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XVII.

DIE GRÜNDUNG VON KONSTANTINOPEL · DAS POLITISCHE SYSTEM CONSTANTINS UND SEINER NACHFOLGER · MILITÄR- UND FINANZWESEN · STEUERN

 

DIE NEUE HAUPTSTADT BYZANZ

Der unglückselige Licinius war der letzte Gegner, der sich der Größe Constantins entgegenstellte und der letzte Gefangene, der seinen Triumphzug zierte. Nach einer friedlichen und erfolgreichen Regierung vererbte der Kaiser seiner Familie die Herrschaft über das Reich: eine neue Hauptstadt, eine neue Politik und eine neue Religion; und nachfolgende Generationen haben seine Neuerungen übernommen und geheiligt. Das Zeitalter Constantin des Großen und seiner Söhne ist erfüllt mit bedeutenden Ereignissen. Aber der Historiker wird durch ihre Zahl und ihren Vielfalt schier erdrückt, solange er nicht die Ereignisse säuberlich voneinander getrennt hat, die lediglich zufällig zeitlich zusammenfielen. So muss er zunächst die politischen Einrichtungen beschreiben, welche dem Imperium Macht und Stabilität verliehen, bevor er zur Schilderung der Kriege und Umwälzungen übergeht, welche seinen Untergang beschleunigten. Er wird zwischen zivilen und kirchlichen Angelegenheiten zu trennen haben, welche Scheidung den Alten ganz fremd war: Der Sieg des Christentums und seine internen Zwistigkeiten bieten Material in Fülle, zur Erbauung und zum Ärgernis. Nach der Niederlage und der Abdankung des Licinius trieb sein siegreicher Rivale die Gründung der Stadt voran, der es bestimmt war, in künftigen Zeiten als die Gebieterin des Ostens zu herrschen und das Reich und die Religion Constantins zu überleben.

Die Motive Diocletians, Stolz oder Staatsklugheit, die ihn bestimmten, den alten Regierungssitz aufzugeben, erlangten durch das Beispiel seiner Nachfolger und eine vierzigjährige Gewohnheit zusätzliches Gewicht. Rom erhielt unmerklich den Rang eines jener abhängigen Königreiche, welche einst seine Oberhoheit anerkannt hatten; und ein kriegstüchtiger Herrscher, an der Donau geboren, aufgebracht an den Höfen und in den Armeen Asiens und von den Legionen Britanniens mit dem Purpur investiert, empfand für das Land der Caesaren nur noch mit kühler Gleichgültigkeit. Die Italiener, die Constantin als ihren Befreier empfangen hatten, leisteten seinen Erlassen, die er von Zeit zu Zeit an Senat und Volk von Rom zu richten sich herabließ, submissesten Gehorsam; aber nur selten beehrte sie ihr Herrscher in persona mit seiner Anwesenheit. In der Blüte seiner Jahre hatte Constantin, entsprechend den jeweiligen Erfordernissen des Friedens oder Krieges, mit getragener Würde oder geschäftigem Eifer die Grenzen seines Großreiches aufgesucht; und stets war er vorbereitet, gegen einen auswärtigen oder inneren Feind das Feld zu behaupten.

Als er jedoch auf dem Höhepunkt seiner Macht stand und seine Jahre sich allgemach neigten, ging er mit dem Entwurf um, der Größe und Majestät seines Thrones eine dauerhaftere Heimstatt zu geben. Bei der Suche nach einem geeignetem Platz gab er der Grenze zwischen Europa und Asien den Vorzug, um mit starkem Arm die Barbaren zu zügeln, welche zwischen Donau und Don nomadisierten; um ein misstrauisch-wachsames Auge auf die Umtriebigkeiten des persischen Monarchen zu haben, welcher nur widerstrebend das Joch eines Diktatfriedens trug. Dies waren für Diocletian die Gründe gewesen, Nicomedia zur Residenzstadt zu bestimmen und auszubauen: aber das Gedächtnis an Diocletian war dem Beschützer der Kirche denn doch ein Schrecknis; auch war Constantin nicht unempfänglich für die Vorstellung, eine von ihm begründete Stadt könnte den Ruhm seines Namens verewigen. Während der zurückliegenden Feldzüge im Kriege gegen Licinius hatte er hinreichend Gelegenheit gehabt, sich als Staatsmann und als Feldherr die unvergleichlich günstige Lage von Byzanz zu vergegenwärtigen; und gleichzeitig festzustellen, wie die Natur die Stadt gegen feindliche Angriffe stark gemacht hatte, während sie andererseits dem segenstiftenden Handel allseitig Zufahrt bot. Viele Jahrhunderte vor Constantin hatte einer der klarsichtigsten Historiker Polybius 4,45 bemerkt indessen auch, dass durch die Überfälle der thrakischen Barbaren dem Frieden von Byzanz und der Größe seines Staatsgebietes ständig Eintrag geschah. des Altertums die Vorteile einer Lage beschrieben, von der aus eine winzige griechische Kolonie die Herrschaft über die See und zugleich allen Einfluss einer blühenden und unabhängigen Republik errang. Byzas der Seefahrer, der als der Sohn Neptuns ausgegeben wurde, gründete die Stadt 656 Jahr vor der christlichen Zeitrechnung. Seine Gefolgsleute kamen aus Argos und Megara. Später wurde Byzanz durch den spartanischen General Pausanias wiedererrichtet und befestigt. Hinsichtlich der Kriege, die die Byzantiner gegen Philipp, die Gallier und die Könige von Bythinien führte, sollten wir nur solchen antiken Autoren vertrauen, die noch vor jenen Zeiten lebten, in welcher der Glanz der Kaiserstadt den Geist der Schmeichelei und freien Erfindung düngte.

 

BESCHREIBUNG VON KONSTANTINOPEL

Überblicken wir die Topographie von Byzanz, die es unter dem ehrwürdigen Namen Konstantinopel besaß, so mag man sich das Gebiet der Kaiserstadt als ungleichschenkliges Dreieck vorstellen. Der spitze Winkel, welcher nach Osten auf die Küste Asiens weist, trifft auf die Wellen des thrakischen Bosporus. Die Nordseite der Stadt grenzt an den Hafen; und die Südseite wird von der Propontis oder dem Marmarameer umspült. Die Grundlinie des Dreiecks liegt nach Westen und bildet die Grenze zu Europa. Aber die Einmaligkeit der Verteilung der umliegenden Landkreise und Meeresreviere kann ohne nähere Erläuterung nicht eindeutig oder hinreichend verstanden werden.

Die windungsreiche Wasserstraße, durch welche die Fluten des Pontos Euxeinos mit raschem und wachsenden Strom in Richtung auf das Mittelmeer fließen, trägt den Namen Bosporus, welcher Name in der Geschichte nicht weniger berühmt ist als in alten Sagen. Der Bosporus wurde von Dionysius von Byzanz aus der Zeit Domitians bis in Detail genau beschrieben (Hudson, Geographiae scriptores minores Band 3). sowie von Gilles oder Gyllius, einem französischen Reisenden des XVI. Jahrhunderts. Tournefort (Voyage du Levant, 15. Brief) scheint eher seinen eigenen Augen sowie der Gelehrsamkeit des Gyllius vertraut zu haben. Zahlreiche Tempel und Weihaltäre, die über seinen steilen, bewaldeten Ufer verstreut liegen, legen Zeugnis ab von der Unerfahrenheit, der Not und der Dankbarkeit der griechischen Seefahrer, welche gleich den Argonauten die Gefahren des ungastlichen Schwarzen Meeres durchlebten. An diesem Ufer war für lange Zeit das Gedächtnis an den Palast des Phineus lebendig, welcher von den ekligen Harpyen Es gibt nur ganz wenige Konjekturen, welche so geglückt sind wie die von Le Clerc (Bibliothèque Universelle, Band 1, p. 148), welcher vermutet, dass es sich bei den Harpyen lediglich um Heuschrecken handelt. Der syrische oder phönizische Name dieses Insektes, ihr geräuschvoller Flug, der Gestank und die Verwüstung, welche sie anrichten und endlich der Nordwind, der sie auf See treibt: all dieses bekräftigt nur diese schlagende Ähnlichkeit zwischen beiden. heimgesucht wurde; und an das ländliche Reich des Amycus, welcher den Sohn der Leda zum Faustkampfe forderte. Die Residenz des Amycus lag in Asien, zwischen dem alten und neuen Schloss an einem Ort namens Laurus Insana. Die des Phineus war in Europa, nahe dem Dorf von Mauromole und dem Schwarzen Meer. Siehe Gyllius, de Bosphoro, Buch 2, c. 23; Tournefort, Voyage Brief 14. Der Bosporus wird begrenzt durch die Cyanäischen Felsen, welche nach Aussage der Dichter einst auf dem Wasser schwammen und die die Götter bestimmt hatten, die Zufahrt in das Schwarze Meer gegen profane Neugier zu schützen. Diese Täuschung wurde von einigen spitzen Felsen hervorgerufen, welche durch die Wellen abwechselnd überbrandet und freigegeben wurden. Heutzutage befinden sich dort zwei kleine Inseln, jeweils eine am anderen Ufer: die an der europäischen Küste ist zu erkennen an der Säule des Pompeius. Von den Cyanäischen Felsen bis zur Hafeneinfahrt von Byzanz nimmt der Bosporus seinen kurvenreichen Verlauf von sechzehn Meilen, Die Alten berechneten ihn auf 120 Stadien oder 15 römische Meilen. Sie maßen nur von der neuen Burg, aber bis zur Stadt Chalcedon. bei einer Durchschnittsbreite von etwa einer Meile.

Die neuen Burgen Europas und Asiens stehen auf dem Fundament zweier berühmter Tempel, dem von Serapis und Jupiter Urius. Die alten Burgen, ein Werk griechischer Herrscher, beherrschen den Kanal an seiner engsten Stelle, dort, wo die beiden Ufer noch nicht fünfhundert Fuß voneinander entfernt sind. Diese beiden Festungswerke wurden wiederhergestellt und verstärkt, als Mohammed II die Belagerung von Konstantinopel plante: Dukas, Historia 34; Leunclavius, Historia Muselmanum Turcorum, Buch 15, p. 577. Unter griechischer Herrschaft dienten diese Festungen als Staatsgefängnisse und trugen den schaurigen Namen Lethe oder Turm des Vergessens. vermutlich war sich der türkische Eroberer nicht bewusst, dass rund zweitausend Jahre vor ihm Darius an derselben Stelle die beiden Kontinente mit einer Bootsbrücke miteinander verbunden hatte. Darius ließ auf zwei Marmorsäulen in griechischen und assyrischen Lettern die Namen der von ihm unterworfenen Nationen einmeißeln sowie die bedrohliche Masse seiner Land- und Seestreitkräfte. Später verbrachten die Byzantiner diese Säulen in ihre Stadt und benutzten sie als Altar für ihre Schutzgötter. Herodot, 4,78. Unfern der alten Burg finden wir dann die Kleinstadt Chrysopolis oder Scutari, die man beinahe als asiatischen Vorort von Konstantinopel ansehen kann. Zwischen Byzanz und Chalcedon geht der Bosporus in die Propontis über. Die letztgenannte Stadt wurde noch wenige Jahre vor der erstgenannten von den Griechen gegründet; und die Blindheit ihrer Stifter, welche die eindeutigen Vorteile der gegenüberliegenden Küste nicht erkannten, gab Anlass zu einem sprichwörtlichen Hohnwort. Namque artissimo inter Europam Asiamque divortio Byzantium in extrema Europa posuere Graeci, quibus, Pythium Apollinem consulentibus ubi conderent urbem, redditum oraculum est, quaererent sedem ›caecorum‹ terris adversam. Ea ambage Chalcedonii monstrabantur, quod priores illuc advecti, praevisa locorum utilitate pejora legissent. [Denn an der schmalsten Stelle der europäisch-asiatischen Meerenge legten die Griechen Byzanz am äußersten Zipfel Europas an, nachdem ihnen auf Anfrage beim Pythischen Apollo nach dem Gründungsort ihrer Stadt das Orakel zuteil wurde, sie sollten dem Land der Blinden gegenüber Wohnsitz nehmen. Mit diesem Rätselwort wurde auf die Chalcedonier verwiesen, welche trotz ihrer früheren Ankunft und Einsicht in die gute Lage den schlechteren Standort gewählt hatten]. Tacitus, Annales. 12, 63.

 

HAFEN PROPONTIS HELLESPONT

Der Hafen von Konstantinopel, den man auch als Seitenbucht des Bosporus auffassen könnte, trug in weit zurückliegender Zeit den Namen Goldenes Horn. Die Kurve, die er beschreibt, kann man mit dem Horn eines Bullen oder, genauer noch, mit dem eines Ochsen vergleichen. Strabo, 10, p.492. Das Horn ist heutigentags zum größten Teile abgestoßen; oder, in weniger bilderreicher Sprache, der Hafen ist weitgehend versandet. S. Gyllius, De Bosphoro, Buch 1,5. Das Epitheton Golden verlieh man ihm wegen der Reichtümer, die jede Art von Wind noch aus den entferntesten Ländern in den sicheren und großangelegten Hafen von Konstantinopel blies. Der Lycus, entstanden aus dem Zusammenfluss zweier kleiner Ströme, versorgt den Hafen beständig mit Frischwasser, welches den Grund sauber hält und Fischschwärmen regelmäßig geeignete Rückzugsmöglichkeiten eröffnet. Da die Gezeiten in jenen Gewässern sich kaum auswirken, ist der Hafen stets gleichbleibend tief und erlaubt das Leichtern von Schiffen ohne die Hilfe von Lastkähnen; und man hat festgestellt, dass an vielen Stellen die größten Schiffe mit ihrem Bug an die Häuser stoßen, während das Heck noch aufschwimmt. Prokopius, de Aedificiis 1,5. Seine Angaben werden von neueren Reisenden bestätigt. See Thévenot Voyages au Levant Teil 1, Buch 1, c.15;. Tournefort, Voyages, Brief 12; Niebuhr, Descrition de l'Arabie, p. 22. Von der Mündung des Lycus bis zur Hafeneinfahrt sind es etwa sieben Meilen. Die Einfahrt ist etwa fünfhundert Fuß breit, und im Notfall konnte eine starke Kette gespannt werden, Hafen und Stadt vor den Angriffen feindlicher Flotte zu schützen. Siehe Ducange, Constantinopolis Buch 1, c.16 und seine Observations sur Villehardouin, p. 289. Die Kette wurde von der Akropolis (beim heutigen Pavillon) bis zum Turm von Galata gespannt und an passender Stelle von mächtigen Holzpfählen unterstützt.

Zwischen Bosporus und Hellespont treten die Küsten Europas und Asiens zurück und schließen das Marmarameer ein, welches den Alten unter dem Namen Propontis bekannt war. Die Entfernung zwischen der Mündung des Bosporus und der Einfahrt in den Hellespont beträgt etwa einhundertzwanzig Seemeilen. Wer auf westlichem Kurs durch die Propontis fährt, gewahrt zugleich das Hochland von Thrakien und Bithynien und verliert auch die mit ewigem Schnee bedeckten Gipfel des Olympusberges nicht aus dem Auge. Thévenot, Voyages au Levant, Teil 1, Buch 1, c. 14 macht daraus 125 kleine griechische Meilen. Belon (Observations, 2, c.1) liefert eine gute Beschreibung der Propontis, begnügt sich selbst aber mit der vagen Angabe einer Segeltour von einem Tag und einer Nacht. Wenn Sandys (Travels, p. 21) von 150 furlongs (201,17m, englische Viertelmeile) redet, dürfen wir bei diesem zuverlässigen Reiseschriftsteller einen Druckfehler vermuten. Links lässt man einen Meerbusen hinter sich, an dessen Ende Nikomedia lag, Diocletians Kaiserresidenz; und man fährt an den kleinen Inseln Cyzikos und Prokennesos vorbei, bevor man in Gallipoli vor Anker geht, wo sich das Meer, welches Asien und Europa trennt, wieder zu einer schmalen Wasserstraße verengt.

 

DER HELLESPONT

Die Geographen, welche mit möglichst großer Exaktheit Verlauf und Größe Siehe die bewundernswerte Erörterung von Herrn d'Anville über Hellespont oder Dardanellen in den Memoires de l'Academie des Inscriptions, Band 18, p. 318-346. Die Stadien, welche Herodot bei seiner Beschreibung des Schwarzen Meeres, des Bosporus etc. verwendet, sind ohne Zweifel immer von gleicher Länge; aber es ist unmöglich, sie mit den tatsächlichen Gegebenheiten oder auch nur untereinander in Einklang zu bringen. des Hellespont bestimmt haben, geben etwa sechzig Meilen Länge und eine Durchschnittsbreite von ca. drei Meilen für diese hochberühmte Meeresstraße an. Der engste Teil der Passage findet sich nördlich der alten türkischen Kastelle zwischen den Städten Sestus und Abydus. An dieser Stelle hat der tollkühne Leander gewagt, die Fluten zu durchschwimmen, um seine Geliebte zu erobern. Die schiefe Entfernung zwischen Sestus und Abydos betrug 30 Stadien. Die unglaubliche Geschichte von Hero und Leander wird von Herrn Mahudel verworfen, aber von Herrn de la Nauze unter Bezugnahme auf Dichter und Münzen verteidigt. Hierzu die Memoires de l'Academie des Inscriptions, Band 7 und Histoires, p. 74. An diese Stelle war es auch, wo der Abstand zwischen den beiden Ufern nicht mehr als fünfhundert Schritt betragen haben kann, so dass Xerxes seine berühmte Bootsbrücke bauen lassen konnte, um einhundertundsiebzig Myriaden Barbaren von Asien nach Europa zu bringen. Vergleiche hierzu das 7. Buch Herodots, in dem er sich und seinem Lande ein anmutiges Denkmal gestiftet hat. Die Verzeichnis wurde wohl noch mit einiger Genauigkeit angelegt; aber die Prahlsucht zunächst der Perser und danach der Griechen hatte ein Interesse daran, Truppenstärke und Sieg zu vergrößern. Ich hege tiefe Zweifel, ob die Zahl der feindlichen Angreifer jemals die Zahl der männlichen Bewohner übertroffen hat, die in den von ihnen heimgesuchten Ländern lebten. Auf einen See, der so eng zusammengedrängt wird, scheint das Attribut breit, welches Homer und Orpheus dem Hellespont freigebig verleihen, nur sehr bedingt zu passen. Aber unsere Vorstellungen von Größe sind sehr relativer Natur: der Reisende, und ganz besonders der Dichter, welcher den Hellespont durchsegelt hat, welcher den Windungen gefolgt ist und die ländliche Szenerie betrachten durfte, welche auf beiden Ufern sich darbot, verliert unmerklich die Erinnerung an das Meer; und seine Phantasie stattet diese berühmte Meeresstraße mit allen Eigenschaften eines mächtigen Flusses mit reißender Strömung aus, welcher mitten durch bewaldetes Land fließt und schließlich in die Ägäis mündet. Siehe dazu Woods Observation on Homer, p. 320. Ich habe mit Genuss diese Anmerkung eines Schriftstellers ausgewählt, welcher insgesamt gesehen die Erwartungen des Publikums an ihn als Kunstrichter und als Reisender enttäuscht zu haben scheint. Er hat die Ufer des Hellesponts aufgesucht, er hat Strabo studiert und er dürfte auch die römischen Itinerarien zu Rate gezogen haben. Wie konnte er da nur Ilium und Alexandria Troas verwechseln, (Observations p. 340 und 341) welche beiden Städte sechzehn Meilen voneinander getrennt liegen?

Das antike Troia, Demetrius von Skepsis schrieb sechzig Bücher über die dreißig Zeilen von Homers Schiffskatalog. Das 13. Buch von Strabo reicht völlig, um unsere Neugier zufrieden zu stellen. am Fuße des Idagebirges an prominenter Stelle gelegen, überblickte die Mündung des Hellespont, welche kaum Wasser durch den Zufluss der beiden unsterblichen Flüsschen Simois und Skamander erhalten haben dürfte. Das Lager der Griechen erstreckte sich zwölf Meilen entlang der Küste vom Sigäischen zum Rhoetischen Vorgebirge; und die Flanken der Armee wurden durch die tapfersten Krieger geschützt, welche unter Agamemnons Banner fochten. Das erste dieser Vorgebirge hielt Achilles mit seinen unbesiegbaren Myrmidonen besetzt, und bei dem anderen hatte der furchtlose Aias seine Zelte aufgeschlagen. Nachdem Aias seinem gekränkten Stolz sowie dem Undank der Griechen zum Opfer gefallen war, wurde ihm eine Grabstele an der Stelle errichtet, wo er die Flotte der Griechen gegen den Zorn der Götter und Hektors Grimm verteidigt hatte; und die Bürger der emporwachsenden Stadt Rhoeteum vergöttlichten sein Andenken. Strabo, 13, p. 595. Die Lage der Schiffe, welche auf den trockenen Strand gezogen waren, und die Posten von Aias und Achilles werden von Homer mit großer Genauigkeit beschrieben. Siehe die Ilias 9, 220.

Bevor Constantin sich zu Recht für Byzanz entschied, hatte er auch die Möglichkeit überdacht, den Regierungssitz an diese berühmte Stelle zu verlegen, welcher ja auch der sagenhafte Herkunftsort der Römer ist. Und tatsächlich war die große Ebene unterhalb Troias, zwischen dem Grab des Aias und dem Rhoetischen Vorgebirge, für die Neugründung vorgesehen; und obwohl das Unternehmen schon bald aufgegeben wurde, haben die Reste der unvollendeten Mauern und Türme die Aufmerksamkeit aller Hellespontfahrer gefesselt. Zosimos, 2,30; Sozomenes 2,3; Theophanes, p. 18; Nikephoros Kallistos 7, p. 48; Zonaras Band 2, c.13,3. Zosimos verlegt die neue Stadt zwischen Ilium und Alexandria, welche scheinbare Unstimmigkeit indessen durch ihren gewaltigen Umfang erklärt werden kann. Vor der Erbauung Konstantinopels wurden laut Zonaras die Orte Thessalonike von Kedrenos und Sedika als andere mögliche Hauptstädte genannt. Beide vermuten übrigens, wenn auch mit wenig Wahrscheinlichkeit, dass der Kaiser, hätte ihn nicht ein Wunder zurückgehalten, im Begriffe stand, den Fehlgriff der ›blinden‹ Chalkedonier zu wiederholen.

 

DIE LAGE KONSTANTINOPELS

Wir sind heutzutage imstande, die vorteilhafte Lage von Konstantinopel zu beurteilen, welche zum Mittelpunkt und Hauptstadt einer großen Monarchie von der Natur gleichsam geschaffen war. Gelegen auf dem einundvierzigsten Breitengrad beherrscht die Kaiserstadt von ihren sieben Hügeln aus Europas Siehe Pocock (Description of the East, Vol 2, Teil 2, p. 127). Seine Beschreibung von den sieben Bergen ist anschaulich und präzise. Dieser Reisende ist in seinen Angaben selten so befriedigend. und Asiens gegenüberliegende Küsten; das Klima war gemäßigt und gesund, der Boden ertragreich, der Hafen sicher und umfangreich; und der Zugang vom Festland schmal und leicht zu verteidigen. Bosporus und Hellespont kann man als die beiden Tore nach Konstantinopel ansehen; und der Herrscher, welcher über diese beiden wichtigen Passagen verfügte, konnte sie jederzeit gegen eine feindliche Seemacht blockieren und sie ebenso der Handelsschifffahrt öffnen. Die Erhaltung der östlichen Provinzen kann in gewissem Umfang der Politik des Constantin zugeschrieben werden, da die Schwarzmeerbarbaren, welche in früheren Zeiten in das Mittelmeer ausschwärmten, bald von der Piraterie Abstand nahmen, mussten sie doch an der Überwindung der uneinnehmbaren Festung schier verzweifeln. War im Bosporus und im Hellespont eine Blockade, so unterhielt die Stadt in ihrem geräumigen Areal jedes Gewerbe, um die Grundbedürfnisse oder sogar das Verlangen nach Luxus seiner zahlreichen Einwohner zufrieden zu stellen. Die Meersküsten von Thrakien und Bithynien, welche heute unter der türkischen Bedrückung seufzen, gewähren gleichwohl den Anblick üppiger Weinberge, Obstgärten und reicher Ernten; und die Propontis war von jeher berühmt für ihren unerschöpflichen Reichtum an wertvollstem Fisch, welcher zu bestimmten Jahreszeiten fast mühelos und ohne besonderen Aufwand gefangen wurde. Siehe Belon, Observations, c. 72-76. Unter vielen verschiedenen Arten war der Pelamides, eine Art von Thunfisch, am berühmtesten. Bei Polybios, Strabo und Tacitus können wir lesen, dass die Gewinne aus der Fischerei die wichtigste Einnahme von Byzanz waren. Standen die Durchfahrten der Seefahrt jedoch offen, dann bildeten sie die Handelswege für die natürlichen oder durch Gewerbefleiß erzeugten Reichtümer des Nordens und Südens, des Schwarzen und des Mittelmeeres. Welche Rohstoffe auch immer in den Wäldern Germaniens oder Skythiens bis zu den Quellen von Dnjepr und Don gesammelt wurden; was immer die Kunstfertigkeit Europas und Asiens hervorbrachte; das Korn Ägyptens und die Spezereien und Edelsteine des fernsten Indiens: alles dieses brachten wechselnde Winde in den Hafen von Konstantinopel, welcher für viele Jahrhunderte den Handel der Alten Welt an sich zog. Siehe die beredte Schilderung des Busbeck, Brief 1, p. 64. ›Est in Europa; habet in conspectur Asiam, Egyptum, Africamque a dextra: quae tametsi contiguae non sunt, maris tamen navigandique commoditate veluti junguntur. A sinistra vero Pontus est Euxinus, etc.‹ [Es liegt in Europa; rechts hat es Asien, Ägypten und Afrika im Blickfeld; wenn es auch nicht mit diesen zusammenhängt, werden sie doch durch die Vorteile des Meeres gleichsam miteinander verbunden. Links nun liegt das Schwarze Meer…].

