschte.

Die unerwarteten und höchst wichtigen Nachrichten, welche der Mönch überbracht hatte, erweckten in dem Grafen im Interesse seines eignen Wohls den Wunsch, der König möge seine Lethargie abstreifen und sich zur Thatkraft aufraffen, um mit einer großartigen Gewaltmaßregel, welche zwar für ihn und seine Anhänger die höchste Gefahr brachte, aber dennoch unabwendbar schien, die Herrschaft im Reiche an sich zu reißen.

Es handelte sich um eine Empörung, welche Heinrich im Verein mit den deutschen Fürsten gegen seinen 259 kaiserlichen Vater unternehmen sollte, um das deutsche Reich selbstständig zu machen und unter dem Schutze des Papstes einer neuen Zukunft entgegen zu führen. Der Plan war nicht schlecht erdacht, aber die Persönlichkeiten, auf welche er sich stützte, waren von vornherein nicht geeignet, die Ausführung möglich zu machen.

Der Kaiser war schon längere Zeit über das Verhalten seines Sohnes im höchsten Grade aufgebracht und hatte endlich den Entschluß gefaßt, mit einem Schlage die Verhältnisse zu ändern. Daß König Heinrich sich der Partei des Papstes gegen den eignen Vater angeschlossen hatte, verlieh dem Zwiespalt eine geradezu welterschütternde Bedeutung und setzte zugleich die geistlichen Würdenträger in höchste Aufregung. Der Kaiser hatte seine Vorbereitungen gut getroffen und die Ausführung seiner Pläne sollte mit überraschender Schnelligkeit erfolgen. Er hatte sich um die Hand der jugendlichen Schwester des Königs von England beworben, deren reiche Mitgift ihm neue Mittel zur Fortführung seines Kampfes gegen die Macht der Kirche gewähren sollte. Die englische Königstochter war bereits unterwegs und ebenso war der Kaiser von Italien aufgebrochen, um in Mainz mit ihr seine Vermählung zu feiern.

Dort sollte dann zugleich ein Reichstag mit unerhörter Pracht abgehalten werden. Der Kaiser wollte die Parteien sondern. Ueber König Heinrich's Haupte schwebte die Gefahr der Absetzung, wenn er sich nicht unterwarf, und was seine Anhänger bedrohte, konnten diese sich selbst sagen.

Dies war die Botschaft, welche der Mönch Konrad dem 260 Grafen Lupesch ausrichtete, und die Wirkung derselben glich geradezu einem Blitzstrahl, denn für Niemand im ganzen deutschen Reiche konnte die Gefahr schrecklicher sein, als für den Grafen. Erreichte der Kaiser seinen Zweck, vollführte er das beabsichigte Strafgericht, so warteten des Grafen, seiner Gemahlin und seines Anhangs die schwersten Strafen, und was dies zu einer Zeit, wo man Verräther lebendig verstümmelte und unter gräßlichen Qualen den Tod erleiden ließ, bedeutete, war dem Anhörer der bischöflichen Botschaft sofort klar. Das erste Gefühl des Grafen war daher, daß alle Mittel zum Widerstande gegen die Absichten des Kaisers aufgewendet werden müßten. Kampf bis aufs Messer! war der Entschluß, der ihn bewegte, und da sein Interesse mit den Absichten des Papstes und der Kirche Hand in Hand ging, so gab er die Sache keineswegs verloren.

Damit war jedoch der Entschluß in ihm zur Geltung gekommen, daß dem seitherigen weichlichen Genußleben sofort ein Ende gemacht werden müsse. Er hätte gegen sich selbst wüthen können, daß er den König veranlaßt hatte, seine Zeit zu vergeuden, anstatt sich auf einen Fall vorzubereiten, wie er nun hereingebrochen war. Der König mußte nun allen entnervenden Einflüssen sofort entzogen und zu thatkräftigem Handeln aufgerüttelt werden. Leider übersah der Graf hierbei den Umstand, daß ein Mann wie König Heinrich gerade deshalb zum Spielball seiner Umgebung herabsinkt, weil ihm eben die Fähigkeit zum selbstständigen Handeln gebricht. Der Burgherr von Lupesch täuschte sich, wenn er annahm, daß derselbe Mensch, den er durch Tändeleien, Schmeichelei und Ausschweifung des letzten Restes von 261 Energie beraubt hatte, jetzt plötzlich sich aufraffen und zu heldenmüthigen Entschlüssen gelangen könne.

Das Nächste war, daß der Graf den Mönch Konrad zum Könige führte, um dort die Angelegenheit sofort zur Sprache zu bringen. Bevor er das Gemach verließ, bat er Heinrich, der Zeuge des Gesprächs gewesen, daselbst bis zu seiner Rückkehr zu verweilen, da er ihn noch in dringenden Angelegenheiten zu sprechen wünsche. Die Einführung des Mönches bei dem Könige betrachtete der Graf nicht viel anders wie eine leere Formalität, denn er wußte recht gut, daß der Ernst und die Gefahr der Sachlage den Kaisersohn noch abhängiger von ihm machen werde.

König Heinrich vernahm die Kunde mit größter Bestürzung und bat den Grafen Lupesch sofort um Rath und Hülfe. Das Nothwendigste, so erklärte dieser, war die unverzögerte Abfertigung von Boten an die Fürsten des Reiches, um sich darüber Sicherheit zu verschaffen, wie diese sich der Angelegenheit gegenüber stellen würden. Vorläufig handle es sich um tüchtige Köpfe, welche Sprache und Schrift in ihrer Gewalt hätten und durch Aufrufe und Ueberredung auf die maßgebenden Persönlichkeiten wirken könnten.

Der Graf überflog in Gedanken sofort die Zahl derjenigen Personen, welche ihm zu solchem Zwecke zu Gebote standen, und er baute dabei ganz besonders auf die Beihülfe Heinrich's von Sunnera. Noch während der König mit dem Mönche Konrad sich über die Einzelheiten der Angelegenheit unterhielt, eilte der Graf wieder in sein Gemach zurück, wo Heinrich noch seiner harrte.

»Eure Zukunft liegt völlig in Eurer Hand,« sagte er 262 zu diesem, »denn es hängt ganz von Eurem Entschlusse ab, ob der König günstig für Euch gestimmt wird oder nicht. Ihr wißt, um was es sich handelt. Der Kaiser will das deutsche Reich seinem Ehrgeize opfern. Er sucht neue Kräfte, neue Mittel zu seinem Kampfe gegen die Kirche, die ohnehin in gegenwärtiger Zeit von allen Seiten bedrängt wird. Vergeblich hat der heilige Stuhl dem Ehrgeize und der Abenteuerlust der Großen des Reiches ein ergiebiges Feld eröffnet, indem er sie zu neuen Kreuzzügen auffordert, der Kaiser hat nur Augen und Ohren für seine Zwecke, da er überall einzig und allein Herr sein will. Hat er doch den Kreuzzug, den er kürzlich endlich ausgeführt, nur dazu benutzt, um sich zum Könige von Jerusalem zu krönen! So viel Blut ist vergossen worden, um seinem Ehrgeize zu genügen. Was gilt ihm das Wohl Deutschlands! Unaufhörlich sollen wir neue Truppen stellen und neue Steuern eintreiben, und die italienischen Kämpfe verschlingen unser Gut und Blut. König Heinrich dagegen ist ein milder uneigennütziger Herr, dem das Wohl des deutschen Reiches am Herzen liegt. Es ist wahr, daß er den Freuden des Lebens hold ist, sich gern an heiteren Spielen ergötzt und schönen Frauen nicht leicht etwas versagen kann, aber was ist dies Alles gegen die Prunksucht und verschwenderische Pracht am Hofe seines Vaters, der mit italienischen Weibern große Summen verschwelgt und den Söhnen seiner Geliebten ganze Provinzen zu eigen giebt! Für Deutschland gilt es jetzt einen Kampf auf Leben und Tod! Siegt der Kaiser, so sind wir Alle verloren und die Kirche mit uns. Der Ketzerei ist dann Thür und Thor geöffnet, und es währt nicht lange, so kommen die staatsgefährlichen 263 Bestrebungen der Albigenser überall zum Durchbruch. Dann giebt es keinen Glauben, keine Gerechtigkeit und keinen Besitzstand mehr, denn diese Menschen predigen die gleiche Vertheilung der Güter und wollen alle Vorrechte aus der Welt schaffen. Daß Eure Ansprüche null und nichtig sind, sobald König Heinrich Macht und Einfluß verliert, brauche ich Euch wohl nicht zu versichern. Mit ihm steht, mit ihm fallt Ihr! Ich frage Euch daher, ob Ihr unverbrüchlich zu uns halten, und ohne nach rechts oder links zu sehen, unseren Unternehmungen Eure Kräfte widmen wollt? Ihr könnt uns von mancherlei Nutzen sein, denn Eure Kenntnisse in Verbindung mit dem Eindrucke Eurer Persönlichkeit sind für die Vermittlung nach auswärts gut zu verwenden. Wenn Ihr einverstanden seid, so verpflichtet Euch mir durch Handschlag und seid versichert, daß der König sich dankbar erweisen und nicht nur den letzten Willen Eures Vaters erfüllen, sondern von seiner Gnade hinzuthun wird, was Euch nützlich sein kann.«

Nach dieser lebhaften Ansprache streckte der Graf dem überraschten jungen Manne, der gar nicht Zeit hatte, seine Gedanken zu sammeln, die rechte Hand entgegen, und Heinrich schlug ein, ohne recht zu wissen, zu was er sich eigentlich verpflichtete. Der Graf sagte noch:

»So seid Ihr also für König Heinrich's Zwecke geworben und Euer Kopf wie Euer Arm, Gedanken und Thaten, Griffel und Schwert stehen uns zu Gebot, wo und wie wir derselben bedürfen. Folgt mir nun zum Könige, denn es handelt sich darum, diejenigen Leute auszuwählen, welche die ersten wichtigen Schritte für uns unternehmen.«

Damit ergriff der Graf die Hand des immer noch 264 überraschten Heinrich und wollte mit ihm das Gemach verlassen. Aber in demselben Augenblicke wurde eine Seitenthüre geöffnet und auf der Schwelle derselben erschien die Gräfin Lupesch, Wulfhilde an ihrer Seite. Die Gräfin hatte dem Drängen des Mädchens nachgeben müssen und war im Begriffe, ihrem Gatten von dem Verschwinden der alten Gunda Nachricht zu geben und ihn aufzufordern, er möge nach dem Verbleib derselben forschen lassen. Es gehörte keine geringe Selbstbeherrschung für die stolze Dame dazu, dem Anliegen der hergelaufenen Dirne, welche unter der Maske einer vornehmen Dame ihren Zwecken dienen sollte und sich bisher störrig genug gezeigt hatte, nachzugeben und ihren Mann zu veranlassen, sich um das Verschwinden des widerwärtigen alten Weibes zu bekümmern. Aber Wulfhilde besaß nun einmal den Einfluß auf das Gemüth des Königs und die Gräfin wußte noch nicht, wie gewaltig sich seit einer Stunde die Verhältnisse geändert hatten.