 

GRÜNDUNG DER STADT WIRD GOTT ZUGESCHRIEBEN

Die Aussicht auf Sicherheit, Schönheit und Reichtum, die hier in einem einzigen Platz vereint waren, rechtfertigte Constantins Entscheidung. Da man aber schon immer eine wohldosierte Mischung aus Vorzeichen und Legenden für die Ankündigung inskünftiger Größe gehalten hatte, ›Datur haec venia antiquitati, ut miscendo humana divinis, primordia urbium augustiora faciat.‹ [Dies ist das Vorrecht des Altertums, dass es durch Vermengung des Menschlichen mit dem Göttlichen die Gründung der Städte zum Mythos erhebt. Livius, Prooemium]. war auch der Kaiser entschlossen, seine Entscheidung nicht so sehr den schwankenden Entwürfen menschlichen Sinnens zuzuschreiben als vielmehr den unfehlbaren und ewigen Ratschlüssen göttlicher Weisheit. So war er gewissenhaft genug, in einem seiner Edikte die Nachwelt wissen zu lassen, dass er im Gehorsam gegenüber göttlichen Weisungen die ewigen Fundamente von Konstantinopel gelegt habe; In einem seiner Gesetze heißt es: ›pro commoditate Urbis quam aeterno nomine, iubente Deo, donavimus.‹ [zum Nutzen der Stadt, welche wir nach Gottes Weisung mit einem ewigen Namen beschenkt haben]. Codex Theodosianus. 13,5,7. aber da er uns nicht mitteilen mochte, in welcher Weise ihm der göttliche Ratschluss zuteil ward, wurde die Lücke, die sein ehrbares Schweigen hinterließ, durch die Erfindungsgabe nachfolgender Autoren überreich gestopft, welche das nächtliche Gesicht beschreiben, das Constantin einst zuteil wurden, da er zu Byzanz im Schlummer lag:

Der gute Genius der Stadt Rom, eine würdige Matrone, gebeugt unter dem Gewicht ihrer Jahre und Gebrechen, wurde unversehens zu einer emporblühenden Jungfrau, der er mit eigener Hand alle Abzeichen kaiserlicher Größe anlegte. Die Griechen, Theophanes, Kedrenos Georgios und der Verfasser der Alexanderchronik ergehen sich in sehr unbestimmten und allgemeinen Ausdrücken. Um Genaueres über die Visionen zu erfahren, müssen wir auf lateinische Autoren wie etwa William von Malmesbury zurückgreifen. Siehe Du Cange, Constantinopel, Buch 1, c. 24 und 25. Der Monarch erwachte, legte das glückverheißende Omen aus und willfahrte ohne Verzug dem himmlischen Fingerzeig. Den Tag, an welchem eine Stadt oder Kolonie gegründet wurde, feierten die Römer mit allen Zeremonien, über die ein freiwuchernder Aberglauben nur verfügte; Siehe hierzu Plutarch, Romulus 11. So wurde unter anderem ein großes Erdloch, das eigens zu diesem Zweck ausgegraben worden war, handvollweise wieder aufgefüllt mit Erde, die jeder neue Siedler aus dem Land seiner Väter mitgebracht hatte, wodurch er sich erst jetzt das neue Land zueignete. und wenn auch Constantin einige Rituale ausgelassen haben mochte, weil ihr heidnischer Ursprung zu stark hindurchschmeckte, so bemühte er sich doch, den Zuschauern einen unverwelklichen Eindruck aus Hoffnung und Ehrfurcht einzuprägen. Zu Fuß, eine Lanze in der Hand, so schritt der Kaiser der festlichen Prozession voran; und ging entlang der Linie, welche als Grenze für die neue Hauptstadt vorgesehen war; bis seine Begleitung mit Erstaunen den wachsenden Umfang gewahrten und endlich zu bemerken wagten, dass er mittlerweile über das größte Ausmaß einer Großstadt hinausgegangen sei. ›Ich werde weiter gehen,‹ antwortete Constantin, ›bis ER, der unsichtbare Führer, der mir vorangeht, es für richtig hält.‹ Siehe Philostorgius, 2,9. Dieses Geschichtchen, obschon bei einem verdächtigen Autoren entlehnt, ist doch sehr bezeichnend und glaubwürdig. Wir wollen uns nicht erkühnen, Natur und Beweggründe dieses merkwürdigen Führers auszuforschen und uns vielmehr dem nachgeordeteren Geschäft unterziehen, Größe und Grenzen von Konstantinopel zu mitzuteilen. Siehe in den Memoires de l'Academie Band 35, p. 747-758, die Abhandlung von Herrn d'Anville über die Ausdehnung von Konstantinopel. Er hält den Grundriss, der Banduris Werk ›Imperium Orientale‹ beigegeben ist, für den vollständigsten; er verkleinert jedoch durch eine Reihe präzisester Beobachtungen den ausschweifenden Maßstab und bestimmt den Umfang von Konstantinopel statt 9500 auf 7800 französische toises (1,95 m).

 

GEGENWÄRTIGE GRÖSSE DER STADT

In unserer Gegenwart nehmen der Palast und die Gärten des Serail auf einer Fläche von einhundertfünfzig Morgen das östliche Vorgebirge ein, den ersten der sieben Hügel; türkischer Argwohn und Despotismus haben ihren Sitz auf dem Fundament einer griechischen Republik; aber vermutlich haben die Byzantiner, veranlasst durch die Bequemlichkeit des Hafens, auch noch jenseits der Grenzen des modernen Serail Wohnung genommen. Die neue Konstantinische Mauer erstreckte sich vom Hafen zur Propontis auf der verlängerten Grundlinie des Dreiecks, etwa fünfzehn Stadien von der alten Befestigungsmauer entfernt; und zusammen mit der Stadt Byzanz begriff sie auch fünf der sieben Hügel in sich, welche sich dem Reisenden bei der Annäherung nach Konstantinopel in schöner Reihung darbieten. Codinus, Antiquit. Constantinopolitanae p. 12. Er bezeichnet die Kirche von Hagios Antonios als Grenze des Hafens. Auch Ducange (Buch 4,6) erwähnt sie; ich jedoch habe erfolglos nach ihrer genauen Lage gesucht. Ein Jahrhundert nach dem Tode des Gründers umfasste die erneuerte Mauer, die oberhalb des Hafens bis zur Propontis angelegt war, auch den schmalen Gipfel des sechsten und die breite Kuppe des siebenten Hügels. Die Notwendigkeit, diese Vororte gegen die wachsenden Barbarenüberfälle zu schützen, veranlasste den jüngeren Theodosius, seine Hauptstadt mit einer starken und dauerhaften Wallanlage zu umgeben. Die neue Theodosianische Mauer wurde im Jahre 413 errichtet. Im Jahre 447 wurde sie durch ein Erdbeben zerstört, und innerhalb von drei Monaten durch die Energie des Präfekten Kyros wiederaufgebaut. Die Vorstadt Blachernai wurde erst unter der Regierung des Herakleios in die Stadt eingemeindet. Du Cange, Constantinopolis, 1,10f. Vom östlichen Vorgebirge bis zum Goldenen Tor betrug die größte Länge der Stadt etwa drei römische Meilen; Die Strecke wird in den Notitia mit 14.075 Fuß angegeben. Man sollte vernünftigerweise annehmen, dass es sich um griechische Fuß handelte, deren Größe Herr d'Anville auf ingeniöse Weise berechnet hat. Er vergleicht die 180 Fuß mit den 78 haschemitischen Ellen, die verschiedene Autoren für die Höhe der Hagia Sophia angegeben haben. Jede dieser Ellen entsprechen dann 27 französischen Zoll (2,704cm). der Umfang etwa zehn bis elf; und die Oberfläche berechnet sich etwa auf zweitausend englischen Morgen.

Es ist unmöglich, die ruhmredigen und leichtfertigen Übertreibungen moderner Reisender zu bestätigen, welche die Grenzen von Konstantinopel zuweilen über die angrenzenden Dörfer der europäischen und sogar der asiatischen Küste hinaus verlängert haben. Der genaue Herr Thevenot ging die beiden Seiten des Dreiecks in ein dreiviertel Stunden zu Fuß ab, beginnend beim Serail bis zu den sieben Türmen. D'Anville überprüft sorgfältig und anerkennt bereitwillig dieses ausschlaggebende Zeugnis, welches auf einen Umfang von zehn bis zwölf Meilen schließen lässt. Die abwegige Berechnung von Tournemont (Voyages, Brief 11) von 34 oder 30 Meilen, Scutari nicht eingeschlossen, ist eine befremdende Abweichung von seiner sonstigen Arbeitsweise. Aber die Vorstädte Pera und Galata, obschon jenseits der Hafenanlagen gelegen, könnten mit zur Stadt gerechnet werden. Die Sycae oder Feigenbäume bildeten den dreizehnten Bezirk und wurden von Justinian bedeutend verschönert. Seitdem heißen sie Pera und Galata. Die Herkunft des ersten Namens bietet sich von selbst an (›drüben‹), die des zweiten unbekannt. Ducange, Constantinopolis 1,22 und Gyllius de Byzantio, 4,10. und dieser Zusatz rechtfertigt möglicherweise die Angaben eines byzantinischen Historikers, welcher sechzehn griechische Meilen (entsprechend vierzehn römischen) Umfang für seine Heimatstadt kundgibt. Einhundertundelf Stadien, die man in moderne griechische Meilen zu je sieben Stadien übersetzen kann, oder in 660 oder auch nur 600 französische toises. Siehe d'Anville, Mesures itinéraires p. 53. Dies mag für eine Kaiserresidenz etwas kleinformatig erscheinen. Noch heute muss Konstantinopel Babylon Sind die antiken Texte mit den Beschreibungen Thebens und Babylons erst einmal gesichert, die Übertreibungen korrigiert und die Maße verlässlich, dann finden wir, dass diese berühmten Städte den großen, aber nicht unglaubwürdigen Umfang von fünfundzwanzig bis dreißig Meilen hatten. Vgl. d'Anville, Memoires de l'Academie, Bd. 38, p. 235, mit seiner Description de l'Egypte, p. 201, 202. und Theben, dem alten Rom, London und selbst Paris Teilen wir Konstantinopel und Paris in Quadrate mit 50 franz. Toises Kantenlänge, enthält erstere 850, die zweite 1160. den Vortritt lassen.

 

ARBEIT UND BAUMATERIAL IM ÜBERFLUSS

Der Herr der römischen Welt, der dem Ruhm seiner Regierung ein ewiges Denkmal zu setzen beabsichtigte, konnte im Verfolg dieses großen Werkes auf den Reichtum, den Fleiß und die immer noch lebendige Begeisterung gehorsamer Millionen zurückgreifen. Die Ausgaben, mit der die kaiserliche Großzügigkeit die Erbauung Konstantinopels unterstützte, kann auf ungefähr zwei Millionen fünfhunderttausend Pfund für die Mauern, die Porticos und die Aquädukte abgeschätzt werden. 600.000 centenarii, oder 60.000 Pfund Goldgewicht. Diese Summe stammt von Codinus, Antiquitates p.11; aber dieser verdächtige Autor war mit einer so veralteten Rechenmethode wohl kaum vertraut, er hätte denn aus reinerer Quelle geschöpft. Die Wälder, die den Pontos Euxeinos überschatteten, und die berühmten Marmorbrüche auf der kleinen Insel Prokonnesos hielten unerschöpfliche Materialvorräte bereit, die dann auf kurzem, bequemen Wasserweg zum Hafen von Byzanz gelangten. Zu den Wäldern des Schwarzen Meeres kann man bei Tournefort (Brief 16) nachlesen, über die Marmorbrüche bei Strabo (13, p. 588). Letztgenannte hatten schon für die prächtigen Bauten von Kyzikos das Material geliefert. Massen von Handwerkern und Künstlern waren unerdrossen bemüht, das große Werk zu vollenden: aber Constantin bemerkte bald mit Ernüchterung, dass infolge des Niederganges der Kunst auch die Tüchtigkeit und Anzahl seiner Baumeister in einem recht ungünstigen Verhältnis zur Größe der Aufgabe standen. Die Magistrate noch der entferntesten Provinzen erhielten deshalb Weisung, Schulen einzurichten, Hochschullehrer zu ernennen und durch die Aussicht auf guten Verdienst und Reputation eine hinreichende Anzahl begabter Jugendlicher mit allseitiger Erziehung zum Studium und zur Ausübung des Architektenberufes anzureizen. Codex Theodosianus 13,4,1. Dieser Erlass stammt aus dem Jahre 334 und ist an den Präfekten von Italien adressiert, dessen Rechtsprechung sich auch auf Afrika erstreckte. Der Kommentar des Gothofred zu diesem Rechtstitel lohnt die Lektüre. Die Gebäude der neuen Stadt wurden durch Baumeister hochgezogen, wie sie Constantin eben zur Hand waren, aber ihre Ausschmückung erhielten sie von der Hand der berühmtesten Meister aus den Zeiten eines Perikles oder Alexander. Den Geist eines Phidias und Lysippos wiederzubeleben überstieg die Machtmittel selbst eines römischen Kaisers; aber ihre unsterblichen Werke, die sie der Nachwelt geschenkt hatten, waren der raublüsternen Eitelkeit eines Despoten schutzlos ausgeliefert. So wurden auf sein Geheiß die Städte Griechenlands und Asiens ihres schönsten Schmuckes beraubt. ›Constantinopolis dedicatur poene omnium urbium nuditate‹ [Konstantinopel wurde durch die Nacktheit fast aller anderen Städte geweiht]. Hieronymos, Chronicum Eusebii, p. 181. Siehe auch Kodinos, Antiquitates p. 8, 9. Der Verfasser der Antiquitates Constantinopolitanae, Buch 3, p. 41, nennt Rom, Sizilien, Antiochia und eine lange Reihe anderer Stätten. Die Provinzen Griechenland und Kleinasien lieferten vermutlich die fetteste Beute. Trophäen aus berühmten Kriegen, religiöse Kultobjekte, die vollkommensten Statuen der Götter, Helden, Weisen und Dichter aus alter Zeit mussten zu Konstantinopels Glanz beisteuern; und gaben außerdem dem Historiker Kedrenos Historiae Compendium, p. 369. Er beschreibt die Statue oder vielmehr Büste des Homer mit äußerster Delikatesse, was deutlich zeigt, dass Kedrenos den Stil eines glücklicheren Zeitalters kopiert. Anlass zu der Bemerkung, dass eigentlich nichts fehle außer den Seelen jener erlauchten Männer, die diese Statuen darstellen sollten. Aber in der Stadt Konstantins und in dieser Periode des Niederganges eines Weltreiches, als der menschliche Geist in bürgerlichen und religiösen Banden lag, hätten wir nach der Seele eines Homer oder Demosthenes wohl vergebens gesucht.

 

DER ZWEITE HÜGEL WIRD DAS FORUM

Während der Belagerung von Byzanz hatte der spätere Eroberer sein Gezelte auf der beherrschenden Höhe des zweiten Hügels aufgeschlagen. Um seinen Sieg zu verewigen, bestimmte er diesen vorteilhaften Platz auch für das Hauptforum; Zosimos 2, p. 108; Chronik von Alexandria oder Chronikon paschale, p. 284; Du Cange, Constantinopolis, 1,24. Selbst der letztgenannte Autor verwechselt anscheinend das Konstantinsforum mit dem Augusteum oder Palasthof. Ich bin mir selbst nicht ganz sicher, ob ich reinlich unterschieden habe, was zum einen und was zum anderen gehört. welches einen runden oder eher noch elliptischen Grundriss erhielt. Die beiden gegenüberliegenden Zugänge waren wie Triumphbögen gebaut; die Säulengänge, die sie auf beiden Seiten umschlossen, waren mit Statuen vollgestellt; im Mittelpunkt des Forums ragte eine Säule, welche heute, da nur noch Bruchstücke stehen, Brandsäule genannt wird. Sie stand auf einem zwanzig Fuß hohen Podest von weißem Marmor und war aus zehn Säulentrommeln aus Porphyr von je zehn Fuß Höhe und dreiunddreißig Fuß Umfang zusammengesetzt. Die annehmbarste Beschreibung dieser Säule stammt von Pocock, Description of the East, Band 2, Teil 2, p. 131. Aber auch sie ist in vielen Punkten dunkel und unbefriedigend. Auf der Spitze der Säule, einhundertundzwanzig Fuß über dem Boden, stand eine Kolossalstatue Apollos. Sie war ganz aus Bronze, stammte aus Athen oder einer phrygischen Stadt und soll ein Werk des Phidias gewesen sein. Der Künstler hatte den Sonnengott oder, wie man später sagte, den Kaiser Constantin selbst, mit einem Szepter in der Rechten, dem Erdball in der Linken und einem Strahlenkranz um sein Haupt dargestellt. Du Cange, Constantinopolis 1,24, p. 76 und seine Anmerkungen zur Alexias, p. 382. Die Statue Konstantins oder Apollos wurde untere der Regierung des Alexios I. Komnenos gestürzt.

Der Circus oder das Hippodrom war ein Großbau von vierhundert Fuß Länge und einhundert Fuß Breite. Tournefort (im 12. Brief) bestimmt die Länge des Atmeidan auf 400 Schritte. Sollte er damit geometrische Schritte zu je fünf Fuß gemeint haben, so würde seine Länge 300 toises betragen, mithin 40 mehr als der große Circus in Rom. Siehe d'Anville, Mesures Itineraires p. 73. Der Raum zwischen den beiden metae oder Zielmalen stand voll mit Statuen und Obelisken; und noch ein einzigartiges Relikt aus alten Zeiten wollen wir erwähnen; es sind die Körper von drei Schlangen, die miteinander zu einer Säule aus Bronze verschlungen sind. Ihre drei Köpfe trugen einstmals den Dreifuß, welchen die siegreichen Griechen nach der Niederlage des Xerxes in Delphi weihten. Die Wächter heiliger Reliquien wären glücklich, wenn sie eine solche Beweiskette zur Hand hätten, wie sie in diesem Falle vorliegt. Siehe Banduri, Antiquitates Const. p. 668; Gyllius de Constantinopoleos topographia 2, c.13,1: 1. Die Weihung des Dreifußes und der Säule im Tempel kann aus Herodot und Pausanias belegt werden. 2.Der Heide Zosimos stimmt mit drei Kirchenhistorikern, nämlich Eusebius, Sokrates und Sozomenos darin überein, dass die heiligen Schmuckarbeiten des delphischen Tempels auf Befehl Constantins nach Konstantinopel gebracht wurden; und unter diesen wird die Schlangensäule des Hippodroms ausdrücklich erwähnt. 3. Alle europäischen Reisenden, von Boundelmonte bis zu Pocock, die Konstantinopel aufgesucht haben, geben für sie denselben Platz an und beschreiben sie auf fast identische Weise; lediglich bei der Schilderung der Schäden durch die Türken weichen ihre Darstellungen voneinander ab. Mohamed II schlug mit einem Hieb seiner Streitaxt den Unterkiefer einer der Schlangen ab. S. Thevenor, Voyages au Levant, Buch 1, c.17. Die Schönheit der Pferderennbahn ist schon längst durch die rohen Hände der türkischen Eroberer entstellt; sie dient aber unter der gleichsinnigen Bezeichnung Atmeidan als Übungsgelände für ihre Pferde. Vom dem Ehrenplatz des Herrschers, von welchem aus er die Circusspiele verfolgte, führte eine Wendeltreppe Der lateinische Name Cochlea wurde von den Griechen entlehnt und wird in der byzantinischen Geschichte sehr oft erwähnt. Du Cange, Constantinopolis 2, c.1, p. 104. zum Palast; ein großartiges Gebäude, welches dem Palast im Rom in Nichts nachsteht und zusammen mit den umliegenden Gärten und Porticos ein beachtliches Areal am Ufer der Propontis zwischen Hippodrom und Hagia Sophia Es gab drei topographische Punkte, die die Lage des Palastes kennzeichnen. 1. Die Treppe, die ihn mit dem Hippodrom oder Atmeidan verbindet. 2. Ein kleiner, künstlicher Hafen an der Propontis, von wo aus über Marmorstufen leichter Zugang zu den Palastgärten möglich war. 3. Das Augusteum, ein geräumiger Platz, der von der einen Seite durch den Palast und auf der anderen von der Hagia Sophia begrenzt wurde. einnimmt. Wir könnten außerdem die Bäder rühmen, welche immer noch den Namen des Zeuxippos tragen und welche durch Constantins Freigebigkeit mit hochragenden Säulen, Marmorbildern und etwa sechzig Bronzestatuen Zeuxippos war ein Epitheton von Jupiter, und die Bäder waren Teil des alten Byzanz. Probleme mit ihrer genauen Lokalisierung hat Du Cange nicht gehabt; die Geschichtsschreibung stellt sie in einen Zusammenhang mit dem Palast und der Hagia Sophia; aber der ursprüngliche Plan, der bei Banduri eingelegt ist, verlegt sie auf die andere Seite der Stadt in die Nähe des Hafens. Zu ihrer Schönheit siehe das Chronikon paschale p. 285 und Gyllius, de Constantinopoleos topographia 2, c.7. Christodoros (Siehe Kodinos, Antiqitates, Buch 7) verfasste Inschriften in Versen für jede Statue. Dem Geiste und der Geburt nach war er thebanischer Dichter: ›Boeotum in crasso iurares aere natum.‹ [Du würdest schwören, dass er ein Böotier in dicker Luft geboren wurde]. verschönt wurden.

Aber wir würden wohl von dem Plan zu diesem Werk abweichen, wenn wir uns in eine allzu detailfreudige Schilderung der einzelnen Gebäude und Stadtquartiere verlieren würden. So mag die Feststellung genügen, dass alles, was die Würde einer Hauptstadt mehren oder zum Nutzen oder Vergnügen ihrer zahlreichen Einwohner beisteuern kann, innerhalb der Stadtmauern Konstantinopels vorzufinden war. Eine hundert Jahre nach ihrer Gründung publizierte Stadtbeschreibung nennt eine Gelehrtenschule, einen Circus, acht öffentliche und dreiundfünfzig Privatbäder, vier geräumige Hallen für Senatsversammlungen und Gerichtstage, vierzehn Kirchen und ebenso viele Paläste, und endlich dann noch viertausenddreihundertundachtundachtzig Häuser, welche sich wegen ihrer Größe oder Schönheit von der Masse der Plebejer-Behausungen unterschieden. Siehe die notitia dignitatum. Rom wurde nur auf 1780 große Häuser ( domus) geschätzt; aber das Wort muss etwas Gehobeneres bezeichnen. Insulae werden für Konstantinopel überhaupt nicht erwähnt. Die alte Hauptstadt hatte 424, die neue 322 Straßen.

 

CONSTANTIN FORDERT ZUR BESIEDLUNG AUF

Die nächste und wichtigste Sorge des Stadtgründers galt einer hinreichend starken Bevölkerung seiner Lieblingsstadt. In den dunklen Läuften, welche der Verlegung des Reichs nachfolgten, wurden die lang- und kurzfristigen Auswirkungen dieses bedeutenden Ereignisses infolge der Eitelkeit der Griechen und der Arglosigkeit der Lateiner auf befremdliche Weise durcheinander gebracht. Liutprand Legatio ad Imperatorem Nikephorum, 62. Die modernen Griechen haben die Altertümer von Konstantinopel wunderlich verfehlt. Türkischen und arabischen Autoren könnte man solche Irrtümer noch nachsehen; aber es mutet doch einigermaßen seltsam an, wenn die Griechen, die doch Zugang zu den authentischen, in ihrer eigenen Sprache abgefassten Quellen hatten, sich lieber an Erdachtes als an die Wahrheit hielten. Auf einer einzigen Seite des Codinus können wir zwölf unentschuldbare Irrtümer bemerken: die Versöhnung zwischen Severus und Niger, die Heirat ihrer Kinder, die Belagerung von Byzanz durch die Makedonen, die Invasion der Gallier, die Severus nach Rom zurückrief, die ›sechzig‹ Jahre, die zwischen seinem Tod und der Gründung von Konstantinopel lagen usw. So wurde etwa behauptet und geglaubt, dass alle römischen Adelsfamilien, der Senat, die Ritterschaft nebst ihrem unübersehbaren Anhang dem Kaiser an die Gestade der Propontis gefolgt seien; dass nur noch ein paar Fremde und Plebejer zurückblieben, die Ödnis der alten Hauptstadt zu beleben; und dass Italiens Ländereien, die bis dahin Gärten gewesen waren, mit einem Schlage jeder Pflege und Besiedlung verlustig gingen. Montesquieu, Grandeur et Decadence des Romains, c. 17. Im Verlaufe dieser Darstellung sollen solche Übertreibungen auf ihr rechtes Maß zurückgestutzt werden: da das Wachstum von Konstantinopel allerdings nicht nur auf das allgemeine Wachstum der Menschheit zurückgeführt werden kann, darf angenommen werden, dass diese künstliche Kolonie auf Kosten der alten Reichsstädte emporwuchs. Vermutlich erhielten viele wohlhabende Senatoren aus Rom oder den östlichen Provinzen von Constantin die Einladung, im Interesse ihres Landes sich an dem glückverheißenden Ort niederzulassen, den er auch für sich selbst zum Wohnort bestimmt habe. Die Einladung eines Herrschers kommt ja de facto einem Befehl gleich; und also willfahrte man ihm freudig und aus freien Stücken. Er überließ denn auch seinen Günstlingen die Paläste, die er in den verschiedenen Stadtquartieren hatte bauen lassen, überließ ihnen Ländereien und sprach ihnen Jahresgelder für eine angemessene Lebenshaltung zu Themistios, Orationes 3; Sozomenos 2,3. Zosimos 2,32; Anonymus Valesii 30. Wenn wir Codinus glauben dürfen, ließ Constantin Häuser für die Senatoren nach dem Vorbild ihrer römischen Paläste errichten und erfreute sie und sich selbst auch mit dieser angenehmen Überraschung; aber die ganze Schilderung wimmelt von Erdichtetem und Widersprüchlichem. und überschrieb Krongüter von Pontos und Asien als Erbbesitz unter der leicht einlösbaren Bedingung, dass sie in der Hauptstadt einen Haushalt unterhielten. Das Gesetz, mit dem der jüngere Theodosius im Jahre 438 diese Verbindlichkeit abschaffte, ist unter den Novellae dieses Kaiser am Ende des Codex Theodosianus zu finden, Band 4, Nov. 12. Herr de Tillemont (Histoire des Impereurs Band 4, p. 371) hat sich offenkundig hinsichtlich der wahren Natur dieser Liegenschaften geirrt. Durch die Verleihung aus der kaiserlichen Domäne wurde aus einer Bedingung eine Gunst, welche man als Belastung empfunden hätte, wäre sie dem Privateigentum auferlegt worden.