Die beiden Frauen waren noch im Hausgewande. Als die Gräfin bemerkte, daß ihr Gatte nicht allein war, wollte sie rasch zurücktreten, und sie hatte Ursache dazu, denn das weiße wallende Gewand mit den weiten Aermeln verlieh ihrem verblühten, in diesem Augenblicke nicht durch die Kunst verschönten Gesichte mit den spärlich herabhangenden losen Haaren durchaus kein vortheilhaftes Aussehen.

Aber ihr Zurücktreten wurde durch das energische Vordringen Wulfhildens vereitelt. Nicht als ob diese das Gefühl gehabt hätte, daß die seltene Schönheit ihrer Erscheinung, der tadellose Wuchs, die wunderbar zarte Gesichtsfarbe und der Glanz ihrer ausdrucksvollen Augen in jedem Gewande siegreich hervorstrahlen mußten; in diesem Momente 265 bedachte sie nichts weniger als dies; leuchtenden Auges sah sie in das Gemach, und ihr Blick haftete an dem Manne, der sich als Gast des Grafen daselbst befand.

Ueberwältigt von der Freude des Wiedersehens und ohne zu bedenken, unter welchen Umständen dieses stattfand, ging sie rasch auf den jungen Mann zu und sagte voller Freuden:

»Willkommen, Herr Heinrich! Seid Ihr endlich doch hier eingetroffen? Schon glaubte ich, es sei Euch ein Unglück begegnet, oder Ihr hättet Eure Absicht geändert. Wie lange habe ich auf Euch gewartet. Tage und Wochen lang; aber endlich verschwand die Hoffnung, ich verlor Muth und Lebenslust und ließ mit mir geschehen, was Andere über mich verfügten.«

In Heinrich's Brust wogten die widerstreitendsten Gefühle. Er hielt sich überzeugt, daß Wulfhilde des Königs Buhle sei. Wäre sie ihm wirklich so gleichgültig gewesen, wie er selbst es sich einreden wollte, so würde er darüber kaum erzürnt gewesen sein, denn was ging es ihn an, auf welche Weise das Pflegekind der alten Hexe sein Glück zu machen suchte. Aber er fühlte in diesem Augenblicke, daß ihn ein Gefühl heftigen Zornes ergriff, und er schrieb dies dem Umstande zu, daß er über des Mädchens Herkunft jene wichtige Entdeckung gemacht hatte und nun die Verwandte seines Freundes Dietmar als ein unwürdiges Geschöpf wiederfand.

Anstatt ihr die Hand zu reichen, wendete er sich daher von ihr ab und sagte erzürnt zu ihr:

»Wollt Ihr mich glauben machen, daß Ihr meinethalben auf dieser Burg verweilt? In der That, ich hätte geglaubt, 266 Eure Künste wären feinerer Art, denn mit solcher plumpen Lüge kann nur ein Narr sich fangen lassen.«

Betrübt entgegnete Wulfhilde:

»Es ist Wahrheit, was ich Euch sage. Mühselig und gefährlich war die Wanderung, aber ich dachte an Euch und fühlte keine Beschwerde. Ich hatte die Zeit ausgerechnet, da Ihr hier eintreffen mußtet, aber Ihr seid nicht gekommen. Wie habe ich geforscht und gewartet, wie habe ich geweint und mich gehärmt, aber Ihr kamt nicht, und da die Großmutter endlich ungeduldig wurde und wir nicht mehr wußten, wovon wir leben sollten, gab ich die Hoffnung auf und glaubte Euch niemals wiederzusehen.«

»Ein schlau ersonnenes Märchen,« versetzte Heinrich, »um mich glauben zu machen, daß ich die wahre Absicht Eurer Wanderung hierher nicht durchschaut habe. Meinethalben also seid Ihr zur Burg Lupesch gezogen, wo König Heinrich Hof hält? Und was sollte ich Euch hier helfen, was hättet Ihr durch mich hier erreichen können?«

»Weiß ich selbst, was mich zog,« erwiederte Wulfhilde. »Euch ist doch bekannt, in welcher Gefahr wir uns befanden und daß wir aus der Heimath fort mußten. Wohin hätte ich anders die Schritte lenken sollen, als zu einem Orte, wo ich Euch zu finden dachte? Ihr solltet mir sagen, was ich thun und beginnen müsse. Eurem Rathe wollte ich folgen, denn Ihr hättet mir gewiß gut gerathen. Da Ihr nicht kamt, ließ ich mich treiben, wohin das Schicksal mich führte. Aber nun seid Ihr ja gekommen und könnt mir sagen, was mit mir weiter geschehen soll.«

Heinrich war nun einmal der Ueberzeugung, daß Wulfhilde des Königs Gunst gesucht habe. Wenn er auch dem 267 heidnischen Aberglauben abhold war, ein letzter Rest war doch zurückgeblieben, und der Gedanke, daß die alte Gunda ihrem schönen Pflegekinde einen Trank gebraut haben könne, der den König zur Liebe zwang, erfüllte ihn mit Wuth gegen die Alte und das Mädchen. Heftig wendete er sich von Wulfhilde ab und stieß im Zorn die Worte hervor:

»Was habe ich mit Euch zu schaffen! Laßt mich! Uns beschäftigen hier wichtige Angelegenheiten und ich habe nicht Zeit, mit Euch zu plaudern.«

»In der That,« wendete sich nun der Graf, der ganz erstaunt dem Gespräche zugehört hatte, zu seiner Gattin, die ebenfalls in sprachloser Ungeduld noch immer an der Thüre stand, »ich weiß nicht, liebes Weib, was Dich veranlassen konnte, uns hier zu stören. Die Zeit für Frauenangelegenheiten hat plötzlich ein Ende genommen, und wir Männer stehen vor einem gewaltigen Kampfe, in welchem wir entweder siegen oder alle zusammen vernichtet werden. Die Zeit der Feste und Lustbarkeiten ist für lange vorüber, und keiner von uns darf jetzt an Liebe und Frauengunst denken. Entferne Dich sofort und nimm Deine Begleiterin mit, denn Eure Anwesenheit stört uns in wichtigen Verhandlungen.«

Die Gräfin wußte zwar nicht recht, um was es sich handelte, aber sie fühlte heraus, daß irgend ein großes politisches Unwetter im Anzuge sei, und sie hielt es nicht für gerathen, dem Willen ihres Mannes Widerstand zu leisten. Sie trat daher auf Wulfhilde zu und faßte diese weit weniger rücksichtsvoll als sonst bei der Hand, um sie fortzuführen.

268 Ganz in Heinrich's Anblick versunken, stand Wulfhilde mit thränenden Augen und sagte tief betrübt:

»Ihr wendet Euch ab, Ihr wollt mich nicht sehen, nicht mit mir sprechen –«

Nun riß dem Grafen die Geduld. Er war ohnehin erregt und erbittert, und die Anwesenheit der Frauen brachte ihn völlig außer sich.

»Willst Du gehen, Dirne!« schrie er mit einer Stimme, daß man glaubte, er werde Wulfhilde sofort zu Boden schlagen.

Nun sah die Gräfin, daß die Macht der schönen Fremden ihr Ende erreicht hatte. Ihr Gesicht nahm den Ausdruck wilden Hasses an, und ohne ein Wort weiter zu reden, schleppte sie das weinende Mädchen mit beiden Händen durch die Seitenthür, die sie dröhnend hinter sich zuwarf.

Das rohe Auftreten des gräflichen Ehepaares veränderte einigermaßen die Stimmung, in welcher Heinrich sich befand. Er war innerlich aufgebracht über die vermeintliche Verworfenheit Wulfhildens, denn er konnte nicht anders denken, als daß sie die Geliebte des Königs geworden sei, aber trotzdem empörte sich sein Gemüth bei der Behandlung, welche ihr soeben zu Theil geworden war. Seiner Empfindung nach hätte man dem verwahrlosten Mädchen eindringlich zureden und ihr die Hand reichen müssen, um sie aus dem Schlamme emporzuheben, und er bereute nun, sich von ihr abgewendet und sie dadurch der Willkür des Grafen preisgegeben zu haben. Dann freilich stieg wieder der bittere Gedanke in ihm auf, daß der König sein Liebchen wohl vor Mißhandlungen schützen und besser für sie 269 sorgen werde, als es irgend einem andern Manne möglich sei.

Auch war der Augenblick durchaus nicht geeignet, sich um die Angelegenheit eines verlorenen schönen Weibes zu bekümmern. Heinrich fühlte das dringende Bedürfniß, sich förmlich in die ihm zugedachten Geschäfte zu stürzen, denn er bedurfte der Ablenkung für seine Gedanken und er empfand deutlich, daß die unbedingte Hingabe an einen großen allgemeinen Zweck das heilsamste Mittel für ihn sei. Mit größtem Eifer folgte er daher dem Grafen Lupesch in das Gemach des Königs.

Dort sah es in diesem Augenblicke wunderlich genug aus. Ein großer Tisch, der in der Mitte des Gemachs stand, war mit Pergamentrollen, Karten und Zeichnungen überdeckt. Manches davon lag auch auf dem Boden zerstreut und ebenso sah man Waffen überall auf den Möbeln umherliegen. Der König selbst saß halb angekleidet und bleichen Gesichtes vor dem Tische, den Kopf in die linke Hand gestützt, die rechte auf ein Pergament gelegt, dessen Schriftzüge er zu entziffern suchte. Das Gemach sowohl wie der Bewohner desselben trugen das Gepräge der äußersten Verstörung. Als der Mönch seine Unglücksbotschaft ausgerichtet und sich vorläufig entfernt hatte, war der König in eine unbeschreibliche Aufregung und Unruhe gerathen. Jeden Augenblick unternahm er etwas Anderes. Er hatte sein Oberkleid abgeworfen und sich einen Brustharnisch hervorgesucht. Aber noch bevor er den Versuch gemacht, diesen umzuschnallen, war ihm in seiner Rathlosigkeit wieder ein anderer Gedanke gekommen und er hatte eine Anzahl Schriftstücke und Pergamente, die in 270 verschlossenen Truhen lagen, hervorgesucht und auf den Tisch geworfen, um irgend etwas darin nachzusehen. Dann war er wieder zu seinen Waffen geeilt, hatte sie mit prüfender Hand untersucht und sich endlich wieder an den Tisch gesetzt, um in den Pergamenten zu stöbern. So traf ihn Graf Lupesch, als er mit seinem Begleiter eintrat.