Bald jedoch wurden diese Anreize und Verpflichtungen entbehrlich und schließlich ganz abgeschafft. Am Ort eines jeden Regierungssitzes wird ja ein beträchtlicher Teil der Staatseinkünfte durch den Herrscher selbst ausgegeben, durch seine Minister, die Justizbeamten und seine Palastangestellten. Wohlhabende Provinzbewohner werden durch Eigeninteresse und Pflichten, Abwechslung und Neugierde mächtig von der Stadt angezogen. Die dritte und zahlenstärkste Gruppe von Einwohnern bildet sich allgemach aus der Masse der Dienstboten, Handwerker und Krämer, die ihr Auskommen durch ihre eigene Arbeit finden und infolge des Bedarfs der höheren Klassen an Luxusgütern. In weniger als einem Jahrhundert konnte Konstantinopel es mit Rom an Wohlstand und Größe aufnehmen. Zahlreiche Neubauten, ohne Rücksicht auf Hygiene oder Verkehrsfragen aus dem Boden gestampft, ließen für die täglichen Heerscharen von Menschen, Pferden und Kutschen kaum noch enge Straßen frei. Der städtische Grund war nicht zureichend, der wachsenden Bevölkerung Platz zu bieten; und die Ausweichsiedlungen zum Wasser hin hätten allein schon eine nicht unbeträchtliche Stadt ergeben. Die Textpassagen des Zosimos, Eunapius und Agathas, welche von der Vermehrung der Gebäude und Einwohner Konstantinopels berichten, sind von Gyllius gesammelt und zusammengestellt worden (de Constantinopoleos topographica 1,3) Sidonius Apollinaris (Panegyricus auf Anthemius 56) beschreibt die Molen, die ins Meer voran getrieben wurden; sie bestanden aus der berühmten Puzzolanerde, welche im Wasser aushärtet.

 

HASTIGE VOLLENDUNG DER STADT 330 A.D.

Die häufigen und regelmäßigen Wein-, Öl-, Getreide- und Brotlieferungen sowie Geldgeschenke hatten die ärmeren Bewohner Roms der Notwendigkeit nach selbständigem Broterwerb nahezu vollständig überhoben. Die Prachtentfaltung der ersten Caesaren hatte der Gründer Konstantinopels Sozomenos 2,3. Philostorgios, 2,9. Codinos, Antiquitates, p.8. Wir lesen bei Sokrates 2,12, dass die täglichen Zuwendungen für die Stadt acht Myriaden (=8.000) betrugen, was wir mit Valesius entweder mit modii (Scheffel) von Korn oder einfach nur als einen Ausdruck für die Anzahl der Brotlaibe übersetzen. im gewissen Umfang nachgeahmt; seine Freigebigkeit jedoch, so sehr sie auch des populären Beifalles gewiss sein mochte, hat gleichwohl den Tadel der Nachwelt aufgerufen. Eine Nation, die erobert und Gesetze gibt, mag wohl auch auf die Ernte Afrikas Anspruch erheben, für die sie mit ihrem Blute bezahlt hat; und Augustus sorgte wohlbedacht dafür, dass den Römern im Genusse der Überfülle die Erinnerung an die Freiheit verloren gehen möge. Constantins Verschwendungssucht indessen war durch keine öffentlichen oder privaten Erwägungen zu rechtfertigen; und die jährliche Getreidelieferung, die Ägypten zum Wohle der neuen Hauptstadt auferlegt war, diente dazu, eine träge und indolente Bevölkerung auf Kosten der Bauern einer blühenden Provinz durchzufüttern. Siehe Codex Theodosianus 13 und 14 und Codex Justinianus Edict. 12, Band 2, p. 648. Siehe die schöne Klage Roms in Claudians Gedicht de bello Goldonico, 60-62: ›Cum subiit par Roma mihi, divisaque sumsit/aequales Aurora togas; Aegyptia rura/in partem cessere novam.‹ [Als ein zweites Rom mir nachfolgte und das östliche Reich sich die Toga des Westens nahm: da fielen die Felder Ägyptens dem neuen Reiche zu]. Einige andere Maßnahmen dieses Kaisers sind weniger tadelns-, aber auch weniger erwähnenswert. So unterteilte er Konstantinopel in vierzehn Regionen oder Stadtviertel, Die Stadtviertel von Konstantinopel werden im Codex Iustinianus erwähnt und in den Notitia des jüngeren Theodosius ausdrücklich beschrieben; da aber die letzten vier nicht von der Konstantinischen Ringmauer einbeschlossen waren, sind Zweifel erlaubt, ob diese Unterteilung wirklich auf den Stifter der Stadt zurückgeht. legte der städtischen Ratsversammlung die ehrbare Bezeichnung ›Senat‹ bei, ›Senatum constituit secundi ordinis; ›Claros‹ vocavit.‹ [Er richtete einen Senat zweiter Ordnung ein und nannte sie ›claros‹] Anonymus Valesii 30, p.715. Die Senatoren des alten Rom wurden Clarissimi genannt. Siehe dazu eine lesenswerte Anmerkung des Valesius zu Ammianus Marcellinus 22.9. Aus dem 11. Brief Julians kann man entnehmen, dass das Senatorenamt eher als Belastung und weniger als Ehre angesehen wurde; aber der Abt de la Bléterie (Vie de Jovien, Band 2, p. 371) hat nachgewiesen, dass dieser Brief nichts mit Konstantinopel zu tun hat. Könnten wir nicht anstelle des berühmten Namens Byzantiow den weniger bekannteren, aber wahrscheinlicheren Bisan Énoiw lesen? Bisanthe oder Rhoedestus, heute Rhodosto, war eine kleine Hafenstadt in Thrakien. Siehe Stephanos von Byzanz, de urbibus p.225 und Cellarius, Geographias antiqua Band 1, p. 849. übertrug den Bürgern die Privilegien Italiens Codex Theodosianus 14, 13. Der Kommentar Gothofreds ist lang und unstrukturiert; auch ist es nicht eben leicht zu bestimmen, worin das Ius Italicum bestehen mochte, nachdem das das ganze Reich das Römische Bürgerrecht erhalten hatte. und verlieh der wachsenden Stadt, Roms erster und liebster Tochter, den Titel einer Kolonie. Der ehrwürdigen Mutter blieb nach wie vor die gesetzliche und anerkannte Oberhoheit, die ihrem Alter, ihrer Würde und der Erinnerung an frühere Größe nun einmal geschuldet war. Julian (Orationes 1, p.8) rühmt von Konstantinopel, es stehe allen anderen Städten ebensoweit voran, wie es selbst Rom nachstehe. Sein gelehrter Kommentator Spanheim (p.75) rechtfertigt mit vielen Parallelen und zeitgenössischen Beispielen diese Äußerung. Zosimos stand ebenso wie Sokrates und Sozomenos in der Blüte seiner Jahre, als das Reich zwischen den beiden Söhnen des Theodosius aufgeteilt wurde, wodurch eine vollständige Gleichstellung zwischen der alten und neuen Hauptstadt hergestellt wurde.

Da Constantin mit der Ungeduld eines Liebhabers auf die Vollendung der Arbeiten drängte, wurden die Mauern, Porticos, Regierungsgebäude innerhalb weniger Jahre fertig gestellt, oder nach anderer Rechnung in wenigen Monaten; Kodinos (Antiquitates p. 8) konstatiert, die die Grundlegung von Konstantinopel im Jahre der Welt 5837 (A.D. 329) am 26. September stattgefunden habe und am 11. Mai 5838 (A.D. 330) eingeweiht worden sei. Er verknüpft diese beiden Daten mit verschiedenen kennzeichnenden Epochen, aber sie widersprechen einander; Kodinos' Ansehen hat nur geringes Gewicht, und die von ihm genannte Zeitspanne ist sichtlich nicht hinreichend. Iulian (Orationes 1, p.8) bietet uns zehn Jahre an, und Spanheim bemüht sich redlich um den Wahrheitsbeweis mit Hilfe zweier Stellen aus Themistius (Orationes 4, c. 9) und Philostorgios (2,9), welche eine Gesamtdauer von A.D. 324 bis 334 ausmachen. Neuere Historiker sind über diesen Teil der Chronologie durchaus uneins; und ihre abweichenden Meinungen werden von Tillemont (Histoire des Empereurs, Band 4, p. 619-625) mit vieler Genauigkeit auseinander gesetzt. aber dieser außerordentliche Eifer sollte uns nur geringe Bewunderung abnötigen, da zahlreiche Gebäude so überhastet und nachlässig hochgezogen wurden, dass sie unter den nachfolgenden Regierungen nur unter Schwierigkeiten vor dem Einsturz bewahrt werden konnten. Themistius, Orationes 3, p. 47. Zosimos 2, p. 108. Konstantin selbst verrät seine Ungeduld (Codex Theodosianus 15,1). Solange sie jedoch in der Stärke und Frische der Jugend standen, rüstete sich ihr Gründer, die Weihe seiner Stadt festlich zu begehen. Kedrenos und Zonaras, dem Aberglauben ihrer Zeit tiefergeben, versichern uns, dass Konstantinopel der jungfräulichen Mutter Gottes geweiht wurde.

Die Spiele und die Freigebigkeit, die diesen inszenierten Pomp krönten, kann man sich leicht ausmalen; ein anderer Umstand jedoch, beispiellos und dauernd, sollte nicht übersehen werden: an jedem Geburtstag der Stadt wurde die Statue Constantins, auf sein Geheiß in Gold gerahmt und mit einem kleinen Abbild des Stadtgenius in seiner Rechten, auf einem Triumphwagen aufgestellt. Die Wachen, welche weiße Kerzen trugen und im Prunkhabit gingen, begleiteten die feierliche Prozession auf ihrem Weg durch das Hippodrom. Stand es dem Thron des jeweiligen Kaisers gegenüber, erhob er sich und gedachte seines großen Vorgängers. Der früheste und vollständigste Bericht von dieser außergewöhnlichen Zeremonie findet sich in der alexandrinischen Chronik, p. 285. Tillemont und die anderen Verehrer Konstantins, die Anstoß nahmen an dem zu einem christlichen Herrscher nur schlecht passenden heidnischen Gebaren, hatten das Recht, den Bericht anzuzweifeln, aber nicht, ihn vollständig zu übergehen. Am Tage der Weihe erhielt Konstantinopel per Dekret, welches in eine weiße Marmorsäule eingraviert war, den Titel ZWEITES oder NEUES ROM. Sozomenos, 2,2; Du Cange, Constantinopolis, 1, c.6. ›Velut ipsius Romae filiam‹ [Gleichsam Roms eigene Tochter], so die Bemerkung von Augustinus, Gottesstaat 5,25. Aber der Name Konstantinopel Eutropius, 10, 8. Iulianus Orationes 1. p. 8. Du Cange, Constantinopolis 1, c. 5. Der Name Konstantinopel findet sich auf den Medaillen Constantins. hat sich gegenüber diesem ehrenvollen Epitheton als stärker erwiesen, und nach Ablauf von vierzehn Jahrhunderten kündet er immer noch den Ruhm seines Begründers. Der geistreiche Fontenelle ist bestrebt, die Eitelkeit menschlichen Strebens zu verhöhnen und über Konstantin zu frohlocken, dessen unsterblicher Name jetzt von der volkstümlichen Bezeichnung Istanbul (türkisch verballhornt a. d. Griech.: ›in die Stadt‹) abgelöst wird. Aber der Name wird nach wie vor beibehalten 1. Durch Europas Nationen. 2. Durch die modernen Griechen. 3. Durch die Araber, deren Schrifttum über die riesigen Ländermassen Afrikas und Asiens verbreitet sind, siehe d'Herbelot, Bibliotheque Orientale, p. 275. 4. 4. Durch Türken von Bildung und den Herrscher selbst in seinen öffentlichen Verlautbarungen. Cantemir's History of the Othman Empire, p. 51. (A.d.Ü.: Der Name Istanbul wurde amtlich erst im Jahre 1930.)

 

HIERARCHIE UND TITEL

Die Gründung einer neuen Hauptstadt ist naturgemäß verknüpft mit der Neugestaltung der Zivil- und Militärverwaltung. Die prüfende Betrachtung dieses verschlungenen politischen Systems, eingeführt von Diocletian, ausgebaut durch Constantin und vollendet durch seine direkten Thronfolger, dürfte nicht nur unterhaltsam sein, – entrollt es doch vor dem geistigen Auge das Gemälde eines großen Imperiums – sondern gleichzeitig auch die dunklen inneren Gründe seines raschen Verfalls offenbaren. Bei der Beschäftigung mit welcher Institution auch immer gelangen wir immer wieder in die frühere oder spätere Periode der römischen Geschichte; aber die eigentlichen Zeitgrenzen für jede derartige Untersuchung sind die einhundertdreißig Jahre zwischen der Thronbesteigung Constantins und der Veröffentlichung des Codex Theodosianus; Diese Gesetzessammlung wurde 438 publiziert. Siehe die Prolegomena von Gothofred, c.1, p. 185. aus welchem wir zusammen mit den Notitia des Westens und Ostens Pancirolus schreibt in seinem umfassenden Kommentar den Notitia dasselbe Erscheinungsjahr zu wie dem Codex Theodosianus: aber seine Beweise, oder besser, Konjekturen sind äußerst dürftig. Ich selbst neige dazu, dieses nützliche Werk in die Zeit zwischen der letzten Reichsteilung (395) und der erfolgreichen Invasion der Barbaren in Gallien (407) zu legen. Siehe die Histoire des Anciens Peuples de l'Europe, Band 7, p. 40. die reichhaltigsten und zuverlässigsten Informationen über den Zustand des Imperiums gewinnen können. Diese Gegenstände werden den Ablauf unserer Erzählung für einige Zeit ins Stocken bringen; aber an dieser Unterbrechung werden sich nur solche Leser ärgern, welche für die Bedeutung von Einrichtungen und Gesetzen kein Gespür besitzen, während sie andererseits mit brennender Neugierde banale Hofkabalen oder den zufälligen Ausgang einer Schlacht in allen Einzelheiten studieren.

Der altrömische Mannesstolz, zufrieden mit konkreter Machtausübung, hatte es der morgenländischen Prahlsucht überlassen, mit der Zurschaustellung von Größe zu prunken. Scilicet externae superbiae sueto, non inerat notitia nostri; apud quos vis Imperii valet, inania transmittuntur. [Ihm, dem ausländischer Hochmut naturgemäß vertraut war, ging die Kenntnis von unseren Begriffen ab, denen nur die Macht des Imperiums wichtig ist, die aber Unwichtiges ignorieren].Tacitus Annalen 15,31. Als aber sogar der Schein jener Tugenden erloschen war, die ihrer früheren Freiheit entstammten, wurde auch die Schlichtheit römischer Sitten durch asiatischen Palast-Prunk korrumpiert. Persönliches Verdienst und Geltung, die für eine Republik so kennzeichnend sind wie für eine Monarchie nebensächlich, wurden infolge der Gewaltherrschaft einiger Kaiser völlig bedeutungslos; welche anstelle dessen in ihrem Palast eine strenge Rang- und Dienstordnung etablierten und titeltragende Sklaven, die zu Füßen des Thrones saßen, zu den niedrigsten Werkzeugen ihrer Willkürherrschaft machten. Diese Masse an unterwürfigen Kreaturen war an der Unterstützung der jeweiligen Regierung interessiert, aus Furcht vor einer Revolution, die ihre Hoffnungen zunichte gemacht und sie um den Lohn ihrer Fron gebracht hätte. In dieser göttlichen Hierarchie (denn als solche wurde sie oftmals bezeichnet) wurde jede Rangstufe mit der gewissenhaftesten Genauigkeit abgemessen und ihre Würde mit minuziösen und feierlichen Zeremonien demonstriert, welche zu begreifen für eine eigene Wissenschaft und die zu missachten für Frevel galt. Nachdem Kaiser Gratian ein Rangordnungsgesetz bestätigt hatte, das von Valentinian, dem Vater seiner ›Göttlichkeit‹ erlassen war, fährt er fort wie folgt: Siquis igitur indebitum sibi locum usurpaverit, nulla se ignoratione defendat; sique plane sacrilegii reus, qui divina praecepta neglexerit. [Wenn also jemand sich eine ihm nicht zustehende Stellung angemaßt hat, so kann er sich nicht mit Unkenntnis verteidigen; und er soll ausdrücklich eines Sakrilegs beschuldigt sein, wenn er göttliche Lehren missachtet hat]. Codex Theodosianus 6, 5,2.

Die Reinheit der lateinischen Sprache wurde getrübt, weil die Wechselwirkung von Stolz und Schmeichelei eine Flutwelle von Epitheta erschaffen hatte, welche Cicero kaum verstanden und Augustus mit Empörung zurückgewiesen haben würde. Die ersten Staatsdiener wurden, sogar vom Kaiser selbst, begrüßt mit ränkevollen Titeln wie etwa Eure Lauterkeit, Euer Würden, Eure Exzellenz, Eure Eminenz, Eure hehre und wunderbare Großartigkeit, Eure berühmte und großartige Hoheit. Man ziehe die Notitia dignitatum zu Rate (am Schluss des Codex Theodosianus, Band 6, p. 316). Die Kodizille oder Patente ihrer Ämter wurde auf wunderliche Weise mit Emblemen ausgeziert, an denen ihre Aufgabe und hohe Würde abgelesen werden konnte: das Bild des regierenden Kaisers; ein Triumphwagen; ein Buch mit Gesetzen, auf einem Tische liegend und mit vier Kerzen illuminiert; die Allegorien der von ihnen verwalteten Provinzen; oder Name und Standarten der von ihnen befehligten Truppenteile. Einige dieser offiziellen Abzeichen wurden tatsächlich in den Audienzsälen ihrer Besitzer zur Schau gestellt; andere wurden ihnen voran getragen, wann immer sie ihre Herrlichkeit öffentlich sehen ließen. Und alle Details ihres Auftretens, ihrer Gewandung, ihres Schmuckes und ihrer Gefolgschaft waren darauf berechnet, für die Repräsentanten der höchsten Majestät tiefste Verehrung auszulösen. Ein philosophisch veranlagter Beobachter hätte dieses System der römischen Regierung für eine Art von Ausstattungstheater gehalten, in welchem Schauspieler jede Charakter- oder Nebenrolle spielen und die Sprache des Originals nachsprechen und seine Gefühlsregungen nachahmen mussten. Pancirolus ad Notitiam utriusque Imperii, p. 39. Allerdings sind seine Kommentare dunkel, auch macht er keinen hinreichenden Unterschied zwischen gemalten Emblemen und offiziellen Amtsinsignien.

 

EHRENSTELLUNGEN UND IHRE EINTEILUNG

Alle Magistrate, die ausreichend bedeutend waren, um an den allgemeinen Regierungsgeschäften teilhaben zu dürfen, waren mit Genauigkeit in drei Klassen unterteilt. 1. Die illustri oder Hochberühmte; 2. die spectabiles oder Ehrwürdige; und schließlich 3. die clarissimi, was wir am besten mit die Glänzende übersetzen. In den Vorzeiten römischer Schlichtheit war der letztgenannte Ausdruck lediglich eine allgemein gehaltene Respektsbezeigung, bis es schließlich zur besonderen Kennzeichnung für Mitglieder des senatorischen Standes In den Pandecten, die aus der Zeit der Antonine stammen dürften, ist clarissimus der offizielle und gesetzliche Titel eines Senators. wurde und folglich für alle diejenigen Vertreter dieser edelachtbaren Körperschaft, welchen eine Provinz zu verwalten bestimmt war. Der Eitelkeit derer, die aufgrund ihrer Rangordnung und ihrer Pflichten sich gegenüber der übrigen Senatorenklasse hervorzutun wünschten, wurde in späteren Jahren die neue Bezeichnung spectabiles gegönnt; der Titel illustri blieb denen vorbehalten, denen die zwei nachgeordneten Klassen Gehorsam und Respekt schuldeten. Er wurde ausschließlich verliehen an: I. Konsuln und Patrizier; II. den Prätorianerpräfekten Roms und Konstantinopels; III. den Oberbefehlshabern der Kavallerie und der Infanterie; und IV. den sieben Ministern des Palastes, die um die Person des Herrschers heilige Ämter versahen. Pancorilus, p. 12-17. Ich habe die untergeordneten Titel, Perfectissimus und Egregius übergangen, die vielen Personen verliehen wurde, welche nicht bis in des Senatsrang aufgerückt waren. Unter diesen Magistraten, die alle als gleichberechtigt angesehen wurden, wurde der Dienstaltersrang abgelöst von der Vereinigung mehrerer Würden auf eine Person. Codex Theodosianus 6,4. Die Regeln der Rangordnung werden durch die Herrscher mit der minutiösesten Genauigkeit festgelegt und ebenso ausufernd von ihren gelehrten Kommentatoren erläutert. So mochten die Kaiser, die die Zahl ihrer Favoriten vermehren wollten, mit Ehrenpatenten die Eitelkeit, wenn auch nicht den Ehrgeiz strebsamer Höflinge kitzeln. Codex Theodosianus 6,32.

 

ZEREMONIEN BEI DER INVENTUR VON KONSULN

I. Solange die Konsuln die obersten Beamten eines freien Staates waren, erhielten sie ihre Macht unmittelbar durch die Volkswahl. Solange die Kaiser sich darin gefielen, die von ihnen ausgeübte Unterdrückung zu verschleiern, wurden die Konsuln durch offene Senatswahl bestimmt. Als aber seit der Herrschaft Diocletians selbst dieses freiheitliche Feigenblatt entfernt worden war, gaben die erfolgreichen, mit der Würde des jährlichen Konsulats investierten Kandidaten vor, die demütigenden Zustände unter ihren Vorgängern zu beweinen. So wären die Scipionen und die Catonen noch genötigt gewesen, um die Stimmen der Plebejer zu werben, eine langwierige und kostspielige Wahl durchzustehen und ihre Würde im Falle einer Niederlage beschämen zu lassen; während ihr eigenes Schicksal sie für ein Zeitalter und eine Regierung aufgespart habe, in welchem die Tugend durch die unfehlbare Weisheit eines gnadenreichen Herrschers belohnt wurde. Ausonius (Gratiarum actio) verweilt sehr ausgiebig bei diesem würdelosen Gegenstand, Mamertinus (Panegyrici 11) hingegen behandelt ihn mit mehr Freiheit und Raffinesse. Aus den Briefen, die die Kaiser an die beiden erwählten Konsuln richteten, geht eindeutig hervor, dass sie ausschließlich Kreaturen von seinen Gnaden waren. Cum de Consulibus in annum creandis, solus mecum volutarem … te Consulem et designavi, et declaravi, et priorem nuncupavi; [Während ich mir über die Ernennung der Konsuln des folgenden Jahres Gedanken mache, ... habe ich dich zum Konsul designiert, dich dazu erklärt, dich zum Ersten erhoben]. Dies sind einige der Formulierungen, die Kaiser Gratian seinem Lehrer, dem Dichter Ausonius, anheftete. Ihre Namen und Portraits, eingraviert auf vergoldeten Tafeln aus Elfenbein, wurden im ganzen Reich den Provinzen, den Städten, den Magistraten, dem Senat und dem Volk als Geschenk überlassen. Immanesque…dentes Qui secti ferro in tabulas auroque micantes, Inscripti rutilum caelato Consule nomen Per proceres et vulgus eant. [Gewaltige Elfenbeinzähne, von Stahl zu Tafeln zerschnitten, blinkend vergoldet, mit schimmerndem Namen des Konsuls und Relief-Bild sollen nun durch den Adel und das Volk gehen]. Claudianus de Consulatu Stilichonis, 3, 346. Montfaucon hat einige dieser Täfelchen oder Distichen abbilden lassen. Supplement a l'Antiquite, Band 3, p. 220. Ihre feierliche Amtseinsetzung wurde in der Kaiserstadt vollzogen; und einhundertzwanzig Jahre lang war Rom ununterbrochen seiner alten Magistrate beraubt. Consule laetatur post plurima saecula viso / Pallanteus apex: agnoscunt rostra curules / Auditas quondam proavis: desuetaque cingit / Regius auratis fora fascibus Ulpia lictor. [Es freut sich der Konsul, da er nach Jahrhunderten den Pallas-Gipfel erblickt. Sie erkennen die kurulischen Rednertribünen, wo Urväter zuhörten; mit vergoldeten Rutenbündeln umgeht der fürstliche Lictor das Forum]. Claudianus, De VI. Consulatu Honorii, 643. Zwischen der Herrschaft des Carus bis zum sechsten Konsulat des Honorius lag ein Zeitraum von einhundertundzwanzig Jahren, in denen die Kaiser am 1. Januar Rom fernblieben. Siehe die Chronik Tillemonts in der Histoire des empereurs, Bände 3,4,5. Am Morgen des 1. Januar erhielten die Konsuln die sichtbaren Zeichen ihrer Würde. Ihr Gewand war eine Purpurrobe mit Silber- und Goldrand, welcher bisweilen noch mit wertvollem Gestein geschmückt war. Siehe Claudianus, in Consulatu Probini et Olybrii, 178ff; und in IV Consulatu Honorii, 585ff. Wenngleich in letzterem Text es schwer hält, die kaiserlichen und konsularischen Schmuck-Epitheta zu sondern. Aurelius erhielt von dem spendablen Gratian eine ›vestis palmata‹ oder Staatsgewand, in welches ein Bildnis des Kaisers Konstantin eingestickt war.