Angstvoll und hohläugig blickte der König den Eintretenden entgegen und stieß wiederholt die Worte hervor: »Was ist zu thun? Was ist zu thun?«

Graf Lupesch verstand es meisterhaft, seine eigne Erregung zu verbergen. Er bediente sich mit Sicherheit der ehrfurchtsvollen Formen in Wort und Geberde, wie die erhabene Stellung des Königs sie gebot, aber unter dieser geschmeidigen Hülle wußte er den unselbstständigen Mann ganz nach seinem Willen zu lenken. Da der König der Schrift nicht sehr kundig war, empfahl ihm der Graf den neu geworbenen Heinrich, und der König, dem jede Stütze willkommen war, hätte demselben am liebsten sofort sein unbedingtes Vertrauen geschenkt. Auch Graf Lupesch war zwar ein Meister in allen ritterlichen Uebungen, aber kein großer Schriftgelehrter, und so brachte der Zufall den fremden Jüngling gerade zur rechten Zeit auf die Burg. Nicht, als ob es daselbst an schreibkundigen und in Staats- und Rechtsgeschäften erfahrenen Männern gefehlt hätte! War doch selbst der Mönch Konrad zu jeder thätigen Beihülfe bereit. Aber gerade bei der neuen Wendung der Dinge tauchte überall Mißtrauen auf, und es war sowohl dem Grafen wie dem König ein beruhigendes Bewußtsein, in dem neuen Schreiber einen ganz vorurtheilsfreien, ihren 271 Zwecken unbedingt ergebenen Parteigänger zur Seite zu haben.

Die nächstliegende Aufgabe war nun, bei den Fürsten und Grafen des Reiches zu sondiren, ob sich der König auf ihre Hülfe verlassen könne, denn es war selbstverständlich, daß der Kampf des Sohnes gegen den Vater vermieden und der Sache der Anschein verliehen werden mußte, als trete eine Erhebung der einzelnen Reichsfürsten dem Willen des Kaisers gegenüber. Sofort wurde vom König angeordnet, daß nach allen Seiten hin Eilboten abgingen, um die einflußreichsten der nicht allzu fern wohnenden geistlichen und weltlichen Würdenträger zu einer Berathung zu entbieten. Da gab es Arbeit die Menge. Auch aus dem Kloster Heiligenbaum wurden einige schriftkundige Mönche auf die Burg berufen und Alles, was schreiben konnte, mußte unter der Aufsicht des ersten Kanzlers daselbst arbeiten. Die schwierigsten Obliegenheiten übernahm Heinrich, und der Kanzler sah bald ein, daß er in ihm eine geistige Kraft ersten Ranges vor sich hatte.

Nach wenigen Tagen hatten sich einige der aufgeforderten Würdenträger eingefunden, allerdings nur in geringer Zahl und meistentheils solche, die ohnehin wußten, daß ihr Geschick mit dem des Königs unabänderlich verflochten war. Sehr vorsichtig verhielt sich die hohe Geistlichkeit. Sie hatte sich des schwachen Königs schwankenden Charakter während der letzten Jahre eifrig zu Nutzen gemacht, aber da das Strafgericht nun über ihn hereinzubrechen drohte, hielten sie sich zurück und warteten ab, was die nächste Zeit bringen werde.

Der Mönch Konrad war inzwischen wieder nach 272 Bamberg zurückgekehrt und hatte dem Bischof daselbst über die Zustände auf der Burg Lupesch Bericht erstattet. Dann hatte er sich vorläufig nach der Wartburg begeben, um den rauhen Landgrafen Heinrich von Thüringen fühlen zu lassen, daß er nicht die Macht besaß, dem Einfluß der Kirche zu trotzen. Es war dem Bischof von Bamberg darum zu thun, den tapferen Landgrafen durch Versprechungen für die Angelegenheiten der Kirche zu gewinnen, eine Aufgabe, für welche sich der fanatische und rücksichtslos vorgehende Konrad vortrefflich eignete. Als bestes Mittel, um die weltlichen Machthaber zu schrecken, ergriff der schlaue Mönch neuerdings das Mittel der Ketzerverfolgung. Aus dem Süden Frankreichs hatten sich die Grundsätze der Waldenser weithin verbreitet und auch in Deutschland viel Anhänger gefunden. Aber was half es, wenn man diesen kirchenfeindlichen Umtrieben in den Kreisen der Bürger und geringen Leute auf dem Lande entgegentrat? Die Kirche mußte zeigen, daß sie die Macht habe, auch hochstehende Personen, die im Verdachte der Ketzerei standen, zu verfolgen und zu bestrafen. Es war ein gefährliches Unternehmen, aber in dem fanatischen Mönche fand sich ein treffliches Werkzeug zur Ausführung desselben. Er wagte es, dem unerhörten Aufsehen zu trotzen, welches sein Vorgehen gegen einzelne Personen des niederen und nach und nach auch des höheren Adels hervorrief. Man war erstaunt über seine Kühnheit, aber das Wagniß gelang und es währte nicht lange, so hatte die Kirche ein neues furchtbares Mittel gefunden, um selbst ihre mächtigsten Feinde in Furcht zu halten.

Was auf der einen Seite der Ehrgeiz und die 273 Genußsucht der kaiserlichen Partei erstrebte, suchte auf der andern Seite der Hochmuth und die Herrschsucht der Geistlichkeit zu erreichen; an das Wohl des Volkes dachte keine von beiden Parteien, und es handelte sich nur darum, wer auf die geschickteste Weise die Hülflosigkeit der unterdrückten Menschen auszubeuten, das meiste Geld und die meisten Söldlinge aufzutreiben verstand. Als der Kaiser einsah, daß sein charakterloser Sohn nicht die Kraft besaß, um in Deutschland den Uebergriffen der Kirche die Stirn zu bieten, wollte er selbst durch die Heirath mit Elisabeth in Deutschland festeren Fuß fassen, und nun verließ er seine schöne italienische Heimath, woselbst er die Sprößlinge seiner üppigen Liebesbündnisse glänzend versorgt zurückließ, um in Mainz sich die schöne und liebenswürdige, dem alternden Manne besonders durch ihre Mitgift begehrenswerthe Schwester des Königs von England antrauen zu lassen, seinen widerspänstigen Sohn zu entsetzen, und dann mit neuen Mitteln den Kampf gegen die Kirche oder vielmehr gegen den Feind, der seine unumschränkte persönliche Macht bedrohte, fortzusetzen.

Auf der andern Seite waren dem Papste durch die Stiftung zweier neuen Mönchsorden gewaltige Hülfstruppen zu Theil geworden. Die Kirche hatte eingesehen, wie wenig sie im Grunde auf die Insassen der Klöster zählen konnte, so lange diese fast nur aus den Söhnen adliger Geschlechter und zum Theil aus Mitgliedern der fürstlichen Familien bestanden. Selbst zugegeben, daß nur reine und edle Zwecke in den Klöstern verfolgt wurden, richteten sich diese doch nur auf die Abtödtung und Heiligung des einzelnen Menschen, oder auf die Förderung 274 wissenschaftlicher Bestrebungen durch Aufbewahrung und Vervielfältigung gelehrter und poetischer Werke. Für die eigentlichen Absichten der Kirche, der es ganz in gleicher Weise, wie der kaiserlichen Partei, darum zu thun war, die Macht über den gesammten Erdkreis an sich zu reißen, geschah in den Klöstern wenig oder gar nichts. Mit der größten Freude mußte daher das Haupt der Kirche die Gründung zweier Mönchsorden willkommen heißen, welche sich die Aufgabe gestellt hatten, als streitbare Heere für die Zwecke des heiligen Stuhles ihr Leben und alle ihre Kräfte dem Einflusse auf das Volk zu widmen. Es waren die Franciscaner, die als Bettelmönche, und die Dominicaner, die als Predigermönche sich nicht in die Klöster einschlossen, um dort ein beschauliches, der eignen Heiligung geweihtes Leben zu führen, sondern hinauszogen in die Welt, um bei Arm und Reich durch zündende Worte für die Sache der Kirche zu wirken und zu demselben Zwecke Gaben in Empfang zu nehmen. Der Franciscanermönch Konrad war ein überzeugendes Beispiel von der furchtbaren Macht dieses neuen Ordens, derselbe Mann, welcher die unglückliche Landgräfin Elisabeth in ihrer ascetischen Richtung bestärkte und ihr die Ueberzeugung beigebracht hatte, daß der Mensch die höchste Stufe der Vollkommenheit durch Kasteiungen und Geißelhiebe erreichen könne.

Während der Kaiser seine Machtfülle in prunkvoller Weise zu entfalten strebte, zogen die Anhänger der neuen Mönchsorden unter dem Schutze des Papstes hinaus in alle Welt, um das bethörte Volk zu begeistern und neue Opfer von ihm zu heischen; so vereinte sich die geistliche und weltliche Macht in dem gemeinsamen Zwecke, die wahren 275 Vertreter der reinen evangelischen Wahrheit und des Humanitätsprincips zu verfolgen und durch alle erdenkliche Mittel auszurotten.

Die Verwirrung, welche die Ankunft des Mönchs auf der Burg Lupesch hervorgerufen hatte, nahm dort von Tag zu Tag zu. Es wurden die tüchtigsten und gediegensten Reichsbeamten ausgewählt, um die wichtigen Sendungen zu den Reichsfürsten zu übernehmen, und Heinrich, dem der Aufenthalt auf der Burg unerträglich geworden war, bewarb sich um eine Sendung nach dem Südwesten, wo unter andern die Grafen von Habsburg und Hohenzollern für die Sache gewonnen werden sollten. Ganz besonders kam es auf den Grafen von Zollern an, der zugleich Burggraf von Nürnberg war. Dieser hatte einst den Kaiser zur Krönung nach Rom begleitet und wurde von diesem, der in Italien bleiben wollte, zum Rathgeber des jungen Königs und zum deutschen Reichsverweser ernannt. Aber seitdem die üppigen Genossen der Ausschweifungen des Königs, namentlich Graf Lupesch, denselben ganz auf ihre Seite gezogen hatten, war der Zollerngraf von seinem Amte zurückgetreten und lebte auf seiner Burg, obgleich er nicht offenkundig gegen den König auftrat. Diesen also galt es vor Allem zu gewinnen und mit ihm seinen Stammverwandten, den Grafen von Hohenberg, und den jungen Grafen von Habsburg.