Bei dieser festlichen Gelegenheit wurden sie von den höchsten Amtsträgern aus Staat und Armee begleitet, welche im Senatorenhabit gingen; und die nutzlosen Rutenbündel ( fasces), die mit ehedem furchteinflößenden Äxten ausgestattet waren, wurden von Lictoren vor ihnen hergetragen. Cernis ut armorum proceres legumque potentes Patricios sumunt habitus, et more Gabino Discolor incedit legio, positisque parumper Bellorum signis, sequitur vexilla Quirini? Lictori cedunt aquilae, ridetque togatus Miles, et in mediis effulget curia castris. [Siehst du, wie die Feldherren und ersten Beamten Patrizierkleidung anlegen, und dass gemäß gabinischer Weise buntfarbig die Legion ausschreitet, die soeben die Kriegszeichen niederlegte und nun den quiritischen Bannern folgt? Die Adler weichen vor dem Lictor, der Krieger lächelt im Togagewande, und mitten im Lager erstrahlt die Kurie]. Claudianus in IV Consulatu Honorii, 5-11... strictasque' procul radiare ›secures‹. [...von fernher blitzen drohende Streitäxte] In Consulatum Probini et Olybrii 232. Die Prozession bewegte sich vom Palast Siehe Valesius zu Ammianus Marcellinus 22,7. zum Forum, dem wichtigsten Platz der Stadt; hier bestiegen die Konsuln ihren Richterstuhl, nahmen Platz in ihrem kurulischen Sessel, welcher nach altem Herkommen gefertigt war. Alsgleich übten sie sich in der Jurisdiktion, indem sie einem eigens zu diesem Zweck herbeigeholten Sklaven die Freiheit schenkten. Die Absicht war, mit dieser Zeremonie die berühmte Geste des älteren Brutus darzustellen, des Mannes, der Rom die Freiheit und das Konsulat geschenkt und der den treuen Vindex unter seine Landsleute aufgenommen hatte, da dieser die Verschwörung der Tarquinier entdeckt hatte. ›Auspice mox laetum sonuit clamore tribunal/Te fastos ineunte quater; solemnia ludit/ Omina Libertas: deductum Vindice morem /Lex servat, famulusque iugo laxatus herili /Ducitur, et grato remeat securior ictu.‹ [Bald schon erklang freudig der Gerichtssaal vom Rufe des Heiles, da du zum vierten Male als Konsul eintratest, und festlich begrüßte dich die Freiheit im glücklichen Spiel. Das Gesetz feiert den Brauch, der von Vindex herstammt: ein Sklave mit dem lockeren Dienstjoch des Herren wird hereingeführt, mit Freuden empfängt er den Schlag und unbehelligt geht er fort]. Claudianus, de IV Consulatu Honorii, 611-615. Die öffentlichen Festbarkeiten dauerten mehre Tage und wurden in allen wichtigen Städten vollzogen: in Rom aus Gewohnheit; in Konstantinopel aus Nachahmung; in Karthago, Antiochia und Alexandria aus Vergnügungssucht und weil man es bezahlen konnte. Celebrant quidem solemnes istos dies omnes ubique urbes quae sub legibus agunt; et Roma de more, et Constantinopolis de imitatione, et Antiochia pro luxu, et discincta Carthago, et donum fluminis Alexandria, sed Treviri Principis beneficio. [Gewiss feiert alle Welt und jede Stadt unter unserer Regierung diese jährlichen Festtage, Rom aus Gewohnheit, Konstantinopel in Nachahmung, Antiochia aus Luxus, genau wie das verkommene Karthago und Alexandria als Geschenk an seinen Fluss; Trier aber infolge eines Freundlichkeit des Kaisers]. Ausonius, Gratiarum Actio 7. In den beiden Hauptstädten des Reiches verschlangen die jährlichen Spiele am Theater, im Zirkus und im Amphitheater Claudian (de consulatu Mallii Theodori 279-331) beschreibt äußerst lebendig und phantasievoll die verschiedenen Veranstaltungen im Zirkus, Theater und Amphitheater, die der neue Konsul veranstalten musste. Die blutigen Gladiatorenkämpfe waren mittlerweile verboten. viertausend Pfund Gold entsprechend etwa einhundertundsechzigtausend Pfund Sterling: und überstieg eine solche Ausgabe die Möglichkeiten oder die Freigebigkeit des Konsuls, dann stellte der kaiserliche Schatz die Summe zur Verfügung. Prokop, Historia Arcana c. 26.

Hatten sich die Konsuln dieser durch Herkommen geheiligten Pflichten entledigt, stand es ihnen frei, sich in die Geborgenheit des Privatlebens zurückzuziehen und sich während des verbleibenden Jahres an der ungestörten Betrachtung der eigenen Größe zu berauschen. Sie führten nicht mehr den Vorsitz bei Ratsversammlungen, noch hatten sie über Krieg und Frieden zu befinden. Ihre Kompetenz (falls sie nicht tatsächlich wichtige Ämter versahen) spielte eine untergeordnete Rolle; und ihr Name diente lediglich dazu, das Jahr zu bezeichnen, in welchem sie den Sitz eines Marius oder Cicero innegehabt hatten. Dennoch fühlte man in dieser letzten Periode der römischen Knechtschaft, dass ein leerer Name dem Besitz echter Macht vergleichbar, ja vorzuziehen sei. Der Titel eines Konsuls war nach wie vor das würdigste Ziel des Ehrgeizes und die schönste Belohnung für Tugend und Treue. Die Kaiser, die diesen matten Abglanz der Republik gering achteten, waren sich gleichwohl bewusst, dass auch sie etwas für ihr eigenes Ansehen taten, wenn sie jährlich die konsularische Würde vergaben. ›In Consulatu honos sine labore suscipitur‹. [Im Konsulat erhält man Ehre auch ohne Arbeit]. Mamertinus, Panegyrici 11,2) Diese hohe Meinung von Konsulat ist einer Rede Julians (3, p. 107) entlehnt, die er vor den Palastschranzen des Constantius hielt. Siehe den Abbe de la Bleterie (Memoires de l'AcademieBand 24, p. 289), welcher gerne den Überresten der alten römischen Verfassung nachspürt und der zumindest in seiner üppigen Phantasie fündig wird.

 

ALLMÄHLICHES VERSCHWINDEN DER PATRIZIER

Die stolzeste und vollständigste Trennung zwischen Adel und Volk, die sich zu irgendeiner Zeit und in irgendeinem Land vollzog, ist vermutlich die zwischen Patriziern und Plebejern, die sich in der Frühzeit der Römischen Republik ereignete. Reichtum, Ehrenstellen, Ämter und religiöser Kult befanden sich ausschließlich in den Händen der Erstgenannten; über die Reinheit ihres Blutes wachten sie mit nachgerade beleidigender Eifersucht, Heiraten zwischen Patriziern und Plebejern waren durch die Zwölftafelgesetze verboten; und da die menschliche Natur sich treu bleibt, überlebten die Gepflogenheiten das Gesetz. Siehe bei Livius (4, 1-6) den vom Konsul emporgehaltenen Familienstolz und die von dem Tribunen Camuleius verteidigten Menschenrechte. und ihre Klienten hielten sie im Zustand fadenscheiniger Abhängigkeit. Aber diese Gegensätze wurden, da sie sich nun einmal nicht mit dem Geiste eines freien Volkes vertragen, nach langen Kämpfen durch die beharrlichen Anstrengungen der Volkstribunen aufgehoben. Die umtriebigsten und erfolgreichsten Plebejer häuften Reichtümer an, besetzten Ehrenstellen, verdienten sich Triumphe, schlossen Bündnisverträge und waren nach einigen Generationen ebenso arrogant wie die alten Adelsfamilien. Vergleiche hierzu das lebhafte Portrait des Adelsstolzes, das Sallust in seinem Jugurthinischen Krieg entwirft und dem auch Metellus sich verpflichtet fühlte, da er sich unmöglich mit der Idee versöhnen konnte, die Ehre des Konsulates könne den geringen Verdiensten seines Leutnants Marius verliehen werden (64). Zweihundert Jahre vorher hatte das Geschlecht der Meteller selbst noch zu den Plebejern Roms gehört, und die Herleitung ihres Namens von Caecilius macht die Annahme wahrscheinlich, dass diese stolzen Edlen ursprünglich von einem Armee-Getreidelieferanten abstammten.

Die Patrizierfamilien andererseits, deren ursprüngliche Zahl bis zum Ende der Republik niemals ergänzt worden war, unterlagen entweder dem Lauf der Natur, wurden durch die zahlreichen Kriege und Bürgerkriege ausgelöscht oder vermischten sich, da es ihnen an Verdienst oder Glück mangelte, allmählich mit der Masse des Volkes. Im Jahre 800 römischer Zeitrechnung waren nicht nur von den alten Adelsfamilien nur sehr wenige übriggeblieben, sondern sogar von denen, die Cäsar oder Augustus ernannt hatten (vgl. Tacitus, Annalen 11,25). Die Familie des Scaurus (ein Zweig der patrizischen Aemilii) war so heruntergekommen, dass sein Vater, ein ehrbarer Kohlenhändler, ihm nur zehn Sklaven und etwas unter dreihundert Pfund Sterling vererbte (Valerius Maximus 4,4,11; Aurelius Victor, Scaurus). Den Untergang der Familie hat der tüchtige Sohn verhindert. Nur wenige noch konnten den Ursprung ihrer Familie bis in die Kinderjahre der Stadt oder wenigstens der Republik zurückverfolgen, als Caesar und Augustus, Claudius und Vespasian aus der Körperschaft des Senates eine hinreichende Anzahl neuer Patrizierfamilien rekrutierten, wohl in der Hoffnung, einen Stand am Leben zu erhalten, welcher nach wie vor für ehrwürdig und heilig galt. Tacitus, Annalen 11,25. Cassius Dio, 3,42. Die Leistungen eines Agricola, der durch Kaiser Vespasian in den Patrizierstand erhoben wurde, warf auf jenen alten Stand Ehre zurück; seine Vorfahren indessen konnten bloß Anspruch auf Ritteradel machen. Aber diese künstlichen Zuschüsse (an der auch immer das regierende Haus seinen Anteil hatte) wurden durch Tyrannenwut, häufige Revolutionen, veränderte Gepflogenheiten oder die Vermischung mit auswärtigen Völkern rasch zunichte gemacht. Dies wäre sicherlich unmöglich gewesen, wenn es denn wahr wäre, wie Casaubon Aurelius Victor zu bekräftigen nötigt (zu Sueton, Caesar 43; s. Historia Augusta, Claudius 3 und Casaubons Kommentar dazu, p.220), dass Vespasian auf einen Schlag eintausend Patrizierfamilien ernannte. Aber selbst am Senatorenstand gemessen ist diese Anzahl viel zu groß, wenn wir nicht auch noch alle die römischen Ritter mit einbeziehen wollen, welche ebenfalls den clavus latus [Breiter Purpurstreifen] tragen durften.

Als Constantin den Thron bestieg, war wenig mehr als der unbestimmte Mythos übrig geblieben, dass die Patrizier einst den führenden römischen Stand gebildet hatten. Es hätte sich allerdings mit dem Charakter und den politischen Absichten des Constantin entschieden nicht vertragen, eine adlige Körperschaft ins Leben zu rufen, dessen Einfluss die Autorität des Monarchen hätte sichern und gleichzeitig kontrollieren können; hätte er allerdings ernstlich derartige Entwürfe verfolgt, so hätte es seine Machtmittel denn doch überschritten, durch ein willkürliches Edikt eine Institution ins Leben zu rufen, welche nur durch die Zeit und die öffentliche Meinung ihre Bestätigung erhalten konnte. Zwar rief er den Titel PATRIZIER wieder ins Leben, allerdings nur als eine persönliche und keine erbliche Auszeichnung. Die Patrizier Konstantins standen an Rang nur der ephemeren Würde der Jahreskonsuln nach; aber sie genossen eine dauerhafte Vorzugsstellung gegenüber allen anderen Staatsbediensteten sowie einen sehr vertrauten Umgang mit der Person des Herrschers. Diese Ehrenstellung ward auf Lebenszeit verliehen; und da es sich hierbei für gewöhnlich um Günstlinge und Minister handelte, die am Kaiserhof in Ehren ergraut waren, wurde die wahre Bedeutung des Wortes durch schiere Unkenntnis und Schmeichelei verdreht: sie wurden verehrt als die Adoptiv väter des Kaisers und der Republik. Zosimos, 2, p.118; und Gothofred zum Codex Theodosianus 6,6.

 

PRÄTORIANERPRÄFEKTEN KAISERLICHES SIEGEL UND STANDARTE

II. Die Biographie der Prätorianerpräfekten war von denen der Konsuln und Patrizier grundlegend verschieden. Die Letzteren mussten erleben, wie sich ihre historische Größe zu einem leeren Titel verflüchtigte. Die Erstgenannten hatten sich schrittweise aus einfachsten Anfängen emporgearbeitet und wurden nun mit der zivilen und militärischen Verwaltung des Reiches betraut. Von der Regierungszeit des Severus bis zu der des Diocletian stand die Leibwache und der Palast, Justiz und Finanzen, Armee und Provinzen unter ihrer Oberaufsicht; und so trugen sie, den Wesiren des Ostens vergleichbar, in der einen Hand das Siegel des Reiches und in der anderen seine Standarte. Der Ehrgeiz der Prätorianerpräfekten, der ihren Dienstherren ehedem fürchterlich und bisweilen tödlich gewesen war, wurde durch die ihnen unterstellten Prätorianertruppen noch zusätzlich befeuert. Nachdem aber Diocletian diese verwegene Truppe gedämpft und Constantin sie endgültig abgeschafft hatte, fanden sich die Präfekten, die ihren Untergang überlebt hatten, problemlos mit ihrer neuen Rolle als gehorsame und nützliche Staatsdiener ab. Da sie nicht mehr für die persönliche Sicherheit des Kaisers verantwortlich waren, übten sie auch nicht weiter die Jurisdiktion aus, welche sie bis dahin über alle Sektionen des Palastes innegehabt hatten. Sobald die Blüte der römischen Armee nicht mehr unter ihrem direktem Kommando ins Feld zog, entzog Constantin ihnen das militärische Kommando; und schließlich wurden durch einen einzigen Erlass aus den Hauptleuten der Wache Zivilmagistrate für die Provinzen.

Entsprechend den Vorstellungen Diocletians hatte jeder der vier Herrscher seinen eigenen Prätorianerpräfekten; und nachdem die Monarchie sich wiederum in der einen Person des Constantin vereint fand, fuhr er gleichwohl fort, dieselbe Zahl von VIER PRÄFEKTEN zu ernennen und trug ihnen Sorge über die Provinzen auf, die sie ohnehin bereits verwalteten. 1. Der Präfekt des Ostens dehnte seine weitgefasste Rechtsprechung in die drei Himmelsrichtungen, welche Rom unterworfen waren, von den Nilkatarakten bis zu den Ufern des Phasis und vom thrakischen Bergland zu den Grenzen Persiens. 2. Die bedeutenden Provinzen Pannonien, Dacien, Makedonien und Griechenland anerkannten die Autorität des illyrischen Präfekten. 3. Die Macht des Präfekten von Italien beschränkte sich nicht auf das Land, das seinem Titel den Namen verliehen hatte; es erstreckte sich über das angrenzende Rhätien bis zu den Donauufern, über die benachbarten Mittelmeerinseln und über den Teil des afrikanischen Kontinentes, welcher zwischen Cyrene und Tingitania liegt. 4. Der Präfekt beider Gallien regierte unter dieser weitgreifenden Bezeichnung die stammverwandten Provinzen Britannien und Spanien, und sein Befehl galt von Antoninuswall bis zum Fuße des Atlasgebirges. Zosimos 2,33. Wenn wir nicht zufällig diesen zufrieden stellenden Bericht über die Macht- und Provinzaufteilung unter den Prätorianerpräfekten besäßen: wir würden uns inmitten der sprudelnden Reichhaltigkeit der Theodosianischen Gesetzessammlung und der umständlichen Genauigkeit der Notitia dignitatum oftmals in Erklärungsnot befinden.

 

ZIVILANGELEGENHEITEN DER UNTERWORFENEN LÄNDER

Nachdem nun die Reichs- oder Prätorianischen Präfekten aller ihrer militärischen Stellungen entsetzt waren, waren die verbliebenen zivilen Funktionen, welche sie über so viele unterworfene Nationen auszuüben beauftragt waren, dem Ehrgeiz und den Möglichkeiten auch des vorzüglichsten Ministers durchaus angemessen. Ihrer Weisheit war die oberste Justiz- und Finanzverwaltung anvertraut, die beiden Bereiche, die in Friedenszeiten fast alle gegenseitigen Obliegenheiten des jeweiligen Herrschers und des untertänigen Volkes bezeichnen. Des Ersteren, weil er die gesetzestreuen Bürger zu schützen hat; der Letzteren, weil sie ihren den Anteil von dem beizusteuern haben, dessen der Staat nun einmal für seine Tätigkeiten bedarf. Die Münze, die Straßen, die Haltestationen, die Kornkammern, die Manufakturen, alles mithin, was den öffentlichen Wohlstand betraf, war der Autorität des Prätorianerpräfekten unterworfen. Als den unmittelbaren Repräsentanten der kaiserlichen Majestät hatten sie die Befugnis, die allgemeinen Edikte auszulegen, zu bekräftigen und in manchen Fällen nach eigenem Ermessen zu modifizieren. Sie überwachten die Amtsführung der Provinzgouverneure, enthoben die Unfähigen ihrer Stellung und bestraften die schuldig gewordenen. Gegen die Urteile der niederen Gerichtsbarkeit war Berufung in allen wichtigen zivilen oder militärischen Fällen vor dem Richterstuhl des Präfekten möglich: aber sein Urteilsspruch war dann endgültig und unanfechtbar; und die Kaiser selbst weigerten sich, Beschwerde gegen die Rechtsprechung oder die Lauterkeit eines Magistrates zuzulassen, den sie selbst mit derart unbeschränktem Vertrauen ausgestattet hatten; Siehe hierzu ein Gesetz von Konstantin selbst: ›A praefectis autem praetorio provocare, non sinimus.‹ [Berufung gegen Präfekten lassen wir nicht zu]. Codex Justinianus 7,62,19. Der Rechtsgelehrte Charisius aus der Zeit Konstantins (Heineccius, Historia iuris Romani, p. 349) sieht in diesem Gesetz einen Fundamentalsatz der Jurisprudenz und vergleicht den Prätorianerpräfekten mit den Magistri equitum der Diktatoren der Frühzeit (Pandekten 1,11.) Die Bezahlung war seiner Würde angemessen; Als Justinian zu einer Zeit, da das Reich finanziell ausgezehrt war, eine Prätorianerpräfektur für Afrika einrichtete, betrug dessen Gehalt einhundert Pfund Goldes. Codex Iustinianus 1,27,1. und wenn die ihn beherrschende Leidenschaft die Habsucht war, dann so mochte er sich ungezählter Gelegenheiten erfreuen, reiche Ernte an Gebühren, Geschenken und Vergünstigungen einzufahren. Wenn auch die Kaiser von dem Ehrgeiz ihrer Präfekten nichts mehr zu befürchten hatten, so waren sie dennoch bestrebt, die Macht dieser einflussreichen Institutionen durch die Unbestimmtheit und Kürze der Amtsdauer zu beschneiden. Zu diesem und allen anderen Ämtern des Imperiums genüge der Hinweis auf die umfänglichen Kommentare des Pancirolus und Gothofred, welche alle juristischen und historischen Materialien zu diesen Punkten sorgfältig gesammelt und schicklich geordnet haben. Dr. Howell (History of the World, Band 2, p. 22-77) hat in gedrängter Form eine treffliche Darstellung vom Zustande des Römischen Reiches vorgelegt.

 

DIE PRÄFEKTEN VON ROM UND KONSTANTINOPEL

Infolge ihrer besonderen Bedeutung und Würde unterlagen allein Rom und Konstantinopel nicht der Gerichtsbarkeit durch die Präfekten. Die ungeheure Größe der Stadt und die Erfahrung mit dem schleppenden und wirkungslosen Gang der Gerechtigkeit hatte Augustus einen überzeugenden Vorwand geliefert, einen neuen Magistrat ins Leben zu rufen, der allein imstande war, die ebenso unterwürfige wie schwer handhabbare Menschenmasse der Stadt durch den starken Arm einer strengen Justiz unter Kontrolle zu halten. Tacitus, Annalen 6,11; Eusebios, Chronika p.155. Cassius Dio beschreibt in der Rede des Maecenas (52,21) die Prärogative des Stadtpräfekten, wie sie zu seiner, des Schreibers, Zeit bestanden. Valerius Messalla wurde zum ersten Präfekten Roms ernannt, da man annahm, sein Ansehen werde dieser unpopuläre Maßnahme förderlich sein: aber schon nach ein paar Tagen quittierte dieser vollendete Staatsbürger Der Ruhm des Messalla ist zu gering, gemessen an seinen eigentlichen Verdiensten. In frühester Jugend empfahl ihn Cicero der Freundschaft des Brutus. Er stand auf der Seite der Republik bis zu ihrem Untergang bei Philippi: dann suchte und fand er die Gunst des maßvollsten der Sieger; und in gleicher Weise bewahrte er Freiheit und Würde am Hofe des Augustus. Durch die Eroberung von Aquitanien verdiente sich Messalla einen Triumph. Als Redner konnte er es sogar mit Cicero aufnehmen. Messalla stand mit allen Musen auf vertrautem Fuße und war der Patron eines jeden Mannes von Geist. Seine Abende verbrachte er in philosophischem Wechselgespräche mit Horaz; hatte an der Tafel einen Platz zwischen Delia und Tibullus; und förderte in seinen Mußestunden das aufblühende Talent des jungen Ovid. das ungeliebte Amt und erklärte mit einer Seelenfestigkeit, die einem Freund des Brutus angestanden hätte, es sei ihm unmöglich, ein Amt zu versehen, welches mit der öffentlichen Freiheit unvereinbar sei. ›Incivilem esse potestatem contestans‹ [tyrannisch, die Gewalt zu beschwören] sagt der Übersetzer des Eusebios, und Tacitus, mit anderen Worten: ›quasi nescius exercendi.‹ [gleichsam außerstande, sich zu betätigen].

Als das Empfinden für Freiheit abgestumpft war, begriff man auch den Vorteil des Amtes besser; und der Präfekt, welcher eigentlich nur für Sklaven und Gesocks ein Schrecknis sein sollte, durfte in Zivil- und Kriminalsachen auch über den Ritterstand und Familien von Adel zu Gericht sitzen. Die Prätoren wurden als Jahresbeamte für Recht und Ordnung eingesetzt; aber sie konnten nicht lange einem ständigen und tatkräftigen Magistrat das Forum streitig machen, der darüber hinaus noch das Vertrauen des Herrschers besaß. Ihre Gerichtshöfe standen verwaist, die Anzahl der Richter, ursprünglich zwölf bis achtzehn, Siehe Lipsius, Excursus D zu Tacitus, Annales 1. war im Laufe der Zeit auf zwei bis drei geschrumpft, und die wichtigste ihrer Tätigkeiten bestand in der kostenintensiven Ehre, Heineccius Elementa Juris Civilis secundum ordinem Pandect. Band 1, p.70. Siehe ebenso Spanheim, de Usu Numismatum, Band 2, dissertatio 10, p. 219. Im Jahre 450 erließ Marcianus ein Gesetz, dass in jedem Jahr drei Bürger durch Senatsbeschluss zu Prätoren von Konstantinopel ernannt werden sollten, allerdings nur mit ihrem Einverständnis. Cod Iust. 1,39,2. Spiele zum Ergötzen des Volkes zu finanzieren. Nachdem nun aus dem römischen Konsulat ein leeres Historienschauspiel geworden war, welches in der Hauptstadt nur noch selten gegeben wurde, besetzten an ihrer Stelle die Präfekten ihren Sessel im Senat und wurden alsbald zu den eigentlichen Vorsitzenden dieser hochachtbaren Versammlung. Gesuche und Appelle aus einem Umkreis von einhundert Meilen ergingen an sie, und es war sozusagen Rechtsgrundsatz, dass die jede Munizipialgewalt allein von ihnen ausging. ›Quidquid igitur intra urbem admittitur ad Praefectum Urbis videtur pertinere; sed et siquid intra centesimum milliarium.‹ [Was immer sich innerhalb der Stadt zuträgt, scheint zum Bereich des Praefectus urbis zu gehören; ebenso das, was diesseits des 100. Meilensteines liegt.] Ulpian in Pandectes 1,13,1. Dann schildert er die verschiedenen Aufgaben des Präfekten, der gemäß Codex Iustinianus 1,39,3 befugt ist, allen städtischen Obrigkeiten zu gebiete ›sine iniuria ac detrimento honoris alieni‹ [ohne Unrecht und Schaden an der Ehre des Anderen].

Zur Bewältigung seiner zahlreichen Aufgaben waren dem Statthalter Roms fünfzehn Beamte beigegeben, welche ihm ursprünglich gleichgestellt, ja sogar ihm vorgesetzt waren. Die Stadtviertel entsprachen der Befehlsstruktur einer zahlenstarken Wachmannschaft, welche gegen Feuer, Überfall und nächtliche Ruhestörung eingerichtet war; die die Beihilfen und Getreidezuteilungen überwachten und durchführte; die den Hafen, die Aquädukte und die Kanalisation und die Befahrbarkeit des Tiber kontrollierte; die über den Markt und die Theater sowie die öffentlichen und private Gebäude Aufsicht führte. Ihre Wachsamkeit stellte die drei Voraussetzungen für jede Form geordneter Politik sicher, nämlich öffentliche Sicherheit, Versorgung und Hygiene; und außerdem gab es, sozusagen als Beweis für die Aufmerksamkeit, die die Regierung der Glanz- und Prachtentfaltung widmete, einen eigenen Statueninspektor. Den Hüter mithin jener leblosen Figuren, welche nach der etwas überzogenen Schätzung eines antiken Autors der Zahl der lebenden Einwohners nur um ein Geringes nachstand. Etwa dreißig Jahre nach der Gründung Konstantinopels wurde in der anschwellenden Stadt ein ähnlicher Magistrat mit ähnlichen Befugnissen eingerichtet. So ward vollständige Gleichheit des Ansehens hergestellt zwischen den beiden hauptstädtischen und den vier Reichspräfekturen. Neben den üblichen Quellen sei noch auf die Abhandlung des Felix Cantelorius ›De praefecto urbis‹ hingewiesen; und dass zahlreiche bemerkenswerte Angaben über die Polizei von Rom und Konstantinopel sich im 14. Buch des Codex Theodosianus befinden.

 

DIE PROKONSULN UND DIE VIZEPRÄFEKTEN

Diejenigen, die in der imperialen Hierarchie sich durch den Titel spectabilis auszeichneten, bildete eine eigene Klasse zwischen den illustri Praefekten und den honorabiles Magistraten der Provinzen. Innerhalb dieser Klasse reklamierten wiederum die Prokonsuln Asiens, Griechenlands und Afrikas eine besondere Stellung für sich, was mit Rücksicht auf vergangene Größe denn auch geschah; und oft waren Berufungen gegen ihre Urteile beim Gerichtshof der Präfektur das einzige äußere Zeichen ihrer Abhängigkeit. Eunapius bestätigt, dass der Prokonsul von Asien vom Präfekten sogar unabhängig war; was allerdings mit Einschränkung verstanden werden sollte: die Rechtsprechung des Vizepräfekten hat er sicherlich nicht anerkannt. Pancirolus, p. 161. Die Zivilverwaltung des Reiches war in dreizehn große DIÖZESEN unterteilt, welche jede für sich genommen den Vergleich mit einem respektablen Königreich wagen konnte. Die erste dieser Diözese unterstand der Jurisdiktion des comes des Orients; und vielleicht gewinnen wir eine Vorstellung von der Bedeutung und Vielfalt seiner Aufgaben durch die Mitteilung, dass insgesamt sechshundert Unterbeamte seiner direkten Weisung unterstellt waren, Leute, die man heute wohl als Sekretäre, Büroangestellte, Gerichtsdiener oder Büroboten bezeichnen würde. Der Prokonsul von Afrika hatten deren vierhundert; und alle empfingen sie ansehnliche Gehälter, mochten sie nun aus dem Staatsschatz oder aus der Provinz stammen. Siehe Pancirolus, p. 26 und Codex Iustinianus 12,56 und 57. Die Stellung des augusteischen Präfekten in Ägypten hatte mittlerweile nicht mehr ein römischer Ritter inne; aber den Namen gab es immer noch; und die außerordentlichen Vollmachten des Provinzgouverneurs, welche einst infolge der Lage des Landes und der besonderen Gemütsverfassung seiner Einwohner unumgänglich gewesen waren, waren nach wie vor in Kraft. Die elf verbleibenden Diözesen, die von Asien, Pontus und Thrakien; von Makedonien, Dacien und Pannonien (oder West-Illyrien); von Italien und Afrika; und die von Gallien, Spanien und Britannien wurden von Vikaren oder Vizepräfekten In Italien gab es einen entsprechenden Vikar von Rom. Es hat viel Diskussion darüber gegeben, ob seine Jurisdiktion sich auf einhundert Meilen vor der Stadt oder über alle zehn süditalienischen Verwaltungseinheiten erstreckte. verwaltet, deren Name hinreichend über Art und Selbstständigkeit ihres Amtes aufklärt. Hinzufügen wollen wir noch, dass die Oberfeldherren der römischen Armeen, die comes und duces, von denen bald die Rede sein wird, den Rang und Titel eines respectabilis führen durften.

 

DIE PROVINZSTATTHALTER

Da der Geist der Missgunst und der Prunksucht vorherrschte unter des Kaisers Räten, fuhren diese fort, mit berechneter Pedanterie die Machtbefugnisse aufzuteilen und die Titel zu mehren. Die riesigen Ländermassen, die die Eroberer einstmals unter gleich bleibenden Verwaltungsprinzipien geeint hatten, waren allgemach in winzige Bruchstücke zerbröselt; bis schließlich das ganze Imperium in einhundertundsechzehn Provinzen aufgeteilt war, die alle einen kostspieligen und aufwendigen Verwaltungsapparat erforderlich machten. Drei von ihnen wurden durch Prokonsuln geführt, siebenunddreißig von Konsularen, fünf von Korrektoren und einundsiebzig von Präsidenten. Die Benennung dieser Magistrate war unterschiedlich; sie waren von verschiedenartigem Rang, auch die Abzeichen ihrer Würde waren auf merkwürdige Weise ungleich, und ihre materielle Lage war je nach den Umständen mehr oder minder leidlich oder auch vorteilhaft. Aber alle gehörten sie in die Klasse der honorabiles, die Prokonsuln ausgenommen; und ihnen allen war die Rechtspflege und Finanzverwaltung in ihren Distrikten auferlegt, unter der Aufsicht der Präfekten oder deren Stellvertreter und solange es denn dem Herrscher gefiel.

Die gewichtigen Bände mit den Gesetzessammlungen und Pandekten Unter den Arbeiten des hochberühmten Ulpian gab es eine, welche in zehn Büchern das Amt eines Prokonsuls untersuchte, dessen Pflichten im Grundsatz dieselben waren wie die eines gewöhnlichen Provinzgouverneurs. würden umfangreiches Material darbieten, um mit ihm das System der Provinzialverwaltung in allen Einzelheiten darzustellen, wie es die Weisheit römischer Staatsmänner und Rechtskundiger im Laufe von sechs Jahrhunderten entwickelt hat. Der Historiker mag sich indessen damit begnügen, von zwei ausgesuchten und besonders lehrreichen Verfügungen zu erzählen, deren Intention es war, dem Machtmissbrauch zu steuern: 1. Um Ruhe und Ordnung aufrecht zu erhalten, hatte man den Provinzgouverneuren das Schwert der Gerechtigkeit in die Hand gegeben. Sie konnten körperliche Züchtigungen anordnen, und bei Kapitalverbrechen lag die Entscheidung über Leben und Tod in ihrer Hand. Aber keinesfalls durften sie dem verurteilten Kriminellen die Wahl der Todesart überlassen oder eine milde und gleichsam ehrenhafte Form des Exils als Strafe aussprechen. Diese Prärogative besaß allein der Präfekt, welcher auch als einziger die schwere Geldstrafe in Höhe von fünfzig Pfund Goldes verhängen konnte: ihre Stellvertreter mussten es bei ein Paar Unzen bewenden lassen. Die Präsidenten oder Konsularen durften nur auf zwei Unzen erkennen; die Vizepräfekten auf deren drei; die Prokonsuln, Herrscher des Ostens, und der Präfekt Ägyptens auf sechs. Heineccius, Elementa, Band 1, p.75. Pandectes, 48,19,8. Codex Iustinianus 1,54,4 und 6. Diese Unterscheidung, die die größere Machtfülle zu bestätigen scheint und die kleinere weiter beschneidet, war äußerst vernünftig begründet: der geringere Grad von Macht konnte unendlich mehr missbraucht werden. Die Provinzmagistraten haben sich sicherlich oft zu Repressalien hinreißen lassen, was aber nur Freiheit oder Vermögen seiner Untertanen berührten; während er, aus staatsklugen oder Humanitätserwägungen, vom Blute Unschuldiger abstehen mochte. Auch gilt es zu bedenken, dass ein Exil, beträchtliche Geldstrafen, oder die Wahl einer immerhin leichten Todesart mehr den Reichen und Adligen zustehen; so dass die Personen, die von der Habgier und den Ressentiments der Provinzmagistrate am meisten zu fürchten hatten, auf diese Weise seinen geheimen Nachstellungen entzogen waren und es mit der ehrbaren und unparteiischeren Justiz der Reichspräfekten zu tun bekamen. 2. Da billig zu besorgen stand, dass die Redlichkeit eines Richters beschädigt werden könne, wenn seine persönlichen Interessen oder Neigungen ins Spiel kamen, wurden die strengsten Maßnahmen getroffen, jedwede Person, die nicht etwa einen ausdrücklichen Dispens des Kaisers besaß, von der Verwaltung der Provinz auszuschließen, in welcher sie geboren war; ›...ut nulli patriae suae administratio sine speciali principis permissu permittatur.‹ [...dass niemandem die Verwaltung seines Heimatlandes ohne spezielle Erlaubnis des Princeps erlaubt sei]. Codex Iustinianus 1,41. Dieses Gesetz wurde erstmalig von Kaiser Marcus Aurelius nach dem Aufstand des Cassius (Cassius Dio, 71) in Kraft gesetzt. Die selbe Regelung finden wir in China, mit gleicher Strenge und gleichem Erfolg. dem Statthalter oder dessen Sohn die Ehe mit einer Einwohnerin der Provinz zu verbieten Pandectes 23,2,38,57, und 63.; und innerhalb des Gebietes seiner Gerichtsbarkeit Sklaven, Ländereien oder Häuser zu erwerben. ›In iure continetur, ne quis in administratione constitutus aliquid compararet.‹ [Im Gesetz ist festgelegt, dass kein in der Verwaltung Tätiger sich etwas aneignen darf]. Codex Theodosianus 8,15,1. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz wurde durch eine Reihe von Verordnungen (siehe den Rest des Titels) von Konstantin bis zu Iustinus eingeschärft. Von diesem Kaufverbot, das sich übrigens bis auf die untersten Regierungsmitarbeiter ausdehnte, waren lediglich Kleidung und Lebensmittel ausgenommen. Die gekauften Güter konnten innerhalb von fünf Jahren wieder zurückgefordert werden; danach verfielen sie bei Vorliegen einer Anzeige dem Fiskus.

Dieser strengen Vorkehrungen ungeachtet beklagte der Kaiser Constantin nach fünfundzwanzigjähriger Regierungszeit die käufliche und willkürliche Justiz, und zeigt sich hell empört, dass die Anhörung durch die Richter, die rasche oder schleppende Behandlung einer Sache und das abschließende Urteil allemal gekauft werden konnten, sei es vom Richter persönlich oder von seinen Mitarbeitern. Die Zählebigkeit und wohl auch die Straflosigkeit dieses Unwesens beweisen sich durch die häufige Bekräftigung wirkungsloser Gesetze und leerer Drohgesten. ›Cessent rapaces iam nunc officialium manus; cessent, inquam; nam si moniti non cessaverint gladiis praecidentur,‹ etc. [Es sollen nun die raubenden Hände der Beamten ferne sein; sie sollen ferne sein, so sage ich; den wenn sie, verwarnt, sich nicht ferne halten, werden sie mit dem Schwerte abgehauen]. Codex Theodosianus 1,7,1. Zeno verfügt, dass alle Gouverneure fünfzig Tage nach Ablauf ihres Amtes in ihrer Provinz bleiben müssten, um sich gegen etwaige Beschwerden zu rechtfertigen. Codex Iustinianus 2,49,1.

 

NIEDERGANG DER JURISPRUDENZ

Alle Zivilmagistrate wurden rekrutiert aus Gesetzeskundigen. Die berühmten Institutiones Iustiniani richteten sich an die Jugend seines Reiches, welche sich dem Studium der römischen Jurisprudenz widmeten; und es gefällt sich der Herrscher darin, ihren Eifer mit der Versicherung zu befeuern, dass es für ihre Kenntnisse und ihre Fertigkeiten schon bald in der Regierung der Republik angemessene Verwendung geben werde. ›Summa igitur ope et alacri studio has leges nostras accipite; et vosmetipsos sic eruditos ostendite, ut spes vos pulcherrima foveat toto legitimo opere perfecto, posse etiam nostram rempublicam in partibus eius vobis credendis gubernari‹. [So also nehmt nun mit höchstem Eifer und Lust am Lernen diese unsere Gesetze an und erweist euch als so gut ausgebildet darin, dass die schönste Hoffnung euch beflügeln darf, ihr werdet nach Beendigung des ganzen Gesetzes-Studiums imstande sein, unseren Staat dort zu leiten, wo wir euch einsetzen werden]. Iustinian. Prooemium Institutionum. Die Grundlagen dieser einträglichen Wissenschaft wurden in allen bedeutenden Städten des Westens oder Ostens gelehrt; aber die bekannteste Schule war die von Berytus an der Küste Phöniziens, Die Blüte der Schule von Berytus, welche Sprache und Rechtsgelehrsamkeit der Römer im Osten weitertrug, hat wenigstens vom dritten bis in die Mitte des sechsten Jahrhunderts gedauert. Heiniccius, Historia Iuris civilis p. 351-356. welche dreihundert Jahre lang seit der Zeit von Alexander Severus blühte, des möglichen Stifters einer für sein Land so nutzbringenden Einrichtung. Nach fünfjähriger Ausbildung zerstreuten sich die Studenten in die verschiedenen Provinzen auf der Suche nach Ehre und Brotgewinst; auch gab es für sie unaussmessbare Vorräte an Arbeit in diesem Reiche, welches inzwischen an einer Masse von Gesetzen, Ränken und Lastern angefault war. Allein der Hof des Reichspräfekten des Ostens hatte für einhundertfünfzig Advokaten Arbeit die Fülle, von denen vierundsechzig besondere Privilegien besaßen, und zwei jährlich gewählt wurden, um bei einem Jahresgehalt von sechzig Pfund Gold die Belange des Staatsschatzes zu verteidigen. Die ersten Proben von Rechtsgelehrsamkeit legten sie als Beisitzer der Magistrate ab; dann durften sie öfters den Vorsitz führen an Gerichten, vor denen sie bereits plädiert hatten. Anschließend erhielten sie die Verwaltung einer Provinz; und mit Hilfe von Tüchtigkeit, Anerkennung, Begünstigung stiegen sie Schritt für Schritt in den Rang der illustri empor. So wie ich für eine frühere Zeit die Zivil- und Militärlaufbahn des Pertinax nachgezeichnet habe, will ich hier die bürgerliche Karriere des Mallius Theodoros einfügen. 1. Er zeichnete sich durch besondere Eloquenz aus, da er als Advokat vor dem Gerichtshof des Reichspräfekten plädierte. 2. Er verwaltete als Präsident oder Konsular eine der beiden Provinzen Afrikas und hatte sich infolge seiner Leistung eine Bronzestatue verdient. 3. Er wurde zum Vizepräfekten von Makedonien ernannt. 4. Quaestor. 5. Generalschatzmeister. 6. Reichspräfekt Galliens; man möge ihn sich immer noch als jungen Mann vorstellen. 7. Nach mehrjähriger Zurückgezogenheit, vielleicht infolge einer Ungnade, in welchen Mallius (von einigen Gelehrten mit dem Dichter Manilius verwechselt) dem Studium der griechischen Philosophie oblag, Ernennung zum Reichspräfekten im Jahre 397. 8. Noch während der Ausübung dieser gewaltigen Aufgabe wird er 399 zum Konsul des Westens ernannt; und sein Name stand infolge der Ruchlosigkeit seines Kollegen, des Eunuchen Eutropius, oftmals allein in den Fasti. 9. 408 wird Mallius zum zweiten Male Prätorianerpräfekt Italiens. Selbst in der bestellten Jubelrede des Claudian bleiben für uns die tatsächlichen Verdienste des Mallius Theodoros erkennbar, der infolge eines seltenen Glücksumstandes zugleich ein enger Freund des Symmachus und des heiligen Augustin war.

In ihrer Gerichtspraxis hatten diese Männer Vernunft als ein nützliches Werkzeug der Debattierkunst schätzen gelernt; Gesetz interpretierten sie nach den Vorgaben privater Interessen; und eben dieser verderblichen Gewohnheit mochten sie dann auch im der öffentlichen Verwaltung obliegen. Die Ehre ihres Berufsstandes haben antike und zeitgenössische Advokaten durchaus behauptet, welche in vielen Lagen Integrität und tiefe Weisheit erkennen ließen; aber in der Zeit von Roms Niedergang war die Jurisprudenz, sogar die ganz gewöhnliche Ernennung eines Advokaten, geschwängert mit Unrecht und Schande. Die hohe Kunst, die einst heiliges Erbteil der Patrizier gewesen war, war nunmehr in die Hände von Freigelassenen und Plebejern gefallen, Mamertinus, Panegyrici 11,20; Asterios bei Photios, p. 1500. welche mehr mit Durchtriebenheit als Kennerschaft ein niederträchtiges und verderbliches Gewerbe ausübten. Die Einen beschafften sich Zugang zu Familien, nur um dort Zwietracht zu stiften, Prozesse in Gang zu setzen und so für sich oder seine Berufsgenossen reiche Ernte vorzubereiten. Andere wieder, vergraben in ihren Studierkammern, behaupteten die Würde von Rechtslehrern, indem sie einen wohlhabenden Klienten mit Kunstgriffen versahen, um so die simpelsten Wahrheiten zu verwirren oder mit Scheingründen die abwegigsten Ansprüche zu unterstützen. Die angesehenste und volkstümlichste Gruppe bildeten die Advokaten, welche das Forum mit dem Geräusch ihrer Schwulst- und Schwatzrhetorik erfüllten. Unbekümmert um Ruf oder Gerechtigkeit, so werden sie beschrieben, ignorant und habgierig, Fremdenführer, die ihre Klientel durch einen Irrgarten von Ausgaben, verlorener Zeit und Rückschlägen führten; aus welchem sie nach endlosen Jahren erlöst wurden, wenn ihnen die Geduld und das Vermögen ausgegangen waren. Die bemerkenswerte Stelle bei Ammianus Marcellinus 29,4 in welcher er die Zunftbräuche zeitgenössischer Juristen schildert, lässt eine befremdliche Mischung von gesundem Menschenverstand, verlogener Rhetorik und üppiger Satire erkennen. Gothofredus (Prolegomena ad Codicem Theodosianum 1, p.185) bestätigt den Geschichtsschreiber durch ähnliche Behauptungen und erwiesene Tatsachen. Im IV. Jh. hätte man allerdings viele Kamele mit Gesetzbüchern beladen können. Eunapios, Vita Aidesii p.72.

 

MILITÄRGERICHTSBARKEIT VERMEHRUNG DER OFFIZIERSSTELLEN

III. In dem politischen System des Augustus waren die Statthalter, zumindest die der kaiserlichen Provinzen, mit den Vollmachten des Herrschers selbst ausgerüstet. Von ihnen allein, den Herrschern im Krieg wie im Frieden, hing auch die Zuteilung von Belohnung und Strafe ab, und abwechselnd erschienen sie zu Gerichtssitzungen in der Amtstracht der Zivilmagistrate und an der Spitze der Legionen in voller Kriegstracht. Man sehe ein besonders glänzendes Beispiel im ›Leben des Agricola,‹ besonders c. 20, 21. Der Statthalter von Britannien hatte die gleichen Vollmachten, welche Cicero, Prokonsul von Kilikien, im Auftrage von Senat und Volk ausübte. Das Gewicht der Staatseinkünfte, das Ansehen des Gesetzes und der militärischen Kommandostellen trugen dazu bei, dass ihre Macht fast absolut wurde; und wann immer sie das Gelüste überkam, ihres Treueides zu vergessen, bemerkte die loyale Provinz, die sie in ihre Erhebung involvierten, kaum eine Änderung der politischen Verhältnisse. Für die Zeit zwischen Commodus und Constantin könnten wir etwa einhundert Provinzstatthalter benennen, die mit unterschiedlichem Erfolg die Fahne des Aufruhrs emporgezogen hatten; und wenn auch Unschuldige allzu oft dabei ums Leben kamen, so wurden die Schuldigen durch die argwöhnende Grausamkeit ihrer Herrscher bisweilen von derlei Unternehmungen abgehalten. Der Abbé Dubos, der in seiner Histoire de la Monarchie Francoise, Band 1, p.41-100, die Verfassung des Augustus und des Constantin mit Genauigkeit untersucht hat, merkt an, dass Otho, wäre er am Tage vor Ausbruch seiner Verschwörung hingerichtet worden, heute in der Geschichte ebenso unschuldig dastehen würde wie Corbulo. Um nun seinen Thron und den öffentlichen Frieden vor solchen fürchterlichen Dienern zu schützen, beschloss Constantin, die militärische von der Zivilverwaltung zu trennen; und somit zur festen Amtseinrichtung zu machen, was bis dahin nur als gelegentlicher Notbehelf vorgekommen war. Die höchste Gerichtsbarkeit, die die Reichspräfekten über die Armeen des Reiches ausübten, wurde nunmehr zwei von ihm ins Leben gerufenen Oberbefehlshabern (Magister militum) übertragen, von denen einer für die Reiterei, der andere für das Fußvolk zuständig war; und wenn auch diese illustri zunächst verantwortlich für die Disziplin der ihnen direkt unterstellten Truppen waren, so führten sie im Feld unterschiedslos des Kommando über die Truppenkörper, seien sie zu Pferde oder zu Fuß, die in einer Armee gemeinsam dienten. Zosimos 2,33. Vor dem Ende der Regierung Konstantins war die Zahl der ›Magistri militum‹ bereits auf vier angewachsen. Siehe Valesius zu Ammianus Marcellinus 16,7. Durch die Teilung in ein Ost- und Westreich wurde ihre Zahl alsbald verdoppelt; und da Generäle gleicher Stellung an den vier wichtigsten Grenzlinien, dem Rhein, der oberen und unteren Donau und dem Euphrat standen, so war die Verteidigung des römischen Reiches schließlich acht Oberbefehlshabern der Kavallerie und der Infanterie anvertraut. Ihnen unterstellt waren fünfunddreißig Kriegsbefehlshaber in den Provinzen: drei in Britannien, sechs in Gallien, je einer in Spanien und Italien, fünf an der Oberen und vier an der Unteren Donau; in Asien acht, drei in Ägypten und vier in Afrika.

Die Titel Graf (eig. Gefährte, comes) und Herzog (dux), Obwohl die militärischen comites und duces oftmals erwähnt werden, sowohl in der Geschichte wie in Handschriften, müssen wir, um ihre genaue Zahl zu erfahren, auf die Notitia zurückgreifen. Über die Institution, den Rang die Vorrechte &c der comites im allgemeinen informiert der Codex Theodosianus 7,1,18 und 8,1,10. die ihnen beigegeben waren, haben in den heutigen Sprachen derartig verschiedene Bedeutungen, dass ihr Gebrauch einiges Erstaunen veranlassen muss. Es sollte aber daran erinnert werden, dass die zweite Bezeichnung nur die verderbte Form eines lateinischen Wortes ist ( dux), welches unterschiedslos auf alle militärische Führung angewandt wurde. Alle diese Provinzgeneräle waren demnach duces. Aber nur zehn wurden des Ranges comes (lat: Gefährte, engl: count) für würdig befunden, ein Ehren- oder besser Gunsterweis, den man erst unlängst am Hofe zu Konstantinopel ersonnen hatte. Ein goldenes Wehrgehenk war das äußere Zeichen des Amtes eines dux und comes; und neben ihrem Sold erhielten sie auch noch die Summe zum Unterhalt von einhundertneunzig Sklaven und einhundertachtundfünfzig Pferden. Einmischung in Angelegenheiten der Justiz oder der Staatsfinanzen war ihnen ausdrücklich untersagt; hingegen war das Kommando über die Truppen ihres Bezirks von der Autorität der Magistrate unberührt. Etwa um die Zeit, als Constantin dem geistlichen Stande eine gesetzliche Grundlage gab, justierte er auch das heikle Gleichgewicht zwischen ziviler und militärischer Gewalt. Die Rivalität und bisweilen auch die Spannungen, die zwischen zwei verschiedenen Berufsgruppen mit entgegengesetzten Interessen und unvereinbaren Bräuchen bestehen, hatten segensreiche und verderbliche Folgen. Es stand nicht eben oft zu erwarten, dass sich der General und der Zivilgouverneur einer Provinz zu gemeinsamer Verschwörung oder gemeinsamen Dienste zusammentun würden. Während der Eine noch zögerte, die Hilfe zu bringen, die der Andere zu erbitten sich schwer tat, blieben die Truppen häufig ohne klaren Befehl und ohne Verpflegung; die öffentliche Sicherheit sah sich im Stiche gelassen, und die schutzlosen Untertanen fühlten sich den Barbaren ausgeliefert. Die Teilung der Verwaltung, die Constantin eingeführt hatte, lähmte zwar die Kräfte des Staates, stellte aber wenigstens die Nachtruhe des Monarchen sicher.

 

EINHEIMISCHE UND FREMDE TRUPPEN

Das Andenken Constantins wird noch durch eine weitere Neuerung zu Recht verdunkelt, da sie die militärische Disziplin unterhöhlte und den Untergang des Imperiums vorbereitete. Die neunzehn Jahre vor seinem endgültigen Sieg über Licinus waren eine Zeit der Gesetzlosigkeit und des Bürgerkrieges gewesen. Die Rivalen, die um den Besitz der römischen Welt rauften, hatte ihre jeweiligen Streitkräfte zum größten Teil von den Grenzgarnisonen abgezogen; und die Hauptstädte, welche die Grenzmarken ihrer jeweiligen Herrschaftsgebiete bildeten, waren mit Soldaten überschwemmt, die ihre eigenen Landsleute als ihre unversöhnlichsten Feinde ansahen. Als nach Beendigung des Bürgerkrieges für diese inneren Besatzungstruppen keine Verwendung mehr bestand, fehlte es dem Sieger Konstantin an der Klugheit oder der Entschlossenheit, die strenge Disziplin eines Diocletian erneut ins Leben zu rufen und die fatale Nachsicht zu unterdrücken, welche der Truppe so lieb und fast schon zum Gewohnheitsrecht geworden war. Seit der Regierungszeit Constantins gab es eine allgemein übliche, beinahe gesetzliche Unterscheidung zwischen den palatini Zosimos 2,34. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von römischen Truppen wird in den Geschichtsbüchern, Gesetzen und in den Notitia nur sehr unscharf herausgearbeitet. Man konsultiere indessen das üppige ›paratitlon‹, Gothofreds Abriss aus dem 7. Buch des ›de Re militari‹ des Codex Theodosianus 7,1,18 und 8,1,10. und limitanei; den Palasttruppen, wie sie unzutreffend genannt wurden, und den Grenztruppen. Erstere waren durch höheren Sold und größere Vorrechte vor den anderen ausgezeichnet und genossen darüber hinaus das Privileg, dass sie, von kriegerischen Notfällen angesehen, in den friedlichen Städten inmitten der Provinzen Garnison nehmen durften.