Die Erinnerung an die schöne Gisa trug viel dazu bei, Heinrich gerade diese Aufgabe wählen zu lassen, denn sein Gemüth war durch den Zwischenfall mit Wulfhilde in einen Zwiespalt gerathen und er glaubte, das Wiedersehen jener edlen Frauengestalt, oder auch nur das Verweilen in ihrer 276 Nähe werde ihm die Ruhe wiedergeben. In jugendlicher Begeisterung hatte er ihr damals die edelsten Empfindungen seines Herzens geweiht und sich selbst gelobt, niemals einer andern Frau in gleicher Weise seine Huldigung zu widmen. Wiederholt hatte Wulfhildens Einfluß das lichte Bild, das seiner Seele fast wesenlos vorschwebte, verdrängt, und es hatte ihn jedes Mal Mühe gekostet, jene Erinnerung wieder in der alten Reinheit aufleben zu lassen. In den letzten Tagen aber war er völlig mit seinen Empfindungen zerfallen, denn das Mitleid mit der hülfsbedürftigen Wulfhilde und der Umstand, daß das Geheimniß ihrer Herkunft in seiner Hand lag, bewirkte einen mächtigen Kampf gegen die überirdische Anbetung, die er einstens Gisa gelobt hatte. Wenn er nun auf der einen Seite die Ueberzeugung festhielt, daß Wulfhilde die Buhlerin des Königs und darum seiner Theilnahme unwürdig sei, hoffte er auf der andern Seite, der Einfluß der edlen Gisa werde ihn völlig von den Schlacken unreiner Gefühle befreien und sein Herz wieder ganz zu jener Reinheit der Empfindung stimmen, die er allein dem Weibe gegenüber für berechtigt hielt. Er athmete erleichtert auf, als der König seinen Wunsch gewährte und ihm den Auftrag zur Abreise nach Schwaben gab.

Da es ihm freigestellt wurde, sich einige Reiter zur Begleitung zu wählen, so bat er selbstverständlich den König, ihm zu gestatten, daß er den alten Knecht seines Vaters, den biedern Konrad, mitnehmen dürfe, und die Bitte wurde ohne Weiteres gewährt. Konrad lebte in der Ueberzeugung, der unholde Gast, welcher ihm vorher den Aufenthalt im Burggebiete verleidet hatte, sei durch seine schlaue Anordnung von dort entfernt, und er nahm daher 277 weiter keinen Anstand, sich dem Rufe seines Herrn zu fügen und zu ihm in die Burg zu kommen. Mit Freuden vernahm er dort, daß es sich um einen Ritt von vielen Tagen im Auftrage des Königs handle, und da sein Herr zum Sendboten erwählt war und er zu dessen Begleitung gehören sollte, so ging ihn Zweck und Ziel der Sache weiter nichts an und er fühlte sich ganz in seinem eigentlichen Elemente, als es an die Ausrüstung ging.

Vor der Abreise aber mußte er doch seinem Herrn mittheilen, auf welche besonders kluge Weise es ihm gelungen war, die gefährliche Hexe von der Burg und aus der Nähe des Bedrohten zu entfernen. Schmunzelnd berichtete er jede Einzelheit in Bezug auf die Ergreifung und Gefangennehmung des alten Weibes. Sein Gesicht verlor erst den frohen Ausdruck, als er bemerkte, daß seine Mittheilungen das höchste Erstaunen und unwillige Entrüstung auf Heinrich's Zügen hervorrief. Wäre der junge Mann dem Alten nicht so herzlich zugethan gewesen, er würde ihn wahrscheinlich nach der Sitte der Zeit mit einer Fluth von Schimpfworten überhäuft haben, denn es schien ihm gar zu thöricht, daß Konrad die alte Großmutter für Wulfhilde gehalten hatte. Er schalt ihn denn auch in gutmüthiger Weise einen Narren und wollte ihm den Zusammenhang erklären, aber Konrad war nicht zu überzeugen, und selbst als Heinrich ihm die Versicherung gab, er habe Wulfhilde erst kürzlich selbst gesehen und gesprochen, schwieg jener zwar, aber er war noch immer nicht geheilt und behielt den Verdacht, daß hier abermals Hexerei im Spiele sei, für sich.

Gewiß war es eine ernste und gewichtige Angelegenheit, 278 welche den jungen Heinrich zum ersten Male in seinem Leben im Dienste eines großen Herrn in die Fremde führte. Als er sich von dem Könige beurlaubt hatte und darauf vom Grafen Lupesch Abschied nahm, empfand er nur dunkel, wie bedeutungsvoll die Aufgabe war, die er übernommen hatte.

Als er dann mit dem treuen Konrad und noch einem Diener zum Burgthore hinausritt, war es ihm schwer um das Herz, und eine Ahnung sagte ihm, daß er an einem wichtigen Lebensabschnitt stehe. Ein düsterer Ausdruck verbreitete sich über seine Züge. Er mußte sich aufraffen und die rückwärts gerichteten Gedanken aus dem Kopfe verbannen, denn immer war es ihm, als höre er die tobende Stimme des Grafen und dazwischen das leise Weinen der unglücklichen bethörten Wulfhilde, die er in der Gewalt der mitleidslosen Gräfin zurückließ. Aber dann kämpfte er wieder gegen sich selbst. Wie konnte er an das Schicksal der verächtlichen Buhlerin denken! Blieb sie nicht in der Nähe und unter dem Schutze ihres hohen Liebhabers! Ihn führten die Aufträge, die ihm der Graf Lupesch im Namen des Königs anvertraut hatte, zu einer neuen Thätigkeit, welche für das gesammte Reich von höchster Wichtigkeit war. Er hatte das Versprechen geleistet, die ihm übertragenen Geschäfte gewissenhaft zu vollführen, und er fühlte sich gehoben und getragen durch das Bewußtsein, einer großen Pflicht genügen zu müssen. Noch zu unerfahren, um die politischen Verhältnisse durchschauen und sich über den Charakter der auf dem Schauplatze handelnden Personen klare Einsicht verschaffen zu können, hielt er sich streng an die Ausführung der Sendung, zu welcher ihn der König 279 erkoren hatte. Er zweifelte keinen Augenblick an der Berechtigung der Bestrebungen und war im Voraus überzeugt, daß die Grafen von Habsburg, Hohenzollern und Rapperswil, zu denen er unterwegs war, sofort auf die Seite des Königs treten würden. Daher hoffte er auf einen freundschaftlichen Empfang und knüpfte daran mancherlei andere frohe Erwartungen. Kaum war er einen Tag von der Burg Lupesch entfernt, als das Gefühl der frischen Jugendlust, die in ihm pulsirte, in Verbindung mit den Hoffnungen, welche ihn belebten, und gehoben durch die Aussicht auf den langen, frischen und fröhlichen Ritt in Gottes freier Natur sein Herz mit heiterer Stimmung erfüllte und tausend schwungvolle Gedanken in ihm erweckte.

Offenbar konnte Niemand weniger zu einer wichtigen diplomatischen Sendung geeignet sein, als Heinrich von Sunnera, aber gerade darin zeigte sich die Haltlosigkeit der königlichen Partei, daß sie sich überall in ihren Mitteln täuschte und von raschen Stimmungen beherrschen ließ. In einem Augenblicke der Erregung hatte Graf Lupesch sich des neuen Boten versichert und in ebensolchem Augenblicke war dieser auf die Absichten des Königs eingegangen. Die Begegnung mit Wulfhilde und die Erinnerung an Gisa hatte dabei größeren Einfluß gehabt, als ihm selbst bewußt war.

Schon nach wenigen Tagen wurde seine Begeisterung für die übernommene Aufgabe bedeutend herabgestimmt. Als er nämlich in die Gegend von Heidelberg kam, erfuhr er, daß im Volke große Entrüstung gegen den König herrsche, weil man ihn und seinen Anhang für die Urheber des Mordes halte, der am Pfalzgrafen bei Rhein auf der Heidelberger Burg verübt worden. Der Pfalzgraf war 280 nämlich der vom Kaiser bestellte Vormund des Königs. Um für sein lockeres Leben den Vormund nachsichtig zu stimmen, hatte der junge Kaisersohn diesem die weitgehendsten Zugeständnisse gemacht. Erst vor mehreren Jahren hatte er ihm die Rechte der unmündigen Kinder des im Kreuzzuge gebliebenen Grafen Gerhard von Erbach – dessen sich Heinrich von Sunnera vom Lager bei Memleben sehr wohl erinnerte – übergeben und damit einen Act frevelhafter Willkür ausgeübt. Nun war der Pfalzgraf ermordet worden und alles Volk wälzte die Schuld auf König Heinrich.

Gewiß war es für den Boten des letzteren keine angenehme Aufgabe, überall die Anklagen gegen seinen Herrn zu widerlegen. Es war nicht zu leugnen, daß namentlich der Graf Lupesch vielleicht ein Interesse daran haben konnte, den bestellten Vormund des unselbstständigen Prinzen aus der Welt zu schaffen, aber Heinrich von Sunnera wollte sich nicht überzeugen lassen, daß er sich in der Uebereilung einer Sache angeschlossen habe, die den heimlichen Mord als Mittel zum Zwecke wählte. Jahre lang hatte er von der Zerrüttung aller Zustände im Reiche gehört, aber daß er selbst mitten in den Herd dieser verderblichen Umtriebe gerathen sei, hielt er nicht für möglich. Hätte er alsdann nicht alle seine Lebenshoffnungen zerstört sehen müssen? Was wäre ihm zu erstreben und zu hoffen geblieben, wenn alle die furchtbaren Anklagen sich als wahr erwiesen? Nein, nein! Seine Pflicht band ihn an die Sache des Königs und er durfte nicht an der Berechtigung derselben zweifeln. Daß der Kaiser seine Kräfte in Italien vergeudete und mit der Kirche in Zwiespalt lebte, war die Wurzel alles Uebels. Mochte König Heinrich daher auch 281 leichtsinnig und ungehorsam sein; er verdiente doch den Beistand der Edlen des Reichs. Dies waren die Gedanken, mit denen Heinrich von Sunnera jeden aufsteigenden Zweifel zu beschwichtigen suchte.

Getreu der übernommenen Pflichten würde er keinen Augenblick versäumt haben, das Ziel des Rittes so schnell als möglich zu erreichen, wenn nicht die Macht des in ihm wohnenden Genius einigen Aufenthalt bewirkt hätte. Aber wie konnte er die Stadt Straßburg umgehen, wo eben der Bischof Konrad von Lichtenberg eine neue Verschönerung des gewaltigen Münsters in Angriff nehmen ließ? Vor zweihundert Jahren hatte Bischof Werner aus dem Hause Habsburg den ersten Grundstein gelegt, und noch war das erhabene Bauwerk nicht zu Ende gebracht. Welche Gefühle durchwogten Heinrich's Brust! Er konnte sich nicht losreißen von dem Anblicke des Ganzen und dem Studium der Einzelheiten. Zum ersten Male fühlte er, daß seine Seele nur in der völligen Hingabe an die gewaltige Kunst Befriedigung finden konnte. Wie ein Träumender setzte er die Reise fort. Auch an andern Orten bewunderte er die machtvollen gothischen Kirchenbauten, in denen der hochstrebende Sinn der Bewohner reicher Städte das erwachende Gemeingefühl auszudrücken strebte. Sein Geist erwachte gleichsam aus dumpfer Unklarheit, die Flügel seines Genius regten sich, und er ahnte eine Zukunft, die Alles, was er bisher verlangt und erstrebt hatte, weit in den Schatten stellen werde. 282

 


 


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