So hatten noch die reichsten Städte unter der unerträglichen Last dieser Einquartierungen zu leiden. Die Soldaten ihrerseits vergaßen allgemach die Ideale ihres Gewerbes und eigneten sich bürgerliche Untugenden an. So entblödeten sie sich nicht, Handel zu treiben, oder sie erschlafften im Luxus von Bädern und Theatern. Schon bald wurden ihnen ihre kriegerischen Fertigkeiten gleichgültig, Verpflegung und äußerer Aufputz indessen bedeutungsvoll. Und während sie so den römischen Untertanen zum Schrecknis wurden, bebten sie gleichzeitig vor der Annäherung feindlicher Barbaren. ›Ferox erat in suos miles et rapax, ignavus vero in hostes et fractus‹ [Dreist war der Soldat und räuberisch gegen seine Leute, aber feige vor dem Feind und weichlich]. Ammianus 22,4. Er merkt hierzu noch an, dass sie Daunenbetten und Marmorhäuser besonders schätzten; und dass ihre Trinkgefäße schwerer waren als ihre Schwerter. Die Kette der Festungen, die Diocletian und seine Mitregenten entlang der großen Grenzströme hatten anlegen lassen, wurden nicht länger instand gehalten oder mit gleicher Hingabe bewacht. Das, was noch an regulären Truppen an den Grenzen stand, wäre für normale Verteidigungsaufgaben hinreichend gewesen. Aber ihr Kampfgeist war gelähmt durch das kränkende Bewusstsein, dass sie, die sie doch recht eigentlich den Fährnissen und Härten eines beständigen Kriegszustandes ausgesetzt waren, nur zwei Drittel des Soldes und der Prämien erhielten, die für die Palasttruppen bereitgestellt waren. Selbst die Legionen, die diesen zu unrecht Bevorzugten fast gleichgestellt waren, wurden im gewissen Sinne herabgesetzt durch die Ehrentitel, welche jene tragen durften. Ganz umsonst dräute Constantin zu wiederholtem Male den limitanei Verderben durch Feuer und Schwert an, wenn sie sich unterstehen sollten, ihre Fahnen zu verlassen, bei Barbareneinfällen stillzuhalten oder sogar mit ihnen die Beute zu teilen Codex Theodosianus 7, 1,1; 12,1. Siehe Howell's History of the World, Band 2, p.19. Diese gelehrte und zu wenig bekannte Historiker ist bemüht, Charakter und Politik des Konstantin zu rechtfertigen.. Das Ungemach, welches aus falschen Maßegeln erwächst, wird durch gelegentliche Strenge nicht wettgemacht; und obgleich spätere Herrscher sich redlich Mühe gaben, Schlagkraft und Stärke der Grenztruppen wiederherzustellen, hatte das Imperium bis zum letzten Augenblicke seiner Auflösung an der tödlichen Verletzung zu leiden, die ihr Constantins Hand aus Übereilung oder Schwäche zugefügt hatte.

 

CONSTANTIN VERKLEINERT DIE LEGIONEN

Die gleiche furchtsame Politik, nämlich das zu teilen, was zusammengehört, das zu verkürzen, was hervorragt, jede tätige Kraft zu fürchten und zu hoffen, dass der Schwächste sich als der Gehorsamste erweisen werde, scheint die Richtschnur des Handelns vieler Herrscher gewesen zu sein und ganz besonders die des Constantin. Der martialische Stolz der Legionen, deren siegreiche Feldlager sooft Schauplatz von Rebellionen gewesen waren, nährte sich mittlerweile nur noch von der Erinnerung an frühere Heldentaten und von dem Bewusstsein seiner gegenwärtigen Stärke. Solange sie ihre hergebrachte Stärke von sechstausend Mann beibehielten, stellten sie unter Diocletians Herrschaft, jede für sich allein, ein sichtbares und wichtiges Stück Militärgeschichte des römischen Reiches dar. Einige Jahre spätere waren diese gewaltigen Truppenkörper zu bescheidener Größe geschrumpft; und als sieben Legionen die Stadt Amida gegen die Perser verteidigten, war die ganze Garnison, einige Hilfstruppen, die Einwohner beiderlei Geschlechts und die Bauern aus den umliegenden Ländereien mitgerechnet, nicht mehr als zwanzigtausend Personen stark. Ammianus Marcellinus (19,2) erzählt, dass die verzweifelten Ausfälle von zwei gallischen Legionen die Wirkung hatten, als ob man eine Handvoll Wasser in einen Großbrand geschüttet hätte. Aus dieser Tatsache und weiteren ähnlichen Beispielen können wir klärlich ablesen, dass die Voraussetzungen, auf denen die Kampfkraft und die Disziplin der Legionen zumindest teilweise beruhten, durch Constantin geschwächt wurden; und dass die Kampfverbände der römischen Infanterie, die immer noch den gleichen Namen und das gleiche Ansehen besaßen, nur noch aus eintausend bis fünfzehnhundert Mann bestanden. Pancirolus ad Notitiam, p. 96. Mémoires de l'Académie des Inscriptions, Band 25, p. 491. Eine Verschwörung so vieler isolierter Abteilungen, deren jede sich ihrer eigenen Schwäche durchaus mit Schrecken bewusst war, konnte problemlos in Schach gehalten werden; und die Freude der Nachfolger Constantins an der großen Geste mochte ihr Genüge darin finden, an einhundertzweiunddreißig Legionen Befehle ergehen zu lassen, deren Namen auf den Musterrollen ihrer Kriegsheere verzeichnet waren. Der Rest ihrer Truppen war auf einige hundert Infanteriekohorten und Kavallerieschwadrone verteilt. Ihre Waffen, Titel und Ehrenzeichen sollten Erschrecken verbreiten und die Vielzahl der Nationen zur Geltung bringen, die unter der kaiserlichen Standarte marschierten. Und nichts mehr war übrig geblieben von jener ernsten Schlichtheit, wodurch sich in den Tagen der Freiheit die Linieninfanterie der Römer von den unsortierten Haufen eines asiatischen Monarchen unterschieden hatte. ›Romana acies unius prope formae erat et hominum et armorum genere. – Regia acies varia magis multis gentibus dissimilitudine armorum auxiliorumque erat.‹ [Die Römische Schlachtreihe war hinsichtlich der Krieger und ihrer Bewaffnung nahezu einheitlich]. – Die königliche Schlachtreihe war bedeutend buntscheckiger wegen der verschiedenen Völker und Hilfsvölker und deren Bewaffnung.) Livius 37, 39 und 40. Flaminius selbst hatte unmittelbar vor dem Treffen die Armee des Antiochos mit einer Mahlzeit verglichen, bei dem das Fleisch eines minderen Tieres durch tüchtige Köche ganz unterschiedlich bereitet wird. Siehe auch Plutarch, Leben des Flaminius. Eine noch mehr ins Einzelne gehende Aufzählung, die man aus den notitia gewinnen könnte, ist gewiss der Aufmerksamkeit eines Altertumsforschers würdig; für einen Historiker möge die Feststellung genügen, dass an den Grenzen des Imperiums insgesamt fünfhundertdreiundachtzig feste Garnisonen eingerichtet waren; und dass ferner unter den Nachfolgern des Constantin die Gesamtstärke aller militärischen Einrichtungen mit sechshundertfünfundvierzigtausend angegeben wird. Agthias, Buch 5, p. 157. Welche Anstrengung die Bedürfnisse der Vergangenheit ebenso weit übertraf wie die Kräfte der Zukunft.

 

FREIWILLIGE GESUCHT

Armeen werden je nach Zustand einer Gesellschaft aus den unterschiedlichsten Gründen rekrutiert. Barbaren verlangt es nach Kämpfen; die Bürger einer freien Republik mögen dem Ruf der Pflicht folgen; die Untertanen oder zumindest den Adel in einer Monarchie treiben Ehre und Gewissen; die furchtsamen und luxusverwöhnten Bewohner eines untergehenden Staatswesens indessen müssen zum Dienst durch die Aussicht auf Gewinn gelockt oder durch Furcht vor Strafe genötigt werden. Der römische Staatsschatz war durch zunehmende Zahlungen erschöpft, wiederholter Donative oder der Erfindung neuer Vergütungen und anderer Zugeständnisse halber, welche nach Auffassung der ländlichen Jugend für Härten und Fährnisse des militärischen Lebens aufkommen mussten.

Obwohl die Anforderungen an die Körpergröße herabgesetzt wurden, Valentinian (Codex Theodosianus 7,13,3) setzt die Standartgröße eines Soldaten auf fünf Fuß sieben Zoll fest, was im englischen Maß fünf Fuß viereinhalb Zoll sind: Früher waren es fünf Fuß zehn Zoll gewesen, und in den Elitetruppen sechs römische Fuß. ›Sed tunc erat amplior multitudo, et plures militiam sequebantur armatam.‹ [Doch dann war die Zahl größer, und immer mehr folgten den Waffen]. Vegetius de Re Militari, 1,5. obwohl sogar Sklaven stillschweigend in der Musterrolle geduldet wurden, nötigten die unüberwindlichen Schwierigkeiten bei der Anwerbung von Freiwilligen die Kaiser zu effektiverer und nachdrücklicherer Vorgehensweise. Das Landgut, welches man den Veteranen als Belohnung für treue Dienste überlassen hatte, wurden ihnen künftig unter Bedingungen überlassen, die bereits Züge des Lehnswesens trugen; dass nämlich ihre Söhne, wenn sie denn ihre Erbschaft antreten wollten, sich beim Eintritt in das Mannesalter dem Waffendienst widmen müssten; feige Weigerung sollte mit Verlust der Ehre, des Vermögens, ja sogar des Lebens bestraft werden. Vergleiche hierzu die beiden Abschnitte De Veteranis und De Filiis Veteranorum im 7. Buch des Codex Theodosianus. Das Alter für den Eintritt in den Militärdienst variiert zwischen 16 und 25 Jahren. Kamen die Söhne der Veteranen mit einem Pferd, so hatten sie das Recht, in der Kavallerie zu dienen; zwei Pferde mehrten ihre Vorrechte beträchtlich. Da nun aber der jährliche Nachschub von Veteranensöhnen klein war im Verhältnis zum Bedarf der Armee, wurde auch in den Provinzen ausgehoben, und jeder Grundbesitzer war verpflichtet, entweder selbst zu den Waffen zu eilen, für einen Ersatzmann zu sorgen oder sich durch beträchtliche Abgaben freizukaufen. Die Summe von zweiundvierzig Goldstücken, auf die sie vermindert wurden, zeigt, wie teuer Freiwillige waren und wie widerstrebend sich die Regierung auf diesen Handel einließ. Codex Theodosianus 7,13,7. Nach Angaben des Historikers Sokrates verlangte derselbe Kaiser Valens achtzig Goldstücke für einen Rekruten. Im nachfolgenden Gesetz wird leise angedeutet, dass Sklaven nicht zugelassen werden sollen ›inter optimas lectissimorum militium turmas.‹ (in die besten Schwadrone mit Elitesoldaten.) So entsetzlich war mittlerweile der Soldatenberuf den degenerierten Römern geworden, dass viele Jugendliche Italiens und der Provinzen es vorzogen, sich die Finger der rechten Hand abzuschneiden, um auf diese Weise nicht zum Dienst gepresst werden zu können. Und dieses unheimliche Auskunftsmittel war so allgemein verbreitet, dass es die Ahndung des Gesetzes Ein römischer Ritter, der seine beiden Söhne so verstümmelt hatte, wurde mitsamt seinem Eigentum in einer öffentlichen Auktion unter Augustus versteigert. (Sueton, Augustus 27) Das sonst kalkuliert milde Auftreten dieses Herrschers beweist, dass diese Strenge eine Verbeugung vor dem Zeitgeist war. Ammianus (15,12) unterscheidet zwischen den verweichlichten Italienern und den grobgekörnten Galliern. Indessen schärft 15 Jahre später Valentinian in einen Gesetz dem Präfekten von Gallien ein, dass solche feigen Deserteure lebendig verbrannt werden sollten (Codex Theodosianus 7,13,5). In Illyrien waren es so viel, dass hier Rekruten fehlten (a.a.O., 7,13,10). hervorrief und eine spezielle Bezeichnung in der lateinischen Sprache zur Folge hatte. Sie wurde murci genannt. Murcidus findet man bei Plautus und Festus und kennzeichnet einen trägen und feigen Charakter, welcher nach den Angaben von Arnobius und Augustinus unter dem unmittelbaren Schutz der Gottheit Murcia stand. Wegen dieses besonderen Beispiels von Feigheit wird murcare von mittellateinischen Autoren als Synonym für mutilare (verstümmeln) gebraucht. Siehe Lindenbrog und Valesius zu Ammianus Marcellinus 15,12. So wurde die Aufnahme der Barbaren in die römische Armee mit jedem Tage allgemeiner, notwendiger, aber auch verhängnisvoller.

 

HILFSTRUPPEN DER BARBAREN ANGEWORBEN

Die kühnsten Skythen, Goten und Germanen, die an dem Kriegshandwerk ihre Freude hatten und die es für lohnender erachteten, eine Provinz zu verteidigen als sie zu plündern, wurden in die Musterrollen der Hilfstruppen ihrer Nationen eingetragen, aber auch in die der Legionen und sogar noch in die der vornehmsten palatini. Da sie mit den Untertanen des Reiches ungehinderten Austausch pflegten, lernten sie schon bald deren Gebräuche zu verachten und deren Kunstgriffe zu schätzen. Sie legten die blinde Verehrung ab, welche sie der Größe Roms in ihrer Arglosigkeit gezollt hatten und erwarben zugleich die Kenntnis und den Besitz jener Überlegenheit, mit der Rom allein seine schwindende Größe noch abstützte. Der Barbarenkrieger, welcher nur irgendeine Probe von militärischem Talent ablegte, rückte ausnahmslos in höchste Kommandostellen vor; und die Namen der Tribunen, der comes und duces und selbst noch der Generäle verrieten ausländische Herkunft, die zu verbergen sie sich indessen keineswegs mehr bereit fanden. Ihnen wurde oft sogar die Führung eines Krieges gegen die eigenen Landsleute anvertraut; und wenn die meisten von ihnen auch eher auf die Stimme der Pflicht hörten als die des Blutes, wurden sie zuweilen eben doch verdächtigt, mit dem Feinde gemeinsame Sache zu machen, ihn zur Invasion nachgerade einzuladen oder ihm beim Rückzug nicht allzu heftig zuzusetzen.

Lager und Palast wurden durch die mächtige Partei der Franken beherrscht, die untereinander und zu ihrem Land die unbedingteste Treue bewahrten und die jede persönliche Unbill als eine nationale Schmach verübelten. ›Malarichus – adhibitis Francis quorum ea tempestate in palatio multitudo florebat, erectius iam loquebatur tumultuabaturque.‹ [Da Malarichus im Gefolge viele Franken hatte, die in jenen Zeiten am Hofe mächtig waren, sprach er schon mal ein aufrechtes Wort und schlug auch sonst Lärm]. Ammianus Marcellinus, 15,5. Als der Tyrann Caligula im Verdacht stand, einem ganz und gar außergewöhnlichen Kandidaten zum Konsul zu ernennen, hatte diese Ungeheuerlichkeit kaum weniger Überraschung hervorrufen können, als wenn er anstelle des von ihm erwählten Pferdes einen der edelsten germanischen oder britannischen Stammeshäuptlinge zum Gegenstande seiner Wahl gemacht hätte. Drei Jahrhunderte hatten die Vorurteile des Volkes so stark umgestaltet, dass Constantin unter öffentlichem Beifall seinen Nachfolgern ein Beispiel geben konnte und Barbaren die Konsulwürde übertrug, welche durch Verdienst und Tüchtigkeit beanspruchen durften, unter die ersten Römer gezählt zu werden. ›Barbaros omnium primus, ad usque fasces auxerat et trabeas consulares.‹ [Als erster von allen hat er die Barbaren zur Würde der Fascen und des Konsulmantels erhoben]. Ammian. 21,10. Eusebios (Vita Constantini 27) und Aurelius Victor scheinen den Vorgang zu bestätigen; aber in den 32. Konsularfasti der Regierung von Konstantin entdecke ich keinen einzigen barbarischen Namen. Ich würde dem Herrscher daher nur hinsichtlich der Schmuckfunktion des Konsulates Großzügigkeit attestieren, nicht hinsichtlich des Amtes als solchem. Da nun aber diese rauen Veteranen, erzogen in der Unkenntnis oder sogar zur Verachtung der Gesetze, außerstande waren, Zivilangelegenheiten zu besorgen, wurden die Möglichkeiten des menschlichen Geistes verkürzt, da Talent und Tätigkeit unüberbrückbar geschieden waren: die Bürger der griechischen und römischen Republiken, die imstande waren, selbst den Erfordernissen des Gerichts, des Senates, des Militärs oder der Gelehrsamkeit gerecht zu werden, hatten zu schreiben, zu reden und zu handeln gelernt, mit immer gleichem Geist, mit immer gleichem Vermögen.

 

DIE SIEBEN PALASTMINISTER

IV. Neben den Magistraten und Generälen, welche in einiger Entfernung vom Hofe die ihnen übertragene Macht in den Provinzen und Armeen exekutierten, übertrug der Kaiser auch noch auf sieben ihm direkt unterstellte Diener den Titel illustri, Diener, deren Treue er seine persönliche Sicherheit, seine Meinung und sein Schatulle anvertraute. 1. Die Privatgemächer des Palastes unterstanden der Obhut eines Eunuchen seiner Gunst, einem Kämmerer, welcher in der Sprache jener Zeiten der praepositus oder Präfekt des heiligen Schlafzimmers betitelt wurde. Es gehörte zu seinen Pflichten, den Kaiser bei offiziellen Staats-Auftritten oder in seinen Mußestunden zur Hand zu sein und überhaupt um seine Person jene kleinen Dienste zu verrichten, die ihre Bedeutung lediglich aus der Person des königlichen Herren ziehen. Unter einem Herrscher, der ernsthaft zu regieren gewillt war, war der erste Kammerdiener (denn so können wir ihn auch nennen) ein nützlicher und ergebener Domestike; aber ein anschlägiger Diener, der jeden Augenblick entspannter Vertraulichkeit auszubeuten versteht, wird über ein schwaches Gemüt unmerklich jenen Einfluss gewinnen, den strenge Weisheit und unbeugsame Tugend nur selten einnehmen. Die verkommenen Enkel eines Theodosius, die ihren Untertanen unsichtbar und ihren Feinden erbärmlich waren, erhoben die Vorsteher ihres Schlafgemaches über alle anderen Minister des Palastes; Codex Theodosianus 6,8. und noch ihre Stellvertreter, die als die ersten galten unter den Sklaven seiner Umgebung, erfreuten sich eines höheren Ansehens als die respectabiles Prokonsuln Griechenlands oder Asiens. Die Rechtsprechung des Kammerdieners wurde von den beiden comes oder Superintendenten anerkannt, welche die wichtigen Ämter des kaiserlichen Kleiderbesorgers und der Aufsicht über das Tafelgeschirr versahen. Mit einer sonderlichen, dem kriegerischen Gemüte der ersten Kaiser geschuldeten Metapher erhielt der Haushofmeister den Titel comes castrenensis (Verwalter des Lagers). Cassiodor, Variae, Epistula 9. stellt ihm eindringlich vor, dass sein eigenes Ansehen und das des Reiches wesentlich von dem Eindruck abhingen, den die Üppigkeit und der Glanz der kaiserlichen Tafel bei ausländischen Gesandtschaften hervorriefen.

2. Die eigentliche Besorgung öffentlicher Angelegenheiten lag in der Hand des magister officiorum Gutherius (de Officiis Domus Augusta, 2,20, und 3) hat die Aufgaben dieses magister officiorum sowie die seiner nachgeordneten scrinia mit Genauigkeit erörtert. Aber ganz vergeblich versucht er unter Berufung auf höchst zweifelhafte Gewährsleute den Ursprung dieser Ämter in die Zeit der Antonine oder sogar Neros zu verlegen, die doch für die Zeit vor Constantin historisch nicht nachgewiesen werden können. [›Vorsteher der Geschäfte‹A.d.Ü.]. Er war der oberste Palastbeamte, führte Aufsicht über die zivilen und militärischen Schulen, und aus allen Teilen des Reichs ergingen Petitionen an ihn; und zwar für solche Fälle, die im Zusammenhang mit der Heerschar der Privilegierten standen, welche als Hofbedienstete für sich und ihre Familien das Recht in Anspruch nehmen durften, die Urteile gewöhnlicher Richter abzulehnen. Der Kontakt zwischen Herrscher und Untertanen wurde durch die vier scrinia oder Staatsminister geregelt. Der erste war zuständig für Denkschriften, der zweite für die Korrespondenz, der dritte für Gesuche und der vierte für Schriftstücke und Erlasse vermischten Inhalts. Ein weisungsgebundener Vorsteher mit der Würde respectabilis führte den jeweiligen Geschäftsbereich, und die eigentliche Arbeit wurde von einhundertvierundachtzig Sekretären ausgeführt, welche größtenteils Rechtskundige waren infolge der Vielfalt von Rechtstiteln in den Berichten und Schriftstücken, welche ihnen im Verlaufe ihrer Tätigkeit begegneten. Auch gab es noch infolge eines besonderen Gunsterweises, zu dem in früheren Zeiten die römische Majestät sich nicht verstanden hätte, einen besonderen Sekretär für griechische Sprache; es waren Dolmetscher für die verschiedenen Gesandtschaften aus Barbarenländern angestellt; indessen gelangte das Ministerium für Auswärtiges, das doch in der Gegenwart eine so eminente Rolle spielt, nur selten in den Bereich der persönlichen Wahrnehmung des magister officiorum. Er war wesentlich befasst mit der richtigen Anlage von Stützpunkten und Waffenarsenalen. Vierunddreißig Städte, fünfzehn im Osten und neunzehn im Westen beschäftigten ganze Kompanien von Handwerkern, die nur damit beschäftigt waren, Angriffs- und Verteidigungswaffen aller Art und Militärmaschinen herzustellen, welche dann in den Arsenalen untergebracht oder an die Truppen ausgeliefert wurden.

3. Im Laufe von neun Jahrhunderten hatte das Amt des quaestor manche Veränderung erfahren. Tacitus (Annalen 11.22) sagt, die ersten Quästoren wurden 64 Jahre nach Gründung der Republik vom Volk gewählt; aber er meint, dass sie bereits vorher durch die Konsuln und sogar die Könige jährlich ernannt wurden. Indessen wird diese merkwürdig frühe zeitliche Festlegung von anderen Autoren bestritten. In der Kindheit Roms wurden jährlich zwei Subalternbeamte gewählt, die den Konsuln das widrige Geschäft der Finanzverwaltung abnehmen sollten; jeder Prokonsul erhielt einen ähnlichen Gehilfen, sowie jeder Prätor, welcher ein Militärkommando oder eine Provinz innehatte; zusammen mit den Eroberungen vergrößerte sich auch die Zahl der zwei Quästoren auf vier, acht, zwanzig und für kurze Zeit sogar auf vierzig; Tacitus (Annalen 11,22) scheint als höchste Zahl für Quästoren 20 anzunehmen; Cassius Dio 43,47 legt nahe, dass, falls denn der Diktator Caesar einst 40 ernannt habe, dieses nur deshalb geschehen sei, um seine gewaltige finanzielle Dankesschuld abtragen zu können. Die Vermehrung der Prätorstellen blieb auch unter den folgenden Herrschern bestehen. und die ehrbarsten Bürger strebten dieses Amt an, welches ihnen die berechtigte Hoffnung auf einen Senatssitz und auf die Ehrenstellen der Republik eröffnete.

Während Augustus sich bemühte, die Fiktion einer freien Wahl aufrecht zu erhalten, stimmte er doch in das Privileg darein, jährlich eine bestimmte Anzahl von Kandidaten vorzuschlagen oder besser: zu nominieren; auch war es eine seiner Gepflogenheiten, einen dieser bevorzugten Jünglinge dadurch auszuzeichnen, dass er dessen Reden oder Briefe im Senat verlesen durfte. Sueton, Augustus 65 und Torrentius zu Cassius Dio, p.755. Die nachfolgenden Herrscher eiferten Augustus in diesem Punkte nach; aus der gelegentlichen wurde eine dauerhafte Einrichtung; und der so bevorzugte Quaestor, der auf diese Weise zu neuen und höheren Ehren kam, überlebte so als einziger die Unterdrückung seiner alten und überflüssig gewordenen Kollegen. Die Jugend und Unerfahrenheit der Quästoren, die in ihrem fünfundzwanzigsten Lebensjahr in dieses wichtige Amt eintraten (Lipsius, Excursus zu Tacitus, Annales 3), vermochten Augustus sie aus der Verwaltung der Staatsfinanzen abzuziehen; und obwohl sie unter Claudius wieder zu Ehren kamen, scheint sie Nero endgültig abgeschafft zu haben (Tacit. Annal. 13, 29. Sueton, Augustus 36, Claudius, 24. Cassius Dio, 53,2 und 60,24 etc. Plinius, Epistulae 10,20 et alibi). In den Kaiserprovinzen wurde die Stelle der Quästoren besser durch den Prokurator (Cassius Dio, p. 707; Tacitus, Agricola15) oder, wie man sie später nannte, die rationales (Historia Augusta, Alexander Severus 45f) ausgefüllt. In den Senatsprovinzen können wir noch bis in die Regierungszeit des Marcus Antoninus Quästoren finden (Gruter, Inscriptiones, die Briefe des Plinius und eine entscheidende Tatsache in der Historia Augusta, Alexander Severus 2). Von Ulpian (Pandekten 1,13) können wir lernen, dass unter der Herrschaft des Severerhauses die Provinzialverwaltung abgeschafft wurde; und im Verlauf der anschließenden Unruhen wurde die ein- oder dreijährige Quästorenwahl naturgemäß aufgegeben. Da die Reden, die er im Namen des Kaisers Cum patris nomine et epistolas ipse dictaret, et edicta conscriberet, orationesque in senatu recitaret, etiam quaestoris vice [Er diktierte im Namen seines Vater selbst Briefe, entwarf Erlasse, trug im Senat Reden an Stelle des Quaestors vor]. Sueton, Tiberius 6. Dieses Amt muss zu neuen Würden gekommen sein, da es gelegentlich vom vorgesehenen Reichserben ausgeübt wurde. Traian übertrug dasselbe Amt auf Hadrian, seinen Quästor und Vetter. Siehe Dodwell, Praelectiones, c.10 und 11, p. 362-394. abfasste, irgendwann die Geltung und endlich die Gestalt unwiderruflicher Erlasse annahmen, wurde er als das Sprachorgan der Legislative angesehen, das Staats-Orakel der Ratsversammlung und die reine Quelle der Rechtsgelehrsamkeit. Er wurde oft eingeladen, im obersten richterlichen Entscheidungsgremium des kaiserlichen Staatsrates mitzuwirken, zusammen mit den Reichspräfekten und dem magister officium. Und oft wurde er gebeten, Zweifelsfälle der Vorinstanzen zu beheben; da er indessen nur wenig mit den unterschiedlichen Nebengeschäften befasst war, konnte er seine Muße und sein Talent daran verwenden, jene erhabene Eloquenz zu kultivieren, welche trotz ihrer Verderbnis von Geschmack und Sprache immer noch die Würde des römischen Rechtes ausmachte. ...terris edicta daturus;/Supplicibus responsa, venis./Oracula regis Eloquio crevere tuo; nec dignius unquam /Majestas meminit sese Romana locutam [...den Ländern Edikte zu geben und den Flehenden Gnadenerlasse, bist du gekommen...Die Orakel des Herrschers gewannen durch deine Beredsamkeit; es hatte niemals noch Roms Majestät nach eigenem Erinnern edler gesprochen]. Claudianus, de Consulatu Mallii Theodori 33-37. Siehe auch Symmachus, Epistula 1,17 und Cassiodorus, Variae, 6, 5. In mancher Hinsicht kann das Amt des kaiserlichen Quästoren mit dem eines modernen Kanzlers verglichen werden; aber das Große Staatssiegel, welches unter illiteraten Barbaren aufgekommen zu sein scheint, war niemals in Gebrauch gewesen, die öffentlichen Verfügungen der Kaiser zu bekräftigen.

4. Der hochtrabende Titel eines comes sacrarum largitionum wurde dem Generalschatzmeister verliehen, wodurch wohl angedeutet werden sollte, dass jede Zahlung der Freigebigkeit des Herrschers zu danken sei [Largitio: Freigebigkeit Überfluss. A.d.Ü.]. Die nachgerade unendlichen Einzelheiten der jährlichen und täglichen Zahlungen der Zivil- und Militärverwaltung dieses Riesenreiches zu erfassen würde die Möglichkeiten auch der ausschweifendsten Phantasie übersteigen. Die eigentliche Buchführung beschäftigte einige Hundert auf elf verschiedene Geschäftsbereiche verteilte Personen, welche auf sinnreiche Weise die jeweiligen Verrichtungen überprüften und kontrollierten. Diese Mitarbeiter hatten die naturgewollte Neigung zur Selbstvermehrung; und mehr als einmal hatte man daran gedacht, die Nutzlos-überzähligen in ihre Heimat zu entlassen, welche dort ihre ehrsame Arbeit aufgegeben hatten und sich allzu eifrig nach dem einträglichen Beruf des Finanzbeamten gedrängt hatten. Codex Theodosianus 6,30; Codex Iustinianus 12,24. Neunundzwanzig Steuereinnehmer in den Provinzen, von denen achtzehn den Titel eines comes innehatten, standen mit dem Generalschatzmeister in Verbindung; und er führte die Oberaufsicht über die Minen, in welchen das Edelmetall gewonnen wurde, über die Münze, in der es zu Kurrentwährung geschlagen wurde und über die Schatzhäuser der meisten Großstädte, in denen sie zum Nutzen des Staates aufbewahrt wurden. Auch der Außenhandel unterstand diesem Minister, sowie die Leinen- und Wollmanufakturen, in welchen zumeist von Frauen aus dem Sklavenstande für den Palast und die Armee gesponnen, gewoben und gefärbt wurde. Sechsundzwanzig solcher Stätten werden für den Westen genannt, wo Handwerkskünste erst vor kurzem eingeführt waren, während man für den Osten eine noch größere Zahl veranschlagen kann. Der Teil der notitia, welcher den Osten betrifft, ist hinsichtlich des Wirkens der beiden Schatzmeister äußerst lückenhaft. Es sei angemerkt, dass es in London ein Schatzhaus gab sowie ein gyneceum (Manufaktur) in Winchester. Einer eigenen Prägestätte oder eines Arsenals hielt man Britannien nicht für würdig. Allein Gallien hatte drei der Erst- bzw. acht der Letztgenannten.

5. Neben dem Steueraufkommen, das ein absoluter Monarch nach Belieben erheben und ausgeben kann, besaßen die Kaiser in ihrer Eigenschaft als wohlhabende Staatsbürger auch noch ein umfängliches Privatvermögen, welches durch ihre Schatzmeister der Schatulle im Range eines comes verwaltet wurde. Einiges davon war wohl schon seit Alters königlicher Besitz oder Staatsdomäne gewesen; einiges stammte auch von Familien, in denen der Purpur erblich gewesen war; das meiste aber floss aus der trüben Quelle von Konfiskationen und Besitzverfall. Der kaiserliche Besitz lag über die Provinzen verstreut, von Mauretanien bis nach Britannien; aber der reiche und fruchttragende Boden Kappadokiens verführte den Monarchen, sich in dieser Provinz sein schönstes Stück Land zu nehmen, Codex Theodosianus 6,30,2 und noch Gothofredus. und so war Constantin oder einer seiner Nachfolger nicht blöde, ihre Habgier mit einem religiösen Mäntelchen zu behängen. Sie machten Schluss mit dem reichen Tempel von Comana, wo der Hohepriester der Kriegsgottheit sich wie ein regierender Herrscher aufführte; sie verleibten das geheiligte Land ihrem Privatbesitz ein, welches von sechstausend Einwohnern oder Sklaven der Gottheit und ihrer Diener bewohnt wurde. Strabo, Geographie 12,, p.809, Der andere Tempel von Comana im Pontus war eine Pflanzung desjenigen von Kappadokien (12, p 825). Herr Des Brosses vermutet (Salluste, Bd. 2, p.21), dass die Gottheit, die in den beiden Comanas angebetet wurde, Beltis war, die Venus des Ostens, die Göttin der Zeugung. Eine in der Tat eine vom Wesen einer Kriegsgöttin deutlich verschiedene Daseinsform.

Aber diese Einwohner machten nicht den eigentlichen Wert aus; die Ebene, die sich vom Argaeus-Berg bis zum Ufer des Sarus erstreckt, brachte eine wertvolle Pferderasse hervor, die in der Antike vor allen anderen berühmt war für ihren eleganten Körperbau und ihre unvergleichbare Schnelligkeit. Diese heiligen Tiere, die für den Palastdienst vorgesehen waren sowie für die kaiserlichen Spiele, waren durch Gesetz vor der Profanisierung durch einen gewöhnlichen Besitzer geschützt. Codex Theodosianus 10,6, de grege dominico. Gothofred hat alles zusammengetragen, was aus der Antike über die Pferde Kappadokiens zu erfahren war. Eines der schönsten Rassen, die Palmatische, stammte aus dem eingezogenen Besitz eines Rebellen, dessen Gestüt etwa sechzehn Meilen von Tyana entfernt lag, in der Nähe der großen Straße von Konstantinopel nach Antiochia. Die Besitz in Kappadokien war wichtig genug, ihn von einem comes verwalten zu lassen; Justinian (Novellae 30) entzog die Verwaltung der Provinz dem comes von Kappadokien und unterstellte sie unmittelbar dem Eunuchen des heiligen Schlafgemaches. in anderen Teilen des Gebietes waren Offiziere von untergeordnetem Range stationiert; und die Bewahrer des privaten wie des Staatsschatzes wurden in der Ausübung ihrer unabhängigen Funktion beibehalten und dazu ermutigt, die Autorität der Provinzmagistrate zu überwachen. Codex Theodosianus 6,30.4ff.

6. und 7. Die handverlesenen Infanterie- und Kavallerietruppen, die die Person des Kaisers schützten, unterstanden den beiden comes domesticorum (Aufseher über die Hausbediensteten). Es waren ihrer insgesamt dreitausendfünfhundert, die auf sieben Banden oder Abteilungen verteilt waren, jede zu je fünfhundert Mann; und im Osten oblag dieser ehrenvolle Dienst fast ausschließlich den Armeniern. Wann immer sie bei festlicher Gelegenheit in den Höfen und Porticos des Palastes aufzogen, demonstrierten sie mit ihren kräftigen Körpern, ihrer ruhig-besonnenen Ordnung und dem glänzenden Silber- und Goldgewaff einen militärischen Pomp, Pancirolus, p.102 und 136; der Aufzug dieser Haus-Truppen wird in dem lateinischen Gedicht des Corippus, de laudibus Iustiniis 3, 157-179 im Appendix Historiae Byzantinae, Rom 1777 geschildert. der der römischen Majestät wohl anstehen mochte. Aus diesen sieben Abteilungen wurden durch einen protector zwei Kompanien zu Pferde und zu Fuß zusammengestellt, deren Vorzugsstellung die Hoffnung und die Auszeichnung besonders verdienter Soldaten war. Sie bezogen Posten im Inneren des Palastes, und gelegentlich wurden sie in die Provinz entsandt, um mit Nachdruck und ohne Verzug die Anordnungen ihres Herren zu exekutieren. Ammianus Marcellinus, der so viele Jahre diente, hatte lediglich den Rang eines protector [›Soldat von der Leibwache.‹] inne. Die ersten zehn dieser Elitesoldaten führten den Titel clarissimi. Diese Aufseher der Hausbediensteten folgten den Prätorianerpräfekten in deren Amt; und wie die Präfekten trachteten auch sie in ihrem Palastdienst nach einem Armeekommando.

 

DIE AGENTEN ODER AMTLICHEN DENUNZIANTEN

Der beständige dienstliche Austausch zwischen Hof und Provinzen wurde durch das Fernstraßennetz und die festen Stationen wesentlich erleichtert. Indessen: diese segensreichen Einrichtungen wurden wie von ungefähr auf verderbliche und unerträgliche Weise missbraucht. Zwei- bis dreihundert Agenten oder Boten, die dem magister officiorum unterstellt waren, waren eigens damit beschäftigt, die Namen der Jahreskonsuln, die Edikte und die Siege des Kaisers zu verkünden. Unmerklich erweiterte sich ihre Tätigkeit auch dahin, dass sie alles das zu berichten wussten, was sie von dem Verhalten der Magistrate oder einzelner Bürger in Erfahrung gebracht hatten; und schon bald nannte man sie nur noch die Augen des Herrschers Xenophon, Kyrupaideia 8; Brisson, de regno Persarum 1, Nr.190, p.264. Die Kaiser nahmen sich dieser persischen Metapher mit Vergnügen an. und die Heimsuchung des Volkes. Unter dem förderlichen Einfluss eines schwachen Regimes wuchs ihre Zahl auf unfassbare Zehntausend; sie scherten sich nicht weiter um die gesetzlichen Beschränkungen und übten sich bei der einträglichen Verwaltung der Stationen in räuberischer und dreister Erpressung. Diese Spione von Amts wegen, die eine regelmäßige Korrespondenz mit dem Hof pflegten, wurden durch Gunsterweise und Belohnungen dazu ermutigt, ängstlich-sorgsam auf jedes Anzeichen für verräterische Umtriebe zu achten, angefangen bei schwächlichen Unmutsbekundungen bis hin zu handfesten Vorbereitungen einer offenen Revolte. Ihr sorgloser oder sogar krimineller Umgang mit der Wahrheit und dem Recht wurde mit dem Mäntelchen heiligen Diensteifers behängt; und so schossen sie ihre Giftpfeile unterschiedslos auf den Schuldigen oder den Unschuldigen, an welchem sie sich vielleicht nur geärgert hatten oder der sich geweigert hatte, sich ihr Schweigen zu erkaufen. Ein treuer Untertan, etwa aus Syrien oder Britannien, war so der Gefahr ausgesetzt, in Ketten zum Hof von Mailand oder Konstantinopel verschleppt zu werden, um sein Leben und Vermögen gegen die heimtückisch Anklagen dieser privilegierten Denunzianten zu verteidigen. Die normale Verwaltung griff bei solcher Gelegenheit zu Methoden, die sich allenfalls durch äußerste Notlagen rechtfertigen lassen; und was an Beweisen fehlte, lieferte die Folter nach. Zu den ›Agentes in rebus‹ siehe Ammianus 15,3; 16,5; 22,7, nebst den unterhaltsamen Anmerkungen des Valesius. Codex Theodosianus 17, 27-29. Unter den von Gothofred gesammelten Passagen ist die eine aus dem Libanius in seinem Diskurs über den Tod Iulians.

 

KRIMINALJUSTIZ UND FOLTER

Das falsche und gefahrenreiche Mittel der peinlichen quaestio [›Befragung‹], wie es ausdrücklich genannt wurde, wurde in die römische Rechtskunde übernommen, wenn auch nicht eben gutgeheißen. Man wandte dieses blutrünstige Verfahren denn auch nur gegenüber Sklaven an, deren Leiden jene hochfahrenden Republikaner nur selten auf die Waage des Rechtes und der Humanität legten: aber niemals hätten sie sich dareingefunden, an die geheiligte Person eines Bürgers Hand zu legen, solange sie nicht die eindeutigsten Schuldbeweise in der Hand gehabt hätten. Die Pandekten (48,18) enthalten die Überlegungen der angesehensten Rechtsanwälte über die Folter. Sie wollen sie mit Bestimmtheit nur auf Sklaven angewandt wissen; und Ulpian selbst erkennt an, dass Res est fragillis, et periculosa, et quae veritatem fallat.‹ [...die Sache unzuverlässig und gefährlich ist und die Wahrheit verschleiert.] Die Annalen der Tyrannei, beginnend mit Tiberius und endend mit Domitian, nennen ungezählte Fälle von Hinrichtungen Unschuldiger; aber solange der Schatten einer Erinnerung an die Freiheit und die Ehre der Nation lebte, war ein Römer bis zu seiner letzten Stunde sicher vor der Gefahr schändlicher Folter. In der Verschwörung des Piso gegen Nero war Epicharis, eine ›libertina mulier‹ [Freigelassene], die einzige Person, welche gefoltert wurde; alle anderen waren ›intacti tormentis‹ [von Foltern unberührt]. Ein schwächeres Beispiel hinzuzufügen wäre überflüssig, eine stärkeres zu finden schwierig. Tacitus, Annalen 15,57.

Die Magistrate der Provinzen waren jedoch in ihrem Handeln nicht an die Vorgaben der Stadt gebunden oder an die Grundsätze von Rechtsgelehrten. Sie sahen, dass die Folter eingeführt war, und zwar nicht nur unter den Sklaven in einer orientalischen Despotie, sondern auch unter den Makedoniern, welche einem abhängigen König gehorchten, unter den Rhodiern, welche eine Wirtschaftsmacht darstellten und sogar unter den besonnenen Athenern, die doch immer für Menschenwürde eingestanden hatten. ›Dicendum . . . de institutis Atheniensium, Rhodiorum, doctissimorum hominum, apud quos etiam (id quod acerbissimum est) liberi, civesque torquentur.‹ Es ist zu reden von der Einrichtung der Athener und Rhodensier, äußerst gebildeter Männer, bei den ebenfalls (was am schlimmsten ist) Freie und Bürger gefoltert werden. Cicero, Partititiones Oratoriae 34. Aus dem Prozess gegen Philotas können wir diese Übung bei den Makedoniern kennen lernen. Diodoros Siculus 17; Curtius Rufus 6,11. Die Fügsamkeit der Provinzbewohner ermutigte die Statthalter, die Folter nach eigenem Gutdünken einzusetzen oder besser: ihren Gebrauch sich anzumaßen, um aus Verbrechern oder Übeltätern plebejischer Herkunft ein Schuldbekenntnis zu erpressen, bis sie dann allmählich diese Rangunterschiede unberücksichtigt ließen und sich über die Vorrechte römischer Bürger hinwegsetzten. Die Besorgnisse der Untertanen und das Interesse des Kaisers vermochten sie, eine Reihe von Ausnahmen zuzulassen, was auf einen stillschweigend gebilligten und allgemeinen Gebrauch der Folter hinauslief. Ausgenommen waren alle Personen von Rang und Ehre, Bischöfe und Presbyter, Professoren der freien Künste, Soldaten nebst ihren Familien, städtische Beamte und deren Nachkommen bis in die dritte Generation, sowie alle Kinder vor der Pubertät. Heineccius (Elementa Iuris Civilis Teil 7, p. 81) hat diese Ausnahmen in einer Übersicht zusammengestellt.

Aber ein verhängnisvoller Grundsatz war in die neue Rechtspflege des Reiches eingeführt, dass nämlich im Falle von Verrat – und hierzu gehörte jedes Vergehen, was die Spitzfindigkeit der Advokaten unter dem Rechtstitel feindliche Absichten gegen den Herrscher der Republik Diese Definition des weisen Ulpian (Pandekten 48,4) scheint besser zum Hofe Caracallas als dem von Alexander Severus zu passen. Siehe die Codices von Theodosius und Iustinian: Ad legem Iuliam maiestatis. irgend zu subsumieren vermochte – alle Vorrechte hinfällig waren und alle Vorbehalte in gleicher Weise für nichts galten. Da man die Sicherheit des Herrschers eingestandenermaßen allen Rechtlichkeits- oder Humanitätserwägungen vorzog, waren die Würde des Alters oder die Zartheit der Jugend gleichermaßen den grausamsten Misshandlungen ausgesetzt; und der Schrecken verleumderischer Nachrede, welche sie zu Mitbeteiligten oder sogar Zeugen eines angeblichen Verbrechens machen konnte, schwebte beständig über den Köpfen der Hauptstädter der römischen Welt. Die Pandekten zitieren Arcadius Charisius als den ersten Anwalt, welcher den Einsatz der Folter in allen Fällen von Verrat gutheißt; aber diese Grundregel der Despotie, welche Ammianus Marcellinus (19,12) mit ehrfürchtigem Schaudern billigt, wird durch zahlreiche Gesetze der Nachfolger Constantins bekräftigt. Siehe auch Codex Theodosianus 9,35: ›In maiestatis crimine omnibus aequa est conditio‹ [Bei einem Majestätsverbrechen ist die Bedingung für alle gleich].

 

STEUERN

Diese Übelstände indessen, so unmenschlich sie uns auch erscheinen mögen, waren auf eine kleine Zahl römischer Untertanen beschränkt, die für ihre heikle Stellung in mancher Hinsicht durch den Genuss jener natur- oder schicksalsgewollten Vorteile entschädigt wurden, durch die sie dem königlichen Neid ausgesetzt wurden. Die im Verborgen lebenden Millionen eines Großreiches haben von der Grausamkeit ihrer Herrscher weit weniger zu befürchten als von deren Habgier; ihr bescheidenes Glück hat unter der enormen Steuerbelastung zu leiden, welche die Wohlhabenden nur in Maßen beschwert, dafür aber die niederen und ärmeren Gesellschaftsschichten umso stärker bedrückt. Ein geistvoller Philosoph Montesquieu, Esprit de lois 13,12. hat den Umfang der allgemeinen Steuerlast am Ausmaß von Freiheit und Sklaverei zu bestimmen versucht; und sich zu der Behauptung verstiegen, dass einem unabänderlichen Naturgesetz zufolge sie mit der Ersteren stets zunehmen und proportional zur Letzteren abnehmen muss. Aber diese Überlegung, die ja immerhin helfen könnte, die Bedrückungen einer Despotie zu erleichtern, steht zumindest mit der Geschichte des Römischen Reiches in Widerspruch; welche nämlich ein und dieselben Herrscher anklagt, dass sie die Geltung des Senates und zugleich den Wohlstand der Provinzen ruiniert hätten. Ohne die verschiedenen Zölle und Abgaben aufzuheben, welche auf den Handelsgütern lagen und durch die Kaufentscheidung des Käufers zwangsläufig beglichen wurden, gab die Politik Constantins und seiner Nachfolger einer einfachen und direkten Besteuerung den Vorzug, was dem Geiste einer absoluten Monarchie denn auch eher entsprach. Herr Hume hat (Essays, Band 1, p. 389) diese bedeutende Wahrheit mit einem gewissen Grade von Verlegenheit aufgenommen.

 

INDICTIONEN UND GRUNDSTEUERN

Der Name und die Anwendung der Indictionen, Die Indiktionszyklen [Zeitrechnung, die mit 15-Jahres-Zyklen arbeitet, A.d.Ü.], welche man bis in die Regierungszeit des Constantius oder vielleicht auch seines Vaters Constantin zurückverfolgen kann, wird noch heute am päpstlichen Hofe verwendet; aber den Jahresbeginn hat man klüglich auf den ersten Januar verlegt. Siehe l'Art de vérifier les Dates, p. xi., und Dictionnaire Raisonée de la Diplomatique, Band 2, p. 25; zwei gründliche Abhandlungen aus der Werksatt der Benediktiner. die uns die Chronologie des Mittelalters abzusichern helfen, hat sich aus der üblichen römischen Steuerpraxis entwickelt. Die ersten achtundzwanzig Artikel des elften Buches des Codex Theodosianus befassen sich mit der umständlichen Regulierung eines bedeutenden Gegenstandes, nämlich der Steuern; aber sie setzen eine genauere Kenntnis grundlegender Prinzipien voraus, als wir sie uns gegenwärtig aneignen können. Der Kaiser unterfertigte mit eigener Hand und mit purpurfarbener Tinte einen feierlichen Erlass oder indictio, welche in der Hauptstadt jeder Diözese vor dem ersten September zwei Monate lang ausgehängt wurde. Und infolge einer naheliegenden Ideenverbindung wurde das Wort indictio auf die Höhe der Steuern, die in ihr festgelegt wurden, und zugleich auf den Termin für diese Zahlung angewandt. Diese allgemeine Steuerschätzung entsprach den tatsächlichen und imaginierten Bedürfnissen des Staates. Sooft nun aber die Ausgaben die Einkünfte überstiegen oder die Einkünfte hinter den Erwartungen zurückblieben, wurde dem Volk eine Zusatzsteuer unter dem Namen superindictio auferlegt, und besonders die Prätorianerpräfekten wurde mit den höchsten Macht-Attributen ausgestattet, wenn sie zuweilen in Fällen unvorhergesehener und außergewöhnlicher staatlicher Bedürftigkeit eingreifen mussten.

Zur Ausführung dieser Gesetze, (die im Detail zu verfolgen ein recht ermüdendes Unterfangen wäre) verfolgte man wesentlich zwei verschiedene Maßnahmen: zunächst die Zergliederung der allgemeinen Steuerlasten in ihre Einzelposten, und wie diese dann auf die Provinzen, die Städte und die Einzelpersonen umgelegt werden sollten, und danach die Eintreibung der Abgaben von den Einzelpersonen, Städten und Provinzen, bis endlich die angehäuften Summen ihren Weg in die kaiserlichen Schatzkammern gefunden hatten. Indem aber die Rechnung zwischen Herrscher und Untertan eigentlich immer offen blieb und neue Forderungen erhoben wurden, bevor die alten beglichen waren, wurde die mächtige Finanzmaschinerie das ganze Jahr über von derselben Hand in Schwung gehalten. Alles, was der Finanzverwaltung ein ehrbares und bedeutendes Aussehen verlieh, war der Weisheit der Präfekten und ihrer Repräsentanten anheim gestellt; die einträglichen Aufgaben nahm eine Schar von Subalternbeamten für sich in Anspruch, von denen einige dem Kämmerer, andere dem Statthalter der Provinz unterstellt waren; und welche bei den unausbleiblichen Konflikten mit einer verworrenen Justiz oft Gelegenheit nahmen, mit ihresgleichen die Höhe ihrer Beute zu debattieren. Die eigentliche Knochenarbeit, die nur Hass, Ablehnung, Aufwand und Gefahr mit sich bringen konnte, wurde den decuriones aufgetragen, welche städtische Körperschaften bildeten und welchen das kaiserliche Gesetz in seiner Strenge auferlegt hatte, die Lasten der bürgerlichen Gesellschaft zu tragen. Der Titel, welcher die decuriones betrifft (12,1), ist der mit Abstand umfangreichste im gesamten Codex Theodosianus; schließlich enthält er 192 unterschiedliche Gesetze, in welchen die Pflichten und Rechte dieses nutzbringenden Berufsstandes festgelegt sind.

Der gesamte Grundbesitz des Reiches (die kaiserliche Domäne nicht ausgeschlossen) war Objekt besonderer Steuerbelastung; und jeder neue Käufer übernahm die Verpflichtungen des Alten. Eine genaue Vermögensschätzung ( census) ›Habemus enim et hominum numerum qui delati sunt, et agrorum modum.‹ [Wir haben nämlich die Zahl der Menschen und die Größe der Äcker registriert]. Eumenius in Panegyri 8,6. Siehe Codex Theodosianus 13, 10 und 11 mit Gothofreds Kommentar. war die einzige gangbare Methode, um die richtige Höhe des von jedem Bürger zu leistenden Beitrages an den Staat festzusetzen; und für die genau erforschte Zeit der Indictionen können wir mit gutem Grund annehmen, dass diese komplizierte und aufwendige Maßnahme im regelmäßigen Abstand von fünfzehn Jahren wiederholt wurde. Die Ländereien wurden durch Feldmesser aufgenommen, die zu diesem Zweck in die Provinzen geschickt wurden; es wurde mit Genauigkeit festgehalten, ob es sich um Acker- oder Grünland handelte, um Weinberge oder Waldgebiet; und aus den durchschnittlichen Erträgen der letzten fünf Jahre wurde ihr allgemeiner Wert ermittelt. Wesentlicher Teil der Bestandsaufnahme waren die Anzahl der Sklaven und Rinder; auch ward den Eigentümern unter Eid abverlangt, von ihren wahren Vermögensverhältnissen dem Staate nichts zu verhehlen; und auf jeden Versuch, Ausflüchte zu machen oder sich sonstwie den Absichten des Gesetzgebers zu entziehen, hielt man ein wachsames Auge und bestrafte dies als wie ein zweifaches Kapitalverbrechen, wurden doch Hochverrat und zugleich Eidbruch begangen. ›Siquis sacrilega vitem falce succiderit; aut feracium ramorum foetus hebetaverit, quo declinet fidem Censuum, et mentiatur callide paupertatis ingenium, mox detectus capitale subibit exitium, et bona eius in Fisci iura migrabunt.‹ [Wenn jemand mit frevler Sichel den Weinstock kappt; oder die Knospen fruchtbringender Zweige entkräftet, um dadurch die Verlässlichkeit der Steuerlisten herabzumindern und trüglich den Geist der Armut zu evozieren, soll er bald nach seiner Entdeckung die Todesstrafe erleiden, und sollen seine Güter dem Fiskus zufallen]. Codex Theodosianus. 13,11,1. Wenn diesem Gesetz auch nicht die berechnete Dunkelheit abgeht, ist es doch deutlich genug gefasst, um die Pedanterie der Untersuchung und die unangemessen hohe Strafe erkennen zu können. Ein beträchtlicher Anteil der Steuern wurde bar erlegt; indessen wurde von den gängigen Münzen nur Goldwährung angenommen. Plinius hätte sich jetzt nicht länger erstaunt: ›Equidem miror Populum Romanum victis gentibus [in tributo] semper argentum imperitasse, non aurum.‹[Ich wundere mich allerdings, dass das Römische Volk den besiegten Völkern stets Silber und nicht Gold als Tribut auferlegt hat]. Plinius, Naturalis Historia, 33, 15.

Der Rest der Steuern wurde entsprechend der Höhe der jährlichen Indiction auf eine noch direktere und noch üblere Weise eingezogen. Die der Natur des Landes entsprechenden Erzeugnisse wie Wein oder Öl, Weizen oder Gerste, Holz oder Eisen wurde, natürlich auf Kosten oder zu Lasten der Provinzialen, in die kaiserlichen Magazine geschafft, von wo aus sie dann immer mal wieder zur freien Verwendung durch den Hof, die Armee oder die beiden Hauptstädte Rom und Konstantinopel versandt wurden. Die Beamten des Fiskus mussten sooft Käufe tätigen, dass es ihnen strengstens untersagt war, sich auf irgendwelche Kompensationsgeschäfte einzulassen oder etwa sich die abverlangten Naturalien in Geld auszahlen zu lassen. In der archaischen Ursprünglichkeit kleiner Gemeinden mag diese Methode hinreichen, um die – zumeist freiwilligen – Abgaben der Bevölkerung einzusammeln; aber sie kann zu dem äußersten Umfang und zu der äußersten Härte gesteigert werden, wie sie nur in einer korrupten und absoluten Monarchie aus dem ewigen Kampf zwischen der Macht der Repression und der hohen Kunst des Unterschleifs entstehen können. Einige Vorsichtsmaßnahmen wurden getroffen (Codex Theodosianus 11,2 und Codex Iustinianus 10,27, 1-3), um die Magistrate beim Eintreiben oder Kaufen von Getreide vom Missbrauch ihrer Vollmachten abzuhalten; aber die, die noch imstande waren, die Reden Ciceros gegen Verres (3: de frumento) zu lesen, konnten sich die unterschiedlichsten Erpressermethoden selbst aneignen, die man bei Gewichten, Preis, Qualität und Ladungsgröße anwenden konnte. Bei einem unbelesen Statthalter hingegen musste seine kriminelle Habgier für die Unkenntnis der Präzedenzfällen oder Rechtsprinzipien aufkommen. Die Landwirtschaft der römischen Provinzen wurde so allmählich in den Ruin getrieben, und mit dem Fortschreiten des Despotismus, der ja am Ende seine eigenen Zwecke zu verfehlen pflegt, waren die Kaiser genötigt, sich populär zu machen, indem sie solche Steuern erließen oder minderten, die ihre Untertanen ohnehin niemals hätten zahlen können. Entsprechend der neuen Einteilung Italiens dehnte sich das fruchtbare und wohlhabende Campanien, das Land der frühesten römischen Siege und der Altersruhesitz betuchter stadtrömischer Bürger, zwischen Mittelmeer und Apennin, vom Tiber bis zum Silarus. Innerhalb von nur sechzig Jahren nach dem Tode Constantins und aufgrund einer aktuellen Bestandsaufnahme wurde für dreihundertdreißigtausend Morgen wüsten und unbebauten Landes Steuerfreiheit gewährt; was immerhin ein Achtel der gesamten Provinz ausmachte. Da die Barbaren ihren Fuß noch nicht auf italienisches Land gesetzt hatten, kann als Ursache für diese erschütternde Landflucht, die sogar in die Gesetz Eingang gefunden hat, nur die Verwaltungstätigkeit der römischen Kaiser angenommen werden. Cod. Theod., veröffentlicht am 24. März A.D. 395 durch Kaiser Honorius, nur zwei Monate nach dem Tode seines Vaters Theodosius. Er spricht von 528 042 römischen iugera, die ich in englische Maße umgerechnet habe. Das iugerum hatte 28800 römische Quadratfuß.

 

GRUNDBESITZ- UND KOPFSTEUER VEREINT

Sei es Zufall oder Vorsatz: diese Art der Steuerschätzung schien Grundstücks- und Kopfsteuer Gothofredus untersucht mit großer Gelehrsamkeit die Kopfsteuer; während er aber erklärt, dass caput ein Teil (oder Maß) für das Eigentum ist, verschließt er sich zu nachdrücklich der Vorstellung von einer individuellen Besteuerung. in sich zu vereinen. Die aus den Provinzen oder Bezirken einlaufenden Beträge waren zugleich ein Ausdruck für die Zahl der Steuerpflichtigen und ihrer Belastungen. Die letzte Zahl wurde durch die erste geteilt; und die Schätzung, dass eine solche Provinz soviele capita oder steuerpflichtige Köpfe habe und dass mithin jedem dieser Köpfe ein bestimmter Wert beigemessen werde, wurde nicht nur in der alltäglichen, sondern auch in den offiziellen Berechnungen allgemein anerkannt. Der Wert eines solchen abgabepflichtigen Kopfes muss infolge von vielen zufälligen oder doch wenigstens vorübergehenden Umständen sehr veränderlich gewesen sein; wir kennen jedoch die näheren Einzelheiten einer wunderlichen Gegebenheit, die umso wichtiger ist, da sie sich auf ein Land bezog, welches eine der reichsten Provinzen des römischen Imperiums war und auch heute noch als das reichste Königreich Europas in Blüte steht. Die raubgierigen Minister des Constantius hatten den Reichtum Galliens ausgeplündert, indem sie fünfundzwanzig Goldstücke als jährliche Pro-Kopf-Angabe festlegten. Die menschenfreundliche Politik seines Nachfolgers senkte diese Kopfsteuer auf sieben Goldstücke. Quid profuerit (Julianus) anhelantibus extrema penuria Gallis, hinc maxime claret, quod primitus partes eas ingressus, pro ›capitibus‹ singulis tributi nomine vicenos quinos aureos reperit flagitari; discedens vero septenos tantum, munera universa complentes. [Welchen Nutzen er (Iulianus) den unter äußerster Bedrückung seufzenden gallischen Provinzen gebracht hat, wird besonders hieraus deutlich, dass er beim ersten Betreten des Landes eine Steuerforderung von 25 Goldstücken pro Joch vorfand, beim Verlassen nur noch 7 für alle Leistungen]. Ammianus 16,5. Das richtige Verhältnis zwischen diesen beiden Extremen, dem blanken Raub und der vorübergehenden Nachsicht, mag deshalb bei sechzehn Goldstücken oder etwa neun Pfund Sterling liegen, was somit die durchschnittliche Veranlagung für Gallien wäre. Bei der Berechnung irgendeiner Summe Geldes für die Zeit Constantins oder seiner Nachfolger brauchen wir nur auf die exzellente Abhandlung von Herrn Greaves über den Denar zurückzugreifen, um folgende Grundannahmen zu beweisen: 1. Dass das alte und das moderne römische Pfund mit seinen 5256 Gran Troygewicht [1 Gran = 65mg, A.d.Ü.)] etwa um ein Zwölftel leichter ist als das englische Pfund mit 5760 Gran. 2. Dass ein Pfund Gold, welches einst in 48 aurei unterteilt war, zu jener Zeit in 72 kleinere Stücke mit dergleichen Bezeichnung umgemünzt wurde. 3. Dass 5 dieser aurei gesetzliches Zahlungsmittel für 1 Pfund Silber waren und dass folglich das Pfund Gold gegen 14 Pfund und 8 Unzen Silber nach römischem oder 13 Pfund nach englischem Gewicht getauscht wurden. 4. Dass das englische Pfund Silber in 72 Schillinge umgemünzt wird. – Auf dieser Grundlage kommen wir zu dem Ergebnis, dass das römische Goldpfund, die zur Berechnung großer Summe übliche Einheit, 40 Pfund Sterling betrug; und dass der aureus mit etwas mehr als 11 Schilling festgelegt werden kann. Aber diese Berechnung, oder doch wenigstens die ihr zugrunde liegenden Tatsachen können nicht verfehlen, ein nachdenkendes Gemüt auf zwei Schwierigkeiten zu stoßen, nämlich die Gleichheit und die Größe dieser Kopfsteuer. Ein Versuch, sie zu erklären, könnte daher auch einiges Licht auf den wichtigen Gegenstand, die Finanzen eines untergehenden Reiches, werfen.

 

VERGLEICH ZWISCHEN GALLISCHEN UND FRANZÖSISCHEN VERHÄLTNISSEN

I. Es ist offenkundig, dass, solange die unabänderliche Natur des Menschen das Eigentum so ungleich verteilt und zu verteilen fortfährt, der größte Teil der Gemeinschaft ihrer Lebensgrundlage beraubt wäre, wenn allen die gleiche Steuer auferlegt wäre, von der sich der Herrscher noch einen vernachlässigbaren Teil als sein Einkommen ableiten würde. Dies zumindest mag die Theorie der römischen Kopfsteuer gewesen sein; aber in der Praxis wurde diese ungerechte Gleichstellung nicht sonderlich empfunden, da die Abgaben in Form einer Besitz- und nicht einer persönlichen Steuer erhoben wurden. Mehrere wenig vermögende Bürger trugen anteilig Steuerbeiträge zu einem einzigen Kopf zusammen, während der wohlhabende Provinziale je nach Vermögenslage mehrere solcher virtuellen Existenzen abgab. In einer Bitte in Versform, adressiert an einen der letzten und verdientesten römischen Herrscher Galliens, personifiziert Sidonius Apollinaris seine Steuern als dreiköpfiges Ungeheuer, den Geryones der griechischen Mythologie, und erweicht den neuen Herkules, ihm sein Leben zu retten und ihn zu höchster Dankbarkeit zu verpflichten, indem er dem Monstrum die drei Häupter abschlage. ›Geryones nos esse puta, monstrumque tributum, Hinc ›capita‹ ut vivam, tu mihi tolle ›tria‹.‹ [Halte uns für Geryon und die Steuern für das Monstrum, und dann vernichte, damit ich leben kann, für mich seine drei Köpfe]. Sidonius Apollinaris, Carmina 13,19. Die Reputation von Pater Sirmond ließ mich auf ein Mehr an Aufklärung hoffen, als ich in seiner Anmerkung (p. 144) zu dieser merkwürdigen Textstelle gefunden habe. Die Worte ›Suo vel suorum nomine‹ [in seinem Namen oder dem der Seinigen] verraten die Verlegenheit des Kommentators. [A.d.Ü.: Die Zeilen erhalten einen Sinn, wenn man statt ›Geryones‹, dem Namen des dreiköpfigen Monstrums, ›Euristeus‹ setzt, den Namen des Auftraggebers zu seiner Tötung. Diese Konjektur stammt aus W.B. Andersons Sidonius-Ausgabe 1936]. Das Vermögen des Sidonius Apollinaris überstieg den durchschnittlichen Besitz eines Dichters beträchtlich; hätte er aber den Vergleich weitergeführt, dann hätte er zahlreiche gallische Adlige darstellen müssen, wie sie als hundertköpfige, tödlichen Hydra über das Land gebreitet lagen und das Vermögen hunderter Familien verschlangen.

II. Die Schwierigkeiten, für Gallien eine Summe von neun Pfund Sterling als jährliche durchschnittliche Kopfsteuer anzunehmen, können noch augenfälliger gemacht werden durch den Vergleich mit dem Zustand des gegenwärtigen Landes, das als ein fleißiges, wohlhabendes und seinem absoluten Monarchen anhängliches Volk gilt. Die jährlichen Steuereinkünfte Frankreichs können weder durch Drohungen noch durch gutes Zureden über den gegenwärtigen Stand von achtzehn Millionen Pfund Sterling hinaus getrieben werden, die von etwa vierundzwanzig Millionen Einwohnern aufgebracht werden müssen. Diese Behauptung, so gigantisch sie auch klingen mag, beruht auf den originalen Geburts- Sterbe- und Hochzeitsregistern, welche von Amts wegen geführt und nunmehr in der Contrôle Général zu Paris archiviert werden. Die durchschnittliche jährliche Geburtenrate im ganzen Königreich, aufgenommen in fünf Jahren (1770 bis 1774, beide Jahre mitgezählt) beträgt 479.649 Jungen und 449.268 Mädchen, insgesamt also 928.918 Kinder. Die Provinz Hainault allein zählt 9.906 Geburten: und aufgrund jährlich wiederholter Volkszählungen (1773 bis 1776) können wir als sicher annehmen, dass Hainault durchschnittlich 257.097 Einwohner hat. Durch einfache Proportionalrechnung können wir schließen, dass das Verhältnis der jährlichen Geburten zur Einwohnerzahl etwa 1 zu 26 beträgt; und dass das Königreich Frankreich von 24.151.868 Personen beiderlei Geschlechtes bewohnt wird. Begnügen wir uns mit den moderaten Verhältnis von 1 zu 25, beträgt die Gesamtbevölkerung immer noch 23.222.950 Menschen. Aus den sorgfältigen Erhebungen der französischen Regierung (die einer Nachahmung unsererseits durchaus wert sind) hoffen wir noch größere Sicherheit zu diesem wichtigen Punkte zu gewinnen. Von diesen mögen etwa sieben Millionen in ihrer Eigenschaft als Väter, Brüder oder Gatten die Verpflichtungen der verbleibenden Masse von Frauen und Kindern übernehmen; doch der durchschnittliche Anteil jedes steuerpflichtigen Untertanen dürfte kaum mehr als fünfzig Schilling unserer Währung betragen, anstelle der fast fünfmal so großen Belastung, die man ihren gallischen Vorfahren regelmäßig aufbürdete. Den Grund für diesen Unterschied wird man nicht so sehr in dem relativen Mangel oder Überfluss von Gold und Silber finden als vielmehr in dem unterschiedlichen Zustand der antiken gallischen und der modernen französischen Gesellschaft. In einem Lande, wo jeder Bürger des Privileges der individuellen Freiheit genießt, muss das gesamte Staatseinkommen, entstamme es nun Eigentums- oder Verbrauchssteuern, unbesehen auf die gesamte Bevölkerung umgelegt werden. Aber der größte Teil des antiken Gallien wurde, wie auch die anderen Provinzen der römischen Welt, von Sklaven kultiviert oder von Bauern, deren Dasein nur eine abgemilderte Form der Sklaverei war. Codex Theodisianus, 5,9, 10 und 11. Codex Iustinianus 11, 63; Coloni appellantur qui conditionem debent genitali solo, propter agriculturam sub dominio possessorum. [Bauern werden die genannt, die den fruchtbaren Boden bepflanzen müssen, durch Ackerbearbeitung unter herrschaftlichem Besitz]. Augustinus, Vom Gottesstaat, 10,1.

In diesem Zustande wurden dann die Armen auf Kosten ihrer Herren gehalten, die dafür die Früchte von deren Arbeit einstrichen; und da die Steuerlisten nur die Namen der Bürger enthielten, die ein respektables oder doch wenigstens anständiges Auskommen hatten, erklärt diese vergleichsweise kleine Zahl die hohe Pro-Kopf-Besteuerung. Die Wahrheit dieser Aussage möge das folgende Beispiel illustrieren. Die Häduer, einer der mächtigsten und fortgeschrittensten Stämme Galliens, lebten in dem Gebiet der beiden heutigen Bistümer Autun und Nevers, Der antike Gerichtsbezirk von Autun ( Augustodonum) in Burgund, der Hauptstadt der Häduer, umfasste auch noch das benachbarte Nevers ( Noviodunum), siehe d'Anville, Notice de l'ancienne Gaule, p.491. Das Bistum von Autun enthält heute 610, das von Nevers 160 Pfarrstellen. Die Geburtsfälle, die elf Jahre lang in 476 Pfarreien ebendieser Provinz Burgund geführt wurden, multipliziert mit mäßigen 25 (siehe Messance, Recherches sur la Population, p. 142), erlaubt uns eine Zahl von 656 Einwohnern für jede Pfarrstelle anzunehmen, was, wiederum mit der Zahl der 770 Pfarreien der beiden Diözesen Nevers und Autun multipliziert, zu einer Gesamtzahl von 505.120 Personen in einem Gebiet führt, das einst von den Häduern bewohnt ward. wo heute über fünfhunderttausend Einwohner zu Hause sind; und mit dem naheliegenden Zutritt von Châlon und Macon Wir können zusätzliche 301.750 Einwohner für die Diözesen von Châlon ( Cabillonum) und Macon ( Matisco) berechnen; denn die eine enthält 200, die andere 260 Pfarrstellen. Diese Vergrößerung ist aus mehreren einleuchtenden Gründen gerechtfertigt: 1. Châlon und Macon lagen unstreitig in dem antiken Bezirk der Häduer (siehe d'Anville, Notice de l'ancienne Gaul, p. 187 und 443). 2. In den Notitia für Gallien werden sie nicht als Civitates, sondern als Castra geführt. 3. Vor dem V. und VI. Jhd. traten sie als Bischofssitz nicht in Erscheinung. Allerdings gibt es einen Abschnitt bei Eumenius, die mich eindringlich davon abhält, für die Zeit des Constantin das Territorium der Häduer bis zu den reizvollen Ufern der schiffbaren Saône sich ausdehnen zu lassen. betrug ihre Einwohnerzahl etwa achthunderttausend Seelen. Unter Constantin verfügte das Territorium der Häduer über nicht mehr als fünfundzwanzigtausend Steuer köpfe, von denen dieser Herrscher siebentausend ihre unerträglichen Steuerlasten erließ. Eumenios, Panegyrici 8,11. Eine richtige Analogie würde dann allerdings die Auffassung eines sehr scharfsinnigen Historikers Abbé, Dubos, Histoire critique de la monarchie francoise, Band 1, p.121. stützen, welcher meint, dass es nicht mehr als eine halbe Millionen freier und steuerpflichtiger Bürger gegeben habe; und wenn nun bei regulärem Gang der Regierungsgeschäfte deren jährliche Abgaben auf viereinhalb Millionen in unserem Geld berechnet werden, kommt man zu dem Ergebnis, dass, obwohl der Beitrag jedes Einzelnen vier mal so groß war wie im modernen Frankreich, das Gesamtaufkommen in der antiken Provinz Gallien nur ein Viertel des heutigen war. Die Forderungen des Constantius können auf sieben Millionen Sterling berechnet werden, welche Summe aber die Weisheit und Humanität des Julian auf zwei Millionen verringerte.

 

FÜNFJAHRESSTEUERN

Aber diese Kopfsteuer zu Lasten der Landeigentümer hätte eine zahlungskräftige und große Klasse von freien Bürgern davonkommen lassen. In der Absicht, auch an jenen Reichtümern teilzuhaben, welche Handel und Gewerbe abwerfen und sich in barer Münze oder als Ware manifestieren, legten die Kaiser dem unternehmerischen Teil ihrer Untertanen eine besondere und individuelle Steuer auf. Codex Theodosianus 11,13,1 und 4. Einige wenn auch zeitlich und örtlich sehr begrenzte Ausnahmen wurden für die Händler zugelassen, welche die Produkte ihrer eigenen Ländereien verkauften. Auch mit den freien Künsten übte man einige Nachsicht: aber jeden anderen Gewerbezweig traf die Schwere des Gesetzes. Den ehrbaren Kaufmann aus Alexandria, welcher aus Indien Edelsteine und Gewürze zum Gebrauch für den Westen importierte; den Geldverleiher, der aus dem Bedürfnis für Geld seinen stillen und schmutzigen Gewinn zog; der erfindungsreiche Fabrikant, der fleißige Handwerker und sogar noch der armselige Krämer in einem entlegenen Landstrich: sie alle mussten die Finanzbeamten an ihrem Gewinne teilhaben lassen. Und der Beherrscher des Imperium Romanum, der das Gewerbe der öffentlichen Prostitution zuließ, entblödete sich nicht, von dem hierbei abfallenden schimpflichen Gewinn seinen ehrlosen Anteil einzubehalten. Da diese allgemeine Besteuerung des Gewerbefleißes nach jedem vierten Jahr stattfand, wurde es auch Lustralsteuer genannt: der Historiker Zosimos Zosimos, 2, 38. In der Attacke des Zosimos steckt vermutlich ebensoviel Leidenschaft und Vorurteil wie in der sorgfältig ausgearbeiteten Verteidigungsschrift für Konstantins Andenken durch den eifervollen Dr. Howell (History of the Word, Band 2, p. 20). Zosimos, 2, 38. beschreibt eindringlich, wie sich das Herannahen des fatalen Termins durch Tränen und Schrecken der Bürger ankündigte, welche die bevorstehende Plage nötigte, zu den sonderlichsten und abwegigsten Mitteln Zuflucht zu nehmen, um die Summe aufbringen zu können, die für ihr Eigentum veranschlagt worden war. Das Zeugnis des Zosimos kann indessen von dem Vorwurf der Parteinahme und Einseitigkeit nicht freigesprochen werden; aber aus der Art der Besteuerung selbst kann man mit gutem Gründen schließen, dass sie willkürlich festgelegt und mit den brutalsten Methoden eingezogen wurde. Für den heimlichen Reichtum des Kaufmanns und den schwankenden Gewinn von Kunst und Handwerk ist ja immer nur eine pauschale Veranschlagung möglich, die dann auch nur ganz selten zum Nachteile des Staatsschatzes auszufallen pflegt; und da in der Person der Kaufmannes ein Bedürfnis nach dauerhafter Unversehrtheit lebt, kann die Bezahlung der Steuern, anders als beim Grundbesitz, wo man sie gegebenenfalls durch Beschlagnahme eintreiben könnte, kaum anders als durch körperliche Bestrafung erzwungen werden. Die grausame Misshandlung von zahlungsunfähigen Steuerschuldnern wird bekräftigt und zugleich auch wieder abgemildert durch einen äußerst humanen Erlass von Constantin, welcher den Nutzen von Folterbank und Peitsche in Abrede stellt und den Schuldnern anstelle dessen ein geräumiges und luftiges Gefängnis bewilligt. Codex Theodosianus 11,7,3.

 

FREIWILLIGE ABGABEN

Diese allgemeinen Steuern legte die unumschränkte Macht des Herrschers fest; aber die gelegentlichen Opfer des Kronen-Goldes behielten weiterhin den Namen und den Anschein volkstümlicher Zustimmung. Es war althergebrachtes Brauchtum, dass die Verbündeten der Republik, die ihre Sicherheit und sogar ihre Freiheit dem Erfolg der römischen Waffen zuschrieben, dass selbst die Städte Italiens, die die Erfolge ihres siegreichen Generals bewunderten, zum Glanze seines Triumphzuges beisteuerten durch freiwillige Spenden von goldenen Kronen, welche nach der Zeremonie im Jupitertempel geweiht wurden, um auch künftigen Geschlechtern seinen Ruhm zu künden. Anwachsende Begeisterung und Liebedienerei ließen diese Schenkungen zahlreicher und größer werden; und es ward der Triumphzug Caesars geschmückt mit zweitausendachthundertzweiundzwanzig massiven Goldkronen, die insgesamt vierhundertundvierzehn Pfund Gold wogen. Diesen Schatz ließ der Diktator klugbedacht alsgleich umschmelzen, da er meinte, seine Soldaten hätten dafür nützlichere Verwendung als die Götter: diesem Beispiel folgten auch seine Nachfolger; und so kam der Brauch auf, anstelle des schönen Schmuckwerkes ein besser verwertbares Geschenk, eben die gängige Goldmünze des Reiches, darzubringen. Siehe Lipsius de Magnitudine Romana, 2, c.9. Das tarragonesische Spanien schenkten dem Kaiser Claudius eine Krone von sieben- und Gallien von neun hundert Pfund Gewicht. Ich bin hier den durchdachten Verbesserungsvorschlägen des Lipsius gefolgt. Diese freiwilligen Gaben nahmen im Laufe der Zeit die Gestalt einer Bringschuld an; auch blieben sie nicht auf die Gelegenheit eines Triumphzuges beschränkt, vielmehr ging man davon aus, dass die einzelnen Städte und Provinzen des Reiches sie auch verabfolgen könnten, sobald etwa der Kaiser seine Thronbesteigung anzukündigen beliebte, sein Konsulat, die Geburt eines Sohnes, die Ernennung eines Caesar, einen Sieg über die Barbaren, oder sonst ein wirkliches oder auch nur imaginiertes Vorkommnis, welches die Annalen seiner Regierungszeit zieren sollte. Die freiwillige Sonderspende des Senates wurde gewohnheitsrechtlich auf hundert Pfund Gold festgelegt, etwa vierundsechzig tausend Pfund Sterling. Die ausgebeuteten Untertanen feierten ihre eigenen Glücksumstände, hatte der Herrscher doch geruht, dieses geringe, aber freiwillige Zeugnis ihrer Ergebenheit und Dankbarkeit allergnädigst entgegenzunehmen. Codex Theodosianus 12,13. Die Senatoren waren vom Aurum Coronarium ausgenommen; aber das Auri Oblatio, welches man ihnen abverlangte, war von exakt der gleichen Art.

 

SCHLUSS

Ein hochgestimmtes oder unzufriedenes Volk ist selten in der Lage, sich ein zutreffendes Bild von seiner gegenwärtigen Lage zu machen. Die Untertanen Constantins waren außerstande, den Niedergang von Geist und männlichen Tugenden wahrzunehmen, der sie so weit hinter ihre Vorfahren zurückfallen ließ; allerdings fühlten und beklagten sie durchaus die Bedrückung durch die Tyrannen, die Lockerung der Disziplin und die dauernden Steuererhöhungen. Der objektive Historiker, der die Berechtigung ihrer Klagen anerkennt, bemerkt indessen auch einige günstige Begleitumstände, die ihre bedrückte Lage zu lindern durchaus imstande waren. Der drohende Barbarensturm, der schon bald Roms Größe zum Einsturz bringen sollte, konnte an den Grenzen immer noch zurückgeschlagen oder zumindest hingehalten werden. Luxus und Literatur wurden gepflegt, und an den eleganten Vergnügungen der feinen Welt hatte ein unverächtlicher Teil der Einwohner Anteil. Die Zivilverwaltung trug trotz pompöser Aufmachung und hoher Kosten dazu bei, die gelegentlichen Gesetzlosigkeiten der Soldaten zu dämpfen; und obwohl die Gesetze durch Machtmissbrauch verletzt oder durch Verdrehung pervertiert wurden, ermangelten die weisen Prinzipien des römischen Rechtes doch nicht des Sinnes für Ordnung und Gleichheit, der den Despotien des Osten völlig abging. Die Rechte der Menschheit mögen einigen Schutz durch Religion und Philosophie erfahren haben; und wenn der Name der Freiheit die Nachfolger des Augustus auch nicht länger in Alarmstimmung versetzte, so mochte er sie gleichwohl daran erinnern, dass sie nicht über ein Volk von Sklaven oder Barbaren regierten. Der große Theodosius unterscheidet in seinem wohlerwogenen Rat an seinen Sohn (Claudian, de IV Consulatu Honorii 214ff) zwischen der Stellung eines römischen und parthischen Prinzen: Tugend war für den einen unabdingbar; für den anderen mochte eine hohe Geburt hinreichen.


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